47 ZEITSCHRIFT DES DIRIGENTENFORUMS JULI 2019

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47 ZEITSCHRIFT DES DIRIGENTENFORUMS JULI 2019
ZEITSC H R I FT DES DI R IGENTEN FORUMS
                                         J U LI 2019

47   Deutscher Dirigentenpreis
     2019 in Köln:
     Die Kandidaten

     S E ITE N 4 B I S 7
                                 Vielfältiges Kursprogramm:
                                 Von der Operette bis
                                 zur Chorsinfonik

                                 S E ITEN 8 B IS 2 2
                                                                Der Freundeskreis
                                                                des Dirigentenforums

                                                                S EITEN 2 0 B I S 21
47 ZEITSCHRIFT DES DIRIGENTENFORUMS JULI 2019
Wenn Beethoven,
dann Bärenreiter.

Orchesterwerke von
Ludwig van Beethoven
Die Neun Symphonien
Partituren und Orchesterstimmen      BA 9001–BA 9009   ●   Urtext-Ausgaben
9 Dirigierpartituren im Schuber      BA 9000               auf dem aktuellsten Stand
9 Studienpartituren im Schuber       TP 900
                                                           der Forschung
Die fünf Klavierkonzerte                               ●   Herausgegeben von dem
Partituren und Orchesterstimmen      BA 9021–BA 9025       renommierten britischen
5 Studienpartituren im Schuber       TP 920
                                                           Musikwissenschaftler
Konzert für Klavier und Orchester                          Jonathan Del Mar
nach dem Violinkonzert op. 61        BA 9013           ●   Das komplette
Konzert in D für Violine
                                                           Orchestermaterial ist
und Orchester op. 61                                       käuflich erhältlich
Partitur und Orchesterstimmen        BA 9019

Romanzen in F und G für Violine
und Orchester op. 40 und op. 50                                   Mit Beethoven
Partitur und Orchesterstimmen        BA 9026                      durch das Jahr 2020
Konzert in C für Klavier, Violine,                                Taschenkalender
Violoncello und Orchester op. 56                                  (10,5 x 14,8 cm)
„Tripelkonzert“                                                   ISBN 978-3-7618-2450-4
Partitur und Orchesterstimmen        BA 9027                      € 14,95

            Bärenreiter Urtext
    di r igenten forum 47 | J u li 2019
             Your next performance is worth it.                      www.baerenreiter.com
47 ZEITSCHRIFT DES DIRIGENTENFORUMS JULI 2019
Editorial                                                                            Inhalt
                                                                                     Editorial                                3

                                                                                     Deutscher Dirigentenpreis:
                                                                                     Die Kandidaten                           5
                                                                                     Termine                                  7

                                                                                     Vergessene Operette                     8
FOTO: JA N N WI LKEN

                                                                                     Korngold-Entdeckung                     10

                                                                                     Große Chorsinfonik                      12

                                                                                     Opernkurs Leipzig                       13
Liebe Leserin, lieber Leser,
                                                                                     Conductor Collider                      14
im Herbst wird es spannend, wenn vom       zu bieten. Auf dem Gebiet der zeitge-
11. bis 18. Oktober 2019 der Deutsche      nössischen Musik stellte die erstmalige   Junge Dirigenten zeigen Format          15
Dirigentenpreis zum zweiten Mal in         Zusammenarbeit mit dem renom-
Köln ausgetragen wird! Wir nehmen          mierten Kölner Ensemble Musikfabrik       Vier junge Dirigenten
diese Ausgabe zum Anlass, Ihnen die        im März für unsere Orchesterstipendi-     im Rampenlicht                          16
zwölf Kandidatinnen und Kandidaten,        aten ein Highlight dar, das in Zukunft
die die Wettbewerbs-Jury zur Teil-         wiederholt werden soll (S. 14).           Dramatik aus Disziplin                  17
nahme ausgewählt hat, vorzustellen
(Seiten 4-7). Sie alle werden im Oktober   Der Freundeskreis Dirigentenforum         Fliegender Wechsel in der Metzinger
Gelegenheit haben, mit dem Gürze-          e.V. wurde im Rahmen des 25-jährigen      Stadthalle                          18
nich-Orchester Köln, dem WDR Sinfo-        Jubiläums des Dirigentenforums im
nieorchester sowie Sängerinnen und         November 2016 gegründet und hat           WDR Rundfunkchor                        19
Sängern der Oper Köln in der Kölner        seither schon viele unserer Projekte
Philharmonie zu arbeiten und der Jury      unterstützt und ermöglicht. Mit           Fünf Fragen an... Andreas Bausdorf     20
ihr Können im Sinfonie- und Opernre-       diesem Heft führen wir die neue
pertoire zu demonstrieren.                 Rubrik „Fünf Fragen an…“ ein, in der      Assistenz bei Jörg Widmann              21
                                           sich jeweils ein Mitglied des Freundes-
In der ersten Jahreshälfte stand im        kreises den Fragen unserer Redaktion      Dirigierkurs Nürnberg                   22
Dirigentenforum neben der Aufnahme         stellt und Einblick gibt in die Beweg-
neuer Stipendiaten im Orchester- und       gründe und Ziele der Förderarbeit.        Neue Herausforderungen                  23
Chorbereich (S. 27) ein umfangreiches      Den Anfang macht Andreas Bausdorf
Kursangebot auf dem Programm. Ich          (S. 20), Vorstandsvorsitzender des        Chefposition und erste Preise          24
freue mich besonders, dass wir unseren     Freundeskreises Dirigentenforum e.V.
Chorstipendiaten neben einem hochka-       und Geschäftsführer der Deutschen         Informationen zur Bewerbung            24
rätigen a cappella-Kurs mit dem WDR        Orchester-Stiftung.
Rundfunkchor die Möglichkeit bieten                                                  Neun neue Maestri                       27
konnten, auch im chorsinfonischen und      Das Team des Dirigentenforums
im Opernchor-Bereich Erfahrungen zu        wünscht Ihnen viel Freude bei der         Impressum                              30
sammeln und Kontakte zu knüpfen            Lektüre und eine schöne, erholsame
(Seiten 12, 13 und 19).                    Sommerzeit!

Es ist uns ein Anliegen, unseren           Ihre
Stipendiaten in möglichst vielen
musikalischen Bereichen und Genres
die Gelegenheit zur praktischen Arbeit

                                                                                                                          2 | 3
47 ZEITSCHRIFT DES DIRIGENTENFORUMS JULI 2019
D eutsc h er musi kr at

di r igenten forum 47 | J u li 2019
47 ZEITSCHRIFT DES DIRIGENTENFORUMS JULI 2019
deutsc h er d i r igenten pr eis 2019

Die Kandidaten
Zwölf Dirigentinnen und Dirigenten für den Deutschen Dirigentenpreis 2019 nominiert

Das Dirigentenforum des Deutschen           Jahre sind. Unter 91 Bewerbern aus aller   sowie Michael Mund (Oper Köln). Die
Musikrats richtet den Deutschen             Welt wurden 12 Kandidaten ausge-           Kandidaten Johannes Braun und Gábor
Dirigentenpreis 2019 in Partnerschaft       wählt. Die Video-Vorauswahl fand unter     Hontvári qualifizierten sich für den
mit der Kölner Philharmonie, der Oper       dem Jury-Vorsitz von Lothar Zagrosek in    Deutschen Dirigentenpreis über ihre
Köln, dem Gürzenich-Orchester Köln          Bonn statt. Mitglieder dieser Jury waren   erfolgreiche Teilnahme am Dirigenten-
und dem WDR Sinfonieorchester aus.          außerdem Siegwald Bütow (WDR Sinfo-        forum, die mit mehreren Juryentschei-
Bewerben konnten sich Dirigentinnen/        nieorchester), Patrick Hahn und Ulrike     dungen verbunden ist.
en aller Nationen, die jünger als 32        Schäfer (Gürzenich-Orchester Köln)

                                            ergänzten sein Studium. 2016 wurde er      Ka Hou Fan studierte an der École
                                            mit dem Ernst-von-Schuch-Preis ausge-      Normale de Musique de Paris sowie an
                                            zeichnet und 2017 belegte er beim          der Universität für Musik und darstel-
                                            8. Dirigierwettbewerb der Mitteldeut-      lende Kunst Wien. Beim Princess Astrid
                                            schen Musikhochschulen mit dem MDR         International Music Competition 2018
                                            Sinfonieorchester den zweiten Platz.       und dem Maestro Solti International
                                                                                       Conducting Competition 2017 erreichte
                                                                                       er jeweils das Semi-Finale. Seit 2019
                                                                                       nimmt er am Master-Programm des
Johannes Braun                                                                         Conservatorium van Amsterdam und
                                                                                       des Royal Conservatoire of The Hague
Johannes Braun ist seit der Spielzeit                                                  teil, in dessen Rahmen er Assistenzen
2017/18 als 1. Kapellmeister am Landes-                                                bei Dirigenten und professionellen
theater Coburg verpflichtet. Er studierte                                              Orchestern absolvieren wird.
an der Hochschule für Musik Karlsruhe
und der Hochschule für Musik „Franz
Liszt“ Weimar. Meisterkurse u.a. bei
Bernard Haitink und Johannes Schlaefli      Ka Hou Fan

                                                                                                                        4 | 5
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deutsc h er di r igenten pr eis 2019

Julio García Vico                         Gábor Hontvári                             Marc Leroy-Calatayud

Julio García Vico studiert seit 2015 an   Gábor Hontvári studiert seit 2015          Seit 2016 ist Marc Leroy-Calatayud Assi-
der Robert Schumann Hochschule            an der Hochschule für Musik „Franz         stant conductor an der Opéra National
Düsseldorf Dirigieren. Zuvor absol-       Liszt“ Weimar. Zuvor absolvierte er        de Bordeaux und beim Orchestre Natio-
vierte er seinen Master für Neue Musik    seinen Bachelor im Orchester- und          nal Bordeaux-Aquitaine. Er studierte
(Klavier) beim Ensemble Modern und        Chordirigieren an der Franz-Liszt-         an den Musikhochschulen in Lausanne,
war Akademist beim Spanischen Natio-      Musikakademie in Budapest. Beim            Wien sowie Zürich und besuchte
nalorchester. An der Musikhochschule      Internationalen „Lantos Rezső Wettbe-     Meisterkurse u.a. bei Bernard Haitink
Madrid studierte er von 2009 bis 2013     werb“ für junge Chordirigenten 2014        und Vladimir Jurowski. Konzerten-
Klavier. Auftritte als Dirigent führten   und beim 7. Dirigierwettbewerb der         gagements erhielt er bisher u.a. beim
ihn u.a. an die Komische Oper am Rhein.   mitteldeutschen Hochschulen mit dem        Orchestre de l’Opéra de Limoges,
2018 assistierte er Rüdiger Bohn beim     MDR ging er als 1. Preisträger hervor.     dem Musikkollegium Winterthur, der
European Workshop for Contemporary        Beim Wettbewerb „Campus Dirigieren“        Janáček Philharmonie Ostrava und
Music. 2019 übernahm er eine Assistenz    erhielt er 2019 den 2. Preis sowie den     der Südwestdeutschen Philharmonie
für Fausto Nardi bei der Internationale   Publikumspreis.                            Konstanz.
Opernakademie in Weikersheim.

Niklas Benjamin Hoffmann                  Nicolas Kierdorf                           Paul Marsovszky

Niklas Benjamin Hoffmann gewann           Nicolas Kierdorf absolvierte seinen        Paul Marsovszky studierte zunächst an
2016 den International Donatella          Bachelor in Orchesterdirigieren an der     der Franz Liszt Musikakademie Buda-
Flick & LSO Conducting Competition        HfMT Köln und ist seit 2017 im Master-     pest, wo er seinen Master-Abschluss
und wurde infolgedessen Assistant         programm an der HfMT Hamburg.              mit Bestnote und Auszeichnung absol-
Conductor des London Symphony             Meisterkurse u.a. bei Johannes             vierte. Seit 2018 studiert er an der UdK
Orchestra. Hier arbeitete er eng mit      Schlaefli, Nicolás Pasquet und Markus      Berlin. Zu den professionellen Orche-
allen Gast- und Chefdirigenten wie z.B.   Lehtinen gaben weitere wichtige            stern, mit denen er bisher gearbeitet
Valery Gergiev, Sir Simon Rattle und      Impulse. 2019 erreichte er das Finale      hat, gehören das Ungarische Rund-
Bernard Haitink zusammen und diri-        beim Deutschen Hochschulwettbe-            funkorchester, Festival Strings Lucerne,
gierte eigene Konzerte. Sein Studium      werb „Campus Dirigieren“. Mit den          Symphonisches Orchester Savaria,
absolvierte er an der Musikhochschule     Hamburger Symphonikern konzer-             Concerto Budapest, Danubia Orchester,
„Franz Liszt“ in Weimar. Engagements      tiert er regelmäßig und ist seit 2019      die Magdeburgische Philharmonie, die
führten ihn u.a. zum St. Petersburg       Künstlerischer Leiter des Orchesters der   Brandenburger Symphoniker sowie
Symphony Orchestra und der Staats-        Konrad-Adenauer-Stiftung.                  das Brandenburgische Staatsorchester
philharmonie Rheinland Pfalz.                                                        Frankfurt.

di r igenten forum 47 | J u li 2019
47 ZEITSCHRIFT DES DIRIGENTENFORUMS JULI 2019
deutsc h er di r igenten pr eis 2019

                                                Vitaly Shevelev ist seit 2017 Kapell-            war sie u.a. beim Orchestre National de
                                                meister am Buryat State Academic                 Lille, dem Berkeley Ensemble und dem
                                                Opera and Ballet Theatre (Russland).             Orchestre Victor Hugo Franche-Comté
                                                Er studierte am Sankt Petersburger               zu erleben.
                                                Konservatorium und besuchte Meister-
                                                kurse u.a. bei Vasily Sinaisky und
                                                Alexander Titov. Die Orchester des
                                                Eremitage-Theaters und des Sankt
                                                Petersburger Konservatoriums, das
                                                North-West Grand Orchestra, das Sankt
Simon Proust                                    Petersburger Jugendorchester und
                                                das Internationale Sinfonieorchester
Simon Proust ist seit 2017 Künstle-             Tavrichesky gehören u.a. zu den Ensem-
rischer Leiter des Orchestre des Jeunes         bles, mit denen Vitaly Shevelev bislang
du Centre und seit 2010 des von ihm             konzertierte.                                    Johannes Zahn
gegründeten Ensemble Cartésixte.
2017-2019 war er Chef assistant beim                                                             Mit dem Gewinn des Aspen Conduc-
Ensemble Intercontemporain. Beim                                                                 ting Prize 2018 und dem 2. Preis des
Princess Astrid International Music                                                              7. International Conducting Compe-
Competition erhielt er 2018 den 2. Preis.                                                        tition Jorma Panula in Finnland
Sein Studium absolvierte er am Conser-                                                           (ohne Vergabe des 1. Preises) konnte
vatoire National Supérieur de Musique                                                            Johannes Zahn international auf sich
in Paris. Als Gastdirigent arbeitet er                                                           aufmerksam machen. Bis 2017 studierte
regelmäßig mit dem Orchestre Nati-                                                               er an der HfMT Hamburg; zurzeit ist
onal de Lille, dem Orchestre Sympho-                                                             er Student an der Zürcher Hochschule
nique Région Centre Tours u.a.                  Chloé van Soeterstède                            der Künste. Johannes Zahn dirigierte
                                                                                                 bereits zahlreiche Orchester, darunter
                                                Chloé van Soeterstède studierte in Paris,        das City of Birmingham Symphony
                                                London und Manchester. 2018 war sie              Orchestra, die Symphoniker Hamburg,
                                                Finalistin beim International Donatella          die Bremer Philharmoniker, das Berner
                                                Flick & LSO Conducting Competition               Symphonieorchester, Festival Strings
                                                und erreichte 2017 das Viertelfinale             Lucerne u.a.
                                                beim Besançon International Conduc-
                                                ting Competition. Sie ist Gründerin und
                                                Künstlerische Leiterin des Ensembles
                                                Arch Sinfonia, das Konzerte in London,
Vitaly Shevelev                                 Paris und Lille gibt. Als Gastdirigentin

Termine
Öffentliche Wertungsrunden in der Kölner Philharmonie (Eintritt frei):
Mittwoch, 16.10.2019, 10:00 Uhr                  WDR Sinfonieorchester
Donnerstag, 17.10.2019, 10:00 Uhr                Gürzenich-Orchester Köln, Ensemble und Internationales Opernstudio der Oper Köln
Donnerstag, 17.10.2019, 14:00 Uhr                WDR Sinfonieorchester

Finalkonzert:
Freitag, 18.10.2019, 20:00 Uhr                      WDR Sinfonieorchester, Gürzenich-Orchester Köln, Sänger des Ensembles und des
                                                    Internationalen Opernstudios der Oper Köln

Tickets für das Finalkonzert sind unter koelner-philharmonie.de und koelnticket.de erhältlich.

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47 ZEITSCHRIFT DES DIRIGENTENFORUMS JULI 2019
deutsc h l an dfu n k, musi k jou r nal, 14. jan uar 2019

Vergessene Operette
„Rosen aus Florida“ an der Musikalischen Komödie Leipzig Von c l aus fisc h er

Erstaunlich aktuell - „Der Bachelor“

                                            FOTOS: TOM SC H U LZE
anno 1929
Goliath Armstrong ist Multimillionär
und einer der begehrtesten Jungge-
sellen Manhattans. Selbstverständ-
lich kann er sich vor Heiratsanträgen
kaum retten. Er genießt jedoch lieber
sein turbulentes Jet-Set-Leben. Sein
besonderer Spleen: Wo auch immer er
sich gerade aufhält, lässt er sich Rosen
aus Florida einfliegen. Prophylaktisch.
Es könnte ja vielleicht doch einmal die
Richtige vor der Tür stehen.
Die Handlung der Operette „Rosen
aus Florida“ ist durchaus aktuell. Sie
erinnert an das Konzept von „The
Bachelor“, einer Reality-Soap des
Privatfernsehens, sagt der Chefdirigent    Yura Yang dirigiert das Orchester der Musikalischen Komödie Leipzig.
der Musikalischen Komödie Leipzig
Stefan Klingele. So wundert er sich        Stück zu vollenden. Er tat es. Aber über       sogar ein Banjo vorgesehen. Dann
schon, dass sie in den letzten Jahren      den Verbleib der Manuskriptfragmente           gibt es wieder Passagen, die deutlich
von keinem Theater im deutschen            ist nichts bekannt, sagt Stefan Klingele.      nach Richard Strauss oder Ermanno
Sprachraum gespielt worden ist: „1951      „Ich weiß nicht, ob die im Krieg verloren      Wolf-Ferrari klingen. Eine anregende
in St. Gallen, das ist die letzte mir      gingen, vielleicht tauchen sie ja auch         Melange - und eine anspruchsvolle
bekannte Aufführungsserie gewesen –        wieder auf. Aber vielleicht ist das auch       Aufgabe für die junge Nachwuchsdi-
knapp siebzig Jahre ist das Stück jetzt    eine Sage! Was man festhalten kann             rigentin und ihre beiden männlichen
verschwunden.“                             ist, dass die Berta Fall, die Witwe Fall       Kollegen, die das Werk unter Anleitung
                                           einfach wirklich Geld brauchte, weil           von Stefan Klingele innerhalb einer
Verschwundene Manuskriptfragmente          Leo Fall ein lebenslustiger Mann war,          Woche einstudiert haben.
- Ein „Fall“ für die Forschung             der alles verspielt und versoffen hat          „Was uns sehr auffällt, ist die reiche
Der Komponist Leo Fall war zu              wahrscheinlich. Und Berta Fall hat sich        Instrumentation“, sagt Klingele. „Es ist
Lebzeiten ein Star. Seine Operetten        ja irgendwann das Leben genommen,              im Schlagwerk unheimlich viel Silbriges,
„Madame Pompadour“, „Die Dollarprin-       einfach weil sie wirklich einsam und           Zartes. Harfe kommt zum Einsatz, zwei
zessin“ oder „Die Rose von Stambul“        alleine war und nicht wusste, wie sie          Saxophone, die in den Liebesduetten
waren und sind bis heute Publikums-        ihre Existenz sichern sollte. Vielleicht       auch immer in Terzen spielen. Auch die
renner. Aber fast jeder fleißige Genius    war es einfach eine Art Geschenk von           Streicher sind in der Harmonieführung
verliert auch gelegentlich die Lust,       Korngold an Berta Fall…“                       ganz dicht…“
ein Projekt zu Ende zu führen. Das
Manuskript von „Rosen aus Florida“         Musikalische Vielfalt - Von Charleston         Wie dirigiert man Operette? Die Genese
blieb Fragment - und wanderte in die       bis Richard Strauss                            der Produktion
Schublade. Leo Fall hat es bis zu seinem   Die Partitur von „Rosen aus Florida“ ist       „Man weiß es nicht so genau: Was ist
Tod nicht mehr angerührt.                  äußerst abwechslungsreich. Ähnlich             von Fall und was von Korngold“, sagt
Damit begann eine spannende                wie bei Korngolds älterem Kollegen             einer der drei Stipendiaten des Deut-
Geschichte, die noch längst nicht          Paul Abraham wird der walzer- und              schen Musikrats, der Schweizer Reto
hinreichend erforscht ist. Die Witwe       marschlastige Operettenklang ab und            Schärli. „Es ist tatsächlich zum ersten
Leo Falls übergab die Fragmente dem        an durch typische Modetänze der zwan-          Mal, dass ich ein Stück gelernt habe
damals jungen Komponisten Erich            ziger Jahre wie Foxtrott und Charleston        und es keine einzige Aufnahme gab“,
Wolfgang Korngold mit der Bitte, das       angereichert. Bei einer Nummer ist             ergänzt Yura Yang, die aus Südkorea

di r igenten forum 47 | J u li 2019
47 ZEITSCHRIFT DES DIRIGENTENFORUMS JULI 2019
deutsc h l an dfu n k, musi k jou r nal, 14. jan uar 2019

stammt und nach einer Hospitanz                finden, falsche Noten finden, z.B. auch           und angenehm-voluminösem Sopran.
an der Dresdner Staatsoperette                 Stricharten anpassen und auch testen –            Ein gelungener Operettenabend, der
inzwischen bereits eine Stelle hat, als        und das ist ein richtiger Workshopcha-            dem Leipziger Publikum eine lohnende
Kapellmeisterin am Theater in Kiel. „Ich       rakter, wie man es eigentlich erwartet.“          Entdeckung ermöglicht hat!
habe einmal Operette machen dürfen
in Dresden und ich habe dann gemerkt,          Gelungenes Experiment - Eindrücke aus             Bereicherung des Repertoire-Kanons:
dirigieren tut man auch anders, finde          der Premiere                                      „Rosen aus Florida“ lohnt auch die
ich, wenn man Operette dirigiert. Und          Alle drei Stipendiaten wurden der                 szenische Produktion
ich wollte die Möglichkeit nutzen, dass        Aufgabe voll gerecht, allerdings                  Christian Geltinger, der Chefdrama-
man das wirklich lernen kann von so            dirigierten Yura Yang und Chanming                turg der Oper und der Musikalischen
einem tollen Dirigenten.“                      Chung aus Südkorea bei der Premiere               Komödie Leipzig kann sich eine
Stefan Klingele hält „Rosen aus                der konzertanten Produktion eine Spur             szenische Produktion der „Rosen aus
Florida“ für bestens geeignet, um              mitreißender und musikantischer als               Florida“ in Zukunft sehr gut vorstellen:
den drei Stipendiaten - der dritte,            der Schweizer Reto Schärli. Auch das              „Das ganze Stück könnte man unter
Chanmin Chung, stammt ebenfalls aus            Sängerensemble der Musikalischen                  das Motto „Der Bachelor“ stellen. Im
Südkorea - die musikalische Leitung            Komödie Leipzig war in bester Form.               zweiten Akt gibt es z.B eine Schön-
einer Operette zu vermitteln. „Es gibt         Adam Sanchez gab den Jungmilliardär               heitskonkurrenz, einen Schönheits-
langsame Walzer, schnelle Walzer,              Goliath Armstrong als leicht schmie-              wettbewerb... letzten Endes könnte
Märsche, Tänze, da ist einfach alles           riger Tenor mit herrlich-komischen                man das wunderbar aktualisieren auf
drin! Da lernen sie in alle Richtungen zu      Lebemann-Posen. Als Gast am Haus                  die heutige Zeit.“ Chefdirigent Stefan
dirigieren. Man muss Rubato dirigieren         überzeugte Desirée Brodka in der Partie           Klingele sieht das genauso: „Ich bin
und leise Klänge zart blühen lassen und        der Dorrit, jener Frau, die Goliath von           ziemlich sicher, dass in den nächsten
auch mal reinhauen bei den drama-              Seiten seiner Eltern zugedacht war, die           Jahren ein Theater eine Inszenierung
tischen Stellen!“                              ihn aber völlig kalt lässt. Doch selbst-          machen wird!“
Da dem Orchester der Musikalischen             verständlich kommt er am Schluss doch
Komödie Leipzig die Musik von „Rosen           noch unter die Haube. Nach turbu-
aus Florida“ auch noch nicht bekannt           lenten Verwechslungsszenen kommt                  Der Beitrag wurde am 14. Januar 2019 in der
war, hatten es die drei Nachwuchs-             es zum Happy-End mit der russischen               Sendung „Musikjournal“ im Deutschland-
maestri in den Proben natürlich                Adligen Irina Naryschkin, der Goliaths            funk gesendet.
leichter, von den Musikern akzeptiert          immenser Reichtum sichtlich egal war.
zu werden. „Das Orchester muss sich            Sie wurde von Ensemblemitglied Lilly
da schnell in ganz neue Stücke rein-           Wünscher verkörpert, mit großer Geste

Moderatorin Bettina Volksdorf interviewt Reto Schärli, Yura Yang und Chanmin Chung (v.l.n.r.).

                                                                                                                                      8 | 9
47 ZEITSCHRIFT DES DIRIGENTENFORUMS JULI 2019
n eu e musi kzeitu ng (nmz), 13. jan uar 2019

Korngold-Entdeckung
„Rosen aus Florida“ an der Musikalischen Komödie Leipzig Von rol an d h. di ppel

Es war vom 08. bis 13. Januar 2019:      nur die Teile, die sie in den beiden          noch lange mit Freude daran erinnern,
der 16. Operetten-Workshop Junge         Vorstellungen auch dirigierten. Der           wie wenig Mühe sie mit den Gesangs-
Dirigenten mit Abschlusskonzerten in     Schweizer Reto Schärli ist freischaf-         solisten wie Desirée Brodka (a. G.), Lilli
der Musikalischen Komödie Leipzig. In    fend. Die beiden Südkoreaner haben            Wünscher und Adam Sanchez hatten.
den Proben unter der künstlerischen      bereits feste Engagements, wo sie als         Diese beherrschen alle Tücken des
Gesamtleitung von Stefan Klingele        Kapellmeister sicher nicht allzu lange        Metiers, der pikanten bis pathetischen
saß auch Roland Seiffarth, der Initi-    auf eigene Operetten-Einstudierungen          Dialoge, der zwischen Raffinesse und
ator des Projekts, und beobachtete,      warten müssen. Bei den Arbeits- und           Eingängigkeit changierenden Melodien
wie die Werkauswahl für das Dirigen-     Schlussproben standen zwei Schwer-            und das dröhnende Herausschleudern
tenforum des Deutschen Musikrats         punkte im Vordergrund: Die richtigen          der Refrains. So bekommen die jungen
immer raffinierter und in diesem Fall    Klangfarben, also eine bei Korngold           Dirigenten Impulse, die sie zu Höchst-
für Interpreten deutlich komplizierter   sehr intensive Herausforderung, und           leistungen und entspannter Konzentra-
wird. Nach „Das Lied der Liebe“ lagen    die korrekte Proportionierung von             tion herausfordern. Aber irgendetwas
die Noten zu Erich Wolfgang Korngolds    Dynamik und Ausdruck.                         ist immer bei der Mischung aus Leo
erfolgreichster Operette „Rosen aus      Das Projekt soll nicht nur den Zielvor-       Fall und Erich Wolfgang Korngold, der
Florida“ (Wien 1929) nach Fragmenten     stellungen des Deutschen Musikrats            im Jahr 1929 für das Theater an der
von Leo Fall in der Dialogbearbeitung    entsprechen, sondern auch dem                 Wien mit „Rosen aus Florida“ seine
von Christian Geltinger und Stefan       unter Stefan Klingele und Cusch Jung          zu Lebzeiten erfolgreichste Operette
Klingele auf den Pulten: Schwierig,      spannend-ambitionierten Spielplan             schrieb: Ausgefeilt in der Rhythmik
prickelnd, raffiniert!                   der Musikalischen Komödie zusätzliche         und in der Melodik ist das Werk nur
Dieses Jahr hat Stefan Klingele mit      Reizstoffe injizieren. Die Messlatte ist      mit Hybridstücken wie Künnekes „Die
den drei Teilnehmern des Operetten-      noch höher, seit im Herbst Korngolds          große Sünderin“ oder des späten Lehár
workshops genau eingetaktet, wann        „Das Lied der Liebe“ nach Melodien von        vergleichbar. Erich Wolfgang Korngold
jeder in den beiden Teilen der Auffüh-   Johann Strauß, das Werk des Operetten-        hatte die von Leo Fall hinterlassenen
rung zum Zug kommt. Sie probten          Workshops 2018, als CD-Weltpremiere           Musiknummern seiner eigenen musi-
                                                                       erschien.       kalischen Individualität angeglichen:
                                                                       Allerdings      Falls klare Melodik und rhythmische
                                                                       dirigierte      Prägnanz kommen hier zur Synthese
FOTOS: TOM SC H U LZE

                                                                       bei den         mit Korngolds differenzierter bis
                                                                       Aufnahmen       rauschhafter Orchestration.
                                                                       Klingele das    Selten sind sich die späte Operette und
                                                                       Orchester       die Screwball-Komödien Hollywoods
                                                                       der Musi-       so nahe wie in diesem Stück. Fiktive
                                                                       kalischen       Identitäten, die der Milliardär Goliath
                                                                       Komödie         Armstrong und die russische Fürstin
                                                                       und deren       Irina Naryschkin (die Kritik um 1930
                                                                       Ensemble        setzte sie gleich mit einer jener realen
                                                                       selbst, nicht   russischen Adeligen, die in Rudeln vor
                                                                       die Teil-       der Oktoberrevolution nach Amerika
                                                                       nehmer des      fliehen) annehmen. Das jedoch verzö-
                                                                       Dirigenten-     gert nicht nur deren eigene amouröse
                                                                       forums.         Vereinigung, sondern auch die der
                                                                       Chanmin         heiratswilligen Amerikanerin Dorrit
                                                                       Chung, Reto     Farring mit Tommy Webbs (Andreas
                                                                       Schärli und     Rainer, der in der zweiten Duett-
                                                                       Yura Yang       Nummer seine Position gegen ein
                                                                       werden          Solo-Banjo verteidigen muss). Bei den
Reto Schärli                                                           sich sicher     konzertanten Aufführungen, zu denen

di r igenten forum 47 | J u li 2019
n eu e musi kzeitu ng (nmz), 13. jan uar 2019

                                                                                              Strauss. Die Würdigung der Teilnehmer-
                                                                                              Leistungen ist deshalb nicht einfach:
                                                                                              Man kann es bei der engagierten
                                                                                              Kollegialität des Sängerensembles
                                                                                              den jungen Dirigenten nicht verübeln,
                                                                                              wenn einige Stellen sehr süffig geraten
                                                                                              und Korngolds instrumentale Detail-
                                                                                              arbeit dann wegrutscht. Bei anderen
                                                                                              Stellen führt das Orchester etwas auf
                                                                                              Kosten der Spannung in den edlen,
                                                                                              dabei vor Retardierung nicht sicheren
                                                                                              Übergängen. Da steckt der Teufel im
                                                                                              Detail. Denn die flächige Akustik der
                                                                                              Musikalischen Komödie verschluckt
                                                                                              bei leiseren Passagen einige solistische
                                                                                              Reizungen, bevor diese im Saal wahrge-
                                                                                              nommen werden könnten.
                                                                                              Ergebnis also unentschieden. Macht
Chanmin Chung                                                                                 nichts, denn es geht beim Operetten-
                                                                                              workshop nicht um Wettbewerb und
Cusch Jung als Erzähler und Bettina          komplizierter zu entscheiden, wie weit           deshalb ist das Allerschwerste gerade
Volksdorf als Moderatorin umfänglich         das Material im Stand bei Leo Falls Tod          gut genug. Außerdem sind die von den
mitbeschäftigt sind, sieht man leider        1925 einfloss und was von Korngold mit           Teilnehmern des Dirigentenforums
nicht, dass die Chordamen eigentlich in      eigenen melodischen Erfindungen 1929             hier gemachten Erfahrungen überall
sündteuren Bademoden à la Hollywood          transformiert wurde.                             anwendbar. Hoffentlich bekommt man
stecken sollten. Cusch Jung bleibt mit       Korngolds raffinierte und dabei hyper-           auch diese Entdeckung bald als CD.
freundlicher Ironie nichts anderes           trophe Instrumentation macht den Reiz
übrig, als an manchen Stellen Wich-          des Stückes aus. Keine Vorerfahrung              Zuerst erschienen in der Online-Ausgabe
tiges zu rekapitulieren. So schön wirr ist   kann den jungen Dirigenten den Weg               der neuen musikzeitung (www.nmz.de),
das alles.                                   zu dieser ebnen etwa wie zu den in               13.1.2019. Wiederveröff. mit freundlicher
Die drei noch bis kurz vor der Premiere      vergleichbarer Weise anspruchsvollen             Genehmigung des Autors und des ConBrio
durch Stefan Klingele gecoachten Teil-       Aufführungen der Opern von Richard               Verlags.
nehmer kommen unterschiedlich mit
der großen Besetzung des Orchesters
und den recht kurzen Musiknummern
zurecht. Es scheint, dass Yura Yang die
rational strukturierende Tüftlerin ist,
die die Funktion des Schlagwerks für
viele Kombinationen gut zu nutzen
weiß. Chanmin Chung setzt mehr auf
Brio und Durchsichtigkeit. Reto Schärli
vertraut vor allem dem melodischen
Zug der Sänger, die er mit den Orches-
terklängen elegant umhüllt. Doch um
diese Eindrücke zu präzisieren, ist die
Partitur eigentlich zu komplex und
viele Nummern im Aufbau der musika-
lischen Formen zu kurzatmig.
Korngold brachte das Saxophon selbst
an unmerkbaren Stellen in reizvoll
außergewöhnliche Kombination mit
anderen Instrumenten, mit Solo-Banjo
und Celesta. Für die Mitwirkenden
wurde es im Verlauf der Proben immer         Désirée Brodka hinter der Bühne vor ihrem Auftritt in der Rolle der Dorrit Farring

                                                                                                                                  10 | 11
di r igenten forum - c hor

Große Chorsinfonik
Vier junge Chorstipendiaten studieren mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt und dem Philhar-
monischen Chor Berlin Mendelssohns „Elias“ ein

                                                                           Vorstellungen    reiten“, meint Jörg-Peter Weigle, der
                                                                           zu Werken von    den Stipendiaten Hilfestellung zu
FOTOS: TOB IAS TA NZYNA

                                                                           Felix Mendels-   Schlagtechnik und Probenmethodik
                                                                           sohn Bart-       gab. Die Nachwuchschordirigenten
                                                                           holdys „Elias“   profitierten von der Fähigkeit des
                                                                           gemeinsam        Staatsorchesters Frankfurt und des
                                                                           mit dem          Philharmonischen Chores, sich auf die
                                                                           Orchester und    verschiedenen dirigentischen Persön-
                                                                           dem Philhar-     lichkeiten und ihre Ideen einzulassen.
                                                                           monischen        Die offene Kritik von Jörg-Peter Weigle
                                                                           Chor Berlin      und der Dialog mit den professionellen
                                                                           umsetzen.        Musikern schufen eine angenehme
                                                                           Geleitet
Jörg-Peter Weigle, Nikolaus Henseler, Justus Barleben, Julia Selina Blank, wurde der
Johanna Soller (v.l.n.r.)                                                  Kurs von Jörg-
                                                                           Peter Weigle,
Zum ersten Mal hatten vier Stipen-               seit 2018 Chefdirigent des Staatsorche-
diaten des Dirigentenforums, Justus              sters Frankurt und Gründungsmitglied
Barleben, Julia Selina Blank, Nikolaus           des Chorbereichs im Dirigentenforum,
Henseler und Johanna Soller aus dem              der sich zuvor zwei Tage zu Klavier-
Förderbereich Chor, Gelegenheit,                 proben mit den Stipendiaten in Berlin
mit dem Staatsorchester Frankfurt                getroffen hatte.
zusammen zu arbeiten. Sie über-                  „Dieser Kurs ist wichtig zur Überwin-
nahmen eine Einstudierung für Jörg-              dung des Klischees einer Einteilung
Peter Weigle, standen am Pult „seines“           in Chor- und Orchesterdirigenten. Ich
Orchesters und hatten damit die für              konnte zeigen, welche Gemeinsam-
angehende Chordirigenten immer noch keiten das Chor- und Orchesterdiri-                     Julia Selina Blank
seltene Möglichkeit, ein Profiorchester          gieren haben und welche „no-gos“ es
leiten zu können. In einem einwöchigen auf beiden Seiten gibt. So können sich               Probenatmosphäre, in der die Stipendi-
Kurs konnten die jungen Dirigenten               die Dirigenten zukünftig besser auf        aten konzentriert an ihren Stärken und
in Frankfurt/Oder ihre klanglichen               chorsinfonische Situationen vorbe-         Schwächen arbeiten konnten. Nikolaus
                                                                                            Henseler, Stipendiat des Dirigenten-
                                                                                            forums seit 2018: „Es war sehr lohnend
                                                                                            mit Felix Mendelssohns „Elias" eine
                                                                                            ganze Woche zu verbringen und das
                                                                                            Brandenburgische Staatsorchester in
                                                                                            mehreren Proben dirigieren zu können.
                                                                                            Dass wir auch mit den vier hochkarä-
                                                                                            tigen Solisten proben konnten, dazu
                                                                                            das regelmäßige Feedback von Jörg-
                                                                                            Peter Weigle, hat die Woche nochmal
                                                                                            bereichert. “
                                                                                            Diese Werkstatt wurde durch das
                                                                                            finanzielle Engagement der Kulturbe-
                                                                                            triebe Frankfurt/Oder (Kulturbüro) und
                                                                                            des Ministeriums für Wissenschaft,
                                                                                            Forschung und Kultur des Landes Bran-
Justus Barleben am Pult des Brandenburgischen Staatsorchesters Frankfurt                    denburg ermöglicht.

di r igenten forum 47 | J u li 2019
foto gr afisc h e impr ession en

Opernkurs Leipzig
Künstlerische Leitung: Thomas Eitler-de Lint
Chor der Oper Leipzig | 11. bis 14. März 2019
FOTOS : MAHMOU D DA B DOU B

Johannes Eppelein und Thomas Eitler-de Lint im Gespräch                           Nikolaus Henseler

Franziska Kuba                                Johannes Eppelein, Franziska Kuba, Thomas Eitler-de Lint, Johanna Soller, Nikolaus Henseler

Der Chor der Oper Leipzig und Johannes Eppelein am Pult                           Johanna Soller

                                                                                                                                  12 | 13
hörtz24, 2. apr i l 2019

Conductor Collider
Ensemble Musikfabrik als neuer Partner im Dirigentenforum Von felix kn ob l auc h

Composer Collider ist die Reihe der                                                                        eckig strukturierter

                                           FOTOS: SAB I N E GROSSE-WORTMA N N
Musikfabrik, bei der das Landesen-                                                                         Stil schafft hier
semble in Kooperation mit jungen                                                                           Durchblick.
Kompositionsstudierenden deren                                                                             Mark Andres Ni
Werke erarbeitet und zur Auffüh-                                                                           (2006) besteht aus
rung bringt. Der Deutsche Musikrat                                                                         insgesamt sieben
veranstaltet nun zum ersten Mal sein                                                                       Sätzen, die allesamt
Dirigentenforum – eine Plattform                                                                           extrem empfindlich
zur Förderung junger Dirigenten –                                                                          im Zusammenspiel
zusammen mit der Musikfabrik unter                                                                         sind. Hinzu kommt
dem Titel Conductor Collider.                                                                              das musikalisch
Das Konzept lässt sich als Workshop                                                                        rudimentäre
verstehen, bei dem den Dirigenten                                                                          Material, das die
die Möglichkeit geboten wird, fünf                                                                         Musik zu einem
Tage lang mit einem professionellen                                                                        extrem feinen und
Ensemble für zeitgenössische Musik         Johannes Marsovszky                                             zerbrechlichen
und unter der künstlerischen Leitung                                                                       Gewebe macht.
von Prof. Rüdiger Bohn (Düsseldorf)        die Musiker bei Rebecca Saunders a         Dass Andres Werk nicht auseinander-
Neue Musik einzustudieren.                 visible trace (2006). Das sehr getragen    fiel, verdankte es maßgeblich dem
Eröffnet wurde der Konzertabend mit        leise Werk verleitet durch seine inei-     Studenten Gábor Hontvári. Schade
Edgar Varèses Octandre (1923), dirigiert   nander fließenden Klänge dazu, völlig      lediglich, dass die Resonanzen der
von Seung Hyun Baek. Baek studiert an      in der Musik aufzugehen, den Fokus         stumm gedrückten Akkorde des
der Hochschule für Musik in Nürnberg.      auf den Dirigenten dadurch aber zu         Klaviers im dritten Satz – Oboe und
Er selbst kam als Nachrücker in das        verlieren. Die Folge: Plötzliche Schläge   Klarinette spielen hier demonstrativ in
Collider-Projekt und hatte lediglich       fallen stellenweise gar selten perfekt     den Flügel – wegen des verwischenden
zwei Wochen Zeit, das Werk einzustu-       zusammen. Johannes Marsovszky              Haltepedals nicht gut zur Geltung
dieren. Umso erstaunlicher die Präzi-      – mittlerweile freiberuflicher Diri-       kommen.
sion, mit der er das hoch konzentrierte    gent – weiß mit den träge werdenden        Abschlussstück des Konzertabends
Ensemble leitet.                           Musikern aber durchaus überzeugend         war Iannis Xenakis Thallein (1984), das
Nicht immer ganz aufmerksam waren          umzugehen. Besonders sein klarer und       mit einem zerschmetternden Auftakt
                                                                                      beginnt. Gabriel Venzago – Kapellmei-
                                                                                      ster am Mecklenburgischen Staats-
                                                                                      theater – macht besagtem Auftakt
                                                                                      mit seinem Dirigat alle Ehre. Das
                                                                                      rhythmisch komplexe Werk wird hier
                                                                                      nicht nur zum Hör-, sondern auch zum
                                                                                      Sehgenuss.
                                                                                      Obwohl keiner der anwesenden
                                                                                      Teilnehmer des Dirigentenforums bei
                                                                                      Rüdiger Bohn studiert hat, ist allen die
                                                                                      Arbeit mit Bohn deutlich anzumerken.
                                                                                      Ein spätromantisch rundes Dirigat ist
                                                                                      bei vielen zeitgenössischen Werken oft
                                                                                      irritierend und wirkt unter Umständen
                                                                                      gar kontrapunktisch zur Musik. Von
                                                                                      diesen künstlichen Romantifizierungs-
                                                                                      versuchen sind Bohn und seine Schüler
Mitglieder des Ensemble Musikfabrik                                                   glücklicherweise weit entfernt.

di r igenten forum 47 | J u li 2019
badisc h e n eu este nac h r ic hten, 29. apr i l 2019

Junge Dirigenten zeigen Format
Konzert bildet Abschluss eines Meisterkurses unter der Leitung von Pavel Baleff Von k ar i n h ei n ek e-di etz

Zum Finale des Meisterkurses für          FOTO: STEPHA N I E SC HWEIGERT
Dirigieren unter der Leitung von Pavel
Baleff präsentierten vier Nachwuchsdi-
rigenten mit der Philharmonie Baden-
Baden eine beachtenswerte Sonntags-
Matinee im Kurhaus.
Carl Maria von Webers Ouvertüre zur
Oper „Oberon“ dirigierte Reto Schärli,
der zurzeit als freischaffender Opern-
und Orchesterdirigent, Chorleiter und
Korrepetitor arbeitet. Die Ouvertüre
vereinigt romantische Märchenstim-
mung und orientalisches Klangkolorit,
eingesponnen in eine fremdartige
Zauberwelt im farbenprächtigen
Klangreigen. Der Dirigent formte mit
präzisen Einsätzen das Orchester,
wobei er sich dem Bewegungsablauf         Davide Perniceni und Rudolf Meister mit der Philharmonie Baden-Baden
der Musik anpasste. Skizziert hat dies
Schärli mit großer Emotionalität und      ins Publikum, die auch in den Pausen          das von großem romantischen Flair
Dynamik im allumfassenden Spek-           ihre Wertigkeit erhöhten. Ein ange-           getragen war. Dabei gestaltete er die
trum – besonders die Decrescendi          nehmes Forte-Spiel zwischen Orchester         Dramatik des Satzes perfekt aus, fand
besaßen Format. Bei freiem Dirigat        und Pianist führte zum Finale mit nati-       immer neue Strukturbewegungen,
überzeugte er als Persönlichkeit.         onalen Tanzrhythmen. Ausdrucksstark           die das Orchester maßgeschneidert
Edvard Griegs Klavierkonzert a-Moll hat   gestalteten die Flöten ihre Kantilenen.       umsetzte. Filigrane Zeichensetzung
mit dem Schumanns Tonart und Stim-        Eine elegante Harmonie herrschte              war das Hauptanliegen des Dirigenten
mungsgehalt gemeinsam. Beide zählen       zwischen Solist und Orchester.                im Andante-Satz. Hier wurde auf die
wohl zu den schönsten der Romantik.       Das Finalende unterstrich die virtuose        Balance zwischen den Instrumenten-
Der Pianist Rudolf Meister entwickelte    Versiertheit des Pianisten. Da blitzten       gruppen von den Holzbläsern bis zu den
nach dem Forte-Auftakt des Orchesters     im rasanten Tempo Oktaven über die            tiefen Streichern besonders geachtet
formidabel das romantische Thema bei      Tastatur mit rhythmischen Akzenten            und somit wurde sein Dirigat zu einer
meisterhaftem Anschlag und skizzierte     und entsprechenden Farbkontrasten.            innigen Darbietung.
die lebhafte, figurierte Episode bis      Markant führte der Dirigent die Philhar-      Kraft- und schwungvoll, fast schon ein
zum lyrischen Seitenthema weiter. Der     monie zum Fortissimo.                         bisschen burschikos, nahm Baek das
Dirigent Davide Perniceni, Korrepetitor   Felix Mendelssohn Bartholdy kompo-            Menuett auf, trotz allem sehr differen-
mit Dirigierverpflichtung am Theater      nierte seine c-Moll-Sinfonie 1824 als         ziert, besonders im kontrastierenden
und Orchester Heidelberg, dirigierte      15-jähriger als Vermächtnis zur Wiener        Trio. Da zeichnete er dieses zu einem
ohne Stab. Nach fein nuancierten          Klassik. Martijn Dendievel (erster und        Kleinod, vorwiegend im Piano-Bereich.
Angaben in Mimik und Gestik fügte         zweiter Satz) und Seung Hyun Baek             Markant und ziseliert zugleich gab
sich das Orchester punktgenau seinen      (dritter und vierter Satz) teilten sich das   er dem Finale Leidenschaft mit einer
Anweisungen. Die groß angelegte           Dirigat. Dendievel hat die Leitung als        beispielhaften Intension. Pulsierende
Kadenz im Kopfsatz modellierte Rudolf     Assistenz-Dirigent des Symfonieorkest         Genauigkeit war seine Vorgabe. Der
Meister auf seine bestimmende Art. Im     Vlaanderen und Erster Gastdirigent            nahtlos übergehende Fugenteil besaß
Adagio strömten stimmungsvoll weich       beim Akademischen Orchester Halle             eine Verdichtung, die das positiv Strah-
fließende Streicher-Melodien wie aus      inne, er begann in seiner zupackenden         lende noch verstärkte.
einem Guss, denen sich im emotionalen     Art den Kopfsatz zu führen, leitete
Farbenklang die Bläser zugesellten.       haargenau die Einsätze, zauberte              Mit freundlicher Genehmigung der
Glitzernde Fontänen streute der Pianist   dabei ein ausdrucksstarkes Legato,            Badischen Neuesten Nachrichten

                                                                                                                           14 | 15
badisc h es tagb l att, 30. a pr i l 2019

Vier junge Dirigenten im Rampenlicht
Konzert beschließt Meisterkurs bei Pavel Baleff Von k ar en str eic h

Pavel Baleff, Chefdirigent der Baden-          überzeugte mit akkuraten Einsatz-                diesem Klavierkonzert. Der souverän
Badener Philharmonie, leitete vom              angaben und drängte auf Kontraste,               agierende Pianist machte es dem
24. bis 28. April in Kooperation mit           zeigte jedoch dabei wenig sicht-                 jungen Dirigenten leicht, im vorbild-
dem Dirigentenforum des Deutschen              bare Emotionen. Dank des Pianisten               lichen Zusammenwirken mit dem
Musikrats einen Meisterkurs für                Professor Rudolf Meister, Rektor an der          Orchester die klangfarbenreiche Schön-
junge Dirigenten, den „Maestros von            Hochschule für Musik und darstellende            heit dieses Klavierkonzertes zu demons-
Morgen“. Als Höhepunkt und Abschluss           Kunst Mannheim, konnte in diesem                 trieren. Mit spieltechnischer Brillanz,
dieses Meisterkurses durften vier der          Matinée Konzertprogramm auch ein                 zupackend oder mit perlenden Läufen,
ausgewählten Stipendiaten in einem             außergewöhnlich schönes Solistenkon-             gestaltete der Solist seinen Part durch
Matinée-Konzert mit der Baden-                 zert geboten werden, mit dem einzigen            die drei Sätze des Werkes, als wäre es
Badener Philharmonie als Dirigenten            Klavierkonzert a-Moll op. 16 von Edward          die schönste Selbstverständlichkeit der
ihre erlangten Erfahrungen im Wein-            Grieg. Meister habe sich dafür gerne zur         Welt. Als Finale dieser Matinée erklang
brennersaal des Kurhauses demons-              Verfügung gestellt, da er selbst einst           die Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 11 von Felix
trieren. Den Anfang machte Reto                in jungen Jahren von der Förderung               Mendelssohn Bartholdy. Den 1. Satz,
Schärli, freiberuflicher Dirigent, Korre-      des Deutschen Musikrates profitierte.            Allegro di molto, und den zweiten Satz,
petitor und bereits Leiter dreier Chöre,       Davide Perniceni, bereits Korrepetitor           Andante, dirigierte Martijn Dendievel,
mit der Ouvertüre zur Oper „Oberon“            am Theater und Orchester Heidelberg,             vielfach ausgezeichneter Student an
von Carl Maria von Weber. Schärli              übernahm den Dirigentenstab bei                  der Hochschule für Musik „Franz Liszt“
                                                                                                                   in Weimar. Dendie-
                                                                                                                   vels Dirigat zeichnete
                                                                                                                   sich durch sorgsam
                                                                                                                   gezielte Handzei-
                                                                                                                   chen aus, er ließ das
                                                                                                                   kraftvolle Pathos
FOTO : STEPHAN I E SC HWEIGERT

                                                                                                                   dieser Jugendsinfonie
                                                                                                                   Mendelssohns gut zur
                                                                                                                   Wirkung kommen.
                                                                                                                   Doch der Dirigent des
                                                                                                                   3. und 4. Satzes, Seung
                                                                                                                   Hyun Baek, Student
                                                                                                                   an der Hochschule für
                                                                                                                   Musik in Nürnberg,
                                                                                                                   steigerte diesen Über-
                                                                                                                   schwang noch mit
                                                                                                                   energisch fordernden
                                                                                                                   Bewegungen bis zur
                                                                                                                   schwungvollen, fugen-
                                                                                                                   haften Schluss-Szene,
                                                                                                                   die durch alle Orches-
                                                                                                                   terstimmen zieht.
                                                                                                                   Nicht nur Seung Hyun
                                                                                                                   Baek, sondern alle vier
                                                                                                                   jungen „Maestros von
                                                                                                                   Morgen“ wurden vom
                                                                                                                   Publikum mit begeis-
                                                                                                                   tertem und aufmun-
                                                                                                                   terndem Applaus
Applaus für Davide Perniceni, Reto Schärli, Pavel Baleff, Martijn Dendievel und Seung Hyun Baek (v.l.n.r.)         bedacht.

di r igenten forum 47 | J u li 2019
sÜ dWest pr esse, 2o. m ai 2019

Dirigentenforum in Metzingen -
Dramatik aus Disziplin                                        Von susan n e ec kstei n

Das Dirigentenforum ist ein Förder-       FOTO: HORST HA AS
programm des Deutschen Musikrates.
Hier hat der Spitzennachwuchs die
Chance, sich mit einem renommierten
Orchester zu erproben und auch öffent-
lich aufzutreten. Als musikalischer
Leiter fungierte Prof. Lutz Köhler, als
Sparring-Partner die Württembergische
Philharmonie Reutlingen.
Der Trainingszweck war auch an der
ungewohnten Programmfolge abzu-
lesen: Drei Ouvertüren und eine sinfo-
nische Dichtung im ersten Teil standen
einer Sinfonie im zweiten gegenüber.
Vor der Pause wechselten sich Seung
Hyun Baek und Hangyul Chung (beide
aus Korea) am Dirigentenpult ab, den
zweiten Teil – Mendelssohns Sinfonie
Nr. 3, die „Schottische“ – übernahmen
Claudio Novati und Julio García Vico
(aus Italien und Spanien) jeweils zur
Hälfte.
„Wie klingt das Scheitern?“, fragte das
Programmheft. Damit war Beethovens
„Coriolan“-Ouvertüre gemeint, die
jedoch nach unbesiegbarer Kämpfer-        Hangyul Chung leitet die Württembergische Philharmonie Reutlingen
natur klang. Seung Hyun Baek indu-
zierte Hochspannung, das Orchester        betont straff und präzise ließ sein            satzes – in diesem Fall darf man von
reagierte mit äußerster Disziplin und     Kollege die „Fledermaus“-Ouvertüre             „Interpretation“ reden. Soweit das aus
Dramatik. Ähnlich energiegeladen und      gestalten, doch er hatte sich offenbar         dem Saal zu erkennen war (schade, dass
prägnant ließ Hangyul Chung Brahms’       ins wienerische Kolorit eingearbeitet,         das Publikum die Dirigenten nur von
„Tragische Ouvertüre“ musizieren,         inszenierte fesselnde Anläufe und char-        hinten sieht), wandte er sich direkt den
manchmal schien der Druck fast zu         manten Walzerschwung und erntete               Musizierenden zu, Arme und Hände
hoch, dieser Brahms wirkte ungewohnt      lebhaften Applaus.                             sprachen eine sparsame, dabei detail-
streng. Klingt es so, wenn hochmoti-      Mehr Spielraum für Ausdruck und                reich beredte Sprache. Die Kantilenen
vierte Heißsporne unter Leistungsdruck    Gestaltung ließen die zwei jungen              durften sich aussingen, die Abschnitte
dirigieren?                               Dirigenten im zweiten Teil zu. Zunächst        gingen logisch und natürlich ineinander
Auch Smetanas Tondichtung „Aus            Claudio Novati, der stilbewusst und            über, Akzente und Artikulation wirkten
Böhmens Hain und Flur“ zeigte ein         sicher durch die ersten zwei Sätze von         zugleich spontan und durchdacht, die
verändertes Gesicht. Um orchestral        Mendelssohns „schottischer“ Sinfonie           Musik fesselte auf natürliche Weise.
lachende Fluren und tanzende Land-        führte. Im zweiten Satz konnte man             Der Dirigentenstab schien sich in einen
leute darzustellen, braucht es eine       den Eindruck gewinnen, er wolle mehr           Zauberstab zu verwandeln: Der junge
lockere Musizierhaltung. Dafür war hier   frischen Wind als die Musiker, doch das        Mann hatte die Musik auf selbstver-
wohl kein Platz: Die strikt herausge-     „Vivace non troppo“ dauert nur vier            ständliche, lockere Art im Griff und ließ
kehrte Autorität des jungen Dirigenten    Minuten, und schon musste er den Platz         sie schlüssig gestalten, ohne künstlich
zwang das gemeinsame Spiel in ein         am Pult an Julio García Vico abtreten.         zu dramatisieren. Viel Applaus gab es
enges Korsett, das an maschinelle         Diesem gelang eine überzeugende                zum Schluss – für das Orchester und
Akkordarbeit denken ließ. Ebenfalls       Darstellung des Adagio und des Final-          alle vier Dirigenten.

                                                                                                                          16 | 17
r eutli nger gen er al-a nzeiger, 21. m ai 2019

Fliegender Wechsel in der Metzinger Stadthalle
Junge Dirigenten bei der Philharmonie spielen Sinfoniekonzert Von c h r istoph b. ströh le

Es ist schon ungewöhnlich, dass man         Aufbrausender Coriolan                      Philharmonie, Johannes Brahms’
es als Zuhörer in einem Sinfoniekon-        Seung Hyun Baek hieß der erste der          „Tragische Ouvertüre“ d-Moll op. 81
zert mit gleich drei Ouvertüren und         vier Dirigenten. Unter seiner Leitung       anvertraut. Sein Dirigat lebte von einer
einer sinfonischen Dichtung zu tun          arbeitete die Philharmonie in Beetho-       inneren Motorik, einer Zugewandt-
bekommt. Und dass bei der Sinfonie,         vens „Coriolan“-Ouvertüre das aufbrau-      heit zum Orchester, auch zu einzelnen
die in der zweiten Hälfte des Abends        sende Wesen, die Rastlosigkeit des          Gruppen, die der Musik guttat. Schön,
erklingt, nach dem zweiten Satz der         porträtierten römischen Feldherren gut      wie er insbesondere den Holzbläsern
Dirigent wechselt. Da aber auch bei         heraus, bis hin zu seinem Zerbrechen        Raum gab und immer wieder eine klare
den Dirigenten noch kein Meister vom        an sich selbst. Einem heiklen Bläserein-    Dynamik einforderte.
Himmel gefallen ist, der hoffnungsvolle     satz hätte der in Nürnberg studierende
Nachwuchs aber gefördert werden will,       Dirigent noch etwas mehr Aufmerk-           Maler und Bildhauer
und zwar unter realen Konzertbedin-         samkeit widmen können, die prägnante        Bei der Ouvertüre zu „Die Fledermaus“
gungen, ist das beim Dirigentenforum        Rhythmik des ersten und die anmutige        von Johann Strauss (Sohn) schien
des Deutschen Musikrates durchaus ein       Sanglichkeit des zweiten Themas aber        Hangyul Chung jeden Ton der Solooboe
übliches Prozedere.                         sprachen für ihn.                           innerlich mit auszuformen. Die Walzer,
Denn gleich vier Nachwuchsdirigenten,       In Bedřich Smetanas „Aus Böhmens           Rosalindes Abschiedsromanze, das
die der Musikrat über einen Zeitraum        Hain und Flur“, ebenfalls unter Seung       Cancan-Thema und die fulminante
von mindestens zwei Jahren fördert,         Hyun Baeks Leitung, erfuhren die            Coda waren bei ihm in den besten
sollen an einem Abend ihre Chance           strahlenden Klänge des Beginns eine         Händen. Das Orchester spielte mit
bekommen und sich vor Publikum              melancholische Wendung, mündeten            Hingabe und äußerst launig.
beweisen. Ort des Geschehens war in         in ein flirrendes Fugato und einen über-    Die Sinfonie nach der Pause teilten
diesem Fall die Metzinger Stadthalle,       schäumenden Tanz.                           Claudio Novati und Julio García Vico,
das beteiligte Orchester die Württem-       Hangyul Chung, Student in Mannheim,         Studenten in Weimar und Düsseldorf,
bergische Philharmonie Reutlingen.          hatte Professor Lutz Köhler, der künstle-   unter sich auf. Felix Mendelssohn-Bart-
Der örtliche Veranstaltungsring hatte       rische Leiter des vorangegangenen Diri-     holdys „Schottische“ gab das Orchester
eingeladen.                                 gierkurses mit der Württembergischen        mit einer wunderbaren Wärme und
                                                                                                         Erlebnistiefe wieder,
                                                                                                         wobei Claudio Novati
                                                                                                         die Klänge gleichsam
FOTO: HORST HA AS

                                                                                                         zu plastizieren schien,
                                                                                                         während Julio García
                                                                                                         Vico eher wie ein
                                                                                                         Maler mit dem Pinsel
                                                                                                         erschien.
                                                                                                         Lisa Valdivia, Projektma-
                                                                                                         nagerin beim Deut-
                                                                                                         schen Musikrat, lobte
                                                                                                         am Ende die Württem-
                                                                                                         bergische Philharmonie.
                                                                                                         Die Stipendiaten seien
                                                                                                         „sehr dankbar für die
                                                                                                         offene Atmosphäre,
                                                                                                         die sie hier vorge-
                                                                                                         funden haben“. Und
                                                                                                         die Metzinger hatten
                                                                                                         ein schönes Konzert –
                                                                                                         wobei die Halle nur gut
Claudio Novati am Pult der Württembergischen Philharmonie Reutlingen                                     zur Hälfte gefüllt war.

di r igenten forum 47 | J u li 2019
foto gr afisc h e impr ession en

WDR Rundfunkchor
Künstlerische Leitung: Prof. Stefan Parkman
WDR Rundfunkchor | 13. bis 16. Mai 2019
FOTO S: WDR / THOMAS KOST

Johannes Eppelein                                  Prof. Stefan Parkman und John Lidfors im Gespräch

Konzertmoderatorin Elfi Vomberg, Franziska Kuba    Im Arbeitsgespräch: ein Chormitglied, Nikolaus Henseler, John Lidfors

Adrian Büttemeier dirigiert den WDR Rundfunkchor

                                                                                                                 18 | 19
fr eu n deskr eis di r igenten forum e.V.

Fünf Fragen an...
Andreas Bausdorf, Vorstandsvorsitzender des Freundeskreises Dirigentenforum e.V.

                                                                              70ern und      von Meisterkursen in anderen Ländern
                                                                              80ern neben    ermöglicht. Und als Vorsitzender des
                                                                              Queen          Freundeskreises hoffe ich, dass der
                                                                              geprägt hat.   Verein in 30 Jahren so viele Mitglieder
                                                                              Ich würde      gewonnen hat, dass wir dem Förder-
                                                                              ihn fragen,    programm ordentlich Geld überweisen
                                                                              wie er es      können.
                                                                              trotz seines
                                                                              Handicaps      Was unterscheidet den Dirigenten von
                                                                              geschafft      heute von seinem Kollegen von vor 50
                                                                              hat, ein       Jahren?
                                                                              musika-        Ich bin da eigentlich nicht der richtige
FOTO : DI R K H ASSKAR L

                                                                              lischer        Ansprechpartner, denn ich übe den
                                                                              Superstar zu   Beruf nicht aus. Aber aus vielen Gesprä-
                                                                              werden. Und    chen weiß ich, dass die Erwartungen
                                                                              woher er       an Dirigenten stetig steigen. Heute
                                                                              die Energie    müssen Dirigenten auch Politiker und
                                                                              genommen       Fundraiser sein. Manche/r wird das als
                                                                              hat, sich in   Überforderung empfinden, insbeson-
Andreas Bausdorf, 1. Vorsitzender des Freundeskreises Dirigentenforum         der Bürger-    dere wenn es keine unterstützenden
                                                                              rechtsbe-      Mitarbeiter gibt. Die Kommunikation
Andreas Bausdorf studierte Gesang                wegung zu engagieren und mit seinem         von Dirigentinnen und Dirigenten mit
an der Kölner Musikhochschule und                Song „Happy Birthday“ mitzuhelfen,          dem Orchester dürfte sich ebenso geän-
war Mitglied im Chor der Bayreuther              einen gesetzlichen Feiertag für Martin      dert haben. Heute ist ein Führungsstil
Festspiele. 1993 wurde er Mitarbeiter            Luther King in den USA durchzusetzen.       gefragt, der stark auf Eigenverant-
im Künstlerischen Betriebsbüro des                                                           wortung und Beteiligung setzt. Den
Stadttheaters Gießen und anschließend Wenn Sie beliebig ein Werk für einen                   richtigen Ton zu treffen und gleichzeitig
Orchestergeschäftsführer und Referent            Kurs auswählen könnten, welches             den Erwartungen der Musikerinnen
des Generalmusikdirektors am Staats-             Stück würden Sie nehmen?                    und Musiker nach Führung zu entspre-
theater Mainz. Von 1996 bis 1999 arbei-          Dvoraks 7. Sinfonie, die habe ich in        chen, ist für junge Dirigentinnen und
tete er als Orchesterdirektor und später         meiner Zeit als Projektleiter nie ins       Dirigenten nicht einfach.
auch als Referent des GMD an der Oper            Programm eines Kurses bekommen,
Frankfurt. Im Juni 1999 wechselte er             obwohl ich das Stück wirklich sehr liebe.   Was können Orchesterdirigenten von
zum Deutschen Musikrat als Projekt-                                                          Chordirigenten lernen und umgekehrt?
leiter des Dirigentenforums. 2010 ging           Wo sehen Sie das Dirigentenforum in         Vielleicht können Orchesterdirigenten
er als stellvertretender Geschäftsführer         30 Jahren?                                  von Chordirigenten lernen, immer
der Deutschen Orchestervereinigung               Ich glaube, das ursprüngliche Konzept       mit dem Ensemble zu atmen. Und
nach Berlin und übernahm 2015 die                ist so gut, dass es auch in 30 Jahren       umgekehrt könnte es die Klarheit des
Geschäftsführung der Deutschen                   noch funktioniert. Die Erfolge der          Schlagbildes sein. Aber ich fürchte, ich
Orchester-Stiftung.                              Stipendiatinnen und Stipendiaten            bediene hier Klischees. Wenn ich mich
                                                 bestätigen das fast täglich. Mehr           richtig entsinne, ging es beim Aufbau
Sie dürften live einen Komponisten               Opernkurse zu veranstalten, bleibt          von Dirigentenforum-Chor auch darum,
treffen und könnten eine Frage stellen.          sicher ein dauerhaftes Ziel, denn für       die Wertschätzung für Chordirigenten
Wen und was würden Sie fragen?                   die Stipendiaten sind sie besonders         durch ein eigenes Förderprogramm zu
Stevie Wonder, der mich neben meiner             wertvoll. Vielleicht könnte es weitere      steigern. Vielleicht folgen wir einfach
musikalischen Sozialisation mit                  Kooperationen wie mit der Zürcher           den Balten, die unterscheiden da nicht
geistlicher Chormusik im Knabenchor              Hochschule geben. Ein internationales       so sehr und bringen immer wieder tolle
und später in Kammerchören in den                Netzwerk, das Stipendiaten den Besuch       Dirigentinnen und Dirigenten hervor.

di r igenten forum 47 | J u li 2019
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Assistenz bei Jörg Widmann
Zusammenarbeit mit der Jungen Deutschen Philharmonie

                                                                                 Über eine außergewöhnliche
                                                                                 Begegnung freuten sich die

                                                                 FOTO: PR IVAT
                                                                                 Stipendiaten Martijn Dendievel
                                                                                 und Arutyun Muradyan: Sie
                                                                                 durften während der Frühjahrs-
                                                                                 tournee der Jungen Deutschen
                                                                                 Philharmonie Jörg Widmann
                                                                                 assistieren und übernahmen
                                                                                 u.a. die Vorproben für die
                                                                                 Messe für großes Orchester des
                                                                                 Komponisten.

                                                                                 Martijn Dendievel, Jörg Widmann
                                                                                 und Arutyun Muradyan (v.l.n.r.)
                                                                                 während der Probenphase mit der
                                                                                 Jungen Deutschen Philharmonie

                                                       Unterstützen Sie die
                                                       Talentförderung
                                                       des Dirigentenforums.
                                                       Damit Musik uns auch
                                                       in Zukunft verzaubert.
                                                       WWW.DIRIGENTENFORUM.DE/FREUNDESKREIS

                                                                                                          20 | 21
foto gr afisc h e impr ession en

Dirigierkurs Nürnberg
Künstlerische Leitung: Roger Epple
Nürnberger Symphoniker | 3. bis 6. Juni 2019
FOTOS: A LEX R EI B R IC H

Clemens Mohr                                                      Seung Hyun Baek

Hangyul Chung                                                     Nikolaus Henseler

Roger Epple mit Seung Hyun Baek und den Nürnberger Symphonikern

di r igenten forum 47 | J u li 2019
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Neue Herausforderungen
Stipendiaten des Dirigentenforums übernehmen Stellen in Davos, Salzburg und Aachen

Bereit für neue berufliche Herausforderungen: Marco Amherd, Ines Kaun und Yura Yang in Davos, Salzburg und Aachen

Dirigent und Organist Marco Amherd            tenforums. In der Spielzeit 2017/18 war       wechselt. Am Musiktheater im Revier
übernimmt die Leitung des DAVOS               er als Solorepetitor und Dirigent am          Gelsenkirchen war sie von 2013 bis 2018
FESTIVAL ab 2020. „Als Dirigent gehört        Theater für Niedersachsen Hildesheim          als Solorepetitorin mit Dirigierverpflich-
es zu meinen liebsten Aufgaben, kluge,        engagiert. Seit 2018 ist er Kapellmeister     tung engagiert. Anschließend wurde sie
originelle Programme zu entwerfen,            am Mecklenburgischen Staatstheater.           am Theater Kiel Kapellmeisterin, Solore-
neue Talente zu entdecken und diese           Bei den Münchner Symphonikern ist er          petitorin und musikalische Assistentin
dann miteinander zu verknüpfen. Das           Assistant Conductor.                          des GMD Georg Fritzsch. Vom Dirigen-
DAVOS FESTIVAL bietet hierfür ideale                                                        tenforum des Deutschen Musikrates
Voraussetzungen", so Alumnus Marco            Einen weiteren Erfolg kann Yura Yang          wird sie seit 2016 gefördert und wurde
Amherd zu seiner Nominierung.                 verzeichnen, die zur nächsten Spielzeit       2019 in die Künstlerliste Maestros von
                                              als 1. Kapellmeisterin sowie stellver-        Morgen aufgenommen.
Am Salzburger Landestheater werden            tretende GMD ans Theater Aachen
gleich zwei Positionen aus dem
Stipendiatenkreis des Dirigenten-
forums besetzt: Neue Leiterin des
Opernchors wird Ines Kaun; Gabriel
Venzago übernimmt die Position des
1. Kapellmeisters. Ines Kaun war von
2013 bis 2018 Stipendiatin des Dirigen-
tenforums. 2014 bis 2016 war sie als
stellvertretende Chordirektorin am
Staatstheater Darmstadt und Leiterin
des dortigen Kinder- und Jugendchores
tätig. 2018 war sie Finalistin des Deut-
schen Chordirigentenpreises mit dem
RIAS Kammerchor. Seit der Spielzeit
2016/17 war sie Chordirektorin mit
Dirigierverpflichtung am Theater und
Orchester Heidelberg. Gabriel Venzago
ist seit 2017 Stipendiat des Dirigen-         Gabriel Venzago übernimmt die Position des 1. Kapellmeisters am Salzburger Landestheater

                                                                                                                              22 | 23
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