Migrationsprofiteure? - SWP-Studie
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SWP-Studie Anne Koch / Annette Weber / Isabelle Werenfels (Hg.) Migrationsprofiteure? Autoritäre Staaten in Afrika und das europäische Migrationsmanagement Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit SWP-Studie 3 April 2018
Seit 2015 steht der Umgang mit Flucht- und Migrationsbewegungen ganz oben auf der Agenda der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Große Hoffnungen sind an entwick- lungspolitische Interventionen geknüpft, die migrationswilligen Menschen Perspek- tiven in ihren Heimatländern bieten. Diese Politik geht mit einer Fixierung auf Wanderungsstatistiken einher; die lokalen Kontexte und die regionalen Dynamiken der Partnerländer werden dabei häufig vernachlässigt. Hier setzt die Studie an: Auf welche gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Prozesse trifft die externe Migrationspolitik der EU in afrikanischen Staaten. Welche Möglichkeiten der Ko- operation sind realistisch? Die Untersuchung konzentriert sich auf mehrere Länder, die in unterschiedlichem Grade autoritär regiert werden: Ägypten, die Maghrebstaaten Algerien und Marokko, den Sahelstaat Niger sowie die am Horn von Afrika in einem »Migrationskomplex« miteinander verbundenen Länder Sudan und Eritrea. Sie analysiert die Resonanz der migrationspolitischen Zusammenarbeit in Ländern mit unterschiedlich enger Anbin- dung an Europa und setzt sich mit der Frage auseinander, ob und inwiefern gerade autoritäre Herrscher von dieser Zusammenarbeit profitieren. Dabei wird deutlich, dass die externe EU-Migrationspolitik je nach Verfasstheit der Partnerländer unterschiedliche Auswirkungen hat. Das jeweilige Maß an Zen- tralisierung, die Durchsetzungskraft und der Gestaltungswille bzw. die regionalen Ambitionen der Regime sind entscheidend dafür, ob europäische Angebote eher als willkommener Zufluss von Projektgeldern oder als Gelegenheit wahrgenommen werden, übergreifende politische Ziele zu verfolgen. Machterhaltungsinteressen und Legitimationsstrategien der Eliten spielen in allen untersuchten Ländern für die Reaktion auf Kooperationsangebote eine prägende Rolle.
SWP-Studie Anne Koch / Annette Weber / Isabelle Werenfels (Hg.) Migrationsprofiteure? Autoritäre Staaten in Afrika und das europäische Migrationsmanagement Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit SWP-Studie 3 April 2018
Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Begutachtungsverfah- ren durch Fachkolleginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review). Sie geben die Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2018 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 3–4 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-200 www.swp-berlin.org swp@swp-berlin.org ISSN 1611-6372
Inhalt 5 Problemstellung und Empfehlungen 9 Auf der Suche nach externen Lösungen Instrumente, Akteure und Strategien der migrationspolitischen Kooperation Europas mit afrikanischen Staaten David Kipp / Anne Koch 23 Migrationsstratege Marokko – Abschotter Algerien Isabelle Werenfels 36 Migrationskonflikt in Niger: Präsident Issoufou wagt, der Norden verliert Melanie Müller 47 Migrationsknotenpunkt Sudan/Eritrea: Enttäuschte Erwartungen – widerstreitende Interessen Annette Weber 60 Ägypten: Migrationspolitik und Herrschaftskonsolidierung Stephan Roll 71 Vielfalt der Kooperationskontexte als Herausforderung für die EU Anne Koch / Annette Weber / Isabelle Werenfels 80 Anhang 80 Abkürzungen 81 Die Autorinnen und Autoren
Problemstellung und Empfehlungen Migrationsprofiteure? Autoritäre Staaten in Afrika und das Europäische Migrationsmanagement Seit der sogenannten Flüchtlingskrise des Jahres 2015 steht der Umgang mit Flucht- und Migrationsbewe- gungen ganz oben auf der Agenda der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Dringend erforderliche Reformen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und der europäischen Migrationspolitik gestalten sich schwie- rig, weil viele EU-Mitgliedstaaten aus innenpolitischen Gründen ausschließlich auf Restriktion setzen. An- gesichts der Schwierigkeiten, intern Veränderungen zu erreichen, gewinnt die externe Dimension der EU- Migrationspolitik an Bedeutung. Denn diese gilt neben der Verstärkung der EU-Außengrenzen als kleinster gemeinsamer Nenner der Mitgliedstaaten: Unter dem Schlagwort »Fluchtursachenbekämpfung« wird die migrationspolitische Kooperation mit Herkunfts- und Transitländern vorangetrieben, um Wanderungs- bewegungen noch vor den EU-Außengrenzen zu stop- pen. Große Hoffnungen setzt man insbesondere auf entwicklungspolitische Interventionen, die migrations- willigen Menschen Perspektiven in ihren Heimat- ländern bieten und sie dadurch von der Aus- oder Weiterreise abhalten sollen. Eine stetig wachsende Zahl migrationspolitischer Kooperationsformate und Projektgelder sowie eine verstärkte Fokussierung auf Afrika sind die Folgen. Eine Reduzierung der irregulären Einreisen in die EU ist das erklärte Ziel dieser Politik, die mit einer Fixierung auf Wanderungsstatistiken einhergeht. Die lokalen Kontexte und die regionalen Dynamiken der Partnerländer werden dabei jedoch vernachlässigt. Hier setzt diese Studie an: Auf welche gesellschaft- lichen, politischen und wirtschaftlichen Prozesse trifft die externe Migrationspolitik der EU in afrika- nischen Staaten, und welche Möglichkeiten der Ko- operation sind realistisch? Nach einem ersten Beitrag, der einen Überblick über die migrationspolitischen Kooperationsinstrumente der EU bietet, geht es um das »Füllhorn« entsprechender europäischer Projekte, das sich über afrikanische Staaten ergießt. Welche Dynamiken werden dadurch in Partnerländern aus- gelöst, verstärkt oder verändert? Dabei konzentriert sich die Analyse auf eine Reihe von Ländern, die dem Spektrum autoritärer Regime zuzuordnen sind: Ägyp- SWP Berlin Migrationsprofiteure? April 2018 5
Problemstellung und Empfehlungen ten, die beiden Maghrebstaaten Algerien und Aus dieser kurzen Gesamtschau wird deutlich, dass Marokko, den Sahelstaat Niger sowie die am Horn die Auswirkungen der externen EU-Migrationspolitik von Afrika in einem »Migrationskomplex« mitein- sich je nach Verfasstheit der Partnerländer unter- ander verbundenen Länder Sudan und Eritrea. Der scheiden. Das jeweilige Maß der Zentralisierung, die Fokus auf die Realitäten der Wanderungsbewegungen Durchsetzungskraft und der Gestaltungswille bzw. und die damit verbundenen Interessenlagen und die regionalen Ambitionen der Regime sind entschei- Strategien wichtiger Partnerstaaten ermöglicht einen dende Faktoren dafür, ob die europäischen Offerten Perspektivwechsel in der bisherigen Debatte. Er er- in erster Linie als willkommene Abfolge von Projekt- laubt eine nuancierte Darstellung der Resonanz, geldern oder als Gelegenheit zur Verfolgung über- welche die migrationspolitische Zusammenarbeit in greifender politischer Ziele wahrgenommen werden. Ländern mit unterschiedlich enger Anbindung an Dabei zeigt sich, dass Staaten wie Marokko und Ägyp- Europa erzeugt. Er verdeutlicht bestehende Koopera- ten, die über langjährige Erfahrungen mit der EU- tionsmuster und ermöglicht eine Auseinandersetzung Zusammenarbeit verfügen, ihre Verhandlungsmacht mit der Frage, ob und inwiefern gerade autoritäre deutlich besser zu nutzen wissen und gegenüber dem Herrscher von dieser Zusammenarbeit profitieren. Staatenbund strategischer handeln als »Kooperations- Wie die Länderfallstudien zeigen, klaffen Intention neulinge« wie Niger. Der Grad an Autoritarismus und und Wirkung häufig auseinander. Während die Aus- dessen Ausprägung – beides differiert in den einzel- wirkungen der externen EU-Migrationspolitik auf nen Staaten – korrelieren hingegen nicht signifikant konkrete Wanderungsdynamiken schwer zu messen mit der jeweiligen Bereitschaft zur Zusammenarbeit sind, zeigt ein Blick in die afrikanischen Partner- mit der EU. länder, dass die dortigen Eliten die europäischen Machterhaltungsinteressen und Legitimations- Angebote häufig zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen strategien spielen indes in allen in dieser Studie un- wissen. Doch lassen sie sich damit pauschal als tersuchten Ländern für die Reaktion auf europäische »Migrationsprofiteure« bezeichnen? Der genaue Blick Kooperationsangebote eine prägende Rolle. Da gene- zeigt, dass Differenzierung nottut: Ägyptens Präsident rell gilt, dass deutsche und europäische Entschei- al-Sisi nutzt den hohen Stellenwert, den die EU der dungsträger Widersprüche zwischen der migrations- migrationspolitischen Zusammenarbeit mit Drittstaa- politischen Agenda und längerfristigen entwicklungs- ten beimisst, zur Herrschaftskonsolidierung. Das politischen Zielsetzungen vermeiden sollten, um sudanesische Regime dagegen sieht sich mit einer innenpolitisches Konfliktpotential in Partnerstaaten Vielzahl an Kooperationsoptionen konfrontiert, deren nicht zu verstärken (»Do-No-Harm«-Prinzip), bedarf Bedeutung und Prioritätensetzung von der EU nicht es eines genaueren Verständnisses der spezifischen klar benannt werden und überdies nicht den Erwar- Interessenlagen, die in den einzelnen Staaten mit tungen Khartums entsprechen. Die nigrische Regie- Migration und Flucht verknüpft werden. Oftmals geht rung erhofft sich von der Zusammenarbeit eine Ver- es eben nicht in erster Linie um den Wunsch nach besserung der Beziehungen zur EU und zu einzelnen finanziellen Zuwendungen, sondern um strategische Mitgliedstaaten, muss aber zugleich mit problema- Interessen, etwa um die Aufhebung von Sanktionen tischen Konsequenzen im eigenen Land umgehen, oder um die Normalisierung von Beziehungen und wenn etwa der Transport irregulärer MigrantInnen internationale Anerkennung. als Einkommensquelle wegbricht und lokale Konflikte Ebenso zentral für ein erfolgreiches »Migrations- drohen. Die marokkanische Regierung hat in der management« ist die Kenntnis der jeweiligen Wande- Migrationspolitik eigene gestalterische Ambitionen rungsbewegungen in staatenübergreifenden Migra- und agiert strategisch. Sie stellt daher die migrations- tionskomplexen, seien sie zirkulär, regional oder politischen Angebote der EU gezielt in den Dienst der nach Europa führend. Auf diesen gewachsenen regio- eigenen Modernisierungsagenda. Das Nachbarland nalen Dynamiken sollten die europäischen Ansätze Algerien wiederum entzieht sich einer Kooperation aufbauen. Denn gerade regionale Freizügigkeit för- bisher weitgehend, mögliche »Migrationsprofite« dert die wirtschaftliche Entwicklung afrikanischer ergeben sich mithin nicht. Allerdings zeichnet sich Staaten. Die bisherigen Fortschritte in diesem Bereich hier eine vorsichtige Öffnung ab. Das Regime in Eri- zu gefährden, indem man den Fokus auf restriktives trea verschließt sich hingegen der partnerschaftlichen Grenzmanagement legt, ist mithin kontraproduktiv. Zusammenarbeit nach wie vor kategorisch. Vielmehr gilt es auszuloten, wie innerafrikanische SWP Berlin Migrationsprofiteure? April 2018 6
Problemstellung und Empfehlungen zirkuläre Migration trotz verstärkten Grenzmanage- ments bewahrt werden kann. Von großer Bedeutung sind überdies neben den lokalen Ökonomien, die sich im Zusammenhang mit Migration entwickeln, die Rücküberweisungen von MigrantInnen. Für die im Heimatland verbliebenen Familien stellt dieses Geld häufig eine wichtige soziale Absicherung dar. Das Volumen jener Finanz- ströme hat Auswirkungen auf die Verhandlungs- spielräume in der migrationspolitischen Kooperation: Staaten, für die Rücküberweisungen aus Europa ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sind, haben ein größeres Interesse an legalen Zuwanderungswegen dorthin als Staaten, deren Bürger beispielsweise vorrangig aus den Golfstaaten Geld nach Hause schicken. Mittel oder Überwachungstechnologien, die eigent- lich zum Aufbau migrationspolitischer Kapazitäten gedacht sind, lassen sich zu repressiven Zwecken missbrauchen. Diesen Umstand gilt es ebenfalls be- achten – und zu vermeiden. Hier ist deshalb beson- deres Augenmerk gefordert, weil die in dieser Studie untersuchten autoritären Eliten längst verstanden haben, dass die Bereitschaft zur migrationspolitischen Kooperation den von der EU ausgeübten Druck in der Frage der politischen Transformation lindert. Es er- scheint daher sinnvoll, die ambitionierte, aber fak- tisch ineffektive Transformationsagenda durch klare rote Linien mit Menschenrechtsbezug zu ersetzen und an diesen dann auch konsequent festzuhalten. Dazu gehört, dass europäische Akteure eindeutige Akzente setzen, keine Missverständnisse in Bezug auf ihre Prioritäten (Entwicklung, Sicherheit oder beides?) aufkommen lassen und realistische Zeithorizonte generieren. Um keine falschen Erwartungen zu schüren – etwa im Kontext des EU-Türkei-Abkom- mens, das Begehrlichkeiten auch in mehreren der Länder geweckt hat, die in dieser Studie untersucht werden –, muss von europäischer Seite auf jeden Fall klarer als bisher vermittelt werden, welche Formen der migrationspolitischen Kooperation möglich sind und welche nicht. SWP Berlin Migrationsprofiteure? April 2018 7
Karte 1 Migrationsrouten in Afrika
Migrationspolitische Kooperation Europas mit afrikanischen Staaten David Kipp / Anne Koch Auf der Suche nach externen Lösungen Instrumente, Akteure und Strategien der migrationspolitischen Kooperation Europas mit afrikanischen Staaten Die externe Migrationspolitik der EU hat seit Anfang menarbeit aus dem direkten EU-Nachbarschaftsraum der 2000er Jahre an Vielschichtigkeit gewonnen: Es hin zu weiter entfernten Herkunfts- und Transitstaa- gibt inzwischen eine große Anzahl unterschiedlicher ten, mit dem Fokus auf Nachbarländern Syriens und Instrumente und Abkommen, außerdem sind die insbesondere dem afrikanischen Kontinent; (2) eine Zuständigkeitsbereiche und Kompetenzen außen-, zunehmende Indienstnahme der EU- sicherheits-, entwicklungs- und wirtschaftspolitischer Entwicklungspolitik für migrationspolitische Akteure häufig nicht klar voneinander abgegrenzt. Interessen; (3) eine schleichende Renationalisierung Das Politikfeld ist also außerordentlich komplex. der europäischen Entwicklungspolitik. So umgehen Überdies ist es erklärtes Ziel der EU-Kommission, die EU-Mitgliedstaaten im Rahmen neuer migrations- einen möglichst umfassenden Ansatz zu verwirk- politischer Finanzierungsinstrumente immer öfter die lichen – gerade im Hinblick auf die Kooperation mit Gemeinschaftsmethode, was dazu führt, dass Mittel migrationspolitisch bedeutenden afrikanischen Part- häufiger als zuvor an nationale Durchführungsorga- nerstaaten. Dies birgt jedoch das Risiko EU-interner nisationen vergeben werden. Interessenkonflikte und hat in der Vergangenheit zu widersprüchlichen Schwerpunktsetzungen geführt. Im Zuge der seit Jahren bestehenden, im Jahr 2015 Die migrationspolitischen Instrumente aber massiv angestiegenen irregulären Zuwanderung der EU 2 von MigrantInnen und Flüchtlingen über das Mittel- meer ist das Thema Migrationssteuerung auf der euro- Die migrationspolitische Kooperation von EU-Mit- päischen Agenda ganz nach oben gerückt. Dabei hat gliedstaaten mit Drittstaaten war lange Zeit überwie- sich zum einen die bereits bestehende Tendenz zur gend bilateral ausgerichtet. Seit dem Jahr 2005 hat Externalisierung verstärkt – zur Verlagerung migra- die EU schrittweise einen politischen Rahmen ent- tionspolitischer Kontrollen und Restriktionen in Dritt- wickelt, der als Grundlage für eine ausgewogene staaten. 1 Zum anderen lassen sich seit 2015 drei und partnerschaftliche externe Asyl- und Migrations- neuere Trends ausmachen: (1) eine regionale politik dienen soll. Dieser Gesamtansatz Migration Verschiebung in der migrationspolitischen Zusam- (GAM), der seit 2012 in überarbeiteter Form unter dem Namen Gesamtansatz Migration und Mobilität 1 Luiza Bialasiewicz, »Off-shoring and Out-sourcing the (GAMM) fortbesteht, setzt sich aus vier offiziell gleich- Borders of Europe: Libya and EU Border Work in the Medi- wertigen Zielen zusammen: (1) der Förderung und terranean«, in: Geopolitics, 17 (2012) 4, S. 843–866; Rens van verbesserten Organisation legaler Migration; (2) der Munster/Steven Sterkx, »Governing Mobility: The Externali- Prävention und Reduzierung irregulärer Migration, zation of European Migration Policy and the Boundaries of auch durch die Bekämpfung des Schlepperwesens; the European Union«, in: Ronald Holzhacker/Markus Haver- (3) der Maximierung der positiven Entwicklungs- land (Hg.), European Research Reloaded: Cooperation and Integra- tion among Europeanized States, Dordrecht: Springer, 2006, S. 229–250. 2 Vgl. Übersicht auf S. 10. SWP Berlin Migrationsprofiteure? April 2018 9
10 Übersicht David Kipp / Anne Koch April 2018 Instrumente der externen EU-Migrationspolitik SWP Berlin Übersicht Migrationsprofiteure? Politische Gesamt- Gesamtansatz Europäische Rahmenwerke ansatz Migration und Migrationsagenda Migration Mobilität (GAM) (GAMM) Regionale Rabat- Strategische Khartum- Prozesse Prozess EU-Afrika-Part- Prozess nerschaft für Migration, Mobilität und Beschäftigung 2004 2005 2006 2007 2008–2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Abkommen mit EU-Mobilitäts- EU-Mobilitätspartner- Gemeinsame EU-Migrations- afrikanischen partnerschaft schaft mit Tunesien Agenda zu Migra- partnerschaften mit Drittstaaten mit Marokko EU-Rücknahme- tion und Mobili- Äthiopien, Mali, abkommen mit tät (CAMM) mit Niger, Nigeria und Kap Verde Äthiopien und Senegal EU-Visaliberalisie- Nigeria rungsabkommen mit Kap Verde Entwicklungen Gründung der Einrichtung des Start der Frontex-Reform: Unterstützung im Außen- europäischen Frontex-Marine- EUNAVFOR MED- Aufbau zu einer Euro- der Sahel-G5- grenzschutz Grenzschutz- einsatzes Triton Operation Sophia päischen Grenz- und Operation agentur Küstenschutz-Agentur Frontex Ausweitung von EUNAVFOR MED zum Aufbau der libyschen Küstenwache
Migrationspolitische Kooperation Europas mit afrikanischen Staaten wirkungen von Migration und Mobilität sowie (4) der wanderungswege ausgespart ist. Selbst in den Unter- Förderung internationalen Schutzes. Als Reaktion auf zielen werden nur die Aufnahme schutzbedürftiger die steigende Zahl an Todesfällen bei Versuchen, über MigrantInnen im Rahmen von Resettlement-Kontin- das Mittelmeer einzuwandern, veröffentlichte die EU- genten und die Schaffung von Perspektiven in den Kommission im Mai 2015 die Europäische Migrations- Heimatländern erwähnt, nicht aber die Förderung agenda, und dies noch ehe Migrations- und Flucht- legaler Migration. bewegungen in Form gemischter Wanderungen nach Europa in den Folgemonaten stark zunahmen. 1 Zwar Partnerländer werden durch werden darin die langfristigen Zielsetzungen des GAMM finanzielle Anreize zur Kooperation auf dem Papier übernommen. Gleichwohl steht die motiviert, da Perspektiven für legale kurzfristige Reduzierung irregulärer Migration im Zuwanderungswege fehlen. Vordergrund, wie man daran erkennen kann, dass in den politischen und rechtlichen Partnerschafts- Dies markiert einen Richtungswechsel. Der GAMM abkommen Zuwanderung primär als Problem, nicht hatte noch die Idee migrationspolitischer Anreize als Chance definiert wird. Damit gewinnt das Ziel betont. Durch Angebote im Bereich legaler Migration eines verbesserten Grenz- und Migrationsmanage- sollten die Partnerländer im Zuge sogenannter Mobili- ments in wichtigen Transit- und Herkunftsländern tätspartnerschaften – wenn es sich um Staaten in ebenso an Bedeutung wie der Außengrenzschutz des der EU-Nachbarschaft handelte – oder sogenannter EU-Raums. Davon zeugen die Intensivierung regio- Gemeinsamer Agenden zu Migration und Mobilität naler Dialogformate zwecks Diskussion und Harmo- (CAMMs) im Falle weiter entfernt liegender Länder nisierung migrationspolitischer Ansätze sowie der dazu motiviert werden, irreguläre Abwanderung Ausbau der Europäischen Agentur für die Grenz- und aus dem eigenen Staatsgebiet einzuschränken und Küstenwache (Frontex). Menschen zurückzunehmen, die das Land auf diesem Wege verlassen hatten. Mobilitätspartnerschaften Politische und rechtliche wie CAMMs enthalten migrationspolitische Ziele und Partnerschaftsabkommen gegenseitige Verpflichtungen sowie konkrete Unter- stützungsangebote von Seiten der EU und interessier- Auf den Beschluss der Europäischen Migrations- ter EU-Mitgliedstaaten. Rechtliche Verbindlichkeit hat agenda folgte mit den sogenannten Migrations- in Mobilitätspartnerschaften allerdings einen höhe- partnerschaften zügig die Schaffung eines neuen ren Stellenwert, weshalb die Aufnahme von Verhand- Instruments. Im Juni 2016 unterzeichneten fünf lungen über Visaliberalisierungs- und Rückübernah- wichtige afrikanische Herkunfts- und Transitländer – meabkommen dazugehört. Unter den neun Staaten, Äthiopien, Mali, Niger, Nigeria und Senegal – ent- mit denen bisher Mobilitätspartnerschaften eingegan- sprechende Vereinbarungen. Auffällig ist, dass in der gen wurden, sind mit Kap Verde, Marokko und Tune- Auflistung der Ziele (»Leben zu retten und das Wirt- sien drei afrikanische Länder. 3 Doch nur mit Kap schaftsmodell der Schmuggler zu zerstören, illegale Verde (als einzigem afrikanischen Land überhaupt) Migration zu verhindern und die Zusammenarbeit hat die EU auch ein Visaliberalisierungs- und Rück- zur Rückkehr und Rückübernahme irregulärer übernahmeabkommen getroffen. In den Mobilitäts- MigrantInnen auszubauen sowie mehr Investitionen partnerschaften mit Marokko und Tunesien ist dies in Partnerländer anzuregen«) 2 die Öffnung legaler Zu- 1 Zum Phänomen gemischter Wanderungen vgl. Steffen implementation-package/docs/20160607/communication_ Angenendt/David Kipp/Amrei Meier, Gemischte Wanderungen. external_aspects_eam_towards_new_migration_ompact_ Herausforderungen und Optionen einer Dauerbaustelle der deutschen en.pdf> (eingesehen am 10.10.2017). und europäischen Asyl- und Migrationspolitik, Gütersloh: Bertels- 3 Verhandlungen zur Vereinbarung von Mobilitätspartner- mann Stiftung, März 2017. schaften mit drei weiteren Drittstaaten (Senegal, Ghana und 2 Europäische Kommission, Establishing a New Partnership Ägypten) wurden aufgenommen, sind inzwischen aber ab- Framework with Third Countries under the European Agenda on gebrochen worden oder ins Stocken geraten (vgl. Natasja Migration, KOM (2016) 385, Mitteilung, 7.6.2016,
David Kipp / Anne Koch lediglich vorgesehen. CAMMs wurden allein mit mission in ihrer externen Migrationspolitik die früher Indien, Äthiopien und Nigeria vereinbart. versprochene, aber nicht eingelöste Perspektive lega- Die geringen Fortschritte hinsichtlich Visaliberali- ler Zuwanderungswege zunehmend durch finanzielle sierungs- und Rücknahmeabkommen hängen mit Anreize ersetzt. einem zentralen Umsetzungsproblem zusammen. Denn die Möglichkeiten der EU-Kommission, legale Regionale Prozesse Migration zu fördern, sind eng bemessen. Visalibera- lisierung läuft lediglich auf eine Vereinfachung der Neben Abkommen mit einzelnen Partnerländern Verfahren hinaus; für die Partnerländer ist dies kein beteiligt sich die EU außerdem an regionalen Dialog- ausreichender Ansatz dafür, innenpolitisch oft hoch- formaten zur Diskussion und Harmonisierung migra- kontroverse Rückübernahmeabkommen einzugehen tionspolitischer Ansätze. Das älteste, der Budapest- (siehe den Beitrag zu Marokko und Algerien, S. 23ff). Prozess, der 1993 im Rahmen der geplanten EU-Ost- Doch für substantiellere Anreize in Form zusätzlicher erweiterung initiiert wurde, umfasst mittlerweile legaler Zuwanderungswege bedarf es der Initiative 52 Mitglieder im euroasiatischen Raum. Anknüpfend und Bereitschaft einzelner EU-Mitgliedstaaten – und an diese Erfahrungen folgten im Rahmen des GAMM daran mangelt es. weitere regionale Dialogprozesse. Wenngleich Koope- Auch wenn die EU-Kommission Pilotprojekte für rationen mit allen migrationspolitisch relevanten arbeitssuchende MigrantInnen aus Partnerländern Regionen angestrebt werden, 6 lässt sich bislang eine angekündigt hat, 4 geht sie daher zunehmend dazu Schwerpunktsetzung auf den afrikanischen Kontinent über, Partnerländern andere Anreize für migrations- beobachten. Zentral sind hierbei der im Jahr 2006 politische Zusammenarbeit anzubieten. Die im Jahr etablierte Rabat-Prozess, der 57 Herkunfts-, Transit- 2016 neu eingeführten Migrationspartnerschaften und Zielländer entlang der west- und zentralafrika- stellen je nach Bedarf Kooperationen in den Berei- nischen Migrationsrouten zusammenbringt, 7 sowie chen Entwicklungszusammenarbeit, Handel, Mobi- der im Jahr 2014 ins Leben gerufene Khartum-Prozess, lität, Energie, Sicherheit und Digitalisierung in Aus- der die Zusammenarbeit zwischen europäischen Staa- sicht. Zunächst stehen hierfür Mittel aus dem im ten und den Ländern am Horn von Afrika vertiefen November 2015 ins Leben gerufenen EU-Nothilfe- und darüber hinaus der Bekämpfung von Menschen- Treuhandfonds (EUTF) für Afrika zur Verfügung, handel dienen soll. 8 dessen finanzielles Volumen zu diesem Anlass aus Beide Formate versammeln eine Reihe von Ländern dem Europäischen Entwicklungsfonds aufgestockt entlang wichtiger Wanderungsrouten Richtung Euro- wurde und mittlerweile 3,4 Milliarden Euro beträgt. pa. Allerdings bestehen unterschiedliche Vorausset- Ergänzend plant die EU-Kommission, Gelder aus zungen für die Zusammenarbeit. Im Rabat-Prozess dem im Jahr 2017 neu etablierten European External kooperiert die EU mit der Westafrikanischen Wirt- Investment Plan dafür zu verwenden. 5 Bis zum Jahr schaftsgemeinschaft ECOWAS, die den Mitgliedstaaten 2020 sollen 3,35 Milliarden Euro aus dem regulären EU-Budget und dem Europäischen Entwicklungsfonds 6 Europäische Kommission, Global Approach to Migration and als Startkapital zur Einwerbung von bis zu 44 Milliar- Mobility, last update 20.3.2018, (eingesehen am 20.3.2018). noch nicht gesicherten – finanziellen Unterstützung 7 International Organization for Migration (IOM), Euro- für die Partnerländer verdeutlicht, dass die EU-Kom- African Dialogue on Migration and Development (Rabat Process), (eingesehen am 10.10.2017). Europäischen Migrationsagenda, COM (2017) 558, 27.9.2017, 8 Abdirahman Olow, Readmission, Genf: International S. 22, (eingesehen am Paper), (eingesehen 5 Europäische Kommission, EU External Investment Plan. Fact am 9.5.2017); IOM, EU-Horn of Africa Migration Route Initiative Sheet, 7.12.2017, (eingesehen 31.1.2018). am 10.10.2017). SWP Berlin Migrationsprofiteure? April 2018 12
Migrationspolitische Kooperation Europas mit afrikanischen Staaten grenzüberschreitende Mobilität ermöglicht. Konkrete schoben hat. In Reaktion auf die europäische »Flücht- Ergebnisse hat der Dialog bisher kaum erzielt. In den lingskrise« des Jahres 2015 wurde Frontex im Oktober Khartum-Prozess dagegen wird von Geberseite inves- 2016 reformiert und mit zusätzlichen Kompetenzen tiert, vorrangig aus Sicherheitsinteressen, 9 was sich in und Ressourcen ausgestattet, ist aber weiterhin in den EUTF-finanzierten Projekten am Horn von Afrika seiner operativen Arbeit auf die Kooperation der widerspiegelt. Zwar soll das von der Gesellschaft für Mitgliedstaaten angewiesen. Mit Blick auf Partner- Internationale Zusammenarbeit (GIZ) durchgeführte länder sind Frontex-Aktivitäten relevant, sofern Programm »Better Migration Management« (BMM) Mitarbeiter der Agentur in Drittstaaten eingesetzt dezidiert die Stärkung der Rechte von Flüchtlingen bzw. Vertreter der Partnerländer direkt in Frontex- und MigrantInnen sowie den Schutz vor Gewalt, Aus- Operationen eingebunden werden. 10 beutung und Misshandlung bewirken. Zumindest indirekt zielen die Maßnahmen aber auch auf die Die Hemmschwelle für die Reduzierung irregulärer Migration (siehe den Beitrag migrationspolitische Kooperation der zum Sudan, S. 47ff). Direkter zeigt sich dieser Wunsch EU mit autoritären und fragilen beim Aufbau des Regional Operational Centre in Sup- Staaten ist gesunken. port of the Khartoum Process and AU-Horn of Africa Initiative (ROCK), das den Informationsaustausch Daneben sucht die EU ihren Außengrenzschutz zwischen Sicherheitsinstitutionen befördern soll. und die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Transitländern beispielsweise durch operative Akti- Entwicklungen im Außengrenzschutz vitäten im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens so- wie durch die Unterstützung der Sahel-G5-Gruppe Der Schutz der EU-Außengrenzen ist, obschon ein für grenzüberschreitende Anti-Terror-Einsätze in eigenständiger Politikbereich, ebenfalls eng mit der der Sahelzone zu verbessern. Die seit Frühjahr 2015 externen Migrationspolitik der EU verknüpft. Dass ein aktive EUNAVFOR MED Operation Sophia soll im funktionierendes Grenzmanagement für eine Kon- Wesentlichen Schleppernetzwerke auf der zentralen trolle der Zuwanderung unerlässlich ist, liegt auf der Mittelmeerroute bekämpfen und seit September 2016 Hand. Gerade in migrationspolitischen Krisensituatio- auch entsprechende Kapazitäten der libyschen Küs- nen stellen diesbezügliche Investitionen angesichts tenwache und Marine aufbauen. Die Hemmschwelle divergierender Haltungen der EU-Mitgliedstaaten zur der EU und ihrer Mitgliedstaaten, im Zuge der Migra- Zuwanderung daher häufig den kleinsten gemein- tionskontrolle mit autoritären und fragilen Staaten samen Nenner dar, auf den sich alle einigen können. zusammenzuarbeiten, ist, das zeigen diese sicher- Die europäische Grenzschutzagentur Frontex, im heitspolitischen Operationen, in den vergangenen Jahr 2004 gegründet, unterstützt die Mitgliedstaaten Jahren gesunken. bei der operativen Kontrolle der EU-Außengrenzen Seit 2015, als die EU-Migrationsagenda faktisch sowie bei der Rückführung irregulärer MigrantInnen den GAMM abgelöst und zu einer Anpassung der und abgelehnter AsylbewerberInnen. Dazu dienen politischen Schwerpunkte und Instrumente an die unter anderem die Marineoperationen im Mittelmeer, innenpolitischen Bedürfnisse der europäischen Ziel- deren Schwerpunkt sich im Laufe der Jahre vom west- länder – in Richtung Restriktion von Zuwanderung lichen zum östlichen und zentralen Mittelmeer ver- 10 Mit den in dieser Sammelstudie untersuchten Län- 9 Schon vor Gründung des Khartum-Prozesses im Jahr 2014 dern haben sich folgende Kooperationen ergeben oder sind gab es im Rahmen der »Horn of Africa«-Initiative der Afrika- geplant: Im Rahmen eines von 2014 bis 2016 laufenden nischen Union (AU) einen regionalen Dialog zu Migra- Pilotprojekts hat Frontex in Marokko für sein Konzept des tionsfragen, dessen primär rechtebasierte Ausrichtung aber integrierten Grenzmanagements geworben. Darüber hinaus durch die stärker sicherheitspolitisch orientierte Perspektive befindet sich die Agentur mit Niger, Marokko und Ägypten des Khartum-Prozesses überlagert wurde. Vgl. Tuesday in Verhandlungen über formalisierte »working arrange- Reitano, The Khartoum Process. A Sustainable Response to Human ments«. Im Kontext der Africa-Frontex Intelligence Commu- Smuggling and Trafficking?, Pretoria: Institute for Security Stu- nity (AFIC) arbeitet Frontex mit allen sechs hier untersuchten dies (ISS), November 2016 (ISS Policy Brief, Nr. 93), (eingesehen am 10.10.2017). (eingesehen am 15.12.2017). SWP Berlin Migrationsprofiteure? April 2018 13
David Kipp / Anne Koch – geführt hat, ist mithin eine Vielzahl an Instrumen- zu finanziellen Anreizen geht indes gerade in Bezug ten und Kooperationsmöglichkeiten entstanden. Doch auf die nordafrikanischen Staaten eine Abkehr von deren jeweiliger Stellenwert wird den Partnerländern der zuvor prominenten Transformationsagenda und nicht klar vermittelt, was die Zusammenarbeit er- ihrem Fokus auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schwert und einem kohärenten Gesamtansatz im einher. Paradebeispiel ist die (Migrations-)Kooperation Wege steht. mit Ägypten (siehe den Beitrag zu Ägypten, S. 60ff). Innerhalb der EU-Kommission sind die General- direktionen Inneres (DG HOME), Nachbarschaft und Zentrale Akteure und ihre Interessen Erweiterung (DG NEAR) sowie Internationale Zusam- menarbeit und Entwicklung (DG DEVCO) zentral für Das Engagement der EU für die migrationspolitische die Ausgestaltung der gemeinschaftlichen Migrations- Kooperation mit Drittstaaten hat im vergangenen politik. Der DG HOME ist es gelungen, sich über ihr Jahrzehnt stetig zugenommen. Doch die Situation eigentliches Themengebiet Inneres hinausgehend ist gekennzeichnet durch komplexe Aushandlungs- auch die externe Dimension der Migrationspolitik prozesse zwischen EU-Institutionen, Mitgliedstaaten, schrittweise anzueignen und mithilfe der migrations- internationalen Organisationen und Durchführungs- politischen Rahmenwerke GAMM und Europäischer organisationen, die häufig widersprüchliche Ziele Migrationsagenda die strategische Ausrichtung der verfolgen. Versuchen die EU-Institutionen, durch entsprechenden Kooperation mit Drittstaaten maß- Setzung des politischen Rahmens und unterschied- geblich zu prägen. 13 Die in diesem Politikfeld knappe liche Finanzierungsinstrumente Einfluss auszuüben, finanzielle Ausstattung der Generaldirektion stand ist der tatsächliche Dialog mit Drittländern meist dazu allerdings lange Zeit in einem Missverhältnis. durch eine informelle Arbeitsteilung geprägt: Wer Nach wie vor stammt der überwiegende Teil der unter den EU-Mitgliedstaaten historisch enge Ver- Gelder für die migrationspolitische Kooperation bindungen zu bestimmten Partnerländern hat, wird mit Drittstaaten von DG NEAR und DG DEVCO, die dort auch besonders aktiv. In der Umsetzung von dadurch bei der Gestaltung und Umsetzung der poli- Projekten konkurrieren immer häufiger nationale tischen Rahmenwerke nach eigenen Prioritäten vor- Durchführungsorganisationen mit internationalen gehen konnten – allerdings um den Preis inkohären- Organisationen, die traditionell für migrations- ter Zielvorstellungen und daraus resultierender gerin- politische Dienstleitungen beauftragt wurden. ger Wirksamkeit. 14 Erst im aktuellen Mehrjährigen EU-Finanzrahmen (2014–2020) wurden mit dem EU-Institutionen: Ringen um Kohärenz Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) und dem Internen Sicherheitsfonds (ISF) zwei neue Förder- Rechtlich und politisch stehen der EU-Kommission instrumente geschaffen, mit deren Hilfe DG HOME lediglich Instrumente mit beschränkter Reichweite nun nicht nur EU-interne Programme, sondern auch zur Verfügung. Ihren Gestaltungsanspruch sucht sie migrationspolitische Vorhaben außerhalb der EU daher über verschiedene Finanzierungsinstrumente finanzieren kann. 15 geltend zu machen. 11 Allein in den Jahren 2015 bis 2017 wurden die für EU-Institutionen verfügbaren migration/20170927_communication_on_the_delivery_of_ Gelder im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integra- the_eam_en.pdf> (eingesehen am 5.2.2018). tionsfonds sowie der einschlägigen EU-Agenturen 13 Sergio Carrera/Raluca Radescu/Natasja Reslow, EU Exter- um 75 Prozent aufgestockt. 12 Mit dieser Hinwendung nal Migration Policies. A Preliminary Mapping of the Instruments, the Actors and their Priorities. Report Prepared for the FP7 11 Leonhard den Hertog, Money Talks. Mapping the Funding Project »Transnational Migration in Transition: Transforma- for EU External Migration Policy, Brüssel: Centre for Euro- tive Characteristics of Temporary Mobility of People« (EURA- pean Policy Studies (CEPS), 15.11.2016, (eingesehen am 19.3.2018). externe Migration in Ländern des südlichen Mittelmeerraums und 12 Europäische Kommission, Communication on the Delivery der östlichen Nachbarschaft bis 2014, Luxemburg 2016,
Migrationspolitische Kooperation Europas mit afrikanischen Staaten Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) hat in stammen 2,3 Milliarden aus dem von DG DEVCO ver- der externen Migrationspolitik ebenfalls an Bedeu- walteten Europäischen Entwicklungsfonds (EEF), der tung gewonnen. Ihm kommt die Aufgabe zu, die Dia- als Sonderkonstruktion nicht Teil des regulären Haus- loge mit Drittstaaten, etwa im Rahmen der Migra- halts ist. 17 Alle weiteren Mittel sind dem regulären tionspartnerschaften, zu koordinieren und als Bin- Haushalt entnommen: 313 Millionen Euro dem eben- deglied zu den Initiativen der Mitgliedstaaten zu falls von DEVCO verwalteten Finanzierungsinstrument wirken. Dank der Entsendung von Migrationsattachés für Entwicklungszusammenarbeit (DCI), 226 Millionen in die EU-Delegationen soll der EAD zukünftig die Euro steuern DG NEAR, 77 Millionen Euro DG HOME, Umsetzung der jeweiligen Partnerschaften stärker 50 Millionen die Generaldirektion Humanitäre Hilfe überprüfen. Gleichzeitig ist er im Rahmen der Ge- und Katastrophenschutz (DG ECHO) bei. 18 Das Zusam- meinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik menführen der verschiedenen EU-Finanzinstrumente (GSVP) für sicherheitspolitische Aspekte der externen hat den Vorteil, dass die Kohärenz der EU-Politik ins- Migrationsagenda verantwortlich. Das betrifft bei- gesamt gestärkt werden kann. Als nachteilige Folgen spielsweise die Bekämpfung von Schleuserorganisa- benennt das Europaparlament indes die Tatsache, dass tionen im Rahmen der EU-Kapazitätsaufbau-Mission die neuen migrationspolitischen Instrumente und Ab- in Niger (siehe den Beitrag zum Niger, S. 36ff) und der kommen weitgehend seiner Kontrolle entzogen und EUNAVFOR MED Operation Sophia. zu stark von den Wünschen und Bedürfnissen der einzelnen Mitgliedstaaten dominiert würden. 19 Der EUTF für Afrika verschafft der EU mehr Flexibilität, auf die EU-Mitgliedstaaten: dynamischen Entwicklungen der Fokus auf Eigeninteressen Wanderungsrouten zu reagieren. Seit dem Jahr 2015 wird die externe EU-Migrations- Als im Rahmen der »Flüchtlingskrise« die Erwar- politik zunehmend auf höchster politischer Ebene tungen an die EU stiegen, durch Abkommen mit verhandelt. Geprägt wird die Agenda von den (nach wichtigen Herkunfts- und Transitländern irreguläre dem Brexit verbleibenden) vier größten 20 EU-Mitglied- Migration einzuschränken, reagierte die Gemein- staaten Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien. schaft mit dem Ausbau und der Flexibilisierung ihrer Diese vier Staaten haben zudem besondere histori- Fördermittel. Der EUTF für Afrika verschafft den EU- Institutionen einen größeren Spielraum, um auf 17 Der EEF, das Finanzierungsinstrument des Abkommens dynamische Entwicklungen der Wanderungsrouten von Cotonou, fördert Maßnahmen in den Afrika-, Karibik- zu reagieren. 63 Prozent der EUTF-Mittel fließen in und Pazifik-Staaten (AKP-Staaten). Bisher intergouvernemen- Entwicklungsprojekte, 22 Prozent in Projekte mit dem tal verabschiedet, wird der Fonds zum Großteil von der Kom- Schwerpunkt Migrationsmanagement, und 14 Pro- mission verwaltet. Mehrfach wurde in der Vergangenheit zent werden für sicherheitspolitische und friedens- bereits die Integration des EEF in den regulären Haushalt diskutiert. Wie der EEF nach 2020 aufgestellt wird, hängt konsolidierende Maßnahmen verwendet. 16 Da der von den Verhandlungen über den Mehrjährigen Finanz- Fonds als Notfallmechanismus außerhalb des regu- rahmen sowie über den Brexit ab. Zudem läuft der Cotonou- lären EU-Budgets angesiedelt ist, hebelt er zudem Vertrag im Jahr 2020 aus und wird ab September 2018 die strikten EU-Vergabeverfahren aus. zwischen der EU und den AKP-Staaten neu verhandelt. Die EU-Kommission hat ihre Beiträge zum EUTF 18 Europäische Kommission (Hg.), EU Contributions Pledged, aus unterschiedlichen Haushaltsmitteln bis März März 2018, (eingesehen Finanzierungsanteil von 88 Prozent entspricht. Davon am 19.3.2018). 19 Vgl. Europäisches Parlament, Bewältigung von Flüchtlings- und Migrantenströmen: Die Rolle des auswärtigen Handelns der 16 Elise Kervyn/Raphael Shilhav, An Emergency for Whom? EU, Entschließung vom 5.4.2017, Punkt 70, (eingesehen (Oxfam Briefing Note), (eingesehen am 16.11.2017). produkt im Jahr 2016. SWP Berlin Migrationsprofiteure? April 2018 15
David Kipp / Anne Koch sche oder nachbarschaftliche Beziehungen zu einer nicht mehr der Zustimmung der Mitgliedstaaten in ganzen Reihe von Partnerländern auf dem afrika- den dafür vorgesehenen Fachausschüssen. 25 nischen Kontinent, die für die Frage der irregulären Zuwanderung von Bedeutung sind. Die spanisch- Die informelle Arbeitsteilung marokkanische Zusammenarbeit gilt in dieser Hin- zwischen EU-Kommission und sicht geradezu als Musterbeispiel (siehe den Beitrag Mitgliedstaaten trägt zur Dynamik zu Marokko und Algerien, S. 23ff). 21 Frankreich und der externen Migrationspolitik bei. Italien sind vor allem in jenen Ländern aktiv, die aus ihren ehemaligen Kolonialgebieten hervorgegangen Die dynamische Entwicklung der externen Migra- sind. Seit dem Jahr 2015 engagiert sich auch Deutsch- tionspolitik geht gleichwohl auf Einzelinitiativen der land verstärkt bilateral, etwa in Niger, im Sudan, in Mitgliedstaaten zurück. Neben Deutschlands wich- Eritrea und Ägypten (siehe die Beiträge zu Niger, tiger Rolle beim Zustandekommen des EU-Türkei- S. 36ff, zu Sudan und Eritrea, S. 47ff, und zu Ägyp- Abkommens 26 verdeutlichen dies die von Italien ten, S. 60ff). Andere Mitgliedstaaten beschränken sich getroffenen Vereinbarungen mit der libyschen Ein- auf Maßnahmen zur Stärkung der EU-Außengrenzen. heitsregierung. Das Memorandum of Understanding Das betrifft etwa die osteuropäischen Länder. vom Februar 2017 bezieht sich explizit auf die Vor- Ihre Einflussmöglichkeiten suchen die Mitglied- läufervereinbarung Italiens mit dem Gaddafi-Regime staaten dadurch zu optimieren, dass auf ihr Drängen aus dem Jahr 2008 und steht damit beispielhaft für 42 Prozent der Fördermittel aus dem EUTF für Afrika die informelle Arbeitsteilung zwischen EU-Mitglied- an nationale Durchführungsorganisationen vergeben staaten und EU-Kommission, da die EU die bilaterale wurden 22 – während die Bereitschaft, den Nothilfe- Initiative mit flankierenden Maßnahmen unter- fonds selbst mit zusätzlichen Mitteln zu unterstützen, stützt. 27 Der migrationspolitische Gipfel in Paris, bei entgegen der ursprünglichen Zusagen zu wünschen dem im August 2017 die Staats- und Regierungschefs übrig lässt. Laut EU-Kommission wird der EUTF wie Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Spaniens mit erwähnt zu 88 Prozent der EUTF-Mittel aus dem EU- Vertretern aus Libyen, Tschad und Niger zusammen- Haushalt finanziert. 23 Kritiker sehen darin die Ver- trafen, lässt erwarten, dass die vier größten EU-Mit- einnahmung von EU-Geldern zum Zwecke einer Re- gliedstaaten ihre Koordinationsbemühungen noch nationalisierung der EU-Entwicklungspolitik, 24 die vertiefen werden, um die Zahl der migrations- Mitgliedstaaten hingegen monieren, dass die EU-Kom- politischen Partnerschaftsabkommen mit wichtigen mission mit dem EUTF ihre Kompetenzen ausweite. Herkunfts- und Transitländern auszuweiten. Denn für die Verwendung der Fördermittel bedarf es 21 Sergio Carrera/Jean-Pierre Cassarino/Nora El Qadim/ Mehdi Lahlou/Leonhard den Hertog, EU-Morocco Cooperation on 25 Gemeint ist hier das Ausschussverfahren (Komitologie), Readmission, Borders and Protection. A Model to Follow?, Brüssel: mit dessen Hilfe die Mitgliedstaaten den Erlass von Durch- CEPS, Januar 2016 (CEPS Paper in Liberty and Security in führungsrechtsakten durch die EU-Kommission gemäß Europe, 87), (eingesehen am 1.2.2018). 22 Europäische Kommission (Hg.), 2017 Annual Report. 26 Robin Alexander/Manuel Bewarder/Christoph Schlitz EU Trust Fund for Africa, März 2018, Fund for Africa: EU MS and Other Donors Contributions (Pledges (eingesehen am 13.11.2017). and Received Contributions), 19.3.2018, (eingese- ities, Libyan Realities, Oktober 2017, (eingesehen am 5.10.2017). SWP Berlin Migrationsprofiteure? April 2018 16
Migrationspolitische Kooperation Europas mit afrikanischen Staaten Konkurrenz zwischen nationalen te ab – nur 22 Prozent der bisher vergebenen EUTF- Durchführungsorganisationen und Mittel gingen an NGOs. Diese Entwicklung stützt die internationalen Organisationen These einer Renationalisierung dieses Politikfeldes. Die meisten Finanzmittel aus dem EUTF fließen Internationale Organisationen spielen in der externen an Durchführungsorganisationen aus Frankreich, EU-Migrationspolitik ebenfalls eine Rolle. Geht es Deutschland, Spanien und Großbritannien. Drei fran- um die humanitäre Versorgung und Registrierung zösische Durchführungsorganisationen sind vor allem von Flüchtlingen, ist das UN-Flüchtlingskommissariat in der Sahel-Region aktiv und erhalten gemeinsam (UNHCR) der wichtigste Partner. Die Internationale 13 Prozent der bisher ausgezahlten EUTF-Gelder; die Organisation für Migration (IOM) bietet ein breites Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) Spektrum an Dienstleistungen: Informationskampag- engagiert sich verstärkt am Horn von Afrika und in nen, Programme zur Unterstützung von Rückkehrern Nordafrika und bekommt etwa 10 Prozent (siehe den oder Beratung von Partnerländern bei der Ausarbei- Beitrag zu Sudan und Eritrea, S. 47ff). tung migrationsbezogener Gesetzgebung. Darüber hinaus fungiert sie als Sekretariat für viele regionale Dialogprozesse, an denen sich die EU beteiligt. Das Strategien der externen weniger bekannte International Centre for Migration EU-Migrationspolitik Policy Development (ICMPD), das die Europäisierung des Politikfeldes Migration seit den 1990er Jahren Der fragmentierte Charakter der externen EU-Migra- entscheidend mit vorangetrieben hat, 28 erfüllt einige tionspolitik ist wie gezeigt das Produkt eines kom- vergleichbare Funktionen; derzeit verwaltet es für plexen Aushandlungsprozesses zwischen einer Viel- DG HOME die Mittel, welche die Partnerländer zur zahl von Akteuren. Ist es der EU angesichts dessen Umsetzung der Mobilitätspartnerschaften und CAMMs überhaupt möglich, in diesem Politikfeld strategisch befähigen sollen (Mobility Partnership Facility). 29 Im zu agieren? Und, wenn ja, in welchem Ausmaß? Rahmen des EUTF für Afrika werden internationale Drei strategische Elemente lassen sich ausmachen: Organisationen jedoch nur mit etwa 30 Prozent der (1) die diskursive Einbettung der eingangs erwähnten Projekte beauftragt, nationale Durchführungsorgani- Trends, den Fokus der Aktivitäten auf den afrika- sationen hingegen bevorzugt. Statt formelle Vergabe- nischen Kontinent zu verschieben und migrations- verfahren zu nutzen, können die Mitgliedstaaten in politischen Interessen auch in anderen Politikberei- Abstimmung mit der EU-Kommission ihre Projekt- chen Vorrang einzuräumen, in das Narrativ der vorschläge direkt durch ihre Umsetzungsorganisatio- »Fluchtursachenminderung«; (2) die Kopplung von nen ausarbeiten lassen. Internationale Organisationen Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit an haben aber weiterhin den Vorteil, dass sie schneller die Bedingung migrationspolitischer Kooperation; und leichter in Ländern aktiv werden können, die (3) die Tendenz zur Informalisierung der externen EU- aufgrund von gewaltsamen Konflikten oder Men- Migrationspolitik durch Entwicklung von migrations- schenrechtsverletzungen als politisch sensibel gelten. politischen Instrumenten außerhalb der Gemein- Hieraus ergeben sich regionale Unterschiede bei schaftsmethode. der Mittelvergabe: So greift die EU in den Regional- fenstern Nordafrika und Horn von Afrika deutlich Narrativ der Fluchtursachenminderung häufiger als im Regionalfenster Sahel auf die Exper- tise von UN-Organisationen zurück. Während der 1990er und frühen 2000er Jahre kon- Auch die Relevanz zivilgesellschaftlicher Organi- zentrierte sich die externe EU-Migrationspolitik auf sationen für die Umsetzung der externen EU-Migra- die östliche europäische Nachbarschaft; europäische tionspolitik nimmt im Rahmen der neuen Instrumen- Interessen im Bereich Außengrenzschutz wurden dabei häufig im Rahmen laufender oder anvisierter EU-Beitrittsverhandlungen diskutiert. Diese Konstella- 28 Sabine Hess, »›We Are Facilitating States!‹ An Ethno- tion stärkte die EU-Position und ermöglichte unter graphic Analysis of the ICMPD«, in: Martin Geiger (Hg.), The anderem den Abschluss rechtlich bindender Rück- Politics of International Migration Management, Basingstoke u.a.: übernahmeabkommen mit vielen osteuropäischen Palgrave Macmillan, UK, 2010, S. 96–118. Staaten. Im Zuge der wachsenden irregulären Zu- 29 Den Hertog, Money Talks [wie Fn. 11], S. 17. wanderung über das Mittelmeer und der damit ver- SWP Berlin Migrationsprofiteure? April 2018 17
David Kipp / Anne Koch bundenen Todesfälle, durch die das Thema in den mit einer Konditionalisierung migrationsbezogener Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit rückte, EZ einher. Zentral sind hierbei die Themen Rück- veränderte sich der Tenor: Nun trat das Narrativ der übernahme und verbessertes Migrations- und Grenz- »Fluchtursachenminderung« in den Vordergrund. management. Auf der einen Seite gibt es eine direkte Spätestens seit dem Valletta-Gipfel europäischer und Konditionalisierung. Schon mit den EU-Mobilitäts- afrikanischer Regierungschefs im Herbst 2015, der partnerschaften wurde das Prinzip »more for more« zur Einrichtung des EUTF führte, wird ein Großteil verfolgt: Kooperatives Verhalten der Partnerländer bei der migrationspolitischen Kooperation mit Drittstaa- der Rückübernahme abgelehnter AsylbewerberInnen ten unter diesem Sammelbegriff zusammengefasst. bzw. irregulärer MigrantInnen sollte mit einem Ent- Diskursiv ist das Schlagwort wirkmächtig, weil es sug- gegenkommen im Bereich Visaliberalisierung und geriert, das »Übel« unregulierter grenzüberschreiten- legaler Zuwanderungswege belohnt werden. Diese der Wanderungsbewegungen werde an der Wurzel Idee krankt allerdings daran, dass die EU im Bereich gepackt. In der Praxis mangelt es allerdings häufig legaler Migration nur sehr begrenzte Kompetenzen an einer Unterscheidung zwischen strukturellen und hat. Dies schwächt die Verhandlungsposition der akuten Fluchtursachen, freiwilligen und unfreiwilli- Gemeinschaft, solange es an substantiellen Angebo- gen Wanderungen sowie primären und sekundären ten ihrer Mitgliedstaaten fehlt, dank deren sich die Fluchtbewegungen. 30 Idee des »more for more« mit Inhalt füllen ließe. Im Zusammenhang mit der Konzentration der Die europäischen Bemühungen um eine effizien- europäischen Regierungen auf die Reduzierung der tere Rückkehrpolitik haben sich in den vergangenen Zuwanderungszahlen führt diese konzeptionelle Un- Jahren noch verstärkt. Entsprechende Verhandlungen schärfe dazu, dass Gelder der Entwicklungszusam- sind jedoch langwierig und scheitern häufig an den menarbeit (EZ) immer häufiger in den Dienst der anders gelagerten innenpolitischen Interessen der »Fluchtursachenminderung« gestellt werden. Das ist afrikanischen Partnerländer. 31 Ein zentraler Streit- gefährlich: Die Möglichkeiten der EZ, Wanderungs- punkt ist die Forderung der Europäer, dass die Part- bewegungen zu reduzieren, werden dadurch mit nerländer auch Drittstaatsangehörige, die durch ihr überhöhten Erwartungen befrachtet, längerfristige Territorium in die EU gereist sind, zurücknehmen strukturbildende Maßnahmen durch kurzfristige sollen – ein Ansinnen, das insbesondere für wichtige Maßnahmen der Migrationsverhinderung ersetzt und Transitstaaten wie Marokko innenpolitisch hochpro- überdies Prinzipien sowohl der humanitären Hilfe blematisch und deshalb aus strategischer Perspektive als auch der Entwicklungszusammenarbeit verwässert. nicht zielführend ist (siehe den Beitrag zu Marokko Die Hemmschwelle für eine Zusammenarbeit mit und Algerien, S. 23ff). Forderungen nach entwick- autoritären Regimen ist spürbar gesunken. Zusam- lungspolitischen Sanktionen für mangelnde Koopera- mengenommen geben all diese Faktoren Anlass zu tion im Bereich Rückübernahme (»less for less«) wer- der Befürchtung, dass sich die unter dem Schlagwort den zwar sowohl im nationalen als auch im euro- Fluchtursachenminderung initiierten Maßnahmen päischen Kontext immer wieder erhoben, konnten auf die Bekämpfung der Symptome beschränken – sich aber bislang nicht durchsetzen. Ihre handels- in erster Linie der irregulären Zuwanderung nach politische Macht nutzt die EU Untersuchungen zu- Europa. Konditionalisierung migrationsbezogener EZ 31 Vgl. u.a. Natasja Reslow, »EU ›Mobility‹ Partnerships: An Initial Assessment of Implementation Dynamics«, in: Die Unterordnung entwicklungspolitischer Ziele Politics and Governance, 3 (2015) 2, S. 117–128 (125); Sadio unter die Maxime der Fluchtursachenminderung geht Soukouna, L’Échec d’une coopération franco malienne sur les migra- tions: Les logiques du refus malien de signer, Mémoire de Master 2 Science Politique, Mention Relations Internationales, April 30 Steffen Angenendt/Anne Koch, »Fluchtursachenbekämp- 2011, (eingesehen am 5.3.2018); Stephan Dünnwald, Volker Perthes (Hg.), Ausblick 2016: Begriffe und Realitäten inter- »Remote Control? Europäisches Migrationsmanagement in nationaler Politik, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Mauretanien und Mali«, in: movements. Journal für kritische Januar 2016, S. 41–44. Migrations-und Grenzregimeforschung, 1 (2015) 1, S. 21–23. SWP Berlin Migrationsprofiteure? April 2018 18
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