Medinfo DAS GESUNDHEITSÖKONOMISCHE MAGAZIN - 2/2020 Steiermark - ÖGK

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Medinfo DAS GESUNDHEITSÖKONOMISCHE MAGAZIN - 2/2020 Steiermark - ÖGK
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               DAS GESUNDHEITSÖKONOMISCHE MAGAZIN

2/2020 Steiermark

                                     www.gesundheitskasse.at
Medinfo DAS GESUNDHEITSÖKONOMISCHE MAGAZIN - 2/2020 Steiermark - ÖGK
Vorwort                                                                          Inhalt
   Sehr geehrte Ärztinnen und Ärzte,
   liebe Vertragspartnerinnen
                                                                                        Migräne – eine große Herausforderung
   und Vertragspartner!                                                                 Diagnose und Therapieoptionen der Migräne sowie ein Überblick über die
                                                                                        Medikamentenklasse der CGRP-Antikörper und CGRP-Rezeptor-Antikörper.
   Das Coronavirus ist mittlerweile seit mehre-                                         Bei diesem Artikel besteht die Möglichkeit auf www.meindfp.at 2 DFP-Punkte
                                                                                        zu erwerben.
   ren Monaten Teil unseres Alltags und hat vie-
   le alte Gewohnheiten auf den Kopf gestellt.                                                                                                                           Seite 3
   Gemeinsam konnten wir beweisen, dass das
   österreichische Gesundheitswesen flexibel
   und schnell auf große Herausforderungen
   reagieren kann und sich die Versicherten                                             Die Innovationen von gestern sind
   sicher sein können: Wir sind gut versorgt!
   Ohne Ihren großen Einsatz wäre dies nicht
                                                                                        die Generika/Biosimilars von heute
   möglich gewesen. Wir möchten uns bei Ih-                                             Eine Übersicht über jene 13 Wirkstoffe, die 2019 erstmalig als Generika oder
   nen herzlich für diesen großartigen Einsatz in                                       Biosimilars in den EKO aufgenommen wurden.
   diesen herausfordernden Zeiten bedanken!
                                                                                                                                                                         Seite 8
   Die Unsicherheit und die Ungewissheit
   waren groß und umso wichtiger war des-
   halb die gemeinsame Arbeit an Lösungen.
   Die Ermöglichung von telemedizinischer
                                                                                        Erhöhte Mortalität bei PPI-Langzeittherapie
   Leistungserbringung und elektronischer                                               Eine Kohortenanalyse zum Einfluss von PPI.
   Rezeptübermittlung seien hier stellvertre-
   tend für viele Maßnahmen genannt, die
                                                                                        Seite 10
   wir gemeinsam in kürzester Zeit einführen
   konnten. Es freut uns sehr, dass diese Maß-
   nahmen vielerorts so schnell aufgenommen
   wurden und so die Patientenversorgung si-                                            Für Sie gelesen:
   chergestellt werden konnte.                                                          Die Rolle von verschreibungspflichtigen Medikamenten bei Frauen mit
                                                                                        überaktivem Blasen-Syndrom.
   Auch nach dem Ende der Pandemie wollen
   wir die Chancen die sich aufgetan haben                                              Schenkelhalsfrakturen und Sterblichkeit bei M. Crohn und Colitis ulcerosa
   nützen und dort wo dies sinnvoll ist, gesetzte                                       Eine Versorgungsanalyse mit Abrechnungsdaten der österreichischen
   Maßnahmen mit in die Zukunft nehmen.                                                 Krankenversicherungsträger.

                                                                                        Seite 11
   Ein besonderes Anliegen ist es, dass wir aus
   diesen vergangenen Monaten gemeinsam
   lernen und in einen Dialog treten: Was ha-
   ben Sie aus diesen Wochen mitgenommen?
   Wir freuen uns sehr über Ihr Feedback!
                                                                                        EKO2go
                                                                                        Neue Version seit 1.7.2020
                                                    © GK/APA-Fotoservice/Rastegar

   Bleiben wir in Kontakt!
                                                                                        Seite 12
   Dr. Rainer Thomas
   Leiter Geschäftsbereich 2

   Mag. Franz Kiesl                                                                 Titelbild: AdobeStock/udra11
   Leiter Fachbereich                                                               Sofern in diesem Magazin personenbezogene Bezeichnungen nur in weiblicher oder männlicher Form
   Versorgungsmanagement 1                                                          angeführt sind, beziehen sie sich auf Frauen und Männer in gleicher Weise.

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MIGRÄNE –
           eine große Herausforderung
   In Österreich leiden ca. 11% der erwachsenen Bevölkerung an episodischer Migräne. Die höchste Prävalenz
    findet sich bei Erwachsenen zwischen 20 und 50 Jahren, wobei Frauen dreimal häufiger betroffen sind als
Männer (1). Der anfallsartige Kopfschmerz tritt individuell in monatlichen bis täglichen, unregelmäßig wiederkeh-
 renden Intervallen auf. Durch die unterschiedliche Krankheitsausprägung und die individuellen Auslöser ist eine
       wirksame Therapie bislang eine große Herausforderung für Patienten und die behandelnden Ärzte.

                                                       starker Intensität, der durch körperliche    Patienten mit Migräne leiden an einer
                Diagnostik:                            (Routine-)Aktivitäten verstärkt wird. Be-    chronischen Form (5). Triggerfaktoren,
                                                       gleitet wird der Schmerz von zumindest       also auslösende oder begünstigen-
Die Diagnose wird auf Basis einer aus-                 Übelkeit oder Erbrechen, Licht– oder         de Umstände, sind z.B. zu wenig oder
führlichen Anamnese und der klinisch-                  Lärmempfindlichkeit. Die Migräne-An-         schlechter Schlaf, unregelmäßige bzw.
neurologischen Untersuchung gestellt.                  fälle dauern mind. vier bis max. 72 Stun-    fehlende Mahlzeiten oder bestimmte
Eine routinemäßige Bildgebung ist nicht                den.                                         Genussmittel (z.B. Alkohol), Stress bzw.
notwendig, sie wird aber zum Ausschluss                Typisch für die Migräne mit Aura sind        Stressabfall, Wetterveränderungen oder
von Differenzialdiagnosen (z.B. Sub-                   vollständig reversible fokale neurologi-     Bewegungsmangel. Bei Frauen können
arachnoidalblutung, transiente ischämi-                sche Symptome, die fünf bis 60 Minu-         auch hormonelle Veränderungen (Mo-
sche Attacke) bei manchen Patienten                    ten andauern. Gleichzeitig oder bis zu       natszyklus) eine Rolle spielen (5).
erforderlich (2).                                      60 Minuten nach Ende der Aura treten         Prodromalsymptome hingegen sind als
Ein Kopfschmerz-Tagebuch kann die                      die typischen Kopfschmerzen und Be-          Vorboten einer Attacke zu sehen und
Abgrenzung zu anderen häufigen Kopf-                   gleitsymptome auf. Es kommt in 90% zu        treten Stunden bis zwei Tage davor in
schmerzen unterstützen. Patienten soll­                visuellen Auren (Lichtblitze, Schleierse-    sehr unterschiedlicher Form bei 60%
ten Zeitpunkt, Art, Stärke, Dauer, Be-                 hen oder Flimmerskotome, die über das        der Migräne-Patienten auf. Die Migräne­
gleiterscheinungen, mögliche Auslöser                  Gesichtsfeld wandern können), seltener       kranken fühlen sich unruhig bis antriebs-
der Kopfschmerzen und eventuelle Me-                   zusätzlich auch zu Sensibilitäts- oder       los, sind müde, haben Konzentrations-
dikation sowie deren Ansprechen genau                  Sprachstörungen. Es können auch mul-         störungen, Heißhunger oder muskuläre
dokumentieren.                                         tiple Aurasymptome aufeinander folgen.       Verspannungen (6).
Unterschieden werden zahlreiche For-                   Zudem können sogenannte isolierte Au-        Wichtige Differenzialdiagnosen sind
men von Migräne, wobei die Migräne                     ren ohne nachfolgende Migränekopf-           Kopfschmerz vom Spannungstyp und
ohne Aura und jene mit Aura die häufigs-               schmerzen auftreten (1).                     Kopfschmerz durch Übergebrauch von
ten Formen darstellen.                                 Von chronischer Migräne spricht man,         Medikamenten. Sehr oft ist Migräne
An der Migräne ohne Aura leiden ca.                    wenn über mindestens drei Monate an          bzw. die damit verbundene Medika-
85% der Migräne-Patienten (3). Das                     15 oder mehr Tagen pro Monat Kopf-           menteneinnahme (Analgetika bzw. Mig-
charakteristische Merkmal ist der auf                  schmerzen auftreten, welche an acht          ränemittel) für den Kopfschmerz durch
eine Kopfhälfte beschränkte, pochende                  oder mehr Tagen pro Monat migränear-         Übergebrauch von Medikamenten ver-
oder pulsierende Schmerz von mäßig bis                 tig sind (4). Weniger als zwei Prozent der   antwortlich (7).                        ›

 Kopfschmerz vom Spannungstyp                                                                       Kopfschmerz durch übermäßigen
                                                                                                    Medikamentengebrauch
 ≥ 2 der folgenden Kriterien:                                                                       l Kopfschmerz an ≥ 15 Tagen pro Monat
 l Schmerzqualität drückend-ziehend                                                                 l Regelmäßige Einnahme über > 3 Mo-
 l Schmerzintensität leicht – mäßig                                                                   nate an ≥ 15 Tagen/Monat: Nichtopio-
 l Lokalisation: beidseitig                                                                           id-Analgetika (Monopräparate)
 l keine Verstärkung durch körperliche Aktivität                                                      oder an ≥ 10 Tagen/Monat: Misch­
 Episodisch (frequent)                                Chronisch                                       analgetika, Ergotamine, Triptane,
 l ≥ 10 Episoden an bis zu 14 Tagen                   l ≥ 15 Episoden/Monat über > 3 Monate           Opioide oder eine Kombination dieser
     über > 3 Monate                                  l Stunden bis Tage, oder anhaltend              Wirkstoffe
 l 30 Minuten bis 7 Tage                              l kein Erbrechen oder mittel-
 l kein Erbrechen oder Übelkeit                          schwere Übelkeit
 l nur Photophobie oder nur Phonophobie               l nur Photophobie oder nur Phonophobie
                                                         oder nur leichte Übelkeit
Tabelle 1: Wichtige Differenzialdiagnosen zu Migräne (4)

                                                                                                                                         3      med info
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Therapieoptionen                        schlusskrankheit (pAVK) nicht eingesetzt              Medikamentöse Prophylaxe
                                                              werden. Ergotamin ist in der Akutthera-
           In der Migränetherapie unterscheidet man           pie der Migräne wirksam, allerdings ist die      Die medikamentöse Prophylaxe bei Mi-
           grundsätzlich zwischen der Therapie der            Wirksamkeit schlecht belegt und das Ne-          gräne ist laut der deutschen Gesellschaft
           akuten Attacke und der Prophylaxe. Bei             benwirkungsrisiko erhöht (nur als Reserve-       für Neurologie (DGN) und der deutschen
           beiden stehen sowohl medikamentöse als             präparat zu sehen). Antiemetika (Metoclo-        Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft
           auch nicht-medikamentöse Maßnahmen                 pramid oder Domperidon) sollten nur zur          (DMKG) indiziert, wenn ein besonderer
           zur Verfügung. In der Akuttherapie ist es          gezielten Behandlung von starker Übelkeit        Leidensdruck, eine Einschränkung der Le-
           Ziel die Attacke zu beenden bzw. soweit zu         oder Erbrechen eingesetzt werden, also           bensqualität und das Risiko eines Medika-
           begrenzen, dass binnen zwei Stunden wie-           nicht generell mit NSAR oder Triptanen           mentenübergebrauchs vorliegen.
           der die normalen Aktivitäten durchgeführt          kombiniert werden (8). Ein Status migrae­        Merkmale hierfür sind beispielsweise drei
           werden können. Begleitend können nicht-            nosus (Migräneattacke > 72 Stunden) und          oder mehr belastende Migräneattacken
           medikamentöse Maßnahmen wie Reizab-                prolongierte Attacken können eine pa-            pro Monat, Attacken, die auf die Akutme-
           schirmung (stilles, dunkles Zimmer), Schla-        renterale Gabe erforderlich machen. Hier         dikation nicht ansprechen oder wenn die-
           fen (sofern möglich), kalte Umschläge auf          können 6 mg Sumatriptan subkutan, 1 g            se nicht toleriert wird. Die meisten Medi-
           Stirn bzw. Nacken und im Einzelfall Kaffee         Acetylsalicylsäure, 1-2,5 g Metamizol oder       kamente zur vorbeugenden Behandlung
           oder Tee Hilfe leisten (6).                        NSAR (z. B. Diclofenac) und additiv einma-       von Migräne wurden für andere Erkran-
                                                              lig ein Kortikosteroid verabreicht werden        kungen entwickelt und eingesetzt. Jedoch
              Medikamentöse Akuttherapie                      und gegebenenfalls mit einem Antiemeti-          hat sich ihr Einsatz auch in der Migräne-
                                                              kum kombiniert werden (6).                       Prophylaxe etabliert und ist durch Studien
           Die Akuttherapie sollte möglichst früh in                                                           belegt (8).
           adäquater Dosierung erfolgen, dies erhöht                 Nicht-medikamentöse                       Bei der Auswahl sollten Begleiterkran-
           die Wirksamkeit. Acetylsalicylsäure (ASS)                      Prophylaxe                           kungen berücksichtigt werden und die
           und nicht steroidale Antirheumatika                                                                 Erfolgserwartungen mit dem Patienten
           (NSAR) sind bei der Behandlung der Mig-            Nicht-medikamentöse Maßnahmen kön-               abgesprochen werden. Die oralen Medi-
           räne wirksam, am besten belegt ist die Wir-        nen prinzipiell immer mit prophylaktischen       kamente sollten langsam eingeschlichen
           kung von ASS und Ibuprofen. Leichtere              Medikamenten kombiniert werden. Dazu             werden um das Nebenwirkungsrisiko zu
           und mittelstarke Migräneattacken sollten           gehören im Wesentlichen neben dem                minimieren. Das Ansprechen kann einige
           zunächst mit diesen Substanzen behan-              Vermeiden von Triggerfaktoren, kognitive         Wochen dauern, somit kann eine Beurtei-
           delt werden, sie wirken aber auch teilweise        Verhaltenstherapie oder Biofeedback und          lung der Wirksamkeit möglicherweise erst
           bei Patienten mit schweren Attacken.               Entspannungstraining, regelmäßiger Aus-          nach ca. zwei Monaten erfolgen. Tritt nach
           Triptane sind die Substanzen mit der bes-          dauersport sowie Akupunktur (8).                 zwei Monaten trotz Auftitrierung keine be-
           ten Wirksamkeit bei akuten Migräneatta-            Therapieverfahren, die wegen fehlender           friedigende Verbesserung ein, sollte die
           cken und sollten bei Nicht-Ansprechen              Wirksamkeit nicht empfohlen werden,              Prophylaxe umgestellt werden. Bei einer
           auf Analgetika eingesetzt werden. Suma-            sind:                                            wirksamen Migräneprophylaxe sollte nach
           triptan subkutan ist die wirksamste Thera-         Alimentäre Diäten, Augen-Laser-Aku-              6 - 12 Monaten die Notwendigkeit der
           pie akuter Migräneattacken. Es kommt bei           punktur,      chiropraktische    Therapie,       Dauerprophylaxe überprüft werden, wobei
           15–40 % der Patienten nach oraler Gabe             Corrugator-Chirurgie, Kolonhydrothera-           die Dosis bis zum Absetzen allmählich re-
           von Triptanen zu einer Recurrence, wo-             pie, Entfernung von Amalgamfüllungen,            duziert wird. Die Wirkung der Betablocker
           bei dann eine zweite Gabe der Substanz             Frischzell-Therapie,       Fußzonenreflex-       Metoprolol und Propranolol, des Kalzium-
           wieder wirksam ist. Bei unzureichender             massage, Gebisskorrektur, Hyperbare              antagonisten Flunarizin und der Antikon-
           Wirkung eines Triptans kann dieses mit             Sauerstofftherapie, Hysterektomie, Ma-           vulsiva Topiramat und Valproinsäure (bei
           einem rasch wirksamen NSAR kombiniert              gnetfeldbehandlung,         Neuraltherapie,      Frauen im gebärfähigen Alter wegen der
           werden. Triptane sollten bei kardiovas-            Ozontherapie, Piercings, Psychoanalyse,          Teratogenität kontraindiziert) sowie des
           kulären Krankheiten wie Angina pectoris,           Psychophonie, Sanierung vermeintlicher           trizyklischen Antidepressivums Amitripty-
           KHK, nach Myokardinfarkt, Schlaganfall             Pilzinfektionen des Darmes oder Tonsillek-       lin ist in der Migräneprophylaxe am besten
           (TIA) oder fortgeschrittener arterieller Ver-      tomie (8).                                       durch randomisierte Studien belegt (8).

            Wirkstoff (Initial-Zieldosis)                            Kontraindikation (KI)
            Betablocker:                                             AV-Block, Bradykardie, Herzinsuffizienz, Sick-Sinus-Syndrom, Asthma bronchiale
            Propranolol (40-240 mg), Metoprolol (50-200 mg)          Relative KI: Diabetes mellitus, orthostatische Dysregulation, Depression
            Flunarizin (5-10 mg)                                     fokale Dystonie, Schwangerschaft, Stillzeit, Depression
                                                                     Relative KI: M. Parkinson in der Familie
            Valproinsäure (500-1000 mg)                              Leberfunktionsstörungen, Schwangerschaft, gebärfähige Frauen, Alkoholmissbrauch
            Topiramat (25-100 mg)                                    Niereninsuffizienz, Nierensteine, Engwinkelglaukom
                                                                     Relative KI: Depression, Angststörung, geringes Körpergewicht, Anorexie
            Amitriptylin (50-75 mg)                                  Herzinsuffizienz, Glaukom, Prostatahypertrophie, -adenom
            Onabotulinumtoxin A (155-195 U i.m.)                     Myasthenia gravis
            nur bei chronische Migräne, durch erfahrenen             Relative KI: Antikoagulation
            Neurologen
           Tabelle 2: Medikamente mit guter Evidenzlage (8)

med info     4
Medinfo DAS GESUNDHEITSÖKONOMISCHE MAGAZIN - 2/2020 Steiermark - ÖGK
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5       med info
Medinfo DAS GESUNDHEITSÖKONOMISCHE MAGAZIN - 2/2020 Steiermark - ÖGK
Wirkstoffe, die ebenfalls zur Prophylaxe
           eingesetzt werden können, aber für die                    Neues Wirkprinzip
           die Evidenz geringer ist, sind Opipramol
           (50–150 mg), ASS (300 mg), Magnesium            Seit Ende 2018 sind zur subkutanen An-
           (2x300 mg) und Magnesium-Vitamin B2+            wendung drei Wirkstoffe einer neuen
           Coenzym Q10-Kombinationen. Weiters              Medikamentenklasse zugelassen, die
           werden auch ACE-Hemmer (Captopril,              das Spektrum an Möglichkeiten in der
           Enalapril, Lisinopril), Sartane (Candesar-      Migräneprophylaxe erweitern.
           tan, Telmisartan) und Antikonvulsiva (La-       Der Botenstoff Calcitonin Gene-Related
           motrigin – nur bei Aurasymtomatik, Leveti-      Peptide (CGRP) wird mit der Entstehung
           ractam) off label angewendet. Es gilt auch      von Migräneattacken in Verbindung ge-
           hier die Kontraindikationen zu beachten.        bracht. Die monoklonalen Antikörper

                                                                                                                                                     © pixabay.com/RobinHiggins
           Das Therapieziel ist die Reduktion der          Erenumab (Aimovig®), Galcanezumab
           Migräneanfälle, Schwere und Dauer.              (Emgality®) und Fremanezumab (Ajo-
           Von einer wirksamen Prophylaxe spricht          vy®) hemmen die Wirkung von CGRP. Sie
           man, wenn die Häufigkeit der Anfälle um         richten sich entweder gegen den Rezep-
           mindestens 50 % zurückgeht. Zur Fest-           tor (Erenumab) oder gegen CGRP selbst
           stellung der Wirksamkeit ist das Führen         (Fremanezumab und Galcanezumab).
           eines Kopfschmerz-Tagesbuchs (neben             CGRP reguliert die nozizeptive Signal-
           Vordrucken der DMKG sind auch viele             übertragung und wirkt als Vasodilatator.
           Apps für Smartphones verfügbar) unum-           Der CGRP-Spiegel steigt während eines
           gänglich.                                       Migräneanfalls an und normalisiert sich                   Studienlage
           Diese 50%ige Reduktion wird in den Stu-         beim Abklingen der Kopfschmerzen wie-
           dien als Vergleichsbasis unterschiedlicher      der (9).                                     Die Zulassungsstudien variieren im primä-
           Medikamente herangezogen. Über die              Alle drei zugelassenen und verfügba-         ren Endpunkt bei der Behandlungsdauer
           Responderraten (der Anteil an Patienten,        ren Antikörper müssen subkutan alle          (12 Wochen bis zu sechs Monate), der
           die diese 50% Reduktion schaffen), wird         vier Wochen bzw. monatlich verabreicht       Ausgangssituation (z.B. Migränetage vor
           die Wirksamkeit beurteilt. Generell ist         werden, für Fremanezumab ist auch ein        Studienstart) und bei den Ein- bzw. Aus-
           aber zu sagen, dass die Responderraten          dreimonatiges Intervall zugelassen.          schlusskriterien. Ein direkter Vergleich
           quer durch alle Therapien eher ernüch-          In Österreich befinden sich diese Präpa-     der monoklonalen Antikörper bzgl. ihrer
           ternd sind. Sie liegen bei den etablierten      rate mit Indikationstext (siehe Kasten) in   Wirksamkeit ist somit nicht möglich. Das-
           Medikamenten bei 35-50% (10).                   der grünen Box des Erstattungskodex.         selbe gilt auch für die bisher verfügbaren
           Weiterführende Informationen zu be-             Sie können auf Kosten der Sozialversi-       Medikamente zur Migräneprophylaxe.
           sonderen Situationen und Komorbidität           cherung verordnet werden, wenn die           Teilweise wurden Patienten mit Vorthera-
           sowie zu interventionellen und neuromo-         Indikationsstellung, Erstverordnung und      pien ausgeschlossen bzw. in unterschied-
           dulierenden Verfahren finden sich in der        regelmäßige Kontrollen des Anspre-           lichen Subgruppenanalysen untersucht.
           Leitlinie: Therapie der Migräneattacke          chens durch einen Facharzt für Neurolo-      Bei allen Zulassungsstudien wurde ein
           und Prophylaxe der Migräne 2018 der             gie erfolgen und die Kriterien des Indika-   3-armiges Model gewählt. Alle Patienten
           DGN und DMKG.                                   tionstextes eingehalten werden.              waren Erwachsene unter 65 bzw. 70 Jahren
                                                                                                        (Fremanezumab). Der überwiegende Teil
                                                                                                        der Teilnehmer waren Frauen. Patienten
                                                                                                        mit kardiovaskulären Ereignissen bzw. Ri-
                                                                                                        siken waren weitgehend ausgeschlossen.

             Indikationstext                                                                                  Episodische Migräne:
                                                                                                           (mind. 4 Migränetage/Monat)
             Als Migräneprophylaxeversuch bei Er-       vor Beginn der Prophylaxe) fortzuführen.
             wachsenen, wenn zuvor zumindest drei       Das Nichtansprechen auf die vorheri-            Aus den Zulassungsstudien geht eine
             medikamentöse Migräneprophylaxe-           gen Migräneprophylaxeversuche ist mit           Number Needed To Treat (NNT) zwi-
             versuche von ausreichender Dauer zu        einem Kopfschmerztagebuch zu doku-              schen 4,3-6,1 hervor. Das heißt, dass ca.
             keinem klinisch relevanten Ansprechen      mentieren, ebenso wie die drei Monate           4-6 Patienten mit einem Antikörper be-
             geführt haben oder wegen therapiebe-       vor Beginn und die ersten drei Monate           handelt werden müssen, damit es bei
             grenzender Nebenwirkungen abgebro-         der Migräneprophylaxe sowie die drei            einem Patienten zu einer mind. 50%igen
             chen wurden oder wegen Kontraindika-       Monate vor jeder weiteren Kontrolle.            Reduktion der Migränetage kommt.
             tionen nicht verwendet werden können.      Indikationsstellung,    Erstverordnung
             Die Migräneprophylaxe ist nach drei        und regelmäßige Kontrollen des An-              Die neuen Antikörper zeigten in den Zu-
             Monaten und im weiteren Verlauf re-        sprechens und der Indikationsstellung           lassungsstudien (bei episodischer Migrä-
             gelmäßig zu kontrollieren und nur bei      durch einen Facharzt/eine Fachärztin            ne) nach 3–6 Monaten Responderraten
             ausreichendem Ansprechen (Reduk­           für Neurologie oder Neurologie und              zwischen 30% und 62%, wobei die Place-
             tion der Migränetage um zumindest          Psychiatrie oder Psychiatrie und Neu-           bo-Responderrate in diesen Studien zwi-
             50 % im Vergleich zu den drei Monaten      rologie.                                        schen 17 und 38% lag. Bei den etablierten
                                                                                                        Medikamenten liegt sie bei 35-50% (10).

med info     6
Migränetage/Monat bei           Rückgang Migränetage           Rückgang Migräneta-           Differenz der Migräne-
                                   Studienbeginn                   mit Medikament                 ge mit Placebo                tage/Monat zu Placebo
                                   (STUDIENNAME)
 Erenumab (Aimovig®)               ca. 8 (STRIVE)                  3,2-3,7                        1,8                           1,4-1,9
                                         (ARISE)                   2,9                            1,8                           1,1
 Galcanezumab (Emgality®)          ca. 9 (EVOLVE1)                 4,2-4,3                        2,3                           1,9-2
                                         (EVOLVE2)                 4,6-4,7                        2,8                           1,8-1,9
 Fremanezumab (Ajovy®)             ca. 9(HALO-EM)                  3,4-3,7                        2,2                           1,2-1,5

Tabelle 3: Abnahme monatlicher Migränetage bei episodischer Migräne (10)

                                   Migränetage/Monat bei           Rückgang Migränetage           Rückgang Migräneta-           Differenz der Migräne-
                                   Studienbeginn                   mit Medikament                 ge mit Placebo                tage/Monat zu Placebo
                                   (STUDIENNAME)
 Erenumab (Aimovig®)               ca. 18 (Phase 2 Studie)         6,6                            4,2                           2,4
 Galcanezumab (Emgality®)          ca. 19 (REGAIN)                 4,6-4,8                        2,7                           1,9-2,1
 Fremanezumab (Ajovy®)             ca. 16 (HALO-CM)                4,3-4,6                        2,5                           1,8-2,1

Tabelle 4: Abnahme monatlicher Migränetage bei chronischer Migräne (10)

  Nebenwirkungen und Hinweise                         Wundheilungsstörungen oder bei Trans-                  zu einer weitgehenden Attackenfreiheit.
                                                      plantationsempfängern eingesetzt wer-                  Vielmehr ist es Ziel die Attacken zu re-
Bislang sind nur wenige behandlungs-                  den. Für Kinder und Jugendliche liegt                  duzieren, und zwar um mind. 50%. Oft
bedürftige Nebenwirkungen aufgetre-                   keine Zulassung vor (11).                              ist es notwendig, dass ein Facharzt für
ten. Die Intensität der Nebenwirkungen                                                                       Neurologie konsequent mehrere Thera-
wurde als mild eingestuft, wobei es auch                                     Fazit                           pien versuchen muss, um ein adequates
hier besonders zu beachten gilt, dass Pa-                                                                    Ansprechen sicherzustellen. Ein wichti-
tienten mit Vorerkrankungen weitgehend                Migräne schränkt die Lebensqualität                    ges Instrument dabei ist das Schmerzta-
ausgeschlossen wurden. Es kam u.a. bei                meist erheblich ein und führt auch zu                  gebuch. Etablierte Migräneprophylaktika
Erenumab (Aimovig®) zu Infekten der                   ökonomischen Belastungen, da sich viele                sind unter Beachtung der Komorbiditä-
oberen Atemwege, Nasopharyngitis,                     Patienten im erwerbstätigen Alter befin-               ten und Kontraindikationen bei vielen Pa-
Muskelspasmen, Juckreiz oder Obsti-                   den. Durch die heterogenen Verlaufsfor-                tienten zwar gut wirksam, aber durch un-
pation, bei Galcanezumab (Emgality®)                  men und schwere Abgrenzung zu ande-                    erwünschte Arzneimittelwirkungen nur
zu Obstipation und Schwindel und bei                  ren Kopfschmerzarten wird die Diagnose                 begrenzt einsetzbar.
Fremanezumab (Ajovy®) zu Blasenent-                   und Behandlung oft erschwert. Deshalb                  Die neuen CGRP- bzw. CGRP-Rezeptor–
zündungen. Die langfristigen Risiken sind             ist das genaue Führen eines Schmerzta-                 Antikörper verringern die Anzahl der Mig-
wie bei den meisten neuen Medikamen-                  gebuches unerlässlich. Triggerfaktoren                 ränetage im Mittel um wenige Tage pro
ten nicht vollständig erfasst. Von Vorteil            sollten vermieden werden und Prodro-                   Monat. Es ist bisher unklar, ob sie besser
ist die frühe Beurteilbarkeit des Thera-              malsymptome sollten wahrgenommen                       wirken als bisherige Migränemedikamen-
pieerfolges durch normalerweise frühes                werden um das Verhalten anzupassen.                    te zur Prophylaxe, da keine direkten Ver-
Einsetzen der Wirkung ohne notwendige                 Zur Akutbehandlung stehen im Wesent-                   gleichsdaten vorliegen. Sie sind als wei-
Auftitrierung (10).                                   lichen NSAR, Triptane und Antiemetika                  tere therapeutische Optionen zu sehen.
Die Antikörper sollen nicht bei Schwan-               zur Verfügung. Wobei der optimale Zeit-                Zudem sind Risiken und Langzeiteffekte
geren bzw. Stillenden eingesetzt werden.              punkt der Einnahme und das individuel-                 nicht endgültig bewertet.
Bei gebärfähigen Frauen ist eine sichere              le Ansprechen auf die Wirkstoffe wichtig               Aus ökonomischer Sicht sind sie beim
Kontrazeption zu betreiben. Sie sollten               sind, um eine wirksame Therapie zu er-                 derzeit bekannten Nutzen und den ho-
auch nicht bei Patienten mit koronarer                möglichen. Zu beachten gilt es die Ne-                 hen Preisen im Vergleich zu etablierten
Herzerkrankung, ischämischem Insult,                  benwirkungsprofile und das Risiko des                  Prophylaktika um ein vielfaches teurer
Subarachnoidalblutung oder periphe-                   Übergebrauches. Der Erfolg der medi-                   und nur in gut begründeten Fällen ein-
rer arterieller Verschlusskrankheit, ent-             kamentösen Prophylaxe ist ernüchternd,                 zusetzen. Die Kriterien für den Einsatz auf
zündlichen Darmerkrankungen, COPD,                    weder etablierte noch neue Wirkstoffe                  Kosten der Sozialversicherung finden sich
pulmonaler Hypertension, M. Raynaud,                  führen bei der Mehrheit der Patienten                  im Indikationstext wieder.

Lecture Board: Univ. Prof. Dr. Reinhold Schmidt,Universitätsklinik für Neurologie; LKH-Univ. Klinikum Graz
               OA. Dr. Gerhard Traxler,Klinik für Neurologie 2; Kepler Universitätsklinikum Linz
Literatur: 1 ÖSG; Patienteninformation, URL: https://www.oesg.at/patienteninformationen/migraene/; Abruf am 04.06.2020; 2 DNG; S1-Leitlinie: Diagnostik und
apparative Zusatzuntersuchungen bei Kopfschmerzen; 3 www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org; Abruf am 04.06.2020; 4 IHS; The International Classifi-
cation of Headache Disorders, 3rd Edition, Cephalalgia 2018, 38 (1): 1-211; 5 IQWiG; URL: https://www.gesundheitsinformation.de/migraene.2228.de.html; Abruf
am 03.06.2020; 6 Ch.Wöber; Migräne, J Neurol Neurochir Psychiatrie 2020; 21 (1): 6-12; 7 Uwe Reuter; GBD 2016: still no improvement in the burden of migraine,
The lancet Neurology 2018, 17 (11): 929-930; 8 DGN und DMKG; S1-Leitlinie: Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne 2018; 9 Arzneiverordnung
in der Praxis; Monoklonale Antikörper zur Prophylaxe von Migräne, URL: https://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/AVP/vorab/20191217-Migraeneprophylaxe.
pdf ; Abruf am 04.06.2020; 10 DGN und DMKG; Prophylaxe der Migräne mit monoklonalen Antikörpern gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor; Dezember
2019; Ergänzung zu S1 Leitlinie: Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne; 11 Fachinformationen, Stand Mai 2020

                                                                                                                                                         7       med info
Die Innovationen von gestern sind
            die Generika/Biosimilars von heute
              2019 wurden dreizehn Wirkstoffe erstmalig als Generikum oder Biosimilar in den EKO aufgenommen.
                        Die entsprechenden Originärpräparate waren zuvor 9 bis 19 Jahre im Handel.

           Die jetzt mögliche und notwendige Substitution dieser Präparate durch Generika oder Biosimilars hat folgende Konsequenzen:

           l einfacherer Zugang für die Verordner              nur durch Innovationen gehalten wer-
           (z.B. durch Aufnahme in den Grünen                  den. Investitionen in Forschung und
           Bereich des EKO statt Gelben Bereich)               Entwicklung sind daher lohnender als
                                                                                                                     INNOVATION
                                                               Marketing zur Marktverteidigung nach
           l Botschaft an die forschende Phar-                 Patentablauf.
           maindustrie: Bedingt durch das sin-                                                                       GENERIKUM/
           kende Preisniveau und die generische                l Kostenreduktion für diese Wirkstoffe                BIOSIMILAR
           Konkurrenz können Firmenumsätze                     für die Sozialversicherungsträger

             DIE 2019 ERSTMALIG GENERISCH/BIOSIMILAR VERFÜGBAREN WIRKSTOFFE BZW. WIRKSTOFFKOMBINATIONEN:
            Wirkstoff             Aufnahme des          Handelsname des 1.           Originär-   Aufnahme des    Anmerkung zu        Umsatzjahre
                                  ersten Generi-        Generikums/                  präparat    Originär-       Kassenumsätzen      vor Verfüg-
                                  kums/Biosimilars      Biosimilars                              präparates in   vor der Aufnahme    barkeit des 1.
                                  in den EKO                                                     den EKO bzw.    in den EKO          Generikums/
                                                                                                 in das HMV*                         Biosimilars
            Buprenorphin und      März                  Bupensan Duo                 Suboxone    01.02.2008                          11
            Naloxon
            Pegfilgrastim         März                  Pelgraz                      Neulasta    01.01.2005      Umsätze seit 2003   16
            Adalimumab            März                  Amgevita, Imraldi            Humira      01.01.2005      Umsätze seit 2003   16
            Ritonavir             Juli                  Ritonavir Accord             Norvir      01.01.2005      Umsätze seit 2000   19
            Darunavir             Juli                  Darunavir Krka, Darunavir    Prezista    01.09.2007                          12
                                                        Mylan, Darunavir Ratio-
                                                        pharm, Darunavir Sandoz
            Everolimus            Juli                  Everolimus HCS (nicht        Afinitor    01.08.2013      Umsätze seit 2009   11
                                  bzw.                  mehr verfügbar) bzw.
                                  September             Everolimus Ratiopharm
            Brivudin              August                Brivudin Aristo              Mevir       01.01.2003                          15
            Amlodipin und         Oktober               Amlodipin/                   Exforge     01.11.2007                          12
            Valsartan                                   Valsartan 1A Pharma,
                                                        Amlodipin/
                                                        Valsartan Krka, Amlodipin/
                                                        Valsartan Sandoz
            Febuxostat            Oktober               Feburo, Febuxostat           Adenuric    01.07.2011                          8
                                                        Ratiopharm, Febuxostat
                                                        Sandoz
            Aprepitant            November              Aprepitant Ratiopharm,       Emend       01.07.2004                          15
                                                        Aprepitant Sandoz
            Atomoxetin            November              Atofab, Atomoxetin Stada     Strattera   01.09.2007                          12
            Gefitinib             November              Gefitinib Accord             Iressa      01.01.2010                          9
            Solifenacin           Dezember              Belmacina, Solifenacin       Vesicare    01.02.2007                          13
                                                        1A Pharma, Solifenacin
                                                        Accord, Solifenacin
                                                        Genericon, Solifenacin
                                                        HCS, Solifenacin Stada,
                                                        Solifenacinsuccinat
                                                        Mylan, Vesisol
           *HMV Heilmittelverzeichnis, der Vorläufer des EKO

med info     8
Foto: Pixabay/RAEng_Publications

                                   Bei den Generika von Exforge und Ex-                 Lenalidomid (Revlimid) und Posaco-                      te ausgegeben als 2018 (Basis maschi-
                                   forge HCT (seit April 2020 erstmals ge-              nazol (Noxafil) sind Wirkstoffe, deren                  nelle Heilmittelabrechnung, BIG, Basis
                                   nerisch im EKO verfügbar) ist auf Grund              Patentlaufzeit abgelaufen ist oder dem-                 KVP ohne USt. und ohne Berücksich-
                                   des hohen Preisvorteils und der hohen                nächst enden wird und die dann hoffent-                 tigung von Preismodellen). Diese Kos-
                                   Verordnungsfrequenz das Ressour-                     lich auch im Erstattungskodex generisch                 tensteigerungen entfallen vor allem auf
                                   cenoptimierungspotenzial und damit die               verfügbar sein werden.                                  patentgeschützte Arzneimittel. Es wird
                                   Möglichkeit der Innovationsförderung                                                                         auf die Entwicklung folgender Präparate
                                   besonders hoch; ebenso bei Verwen-                        Die Innovationen von heute                         hingewiesen, die als innovativ bewertet
                                   dung von Biosimilars und kostengünsti-                   sind die Generika von morgen                        werden und mit einem zusätzlichen Pa-
                                   ge TNF-α-Blockern statt hochpreisigen                                                                        tientennutzen zu bisherigen Therapien
                                   TNF-α-Blockern. Ambrisentan (Volibris),              Im Jahr 2019 wurde von den SV-Trägern                   verbunden sind (1,2,3,4,5).
                                   Dasatinib (Sprycel), Erlotinib (Tarceva),            um 98 Mio. Euro mehr für Medikamen-

                                    Substanzgruppe                   Präparate (Substanz)                                           Patienten                    Aufwand in Mill. Euro
                                                                                                                            2018                2019             2018              2019
                                    CDK4/6 Hemmer                    Ibrance (Palbociclib),                                 1.598               1.928            37,4               42,6
                                                                     Kisqali (Ribociclib),
                                                                     Verzenios (Abemaciclib)
                                    2. Generation der Antian-        Zytiga (Abirateron),                                  2.248                2.592            49,5               60,7
                                    drogene                          Xtandi (Enzalutamid)
                                    Interleukin-Rezeptor-            Stelara (Ustekinumab),                                5.540                7.330            55,9               75,3
                                    Inhibitoren                      Cosentyx (Secukinumab),
                                                                     Taltz (Ixekizumab),
                                                                     Tremfya (Guselkumab)
                                    Immunsuppressiva beim            Revlimid (Lenalidomid),                                1.772               1.944             79,1              92,3
                                    Multiplen Myelom                 Imnovid (Pomalidomid)

                                   Literatur: 1 Preusser M et al: CDK4/6 inhibitors in the treatment of patients with breast cancer: summary of a multidisciplinary round-table discussion. ESMO
                                   Open. 2018 Aug 20;3(5); 2 Body A et al: Medical management of metastatic prostate cancer. Aust Prescr. 2018 Oct;41(5):154-159; 3 Mottet N et al: EEESGoP,
                                   EUA-ESTRO-ESUR-SIOG guidelines on prostate cancer. Available online at: https://uroweborg/guideline/prostate-cancer/2018; 4 Armstrong AW et al: Com-
                                   parison of Biologics and Oral Treatments for Plaque Psoriasis. A Meta-analysis. JAMA Dermatol. 2020;156(3):258-269; 5 Mikhael J et al: Treatment of Multiple
                                   Myeloma: ASCO and CCO Joint Clinical Practice Guideline J Clin Oncol 37:1228-1263

                                                                                                                                                                                           9       med info
Erhöhte Mortalität
                    bei PPI-Langzeittherapie
                                                   Dr. Hakan Cetin, PhD                hakan.cetin@meduniwien.ac.at
                                                   			                                 Universitätsklinik für Neurologie, Medizinische Universität Wien

                   Protonenpumpenhemmer (PPI) gehören zu den am häufigsten verordneten Medikamentenklassen
                         mit einer geschätzten Prävalenz von ca. 30 % in der Bevölkerung über 70 Jahre (1).

           N
                   eben einer Reihe an ungünsti-                      Die aktuelle Arbeit basiert auf Abrech-                    gebrauch wurden die kumulativen defi-
                   gen Nebenwirkungen (2) wurde                       nungsdaten der österreichischen Sozial-                    nierten Tagesdosen (DDD) aus den Sozi-
                   in zwei Kohortenstudien über                       versicherungsträger. Die Diagnose einer                    alversicherungsdaten ermittelt.
           ein erhöhtes Demenzrisiko berichtet (3,                    Demenz wurde durch die Verschreibung
           4), wobei dies in prospektiven epidemio-                   von Antidementiva im Studienzeitraum                       Die Verschreibung von über 100 DDD im
           logischen Analysen nicht bestätigt wer-                    vom 1.1.2005 bis 30.6.2016 definiert, wo-                  Jahr vor dem Indexdatum war dabei so-
           den konnte (5, 6). In zwei Beobachtungs-                   bei insgesamt 28.428 Demenz-Patienten                      wohl bei den Patienten mit einer Demen-
           studien konnte gezeigt werden, dass der                    und 56.856 nach Geschlecht, Alter und                      zerkrankung als auch bei den Kontrollen
           Gebrauch von PPI mit einer erhöhten                        Wohnbezirk gematchte Kontrollen ein-                       mit einer erhöhten Mortalität assoziiert.
           Mortalität assoziiert ist (7, 8).                          geschlossen wurden. Mittels multivariater                  Dabei war die Mortalitätssteigerung
                                                                      Cox-Regressionsanalyse wurde dann be-                      durch PPI bei den Patienten mit einer
           Das Ziel der hier vorgestellten Kohorten-                  rechnet, ob der Gebrauch von PPI 1 Jahr                    Demenzerkrankung signifikant niedriger
           analyse (9) war es, den Einfluss der PPI                   vor Therapiebeginn mit Antidementiva                       als bei den Kontrollen (p < 0,0001). Die
           auf das Überleben von Patienten mit De-                    (bzw. bei den Kontrollen 1 Jahr vor dem                    Mortalitätssteigerung bestand in beiden
           menzerkrankungen zu untersuchen und                        Einschluss in die Studie, d.h. 1 Jahr vor                  Gruppen v.a. im initialen Beobachtungs-
           den Effekt mit dem einer Kontrollgruppe                    dem Indexdatum) einen Einfluss auf die                     zeitraum, um sich nach ca. 2 Jahren auf
           ohne Demenz zu vergleichen.                                Mortalität hatte. Für den Medikamenten-                    ein konstantes Niveau einzupendeln.

             Patienten mit Demenz                                                                  Kontrollgruppe

             Gesamt        Verstorbene          adjustierte HR (95% CI) pro 100 DDDs                   Gesamt         Verstorbene adjustierte HR (95% CI) pro 100 DDDs
              10.591          5.634                          1,07 (1,03–1,12)                          18.892            6.436                 1,47 (1,31–1,64)

           Da in der Literatur von einem medikamentösen Übergebrauch von PPI ausgegangen wird (10, 11), könnten die Verbesserung
           von standardisierten Richtlinien bzw. strengere Maßnahmen der Pharmakovigilanz zu einer Mortalitätssenkung beitragen.

           Referenzen:
           1 Halfdanarson OO, Pottegard A, Bjornsson ES, Lund SH, Ogmundsdottir MH, Steingrimsson E, et al. Proton-pump inhibitors among adults: a nationwide drug-utilization
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           logical Claims Data Analysis. JAMA Neurol. 2016;73(4):410-6; 4 Haenisch B, von Holt K, Wiese B, Prokein J, Lange C, Ernst A, et al. Risk of dementia in elderly patients
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           al. Proton Pump Inhibitor Use and Dementia Risk: Prospective Population-Based Study. J Am Geriatr Soc. 2018;66(2):247-53; 6 Taipale H, Tolppanen AM, Tiihonen M,
           Tanskanen A, Tiihonen J, Hartikainen S. No Association Between Proton Pump Inhibitor Use and Risk of Alzheimer‘s Disease. Am J Gastroenterol. 2017;112(12):1802-8; 7
           Xie Y, Bowe B, Li T, Xian H, Yan Y, Al-Aly Z. Risk of death among users of Proton Pump Inhibitors: a longitudinal observational cohort study of United States veterans. BMJ
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           among US veterans: cohort study. BMJ. 2019;365:l1580; 9 Cetin H, Wurm R, Reichardt B, Tomschik M, Silvaieh S, Parvizi T, König T, Erber A, Schernhammer E, Stamm T,
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           analysis. Eur J Neurol. 2020 Apr 13; 10 Forgacs I, Loganayagam A. Overprescribing proton pump inhibitors. BMJ. 2008;336(7634):2-3; 11 Heidelbaugh JJ, Kim AH, Chang
           R, Walker PC. Overutilization of proton-pump inhibitors: what the clinician needs to know. Therap Adv Gastroenterol. 2012;5(4):219-32.

med info      10
FÜR SIE GELESEN:
  Die Rolle von verschreibungspflichtigen Medikamenten
       bei Frauen mit überaktivem Blasen-Syndrom
   Umek W, Gleiss A, Bodner-Adler B, Reichardt B, Rinner C, Heinze G: The role of prescription drugs in female overactive bladder syndrome -
A population-wide cohort study. Pharmacoepidemiol Drug Saf. 2020 Feb;29(2):189-198 https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/pds.4920

T
      hema dieser Versorgungsana-                 ven Blase gelten, in der Realversor-                te), führen. Untersucht wurden dabei
      lyse mit Abrechnungsdaten                   gung bei Frauen zu einer häufigeren                 die Medikamentenverordnungen von
      der österreichischen Kran-                  Folgeverordnung von anticholinerg                   4.185.098 Frauen von Jänner 2009
kenversicherungsträger war, ob be-                wirkenden Medikamenten, die beim                    bis Dezember 2012, die vor diesem
stimmte Triggermedikamente, die                   hyperaktiven Blasen-Syndrom ein-                    Zeitraum keine Markermedikamente
als vermutete Auslöser der überakti-              gesetzt werden (Markermedikamen-                    erhalten hatten.

DIE ERGEBNISSE DER STUDIE SIND:
l die Anzahl an Patientinnen, die ein Medikament für Pollakisurie            l bestimmte verschreibungspflichtige Medikamente sind ein be-
    und Harninkontinenz erhielten, hat sich im Analysenzeitraum von                      deutender Risikofaktor in weiterer Folge ein Anticholinergikum
    27.377 auf 33.499 erhöht – mehr Frauen erhielten Solifenacin oder                    einzunehmen
    Trospium, die Zahl der Patienten mit Tolterodin blieb konstant und       l folgende therapeutische Untergruppen der ATC-Ebene 2 erhöhen
    Oxybutynin wurde seltener rezeptiert                                                 das Risiko einer anticholinergen Folgemedikation am stärksten:
l nahezu alle ATC-Klassen, die als mögliche Trigger der überaktiven
                                                                                        • Antipruriginosa, inkl. Antihistaminika, Anästhetika usw. (D04)
    Blase untersucht wurden, erhöhen die Inzidenz für die Verord-            		         • Sexualhormone und Modulatoren des Genitalsystems (G03)
    nung eines Anticholinergikums, das höchste Risiko besteht für            		         • Antimykotica zur systemischen Anwendung (J02)
    Präparate aus                                                            		         • Immunstimulatien (L03)

   • der Substanzklasse G (Urogenitalsystem und Sexualhormone)              		         • Anästhetika (N01)
		 • der Substanzklasse J (Antiinfektiva zur systemischen Anwendung)        		         • Andere Mittel für das Nervensystem (N07)

                     Schenkelhalsfrakturen und Sterblichkeit
                        bei M. Crohn und Colitis ulcerosa
               Bartko J, Reichardt B, Kocijan R, Klaushofer K, Zwerina J, Behanova M: Inflammatory Bowel Disease: A Nationwide
       Study of Hip Fracture and Mortality Risk after Hip Fracture. J Crohns Colitis. 2020 Mar 14. pii: jjaa052. doi: 10.1093/ecco-jcc/jjaa052

D
        ie Fragestellung dieser Ver-              bensjahr mit einer chronisch entzündli-             In einem Datensatz der Jahre 2012 bis
        sorgungsanalyse mit Abrech-               chen Darmerkrankung (CED) ein höhe-                 2016 mit inkludierten 56.821 Patienten
        nungsdaten der österreichi-               res Risiko für eine Schenkelhalsfraktur             mit Schenkelhalsfraktur hatten 531 Pati-
schen Krankenversicherungsträger war,             haben und ob die Gesamtsterblichkeit                enten auch die Diagnose Morbus Crohn
ob Patienten ab dem fünfzigsten Le-               in dieser Patientengruppe erhöht ist.               oder Colitis ulcerosa (25% Männer).

DIE ERGEBNISSE DER STUDIE SIND:
l Im Vergleich zu einer nach Alter, Geschlecht sowie Osteoporose-            l Die Gesamtsterblichkeit nach Schenkelhalsfraktur ist bei Patien-
  und Glukokortikoid-Therapie standardisierten Vergleichsgruppe,               tinnen mit Morbus Crohn erhöht.
  haben Patienten mit einer CED ein erhöhtes Risiko für eine Schen-
  kelhalsfraktur, wobei Patienten mit M. Crohn ein höheres Risiko als        Auf Grund des erhöhten Risikos für Schenkelhalsfrakturen sollte dieser
  Patienten mit einer Colitis ulcerosa aufweisen.                            Problematik eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

                                                                                                                                                  11        med info
•        ••

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                                                                                                   www.gesundheitskasse.at

                                                                                  Österreichische Post AG
                                                                                  Info.Mail Entgelt bezahlt
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         E-mail: isabella.bauer-rupp@oegk.at
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         E-Mail: wilma.zinke-cerwenka@oegk.at
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         E-Mail: anita.horn-gumse@oegk.at

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