Mikko Franck Leif Ove Andsnes & - NDR
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Mikko Franck & Leif Ove Andsnes Donnerstag, 01.12.22 — 20 Uhr Freitag, 02.12.22 — 20 Uhr Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal
M IKKO FR ANCK Dirigent LEIF OVE ANDSNES Klavier NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER Einführungsveranstaltungen mit Julius Heile jeweils um 19 Uhr im Großen Saal der Elbphilharmonie Das Konzert am 02.12.22 wird live auf NDR Kultur gesendet. Der Audio-Mitschnitt bleibt im Anschluss online abrufbar.
M AG N U S L I N D B E R G (*195 8) Serenades for orchestra Entstehung: 2020 | Uraufführung: Chicago, 2. Dezember 2021 | Dauer: ca. 15 Min. E D VA R D G R I EG (1 8 4 3 – 19 07) Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 16 Entstehung: 1868 | Uraufführung: Kopenhagen, 3. April 1869 / Dauer: ca. 30 Min. I. Allegro molto moderato II. Adagio – attacca: III. Allegro moderato molto e marcato – Quasi Presto – Andante maestoso Pause R I C H A R D S T R AU S S (1 8 6 4 – 19 49) Also sprach Zarathustra Tondichtung frei nach Friedrich Nietzsche für großes Orchester op. 30 Entstehung: 1894–96 | Uraufführung: Frankfurt am Main, 27. November 1896 | Dauer: ca. 35 Min. Einleitung – Von den Hinterweltlern – Von der großen Sehnsucht – Von den Freuden und Leidenschaften – Das Grablied – Von der Wissenschaft – Der Genesende – Das Tanzlied – Nachtwandlerlied R O L A N D G R E U T T E R Solo-Violine Ende des Konzerts gegen 22.15 Uhr
MAGNUS LINDBERG Serenades Klangfarbenzauber mit strahlendem Blech Magnus Lindberg, „eine der wichtigsten Stimme des 21. Jahrhunderts“ („The Times”), gehört zu den weltweit bekanntesten und erfolgreichsten Gegenwartskompo- nisten. Mit seinen Werken, die sich durch eine faszi- nierende Klangdichte, überbordende Vitalität und eine hochvirtuose Instrumentation auszeichnen, ist es ihm gelungen, nicht nur bei Spezialisten für Neue Musik, sondern auch beim breiten Konzertpublikum großen Zuspruch zu finden. Immer wieder bedient er sich Magnus Lindberg Kompositionstechniken, die in der Tradition der klas- sischen Moderne fest verankert sind – nicht umsonst Es ist in der Musik erwähnt der Finne, wenn er nach stilistischen Bezugs- punkten befragt wird, immer wieder Igor Strawinsky. der Ausdruck, der sie mitteilsam Lindberg hat seine besondere Fähigkeit, mit der breit gefächerten Klangfarbenpalette großer Besetzungen in macht. Es geht virtuosester Weise umzugehen, oft bewiesen: „Das nicht darum, ein Orchester“, sagt er, „ist mein Lieblingsinstrument“. Letzteres zeigt sich auch in „Serenades“, einem vielfar- Manifest zu ver- big schimmernden, mit großem Schlagwerk besetzten lesen. Musik hat Orchesterstück, das am 2. Dezember 2021 beim Chicago Symphony Orchestra unter Hannu Lintu erfolgreiche mit Emotionen zu Premiere hatte. Obwohl der Werktitel an die unterhalt- tun! Sie ist ein same, pastorale Serenadentradition aus der Mozartzeit denken lässt, scheint Lindbergs zerklüftete Partitur mit Erlebnis. ihrem vorherrschend angespannten, explosiven Stil die Magnus Lindberg historischen Modelle geradezu ins Gegenteil zu verkeh- ren – abgesehen von einigen lyrischen Passagen, die allerdings eher von kurzer Dauer sind. Denn in diesem 4
MAGNUS LINDBERG Serenades turbulenten Werk lauern elementare Kräfte, die immer SERENADE wieder eruptiv an die brodelnde Oberfläche kommen. Die Musik lässt dabei teilweise an eine ins 21. Jahrhun- „Serenade“, „Divertimento“, „Cassation“ und „Nachtmu- dert versetzte Variante des größten finnischen Sinfoni- sik“: Sie alle bezeichnen von kers denken – Sibelius in der Zeitmaschine –, bzw. an Wolfgang Amadeus Mozart die ambivalente schwarze Romantik der Mittelsätze und seinen Zeitgenossen teils synonym verwendete freie aus Gustav Mahlers Siebenter Sinfonie, in denen das Formtypen der im 18. Jahr- Bedrohliche der Nacht im Zentrum steht. hundert weit verbreiteten gesellschaftsgebundenen Unterhaltungsmusik. Ihrer „Serenades“, ein einsätziges Werk von rund 15 Minuten Funktion nach waren der- Aufführungsdauer, beginnt mit einem imposanten artige Stücke abendliche oder Bläserthema, das über changierendem Klangteppich nächtliche Freiluft- oder Huldigungsmusiken und der Streicher eingeführt wird. Nach wenigen Takten wurden zu den unterschied- kommt es zu einer Tempobeschleunigung, die in einen lichsten Gelegenheiten ersten Ausbruch von Blechbläsern und Pauken mün- gespielt: Neben der festlichen Begleitung von Banketten det, gefolgt von spannungsvoll zurückgenommenen oder einer musikalischen Passagen, in denen Blechbläserfanfaren und Holzblä- Untermalung von Schlitten- serskalen Akzente setzen. Auf halbem Weg beruhigt oder Bootsfahrten waren „Nachtmusiken“, Ständchen sich die Musik und mündet in einen scherzoartigen zu Hochzeit und Namenstag Abschnitt, bevor gegen Ende ein hochfliegendes Strei- oder „Finalmusiken“ zu cherthema endlich für echte Serenaden-Assoziationen Universitätsabschlussfeiern weit verbreitet. sorgt und das Ganze dann einem ruhigen Abschluss im Pianissimo entgegensteuert. „Serenades“ entstand im Auftrag des Chicago Sym- phony Orchestra, das als eines der großen Orchester der USA unter Chefdirigenten wie Georg Solti, Daniel Baren- boim, Bernard Haitink, Pierre Boulez und Riccardo Muti für seinen unverwechselbaren Blechbläserklang berühmt geworden ist – die Musiker*innen der „Brass section“ gehören traditionell zu den besten der Welt. Insofern überrascht es nicht, dass Lindberg „Serenades“ mit besonderem Blick auf Glanz und Virtuosität der Blechbläser geschrieben hat, die sich in diesem Stück tatsächlich in allerbestem Licht präsentieren können. Harald Hodeige 5
EDVARD GRIEG Klavierkonzert a-Moll op. 16 Schwarzbrot mit Kaviar „Bilde dir deine eigene Sprache. Du hast sie in dir.“ – Wie oft wohl mögen junge Musiker und Komponisten rund um den Globus schon Worte wie diese gehört haben? Die Nachahmung heiß geliebter und eifrig stu- dierter Vorbilder zu überwinden und einen individuel- len Stil zu finden, ist der zweifellos wichtigste, aber auch schwierigste Schritt auf der Karriereleiter eines Künstlers. Doch nicht immer können oder wollen gelehrte Professoren, gutmeinende Lehrer und viel- Edvard Grieg leicht noch seltener ehrgeizige Schüler selbst dieses ZUTIEFST MENSCHLICH „Eigene“ entdecken. Im Fall des Norwegers Edvard Grieg etwa wurden die zitierten Worte nicht am altehr- In seiner von zarter Melancholie würdigen Leipziger Konservatorium gesprochen, sie durchdrungenen Musik, in der fielen auch nicht im ersten Klavierunterricht bei der sich gleichsam die Schönheiten der bald großartig erhabenen, Mutter und schon gar nicht im Kopf des werdenden bald verhangenen, bald kargen, Komponisten. Es waren die Besuche beim „Paganini aber für den Nordländer stets des Nordens“, seinem frühen Förderer Ole Bull im hei- unaussprechlich reizvollen norwegischen Natur widerspie- matlichen Bergen, die Grieg nach seiner Lehrzeit in geln, hören wir Russen heimat- Deutschland die Augen öffneten: „Nachdem Ole Bull liche, verwandte Töne, die uns ein von mir komponiertes Klavierstück gehört hatte, ans Herz rühren. Mag Grieg viel weniger Meisterschaft besitzen das den Einfluss Niels Wilhelm Gades [eines däni- als Brahms, mag er weniger schen, aber stark von der Leipziger Schule um Felix hochfliegende Pläne verfolgen Mendelssohn Bartholdy geprägten Komponisten] deut- und auch keinen Anspruch auf abgründige Tiefsinnigkeit lich zeigte“, erinnerte sich Grieg später an den Sommer erheben, so ist er uns doch 1864, „sagte er zu mir: ‚Edvard, diese Richtung ist nicht verständlicher und innerlich der dir vorgezeichnete Weg. Wirf diesen Einfluss über verwandter, denn er ist zutiefst menschlich. Bord. Schreibe Musik, die deine Heimat ehrt, schaffe eine echt norwegische Atmosphäre’ … Die Schuppen Peter Tschaikowsky in seinen fielen mir von den Augen. Ich befolgte den Rat und ent- „Erinnerungen“ wickelte den für mich charakteristischen Stil.“ Der Geiger Ole Bull war ein Wegbereiter für die Ent- deckung norwegischer Folklore im klassischen 6
EDVARD GRIEG Klavierkonzert a-Moll op. 16 Konzertsaal gewesen. Aber erst Edvard Grieg setzte VOLLER APPL AUS seine Heimat auf die internationale Landkarte der Kunstmusik. Seine historische Errungenschaft ist es, Am Sonnabend erklang Ihr göttliches Konzert im großen den Charakter der Melodien und Rhythmen Norwe- Saal des Casinos. Ich feierte gens auf dem „Umweg“ großer Orchester- und Klavier- dabei einen wahrhaftig groß- stücke in die wichtigsten Musikhallen der Welt und in artigen Triumph. Schon nach der Kadenz im ersten Teil brach die Wohnzimmer aller Kontinente gebracht zu haben. im Publikum ein wahrer Sturm Seit den 1870er Jahren rissen sich die Verleger förm- aus. Die drei gefährlichen lich um seine geliebten Stücke. Der Norweger wurde Kritiker, [der Komponist Niels Wilhelm] Gade, [der russische mit seiner genialen Strategie, das „Schwarzbrot“ der Klaviervirtuose Anton] Rubin- norwegischen Folklore mit „Austern und Kaviar“ der stein und [der Komponist Kunstmusik anzurichten – wie er sich auszudrücken Johann P. E.] Hartmann, saßen in der Loge und applaudierten pflegte – zum Weltstar. Und das neben „Peer Gynt“ aus voller Kraft. Von Rubinstein wohl am häufigsten gespielte und für diesen Erfolg soll ich grüßen und ausrichten, typischste Werk ist das Klavierkonzert. dass er recht überrascht war, eine solche geniale Komposition zu hören; er freut sich darauf, Als Inspiration für das im Sommer 1868 in Søllerød bei Ihre Bekanntschaft zu machen… Kopenhagen komponierte Werk gilt das ebenfalls in Brief des norwegischen a-Moll stehende Klavierkonzert von Robert Schumann, Pianisten Edmund Neupert an das Grieg während seiner Studienzeit in Leipzig ken- Grieg. Neupert berichtet hier nengelernt hatte. Mehr als die Tonart, einige formale von der Uraufführung des Klavierkonzerts, die er 1869 in Details und insgesamt einen gewissen „romantischen“ Kopenhagen spielte. Grieg Tonfall hat das Werk des Norwegers mit demjenigen konnte selbst nicht dabei sein, des Deutschen aber nicht gemein. Denn spätestens hier weil er seinen Verpflichtungen als Orchesterleiter in Oslo hatte Grieg tatsächlich seine „eigene Sprache“ gefun- nachkommen musste. den. So erklingt gleich zu Beginn eine Art „norwegische Visitenkarte“: Ein dramatisch anrollender Paukenwir- bel bildet die „Zündschnur“ für wuchtige Klavierak- korde, die den Ohren der Zuhörer gleich sechs Mal hintereinander das sogenannte „Grieg-Motiv“ eintrich- tern, jene Intervallfolge „Oktave – große Septime – Quinte“, die man in fast jedem Stück des Norwegers aufspüren kann (prominent u. a. in „Solveigs Lied“ aus „Peer Gynt“). Grieg fand sie in zahlreichen Volksliedern seiner Heimat vor und integrierte sie wie eine Signatur fürs „Norwegische“ in viele seiner eigenen Melodien. Das nächste Indiz für diese Verbundenheit von 7
EDVARD GRIEG Klavierkonzert a-Moll op. 16 BISSIGE KRITIK Komponist und Land folgt später im Seitenthema, das zuerst von den Celli, dann vom Klavier gespielt wird: Das A-Moll-Konzert von Grieg Hallt es hier nicht zum Ende jeder Melodiezeile wie ein aber mögen die Konzertgeber Echo von den norwegischen Bergen wider? Von der stil- sich und dem Publikum künftig- hin schenken. Dieses musik- len Einsamkeit dieser Landschaft scheint dann der ähnelnde Geräusch mag 2. Satz im fernen Des-Dur zu erzählen. Auch hier hat vielleicht gut genug sein, sich das „Grieg-Motiv“ versteckt; auffälliger ist jedoch Brillenschlangen in Träume zu lullen oder rhythmische Gefühle die mehrmalige Wiederholung der berührenden in abzurichtenden Bären Schlussfigur des Themas mit ihrer überaus romanti- erwecken; – in den Konzertsaal schen Dehnung. Ohne Pause geht es ins Finale, das mit taugt es nicht, man hielte es denn mit den Sudanesen und trippelnden Bässen und stampfenden Akzenten einen ließe sich die Pflege ihres echten „Halling“ (norwegischen Bauerntanz) präsen- melodischen Charivari angele- tiert. Wie aus einer anderen Welt setzt später über gen sein – dann allenfalls. einem Streichernebel die Solo-Flöte mit einem neuen Der für seine bösartigen Thema ein – als ob sich die Kulisse schlagartig geän- Rezensionen bekannte Kom- dert und Grieg uns vom Tanzboden mit an einen idylli- ponist und Musikkritiker Hugo Wolf nach einer Wiener schen Platz im Tal genommen hätte. Das Klavier führt Aufführung des Grieg-Kon- diesen – ebenfalls vom „Grieg-Motiv“ und mit typisch zerts 1885 norwegischen Verzierungen gespickten – Einfall eine Weile lang fort, bis sich der „Halling“ zurückmeldet. Erst auf dem Höhe- und Endpunkt des Finales verwan- delt Grieg die ehemals zarte Flöten-Melodie ins Majes- tätische, jetzt vom kompletten Orchester gespielt. So wird der Schluss des Werks zu einem „Coup de théâ- tre“, dessen Wirkung selbst den Klavierpapst Franz Liszt nicht kalt ließ, als er das Konzert durchspielte: „In den letzten Takten unterbrach er plötzlich“, berichtete Grieg von seinem Besuch bei Liszt in Rom 1870, „erhob sich in seiner vollen Größe, verließ das Klavier und ging mit gewaltigen theatralischen Schritten und erhobe- nem Arm durch die große Klosterhalle und sang nahezu brüllend das Thema. Beim fortissimo streckte er wie ein Imperator seinen Arm aus und rief: ‚g, g, nicht gis! Famos!‘“ – Auch in diesem Sinne also hatte Grieg eine wirklich „eigene Sprache“ gefunden. Julius Heile 8
RICHARD STRAUSS Also sprach Zarathustra op. 30 Volksausgabe Nietzsches? Ist die Nachahmung krachender Donner, heulender Winde und blökender Schafe eine niveauvolle kompo- sitorische Disziplin? Kann man einen Musiker ernst nehmen, der sich rühmte, „notfalls auch ein Speise- karte komponieren“ zu können? Solchen Fragen hatte sich seinerzeit Richard Strauss, einer der virtuosesten Komponisten so genannter „Programmmusik“, zu stellen. Seine Antwort: „Ich bin ganz und gar Musiker, für den alle ‚Programme’ nur Anregungen zu neuen Friedrich Nietzsche (1882) Formen sind und nicht mehr.“ Strauss distanzierte sich damit entschieden von all den Kritikern, die seine ungemein plastische Musik als bloße Illustrations- Zu lang hat die kunst ohne musikalischen Eigenwert herabwürdig- Musik geträumt; ten. Das Programm (die inhaltliche Vorlage zur Musik) lediglich als Gedankenanstoß, als zwar not- jetzt wollen wir wendiger, aber in der Substanz nicht alleinverantwort- wachen. Nacht- licher Katalysator für die Fantasie des Komponisten – genau so muss man es insbesondere im Fall von wandler waren wir, Strauss’ „Also sprach Zarathustra“ verstehen. Tagwandler wollen Diesem Werk nämlich liegt keine wirkliche „Hand- wir werden. lung“ zu Grunde, sondern ein abstraktes Sujet, dem Zeilen von Friedrich Nietz- konkret zu schildernde Ereignisse weitgehend fehlen. sche, die Richard Strauss Gerade im Vergleich zum erzählerischen „Till Eulen- seiner „Zarathustra“-Partitur spiegel“, den der Münchner Kapellmeister zuvor kom- mitgab poniert hatte, überraschte die Wahl des Stoffes für seine nächste Tondichtung – es handelt sich um das 1883–85 entstandene Hauptwerk von Friedrich Nietz- sche – viele Zeitgenossen: Ausgerechnet der Meister technisch perfekter musikalischer Deskriptionen nahm sich nun eine philosophische Schrift vor, zumal von einem nicht gerade unumstrittenen, lebenden Denker? Das musste sowohl die Nietzsche-Anhänger 9
RICHARD STRAUSS Also sprach Zarathustra op. 30 befremden, die eine musikalische Kurzfassung der großen Gedanken ihres Helden für einen Frevel hiel- ten, als auch jene Fans des Komponisten Strauss, die dessen gesunde Diesseitigkeit als erfrischende Erho- lung von manch metaphysisch „der Welt abhanden gekommenen“ Genies ihrer Epoche schätzten. Letz- tere Gruppe freilich dürfte sich nach dem Hören des Stücks beruhigt zurückgelehnt haben, denn was bei Strauss’ Nietzsche-Adaption herausgekommen war, Richard Strauss (Porträt von Józef Faragó, 1905) konnte man getrost auch – wie der Strauss-Biograf Ernst Krause formulierte – als „musikalische Volks- EIN „ÜBERMENSCH“ ausgabe Nietzsches“ goutieren. Strauss habe „nicht die Philosophie Nietzsches in Notenköpfe übertragen, Richard Strauss hat weder eine sondern nur den lyrisch-hymnischen Gehalt des Zara- närrisch wilde Lockenmähne thustra-Buches zum Ausgangspunkt des Werkes noch die Bewegungen eines Rasenden. Er ist groß und wirkt genommen.“ Und es spricht dabei nicht unbedingt in seiner freien entschlossenen gegen Strauss, wenn die Popularität seiner Tondich- Haltung wie einer jener großen tung – bedenkt man nur die cineastische Karriere des Forscher, die mit einem Lächeln auf den Lippen die Gebiete Beginns – bis heute auch abseits ihrer intellektuellen wilder Völkerschaften durch- Konzeption eine Folge der mitreißenden Musik ist. queren. […] Seine Stirn ist übrigens die eines Musikers, aber die Augen und das Mienen- Was aber mag Strauss überhaupt dazu verleitet haben, spiel sind die eines „Übermen- Nietzsches Buch über Selbstfindung, die „Umwertung schen“, von dem der sprach, der aller Dinge“ und die Lehre vom „Übermenschen“ als sein Lehrmeister in der Energie gewesen sein muss: Nietzsche. Ausgangspunkt seiner musikalischen Fantasie heran- zuziehen? Nicht unentscheidend wird die offene Ichbe- Claude Debussy zogenheit gewesen sein – eine verbreitete künstlerische Haltung der Jahrhundertwende, in der sich der Kompo- nist so subjektiver Werke wie des „Heldenlebens“ mit Nietzsche traf. Dessen Auflehnung gegen die konforme Masse und dessen Vorstellung vom Außenseiter, der durch ewiges Schaffen und durch Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten zum „Übermenschen“ wird, muss Strauss gefallen haben. Den Kampf gegen die „Philis- ter“ hatte er schließlich schon Till Eulenspiegel führen lassen … Und zu Selbstbekenntnissen neigte Strauss auch in Bezug auf seine eigenen Werke: „Zarathustra ist 10
RICHARD STRAUSS Also sprach Zarathustra op. 30 herrlich – weitaus das Bedeutendste, Formvollendetste, BERÜHMTER BEGINN Inhaltsreichste, Eigentümlichste meiner Stücke“, schrieb er nach der Generalprobe zur Uraufführung Die Eröffnungsfanfare aus Strauss’ „Also sprach Zara- 1896 an seine Frau. „Der Anfang ist herrlich, alle die vie- thustra“ ist weltberühmt len Streichquartettstellen sind mir famos geglückt … geworden: Seitdem Stanley Die Steigerungen sind gewaltig und instrumentiert!!! ... Kubrick sie seiner „Odysee im Weltraum“ unterlegte, wird Kurz und gut: ich bin doch ein ganzer Kerl und habe sie immer wieder in Film und wieder einmal bißchen Freude an mir“. Fernsehen zitiert. Strauss lässt die Trompete hier die ersten Töne der so genannten Natur- Dem komplexen Inhalt von Nietzsches „Zarathustra“ tonreihe (Grundton, Quinte hat sich Strauss, wie Ernst Krause meinte, tatsächlich und Oktave) spielen, die in der zum Teil mit „bajuwarischer Vitalität“ genähert – zu- Musik nicht erst seit Wagners „Rheingold“ mit der Idee des mindest an der Oberfläche. Seine Partitur versah er Anfangens bzw. der Reinheit mit einigen Kapitelüberschriften aus Nietzsches Buch, der Natur verknüpft ist. Auf so dass man sogar einige Wegstationen des Protago- bildlicher Ebene zeichnet die Einleitung bei Strauss so den nisten im Sinne eines Programms bestimmen kann. zu Beginn von Nietzsches Romain Rolland hat es einmal wie folgt beschrieben: Buch geschilderten Sonnen- „Man sieht darin den Menschen, der anfangs, vom aufgang nach, auf tieferer Ebene kann sie aber auch als Rätsel der Natur erschüttert eine Zuflucht im Glauben Symbol einerseits für das sucht. Dann empört er sich gegen die asketischen Erhabene, Universale und Ideen und stürzt sich toll in die Leidenschaften. Doch Ursprüngliche, andererseits für das Einfache, Triviale oder bald ist er übersättigt, angeekelt, lebensüberdrüssig; Nietzsches „ewige Wieder- er versucht es mit der Wissenschaft, verwirft sie wieder kunft des Gleichen“ gedeutet und gelangt dahin, sich von der Unruhe nach Erkennt- werden. Dass der erreichte C-Dur-Akkord sofort in c-Moll nis zu befreien, indem er schließlich seine Befreiung umschlägt, weist freilich auch im Lachen findet. Das Lachen ist der Herr der Welt, schon auf ein anderes zentra- der glückselige Tanz, der Rundtanz des Weltalls, wo les Thema in Nietzsches Buch hin: die Unentschiedenheit. alle menschlichen Gefühle mitspielen … Dann ent- fernt sich der Tanz, verliert sich in überirdischen Regi- onen. Zarathustra entschwindet tanzend jenseits der Welten – aber er hat nicht für die andern Menschen das Welträtsel gelöst …“ Diesem Verlauf entsprechend, hören wir zu Beginn den „Hymnus an die Sonne“ mit seinen berühmten Fanfarenklängen. Es folgt in den Streichern der Gesang des Glaubens, bald treten die in der Musikliteratur so genannten Motive der Sehnsucht (ein rhythmisierter Dreiklang) und des Lebenstriebs 11
RICHARD STRAUSS Also sprach Zarathustra op. 30 FIESE FUGE (aufbegehrende Celli), das ausgreifende Freuden- und Leidenschafts-Thema sowie das Zweifels-Motiv (chro- Für den Abschnitt „Von der matischer Aufgang in den Posaunen) gleichsam in Wissenschaft“ bedient sich einen Diskurs miteinander. Die „Wissenschaft“ wird Strauss einer besonders „gelehrten“ musikalischen mit einer schleichenden Fuge dargestellt; nach einer Form: der Fuge. Das Thema Generalpause folgt „Der Genesende“ als eine Art dieser Fuge könnte zudem Reprise oder Durchführung der zentralen Motive, „allwissender“ nicht sein, enthält es doch sämtliche woraus dann das walzerselige „Tanzlied“ hervorgeht. Töne der chromatischen Skala, weshalb diese Stelle von Wie nun aber bereits Rolland in seiner Schilderung manchen Interpreten schon als Vorausnahme von Schön- des äußerlichen „Programms“ bemerkte, bleiben am bergs Zwölftontechnik gedeu- Ende alle Fragen offen: In diesem Kosmos aus gegen- tet wurde. Wie in einer Fuge sätzlichen Welten und Weltsichten kann es keine ver- üblich, setzen nach der Vorstellung des Themas in lässliche Lösung geben. Und so ist auch Strauss den Bässen die Stimmen keineswegs an der Oberfläche deskriptiver Detailfülle nacheinander mit demselben stehen geblieben. Vielmehr hat er seiner Partitur sub- Thema ein, wodurch sich ein kunstvolles Stimmengeflecht til noch eine übergreifende, illusionslose Botschaft ergibt. Besonders gut kommt mitgegeben. Dass Unentschiedenheit nämlich das die „Wissenschaft“ bei Strauss zentrale Thema von „Also sprach Zarathustra“ sein jedoch nicht weg: Die Fuge wirkt bewusst uninspiriert, könnte, vielleicht gar als Abbild der Geisteshaltung pedantisch und um sich selbst einer Epoche, in der die Aufbrechung überkommener kreisend. In ähnlicher Weise Moralvorstellungen eben auch zur modernetypischen schildert Strauss in seinem autobiografisch auslegbaren Haltlosigkeit führte, wird schon aus den ständigen „Heldenleben“ später übrigens musikalischen Mutationen des Werks deutlich – wie es auch die „Widersacher“ … der Musikwissenschaftler Mathias Hansen formu- lierte: „das Einzige, was in dieser Musik festzustehen scheint, ist, dass – nichts feststeht.“ Die Schlusstakte der Tondichtung dann ziehen die ernüchternde Summe aus all dem vorhergehenden Auf und Ab: Das gleichsam als höhere Sphäre erreichte H-Dur im Dis- kant wird dem tiefen Grundton der Natur vom Beginn, dem gezupften C der Bässe gegenüber gestellt. Strauss überlässt seine Hörer einem Gefühl des Unaufgeho- benseins. Vielleicht steckt in seinem „Zarathustra“ eben doch mehr als eine „Volksausgabe Nietzsches“ … Julius Heile 12
DIRIGENT Mikko Franck Mikko Franck wurde 1979 in Helsinki geboren. Er begann seine Dirigentenlaufbahn bereits im Alter von 17 Jahren und hat seitdem weltweit mit den großen Orchestern und Opernhäusern zusammenge- arbeitet. Von 2002 bis 2007 war Franck Musikdirektor des Belgischen Nationalorchesters. Im Jahr 2006 übernahm er die Position des Generalmusikdirektors der Finnischen Nationaloper, zu deren Künstleri- schem Leiter und Generalmusikdirektor er im folgen- den Jahr ernannt wurde – eine Doppelfunktion, die er H Ö H E P U N K T E 2 0 2 2/2 0 2 3 bis August 2013 innehatte. Im September 2015 wurde Franck Musikdirektor des Orchestre Philharmonique • Rückkehr zum Chicago Symphony Orchestra, zu den de Radio France. Dort setzt er sich seitdem sehr für Münchner Philharmonikern die kreative und vielseitige Programmgestaltung des und den Berliner Orchesters ein und führte es auf Tourneen durch Philharmonikern • Strauss‘ „Salome“ an der Europa und Asien. Sein Vertrag wurde bereits zwei- Bayerischen Staatsoper in mal verlängert, zuletzt bis September 2025. Zusätzlich München zu seinem vollen Konzertkalender in Paris arbeitet • Deutschland-Tournee mit dem Orchestre Philharmoni- Franck regelmäßig mit führenden Orchestern und que de Radio France Opernhäusern in Europa und darüber hinaus zusam- • Veröffentlichung einer men. Seine beachtliche Diskografie umfasst sowohl neuen CD (Strawinskys „Le sacre du printemps“ und Opern als auch sinfonische Werke. Auf seinen jüngs- „Capriccio“) mit dem ten Einspielungen mit dem Orchestre Philharmoni- Orchestre Philharmonique que de Radio France sind etwa Werke von César de Radio France Franck, Richard Strauss, Claude Debussy und Igor Strawinsky zu hören. Im Februar 2018 wurde Mikko Franck Sonderbotschafter für UNICEF Frankreich. Bei seiner Ernennung sagte er: „Jedes Kind ist einzig- artig, jedes Leben ist wichtig. Jedes Kind, unabhängig von seiner Herkunft, sollte das Recht haben, in einer sicheren und gesunden Umgebung zu leben, seinen Träumen zu folgen und sein volles Potenzial auszuschöpfen“. 13
KL AVIER Leif Ove Andsnes Mit seiner eindrucksvollen Technik und seinen tief- schürfenden Interpretationen hat der norwegische Pia- nist Leif Ove Andsnes weltweite Anerkennung erworben. Er spielt Konzerte und Recitals in den wich- tigsten Häusern rund um den Globus, gastiert bei den international führenden Orchestern und kann auf eine umfassende, gefeierte Diskografie blicken. Selbst ein passionierter Kammermusiker, ist er Gründungsdirek- tor des Rosendal Chamber Music Festival, das jeden H Ö H E P U N K T E 2 0 2 2/2 0 2 3 August in Westnorwegen stattfindet. Außerdem war er Co-Direktor des Risør Festival of Chamber Music und • Interpretation von Dvořáks Music Director des Ojai Music Festival in Kalifornien. Zyklus’ „Poetische Stim- Andsnes ist Kommandeur des Königlich Norwegischen mungsbilder“ für eine neue CD-Veröffentlichung sowie Orden des heiligen Olav und wurde u. a. mit dem Peer auf Recital-Tour durch Gynt Prize, dem Gilmore Artist Award, Royal Philhar- Europa und Nordamerika monic Society’s Instrumentalist Award sowie Ehrendok- • Debussys „Fantaisie“ mit dem Cleveland Orchestra torwürden der Juilliard School New York und der • Griegs Klavierkonzert mit Universitäten von Bergen und Oslo ausgezeichnet. Sine dem Gewandhausorchester vielfältige Diskografie reicht von Bach bis zu zeitgenös- Leipzig und den London Philharmonic Orchestra sischer Musik, wurde für elf Grammys nominiert und • Rachmaninows Klavierkon- mit sechs Gramophone Awards ausgezeichnet. Zu den zert Nr. 3 u. a. mit dem Oslo jüngsten Veröffentlichungen zählen ein Bestseller mit Philharmonic und Royal Scottish National Orchestra Musik von Sibelius, eine CD mit Balladen und Noc- • Liederabende mit Matthias turnes von Chopin, ein Strawinsky-Album mit Marc- Goerne André Hamelin, Schumann-Lieder mit Matthias Goerne • Fortsetzung der erfolgrei- chen Zusammenarbeit mit und Werke des Norwegers Ketil Hvoslef. 1970 in Karmøy dem Mahler Chamber geboren, studierte Andsnes am Bergener Konservato- Orchestra in einem – nach rium bei dem renommierten tschechischen Professor der „Beethoven Journey“ – weiteren mehrjährigen Jirí Hlinka und erhielt wichtige Impulse von Jacques de Projekt namens „Mozart Tiège, der – genau wie Hlinka – maßgeblich seinen Stil Momentum 1785/86“ mit und seine Spielphilosophie beeinflusst hat. Gegenwär- Interpretationen der Klavier- konzerte Nr. 20–24 tig ist Andsnes Artistic Adviser der Prof. Jirí Hlinka Piano Academy in Bergen, wo er jährlich Meisterkurse gibt. Dort lebt er auch mit seiner Frau und drei Kindern. 14
IMPRESSUM Herausgegeben vom NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK Programmdirektion Hörfunk Orchester, Chor und Konzerte Rothenbaumchaussee 132 20149 Hamburg Leitung: Achim Dobschall NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER Management: Sonja Epping Redaktion des Programmheftes Julius Heile Die Einführungstexte von Dr. Harald Hodeige und Julius Heile sind Originalbeiträge für den NDR. Fotos Marion Kalter / akg-images (S. 5) akg-images (S. 6, 9, 10) Radio France / Christophe Abramowitz (S. 13) Helge Hansen / Sony Music Entertainment (S. 14) Druck: Warlich Druck Meckenheim GmbH Das verwendete Papier ist FSC-zertifiziert. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet. 15
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