Mehrere Jobs im Wechsel, eine sinnvolle Lösung?

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Quelle: PANORAMA 3/2020

Fokus: Slashing

Mehrere Jobs im Wechsel, eine sinnvolle Lösung?
Der Begriff «Slashing» ist relativ neu, das Phänomen der Mehrfacherwerbstä-
tigkeit gibt es aber schon länger. Ist der aktuelle Trend Ausdruck wirtschaftli-
cher Notwendigkeit oder eines neuen Lebensstils? Ein Blick auf die Situation in
Frankreich.

Text: Amélie Bohas, Dozentin an der IAE Lyon School of Management der Universität
Lyon 3

Die Zahl der Personen mit mehreren Berufen, auch Slasher, Mehrfach- oder Multijobber
genannt, hat in den letzten Jahren zugenommen. Auch die Einstellung gegenüber der
Mehrfachbeschäftigung verändert sich. In Frankreich wären heute 29 Prozent der Bevöl-
kerung bereit, mehrere Stellen gleichzeitig anzunehmen. Gemäss den bisher noch spärli-
chen statistischen Daten zu diesem Phänomen sind 1,2 bis 4,5 Millionen oder rund 16
Prozent der Erwerbstätigen in Frankreich Slasher.
Slasher üben alternierend mehrere Erwerbstätigkeiten aus, arbeiten zum Beispiel als An-
gestellte eines Unternehmens und sind daneben selbstständig erwerbstätig oder für einen
Verein tätig. Der Wechsel zwischen den verschiedenen Tätigkeiten findet zeitlich (inner-
halb eines Tages, einer Woche, eines Monats oder Jahres), aber auch räumlich statt,
denn meist werden die einzelnen Jobs auch an unterschiedlichen realen oder (im Fall von
Telearbeit) virtuellen Orten ausgeführt. Häufig bilden sich dabei eine Haupt- und eine o-
der mehrere Nebentätigkeiten heraus. In mehr als 80 Prozent der Fälle bewegt sich der
Zweitjob in einem völlig anderen Tätigkeitsfeld als der Hauptberuf.

In Frankreich slashen die Männer häufiger als die Frauen
Slashing hat viele Gesichter, kommt in allen sozioprofessionellen Kategorien, allen Alters-
gruppen und verschiedensten Branchen vor. In Frankreich ist die Mehrfachbeschäftigung
in einigen Branchen wie dem Bausektor, den personenbezogenen Dienstleistungen oder
dem Gastgewerbe häufiger als in anderen, und die Slasher sind häufiger männlich und
gering qualifiziert. Zudem nimmt die Zahl der Mehrfachjobber unter 30 Jahren zu.
Slasher sind meist Angestellte oder Freelancer, einige sind auch Unternehmer. Die Ne-
bentätigkeiten sind oft befristet oder temporär und beruhen nur selten auf unbefristeten
Arbeitsverträgen.
Mehrfacherwerbstätigkeit ist kein neues Phänomen. Neu ist aber, dass sie seit einigen
Jahren sehr viel häufiger auftritt, auch wenn verschiedene Studien die Zahl der Slasher
unterschiedlich hoch einschätzen. Für diese Entwicklung gibt es verschiedene Ursachen.
Zum einen erleben wir zurzeit einen tief greifenden Wandel der Arbeitswelt. Die Verände-
rungen betreffen in erster Linie das Arbeitsumfeld, denn durch den Einsatz von digitalen
Technologien verschwimmen die räumlichen und zeitlichen Grenzen der Arbeit zuneh-
mend. Die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien und der Mo-
bilität haben dazu geführt, dass heute immer mehr Erwerbstätige ausserhalb der Mauern
des Unternehmens arbeiten und so mehr Möglichkeiten haben, einem Nebenerwerb nach-
zugehen. Zum andern hat die Digitalisierung der Wirtschaft neue Organisationsformen
der Arbeit hervorgebracht. So können beispielsweise selbstständige Tätigkeiten über In-
ternetplattformen ausgeübt werden. Die im Zuge der Tertiärisierung aufkommende Sha-
ring Economy mit zahlreichen Dienstleistungsplattformen (Uber, BlaBlaCar, Airbnb usw.)
begünstigt die Mehrfachbeschäftigung zusätzlich. Doch die Erwerbstätigen werden aus
unterschiedlichen Gründen zu Slashern.

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                                    Redaktion: Gabrielle Leisi, dipl. Laufbahnberaterin, leisi.com
Slashing – freie Wahl oder Notwendigkeit?
Ob es sich um Hauswarte, Reinigungs- oder Sicherheitskräfte, Kommunikationsverant-
wortliche oder Yoga-Lehrer handelt, das Heer der Slasher teilt sich in zwei Lager: diejeni-
gen, die finanziell auf mehrere Jobs angewiesen sind, und diejenigen, die sich freiwillig
für mehrere Tätigkeiten entscheiden. Die grössere erste Gruppe praktiziert das Slashing
aus wirtschaftlicher Notwendigkeit, meist aufgrund einer prekären Beschäftigungssitua-
tion: befristete Anstellung, geringes oder unregelmässiges Einkommen, Teilzeitarbeit o-
der unregelmässige Arbeitspensen. Die Mehrfacherwerbstätigkeit dient dabei zur Aufsto-
ckung des Einkommens, zur Verbesserung des Lebensstandards oder zur Finanzierung
grösserer Anschaffungen in bestimmten Lebensphasen. Für diese Personen ist das
Slashing ein Weg, um finanziell über die Runden zu kommen. In den USA, wo Multi-job-
bing weit verbreitet ist, kommt dies besonders häufig vor.
Für die zweite Gruppe ist Slashing ein frei gewählter Lebensstil, der gerade bei jungen
Erwerbstätigen immer beliebter wird. Diese Personen sehen darin eine Möglichkeit, das
eigene Berufsleben selbst zu steuern, sich in verschiedenen Berufen auszuprobieren,
statt sich für einen einzigen zu entscheiden, und durch den Wechsel zwischen mehreren
Tätigkeiten viele Dinge gleichzeitig zu erkunden oder zu erleben. Das Slashing entspricht
in diesem Fall einem starken Bedürfnis nach Autonomie und Freiheit, insbesondere bei
der Einteilung der Arbeitszeit. Für jeden vierten Slasher ist die Mehrfachbeschäftigung
auch ein Weg zur beruflichen Neuorientierung. Ihnen ermöglicht das Slashing, parallel
zum bestehenden Beruf eine neue Tätigkeit auszutesten, bevor sie das Risiko eines voll-
ständigen Berufswechsels eingehen. Hier geht es weniger um einen Nebenjob als um die
Verwirklichung einer Passion.
Mit dem Auftreten des Bore-out-Syndroms (Zustand anhaltender Unterforderung und
Langeweile im Arbeitsleben) ist die Bekämpfung der Langeweile am Arbeitsplatz in den
letzten Jahren zu einem wichtigen Thema geworden. Einige betriebswirtschaftliche und
soziologische Forschungsarbeiten weisen darauf hin, dass dieses Syndrom, das zu man-
gelndem Engagement und geringerer Produktivität führt, ein Resultat von hohem (gesell-
schaftlichem, beruflichem usw.) Konformitätsdruck ist, der die persönliche Ausdrucksfrei-
heit und Kreativität massiv einschränkt. Slashing ermöglicht den Erwerbstätigen, zwi-
schen ganz unterschiedlichen beruflichen Umfeldern hin- und herzuwechseln und so aus
der Routine auszubrechen. Dadurch ist es auch ein Instrument, um eine Begabung oder
eine künstlerische Ader auszuleben.
Doch bis diese neuen Arbeitsformen von den Arbeitgebern akzeptiert werden, muss sich
an deren Unternehmenskultur noch einiges ändern. Genau wie Multidisziplinarität wird
auch Multijobbing in unserer traditionellen Gesellschaft, die gerne für alles und jeden
eine Schublade bereithält, nicht besonders geschätzt. Noch immer herrscht der Glaube
vor, dass man nicht gleichzeitig mehrere Tätigkeiten gut ausüben kann. Slasher entzie-
hen sich somit der gesellschaftlichen Norm, die immer noch von einem (meist unbefriste-
ten) Arbeitsvertrag und einem Arbeitgeber ausgeht.

Mehrfacherwerbstätigkeit als Form der Hybridisierung
Das Unternehmertum, aber auch die Anforderungen an das unternehmerische Verhalten
von Angestellten (Intrapreneurship) haben in allen Wirtschaftssektoren zugenommen. In
vielen westlichen Ländern scheint sich das Ende der Arbeitnehmergesellschaft abzuzeich-
nen, gleichzeitig erleben wir heute eine zunehmende Hybridisierung der Erwerbsformen,
die sich häufig im Nebeneinander von Selbstständigkeit und Anstellung auswirkt. Eine
solche Hybridisierung ist auch auf Organisationsebene anzutreffen: Viele Unternehmen
entwickeln Open-Innovation-Konzepte, die häufig in der direkten Zusammenarbeit von
angestellten Mitarbeitenden (Intrapreneurs) und externen Selbstständigerwerbenden be-
stehen.
Auch ausserhalb der grossen Organisationen wird das Wirtschaftssystem wieder aktiver
von Einzelpersonen mitgestaltet, sei es durch die Gründung eines Start-ups oder Kleinun-
ternehmens oder durch die Aufnahme einer freiberuflichen Tätigkeit. Das Individuum
steht dabei zunehmend im Zentrum (Intrapreneur, Unternehmer, Freelancer usw.) und

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ist stärker denn je gefordert, sich in eine nicht mehr klar definierte Gemeinschaft einzu-
bringen.
In Frankreich wird der Aufschwung dieser neuen Erwerbsformen stark durchdie staatliche
Regulierung beeinflusst, insbesondere durch die Anpassung des Rechtsrahmens (z.B.
spezifische Rechtsformen für Kleinst- oder studentische Unternehmer) und die Anerken-
nung neuer Organisationsformen (Arbeits- und Beschäftigungsgenossenschaften, Lohn-
trägerschaften für Selbstständige, Arbeitgeberzusammenschlüsse usw.). Nebenerwerbs-
tätigkeiten sind vom Gesetz detailliert geregelt, so etwa die zulässige Höchstarbeitszeit,
die Anwendung von Konkurrenz- und Ausschliesslichkeitsklauseln, die Sozialabgaben-
pflicht für alle Tätigkeiten, die Bestimmung des Beschäftigungsstatus aufgrund der
Haupttätigkeit oder Einschränkungen für gewisse Berufe (z.B. sind Nebenjobs für Beamte
oft verboten).
Diese Entwicklung der Organisations- und Arbeitsformen wirft mit Blick auf das traditio-
nelle Modell eine Reihe von Fragen zu verschiedenen Themen auf: Arbeitssicherheit und
Gesundheitsschutz (nicht zuletzt auch eine Herausforderung für das Versicherungssys-
tem); das Engagement am Arbeitsplatz, die Organisation der Arbeitszeit und der Lauf-
bahn von Mehrfacherwerbstätigen (bereitet den Personalabteilungen Sorge); die Rolle
des Managements (entscheidend für die Einbindung der Slasher und die Anerkennung ih-
rer beruflichen Identität) sowie die Entwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen für
die Arbeitsverhältnisse, den Schutz des geistigen Eigentums und der Privatsphäre. Letzt-
lich geht es dabei um die Definition der Grenzen von Arbeit im Allgemeinen.

Links und Literaturhinweise

Bohas A., Fabbri, J., Laniray, P., De Vaujany, F.-X. (2018): Hybridations salariat-entre-
preneuriat et nouvelles pratiques de travail: des slashers à l’entrepreneuriat-alterné. In:
ISTE OpenScience.
www.rgcs-owee.org

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Die zwei Gesichter der Mehrfachbeschäftigung
Text: Daniel Fleischmann, PANORAMA-Redaktor

Immer mehr Menschen arbeiten in mehreren Jobs zugleich. Frauen tun das eher
als Männer. Oft entspringt Mehrfachbeschäftigung finanzieller Not. Zugleich ist
das Phänomen ein Ausdruck neuer Freiheiten: Manchmal macht es Spass, zu
slashen.

Sandra Moser musste in ihrem Leben immer wieder unten durch. Zehn Jahre lang arbei-
tete die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern in zwei Jobs zugleich, am Morgen ab 7
Uhr im Verkauf und am Nachmittag in ihrem angestammten Beruf als Kauffrau. «Das Mit-
tagessen ass ich im Tram. Aber ich war froh, dass meine Kinder bei einer guten Pflegefa-
milie waren», erinnert sie sich. Mit 58 wurde sie, nach zwanzig Jahren in der gleichen
Firma, entlassen. Weil sie keinen Job mehr fand, absolvierte sie eine Zusatzausbildung in
der Pflege, wo sie für die letzten drei Arbeitsjahre eine Anstellung fand. Heute ist Sandra
Moser 67.
Wenn sie ihre Geschichte erzählt, dann sind die Emotionen wieder da. «Obwohl ich so
viel gearbeitet habe, bekomme ich heute nicht einmal die volle AHV», sagt sie. Ihre Wut
machte sie vor einigen Monaten in der Kommentarspalte zu einem Artikel des «Sonn-
tagsblicks» publik, der den Titel trug: «393'000 Menschen in der Schweiz haben mehr als
einen Job». Der Beitrag bilanzierte: «Die Zahl der Menschen mit zwei oder mehr Stellen
steigt. Betroffen sind vor allem Frauen.» Sandra Moser ist eine von ihnen.

Prekäre Arbeitsverhältnisse
Ein Blick in die Statistik bestätigt die Beobachtung. Vor zehn Jahren gaben im Rahmen
der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung noch 273'700 Personen an, mehrere Arbeits-
stellen zu haben, 2019 waren es schon 378'500 – ein Zuwachs von über 100'000 Perso-
nen (136%). Der Anstieg relativiert sich zwar, wenn man ihn ins Verhältnis zum Total der
Arbeitsstellen setzt; so zählte man im vierten Quartal 2010 4,021 Millionen Arbeitsstel-
len, neun Jahre später über eine halbe Million mehr. Trotzdem stimmt der Befund: Mehr-
fachbeschäftigung nimmt zu. Ende 2010 hatten 6,7 Prozent der Erwerbstätigen im Alter
von 15 bis 64 mehrere Jobs gleichzeitig, 2019 waren es 8,4 Prozent.
Die Quote der Multijobber hat ein Gesicht. Es ist erstens weiblich. Mehr als jede zehnte
berufstätige Frau hat zwei oder mehr Jobs, von den Männern ist es nur jeder Zwanzigste.
Zweitens sind Schweizerinnen eher betroffen als Ausländerinnen (12% respektive 8,7%
im 4. Quartal 2019). Das ist überraschend. Die Gründe dafür sind unklar. Vielleicht sind
Schweizerinnen eher bereit, gescheiterte Ehen zu beenden und finanzielle Belastungen in
Kauf zu nehmen. Eine Überprüfung dieser Hypothese ist allerdings nicht möglich, da die
vom Bundesamt für Statistik (BFS) erhobene Gesamtscheidungsrate die Analyse der
Scheidungen unter dem Staatsangehörigkeitsaspekt kaum zulässt; Scheidungen von im
Ausland geschlossenen Ehen werden statistisch nicht berücksichtigt.
Die Kinder spielen beim Entscheid, zwei Jobs gleichzeitig nachzugehen, eine wichtige
Rolle. Von den weiblichen Erwerbstätigen mit Kindern zwischen 0 und 6 Jahren haben nur
knapp 9 Prozent mehrere Arbeitsplätze. Aber wenn der Nachwuchs eigenständiger ist,
sind es 14,3 Prozent (Kinder von 7 bis 14 Jahren). Überhaupt ist die Konzentration auf
die mittleren Altersgruppen (40- bis 54-Jährige) auffällig. Hier haben 5,5% der Männer
zwei und mehr Anstellungen und 12,4% der Frauen (Grafik).
Wie Sandra Moser, so arbeiten viele dieser Menschen nicht freiwillig für zwei Arbeitgeber
zugleich. Dies zeigt die BFS-Publikation «Mehrfacherwerbstätigkeit in der Schweiz,
2017». Ihr zufolge ist Mehrfacharbeit unter Hilfskräften besonders verbreitet (Reini-
gungspersonal in Privathaushalten, Hilfsarbeitende im Bau und bei der Herstellung von
Waren sowie ungelernte Arbeitskräfte). Von ihnen haben 17,5% mehr als eine Anstel-
lung, bei den Frauen sogar 24%. Meist verdienen die Betroffenen mit nur einem Einkom-
men zu wenig zum Leben, sagt Gabriel Fischer von Travail-suisse: «Ein Job alleine reicht

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ihnen nicht.» Wären sie in der Industrie tätig, wäre ihre Situation anders: Hier gehen laut
BFS-Studie nur wenige Erwerbstätige mehreren Berufen nach (Industrie- und Hand-
werksberufe: 4,0%; Anlagen- und Maschinenbedienung: 3,6%).

Die helle Seite der Medaille
Trotzdem wäre es zu einfach, Mehrfachbeschäftigung nur als das Ergebnis einer Prekari-
sierung der Arbeitsverhältnisse zu sehen, wie sie die Gewerkschaften beklagen. Manon
Perfetta ist ein Beispiel dafür. Die 26-jährige Genferin redigiert Beiträge im Internet und
übersetzt für Videospiele Texte aus dem Englischen ins Französische. Sie mag beide Tä-
tigkeiten, sagt sie, und sie mag es, dass sie sie gleichzeitig ausüben kann: «Manchmal
arbeite ich am gleichen Tag an ganz unterschiedlichen Aufgaben. Als Freelancerin kann
ich arbeiten, wann ich will.» Ihre Dienste bietet Manon Perfetta unter anderem auf Sla-
scher an, einem Westschweizer Portal, auf dem sich derzeit rund 3000 Inserate von Leu-
ten für Arbeiten in den unterschiedlichsten Domänen finden – von A wie animaux bis V
wie véhicules. Perfetta ist auch auf anderen Portalen präsent, Fiverr für Übersetzungen,
Textbroker oder 5euros für die Textredaktion: «Es ist schwierig, mit nur einer Plattform
genügend Aufträge zu bekommen», sagt sie.
Manon Perfetta gehört nicht etwa zu einer Minderheit von Glückspilzen, sondern ist Teil
der grössten Gruppe der Mehrfachbeschäftigten, der Gruppe der Erwerbstätigen mit ei-
nem hohen Bildungsstand (Tertiärstufe). Von ihnen hatten 2017 8,4 Prozent mehrere
Jobs; bei den Personen mit Sekundarstufe II waren es 7,2 Prozent, bei jenen mit Sekun-
darstufe I 6,6 Prozent. Neben den Unterprivilegierten, die zur Mehrfachbeschäftigung ge-
zwungen sind, gibt es also auch die anderen, die ihre Situation selbst gewählt haben und
darin neue Freiheiten finden – und nicht mehr von Mehrfachbeschäftigung reden, son-
dern von Slashing. Die Bezeichnung geht auf den Schrägstrich auf der englischen Tasta-
tur (slash) zurück. Sie soll erstmals im Jahr 2007 von der amerikanischen Journalistin
Marci Alboher in ihrem Buch «One Person – Multiple Careers» verwendet worden sein.
Die BFS-Studie stellt fest, dass die verfügbaren Informationen keine Rückschlüsse auf die
Beweggründe erlaubten, weshalb eine Nebenbeschäftigung ausgeübt wird. Immerhin
schienen «die Mehrfacherwerbstätigen mit ihrer Situation insgesamt zufrieden zu sein».
Lediglich eine Minderheit, die im Rahmen ihrer Haupterwerbstätigkeit Teilzeit arbeitet,
wünsche sich einen höheren Beschäftigungsgrad für diese Tätigkeit. Und nur ein Zehntel
der Betroffenen sei mangels einer Vollzeitstelle mehrfacherwerbstätig.

Das Internet machts leicht
Das Phänomen der Mehrfachbeschäftigung wird sich in den nächsten Jahren akzentuie-
ren, denn die Digitalisierung wirkt als Treiber für den Anstieg der Mehrfacharbeit. Jobpor-
tale machen es möglich, kurzfristig und umstandslos Arbeiten auszuschreiben respektive
zu finden. Solche Portale sind in den letzten Jahren förmlich aus dem Boden geschossen
und tragen Namen wie Upwork, 99designs, Fiverr, Malt, freelance, Smartjobr, twago oder
Gulp. In der Schweiz bedeutend sind skillharbour oder Mila. Fiverr charakterisiert ganz
gut die Mentalität der Generation von Slashern, die mit dem Internet gross geworden ist.
Sie führen – wenigstens für eine gewisse Dauer ihrer Karriere – ein Berufsleben ohne
Routine, das aus einem Laptop und einer Anreihung von Aufträgen besteht. Bei Fiverr
finden sie vor allem Microjobs – kleine Aufgaben, die online erledigt werden können. Auf
der in Israel domizilierten Plattform sind immer mehrere Millionen Angebote gelistet, de-
ren Preise bei fünf US-Dollar beginnen (darum Fiverr).

«Auto-Entrepreneuriat»
Der Trend hat auch mit neuen Modellen der Arbeit zu tun. In Frankreich gibt es seit 2009
das «Auto-Entrepreneuriat», das besonders auf junge Leute eine hohe Anziehungskraft
ausübt. Die Unternehmensform ähnelt dem ehemaligen Konzept der Ich-AG in Deutsch-
land und erlaubt dem Arbeitnehmer, frei zu arbeiten oder im Rahmen eines gewissen Be-
trags Nebeneinkünfte abzurechnen. Eine ihrer Epigonen ist Marielle Barbe, Verfasserin
des Buches «Profession Slasheur». Darin erzählt sie, wie sie Slasherin geworden ist, eine

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«Chamäleon-Arbeiterin», wie sie sagt. Barbe argumentiert, dass laut OECD junge Leute
unter 30 Jahren im Laufe ihres Lebens in mehr als 14 Berufen arbeiteten. Das sei eine
grossartige Chance: «Junge Leute werden sich endlich auf die Suche nach etwas Sinnstif-
tendem machen können. Schluss mit den stereotypen Lebensläufen, dem Königsweg o-
der dem Abstellgleis.»
Andere Stimmen sind skeptischer und sprechen von einer zunehmenden Uberisierung der
Arbeitswelt. Ihre Attribute sind unsicher werdende Arbeitsverhältnisse und eine schlechte
Bezahlung. Mehrere Jobs zu haben, sei kein Ziel, sondern Schicksal: Heutzutage brauche
man eben drei Jobs, um über die Runden zu kommen.

Quelle: https://www.panorama.ch/dyn/3771.aspx?id=63

Oktober 2020

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