Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften

 
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Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften
Mindeststandards
zum Schutz von geflüchteten Menschen
in Flüchtlingsunterkünften
Mindeststandards
                                                               zum Schutz von geflüchteten
                                                               Menschen in Flüchtlings-
                                                               unterkünften

April 2021

Titelbild:
© UNICEF/UN026299/Gilbertson VI

Kontakt:                          UNICEF
Bundesministerium für Familie,    Höninger Weg 104
Senioren, Frauen und Jugend       50969 Köln
Glinkastr. 24                     Tel.: +49 (0) 221-93650-0
10117 Berlin                      Fax: +49 (0) 221-93650-279

                                                                                             3
Vorbemerkung

                                                                                                                                                      ƒƒ Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention                           ƒƒ AWO Bundesverband e. V.
                                                                                                                                                      ƒƒ Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen                        ƒƒ Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozia-

Zum Erarbeitungsprozess der
                                                                                                                                                         Kindesmissbrauchs (UBSKM)                                                    len Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e. V.
                                                                                                                                                                                                                                   ƒƒ Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Men-
                                                                                                                                                      Als Ergebnis ihrer Arbeit veröffentlichten die Mitglieder                       schenhandel (KOK) e. V.

Mindeststandards zum Schutz                                                                                                                           der Initiative im Juli 2016 erstmals bundesweit ein-
                                                                                                                                                      heitliche „Mindeststandards zum Schutz von Kindern,
                                                                                                                                                      Jugendlichen und Frauen in Flüchtlingsunterkünften“.
                                                                                                                                                                                                                                   ƒƒ Der Paritätische Gesamtverband e. V.
                                                                                                                                                                                                                                   ƒƒ Deutsche Kinder- und Jugendstiftung gGmbH
                                                                                                                                                                                                                                   ƒƒ Deutscher Caritasverband e. V.

von geflüchteten Menschen                                                                                                                             Sie vereinbarten, die Mindeststandards in einem regel-
                                                                                                                                                      mäßigen Turnus zu überarbeiten, um Erfahrungen aus
                                                                                                                                                      der Praxis einfließen zu lassen.
                                                                                                                                                                                                                                   ƒƒ Deutsches Institut für Menschenrechte e. V.
                                                                                                                                                                                                                                   ƒƒ Deutsches Rotes Kreuz e. V.
                                                                                                                                                                                                                                   ƒƒ Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundes-

in Flüchtlingsunterkünften                                                                                                                            Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten
                                                                                                                                                                                                                                      verband e. V.
                                                                                                                                                                                                                                   ƒƒ Frauenhauskoordinierung e. V.
                                                                                                                                                                                                                                   ƒƒ International Rescue Committee (IRC) Deutschland
                                                                                                                                                      Menschen in Flüchtlingsunterkünften aus dem                                     gGmbH
                                                                                                                                                      Jahr 2018                                                                    ƒƒ medica mondiale e. V.
In den vergangenen Jahren ist die Zahl geflüchteter                           Missbrauch führen und geflüchtete Menschen die                                                                                                       ƒƒ Plan International Deutschland e. V.
Menschen weltweit gestiegen.1 Aufgrund von Krisen,                            Unterstützung erhalten, die sie für einen guten Neu-                    Durch den Beitritt weiterer Partner:innen konnte die                         ƒƒ Save the Children Deutschland e. V.
Konflikten, Gewalt oder Armut haben zunehmend                                 anfang benötigen.                                                       Initiative im Jahr 2017 noch breiter aufgestellt werden.                     ƒƒ Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention
mehr Menschen ihre Heimat verlassen. Viele haben                                                                                                      In die Überarbeitung der Mindeststandards flossen                            ƒƒ TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau e. V.
sowohl im Herkunftsland als auch vor, während oder                                                                                                    die Erfahrungen der Mitgliedsorganisationen, von                             ƒƒ Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen
nach der Flucht traumatisierende Erfahrungen ge-                              Mindeststandards zum Schutz von Kindern,                                Gewaltschutzkoordinator:innen und Bewohner:innen                                Kindesmissbrauchs (UBSKM)
macht und benötigen daher besonderen Schutz und                               Jugendlichen und Frauen in Flüchtlingsunterkünften                      von Unterkünften für geflüchtete Menschen ein;
Unterstützung. Entgegen des globalen Trends ist die                           aus dem Jahr 2016                                                       Plan International Deutschland e. V. beteiligte dazu in                      Zusätzlich erfolgte eine fachliche Beratung durch den
Anzahl der Asylanträge in Deutschland in den letzten                                                                                                  partizipativen Gesprächsgruppen und Workshops Be-                            Deutschen Kinderschutzbund e. V., die Schwulenbera-
Jahren gesunken. Unterkünfte für geflüchtete Men-                             Um den Schutz von geflüchteten Menschen zu einem                        wohner:innen von Gemeinschaftsunterkünften. Zum                              tung Berlin gGmbH und Prof. Dr. Swantje Köbsell.
schen sind für viele Asylsuchende in Deutschland                              integralen Bestandteil der vielseitigen Aufgaben von                    Monitoring und zur Evaluierung der Schutzkonzepte
zunächst oder teils auch länger der zentrale Lebens-                          Unterkünften in Deutschland zu machen, kooperiert das                   fanden erweiterte Konsultationen mit verschiedenen
mittelpunkt. Gleichzeitig bestehen weiterhin noch                             Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und                     Bundesländern, Betreiber:innen, Unterkunftsleitun-                           Erweiterung und Ausdifferenzierung durch Annexe
Herausforderungen, bei der Unterbringung men-                                 Jugend (BMFSFJ) mit UNICEF und hat im Frühjahr 2016                     gen, Gewaltschutzkoordinator:innen und Ombuds-
schenwürdige Bedingungen zu schaffen und einen                                mit den folgenden Partner:innen2 eine gemeinsame                        stellen für geflüchtete Menschen statt.                                      Der Annex zur Umsetzung der Mindeststandards für
flächendeckenden Schutz zu garantieren, vor allem der                         Initiative gestartet:                                                                                                                                LSBTI* Geflüchtete ist das Ergebnis der gemeinsamen
besonders schutzbedürftigen Menschen. Die Möglich-                                                                                                    Bei der Überarbeitung wurde der Fokus außerdem auf                           Arbeit der folgenden Organisationen unter Federführung
keiten zur gesellschaftlichen Teilhabe und Integration                        ƒƒ AWO Bundesverband e. V.                                              besonders schutzbedürftige Personengruppen gerich-                           des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
sind vielerorts erheblich eingeschränkt.                                      ƒƒ Bundesweiter Koordinierungskreis gegen                               tet. Dies wurde auch im Titel der Mindeststandards                           und Jugend, koordiniert und redaktionell betreut durch
                                                                                 Menschenhandel (KOK) e. V.                                           entsprechend angepasst. In diesem Zusammenhang                               die Schwulenberatung Berlin gGmbH:
Aufgabe ist es nun, die Menschen zu unterstützen                              ƒƒ Der Paritätische Gesamtverband e. V.                                 wurde jeweils ein Annex zur Umsetzung der Mindest-
und dafür Sorge zu tragen, dass sie ihre Rechte                               ƒƒ Deutsche Kinder- und Jugendstiftung gGmbH                            standards für LSBTIQ3 Geflüchtete sowie zur Umset-                           ƒƒ Arbeiter-Samariter-Bund NRW e. V.
wahrnehmen können. Weitere Anstrengungen von                                  ƒƒ Deutscher Caritasverband e. V.                                       zung der Mindeststandards für geflüchtete Menschen                           ƒƒ AWO Bundesverband e. V.
Politik, Behörden und Zivilgesellschaft sind notwendig,                       ƒƒ Deutsches Institut für Menschenrechte e. V.                          mit Behinderungen neu entwickelt.                                            ƒƒ Der Paritätische Gesamtverband e. V.
um die Bedarfe und Rechte, vor allem den Schutz von                           ƒƒ Deutsches Rotes Kreuz e. V.                                                                                                                       ƒƒ Deutsche Kinder- und Jugendstiftung gGmbH
geflüchteten Menschen in den Unterkünften ausrei-                             ƒƒ Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundes-                         Die Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten                             ƒƒ Beauftragte für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt
chend zu (be-)achten. Dazu gehört, einen Rahmen zu                               verband e. V.                                                        Menschen in Flüchtlingsunterkünften in der Version                              der Landeshauptstadt Hannover, Fachbereich Per-
schaffen, der so konkret ist, dass sich daraus Maß-                           ƒƒ Frauenhauskoordinierung e. V.                                        von 2018 sind das gemeinsame Ergebnis der Initiati-                             sonal und Organisation
nahmen ableiten lassen, die zu einem umfassenden                              ƒƒ Plan International Deutschland e. V.                                 ve unter Federführung des BMFSFJ und von UNICEF                              ƒƒ Lesben- und Schwulenbundesverband in Deutsch-
und effektiven Schutz vor Gewalt, Ausbeutung und                              ƒƒ Save the Children Deutschland e. V.                                  mit fachlichen Beiträgen folgender Mitglieder der                               land (LSVD) e. V.
                                                                                                                                                      Initiative:                                                                  ƒƒ Migrationsrat Berlin e. V.
                                                                                                                                                                                                                                   ƒƒ Schwulenberatung Berlin gGmbH

1. UNHCR-Bericht zu weltweiten Zahlen unter https://www.unhcr.org/globalreport2019/, https://www.unhcr.org/5fc504d44.pdf und
   https://www.unhcr.org/news/press/2020/6/5ee9db2e4/1-cent-humanity-displaced-unhcr-global-trends-report.html.
2. In diesem Text wird der „Gender-Doppelpunkt“ verwendet. Mit dem Gender-Doppelpunkt wird in Worten Raum für diejenigen geschaffen, deren
   geschlechtliche Identität durch das binäre Geschlechtsmodell nicht abgebildet wird, für die also eine (eindeutige) Zuordnung zum männlichen oder
   weiblichen Geschlecht nicht möglich ist.                                                                                                           3. LSBTIQ steht für lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie queere Menschen.

4                                                                                                                                                                                                                                                                                             5
Inhalt

Der Annex zur Umsetzung der Mindeststandards für           Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten
geflüchtete Menschen mit Behinderungen ist das Er-         Menschen in Flüchtlingsunterkünften aus dem
gebnis der gemeinsamen Arbeit der folgenden Organi-        Jahr 2021                                                  Vorbemerkung......................................................................................................................................................... 4
sationen unter Federführung von UNICEF:                                                                               Zum Erarbeitungsprozess der Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen
                                                           2021 erfolgte eine Aktualisierung der Mindeststandards     in Flüchtlingsunterkünften.......................................................................................................................................... 4
ƒƒ AWO Bundesverband e. V.                                 anhand neuer gesetzlicher Regelungen und aktueller
ƒƒ AWO Kreisverband Berlin-Mitte e. V., Refugium           politischer Entwicklungen.
   für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge,                                                                        Einleitung.................................................................................................................................................................. 9
   Marie-Schlei-Haus                                       Das im August 2019 in Kraft getretene „Zweite Gesetz       Zielgruppe der Mindeststandards.............................................................................................................................. 9
ƒƒ Beauftragte der Bundesregierung für die Belange         zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ enthält     Gesetzliche Grundlagen............................................................................................................................................. 9
   von Menschen mit Behinderungen                          erstmalig eine bundesweite Verbindlichkeit zum Ge-         Heterogene Unterbringungslandschaft.................................................................................................................... 10
ƒƒ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen         waltschutz in Unterkünften für geflüchtete Menschen.       Besondere Schutzbedarfe........................................................................................................................................ 10
   und Jugend (BMFSFJ)                                     So sollen die Länder nach § 44 Abs. 2 a Asylgesetz
ƒƒ Der Paritätische Gesamtverband e. V.                    (AsylG) „geeignete Maßnahmen treffen, um bei der
ƒƒ Deutscher Caritasverband e. V.                          Unterbringung Asylbegehrender (…) den Schutz von           Mindeststandard 1: Unterkunftsspezifisches Schutzkonzept......................................................................... 12
ƒƒ Deutsches Institut für Menschenrechte e. V.,            Frauen und schutzbedürftigen Personen zu gewährleis-       Schutz und Unterstützung für alle Bewohner:innen, insbesondere besonders schutzbedürftige
   Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention        ten.“ Dies gilt gemäß § 53 Abs. 3 AsylG auch für die       Personengruppen..................................................................................................................................................... 12
ƒƒ Diakonie Michaelshoven e. V., Netzwerk für Flücht-      Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften.                Gültigkeit und Mitwirkung intern.............................................................................................................................. 13
   linge mit Behinderung Köln                                                                                         Gültigkeit und Verpflichtung extern ......................................................................................................................... 13
ƒƒ European Disability Forum                               2020 wurden die Mindeststandards in einem mehrstu-         Partizipative Risikoanalyse ....................................................................................................................................... 13
ƒƒ Handicap International e. V.                            figen Prozess unter Beteiligung der Partner:innenor-       Partizipativ, transparent und offen zugänglich.......................................................................................................... 14
ƒƒ International Rescue Committee (IRC) Deutschland        ganisationen, Vertreter:innen aus Landesministerien,       Bekenntnis zum grenzachtenden Umgang und zur Gewaltfreiheit als Leitbild........................................................ 14
   gGmbH                                                   Landes- und kommunalen Behörden sowie Gewalt-              Vertraulichkeit und Privatsphäre schützen............................................................................................................... 15
ƒƒ Lebenshilfe Landesverband Hamburg e. V.                 schutzkoordinator:innen und -multipikator:innen überar-
ƒƒ MINA-Leben in Vielfalt e. V.                            beitet und aktualisiert.
ƒƒ Weibernetz e. V. – Politische Interessenvertretung                                                                 Mindeststandard 2: Personal und Personalmanagement................................................................................ 16
   behinderte Frauen                                       Die Initiative versteht die Mindeststandards weiterhin     Rollen und Verantwortlichkeiten .............................................................................................................................. 16
                                                           als ein fortzuschreibendes Dokument. Die Mitglieder        Austausch im multiprofessionellen Team ................................................................................................................ 16
Es erfolgte eine fachliche Beratung durch den Bundes-      verpflichten sich, die Mindeststandards regelmäßig         Verhaltenskodex ...................................................................................................................................................... 17
verband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe /         zu überarbeiten, damit die Erfahrungen aus der Praxis      Personalgewinnung und -management .................................................................................................................. 17
Frauen gegen Gewalt e. V. sowie Prof. Dr. Swantje          und gesetzliche wie politische Neuerungen weiterhin        Sensibilisierung und Weiterbildung ......................................................................................................................... 18
Köbsell.                                                   einfließen können und entsprechend Beachtung finden.       Wohlbefinden des Personals ................................................................................................................................... 19

Im Jahr 2018 wurden die Mindeststandards um einen
dritten Annex erweitert. Der Annex zur Umsetzung           Anleitungen zur Umsetzung der Mindeststandards             Mindeststandard 3: Interne Strukturen und externe Kooperation................................................................. 21
der Mindeststandards für geflüchtete Menschen mit          in der Praxis                                              Hausordnung ........................................................................................................................................................... 21
Traumafolgestörungen ist das Ergebnis der gemein-                                                                     Unterkunftsspezifische feste Ansprechpersonen.................................................................................................... 21
samen Arbeit der folgenden Organisationen unter            Weitere Informationen und Leitfäden zur praxisnahen        Interne und externe Beschwerdestellen .................................................................................................................22
Federführung der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft          Umsetzung der Mindeststandards sind zum großen Teil        Interne Beschwerdestelle........................................................................................................................................22
der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Fol-        von Initiativpartner:innen erarbeitet worden und auf der   Externe betreiber:innen unabhängige Beschwerde- und Beratungsstelle...............................................................22
teropfer e. V. (BAfF):                                     Website der Initiative https://www.gewaltschutz-gu.de/     Aktive Aufklärung über Rechte und Hilfsangebote..................................................................................................22
                                                           verfügbar.                                                 Informationen über Rechte und Vertraulichkeit verständlich machen sowie Sprach-
ƒƒ Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psycho-                                                                  und Kommunikationsbarrieren überwinden.............................................................................................................23
   therapie und Gesellschaft e. V. (AKF)                                                                              Niedrigschwelliges Kurs- und Beratungsangebot.................................................................................................... 24
ƒƒ Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauen-                                                                   Kooperationspartner:innen einbinden ..................................................................................................................... 24
   notrufe Frauen gegen Gewalt e. V. (bff)                                                                            Kooperation mit Schule und Kindertagesstätte (Kita) ............................................................................................. 25
ƒƒ medica mondiale e. V.                                                                                              Proaktive Nachbar:innenschafts- und Öffentlichkeitsarbeit..................................................................................... 25
ƒƒ Save the Children Deutschland e. V.
ƒƒ Verband Deutsch-Syrischer Hilfsvereine e. V. (VDSH)

Die drei Annexe sind integrale Bestandteile der Mindest-
standards.

6                                                                                                                                                                                                                                                                                                  7
Einleitung

Mindeststandard 4: Prävention und Umgang mit Gewalt- und Gefährdungssituationen/
Risikomanagement................................................................................................................................................ 26
Prävention ................................................................................................................................................................26    Das zentrale Ziel aller Verantwortlichen muss es sein,     Zielgruppe der Mindeststandards
Standardisierte Verfahrensweise bei Verdacht auf Gewalt......................................................................................26                                  den schnellsten und bestmöglichen Normalisierungs-
Standardisierte Verfahrensweise bei Gewaltvorfällen.............................................................................................26                               prozess in der Unterbringung geflüchteter Menschen         Die im Folgenden benannten Mindeststandards sind
Gefährdungsrisiko bei Verdacht auf Gewalt und bei Gewaltvorfällen einschätzen .................................................28                                                zu gewährleisten. Denn nach der Ankunft in Deutsch-        Leitlinien für Erstellung, Umsetzung und Monitoring von
Hinzuziehung der Polizei ..........................................................................................................................................29            land stellen Unterkünfte für geflüchtete Menschen          unterkunftsspezifischen Schutzkonzepten in jeder Form
Rechte der Opfer geltend machen ..........................................................................................................................29                     einen zentralen Wohn- und Bezugsraum dar. Daher            von Unterkünften für geflüchtete Menschen. Sie können
                                                                                                                                                                                 ist es das Ziel der Mindeststandards zum Schutz von        auch als Orientierung für die (Weiter-) Entwicklung von
                                                                                                                                                                                 geflüchteten Menschen, Schutz und Unterstützung            länderspezifischen bzw. kommunalen Schutzkonzepten
Mindeststandard 5: Menschenwürdige, schützende und fördernde Rahmenbedingungen ...................... 30                                                                         für alle geflüchteten Menschen in unterschiedlichen        dienen. Insgesamt gilt, dass die folgenden Mindeststan-
Bauliche Schutzmaßnahmen ...................................................................................................................................30                   Arten von Unterkünften sicherzustellen, solange sie        dards in allen Unterkünften für Geflüchtete in Deutsch-
Durchsetzung von Hygienestandards ......................................................................................................................30                       sich dort aufhalten. Es muss alles dafür getan werden,     land umgesetzt und eingehalten werden sollen.
Rückzugsmöglichkeiten und Privatsphäre garantieren.............................................................................................30                                den Menschen in den Unterkünften für geflüchtete
Gemeinschaftlich genutzte Räume.......................................................................................................................... 31                     Menschen ein schützendes und förderndes Umfeld zu          Die genannten Maßnahmen umfassen den Schutz und
Kinder und Familien .................................................................................................................................................32          bereiten, da alle Menschen Anspruch auf Schutz von         die gesellschaftliche Teilhabe sowie Entwicklungs- und
Ausrichtung für Kinder .............................................................................................................................................32           Leben, Gesundheit, freie Entfaltung der Persönlichkeit     Integrationsmöglichkeiten aller Bewohner:innen von
Kinderfreundliche Orte und Angebote als fester Bestandteil der Unterkunft .........................................................32                                            und der Menschenwürde haben. Die Mindeststan-              Unterkünften für geflüchtete Menschen. Dabei ist zu
Ausrichtung für Eltern ..............................................................................................................................................33          dards richten sich sowohl an die Ebene der Verwaltung      betonen, dass diese Maßnahmen nicht in jedem Fall für
                                                                                                                                                                                 als auch an interne und externe Dienstleister:innen so-    alle schutzbedürftigen Personengruppen ausreichend
                                                                                                                                                                                 wie alle Personen, die Aufgaben bei der Ausgestaltung      sind. Um dies sicherzustellen, bedarf es gegebenen-
Mindeststandard 6: Monitoring und Evaluierung des Schutzkonzeptes....................................................... 34                                                      und beim Betreiben einer Unterkunft für geflüchtete        falls einer gesonderten und individuellen Bewertung
Verantwortung .........................................................................................................................................................34        Menschen übernehmen.                                       und Berücksichtigung der jeweiligen speziellen Schutz-
Umfang und Zuständigkeiten ..................................................................................................................................34                                                                             und Förderungsbedarfe. Die Mindeststandards sind in
Stufenweise Entwicklung ........................................................................................................................................34               Ein bestmöglicher Schutz vor Gewalt kann jedoch nur        Verbindung mit der Vorbemerkung und in der direkten
Partizipatives Monitoring .........................................................................................................................................35            erreicht werden, wenn er als fester Bestandteil des        Verbindung zueinander zu lesen und zu verstehen.
Datenerhebung, -auswertung, -verwendung und -schutz........................................................................................35                                    Wertekanons in Unterkünften und Hilfsorganisationen
Systematische Dokumentation ...............................................................................................................................35                    für Geflüchtete strukturell verankert und das fachliche
Regelmäßige Evaluierung ........................................................................................................................................36               Handeln danach ausgerichtet wird. Das bedeutet,            Gesetzliche Grundlagen
                                                                                                                                                                                 dass sowohl alle Mitarbeitenden, dazu gehören auch
                                                                                                                                                                                 externe Dienstleister:innen, sowie Bewohner:innen          Das Recht auf eine menschenwürdige Unterbringung
Glossar A: Formen von Gewalt............................................................................................................................ 37                      und Ehrenamtliche einer Unterkunft über den Gewalt-        und Schutz vor Gewalt folgt aus dem Grundgesetz,
Annex 1: Umsetzung der Mindeststandards für LSBTI* Geflüchtete............................................................. 40                                                   schutz und entsprechende Maßnahmen informiert              nationalen Gesetzen und internationalen Abkommen:
Annex 2: Umsetzung der Mindeststandards für geflüchtete Menschen mit Behinderung......................... 45                                                                     sind und zu ihrer Verwirklichung beitragen. Essenziell
Annex 3: Umsetzung der Mindeststandards für geflüchtete Menschen mit Traumastörungen................. 52                                                                         sollte es daher sein, sie alle bereits in die Erstellung   ƒƒ §§ 44 Abs. 2 a und 53 Abs. 3 Asylgesetz
Glossar B................................................................................................................................................................. 60    von Gewaltschutzkonzepten einzubeziehen. Schließlich       ƒƒ Bundeskinderschutzgesetz
Notizen.................................................................................................................................................................... 66   erfordern Einführung und Umsetzung passgenauer             ƒƒ Sozialgesetzbuch VIII
                                                                                                                                                                                 Schutzkonzepte einen Prozess der Qualitätsentwick-         ƒƒ Gewaltschutzgesetz
                                                                                                                                                                                 lung innerhalb der einzelnen Unterkunft und in über-       ƒƒ § 203 StGB: Verletzung von Privatgeheimnissen
                                                                                                                                                                                 geordneten Organisationsstrukturen. Darüber hinaus         ƒƒ Charta der Grundrechte der Europäischen Union
                                                                                                                                                                                 müssen zur Erreichung dieser Qualität erforderliche        ƒƒ Europäische Menschenrechtskonvention
                                                                                                                                                                                 Mindeststandards gesetzlich abgebildet werden, wenn        ƒƒ Übereinkommen des Europarates zur Verhütung
                                                                                                                                                                                 sie in der Praxis wirklich zur Umsetzung gelangen             und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und
                                                                                                                                                                                 und nachgehalten werden sollen. Ferner ist es für die         häuslicher Gewalt (sog. Istanbul-Konvention)
                                                                                                                                                                                 Weiterentwicklung der Konzepte und Maßnahmen               ƒƒ Konvention des Europarates zur Bekämpfung
                                                                                                                                                                                 unabdingbar, sie regelmäßig zu evaluieren und zu              des Menschenhandels, die Richtlinie des
                                                                                                                                                                                 überprüfen. Wenn man den Gewaltschutzauftrag ernst            Europäischen Parlaments und des Rates zur
                                                                                                                                                                                 nehmen will, sind die notwendigen finanziellen Mittel         Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels
                                                                                                                                                                                 zur Verfügung zu stellen.                                     und zum Schutz seiner Opfer (2011/36/EU),
                                                                                                                                                                                                                                               der EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU) für
                                                                                                                                                                                                                                               Schutzmaßnahmen für besonders schutzbedürftige
                                                                                                                                                                                                                                               Personengruppen

8                                                                                                                                                                                                                                                                                                 9
ƒƒ internationale Abkommen wie die UN-                                         gen usw. bedingen unterschiedliche Voraussetzungen                            ƒƒ Menschen, die Folter, Vergewaltigung oder andere
   Kinderrechtskonvention (gilt in Deutschland im                              für die Unterbringung in den Ländern, Kommunen,                                  schwere Formen psychischer, physischer oder
   Rang eines einfachen Bundesgesetzes) und EU-                                Landkreisen und Städten mit und benötigen teilweise                              sexualisierter Gewalt erlitten haben.5
   Regelwerke                                                                  sehr unterschiedlichen Maßnahmen. Darüber hinaus
ƒƒ UN-Frauenrechtskonvention CEDAW                                             unterscheiden sich die Phasen der Unterbringung: In                           Besonders zu beachten ist hierbei die erhöhte Gefähr-
ƒƒ UN-Behindertenrechtskonvention                                              Erstaufnahmeeinrichtungen sind beispielsweise die                             dung, die sich aus der intersektionalen Überschnei-
ƒƒ Protokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung                          Bedarfe anders als in Gemeinschaftsunterkünften.                              dung von verschiedenen Schutzbedarfen ergeben
   des Menschenhandels, insbesondere des Frauen-                                                                                                             kann (z. B. Geschlecht und Behinderung). Die Umset-
   und Kinderhandels, zum UN-Übereinkommen gegen                               Wichtig ist jedoch, dass die definierten Mindeststan-                         zungsmöglichkeiten der Mindeststandards bezüglich
   die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität                          dards für die unterschiedlichen Unterbringungsformate                         drei dieser besonders schutzbedürftigen Personen-
                                                                               gleichermaßen gültig und sinnvoll sind. Gleichwohl                            gruppen (LSBTIQ, Menschen mit Behinderungen und
Mit dem Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung                               müssen in der Umsetzung die spezifischen rechtlichen                          Menschen mit Traumafolgestörungen) werden in den
der Ausreisepflicht sind am 21. August 2019 mit § 44                           Vorgaben, örtlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten                           Annexen genauer beleuchtet.
Abs. 2 a, § 53 Abs. 3 Asylgesetz (AsylG) bundesge-                             berücksichtigt werden und zu jeweils unterkunftsspezi-
setzliche Regelungen zum Schutz vulnerabler Perso-                             fischen Schutzkonzepten führen. Hierfür tragen alle mit                       Die Mindeststandards beziehen sich auf alle Formen
nengruppen in Aufnahmeeinrichtungen und Gemein-                                der Ausgestaltung und dem Betreiben der Unterkünfte                           von Gewalt: physische, sexualisierte und psychische
schaftsunterkünften in Kraft getreten. Nach § 44 Abs.                          betrauten Verwaltungsebenen, internen und externen                            Gewalt, Vernachlässigung von Kindern, Gewalt in
2 a AsylG sollen die Länder „geeignete Maßnahmen                               Dienste, haupt-, neben- und ehrenamtlichen Angebote                           Paarbeziehungen, geschlechtsspezifische Gewalt,
treffen, um bei der Unterbringung Asylbegehrender                              Verantwortung.                                                                Zwangsheirat, Nachstellung/Stalking, weibliche
nach Absatz 1 den Schutz von Frauen und schutzbe-                                                                                                            Genitalverstümmelung, Gewalt unter Kindern und
dürftigen Personen zu gewährleisten“. Nach § 53 Abs.                                                                                                         Menschenhandel. Die einzelnen Formen von Gewalt
3 AsylG gilt dies für die Unterbringung in Gemein-                             Besondere Schutzbedarfe                                                       sind im Glossar im Anhang gesondert benannt und
schaftsunterkünften entsprechend. Für entsprechende                                                                                                          definiert. Im folgenden Text wird, um eine bessere
Regelungen haben sich das BMFSFJ sowie Mitglie-                                Dies gilt vor allem für Personengruppen, die aufgrund                         Lesbarkeit sicherzustellen, durchgängig von „Gewalt“
der der Initiative und weitere zivilgesellschaftliche                          von Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung oder                            gesprochen.
Akteur:innen seit geraumer Zeit eingesetzt.                                    Gender-Identität4, Behinderungen, Religionszugehö-
                                                                               rigkeit, ethnischer, nationaler oder sozialer Herkunft,
Die Situation von unbegleiteten geflüchteten Kindern                           politischer Überzeugung, Gesundheitszustand,
findet in den Mindeststandards zum Schutz von ge-                              Gewalt- und/oder Missbrauchserfahrungen oder eines
flüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften keine                           sonstigen Status besonders schutzbedürftig sind. Zu
gesonderte Betrachtung. Sie müssen im Rahmen der                               diesen besonders schutzbedürftigen Personengruppen
Kinder- und Jugendhilfe (gemäß § 42 SGB VIII) und                              zählen mit Bezug auf Art. 21 der EU-Aufnahmerichtlinie
nicht wie Kinder im Familienverbund im Rahmen des                              (2013/33/EU) und ausweislich der Gesetzesbegründung
Asylgesetzes in Sammelunterkünften untergebracht                               zu § 44 Abs. 2 a Asylgesetz unter anderem
werden.
                                                                               ƒƒ   Frauen;
                                                                               ƒƒ   Kinder;
Heterogene Unterbringungslandschaft                                            ƒƒ   Jugendliche;
                                                                               ƒƒ   lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und
Die Unterbringungslandschaft in Deutschland ist                                     intergeschlechtliche Personen (LSBTIQ);
äußerst heterogen: Einige der Unterkünfte liegen in                            ƒƒ   Menschen mit Behinderungen;
Ballungszentren, andere im ländlichen Raum. Es gibt                            ƒƒ   religiöse Minderheiten;
unterschiedliche bauliche und räumliche Vorausset-                             ƒƒ   von Menschenhandel Betroffene;
zungen sowie Personalschlüssel. Die einen befinden                             ƒƒ   Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen;
sich in freier Träger:innenschaft, die anderen sind                            ƒƒ   Personen mit psychischen Störungen;
kommunal geführte Unterkünfte. Ankunfts-, Entschei-                            ƒƒ   ältere Menschen;
dungs- und Rückkehr-Einrichtungen (AnkER-Einrichtun-                           ƒƒ   Schwangere;
gen), Erstaufnahme- und Gemeinschaftsunterbringun-                             ƒƒ   Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern sowie

4. Unter „Geschlecht“ sei hier das biologische Geschlecht zu verstehen, wobei der Begriff in Deutschland im Allgemeinen als sehr offen interpretiert wird,   5. Darunter fallen laut Gesetzesbegründung des § 44 Abs. 2 a AsylG unter anderem Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt, weiblicher
   und sowohl sex als auch gender meinen kann. Mit „Gender“ wird hingegen das psychische und das soziale Geschlecht beschrieben. Dies umfasst zum               Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung, Opfer von Menschenhandel oder Opfer von Gewalt aufgrund sexueller, geschlechtsbezogener,
   einen die persönliche Geschlechtsidentifikation, zum anderen Zuschreibungen, die als männlich oder als weiblich gewertet werden.                             rassistischer oder religiöser Motive.

10                                                                                                                                                                                                                                                                                                   11
Mindeststandard 1

                                                                                                                                           gungen zu unternehmen, um zu vermeiden, dass                                 ƒƒ ehrenamtliche Unterstützer:innen
                                                                                                                                           die Bewohner:innen in irgendeiner Form durch die                             ƒƒ Mitarbeiter:innen sozialpädagogischer Organisatio-

Unterkunftsspezifisches
                                                                                                                                           (Dienst-)Leitungsbereiche der Unterkunft, bestimmte                             nen, die Kurse in der Unterkunft anbieten
                                                                                                                                           Verhaltensweisen der Mitarbeiter:innen oder auch
                                                                                                                                           durch Aktionen oder Personen von außen weiteren                              Auch Mitarbeiter:innen anderer Dienste, die durch

Schutzkonzept                                                                                                                              Schaden erleiden („do no harm“-Prinzip).7 Vielfältige
                                                                                                                                           Formen der Beteiligung, des Empowerments und
                                                                                                                                           der Partizipation sind wesentliche Schutzfaktoren.
                                                                                                                                                                                                                        ihre Tätigkeit erheblichen Einfluss auf das Wohl- und
                                                                                                                                                                                                                        Sicherheitsbefinden der geflüchteten Menschen in der
                                                                                                                                                                                                                        Unterkunft haben, müssen über das Schutzkonzept
                                                                                                                                           Sie werden ausdrücklich unterstützt und gefördert.                           informiert werden sowie darüber, entsprechend ihrer
                                                                                                                                        ƒƒ Direkte Intervention: Diese beinhaltet aktives                               Möglichkeiten und im Rahmen ihrer Zuständigkeiten an
Ein unterkunftsspezifisches Schutzkonzept, wie                           Einige Personengruppen sind etwa aufgrund von Alter,              Einschreiten bei Gewaltvorfällen, festgelegte Verfah-                        der Umsetzung mitzuwirken (z. B. Polizei, Bundesamt
es in den vorliegenden sechs Mindeststandards                            Geschlecht, sexueller Orientierung oder Gender-Identi-            rensweisen und Zuständigkeiten sowie Unterstüt-                              für Migration und Flüchtlinge, Ausländerbehörden).
dargestellt wird, ist ein Zusammenspiel aus Ana-                         tät, Behinderungen, Religionszugehörigkeit, ethnischer,           zung für Betroffene von Gewalt und Diskriminierung.
lyse, strukturellen Veränderungen, Vereinbarungen                        nationaler oder sozialer Herkunft, politischer Überzeu-           Der besondere Schutz von Kindern und Jugendlichen
und Absprachen. Es bildet Haltung und Kultur der                         gung, Gesundheitszustand besonders schutzbedürftig.               geht dabei über den Schutz vor Gewalthandlungen                              Gültigkeit und Verpflichtung extern
Unterkunft für geflüchtete Menschen ab. Dabei                            Zu den besonders schutzbedürftigen Personengruppen                hinaus und schließt den Schutz vor allen Gefähr-
umfasst es Prävention, Intervention und Monito-                          zählen mit Bezug auf Art. 21 der EU-Aufnahmerichtlinie            dungsformen wie unter anderem unzureichende                                  Das Schutzkonzept muss auch Bestandteil der Verträ-
ring/Evaluation, ist für alle in der Unterkunft täti-                    (2013/33/EU) und ausweislich der Gesetzesbegründung               Förderung, Vernachlässigung und unverschuldetes                              ge mit externen Dienstleister:innen und Zuliefer:innen
gen Personen und alle Bewohner:innen gültig und                          zu § 44 Abs. 2 a Asylgesetz unter anderem                         Versagen von Erziehungsberechtigten mit ein.                                 werden. Diese müssen vertraglich zur Zusammenar-
wird im Zusammenwirken aller partizipativ ent-                                                                                          ƒƒ Monitoring und Evaluation: Das Schutzkonzept,                                beit und Einhaltung der im Schutzkonzept festgelegten
wickelt sowie evaluiert. Insbesondere geflüchteten                       ƒƒ   Frauen;                                                      die aktuellen und zukünftigen Gefährdungslagen und                           Prinzipien und Leitlinien verpflichtet werden.
Menschen sollen aktiv Beteiligungsmöglichkeiten                          ƒƒ   Kinder;                                                      die konkrete Situation vor Ort müssen kontinuierlich
im Kontext des Schutzkonzeptes und ihrer Un-                             ƒƒ   Jugendliche;                                                 überprüft und weiterentwickelt werden, um Risiken
terbringung eröffnet werden. Das Schutzkonzept                           ƒƒ   lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und inter-            zu verringern und Bedarfe zu erkennen.                                       Partizipative Risikoanalyse
beschreibt einen unterkunftsspezifischen Prozess,                             geschlechtliche Personen (LSBTIQ);
der im Sinne einer ständigen Qualitätsentwick-                           ƒƒ   Menschen mit Behinderungen;                                                                                                               Dem Schutzkonzept liegt eine unterkunftsspezifische,
lung nie endgültig abgeschlossen sein wird,                              ƒƒ   religiöse Minderheiten;                                   Gültigkeit und Mitwirkung intern                                                partizipative Risikoanalyse zugrunde, die von der jewei-
sondern kontinuierlich auf Anpassungsbedarfe                             ƒƒ   von Menschenhandel Betroffene;                                                                                                            ligen Unterkunft erarbeitet wird und die Risiken einbe-
reagiert, wobei die jeweiligen Prozessergebnisse                         ƒƒ   Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen;          Die Unterkunftsleitung ist dafür verantwortlich, dass                           zieht, die bedingt sind etwa durch Alter, Geschlecht,
unabhängig von weiteren Entwicklungsprozes-                              ƒƒ   Personen mit psychischer Störung;                         ein Schutzkonzept entwickelt und umgesetzt wird.                                Gender-Identität, sexuelle Orientierung, Behinderun-
sen verbindlich sind. Ebenso ist es wichtig, dass                        ƒƒ   ältere Menschen;                                          Sie sollte dafür eine prozessbeauftragte Person (z. B.                          gen, Religionszugehörigkeit, ethnische, nationale oder
Schutzkonzepte so konzipiert werden, dass sie                            ƒƒ   Schwangere;                                               eine:n Gewaltschutzkoordinator:in) benennen, die den                            soziale Herkunft, politische Überzeugung und Gesund-
auch krisen- und notfallfest sind.                                       ƒƒ   Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern sowie         Gesamtprozess koordiniert. An der Erarbeitung des                               heitszustand oder eines sonstigen Status. Hierbei
                                                                         ƒƒ   Menschen, die Folter, Vergewaltigung oder andere          Schutzkonzeptes sind die Bewohner:innen und alle                                ist die erhöhte Gefährdung, die die Überschneidung
                                                                              schwere Formen psychischer, physischer oder sexuali-      Personengruppen, die anschließend ebenfalls in die                              einzelner Diskriminierungsmerkmale (z. B. Geschlecht
Schutz und Unterstützung für alle                                             sierter Gewalt erlitten haben.6                           Umsetzung eingebunden sind, möglichst umfassend                                 und Behinderung) mit sich bringen kann, besonders zu
Bewohner:innen, insbesondere besonders                                                                                                  zu beteiligen. Des Weiteren gehören dazu die folgen-                            beachten. Ebenso identifiziert die Risikoanalyse Gege-
schutzbedürftige Personengruppen                                         Besonders zu beachten ist hierbei die erhöhte Gefähr-          den Arbeitsbereiche und Mitarbeiter:innen:                                      benheiten, die zum Schutz beitragen können.8
                                                                         dung, die sich aus der intersektionalen Überschneidung
Alle Unterkünfte für geflüchtete Menschen müssen                         von verschiedenen Schutzbedarfen ergeben kann (z. B.           ƒƒ   sozialpädagogische und erzieherische Betreuung                             Analysiert werden Risiko- und Schutzfaktoren auf
über ein von der Unterkunft erarbeitetes Schutz-                         Geschlecht und Behinderung).                                   ƒƒ   Sozialbetreuer:innen                                                       sämtlichen, mindestens aber auf den Ebenen
konzept verfügen. Dieses muss so konzipiert sein,                                                                                       ƒƒ   psychosoziale Beratung und Sozialberatung
dass innerhalb der Unterkunft der Schutz von allen                       Das Schutzkonzept umfasst unter anderem folgende               ƒƒ   medizinische Versorgung                                                    ƒƒ   der Träger:innenschaft und Unterkunftsleitung;
geflüchteten Menschen, die in der Unterkunft leben                       Bereiche:                                                      ƒƒ   Asylverfahrensberatung                                                     ƒƒ   der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen;
– insbesondere besonders schutzbedürftige Personen-                                                                                     ƒƒ   Dolmetscher:innen und Dolmetscher:innendienste                             ƒƒ   der Bewohner:innen;
gruppen – in allen Bereichen durch Prävention, direkte                   ƒƒ Gewaltvermeidung/-prävention und Stärkung                   ƒƒ   Wach-, Brandschutz- und Sicherheitsdienstleistungen                        ƒƒ   der unterkunftsspezifischen Arbeitsabläufe sowie
Intervention und Monitoring/Evaluation gewährleistet                        der Schutzfaktoren: Jede in der Unterkunft tätige           ƒƒ   Hausmeister:innenservice                                                   ƒƒ   der örtlichen Begebenheiten, die auch das Risiko
ist.                                                                        Person ist verpflichtet, alle zumutbaren Anstren-           ƒƒ   Reinigungskräfte, Versorgungs- und Cateringservice                              rassistisch und rechtsextrem motivierter Straftaten

6. Darunter fallen laut Gesetzesbegründung des § 44 Abs. 2a AsylG unter anderem Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt, weiblicher        7. Vgl. Das Sphere-Handbuch: Humanitäre Charta und Mindeststandards in der humanitären Hilfe, 2018. Als interaktives PDF verfügbar unter https://handbook.
   Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung, Opfer von Menschenhandel oder Opfer von Gewalt aufgrund sexueller, geschlechtsbezogener,      spherestandards.org/de/sphere/#ch001, als einfaches PDF unter https://spherestandards.org/wp-content/uploads/Sphere-Handbook-2018-German.pdf.
   rassistischer oder religiöser Motive.                                                                                                8. Anleitung zur Erstellung einer partizipativen Risikoanalyse: https://www.gewaltschutz-gu.de/fuer-die-praxis/toolbox-schutzkonzepte.

12                                                                                                                                                                                                                                                                                                   13
gegen Unterkünfte für geflüchtete Menschen ein-                            Bestehende Beteiligungsmechanismen der Unterkunft                              Jede in der Unterkunft tätige Person ist verpflichtet,   Eine absolute Vertraulichkeit kann ebenso im Kontext
     schließt.                                                                  für geflüchtete Menschen wie Bewohner:innenräte, in                            alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um         von Gerichtsverhandlungen/Strafverfahren nicht zuge-
                                                                                denen sich die verschiedenen Gruppen der Unterkunft                            zu vermeiden, dass die Bewohner:innen durch die          sichert werden, da Mitarbeiter:innen nicht per se ein
Die Risikoanalyse benötigt eine:n Verantwortliche:n                             hinsichtlich Herkunft, Religion, Geschlecht, Behinde-                          Dienstleistungsbereiche der Unterkunft, durch be-        Zeugnisverweigerungsrecht haben.
und sollte mit verschiedenen partizipativen Ansätzen9                           rungen oder Familienstand widerspiegeln, sind an                               stimmte Verhaltensweisen der Mitarbeiter:innen oder
mit Vertreter:innen aller Arbeitsbereiche sowie einer                           Entwicklung, Umsetzung, Monitoring und Evaluierung                             durch Aktionen beziehungsweise Personen von außen
repräsentativen Auswahl von Bewohner:innen aller                                des Schutzkonzeptes zu beteiligen. Dabei muss si-                              (weiteren) Schaden erleiden. Denn alle Maßnahmen,
Altersgruppen durchgeführt werden.                                              chergestellt werden, dass nicht mehr als die Hälfte der                        Handlungen und Haltungen der Mitarbeiter:innen
                                                                                Beteiligten Männer sind. In Betracht gezogen werden                            haben das Potenzial, sich positiv oder negativ auf das
Auf Basis dieser Risikoanalyse müssen gezielte Hand-                            kann zudem ein eigenständiger mit entsprechenden                               psychosoziale Wohlbefinden der Bewohner:innen
lungsansätze zur Risikoverminderung, zur Stärkung der                           Kompetenzen ausgestatteter Frauenrat. Zudem müs-                               auszuwirken. Ziel aller von Mitarbeiter:innen durch-
Schutzfaktoren und zum Risikomanagement entwickelt                              sen Möglichkeiten der altersgerechten Beteiligung von                          geführten Aktionen muss es sein, das psychosoziale
werden. Konkret heißt das: zur Prävention und di-                               Kindern und Jugendlichen geschaffen werden. Wichtig                            Wohlbefinden und die Resilienz (Widerstandsfähig-
rekten Intervention, aber auch zur Unterstützung für                            ist, dass diese Beteiligungsmöglichkeiten strukturell                          keit) zu stärken, insbesondere der schutzbedürftigsten
Betroffene von Gewalt und Diskriminierung. Ziel ist es,                         verankert sind. Sollte ein Beteiligungsmechanismus                             Personengruppen. In der Unterkunft für geflüchtete
bestehende Risiken für geflüchtete Menschen in der                              innerhalb einer Unterkunft für geflüchtete Menschen                            Menschen muss ein Bewusstsein hinsichtlich dieses
Unterkunft zu verringern und ihren Schutz zu erhöhen.                           noch nicht etabliert sein, sind im Rahmen der Ent-                             Potenzials geschaffen werden. Es sind geeignete Me-
                                                                                wicklung des Schutzkonzepts geeignete Verfahren und                            thoden zu entwickeln, um die positiven wie negativen
Das Schutzkonzept muss integraler Bestandteil bereits                           Mechanismen in Kooperation mit den Beteiligten zu                              Auswirkungen des eigenen Handelns beurteilen zu
vorhandener unterkunftsspezifischer Konzepte, lau-                              entwickeln, zu testen und zu etablieren.                                       können.
fender Prozesse und der täglichen Arbeit sein. Bereits
bestehende (Gewalt-)Schutzkonzepte der Kommune                                  Um die Transparenz und Zugänglichkeit des Schutzkon-
und des jeweiligen Bundeslandes müssen dabei be-                                zeptes zu gewährleisten, müssen, aufbauend auf der                             Vertraulichkeit und Privatsphäre schützen
rücksichtigt werden.                                                            Beteiligung von Bewohner:innen an der Entwicklung des
                                                                                Schutzkonzeptes auch alle Bewohner:innen in einer ih-                          Dem Schutzkonzept liegt das Prinzip der Vertraulich-
                                                                                nen verständlichen Sprache nachvollziehbar, barrierefrei                       keit zugrunde. Alle Verdachtsmomente und Vorfälle
Partizipativ, transparent und offen                                             und altersgerecht über den Inhalt des Schutzkonzeptes                          werden vertraulich behandelt und die berufliche
zugänglich                                                                      informiert werden, und zwar schriftlich wie mündlich.                          Schweigepflicht (gemäß § 203 Strafgesetzbuch) ein-
                                                                                                                                                               gehalten. Über persönliche Informationen, von denen
Geflüchtete Menschen haben das Recht, an allen                                                                                                                 Mitarbeiter:innen, Ehrenamtliche oder externe Dienst-
Entscheidungen beteiligt zu werden, die sie betreffen.                          Bekenntnis zum grenzachtenden Umgang                                           leister:innen Kenntnis erhalten, wird Stillschweigen
Um dieses Recht zu wahren und die Nachhaltigkeit                                und zur Gewaltfreiheit als Leitbild                                            bewahrt. Es gilt, die Würde und Privatsphäre aller Be-
des Schutzkonzeptes zu erhöhen, ist es unerlässlich,                                                                                                           teiligten zu jeder Zeit zu schützen und Informationen
Mitarbeiter:innen und Vertreter:innen der Bewoh-                                Dem Schutzkonzept liegt ein von der Unterkunft für                             über personenbezogene Daten, Verdachtsmomente
ner:innen in die Risikoanalyse, die Entwicklung, die                            geflüchtete Menschen verfasstes Leitbild zugrun-                               und Vorfälle nur mit Zustimmung der Betroffenen an
Umsetzung, das Monitoring und die Evaluierung des                               de. Es beinhaltet die Einhaltung menschenwürdiger                              zuständige Mitarbeiter:innen und Behörden weiter-
Schutzkonzeptes einzubeziehen. Für besonders schutz-                            Standards für den Aufenthalt und das eindeutige                                zugeben. Die Grundsätze des Datenschutzes sind zu
bedürftige Personengruppen, die sich beispielsweise                             Bekenntnis, die Grund- und Menschenrechte aller Be-                            beachten. Dies gilt auch hinsichtlich der sexuellen
aufgrund des Gefahrenpotenzials oder aufgrund von                               wohner:innen zu achten. Der respektvolle, grenzach-                            Orientierung und geschlechtlichen Identität. Outings
Kommunikationsbarrieren in der Unterkunft nicht                                 tende und wertschätzende Umgang auf allen Ebenen                               ohne die Einwilligung von LSBTIQ Personen müssen
selbst vertreten können oder wollen, müssen stellver-                           ist eine notwendige Voraussetzung für ein friedliches                          ausgeschlossen werden. Vertraulichkeit und Daten-
tretend lokale, spezialisierte Fachberatungs- und Unter-                        Miteinander und fester Bestandteil der Arbeitshaltung                          schutz sind ferner bei gesundheitsrelevanten Daten zu
stützungsstrukturen dieser Personengruppen alternativ                           gegenüber den Bewohner:innen. Dieser Grundsatz                                 beachten und Stigmatisierungen durch nachlässiges
hinzugezogen werden. Dies gilt insbesondere für                                 besteht unabhängig von Krisen- und Notfallsituationen.                         Preisgeben von Diagnosen zu vermeiden. Es muss
LSBTIQ Geflüchtete, die sich nicht outen wollen, für                            Die Achtung der Vielfalt sowie das Prinzip der Konflikt-                       allerdings beachtet und kommuniziert werden, dass
die Belange (potenziell) von geschlechtsspezifischer                            sensibilität sind wesentlich, um Bewohner:innen ein                            Berufsgeheimnisträger:innen bei Vorliegen gewich-
Gewalt betroffene und/oder bedrohte Bewohner:in-                                respektvolles und schützendes Umfeld zu bieten. Dies                           tiger Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls
nen, Menschen mit Behinderungen sowie Angehörige                                kann Vorurteilen, Diskriminierung und Stigmatisierung                          eines Kindes oder einer:eines Jugendlichen innerhalb
religiöser Minderheiten.                                                        entgegenwirken sowie Konfliktpotenziale minimieren.                            des Rahmens von § 4 des Gesetzes zur Kooperation
                                                                                                                                                               und Information im Kinderschutz (KKG) befugt sind,
                                                                                                                                                               das Jugendamt zu informieren und erforderliche Da-
9. Z. B. Fokusgruppengespräche, bilaterale Gespräche, Diskussionen mit verschiedenen Akteur:innen, interne Diskussionen, Malen und Zeichnen mit Kindern etc.   ten zu übermitteln, um eine Gefährdung abzuwenden.

14                                                                                                                                                                                                                                                                          15
Mindeststandard 2

                                                                                                                     Verhaltenskodex                                                                   transparenter Bestandteil vertraglicher Vereinbarungen
                                                                                                                                                                                                       mit Mitarbeiter:innen und externen Dienstleister:in-

Personal und
                                                                                                                     Integrale Bestandteile des unterkunftsspezifischen                                nen. Über diese vertragliche Verpflichtung aller auch
                                                                                                                     Schutzkonzeptes sind ein Verhaltenskodex zur Präven-                              externer Beteiligter zur Einhaltung von Verhaltens-
                                                                                                                     tion von, zum Schutz vor und zur Intervention bei jeder                           kodex und Selbstverpflichtung und mögliche Konse-

Personalmanagement                                                                                                   Form von Gewalt sowie eine Selbstverpflichtung aller
                                                                                                                     in der Unterkunft haupt- und ehrenamtlich Tätigen, den
                                                                                                                     Verhaltenskodex einzuhalten. Alle Mitarbeiter:innen,
                                                                                                                                                                                                       quenzen bei Verstößen werden die Bewohner:innen
                                                                                                                                                                                                       informiert.

                                                                                                                     Dienstleister:innen und Ehrenamtliche der Unterkunft                              Die Leitung muss Qualitätsstandards sowohl bei der
                                                                                                                     für geflüchtete Menschen sind an die Einhaltung des                               Auswahl als auch beim Management von hauptamt-
Zentral für eine gelingende Umsetzung des Schutz-        Bewohner:innenkreises dargestellt. Zudem sollte es          unterkunftsspezifischen Schutzkonzeptes sowie des                                 lichen Mitarbeiter:innen und Ehrenamtlichen durch-
konzeptes sind eine umsichtige Personalgewinnung         in der Unterkunft eine feste Ansprechperson für das         darin festgelegten Verhaltenskodex und der Selbstver-                             setzen. Um dies zu gewährleisten, ermöglicht und
und ein funktionierendes, konflikt- und gewalt-          Schutzkonzept geben, die:der die Leitung bei Ent-           pflichtung vertraglich gebunden. Dies bestätigen sie                              unterstützt sie unter anderem eine fundierte Einarbei-
sensibles Personalmanagement. Grundlegend für            wicklung, Umsetzung und sowie beim Monitoring               mit ihrer Unterschrift. Diese Instrumente für den Ge-                             tung, zur Erkennung von besonderer Schutzbedürftig-
die Tätigkeit von Mitarbeiter:innen sowie für die        des Schutzkonzepts unterstützt. Dies hat sich in der        waltschutz werden partizipativ erarbeitet. Sie werden                             keit sowie zum Umgang mit besonders schutzbedürf-
Zusammenarbeit mit externen Dienstleister:innen          bisherigen Praxis der Implementierung von Schutz-           allen Beteiligten transparent und verständlich kom-                               tigen Personen und ermöglicht ggf. die Teilnahme an
und Ehrenamtlichen sind normgebende Instrumente          konzepten als äußerst effektiv erwiesen.                    muniziert, sodass sich dies konkret in ihrem Handeln                              themenspezifischen Schulungen.
wie ein Verhaltenskodex und eine Selbstverpflich-                                                                    und Verhalten widerspiegelt.
tungserklärung. Diese erweisen sich als besonders                                                                                                                                                      Sicherheitsmitarbeiter:innen werden vor Ort regelmä-
effektiv, wenn sie partizipativ erarbeitet werden.       Austausch im multiprofessionellen Team                      Alle Mitarbeiter:innen, Dienstleister:innen und Eh-                               ßig von Bewohner:innen angesprochen, vor allem in
Zudem verteilt das Personalmanagement zur Unter-                                                                     renamtlichen der Unterkunft unterschreiben die Selbst-                            Konfliktsituationen. Daher müssen ihre Kompetenzen
stützung der Mitarbeiter:innen Rollen, Mandate und       Damit Schutzkonzepte gelebt werden können, müssen           verpflichtung zur Einhaltung des Verhaltenskodex. Die                             im Umgang mit geflüchteten Menschen besonders
Verantwortlichkeiten transparent und verbindlich.        sie in die Abläufe des (Arbeits-)Alltags integriert sein.   Selbstverpflichtung stellt ein klares Bekenntnis gegen                            gefördert werden, insbesondere hinsichtlich interkul-
Dies trägt zu einem besseren Schutz der Bewoh-           Dies kann unter anderem durch einen verbindlichen           jede Form von Gewalt innerhalb der Unterkunft dar                                 tureller Unterschiede und Diversität. Entsprechende
ner:innen bei, da auf diese Weise erstens deutlich       regelmäßigen Austausch in multiprofessionellen Teams,       und ist integraler Bestandteil des Schutzkonzeptes. Sie                           Handlungskompetenz sowohl im Umgang mit als
wird, an wen sie sich mit welchen Anliegen wenden        verpflichtende Schulungen und ein arbeiternehmer:in-        definiert die Grundhaltung und die Schutzaufgabe aller                            auch zum Schutz von besonders schutzbedürftigen
können, und zweitens die Mitarbeiter:innen in ihrem      nenfreundliches Arbeitsumfeld realisiert werden.            in der Unterkunft tätigen Personen und fordert diese                              Geflüchteten ist unabdingbar. Zum Beispiel ist es zur
Handeln gestärkt werden. Die Schaffung eines                                                                         zugleich ein.                                                                     Sicherstellung einer sachgerechten und qualitätsge-
arbeitnehmer:innenfreundlichen Arbeitsumfeldes           Ein regelmäßiger, strukturierter und disziplinübergrei-                                                                                       stützten Sicherheitsdienstleistung erforderlich, dass
beinhaltet die Unterstützung multiprofessioneller        fender Austausch ist für ein kollegiales, respektvolles                                                                                       bereits bei öffentlichen Ausschreibungen und in allen
Zusammenarbeit, bedarfsgerechter verbindlicher           und offenes Miteinander unerlässlich. Sinnvoll ist          Personalgewinnung und -management                                                 vertraglichen Beziehungen Qualitätskriterien für die
Sensibilisierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen           die Unterscheidung in ein Kern- und ein erweitertes                                                                                           Erbringung der Sicherheitsdienstleistung berücksich-
sowie Möglichkeiten kollegialer Entlastung und ex-       Team, in dem auch das Wachpersonal und externe              Der Verhaltenskodex und die Selbstverpflichtung wer-                              tigt werden.10
terner Supervision durch die Leitung der Unterkunft.     Dienstleister:innen vertreten sind. Die verschiedenen       den bereits in Vorstellungsgesprächen gegenüber po-
                                                         Teams treffen sich in regelmäßigem Turnus mit fest-         tenziellen Mitarbeiter:innen und ehrenamtlich Tätigen                             Eine weitere Grundvoraussetzung für die Tätigkeit
                                                         gelegten, wiederkehrenden Themenschwerpunkten.              als verbindliche Voraussetzung für eine Beschäftigung                             aller Mitarbeiter:innen, Dienstleister:innen und eh-
Rollen und Verantwortlichkeiten                          Empfehlenswert ist, dass multiprofessionelle Team-          benannt, ebenso bei der Vergabe von Verträgen an                                  renamtlich Tätigen in der Unterkunft ist die Vorlage
                                                         besprechungen auch konkrete Fallbesprechungen und           externe Dienstleister:innen. Eine umfassende Auf-                                 eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses,
Die Wirksamkeit eines Schutzkonzeptes entfaltet sich     -analysen mit allen beteiligten Akteur:innengruppen         klärung darüber, welche Maßnahmen bei Verstößen                                   zunächst bei der Einstellung und später erneut in tä-
nur durch das gemeinsame Bestreben der Leitung und       beinhalten, also auch z.B. der Asylsozialberatung und       durch Mitarbeiter:innen oder externe Dienstleister:in-                            tigkeitsspezifisch angemessenen Abständen. Gesetz-
aller haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen. Die   des Wachschutzes.                                           nen ergriffen werden und welche Konsequenzen dies                                 lich verankerte Fristen zur Wiedervorlage sind hierbei
Unterkunftsleitung trägt die Hauptverantwortung für                                                                  für das Arbeits- beziehungsweise Dienstleistungsver-                              zu berücksichtigen. Zusätzlich hat bei Sicherheits-
Entwicklung, Umsetzung und Monitoring des Schutz-        Entwicklung, Umsetzung und Monitoring des Schutz-           hältnis hat, ist durch die Unterkunft vor Beginn eines                            dienstmitarbeiter:innen grundsätzlich eine Überprüfung
konzeptes.                                               konzeptes müssen ein fester Tagesordnungspunkt              Vertragsverhältnisses sicherzustellen. Insbesondere                               durch den Verfassungsschutz zu erfolgen.11 Um dem
                                                         bei den regelmäßigen Teamsitzungen sein. Zusätz-            auf die arbeitsrechtlichen Folgen nach einem Verstoß                              Bedarf von Mädchen und Frauen an gleichgeschlecht-
Definierte Rollen sowie feste Verantwortungsbereiche     lich muss es die Leitung dem gesamten haupt- und            wird deutlich hingewiesen. Der Verhaltenskodex und                                lichen Kontaktpersonen gerecht zu werden, ist eine
aller Mitarbeiter:innen, Ehrenamtlichen und Dienst-      ehrenamtlichen Personal ermöglichen, die Umsetzung          die Selbstverpflichtung sind somit verbindlicher und                              angemessene Anzahl an weiblichen Fachkräften in der
leister:innen im Rahmen der Umsetzung des Schutz-        des Schutzkonzeptes in Form von Supervisionen oder
konzepts, finden sich unter anderem in Aufgaben- und     anderen Austauschformaten zu reflektieren. Super-
Stellenbeschreibungen und Verträgen wieder. Die          vision wie auch andere Austauschformate sollten             10. Kriterien hierfür finden sich im Leitfaden „Schutz von Flüchtlingseinrichtungen oder -unterkünften für öffentliche Auftraggeber“ des Bundesverbandes der
                                                                                                                         Sicherheitswirtschaft (BDSW) und in der DIN 77200-2:2020-07, siehe https://www.din.de/de/mitwirken/normenausschuesse/nadl/veroeffentlichungen/wdc-
Verantwortungsbereiche und Zuständigkeiten werden        dem gesamten haupt- und ehrenamtlichen Personal
                                                                                                                         beuth:din21:321300564.
transparent innerhalb des Mitarbeiter:innen- und des     zugänglich sein.                                            11. Vgl. § 44 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 34 a Abs. 1 Satz 5 Ziffer 3 f. Gewerbeordnung (GewO).

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