Migrationsprofiteure? - SWP-Studie

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Migrationsprofiteure? - SWP-Studie
SWP-Studie

  Anne Koch / Annette Weber / Isabelle Werenfels (Hg.)

Migrationsprofiteure?
         Autoritäre Staaten in Afrika und das
         europäische Migrationsmanagement

                                                            Stiftung Wissenschaft und Politik
                                                                        Deutsches Institut für
                                                         Internationale Politik und Sicherheit

                                                                                 SWP-Studie 3
                                                                                   April 2018
Seit 2015 steht der Umgang mit Flucht- und Migrationsbewegungen ganz oben auf
der Agenda der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Große Hoffnungen sind an entwick-
lungspolitische Interventionen geknüpft, die migrationswilligen Menschen Perspek-
tiven in ihren Heimatländern bieten. Diese Politik geht mit einer Fixierung auf
Wanderungsstatistiken einher; die lokalen Kontexte und die regionalen Dynamiken
der Partnerländer werden dabei häufig vernachlässigt. Hier setzt die Studie an: Auf
welche gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Prozesse trifft die externe
Migrationspolitik der EU in afrikanischen Staaten. Welche Möglichkeiten der Ko-
operation sind realistisch?
    Die Untersuchung konzentriert sich auf mehrere Länder, die in unterschiedlichem
Grade autoritär regiert werden: Ägypten, die Maghrebstaaten Algerien und Marokko,
den Sahelstaat Niger sowie die am Horn von Afrika in einem »Migrationskomplex«
miteinander verbundenen Länder Sudan und Eritrea. Sie analysiert die Resonanz der
migrationspolitischen Zusammenarbeit in Ländern mit unterschiedlich enger Anbin-
dung an Europa und setzt sich mit der Frage auseinander, ob und inwiefern gerade
autoritäre Herrscher von dieser Zusammenarbeit profitieren.
    Dabei wird deutlich, dass die externe EU-Migrationspolitik je nach Verfasstheit
der Partnerländer unterschiedliche Auswirkungen hat. Das jeweilige Maß an Zen-
tralisierung, die Durchsetzungskraft und der Gestaltungswille bzw. die regionalen
Ambitionen der Regime sind entscheidend dafür, ob europäische Angebote eher
als willkommener Zufluss von Projektgeldern oder als Gelegenheit wahrgenommen
werden, übergreifende politische Ziele zu verfolgen. Machterhaltungsinteressen
und Legitimationsstrategien der Eliten spielen in allen untersuchten Ländern für die
Reaktion auf Kooperationsangebote eine prägende Rolle.
SWP-Studie

Anne Koch / Annette Weber / Isabelle Werenfels (Hg.)

Migrationsprofiteure?
Autoritäre Staaten in Afrika und das
europäische Migrationsmanagement

                                                          Stiftung Wissenschaft und Politik
                                                                      Deutsches Institut für
                                                       Internationale Politik und Sicherheit

                                                                               SWP-Studie 3
                                                                                 April 2018
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ISSN 1611-6372
Inhalt

5    Problemstellung und Empfehlungen

9    Auf der Suche nach externen Lösungen Instrumente,
     Akteure und Strategien der migrationspolitischen
     Kooperation Europas mit afrikanischen Staaten
     David Kipp / Anne Koch

23   Migrationsstratege Marokko –
     Abschotter Algerien
     Isabelle Werenfels

36   Migrationskonflikt in Niger:
     Präsident Issoufou wagt, der Norden verliert
     Melanie Müller

47   Migrationsknotenpunkt Sudan/Eritrea:
     Enttäuschte Erwartungen – widerstreitende Interessen
     Annette Weber

60   Ägypten: Migrationspolitik und
     Herrschaftskonsolidierung
     Stephan Roll

71   Vielfalt der Kooperationskontexte als
     Herausforderung für die EU
     Anne Koch / Annette Weber / Isabelle Werenfels

80   Anhang
80   Abkürzungen
81   Die Autorinnen und Autoren
Problemstellung und Empfehlungen

Migrationsprofiteure?
Autoritäre Staaten in Afrika und das
Europäische Migrationsmanagement

Seit der sogenannten Flüchtlingskrise des Jahres 2015
steht der Umgang mit Flucht- und Migrationsbewe-
gungen ganz oben auf der Agenda der EU und ihrer
Mitgliedstaaten. Dringend erforderliche Reformen
des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und der
europäischen Migrationspolitik gestalten sich schwie-
rig, weil viele EU-Mitgliedstaaten aus innenpolitischen
Gründen ausschließlich auf Restriktion setzen. An-
gesichts der Schwierigkeiten, intern Veränderungen
zu erreichen, gewinnt die externe Dimension der EU-
Migrationspolitik an Bedeutung. Denn diese gilt neben
der Verstärkung der EU-Außengrenzen als kleinster
gemeinsamer Nenner der Mitgliedstaaten: Unter dem
Schlagwort »Fluchtursachenbekämpfung« wird die
migrationspolitische Kooperation mit Herkunfts- und
Transitländern vorangetrieben, um Wanderungs-
bewegungen noch vor den EU-Außengrenzen zu stop-
pen. Große Hoffnungen setzt man insbesondere auf
entwicklungspolitische Interventionen, die migrations-
willigen Menschen Perspektiven in ihren Heimat-
ländern bieten und sie dadurch von der Aus- oder
Weiterreise abhalten sollen. Eine stetig wachsende
Zahl migrationspolitischer Kooperationsformate und
Projektgelder sowie eine verstärkte Fokussierung auf
Afrika sind die Folgen.
   Eine Reduzierung der irregulären Einreisen in die
EU ist das erklärte Ziel dieser Politik, die mit einer
Fixierung auf Wanderungsstatistiken einhergeht. Die
lokalen Kontexte und die regionalen Dynamiken der
Partnerländer werden dabei jedoch vernachlässigt.
Hier setzt diese Studie an: Auf welche gesellschaft-
lichen, politischen und wirtschaftlichen Prozesse
trifft die externe Migrationspolitik der EU in afrika-
nischen Staaten, und welche Möglichkeiten der Ko-
operation sind realistisch? Nach einem ersten Beitrag,
der einen Überblick über die migrationspolitischen
Kooperationsinstrumente der EU bietet, geht es um
das »Füllhorn« entsprechender europäischer Projekte,
das sich über afrikanische Staaten ergießt. Welche
Dynamiken werden dadurch in Partnerländern aus-
gelöst, verstärkt oder verändert? Dabei konzentriert
sich die Analyse auf eine Reihe von Ländern, die dem
Spektrum autoritärer Regime zuzuordnen sind: Ägyp-

                                              SWP Berlin
                                    Migrationsprofiteure?
                                               April 2018

                                                       5
Problemstellung und Empfehlungen

           ten, die beiden Maghrebstaaten Algerien und                   Aus dieser kurzen Gesamtschau wird deutlich, dass
           Marokko, den Sahelstaat Niger sowie die am Horn            die Auswirkungen der externen EU-Migrationspolitik
           von Afrika in einem »Migrationskomplex« mitein-            sich je nach Verfasstheit der Partnerländer unter-
           ander verbundenen Länder Sudan und Eritrea. Der            scheiden. Das jeweilige Maß der Zentralisierung, die
           Fokus auf die Realitäten der Wanderungsbewegungen          Durchsetzungskraft und der Gestaltungswille bzw.
           und die damit verbundenen Interessenlagen und              die regionalen Ambitionen der Regime sind entschei-
           Strategien wichtiger Partnerstaaten ermöglicht einen       dende Faktoren dafür, ob die europäischen Offerten
           Perspektivwechsel in der bisherigen Debatte. Er er-        in erster Linie als willkommene Abfolge von Projekt-
           laubt eine nuancierte Darstellung der Resonanz,            geldern oder als Gelegenheit zur Verfolgung über-
           welche die migrationspolitische Zusammenarbeit in          greifender politischer Ziele wahrgenommen werden.
           Ländern mit unterschiedlich enger Anbindung an             Dabei zeigt sich, dass Staaten wie Marokko und Ägyp-
           Europa erzeugt. Er verdeutlicht bestehende Koopera-        ten, die über langjährige Erfahrungen mit der EU-
           tionsmuster und ermöglicht eine Auseinandersetzung         Zusammenarbeit verfügen, ihre Verhandlungsmacht
           mit der Frage, ob und inwiefern gerade autoritäre          deutlich besser zu nutzen wissen und gegenüber dem
           Herrscher von dieser Zusammenarbeit profitieren.           Staatenbund strategischer handeln als »Kooperations-
              Wie die Länderfallstudien zeigen, klaffen Intention     neulinge« wie Niger. Der Grad an Autoritarismus und
           und Wirkung häufig auseinander. Während die Aus-           dessen Ausprägung – beides differiert in den einzel-
           wirkungen der externen EU-Migrationspolitik auf            nen Staaten – korrelieren hingegen nicht signifikant
           konkrete Wanderungsdynamiken schwer zu messen              mit der jeweiligen Bereitschaft zur Zusammenarbeit
           sind, zeigt ein Blick in die afrikanischen Partner-        mit der EU.
           länder, dass die dortigen Eliten die europäischen             Machterhaltungsinteressen und Legitimations-
           Angebote häufig zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen         strategien spielen indes in allen in dieser Studie un-
           wissen. Doch lassen sie sich damit pauschal als            tersuchten Ländern für die Reaktion auf europäische
           »Migrationsprofiteure« bezeichnen? Der genaue Blick        Kooperationsangebote eine prägende Rolle. Da gene-
           zeigt, dass Differenzierung nottut: Ägyptens Präsident     rell gilt, dass deutsche und europäische Entschei-
           al-Sisi nutzt den hohen Stellenwert, den die EU der        dungsträger Widersprüche zwischen der migrations-
           migrationspolitischen Zusammenarbeit mit Drittstaa-        politischen Agenda und längerfristigen entwicklungs-
           ten beimisst, zur Herrschaftskonsolidierung. Das           politischen Zielsetzungen vermeiden sollten, um
           sudanesische Regime dagegen sieht sich mit einer           innenpolitisches Konfliktpotential in Partnerstaaten
           Vielzahl an Kooperationsoptionen konfrontiert, deren       nicht zu verstärken (»Do-No-Harm«-Prinzip), bedarf
           Bedeutung und Prioritätensetzung von der EU nicht          es eines genaueren Verständnisses der spezifischen
           klar benannt werden und überdies nicht den Erwar-          Interessenlagen, die in den einzelnen Staaten mit
           tungen Khartums entsprechen. Die nigrische Regie-          Migration und Flucht verknüpft werden. Oftmals geht
           rung erhofft sich von der Zusammenarbeit eine Ver-         es eben nicht in erster Linie um den Wunsch nach
           besserung der Beziehungen zur EU und zu einzelnen          finanziellen Zuwendungen, sondern um strategische
           Mitgliedstaaten, muss aber zugleich mit problema-          Interessen, etwa um die Aufhebung von Sanktionen
           tischen Konsequenzen im eigenen Land umgehen,              oder um die Normalisierung von Beziehungen und
           wenn etwa der Transport irregulärer MigrantInnen           internationale Anerkennung.
           als Einkommensquelle wegbricht und lokale Konflikte           Ebenso zentral für ein erfolgreiches »Migrations-
           drohen. Die marokkanische Regierung hat in der             management« ist die Kenntnis der jeweiligen Wande-
           Migrationspolitik eigene gestalterische Ambitionen         rungsbewegungen in staatenübergreifenden Migra-
           und agiert strategisch. Sie stellt daher die migrations-   tionskomplexen, seien sie zirkulär, regional oder
           politischen Angebote der EU gezielt in den Dienst der      nach Europa führend. Auf diesen gewachsenen regio-
           eigenen Modernisierungsagenda. Das Nachbarland             nalen Dynamiken sollten die europäischen Ansätze
           Algerien wiederum entzieht sich einer Kooperation          aufbauen. Denn gerade regionale Freizügigkeit för-
           bisher weitgehend, mögliche »Migrationsprofite«            dert die wirtschaftliche Entwicklung afrikanischer
           ergeben sich mithin nicht. Allerdings zeichnet sich        Staaten. Die bisherigen Fortschritte in diesem Bereich
           hier eine vorsichtige Öffnung ab. Das Regime in Eri-       zu gefährden, indem man den Fokus auf restriktives
           trea verschließt sich hingegen der partnerschaftlichen     Grenzmanagement legt, ist mithin kontraproduktiv.
           Zusammenarbeit nach wie vor kategorisch.                   Vielmehr gilt es auszuloten, wie innerafrikanische

           SWP Berlin
           Migrationsprofiteure?
           April 2018

           6
Problemstellung und Empfehlungen

zirkuläre Migration trotz verstärkten Grenzmanage-
ments bewahrt werden kann.
   Von großer Bedeutung sind überdies neben den
lokalen Ökonomien, die sich im Zusammenhang mit
Migration entwickeln, die Rücküberweisungen von
MigrantInnen. Für die im Heimatland verbliebenen
Familien stellt dieses Geld häufig eine wichtige
soziale Absicherung dar. Das Volumen jener Finanz-
ströme hat Auswirkungen auf die Verhandlungs-
spielräume in der migrationspolitischen Kooperation:
Staaten, für die Rücküberweisungen aus Europa ein
wichtiger Wirtschaftsfaktor sind, haben ein größeres
Interesse an legalen Zuwanderungswegen dorthin
als Staaten, deren Bürger beispielsweise vorrangig
aus den Golfstaaten Geld nach Hause schicken.
   Mittel oder Überwachungstechnologien, die eigent-
lich zum Aufbau migrationspolitischer Kapazitäten
gedacht sind, lassen sich zu repressiven Zwecken
missbrauchen. Diesen Umstand gilt es ebenfalls be-
achten – und zu vermeiden. Hier ist deshalb beson-
deres Augenmerk gefordert, weil die in dieser Studie
untersuchten autoritären Eliten längst verstanden
haben, dass die Bereitschaft zur migrationspolitischen
Kooperation den von der EU ausgeübten Druck in der
Frage der politischen Transformation lindert. Es er-
scheint daher sinnvoll, die ambitionierte, aber fak-
tisch ineffektive Transformationsagenda durch klare
rote Linien mit Menschenrechtsbezug zu ersetzen
und an diesen dann auch konsequent festzuhalten.
Dazu gehört, dass europäische Akteure eindeutige
Akzente setzen, keine Missverständnisse in Bezug auf
ihre Prioritäten (Entwicklung, Sicherheit oder beides?)
aufkommen lassen und realistische Zeithorizonte
generieren. Um keine falschen Erwartungen zu
schüren – etwa im Kontext des EU-Türkei-Abkom-
mens, das Begehrlichkeiten auch in mehreren der
Länder geweckt hat, die in dieser Studie untersucht
werden –, muss von europäischer Seite auf jeden Fall
klarer als bisher vermittelt werden, welche Formen
der migrationspolitischen Kooperation möglich sind
und welche nicht.

                                                                    SWP Berlin
                                                          Migrationsprofiteure?
                                                                     April 2018

                                                                             7
Karte 1

Migrationsrouten in Afrika
Migrationspolitische Kooperation Europas mit afrikanischen Staaten

David Kipp / Anne Koch

Auf der Suche nach externen Lösungen
Instrumente, Akteure und Strategien der
migrationspolitischen Kooperation Europas
mit afrikanischen Staaten

Die externe Migrationspolitik der EU hat seit Anfang                 menarbeit aus dem direkten EU-Nachbarschaftsraum
der 2000er Jahre an Vielschichtigkeit gewonnen: Es                   hin zu weiter entfernten Herkunfts- und Transitstaa-
gibt inzwischen eine große Anzahl unterschiedlicher                  ten, mit dem Fokus auf Nachbarländern Syriens und
Instrumente und Abkommen, außerdem sind die                          insbesondere dem afrikanischen Kontinent; (2) eine
Zuständigkeitsbereiche und Kompetenzen außen-,                       zunehmende Indienstnahme der EU-
sicherheits-, entwicklungs- und wirtschaftspolitischer               Entwicklungspolitik für migrationspolitische
Akteure häufig nicht klar voneinander abgegrenzt.                    Interessen; (3) eine schleichende Renationalisierung
Das Politikfeld ist also außerordentlich komplex.                    der europäischen Entwicklungspolitik. So umgehen
Überdies ist es erklärtes Ziel der EU-Kommission,                    die EU-Mitgliedstaaten im Rahmen neuer migrations-
einen möglichst umfassenden Ansatz zu verwirk-                       politischer Finanzierungsinstrumente immer öfter die
lichen – gerade im Hinblick auf die Kooperation mit                  Gemeinschaftsmethode, was dazu führt, dass Mittel
migrationspolitisch bedeutenden afrikanischen Part-                  häufiger als zuvor an nationale Durchführungsorga-
nerstaaten. Dies birgt jedoch das Risiko EU-interner                 nisationen vergeben werden.
Interessenkonflikte und hat in der Vergangenheit zu
widersprüchlichen Schwerpunktsetzungen geführt.
   Im Zuge der seit Jahren bestehenden, im Jahr 2015                 Die migrationspolitischen Instrumente
aber massiv angestiegenen irregulären Zuwanderung                    der EU 2
von MigrantInnen und Flüchtlingen über das Mittel-
meer ist das Thema Migrationssteuerung auf der euro-                 Die migrationspolitische Kooperation von EU-Mit-
päischen Agenda ganz nach oben gerückt. Dabei hat                    gliedstaaten mit Drittstaaten war lange Zeit überwie-
sich zum einen die bereits bestehende Tendenz zur                    gend bilateral ausgerichtet. Seit dem Jahr 2005 hat
Externalisierung verstärkt – zur Verlagerung migra-                  die EU schrittweise einen politischen Rahmen ent-
tionspolitischer Kontrollen und Restriktionen in Dritt-              wickelt, der als Grundlage für eine ausgewogene
staaten. 1 Zum anderen lassen sich seit 2015 drei                    und partnerschaftliche externe Asyl- und Migrations-
neuere Trends ausmachen: (1) eine regionale                          politik dienen soll. Dieser Gesamtansatz Migration
Verschiebung in der migrationspolitischen Zusam-                     (GAM), der seit 2012 in überarbeiteter Form unter
                                                                     dem Namen Gesamtansatz Migration und Mobilität
  1 Luiza Bialasiewicz, »Off-shoring and Out-sourcing the            (GAMM) fortbesteht, setzt sich aus vier offiziell gleich-
  Borders of Europe: Libya and EU Border Work in the Medi-           wertigen Zielen zusammen: (1) der Förderung und
  terranean«, in: Geopolitics, 17 (2012) 4, S. 843–866; Rens van     verbesserten Organisation legaler Migration; (2) der
  Munster/Steven Sterkx, »Governing Mobility: The Externali-         Prävention und Reduzierung irregulärer Migration,
  zation of European Migration Policy and the Boundaries of          auch durch die Bekämpfung des Schlepperwesens;
  the European Union«, in: Ronald Holzhacker/Markus Haver-
                                                                     (3) der Maximierung der positiven Entwicklungs-
  land (Hg.), European Research Reloaded: Cooperation and Integra-
  tion among Europeanized States, Dordrecht: Springer, 2006,
  S. 229–250.                                                          2 Vgl. Übersicht auf S. 10.

                                                                                                                       SWP Berlin
                                                                                                             Migrationsprofiteure?
                                                                                                                        April 2018

                                                                                                                                9
10
                             Übersicht
                                                                                                                                                                                                                       David Kipp / Anne Koch

     April 2018
                             Instrumente der externen EU-Migrationspolitik

     SWP Berlin
                                                                                                                                                                                                           Übersicht

     Migrationsprofiteure?
                             Politische              Gesamt-                                   Gesamtansatz                                             Europäische
                             Rahmenwerke             ansatz                                    Migration und                                            Migrationsagenda
                                                     Migration                                 Mobilität
                                                     (GAM)                                     (GAMM)

                             Regionale                           Rabat-    Strategische                                         Khartum-
                             Prozesse                            Prozess   EU-Afrika-Part-                                      Prozess
                                                                           nerschaft für
                                                                           Migration,
                                                                           Mobilität und
                                                                           Beschäftigung

                                             2004    2005        2006      2007    2008–2011   2012            2013             2014                    2015               2016                  2017

                             Abkommen mit                                                                      EU-Mobilitäts-   EU-Mobilitätspartner-   Gemeinsame         EU-Migrations-
                             afrikanischen                                                                     partnerschaft    schaft mit Tunesien     Agenda zu Migra-   partnerschaften mit
                             Drittstaaten                                                                      mit Marokko      EU-Rücknahme-           tion und Mobili-   Äthiopien, Mali,
                                                                                                                                abkommen mit            tät (CAMM) mit     Niger, Nigeria und
                                                                                                                                Kap Verde               Äthiopien und      Senegal
                                                                                                                                EU-Visaliberalisie-     Nigeria
                                                                                                                                rungsabkommen mit
                                                                                                                                Kap Verde

                             Entwicklungen   Gründung der                                                                       Einrichtung des         Start der          Frontex-Reform:       Unterstützung
                             im Außen-       europäischen                                                                       Frontex-Marine-         EUNAVFOR MED-      Aufbau zu einer Euro- der Sahel-G5-
                             grenzschutz     Grenzschutz-                                                                       einsatzes Triton        Operation Sophia   päischen Grenz- und   Operation
                                             agentur                                                                                                                       Küstenschutz-Agentur
                                             Frontex                                                                                                                       Ausweitung von
                                                                                                                                                                           EUNAVFOR MED zum
                                                                                                                                                                           Aufbau der libyschen
                                                                                                                                                                           Küstenwache
Migrationspolitische Kooperation Europas mit afrikanischen Staaten

wirkungen von Migration und Mobilität sowie (4) der                   wanderungswege ausgespart ist. Selbst in den Unter-
Förderung internationalen Schutzes. Als Reaktion auf                  zielen werden nur die Aufnahme schutzbedürftiger
die steigende Zahl an Todesfällen bei Versuchen, über                 MigrantInnen im Rahmen von Resettlement-Kontin-
das Mittelmeer einzuwandern, veröffentlichte die EU-                  genten und die Schaffung von Perspektiven in den
Kommission im Mai 2015 die Europäische Migrations-                    Heimatländern erwähnt, nicht aber die Förderung
agenda, und dies noch ehe Migrations- und Flucht-                     legaler Migration.
bewegungen in Form gemischter Wanderungen nach
Europa in den Folgemonaten stark zunahmen. 1 Zwar                            Partnerländer werden durch
werden darin die langfristigen Zielsetzungen des GAMM                    finanzielle Anreize zur Kooperation
auf dem Papier übernommen. Gleichwohl steht die                          motiviert, da Perspektiven für legale
kurzfristige Reduzierung irregulärer Migration im                             Zuwanderungswege fehlen.
Vordergrund, wie man daran erkennen kann, dass
in den politischen und rechtlichen Partnerschafts-                       Dies markiert einen Richtungswechsel. Der GAMM
abkommen Zuwanderung primär als Problem, nicht                        hatte noch die Idee migrationspolitischer Anreize
als Chance definiert wird. Damit gewinnt das Ziel                     betont. Durch Angebote im Bereich legaler Migration
eines verbesserten Grenz- und Migrationsmanage-                       sollten die Partnerländer im Zuge sogenannter Mobili-
ments in wichtigen Transit- und Herkunftsländern                      tätspartnerschaften – wenn es sich um Staaten in
ebenso an Bedeutung wie der Außengrenzschutz des                      der EU-Nachbarschaft handelte – oder sogenannter
EU-Raums. Davon zeugen die Intensivierung regio-                      Gemeinsamer Agenden zu Migration und Mobilität
naler Dialogformate zwecks Diskussion und Harmo-                      (CAMMs) im Falle weiter entfernt liegender Länder
nisierung migrationspolitischer Ansätze sowie der                     dazu motiviert werden, irreguläre Abwanderung
Ausbau der Europäischen Agentur für die Grenz- und                    aus dem eigenen Staatsgebiet einzuschränken und
Küstenwache (Frontex).                                                Menschen zurückzunehmen, die das Land auf diesem
                                                                      Wege verlassen hatten. Mobilitätspartnerschaften
Politische und rechtliche                                             wie CAMMs enthalten migrationspolitische Ziele und
Partnerschaftsabkommen                                                gegenseitige Verpflichtungen sowie konkrete Unter-
                                                                      stützungsangebote von Seiten der EU und interessier-
Auf den Beschluss der Europäischen Migrations-                        ter EU-Mitgliedstaaten. Rechtliche Verbindlichkeit hat
agenda folgte mit den sogenannten Migrations-                         in Mobilitätspartnerschaften allerdings einen höhe-
partnerschaften zügig die Schaffung eines neuen                       ren Stellenwert, weshalb die Aufnahme von Verhand-
Instruments. Im Juni 2016 unterzeichneten fünf                        lungen über Visaliberalisierungs- und Rückübernah-
wichtige afrikanische Herkunfts- und Transitländer –                  meabkommen dazugehört. Unter den neun Staaten,
Äthiopien, Mali, Niger, Nigeria und Senegal – ent-                    mit denen bisher Mobilitätspartnerschaften eingegan-
sprechende Vereinbarungen. Auffällig ist, dass in der                 gen wurden, sind mit Kap Verde, Marokko und Tune-
Auflistung der Ziele (»Leben zu retten und das Wirt-                  sien drei afrikanische Länder. 3 Doch nur mit Kap
schaftsmodell der Schmuggler zu zerstören, illegale                   Verde (als einzigem afrikanischen Land überhaupt)
Migration zu verhindern und die Zusammenarbeit                        hat die EU auch ein Visaliberalisierungs- und Rück-
zur Rückkehr und Rückübernahme irregulärer                            übernahmeabkommen getroffen. In den Mobilitäts-
MigrantInnen auszubauen sowie mehr Investitionen                      partnerschaften mit Marokko und Tunesien ist dies
in Partnerländer anzuregen«) 2 die Öffnung legaler Zu-

  1 Zum Phänomen gemischter Wanderungen vgl. Steffen                    implementation-package/docs/20160607/communication_
  Angenendt/David Kipp/Amrei Meier, Gemischte Wanderungen.              external_aspects_eam_towards_new_migration_ompact_
  Herausforderungen und Optionen einer Dauerbaustelle der deutschen     en.pdf> (eingesehen am 10.10.2017).
  und europäischen Asyl- und Migrationspolitik, Gütersloh: Bertels-     3 Verhandlungen zur Vereinbarung von Mobilitätspartner-
  mann Stiftung, März 2017.                                             schaften mit drei weiteren Drittstaaten (Senegal, Ghana und
  2 Europäische Kommission, Establishing a New Partnership              Ägypten) wurden aufgenommen, sind inzwischen aber ab-
  Framework with Third Countries under the European Agenda on           gebrochen worden oder ins Stocken geraten (vgl. Natasja
  Migration, KOM (2016) 385, Mitteilung, 7.6.2016,
David Kipp / Anne Koch

            lediglich vorgesehen. CAMMs wurden allein mit                         mission in ihrer externen Migrationspolitik die früher
            Indien, Äthiopien und Nigeria vereinbart.                             versprochene, aber nicht eingelöste Perspektive lega-
                Die geringen Fortschritte hinsichtlich Visaliberali-              ler Zuwanderungswege zunehmend durch finanzielle
            sierungs- und Rücknahmeabkommen hängen mit                            Anreize ersetzt.
            einem zentralen Umsetzungsproblem zusammen.
            Denn die Möglichkeiten der EU-Kommission, legale                      Regionale Prozesse
            Migration zu fördern, sind eng bemessen. Visalibera-
            lisierung läuft lediglich auf eine Vereinfachung der                  Neben Abkommen mit einzelnen Partnerländern
            Verfahren hinaus; für die Partnerländer ist dies kein                 beteiligt sich die EU außerdem an regionalen Dialog-
            ausreichender Ansatz dafür, innenpolitisch oft hoch-                  formaten zur Diskussion und Harmonisierung migra-
            kontroverse Rückübernahmeabkommen einzugehen                          tionspolitischer Ansätze. Das älteste, der Budapest-
            (siehe den Beitrag zu Marokko und Algerien, S. 23ff).                 Prozess, der 1993 im Rahmen der geplanten EU-Ost-
            Doch für substantiellere Anreize in Form zusätzlicher                 erweiterung initiiert wurde, umfasst mittlerweile
            legaler Zuwanderungswege bedarf es der Initiative                     52 Mitglieder im euroasiatischen Raum. Anknüpfend
            und Bereitschaft einzelner EU-Mitgliedstaaten – und                   an diese Erfahrungen folgten im Rahmen des GAMM
            daran mangelt es.                                                     weitere regionale Dialogprozesse. Wenngleich Koope-
                Auch wenn die EU-Kommission Pilotprojekte für                     rationen mit allen migrationspolitisch relevanten
            arbeitssuchende MigrantInnen aus Partnerländern                       Regionen angestrebt werden, 6 lässt sich bislang eine
            angekündigt hat, 4 geht sie daher zunehmend dazu                      Schwerpunktsetzung auf den afrikanischen Kontinent
            über, Partnerländern andere Anreize für migrations-                   beobachten. Zentral sind hierbei der im Jahr 2006
            politische Zusammenarbeit anzubieten. Die im Jahr                     etablierte Rabat-Prozess, der 57 Herkunfts-, Transit-
            2016 neu eingeführten Migrationspartnerschaften                       und Zielländer entlang der west- und zentralafrika-
            stellen je nach Bedarf Kooperationen in den Berei-                    nischen Migrationsrouten zusammenbringt, 7 sowie
            chen Entwicklungszusammenarbeit, Handel, Mobi-                        der im Jahr 2014 ins Leben gerufene Khartum-Prozess,
            lität, Energie, Sicherheit und Digitalisierung in Aus-                der die Zusammenarbeit zwischen europäischen Staa-
            sicht. Zunächst stehen hierfür Mittel aus dem im                      ten und den Ländern am Horn von Afrika vertiefen
            November 2015 ins Leben gerufenen EU-Nothilfe-                        und darüber hinaus der Bekämpfung von Menschen-
            Treuhandfonds (EUTF) für Afrika zur Verfügung,                        handel dienen soll. 8
            dessen finanzielles Volumen zu diesem Anlass aus                         Beide Formate versammeln eine Reihe von Ländern
            dem Europäischen Entwicklungsfonds aufgestockt                        entlang wichtiger Wanderungsrouten Richtung Euro-
            wurde und mittlerweile 3,4 Milliarden Euro beträgt.                   pa. Allerdings bestehen unterschiedliche Vorausset-
            Ergänzend plant die EU-Kommission, Gelder aus                         zungen für die Zusammenarbeit. Im Rabat-Prozess
            dem im Jahr 2017 neu etablierten European External                    kooperiert die EU mit der Westafrikanischen Wirt-
            Investment Plan dafür zu verwenden. 5 Bis zum Jahr                    schaftsgemeinschaft ECOWAS, die den Mitgliedstaaten
            2020 sollen 3,35 Milliarden Euro aus dem regulären
            EU-Budget und dem Europäischen Entwicklungsfonds
                                                                                    6 Europäische Kommission, Global Approach to Migration and
            als Startkapital zur Einwerbung von bis zu 44 Milliar-
                                                                                    Mobility, last update 20.3.2018,  (eingesehen am 20.3.2018).
            noch nicht gesicherten – finanziellen Unterstützung                     7 International Organization for Migration (IOM), Euro-
            für die Partnerländer verdeutlicht, dass die EU-Kom-                    African Dialogue on Migration and Development (Rabat Process),
                                                                                     (eingesehen am 10.10.2017).
                 Europäischen Migrationsagenda, COM (2017) 558, 27.9.2017,          8 Abdirahman Olow, Readmission, Genf: International
                 S. 22,  (eingesehen am                      Paper),  (eingesehen
                 5 Europäische Kommission, EU External Investment Plan. Fact        am 9.5.2017); IOM, EU-Horn of Africa Migration Route Initiative
                 Sheet, 7.12.2017,  (eingesehen
                 31.1.2018).                                                        am 10.10.2017).

            SWP Berlin
            Migrationsprofiteure?
            April 2018

            12
Migrationspolitische Kooperation Europas mit afrikanischen Staaten

grenzüberschreitende Mobilität ermöglicht. Konkrete                   schoben hat. In Reaktion auf die europäische »Flücht-
Ergebnisse hat der Dialog bisher kaum erzielt. In den                 lingskrise« des Jahres 2015 wurde Frontex im Oktober
Khartum-Prozess dagegen wird von Geberseite inves-                    2016 reformiert und mit zusätzlichen Kompetenzen
tiert, vorrangig aus Sicherheitsinteressen, 9 was sich in             und Ressourcen ausgestattet, ist aber weiterhin in
den EUTF-finanzierten Projekten am Horn von Afrika                    seiner operativen Arbeit auf die Kooperation der
widerspiegelt. Zwar soll das von der Gesellschaft für                 Mitgliedstaaten angewiesen. Mit Blick auf Partner-
Internationale Zusammenarbeit (GIZ) durchgeführte                     länder sind Frontex-Aktivitäten relevant, sofern
Programm »Better Migration Management« (BMM)                          Mitarbeiter der Agentur in Drittstaaten eingesetzt
dezidiert die Stärkung der Rechte von Flüchtlingen                    bzw. Vertreter der Partnerländer direkt in Frontex-
und MigrantInnen sowie den Schutz vor Gewalt, Aus-                    Operationen eingebunden werden. 10
beutung und Misshandlung bewirken. Zumindest
indirekt zielen die Maßnahmen aber auch auf die                              Die Hemmschwelle für die
Reduzierung irregulärer Migration (siehe den Beitrag                    migrationspolitische Kooperation der
zum Sudan, S. 47ff). Direkter zeigt sich dieser Wunsch                    EU mit autoritären und fragilen
beim Aufbau des Regional Operational Centre in Sup-                             Staaten ist gesunken.
port of the Khartoum Process and AU-Horn of Africa
Initiative (ROCK), das den Informationsaustausch                         Daneben sucht die EU ihren Außengrenzschutz
zwischen Sicherheitsinstitutionen befördern soll.                     und die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit
                                                                      Transitländern beispielsweise durch operative Akti-
Entwicklungen im Außengrenzschutz                                     vitäten im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens so-
                                                                      wie durch die Unterstützung der Sahel-G5-Gruppe
Der Schutz der EU-Außengrenzen ist, obschon ein                       für grenzüberschreitende Anti-Terror-Einsätze in
eigenständiger Politikbereich, ebenfalls eng mit der                  der Sahelzone zu verbessern. Die seit Frühjahr 2015
externen Migrationspolitik der EU verknüpft. Dass ein                 aktive EUNAVFOR MED Operation Sophia soll im
funktionierendes Grenzmanagement für eine Kon-                        Wesentlichen Schleppernetzwerke auf der zentralen
trolle der Zuwanderung unerlässlich ist, liegt auf der                Mittelmeerroute bekämpfen und seit September 2016
Hand. Gerade in migrationspolitischen Krisensituatio-                 auch entsprechende Kapazitäten der libyschen Küs-
nen stellen diesbezügliche Investitionen angesichts                   tenwache und Marine aufbauen. Die Hemmschwelle
divergierender Haltungen der EU-Mitgliedstaaten zur                   der EU und ihrer Mitgliedstaaten, im Zuge der Migra-
Zuwanderung daher häufig den kleinsten gemein-                        tionskontrolle mit autoritären und fragilen Staaten
samen Nenner dar, auf den sich alle einigen können.                   zusammenzuarbeiten, ist, das zeigen diese sicher-
   Die europäische Grenzschutzagentur Frontex, im                     heitspolitischen Operationen, in den vergangenen
Jahr 2004 gegründet, unterstützt die Mitgliedstaaten                  Jahren gesunken.
bei der operativen Kontrolle der EU-Außengrenzen                         Seit 2015, als die EU-Migrationsagenda faktisch
sowie bei der Rückführung irregulärer MigrantInnen                    den GAMM abgelöst und zu einer Anpassung der
und abgelehnter AsylbewerberInnen. Dazu dienen                        politischen Schwerpunkte und Instrumente an die
unter anderem die Marineoperationen im Mittelmeer,                    innenpolitischen Bedürfnisse der europäischen Ziel-
deren Schwerpunkt sich im Laufe der Jahre vom west-                   länder – in Richtung Restriktion von Zuwanderung
lichen zum östlichen und zentralen Mittelmeer ver-
                                                                        10 Mit den in dieser Sammelstudie untersuchten Län-
  9 Schon vor Gründung des Khartum-Prozesses im Jahr 2014               dern haben sich folgende Kooperationen ergeben oder sind
  gab es im Rahmen der »Horn of Africa«-Initiative der Afrika-          geplant: Im Rahmen eines von 2014 bis 2016 laufenden
  nischen Union (AU) einen regionalen Dialog zu Migra-                  Pilotprojekts hat Frontex in Marokko für sein Konzept des
  tionsfragen, dessen primär rechtebasierte Ausrichtung aber            integrierten Grenzmanagements geworben. Darüber hinaus
  durch die stärker sicherheitspolitisch orientierte Perspektive        befindet sich die Agentur mit Niger, Marokko und Ägypten
  des Khartum-Prozesses überlagert wurde. Vgl. Tuesday                  in Verhandlungen über formalisierte »working arrange-
  Reitano, The Khartoum Process. A Sustainable Response to Human        ments«. Im Kontext der Africa-Frontex Intelligence Commu-
  Smuggling and Trafficking?, Pretoria: Institute for Security Stu-     nity (AFIC) arbeitet Frontex mit allen sechs hier untersuchten
  dies (ISS), November 2016 (ISS Policy Brief, Nr. 93), 
  (eingesehen am 10.10.2017).                                           (eingesehen am 15.12.2017).

                                                                                                                          SWP Berlin
                                                                                                                Migrationsprofiteure?
                                                                                                                           April 2018

                                                                                                                                   13
David Kipp / Anne Koch

            – geführt hat, ist mithin eine Vielzahl an Instrumen-                zu finanziellen Anreizen geht indes gerade in Bezug
            ten und Kooperationsmöglichkeiten entstanden. Doch                   auf die nordafrikanischen Staaten eine Abkehr von
            deren jeweiliger Stellenwert wird den Partnerländern                 der zuvor prominenten Transformationsagenda und
            nicht klar vermittelt, was die Zusammenarbeit er-                    ihrem Fokus auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
            schwert und einem kohärenten Gesamtansatz im                         einher. Paradebeispiel ist die (Migrations-)Kooperation
            Wege steht.                                                          mit Ägypten (siehe den Beitrag zu Ägypten, S. 60ff).
                                                                                    Innerhalb der EU-Kommission sind die General-
                                                                                 direktionen Inneres (DG HOME), Nachbarschaft und
            Zentrale Akteure und ihre Interessen                                 Erweiterung (DG NEAR) sowie Internationale Zusam-
                                                                                 menarbeit und Entwicklung (DG DEVCO) zentral für
            Das Engagement der EU für die migrationspolitische                   die Ausgestaltung der gemeinschaftlichen Migrations-
            Kooperation mit Drittstaaten hat im vergangenen                      politik. Der DG HOME ist es gelungen, sich über ihr
            Jahrzehnt stetig zugenommen. Doch die Situation                      eigentliches Themengebiet Inneres hinausgehend
            ist gekennzeichnet durch komplexe Aushandlungs-                      auch die externe Dimension der Migrationspolitik
            prozesse zwischen EU-Institutionen, Mitgliedstaaten,                 schrittweise anzueignen und mithilfe der migrations-
            internationalen Organisationen und Durchführungs-                    politischen Rahmenwerke GAMM und Europäischer
            organisationen, die häufig widersprüchliche Ziele                    Migrationsagenda die strategische Ausrichtung der
            verfolgen. Versuchen die EU-Institutionen, durch                     entsprechenden Kooperation mit Drittstaaten maß-
            Setzung des politischen Rahmens und unterschied-                     geblich zu prägen. 13 Die in diesem Politikfeld knappe
            liche Finanzierungsinstrumente Einfluss auszuüben,                   finanzielle Ausstattung der Generaldirektion stand
            ist der tatsächliche Dialog mit Drittländern meist                   dazu allerdings lange Zeit in einem Missverhältnis.
            durch eine informelle Arbeitsteilung geprägt: Wer                    Nach wie vor stammt der überwiegende Teil der
            unter den EU-Mitgliedstaaten historisch enge Ver-                    Gelder für die migrationspolitische Kooperation
            bindungen zu bestimmten Partnerländern hat, wird                     mit Drittstaaten von DG NEAR und DG DEVCO, die
            dort auch besonders aktiv. In der Umsetzung von                      dadurch bei der Gestaltung und Umsetzung der poli-
            Projekten konkurrieren immer häufiger nationale                      tischen Rahmenwerke nach eigenen Prioritäten vor-
            Durchführungsorganisationen mit internationalen                      gehen konnten – allerdings um den Preis inkohären-
            Organisationen, die traditionell für migrations-                     ter Zielvorstellungen und daraus resultierender gerin-
            politische Dienstleitungen beauftragt wurden.                        ger Wirksamkeit. 14 Erst im aktuellen Mehrjährigen
                                                                                 EU-Finanzrahmen (2014–2020) wurden mit dem
            EU-Institutionen: Ringen um Kohärenz                                 Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) und
                                                                                 dem Internen Sicherheitsfonds (ISF) zwei neue Förder-
            Rechtlich und politisch stehen der EU-Kommission                     instrumente geschaffen, mit deren Hilfe DG HOME
            lediglich Instrumente mit beschränkter Reichweite                    nun nicht nur EU-interne Programme, sondern auch
            zur Verfügung. Ihren Gestaltungsanspruch sucht sie                   migrationspolitische Vorhaben außerhalb der EU
            daher über verschiedene Finanzierungsinstrumente                     finanzieren kann. 15
            geltend zu machen. 11 Allein in den Jahren 2015 bis
            2017 wurden die für EU-Institutionen verfügbaren
                                                                                   migration/20170927_communication_on_the_delivery_of_
            Gelder im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integra-                   the_eam_en.pdf> (eingesehen am 5.2.2018).
            tionsfonds sowie der einschlägigen EU-Agenturen                        13 Sergio Carrera/Raluca Radescu/Natasja Reslow, EU Exter-
            um 75 Prozent aufgestockt. 12 Mit dieser Hinwendung                    nal Migration Policies. A Preliminary Mapping of the Instruments,
                                                                                   the Actors and their Priorities. Report Prepared for the FP7
                 11 Leonhard den Hertog, Money Talks. Mapping the Funding          Project »Transnational Migration in Transition: Transforma-
                 for EU External Migration Policy, Brüssel: Centre for Euro-       tive Characteristics of Temporary Mobility of People« (EURA-
                 pean Policy Studies (CEPS), 15.11.2016,  (eingesehen am 19.3.2018).                      externe Migration in Ländern des südlichen Mittelmeerraums und
                 12 Europäische Kommission, Communication on the Delivery          der östlichen Nachbarschaft bis 2014, Luxemburg 2016,
Migrationspolitische Kooperation Europas mit afrikanischen Staaten

   Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) hat in                 stammen 2,3 Milliarden aus dem von DG DEVCO ver-
der externen Migrationspolitik ebenfalls an Bedeu-                walteten Europäischen Entwicklungsfonds (EEF), der
tung gewonnen. Ihm kommt die Aufgabe zu, die Dia-                 als Sonderkonstruktion nicht Teil des regulären Haus-
loge mit Drittstaaten, etwa im Rahmen der Migra-                  halts ist. 17 Alle weiteren Mittel sind dem regulären
tionspartnerschaften, zu koordinieren und als Bin-                Haushalt entnommen: 313 Millionen Euro dem eben-
deglied zu den Initiativen der Mitgliedstaaten zu                 falls von DEVCO verwalteten Finanzierungsinstrument
wirken. Dank der Entsendung von Migrationsattachés                für Entwicklungszusammenarbeit (DCI), 226 Millionen
in die EU-Delegationen soll der EAD zukünftig die                 Euro steuern DG NEAR, 77 Millionen Euro DG HOME,
Umsetzung der jeweiligen Partnerschaften stärker                  50 Millionen die Generaldirektion Humanitäre Hilfe
überprüfen. Gleichzeitig ist er im Rahmen der Ge-                 und Katastrophenschutz (DG ECHO) bei. 18 Das Zusam-
meinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik                   menführen der verschiedenen EU-Finanzinstrumente
(GSVP) für sicherheitspolitische Aspekte der externen             hat den Vorteil, dass die Kohärenz der EU-Politik ins-
Migrationsagenda verantwortlich. Das betrifft bei-                gesamt gestärkt werden kann. Als nachteilige Folgen
spielsweise die Bekämpfung von Schleuserorganisa-                 benennt das Europaparlament indes die Tatsache, dass
tionen im Rahmen der EU-Kapazitätsaufbau-Mission                  die neuen migrationspolitischen Instrumente und Ab-
in Niger (siehe den Beitrag zum Niger, S. 36ff) und der           kommen weitgehend seiner Kontrolle entzogen und
EUNAVFOR MED Operation Sophia.                                    zu stark von den Wünschen und Bedürfnissen der
                                                                  einzelnen Mitgliedstaaten dominiert würden. 19
    Der EUTF für Afrika verschafft der
       EU mehr Flexibilität, auf die                              EU-Mitgliedstaaten:
     dynamischen Entwicklungen der                                Fokus auf Eigeninteressen
    Wanderungsrouten zu reagieren.
                                                                  Seit dem Jahr 2015 wird die externe EU-Migrations-
   Als im Rahmen der »Flüchtlingskrise« die Erwar-                politik zunehmend auf höchster politischer Ebene
tungen an die EU stiegen, durch Abkommen mit                      verhandelt. Geprägt wird die Agenda von den (nach
wichtigen Herkunfts- und Transitländern irreguläre                dem Brexit verbleibenden) vier größten 20 EU-Mitglied-
Migration einzuschränken, reagierte die Gemein-                   staaten Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien.
schaft mit dem Ausbau und der Flexibilisierung ihrer              Diese vier Staaten haben zudem besondere histori-
Fördermittel. Der EUTF für Afrika verschafft den EU-
Institutionen einen größeren Spielraum, um auf                      17 Der EEF, das Finanzierungsinstrument des Abkommens
dynamische Entwicklungen der Wanderungsrouten                       von Cotonou, fördert Maßnahmen in den Afrika-, Karibik-
zu reagieren. 63 Prozent der EUTF-Mittel fließen in                 und Pazifik-Staaten (AKP-Staaten). Bisher intergouvernemen-
Entwicklungsprojekte, 22 Prozent in Projekte mit dem                tal verabschiedet, wird der Fonds zum Großteil von der Kom-
Schwerpunkt Migrationsmanagement, und 14 Pro-                       mission verwaltet. Mehrfach wurde in der Vergangenheit
zent werden für sicherheitspolitische und friedens-                 bereits die Integration des EEF in den regulären Haushalt
                                                                    diskutiert. Wie der EEF nach 2020 aufgestellt wird, hängt
konsolidierende Maßnahmen verwendet. 16 Da der
                                                                    von den Verhandlungen über den Mehrjährigen Finanz-
Fonds als Notfallmechanismus außerhalb des regu-
                                                                    rahmen sowie über den Brexit ab. Zudem läuft der Cotonou-
lären EU-Budgets angesiedelt ist, hebelt er zudem
                                                                    Vertrag im Jahr 2020 aus und wird ab September 2018
die strikten EU-Vergabeverfahren aus.                               zwischen der EU und den AKP-Staaten neu verhandelt.
   Die EU-Kommission hat ihre Beiträge zum EUTF                     18 Europäische Kommission (Hg.), EU Contributions Pledged,
aus unterschiedlichen Haushaltsmitteln bis März                     März 2018,  (eingesehen
Finanzierungsanteil von 88 Prozent entspricht. Davon                am 19.3.2018).
                                                                    19 Vgl. Europäisches Parlament, Bewältigung von Flüchtlings-
                                                                    und Migrantenströmen: Die Rolle des auswärtigen Handelns der
  16 Elise Kervyn/Raphael Shilhav, An Emergency for Whom?           EU, Entschließung vom 5.4.2017, Punkt 70,  (eingesehen
  (Oxfam Briefing Note),  (eingesehen am 16.11.2017).       produkt im Jahr 2016.

                                                                                                                    SWP Berlin
                                                                                                          Migrationsprofiteure?
                                                                                                                     April 2018

                                                                                                                             15
David Kipp / Anne Koch

            sche oder nachbarschaftliche Beziehungen zu einer                        nicht mehr der Zustimmung der Mitgliedstaaten in
            ganzen Reihe von Partnerländern auf dem afrika-                          den dafür vorgesehenen Fachausschüssen. 25
            nischen Kontinent, die für die Frage der irregulären
            Zuwanderung von Bedeutung sind. Die spanisch-                                  Die informelle Arbeitsteilung
            marokkanische Zusammenarbeit gilt in dieser Hin-                               zwischen EU-Kommission und
            sicht geradezu als Musterbeispiel (siehe den Beitrag                         Mitgliedstaaten trägt zur Dynamik
            zu Marokko und Algerien, S. 23ff). 21 Frankreich und                         der externen Migrationspolitik bei.
            Italien sind vor allem in jenen Ländern aktiv, die aus
            ihren ehemaligen Kolonialgebieten hervorgegangen                            Die dynamische Entwicklung der externen Migra-
            sind. Seit dem Jahr 2015 engagiert sich auch Deutsch-                    tionspolitik geht gleichwohl auf Einzelinitiativen der
            land verstärkt bilateral, etwa in Niger, im Sudan, in                    Mitgliedstaaten zurück. Neben Deutschlands wich-
            Eritrea und Ägypten (siehe die Beiträge zu Niger,                        tiger Rolle beim Zustandekommen des EU-Türkei-
            S. 36ff, zu Sudan und Eritrea, S. 47ff, und zu Ägyp-                     Abkommens 26 verdeutlichen dies die von Italien
            ten, S. 60ff). Andere Mitgliedstaaten beschränken sich                   getroffenen Vereinbarungen mit der libyschen Ein-
            auf Maßnahmen zur Stärkung der EU-Außengrenzen.                          heitsregierung. Das Memorandum of Understanding
            Das betrifft etwa die osteuropäischen Länder.                            vom Februar 2017 bezieht sich explizit auf die Vor-
               Ihre Einflussmöglichkeiten suchen die Mitglied-                       läufervereinbarung Italiens mit dem Gaddafi-Regime
            staaten dadurch zu optimieren, dass auf ihr Drängen                      aus dem Jahr 2008 und steht damit beispielhaft für
            42 Prozent der Fördermittel aus dem EUTF für Afrika                      die informelle Arbeitsteilung zwischen EU-Mitglied-
            an nationale Durchführungsorganisationen vergeben                        staaten und EU-Kommission, da die EU die bilaterale
            wurden 22 – während die Bereitschaft, den Nothilfe-                      Initiative mit flankierenden Maßnahmen unter-
            fonds selbst mit zusätzlichen Mitteln zu unterstützen,                   stützt. 27 Der migrationspolitische Gipfel in Paris, bei
            entgegen der ursprünglichen Zusagen zu wünschen                          dem im August 2017 die Staats- und Regierungschefs
            übrig lässt. Laut EU-Kommission wird der EUTF wie                        Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Spaniens mit
            erwähnt zu 88 Prozent der EUTF-Mittel aus dem EU-                        Vertretern aus Libyen, Tschad und Niger zusammen-
            Haushalt finanziert. 23 Kritiker sehen darin die Ver-                    trafen, lässt erwarten, dass die vier größten EU-Mit-
            einnahmung von EU-Geldern zum Zwecke einer Re-                           gliedstaaten ihre Koordinationsbemühungen noch
            nationalisierung der EU-Entwicklungspolitik, 24 die                      vertiefen werden, um die Zahl der migrations-
            Mitgliedstaaten hingegen monieren, dass die EU-Kom-                      politischen Partnerschaftsabkommen mit wichtigen
            mission mit dem EUTF ihre Kompetenzen ausweite.                          Herkunfts- und Transitländern auszuweiten.
            Denn für die Verwendung der Fördermittel bedarf es

                 21 Sergio Carrera/Jean-Pierre Cassarino/Nora El Qadim/
                 Mehdi Lahlou/Leonhard den Hertog, EU-Morocco Cooperation on           25 Gemeint ist hier das Ausschussverfahren (Komitologie),
                 Readmission, Borders and Protection. A Model to Follow?, Brüssel:     mit dessen Hilfe die Mitgliedstaaten den Erlass von Durch-
                 CEPS, Januar 2016 (CEPS Paper in Liberty and Security in              führungsrechtsakten durch die EU-Kommission gemäß
                 Europe, 87),  (eingesehen am 1.2.2018).
                 22 Europäische Kommission (Hg.), 2017 Annual Report.                  26 Robin Alexander/Manuel Bewarder/Christoph Schlitz
                 EU Trust Fund for Africa, März 2018, 
                 Fund for Africa: EU MS and Other Donors Contributions (Pledges        (eingesehen am 13.11.2017).
                 and Received Contributions), 19.3.2018,  (eingese-          ities, Libyan Realities, Oktober 2017,  (eingesehen am 5.10.2017).

            SWP Berlin
            Migrationsprofiteure?
            April 2018

            16
Migrationspolitische Kooperation Europas mit afrikanischen Staaten

Konkurrenz zwischen nationalen                                        te ab – nur 22 Prozent der bisher vergebenen EUTF-
Durchführungsorganisationen und                                       Mittel gingen an NGOs. Diese Entwicklung stützt die
internationalen Organisationen                                        These einer Renationalisierung dieses Politikfeldes.
                                                                      Die meisten Finanzmittel aus dem EUTF fließen
Internationale Organisationen spielen in der externen                 an Durchführungsorganisationen aus Frankreich,
EU-Migrationspolitik ebenfalls eine Rolle. Geht es                    Deutschland, Spanien und Großbritannien. Drei fran-
um die humanitäre Versorgung und Registrierung                        zösische Durchführungsorganisationen sind vor allem
von Flüchtlingen, ist das UN-Flüchtlingskommissariat                  in der Sahel-Region aktiv und erhalten gemeinsam
(UNHCR) der wichtigste Partner. Die Internationale                    13 Prozent der bisher ausgezahlten EUTF-Gelder; die
Organisation für Migration (IOM) bietet ein breites                   Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)
Spektrum an Dienstleistungen: Informationskampag-                     engagiert sich verstärkt am Horn von Afrika und in
nen, Programme zur Unterstützung von Rückkehrern                      Nordafrika und bekommt etwa 10 Prozent (siehe den
oder Beratung von Partnerländern bei der Ausarbei-                    Beitrag zu Sudan und Eritrea, S. 47ff).
tung migrationsbezogener Gesetzgebung. Darüber
hinaus fungiert sie als Sekretariat für viele regionale
Dialogprozesse, an denen sich die EU beteiligt. Das                   Strategien der externen
weniger bekannte International Centre for Migration                   EU-Migrationspolitik
Policy Development (ICMPD), das die Europäisierung
des Politikfeldes Migration seit den 1990er Jahren                    Der fragmentierte Charakter der externen EU-Migra-
entscheidend mit vorangetrieben hat, 28 erfüllt einige                tionspolitik ist wie gezeigt das Produkt eines kom-
vergleichbare Funktionen; derzeit verwaltet es für                    plexen Aushandlungsprozesses zwischen einer Viel-
DG HOME die Mittel, welche die Partnerländer zur                      zahl von Akteuren. Ist es der EU angesichts dessen
Umsetzung der Mobilitätspartnerschaften und CAMMs                     überhaupt möglich, in diesem Politikfeld strategisch
befähigen sollen (Mobility Partnership Facility). 29 Im               zu agieren? Und, wenn ja, in welchem Ausmaß?
Rahmen des EUTF für Afrika werden internationale                      Drei strategische Elemente lassen sich ausmachen:
Organisationen jedoch nur mit etwa 30 Prozent der                     (1) die diskursive Einbettung der eingangs erwähnten
Projekte beauftragt, nationale Durchführungsorgani-                   Trends, den Fokus der Aktivitäten auf den afrika-
sationen hingegen bevorzugt. Statt formelle Vergabe-                  nischen Kontinent zu verschieben und migrations-
verfahren zu nutzen, können die Mitgliedstaaten in                    politischen Interessen auch in anderen Politikberei-
Abstimmung mit der EU-Kommission ihre Projekt-                        chen Vorrang einzuräumen, in das Narrativ der
vorschläge direkt durch ihre Umsetzungsorganisatio-                   »Fluchtursachenminderung«; (2) die Kopplung von
nen ausarbeiten lassen. Internationale Organisationen                 Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit an
haben aber weiterhin den Vorteil, dass sie schneller                  die Bedingung migrationspolitischer Kooperation;
und leichter in Ländern aktiv werden können, die                      (3) die Tendenz zur Informalisierung der externen EU-
aufgrund von gewaltsamen Konflikten oder Men-                         Migrationspolitik durch Entwicklung von migrations-
schenrechtsverletzungen als politisch sensibel gelten.                politischen Instrumenten außerhalb der Gemein-
Hieraus ergeben sich regionale Unterschiede bei                       schaftsmethode.
der Mittelvergabe: So greift die EU in den Regional-
fenstern Nordafrika und Horn von Afrika deutlich                      Narrativ der Fluchtursachenminderung
häufiger als im Regionalfenster Sahel auf die Exper-
tise von UN-Organisationen zurück.                                    Während der 1990er und frühen 2000er Jahre kon-
   Auch die Relevanz zivilgesellschaftlicher Organi-                  zentrierte sich die externe EU-Migrationspolitik auf
sationen für die Umsetzung der externen EU-Migra-                     die östliche europäische Nachbarschaft; europäische
tionspolitik nimmt im Rahmen der neuen Instrumen-                     Interessen im Bereich Außengrenzschutz wurden
                                                                      dabei häufig im Rahmen laufender oder anvisierter
                                                                      EU-Beitrittsverhandlungen diskutiert. Diese Konstella-
  28 Sabine Hess, »›We Are Facilitating States!‹ An Ethno-            tion stärkte die EU-Position und ermöglichte unter
  graphic Analysis of the ICMPD«, in: Martin Geiger (Hg.), The
                                                                      anderem den Abschluss rechtlich bindender Rück-
  Politics of International Migration Management, Basingstoke u.a.:
                                                                      übernahmeabkommen mit vielen osteuropäischen
  Palgrave Macmillan, UK, 2010, S. 96–118.
                                                                      Staaten. Im Zuge der wachsenden irregulären Zu-
  29 Den Hertog, Money Talks [wie Fn. 11], S. 17.
                                                                      wanderung über das Mittelmeer und der damit ver-

                                                                                                                       SWP Berlin
                                                                                                             Migrationsprofiteure?
                                                                                                                        April 2018

                                                                                                                               17
David Kipp / Anne Koch

            bundenen Todesfälle, durch die das Thema in den                            mit einer Konditionalisierung migrationsbezogener
            Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit rückte,                        EZ einher. Zentral sind hierbei die Themen Rück-
            veränderte sich der Tenor: Nun trat das Narrativ der                       übernahme und verbessertes Migrations- und Grenz-
            »Fluchtursachenminderung« in den Vordergrund.                              management. Auf der einen Seite gibt es eine direkte
            Spätestens seit dem Valletta-Gipfel europäischer und                       Konditionalisierung. Schon mit den EU-Mobilitäts-
            afrikanischer Regierungschefs im Herbst 2015, der                          partnerschaften wurde das Prinzip »more for more«
            zur Einrichtung des EUTF führte, wird ein Großteil                         verfolgt: Kooperatives Verhalten der Partnerländer bei
            der migrationspolitischen Kooperation mit Drittstaa-                       der Rückübernahme abgelehnter AsylbewerberInnen
            ten unter diesem Sammelbegriff zusammengefasst.                            bzw. irregulärer MigrantInnen sollte mit einem Ent-
            Diskursiv ist das Schlagwort wirkmächtig, weil es sug-                     gegenkommen im Bereich Visaliberalisierung und
            geriert, das »Übel« unregulierter grenzüberschreiten-                      legaler Zuwanderungswege belohnt werden. Diese
            der Wanderungsbewegungen werde an der Wurzel                               Idee krankt allerdings daran, dass die EU im Bereich
            gepackt. In der Praxis mangelt es allerdings häufig                        legaler Migration nur sehr begrenzte Kompetenzen
            an einer Unterscheidung zwischen strukturellen und                         hat. Dies schwächt die Verhandlungsposition der
            akuten Fluchtursachen, freiwilligen und unfreiwilli-                       Gemeinschaft, solange es an substantiellen Angebo-
            gen Wanderungen sowie primären und sekundären                              ten ihrer Mitgliedstaaten fehlt, dank deren sich die
            Fluchtbewegungen. 30                                                       Idee des »more for more« mit Inhalt füllen ließe.
               Im Zusammenhang mit der Konzentration der                                  Die europäischen Bemühungen um eine effizien-
            europäischen Regierungen auf die Reduzierung der                           tere Rückkehrpolitik haben sich in den vergangenen
            Zuwanderungszahlen führt diese konzeptionelle Un-                          Jahren noch verstärkt. Entsprechende Verhandlungen
            schärfe dazu, dass Gelder der Entwicklungszusam-                           sind jedoch langwierig und scheitern häufig an den
            menarbeit (EZ) immer häufiger in den Dienst der                            anders gelagerten innenpolitischen Interessen der
            »Fluchtursachenminderung« gestellt werden. Das ist                         afrikanischen Partnerländer. 31 Ein zentraler Streit-
            gefährlich: Die Möglichkeiten der EZ, Wanderungs-                          punkt ist die Forderung der Europäer, dass die Part-
            bewegungen zu reduzieren, werden dadurch mit                               nerländer auch Drittstaatsangehörige, die durch ihr
            überhöhten Erwartungen befrachtet, längerfristige                          Territorium in die EU gereist sind, zurücknehmen
            strukturbildende Maßnahmen durch kurzfristige                              sollen – ein Ansinnen, das insbesondere für wichtige
            Maßnahmen der Migrationsverhinderung ersetzt und                           Transitstaaten wie Marokko innenpolitisch hochpro-
            überdies Prinzipien sowohl der humanitären Hilfe                           blematisch und deshalb aus strategischer Perspektive
            als auch der Entwicklungszusammenarbeit verwässert.                        nicht zielführend ist (siehe den Beitrag zu Marokko
            Die Hemmschwelle für eine Zusammenarbeit mit                               und Algerien, S. 23ff). Forderungen nach entwick-
            autoritären Regimen ist spürbar gesunken. Zusam-                           lungspolitischen Sanktionen für mangelnde Koopera-
            mengenommen geben all diese Faktoren Anlass zu                             tion im Bereich Rückübernahme (»less for less«) wer-
            der Befürchtung, dass sich die unter dem Schlagwort                        den zwar sowohl im nationalen als auch im euro-
            Fluchtursachenminderung initiierten Maßnahmen                              päischen Kontext immer wieder erhoben, konnten
            auf die Bekämpfung der Symptome beschränken –                              sich aber bislang nicht durchsetzen. Ihre handels-
            in erster Linie der irregulären Zuwanderung nach                           politische Macht nutzt die EU Untersuchungen zu-
            Europa.

            Konditionalisierung
            migrationsbezogener EZ                                                       31 Vgl. u.a. Natasja Reslow, »EU ›Mobility‹ Partnerships:
                                                                                         An Initial Assessment of Implementation Dynamics«, in:
            Die Unterordnung entwicklungspolitischer Ziele                               Politics and Governance, 3 (2015) 2, S. 117–128 (125); Sadio
            unter die Maxime der Fluchtursachenminderung geht                            Soukouna, L’Échec d’une coopération franco malienne sur les migra-
                                                                                         tions: Les logiques du refus malien de signer, Mémoire de Master 2
                                                                                         Science Politique, Mention Relations Internationales, April
                 30 Steffen Angenendt/Anne Koch, »Fluchtursachenbekämp-                  2011,  (eingesehen am 5.3.2018); Stephan Dünnwald,
                 Volker Perthes (Hg.), Ausblick 2016: Begriffe und Realitäten inter-     »Remote Control? Europäisches Migrationsmanagement in
                 nationaler Politik, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik,          Mauretanien und Mali«, in: movements. Journal für kritische
                 Januar 2016, S. 41–44.                                                  Migrations-und Grenzregimeforschung, 1 (2015) 1, S. 21–23.

            SWP Berlin
            Migrationsprofiteure?
            April 2018

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