München - Münchner Stadtmuseum

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münchen

                        Internationale Stummfilmtage
                                          Frank Wisbar
                                  Carl Laemmle Junior
                                 Zauberkunst und Film
                                      Ingmar Bergman
                                    The School of Reis
                                 Herbert Achternbusch
                              Werner-Herzog-Filmpreis
                             Rumänisches Filmfestival
                                           Will Tremper
2018 – 2019 | Heft 35

                                        Jeanne Moreau
                                     100 Jahre Emelka
                                         Klaus Volkmer
                                     Stadtentwicklung
                                          Künstlerkino
                                   FilmWeltWirtschaft
Eintrittspreise                                           sierten und mit 1,45 € frankierten DIN A5-Brief-
4 € (3 € für MFZ-Mitglieder). Ab 120 Minuten Film-        umschlages an die Adresse des Filmmuseums. Den
länge oder mit Gästen: 1 € Aufschlag. Ab 180 Minuten,     täglich aktualisierten Spielplan finden Sie auch auf
mit Live-Musik oder bei 3D: 2 € Aufschlag. Die Kasse      Twitter: @filmmuseummuc.
öffnet jeweils 60 Minuten vor und schließt 30 Minu-
ten nach Beginn der Vorstellung. Bei allen öffentlichen   Mitgliedschaft
Veranstaltungen verbleibt ein Kartenkontingent für den    Wer sich für die Arbeit des Filmmuseums interessiert,
freien Verkauf an der Abendkasse.                         kann Mitglied im Verein der Freunde des Filmmuseums
                                                          München, dem Münchner Filmzentrum e.V. (MFZ) wer-
Kartenreservierung                                        den. Mitgliedsanträge sind an der Kinokasse erhältlich.
Kartenreservierungen sind bis zu vier Wochen im Vor-      Der Jahresbeitrag beträgt 20 € und berechtigt zum
aus möglich und können unter der Telefonnummer            ermäßigten Eintritt ins Filmmuseum sowie zur Teil-
089/23396450 auf Band gesprochen werden. Vorbe-           nahme an den Mitgliederversammlungen des MFZ, in
stellte Karten müssen bis 20 Minuten vor Vorstellungs-    denen die Programmplanungen des Filmmuseums
beginn an der Kasse abgeholt worden sein, ansonsten       diskutiert und Projekte entwickelt werden. Weitere
verfällt die Reservierung.                                Informationen erhalten Sie unter Tel. 089 / 2713354
                                                          und www.muenchner-filmzentrum.de.
Kartenvorverkauf
Karten können bis zu vier Wochen im Voraus gekauft        Rollstuhlfahrer / Hörgeschädigte
werden. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass un-       Der Kinosaal und die Behindertentoilette im Unterge-
mittelbar vor Vorstellungsbeginn bei starkem Besu-        schoss sind über einen Aufzug barrierefrei zugänglich.
cherandrang kein Kartenvorverkauf erfolgt. Karten         Das Kino ist mit einer Induktionsschleife für Hörgeräte-
behalten ihre Gültigkeit nur bis Vorstellungsbeginn. An   besitzer ausgestattet. Der Empfang ist auf den Plätzen
der Abendkasse können vorverkaufte Karten bis 20 Mi-      am Anfang und Ende der Sitzreihen am besten.
nuten vor Vorstellungsbeginn gegen Kostenerstattung
wieder zurückgegeben werden.                              Saalmikrofon
                                                          Das Kino verfügt über ein Saalmikrofon zur Kontrolle
Programmabonnement                                        des Kinotons durch die Filmvorführer.
Das Kinoprogrammheft und unseren Newsletter kön-
nen Sie unter www.muenchner-stadtmuseum.de/film           Verkehrsverbindung
kostenlos abonnieren. Das Programmheft wird an            Sie erreichen das Filmmuseum in 5 Gehminuten vom
Mitglieder des MFZ auf Wunsch kostenlos versandt.         U/S-Bahnhof Marienplatz oder in 7 Gehminuten vom
Ansonsten bitten wir um die Zusendung eines adres-        U-Bahnhof und der Trambahnhaltestelle Sendlinger Tor.

Mitgliederversammlungen des Münchner Filmzentrums e. V. (MFZ)
Die für alle Interessierten öffentlichen Mitgliederversammlungen des Fördervereins des Filmmuseums finden
einmal im Monat montags um 19.00 Uhr im Gotischen Zimmer des Ignaz-Günther-Hauses (St.-Jakobs-Platz 20,
80331 München, 1. Stock) statt. Termine: 17. September 2018, 15. Oktober 2018, 12. November 2018,
10. Dezember 2018, 14. Januar 2019 und 11. Februar 2019. Informationen: kontakt@muenchner-filmzentrum.de.

Open Scene am Donnerstag
Die Termine am Donnerstag sind teilweise für aktuelle Veranstaltungen reserviert. Das Programm wird
etwa acht Tage vorher festgelegt und in den Schaukästen an der Kinokasse, im E-Mail-Newsletter, unter
www.muenchner-stadtmuseum.de/film/open-scene.html, auf Facebook, auf Twitter und durch Ankündigungen in
der Tagespresse bekannt gegeben.

Impressum
Landeshauptstadt München. Filmmuseum im Münchner Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz 1, 80331 München,
089/23320538, E-Mail: filmmuseum@muenchen.de · Redaktion: Stefan Drößler, Claudia Engelhardt, Christoph
Michel, Klaus Volkmer · Gestaltung: KOSCH Werbeagentur, München · Druck: Weber Offset GmbH, München
Emelka, Digitalisierung, Carl Laemmle Junior, Zauberkunst und Film

Mit großem Aufwand wurde im vergangenen Jahr der 100. Geburtstag der                                         2 Rückblick
Ufa gefeiert. »Die Ufa – Geschichte einer Marke« heißt eine Ausstellung, die
                                                                                   3 Internationale Stummfilmtage
noch bis zum 16. September in München zu sehen ist. Dass im Januar 2019
die Emelka 100. Geburtstag hätte, der in den 1920er Jahren zweitgrößte                                  7 Frank Wisbar
deutsche Filmkonzern, findet weitaus weniger Beachtung. Die Ressentiments,
die die Berliner Filmszene der bayerischen Konkurrenz entgegenbrachte,                       11 Carl Laemmle Junior
setzen sich bis heute fort. Ihnen wird aber auch nicht von bayerischer Seite
entgegengetreten: Die bayerische Filmgeschichte ist erschreckend schlecht                   20 Zauberkunst und Film
aufgearbeitet und dokumentiert. Anlass genug für das Filmmuseum, sich des
Themas Emelka einmal genauer anzunehmen. Einige der Filme der größten                             27 Ingmar Bergman
Retrospektive, die jemals der Emelka-Produktion gewidmet war, werden in
neuen Restaurierungen des Filmmuseums und anderer Archive zu sehen sein.                        31 The School of Reis
    Seit Juni 2018 besitzt das Filmmuseum einen eigenen Filmscanner, drei                   32 Herbert Achternbusch
Workstations, ein mit dem Vorführraum verbundenes Netzwerk und ein digita-
les Speichersystem, mit dem Filmdaten gesichert werden können. Damit kann                37 Film und Psychoanalyse
es seinen Aufgaben der digitalen Filmvorführung und Filmrestaurierung ge-
recht werden. Komplexere Projekte, die aufwändige Zusatzarbeiten erfordern,             39 Werner-Herzog-Filmpreis
werden auch weiterhin in Zusammenarbeit mit spezialisierten Studios stattfin-
den. Wir freuen uns, dass wir künftig gerade die Filme, die durch das Raster           40 Rumänisches Filmfestival
der Digitalisierungsfördermaßnahmen fallen, selber bearbeiten und auch den
Verleih der vom Filmmuseum rekonstruierten Filme wesentlich effizienter ge-                             46 Will Tremper
stalten können. Selbst dem Kinobetrieb bieten sich jetzt neue Möglichkeiten,
problematisches Filmmaterial vorführbar zu machen. Sie als Publikum kön-                            51 Jeanne Moreau
nen sich mehr denn je darauf verlassen, dass Sie im Filmmuseum immer die
bestmögliche Filmqualität geboten bekommen. Restaurierungen des Filmmu-                              62 Zuschauerkino
seums wurden in diesem Jahr schon weit über München hinaus auf internati-
onalen Filmfestivals in Berlin, Bangkok, San Francisco, Belgrad, Paris, Bologna,                 63 100 Jahre Emelka
Locarno und Buenos Aires gezeigt.
                                                                                                     72 Klaus Volkmer
    Im neuen Programm finden Sie wieder eine bewährte Mischung aus Al-
tem und Neuem, Bekanntem und Unbekanntem, Leichtem und Schwierigem,                              74 Stadtentwicklung
Ernsthaftem und Unterhaltendem, Gängigem und Experimentellem. Die Re-
trospektive »Carl Laemmle Junior«, die wir in Zusammenarbeit mit Dave Kehr                              75 Künstlerkino
vom Museum of Modern Art zusammengestellt haben, präsentiert viele Titel,
die in Deutschland noch nie im Kino zu sehen waren, meist in neuwertigen                        79 FilmWeltWirtschaft
35mm-Filmkopien, die uns aus dem Archiv von NBC Universal zur Verfügung
gestellt werden. Ganz besonders unterhaltsame Abende verspricht die Filmrei-                    80 Kalenderübersicht
he »Zauberkunst und Film«, bei der zwei Münchner Zauberkünstler und eine
Zauberkünstlerin Filme einführen und die spannende Wechselbeziehung von
Kino und der Kunst der Täuschung anhand praktischer Beispiele erläutern. Und
zuguterletzt möchten wir auf die Retrospektive des Münchner Journalisten,          R = Regie · B = Drehbuch · K = Ka-
Schriftstellers und Filmemachers Will Tremper hinweisen, der am 19. Sep-           mera · M = Musik · S = Schnitt · T =
                                                                                   Ton · D = Darsteller · P = Produktion
tember seinen 90. Geburtstag gefeiert hätte und dessen Regiearbeiten in neu        OF = Originalfassung · OmU = Ori-
restaurierten digitalen Fassungen präsentiert werden.                              ginalfassung mit Untertiteln · OmeU
                                                                                   = Originalfassung mit englischen
   Wir wünschen Ihnen spannende, vergnügliche, aufschlussreiche und                Untertiteln · OmfU = Originalfassung
nachdenkliche Kinoerlebnisse.                                                      mit französischen Unter­titeln · OmÜ =
                                                                                   Originalfassung mit deutscher Über-
                                                                                   setzung · dtF = deutsche Synchron-
                                                                                   fassung · \ = Live-Musik­begleitung
Ihr Filmmuseum                                                                     2 = Einführung ·            = Zu Gast
Rückblick
Rückblick

  2

            16. März 2018: Claudia Engelhardt und Sonja Maria Kröner beim Pub-      5. April 2018: István Szabó im Gespräch mit Stefan Drößler und dem
            likumsgespräch nach der Vorführung des Films SOMMERHÄUSER, der          Publikum über seinen Film MEPHISTO, der in einer Filmreihe zur Aus-
            es in die Auswahl »Deutsche Filme 2017« geschafft hatte.                stellung »Du bist Faust« der Kunsthalle München gezeigt wurde.

            26. Mai 2018: Jerzy Skolimowski und Kameramann Charly Steinberger       7. Juni 2018: Die Gamelan-Experten Wayne Vitale aus San Francisco
            am Kinoeingang vor der Vorführung der überarbeiteten Fassung des        und András Varsányi, Leiter der Sammlung Musik des Stadtmuseums,
            lange verbotenen Films HÄNDE HOCH!                                      eröffnen mit einem Filmprogramm das Internationale Gamelan-Festival.

            14. Juni 2018: Ute Aurand und Robert Beavers zeigen in der Under-       30. Juni 2018: Im Rahmen des Filmfests München präsentiert sich
            dox-Halbzeit ihre Kurzfilme und diskutieren mit dem Publikum über die   Emma Thompson dem Publikum im Filmmuseum und spricht über ihr
            Faszination des Arbeitens mit 16mm-Filmmaterial.                        Drehbuch für den Film SENSE AND SENSIBILITY von Ang Lee.
Internationale Stummfilmtage

                                                                                                                                              Internationale Stummfilmtage
                                                                                                                                                      3

                                                                                                                       DIE STADT OHNE JUDEN
Das Filmmuseum München beginnt sein neues Pro-                  In diesem Jahr sind mehrere Eigenrekonstruktionen
gramm traditionsgemäß mit einer Auswahl von selte-          des Filmmuseums dabei, so auch ein Film, der in der
nen und neu rekonstruierten Stummfilmen aus dem             Filmgeschichtsschreibung oft übersehenen Pionierin
Programm der »Bonner Stummfilmtage«, des größten            Alice Guy, der bis heute einzigen Frau, die von 1911 bis
deutschen Stummfilmfestivals. Zur Aufführung gelan-         1914 in Amerika ein eigenes Filmstudio leitete und bei
gen die besten Fassungen der jeweiligen Filme, oft          mehreren Hundert Filmen selber Regie führte. CUPID
wertvolle Unikate, für die namhafte Stummfilmmusiker        AND THE COMET ist eine Komödie, die eine einfache
neue Musikbegleitungen ausarbeiten und live einspie-        Geschichte erzählt, in der eine selbstbewusste junge
len. Die einzelnen Filme werden ausführlicher auf der       Frau im Mittelpunkt steht, die ihren Willen durchsetzt.
Website der Bonner Veranstaltung (www.internationa-         Die legendäre Komödie THE BATTLE OF THE CENTURY
lestummfilmtage.de) und in einem Programmheft vor-          mit Stan Laurel und Oliver Hardy wurde um neu ge-
gestellt, das an der Kinokasse ausliegt.                    fundene Sequenzen ergänzt und ist nun nahezu voll-
    Die Auswahl für das Programm des Filmmuseums            ständig. Zum bizarren sowjetischen Animationsfilm
konzentriert sich auf Raritäten, die in München lange       INTERPLANETARISCHE REVOLUTION und zu G.W.
nicht mehr oder noch nie zu sehen waren. Es sind Fil-       Pabsts wiederentdecktem Meisterwerk ABWEGE, des-
me aus verschiedenen Ländern und Kontinenten, die           sen Kameranegativ erhalten geblieben ist und die
die Vielfalt und hohe Qualität des Stummfilmschaffens       Grundlage für die digitale Restaurierung war, hat die
dokumentieren. Oft sind die vorgestellten Fassungen         Münchner Komponistin Masha Khotimski zwei unge-
das Ergebnis aufwändiger Restaurierungsarbeiten der         wöhnliche Musikbegleitungen komponiert, die sie im
Filmarchive, die in der Fédération Internationale des Ar-   Filmmuseum persönlich vorstellen wird.
chives du Film (FIAF) zusammengeschlossen sind und              Alle anderen Filme werden von bewährten Stumm-
mit denen das Filmmuseum in regem Kontakt steht.            filmpianisten live am Flügel begleitet, die dem Publi-
kum des Filmmuseums vertraut sind: Richard Siedhoff
                               (Weimar), Joachim Bärenz (Oberhausen), Günter A.
                               Buchwald (Freiburg) und Masako Ohta (München).
                               Die Aufführung der vom Filmarchiv Austria erstellten
                               neuen Fassung von DIE STADT OHNE JUDEN findet in
                               Zusammenarbeit mit dem NS-Dokumentationszentrum
                               München statt.                       Stefan Drößler
Internationale Stummfilmtage

                               Vårt kronprinspar i Hollywood (Unser Kronprin-
                               zenpaar in Hollywood) | Schweden 1926 | 12 min |
                               OmU | Der schwedische Kronprinz Gustaf Adolf und
                               seine Frau, Kronprinzessin Louise, sind zu Besuch in
                               Hollywood und besichtigen das Studio von MGM. Sie
                               werden von Louis B. Mayer empfangen und treffen auf        gängen unverbraucht, von strömender Laune. Reizend
                               Stars wie Greta Garbo, Lon Chaney und Ramon No-            in momentanen Einfällen, reich in Improvisationen, die
                               varro. Die Schlussszene wurde in Zweifarbtechnicolor       aber immer diszipliniert, immer situationsmäßig fest-
                               gedreht. – Flesh and the Devil (Es war) | USA 1926         gelegt sind.« (Herbert Ihering) Eine neue Restaurierung
       4                       | R: Clarence Brown | B: Benjamin Glazer, nach dem         des Museum of Modern Art.
                               Roman »Es war« von Hermann Sudermann | K: William           Freitag, 7. September 2018, 18.30 Uhr | Live-Musik:
                               Daniels | D: John Gilbert, Greta Garbo, Lars Hanson,       Joachim Bärenz
                               Barbara Kent, William Orlamond | 112 min | OF | Der
                               dritte Hollywoodfilm von Greta Garbo brachte sie mit       Ben-Hur: A Tale of the Christ (Ben Hur) | USA 1925
                               John Gilbert zusammen, mit dem sie fortan auch im          | R: Fred Niblo | B: June Mathis, Carey Wilson, Bess
                               Privatleben das große Liebespaar des amerikanischen        Meredyth, nach dem Roman von Lew Wallace | K: Cly-
                               Stummfilms wurde. FLESH AND THE DEVIL erzählt die          de De Vinna, René Guissart, Percy Hilburn, Karl Struss
                               Geschichte zweier Jugendfreunde, von denen einer als       | D: Ramon Novarro, Francis X. Bushman, May McA-
                               Militärkadett auf Heimaturlaub ein Verhältnis mit der      voy, Betty Bronson, Claire McDowell, Kathleen Key,
                               Gattin eines Offiziers beginnt. Kameramann William         Mitchell Lewis | 141 min | OF | Die Dreharbeiten zum
                               Daniels schuf mit seiner modellierenden Lichtsetzung       teuersten Stummfilm aller Zeiten dauerten zwei Jahre
                               das Image der »göttlichen« Garbo.                          und sprengten alle Grenzen. Allein für das vor großer
                                Donnerstag, 6. September 2018, 19.00 Uhr | Live-Mu-      Kulisse real stattfindende Wagenrennen wurden 47 Ka-
                               sik: Richard Siedhoff | Einführung: Stefan Drößler         meras eingesetzt. Viele Sequenzen wurden im überaus
                                                                                          teuren und komplizierten Zweifarbtechnicolor-Verfah-
                               Rosita (Rosita, die Straßensängerin) | USA 1923 |          ren aufgenommen. BEN-HUR beeindruckt bis heute
                               R: Ernst Lubitsch | B: Norbert Falk, Edward Knoblock,      als fesselnde Superproduktion, die ein Welterfolg war,
                               Hanns Kräly, nach dem Stück »Don César de Bazan«           aber aufgrund der hohen Produktions- und Werbe-
                               von Adolphe d’Ennery und Philippe Dumanoir | K:            kosten nur wenig Gewinn einspielte. Dennoch lohnte
                               Charles Rosher | D: Mary Pickford, Holbrook Blinn,         sich das Projekt für die Produzenten: Es etablierte den
                               Irene Rich, George Walsh, Charles Belcher | 97 min |       Ruf von MGM als mächtigstes Studio der Welt, das in
                               OF | Hauptdarstellerin und Produzentin Mary Pickford       den folgenden Jahrzehnten Hollywood dominierte. »Es
                               mochte Ernst Lubitschs ersten Hollywoodfilm in späte-      ist vielleicht die bedeutendste Regieleistung Niblos in
                               ren Jahren nicht mehr und ließ das Originalnegativ ver-    diesem Film, dass fast unmerklich immer wieder der
                               nichten. Dabei war der unterhaltsame Kostümfilm um         Faden aus dem grandiosen Massenbild zum Schicksal
                               eine Straßensängerin, die von den Massen gefeiert wird     der Einzelnen führt.« (Licht-Bild-Bühne)
                               und der sogar der König verfällt, seinerzeit sowohl bei     Freitag, 7. September 2018, 21.00 Uhr | Live-Musik:
                               der Kritik als auch beim Publikum ziemlich erfolgreich.    Richard Siedhoff
                               »Lubitsch hat in ROSITA alles, was er konnte, alles, was
                               er in Deutschland geleistet hat, zusammengefasst und       Cupid and the Comet (Die Liebe siegt) | USA 1911
                               auf die Probe der amerikanischen Schauspielkunst, der      | R+B: Alice Guy | D: | 10 min | dtF | viragiert – The
                               amerikanischen Photographiertechnik gestellt. Mary         Count (Der Graf) | USA 1916 | R: Charles Chaplin |
                               Pickford ist in den heiteren Partien und in allen Über-    B: Charles Chaplin, Vincent Bryan, Maverick Terrell |
K: William C. Foster, Roland Totheroh | D: Charles Chap-     auch, die Gefühle des Publikums berühren, und zwar
lin, Eric Campbell, Edna Purviance | 25 min | OF – One       tiefgehend. Nur aus der Liebe zu unseren Mitmenschen
Week (Buster Keatons Flitterwochen) | USA 1920 |             können wir schöpferisch tätig werden. Die Menschen-
R+B: Buster Keaton, Edward F. Cline | K: Elgin Lessley |     liebe ist die Basis jeder Kreativität.« (Gosho)
D: Buster Keaton, Sybil Seely, Joe Roberts | 21 min | OF      Samstag, 8. September 2018, 21.00 Uhr | Live-Musik:
– The Battle of the Century (Alles in Schlagsahne)           Joachim Bärenz
| USA 1927 | R: Clyde Bruckman | B: Hal Roach, H.M.

                                                                                                                        Internationale Stummfilmtage
Walker | K: George Stevens | D: Stan Laurel, Oliver Har-     Die Stadt ohne Juden | Österreich 1924 | R: Hans
dy, Noah Young | 20 min | OF | viragiert – Vier amerikani-   Karl Breslauer | B: Hans Karl Breslauer, Ida Jenbach,
sche Komödien: Filmpionierin Alice Guy erzählt die Ge-       nach dem Roman von Hugo Bettauer | K: Hugo Eywo |
schichte einer selbstbewussten jungen Frau, die ihren        D: Johannes Riemann, Eugen Neufeld, Hans Moser,
Willen durchsetzt und dafür in Männerkleidung heiratet,      Karl Thema, Anna Milety | 87 min | Hugo Bettauers pro-
Schneidergeselle Charlie Chaplin wird auf einer Party        vokanter Roman, der die politischen und ökonomischen
für einen reichen Grafen gehalten, Buster Keaton baut        Auswirkungen einer Verbannung der Juden aus Wien
sich ein surreales Fertighaus zusammen, und Laurel &         beschreibt, lief erfolgreich in den österreichischen Ki-
Hardy liefern sich eine legendäre Tortenschlacht, die        nos, fand aber international nur wenig Verbreitung. Die
durch neu aufgefundene Szenen vom Filmmuseum                 neue Rekonstruktion des Filmarchivs Austria, die über
München vervollständigt wurde.                               Crowdfunding große internationale Unterstützung er-                5
 Samstag, 8. September 2018, 18.30 Uhr | Live-Musik:        fuhr, wurde aus zwei Fragmenten zusammengesetzt,
Richard Siedhoff | Einführung: Stefan Drößler                die in Frankreich und in den Niederlanden gefunden
                                                             wurden. Die Prophezeiungen des Films sind beklem-
Izu no odoriko (Das Mädchen von Izu) | Japan 1933            mend und gelten bis heute als erstes künstlerisches
| R: Heinosuke Gosho | B: Akira Fushimi, nach dem Ro-        Statement aus Österreich gegen den Antisemitismus.
man von Yasunari Kawabata | K: Jôji Ohara | D: Kinuyo        Seinerzeit fand der Film außerhalb Wiens, wo er trotz
Tanaka, Den Obinata, Tokuji Kobayashi | 124 min | OmeU       Störmanöver rechtsgerichteter Kreise in mehreren Ki-
| Ein Meisterwerk des japanischen Stummfilms, das auf        nos gleichzeitig lief, nur wenig Verbreitung. Heute, in
einem erfolgreichen Roman von Yasunari Kawabata ba-          einer Zeit der Ab- und Ausgrenzung, wirkt er leider er-
                                                             staunlich aktuell.
                                                              Sonntag, 9. September 2018, 18.30 Uhr | Live-Musik:
                                                             Günter A. Buchwald | Einführung: Nikolaus Wostry

                                                             Oblomok imperii (Der Mann, der das Gedächt-
                                                             nis verlor) | Sowjetunion 1929 | R: Fridrich Ermler |
                                                             B: Katarina Vinogradskaja, Fridrich Ermler | K: Evgenij
                                                             Šnejder | D: Fëdor Nikitin, Ljudmila Semënova, Valerij
                                                             Solovcov, Jakov Gudkin, Sergej Gerasimov | 109 min |
                                                             OmeU | Deutsche Erstaufführung einer neuen Rekon-
                                                             struktion der Originalfassung von Fridrich Ermlers bild-
                                                             gewaltigem Filmklassiker, von dem bisher nur gekürzte
                                                             Fassungen bekannt waren. Ein Bahnarbeiter verliert als
siert, der 1968 als erster japanischer Autor mit dem         Soldat im Ersten Weltkrieg durch einen Schock sein Ge-
Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Die melo-          dächtnis. Zehn Jahre später erkennt er am Zugfenster
dramatische Geschichte eines Studenten aus Tokyo,            seine Frau – und kann sich plötzlich wieder an früher
der sich auf der Halbinsel Izu in eine Tänzerin einer        erinnern. Auf der Suche nach ihr reist er durch ein
ärmlichen Wandertheatertruppe verliebt, beschreibt           neues Land und erkennt staunend, was sich seit der
Heinosuke Gosho in poetischen Bildern und einer Stim-        Oktoberrevolution alles verändert hat. »Eine originelle
mung, die der in den später entstandenen Filmen von          Fabel, die Ermler mit hoher künstlerischer Meister-
Yasujirō Ozu ähnelt. Der Film etablierte Gosho als Meis-     schaft umzusetzen versteht. Am meisten beeindrucken
ter lyrischer Liebesfilme, der ein besonderes Auge für       zweifellos auch heute noch die Sequenzen, in denen
sozial Benachteiligte und die Armen der Gesellschaft         das wiedererwachende Bewusstsein Filimonows op-
hatte. »Filme müssen, wie jedes andere Kunstwerk             tisch transparent wird. Die Assoziationsmontagen des
Films sind dabei ein höchst beachtenswertes Experi-        It's the Old Army Game (Ein moderner Glücksjä-
                               ment.« (Fred Gehler)                                       ger) | USA 1925 | R: Edward Sutherland | B: William
                                Sonntag, 9. September 2018, 21.00 Uhr | Live-Musik:      LeBaron, Thomas J. Geraghty, J. Clarkson Miller, nach
                               Joachim Bärenz                                             dem Bühnenprogramm »The Comic Supplement« von
                                                                                          Joseph P. McEvoy und W. C. Fields | K: Alvin Wyckoff
                               Lebende Bilder | Filme aus den Jahren 1897-1907 |          | D: W. C. Fields, Louise Brooks, Blanche Ring, William
                               90 min | engl. OF | Bei Pathé in Paris wie auch bei der    Gaxton, Mary Foy | 77 min | OF | W. C. Fields ist heute
Internationale Stummfilmtage

                               Filmgesellschaft American Mutoscope & Biograph grif-       in erster Linie als Komiker der frühen Tonfilmzeit in Er-
                               fen frühe Filme über das Alltagsleben, kleine Betrüge-     innerung, der sich mit zynischen Dialogen dem Chaos
                               reien oder Kinderstreiche gerne auf Werke der Genre-       um ihn herum zu entziehen versucht. Dass sein Hu-
                               malerei als visuelle Inspiration zurück. Gemälde waren     mor auch im Stummfilm funktioniert, zeigt dieser Film,
                               aber auch Vorlage für Filme über historische Ereignisse    der dem wesentlich bekannteren Remake IT'S A GIFT
                               wie Szenen aus dem amerikanischen Bürgerkrieg oder         (1934) durchaus ebenbürtig ist. Als ständig nörgelnder
                               die Ermordung Marats. Besondere Attraktionen bildeten      Betreiber eines Drugstores, in dem die attraktive Louise
                               aber Filme, die gegensätzlicher nicht sein konnten: ero-   Brooks angestellt ist, fällt er auf einen Hochstapler
                               tisches und religiöses Kino. Unter dem Vorwand, klassi-    herein, der sich bei ihm einmietet. »Fields' Spiel ist
                               sche Bilder oder Skulpturen nachzubilden, konnte das       sehr amüsant. Wir glauben nicht, jemals ein größeres
       6                       Kino nackte Menschen präsentieren. Die Möglichkeiten       Feuerwerk an Gags in einem einzigen Film gesehen zu
                               des Films erweiterten die von Gemälden bekannten           haben. Viele der Einfälle sind neu, aber auch die mehr
                               Darstellungen der Leiden Jesu und der von ihm voll-        oder weniger bekannten komischen Szenen gewinnen
                               brachten Wunder. Das von der Filmwissenschaftlerin         durch Fields' unnachahmliches Spiel.« (The Moving
                               Valentine Robert zusammengestellte Programm prä-           Picture World)
                               sentiert 30 Filme aus der Frühgeschichte des Kinos und      Mittwoch, 12. September 2018, 18.30 Uhr | Live-Mu-
                               zeigt die Gemälde, auf die sie sich beziehen.              sik: Günter A. Buchwald
                                Dienstag, 11. September 2018, 18.30 Uhr | Live-Mu-
                               sik: Masako Ohta | Einführung: Valentine Robert            Mežplanetnaja revoljucija (Interplanetarische
                                                                                          Revolution) | Sowjetunion 1924 | R+B: Nikolaj Cho-
                               L'hirondelle et la mésange (Die Schwalbe und die           dataev, Senon Komissarenko, Jurij Merkulov | K: V.
                               Meise) | Belgien 1924 | R: André Antoine | B: Gustave      Alekseev | 10 min | OmU | Einer der ersten künstle-
                               Grillet | K: Léonce-Henri Burel | D: Louis Ravet, Pierre   rischen sowjetischen Zeichentrickfilme beschreibt in
                               Alcover, Maguy Deliac, Georges Denola, Jane Maylia-        avantgardistischer Gestaltung die bolschewistische
                               nes | 78 min | OmU | Pierre Van Groot navigiert mit sei-   Errettung des Mars vor dem Zugriff des Großkapi-
                               nen zwei Lastkähnen »Schwalbe« und »Meise« auf den         tals. – Abwege | DE 1928 | R: G.W. Pabst | B: Franz
                               Kanälen zwischen Belgien und Frankreich. Die Film-         Schulz, Adolf Lantz, Ladislaus Vajda, Helen Gosewisch
                               aufnahmen, die André Antoine 1920 drehte, wurden           | K: Theodor Sparkuhl | D: Gustav Diessl, Brigitte Helm,
                               vom Produzenten als für die Kinoauswertung ungeeig-        Hertha von Walther, Jack Trevor, Fritz Odemar | 96 min |
                               net bewertet, so dass die Produktion gestoppt wurde,       Weil der vermögende Rechtsanwalt Thomas Beck über
                               obwohl Antoine noch eine Kriminalgeschichte einbaute.      seiner Arbeit seine Frau Irene vernachlässigt, beginnt
                               Erst 1984 wurde das ungeschnittene Material in der         diese einen Flirt mit einem Kunstmaler und taucht ins
                               Cinémathèque française zusammengesetzt, und es             Berliner Nachtleben ein. G. W. Pabst, der große Realist
                               konnte ein poetisches Meisterwerk entdeckt werden.         des Weimarer Kinos, nimmt eine Ehekrise zum Anlass
                               »Es ist Dokumentarrealismus der atemberaubenden            für ein flirrendes Gesellschaftsporträt, in dem die Ka-
                               Art, im gleitenden Rhythmus von Kanälen und Flüs-          mera in einen Strudel aus Luxus und Laster stürzt. Der
                               sen geschnittene Bilder von Landschaften, Städten,         auf der Basis des Kameranegativs rekonstruierte Film
                               von Menschen auf Kähnen, an Ufern, zu Wasser und           besticht durch seine brillante Bildqualität und elegante
                               zu Land. Kompositionen, denen man Antoines Sinn für        Montage. – Für beide Filme hat Masha Khotimski mo-
                               die Mise-en-Scène jedenfalls anzusehen glaubt, Figu-       derne neue Begleitmusiken komponiert.
                               ren, die man bei der Arbeit sieht, in der Stadt, auf dem    Mittwoch, 12. September 2018, 21.00 Uhr | Zu Gast:
                               Kahn, auf dem Land.« (Ekkehard Knörer)                     Masha Khotimski
                                Dienstag, 11. September 2018, 21.00 Uhr | Live-Mu-
                               sik: Günter A. Buchwald
Frank Wisbars Kriegsfilme der 1950er Jahre

                                                                                                                                                        Frank Wisbar
                                                                                                                                                           7

                                                                                                                       Zeichnung von Helmuth Ellgaard
Klaus Kanzog, der im November 2016 seinen 90. Ge-          Stalingrad beteiligten Wehrmachtsgeneräle, die im Mili-
burtstag feierte, gilt als einer der wichtigen Impulsge-   tärarchiv des Bundesarchivs erhalten sind, ergeben ein
ber der Filmwissenschaft in Deutschland. Seine neue        facettenreiches Bild der komplizierten Interessenkon-
Studie über militärische Leitbilder im westdeutschen       flikte, denen HUNDE WOLLT IHR EWIG LEBEN und der
Spielfilm der 1950er Jahre reiht sich in die zahlreichen   Versuch ausgesetzt waren, ein möglichst authentisches
jüngeren Publikationen zum Nachkriegsfilm ein. Kanzog      Bild der Kämpfe um Stalingrad zu zeichnen. Dabei fo-
konzentriert sich auf Filme, deren filmischer Diskurs      kussiert Kanzog auf die Darstellung soldatischer Leitbil-
sich unmittelbar auf die öffentlichen Diskussionen über    der und die Verhandlung der grundsätzlichen Frage der
die militärische Verteidigungsbereitschaft und soldati-    militärischen Verteidigungsbereitschaft. Zugleich geht
sche Ehre während und kurz nach der Wiederbewaff-          er auf die Problematik der Faktizität der dargestellten
nung der Bundesrepublik bezog, [darunter] vier Filme       Sachverhalte im Spannungsfeld künstlerischer Freiheit
von Frank Wisbar, HAIE UND KLEINE FISCHE (1957),           ein.                                    Fabian Schmidt
HUNDE WOLLT IHR EWIG LEBEN (1959), FABRIK DER
OFFIZIERE (1960) und NACHT FIEL ÜBER GOTENHAFEN            Militärische Leitbilder in Spielfilmen
(1960). Seine Analysen sind dabei nicht rein phänome-      der Bundesrepublik der 1950er Jahre
nologisch fundiert. Vielmehr setzt Kanzog die Filme und    Wir sprechen und schreiben über Filme, zuallererst
ihre Roman- oder Drehbuchvorlage mithilfe vieler Quel-     aber sehen wir sie oder sollten sie gesehen haben; die
len in Bezug zueinander und dokumentiert die damit         öffentliche Meinungsbildung vollzieht sich vorwiegend
verbundenen Auseinandersetzungen in zeitgenössi-           in publizistischen Bewertungen, die eigene individuell.
schen Briefwechseln von Fachleuten und Zeitzeugen.         Für den Betrachter war das Kino in den fünfziger Jah-
Insbesondere die Briefe der an der Katastrophe von         ren noch der privilegierte Ort filmischer Wahrnehmung
(und gesellschaftlicher Reputation). »Es war die Zeit, da   sehnlichen Wunsch nach einer griffigen Unterschei-
               Millionen Menschen von einem Kinobesuch sich noch           dung zwischen »akzeptablem« und »nicht akzeptablem«
               die schönsten Stunden versprachen. Eine legendäre           Verhalten von Wehrmachtsangehörigen und kamen in
               Zeit war das«. (Horst Frank) Das Kino war gegenüber         der öffentlichen Diskussion um die umstrittene Tradi-
               der alltäglichen Lebenswelt ein »anderer Raum«, den         tionsbindung der Bundeswehr einem Rechtfertigungs-
               man betrat und nach einer gewissen Zeit wieder ver-         verlangen nach. Die gezielten Sympathielenkungen
               ließ. Hier bestanden eigene Wahrnehmungsbedingun-           standen im Dienste einer ausgeprägten Argumentati-
               gen, und hier galten eigene Wahrnehmungsregeln.             onsstrategie. Ihr emotionaler Impetus ging von Schau-
               Dieser »andere Raum« war ein Raum der Distanz, der          spielern aus, in die man sich hineinversetzen konnte.
               Entspannung, aber auch Fluchtraum. Hier ließ man sich       Da gewannen Generäle, junge Offiziere und Soldaten
Frank Wisbar

               auf ein Spiel ein, und hier galt die Definition J. Hui-     gleichermaßen Überzeugungskraft. Ein charismatischer
               zingas: »Spiel ist nicht das gewöhnliche oder das ei-       Schauspieler überzeugt durch seine persönliche Aus-
               gentliche Leben. Es ist vielmehr das Heraustreten aus       strahlung. Er versetzt Zuschauer in die Lage, Bewäh-
               ihm in eine zeitweilige Sphäre von Aktivität mit einer      rungssituationen nachzuvollziehen und sich an ihnen
               eigenen Tendenz.« Im Kino setzen Fiktionen Energien         zu orientieren. Ein charismatischer Schauspieler ist
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               frei, hier gewinnen Fantasien Realität und meditative       auch in Zweifeln und Niederlagen stark. Da hatte man
               Enklaven an Boden. Das zeitweise Verweilen in diesem        bei der Rollenbesetzung in den einzelnen Filmen eine
               »anderen« Raum erleichtert die Reflexion über das ei-       glückliche Hand. Man aktivierte bewährte Schauspie-
               gene Verhalten.                                             ler, die dem Zuschauer bekannt waren und die sich in
                    Unabdingbar ist das Wiederverlassen dieses             die neuen Figurenkonzepte einfügten. Die Geburtsjahr-
               Raums, so wie in der Selbsthypnose gewonnene Zu-            gänge der Schauspieler – 1903 (O. E. Hasse), 1907
               stände wieder abgerufen werden müssen. Nach dem             (Ernst Wilhelm Borchert), 1908 (Ernst von Klipstein),
               Zweiten Weltkrieg waren die Kinos besonders ersehnte        1910 (Wolfgang Preiss) – machen deren Generations-
               »andere« Orte, und die vier Besatzungsmächte entspra-       zusammengehörigkeit erkennbar. Ihre gemeinsamen
               chen jeweils auf ihre Weise diesem Begehren durch die       Lebenserfahrungen waren die Voraussetzung für die
               schnelle Wiederbelebung des Filmwesens. Da sprach           authentische Gestaltung ihrer Rollen.
               man gern von der »Stunde Null«: Doch gab es diese                Für die jüngere Generation mussten authentische
               »Stunde Null« nur in jenem Augenblick, in dem das           Repräsentanten gefunden werden. Das gelang Alfred
               NS-Herrschaftssystem zusammenbrach und die Besat-           Weidenmann. Horst Frank berichtet, dass Weidenmann
               zungsherrschaft errichtet wurde, die alle Überlebenden      im Sommer 1956 für DER STERN VON AFRIKA »neue
               zwang, sich gemäß den veränderten politischen Ver-          (preiswerte) Gesichter« suchte und eine Personalent-
               hältnissen neu zu orientieren. Auch für die deutsche        scheidung mit weitreichenden Folgen traf. Unter den
               Filmwirtschaft war dies nur formal ein Neuanfang. Viele     sechs ausgewählten Schauspielern waren Joachim
               Filmschaffende, die sich von Goebbels hatten kompro-        Hansen (1930), Hansjörg Felmy (1931) und Horst Frank
               mittieren, nicht aber disziplinieren lassen, waren sofort   (1929), die er in DER STERN VON AFRIKA einsetzte und
               wieder zur Stelle und garantierten Kontinuität. Diese       für die dieser Film sowie ihr späterer Einsatz in den Wis-
               Kontinuität im deutschen Filmschaffen der 1930er bis        bar-Filmen zum Sprungbrett für eine große Filmkarriere
               1950er Jahre beruhte auf fünf Faktoren: (1) auf dem         wurde. Gegenüber Hansjörg Felmy und Joachim Han-
               ungebrochenen Charisma der Stars, (2) auf dem Kön-          sen, an denen sich junge Offiziere in der Bundeswehr
               nen handwerklich erfahrener Kameraleute, (3) auf den        durchaus orientieren konnten, bildet Horst Frank den
               tradierten Schnitt- und Montageverfahren, (4) auf der       Gegenpol. »Wenn etwas an Horst Frank ›pathologisch‹
               Pflege erprobter Genres, (5) auf der Fähigkeit, sich den    ist, so seine innere Erlebnisfähigkeit, die zweifellos weit
               Interessen und Bedürfnissen der Publikums anzupas-          über das Normale hinausgeht – eine Übersensibilität,
               sen. Die Ufa war als Firma zerschlagen worden, als »Er-     die dem geistigen und seelischen Normalverbraucher
               fahrung« lebte sie weiter. Die neuen Filmproduzenten        wahrscheinlich schon darum nicht geheuer ist, weil
               folgten den Zeittendenzen, so auch in der Debatte um        er sie sich ohne Ventil in seinem künstlerischen Beruf
               die deutsche Wiederbewaffnung.                              einfach nicht leisten kann, wenn er nicht früher oder
                    Die Filme unterstützten die Verteidigung der Distanz   später vor die Hunde gehen will.« (Inge Dombrowski /
               der Wehrmacht gegenüber den ideologischen Grund-            Rudolf Borchert) Horst Frank bekannte: »Meine (Cha-
               sätzen der NSDAP; den Gesamtkomplex Waffen-SS               rakter-)Visage hat mich bekannt gemacht; die Rollen
               sparten sie wohlweislich aus. Sie erfüllten damit den       der Grübler, der Zyniker, der Zerrissenen und Schwieri-
gen lagen mir.« Als Gerd Heyne in HAIE UND KLEINE FI-    die in Schach gehalten werden müssen, um die Wahr-
SCHE und Feldwebel Böse in HUNDE WOLLT IHR EWIG          nehmung der historischen Gegebenheiten von voreili-
LEBEN war er mehr als das. Von ihm gingen die Impulse    gen Vorurteilen freizuhalten. Dies gilt besonders für die
für die kritische Reflexion über den Wehrdienst aus.     Umstände, unter denen diese Filme produziert wurden.
    Das Interesse an dem, »was geschah«, ist ungebro-        Angelpunkt ihrer Bewertung ist die Tragfähigkeit
chen, doch ein ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein        der Argumente des filmischen Diskurses zum Zeitpunkt
entwickelt sich daraus nur rudimentär. Zurückliegende    ihrer Uraufführung. Historische Beweiskraft erlangen
Ereignisse werden zeitlich eingeordnet, am ehesten       diese Argumente erst aufgrund gesicherter Kenntnisse
im Rückblick auf die eigene Vergangenheit. Man re-       über die »historische Zeit« und deren führende Persön-
konstruiert Abläufe, versucht, sie teleologisch in ge-   lichkeiten; Nachprüfungen bestätigen Korrektheit und

                                                                                                                                                  Frank Wisbar
schichtlichen Zusammenhängen zu sehen und ist auf        decken Unschärfen, Lücken, Fehler auf. Der Spielraum
Zusatzinformationen angewiesen, die nicht ad hoc zur     für Spekulationen ist groß, aber auch die Duldsamkeit
Verfügung stehen. Dabei geraten zwei Tendenzen ein-      gegenüber Eigenmächtigkeiten. Trotz der unvermeidli-
ander ins Gehege, die Suche nach gesicherten Fakten      chen Begleitschäden will man in der Hauptsache da-
und ihre Nutzanwendung. Informationsfluten treffen auf   ran glauben, dass es »wohl so war«. Auf dieser Basis
                                                                                                                                                     9
unterschiedliche Interessen, wecken Neugier, Suchbil-    können Betrachter durchaus ein Geschichtsbewusst-
der bestimmen die Auswahl. Siebzig Jahre nach der        sein entwickeln. Eine Kinostunde ist jedoch keine Ge-
Wehrergänzung zum Grundgesetz und der dadurch            schichtsstunde und ein Spielfilm kein Geschichtsbuch.
ermöglichten Wiederbewaffnung der Bundesrepublik                                                    Klaus Kanzog
Deutschland richtet sich unser Interesse auf den Ele-
mentaraffekt dieses historischen Ereignisses, der in     Haie und kleine Fische | BRD 1957 | R: Frank Wisbar |
den fünfziger Jahren Verdrängtes aktivierte. Die aus     B: Wolfgang Ott, nach seinem Roman | K: Günter Haase
dieser Zeit überlieferten Spielfilme vermitteln diesen   | M: Hans-Martin Majewski | D: Hansjörg Felmy, Su-
Elementaraffekt und lösen zugleich neue Affekte aus,     sanne Bethmann, Wolfgang Preiss, Heinz Engelmann,

                                                                                                                     HUNDE WOLLT IHR EWIG LEBEN
Horst Frank, Mady Rahl | 120 min | »Basierend auf dem      Rahl | 99 min | »Als letzten Teil seiner Kriegsfilm-Trilogie
               Roman von Wolfgang Ott (1954) dramatisiert dieser pa-      drehte Frank Wisbar eine ›den deutschen Frauen ge-
               ckende U-Boot-Film eine der unbarmherzigsten Fron-         widmete‹ Schicksalsballade, die sich von einem 1939er
               ten des Zweiten Weltkriegs. Wie der Titel suggeriert,      Bunten Abend auf dem Kraft-durch-Freude-Dampfer
               ist Wisbar ganz auf der Seite der einfachen Soldaten,      Wilhelm Gustloff bis zum Untergang des Schiffes hin-
               die nach bestem Wissen und Gewissen ums Überleben          dehnt: Im Januar 1945 wurde es, mit 6000 Flüchtlin-
               kämpfen und immer wieder die eigene Ohnmacht er-           gen an Bord, durch russische U-Boot-Torpedos in der
               fahren. Immer wieder integriert Wisbar reale Wochen-       Ostsee versenkt. Technisch brillant gelang allerdings
               schauausschnitte – auch in seinen späteren Werken,         die Schiffskatastrophe, und mit erstaunlicher Vitalität
               so dass der Film im Guten wie im Bedenklichen sehr         übertrumpft Brigitte Horney alle ihre Mitspieler.« (Der
Frank Wisbar

               zeitgenössisch wirkt: HAIE UND KLEINE FISCHE schafft       Spiegel 11/1960) »Dazu passt, dass Wisbar originale
               eine dichte Simulation des U-Boot-Krieges, bleibt dabei    Aufnahmen vom Treck in seinen Film einbaute und mit
               aber ideologisch indifferent. Das ist insofern legitim,    nachgestellten Szenen montierte. Dem Publikum wird
               als dass der Film sich an der Beleuchtung von Einzel-      diese Collage im Film nicht kenntlich gemacht. Zusätz-
               schicksalen in Grenzsituationen versucht. HAIE UND         lich erschuf Wisbar neue Bilder von Flucht und Vertrei-
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               KLEINE FISCHE reflektiert so intensiv die Stimmung je-     bung, nämlich die Bilder des Gustloff-Untergangs, von
               ner Jahre, in denen der Krieg eine noch sehr lebendige     dem keine Fotografien oder Filmaufnahmen überliefert
               Erinnerung ist.« (Marcus Stiglegger)                       sind. Ungeachtet dessen wurden die ›fiktiven Bilder des
                Freitag, 14. September 2018, 18.30 Uhr | Einführung:     Untergangs‹ selbst in den 2000er Jahren sowohl in
               Klaus Kanzog                                               Dokumentationen als auch in Printmedien wiederver-
                                                                          wertet, die Bild-Zeitung verwendete Wisbars erfundene
               Hunde wollt ihr ewig leben | BRD 1959 | R: Frank           Bilder des Gustloff-Untergangs im Jahr 2002 sogar als
               Wisbar | B: Frank Wisbar, Frank Dimen, Heinz Schröter,     ›Authentifizierungsreferenz‹.« (Alina Laura Tiews)
               nach dem Roman von Fritz Wöss | K: Helmuth Ashley |         Sonntag, 16. September 2018, 18.30 Uhr | Einführung:
               M: Herbert Windt | D: Joachim Hansen, Wilhelm Bor-         Klaus Kanzog
               chert, Wolfgang Preiss, Karl Lange, Horst Frank | 98
               min | »Wisbar bevölkerte die Szenerie von Stalingrad       Fabrik der Offiziere | BRD 1960 | R: Frank Wisbar |
               mit den vorgeprägten Typen, die dem ideologischen          B: Franz Höllering, Frank Wisbar, nach dem Roman von
               Proporz des deutschen Kriegsfilms entsprechen. Es          Hans Hellmut Kirst | K: Kurt Grigoleit | M: Hans-Martin
               gibt den guten, idealistischen, tapferen Nationalsozia-    Majewski | D: Karl Lange, Karl John, Erik Schumann,
               listen, der am Schluss geläutert wird, und den bösen,      Horst Frank, Peter Carsten, Helmut Griem | 96 min |
               doch feigen Nazi-Offizier, der am Ende angstschlot-        »Der deutschen Kriegsfilmzubereitung nach Illustrier-
               ternd zum Feind überläuft. Darüber hinaus existiert,       tenmanier ist jetzt auch der Spielleiter Frank Wisbar
               in der Gestalt von Sonja Ziemann, sogar das liebende       erlegen, als er des 08/15-Autors und Münchner Film-
               Russenmädchen, das plötzlich hinter der sowjetischen       kritikers Hans Hellmut Kirst jüngstes Roman-Opus im
               Front auftaucht und dem verirrten deutschen Helden         Nicht-Anecken-Stil der Zehnten Muse bescherte. Ein
               die Rückkehr zu den eigenen Truppen ermöglicht. Die-       Vorgesetztenmord an einer Kriegsschule liefert die Glie-
               se Schwächen können auch nicht durch die eindrucks-        der für die erprobte Gleichung: Edler Offizier plus sturer
               voll inszenierten Kampfszenen und die eingeblendeten       Nazi plus Widerstandskämpfer plus Kasinoprasser plus
               Wochenschaubilder wettgemacht werden, die zwar             leidende Soldatenbraut gleich deutsche Tragödie.« (Der
               technisch perfekt eingefügt wurden, aber nicht immer       Spiegel 3/1961) »Kein pathetischer Held produziert
               nahtlos an das Atelier-Grauen anschließen.« (Der Spie-     sich vor der Kamera, sondern ein Mensch, den sein Ge-
               gel 16/1959)                                               wissen gegen alle Absicht in den Konflikt treibt. Helmut
                Samstag, 15. September 2018, 18.30 Uhr | Einfüh-         Griem (in seiner ersten Filmrolle) meistert den schwie-
               rung: Klaus Kanzog                                         rigen Part mit überzeugender, herber Ausdruckskraft.«
                                                                          (Film-Dienst 3-4/1961)
               Nacht fiel über Gotenhafen | BRD 1960 | R: Frank            Dienstag, 18. September 2018, 21.00 Uhr | Einfüh-
               Wisbar | B: Frank Wisbar, Victor Schuller, nach einem      rung: Klaus Kanzog
               Tatsachenbericht des Stern | K: Elio Carniel, Willy Win-
               terstein | M: Hans-Martin Majewski | D: Sonja Ziemann,
               Gunnar Möller, Erik Schumann, Brigitte Horney, Mady
Universal unter Carl Laemmle Junior
Februar 1931. Von links: Will Hays, Carl Laemmle Senior, Mary Pickford, Will Rogers, Carl Laemmle Junior.

                                                                                                                                                                                                                                   Carl Laemmle Junior
                                                                                                                                                                                                                                    11

                                                                                                            Der aus dem schwäbischen Laupheim in die USA ein-           und Universal, Irving Thalberg und Carl Laemmle Junior,
                                                                                                            gewanderte Carl Laemmle stieg 1909 ins Kinogeschäft         bestand eine starke Rivalität, die auch damit zusam-
                                                                                                            ein und gründete 1912 die Universal Studios, bei denen      menhing, dass Thalberg zunächst selber bei Universal
                                                                                                            das Starsystem seinen Anfang nahm und die als erste         tätig gewesen war. Die Konkurrenz der beiden war von
                                                                                                            auch ihr Gelände als Touristenattraktion vermarkteten.      fazinierenden Kontrasten geprägt: Thalberg feuerte den
                                                                                                            Im Jahr 1928, am Ende der Stummfilmzeit, folgte ein         exzentrischen Regisseur Erich von Stroheim, während
                                                                                                            gewagter Schritt: Carl Laemmle »schenkte« seinem            Junior gezielt dessen nicht minder exzentrische Kolle-
                                                                                                            20-jährigen Sohn Julius die Position als Head of Pro-       gen Paul Fejos und Edward Cahn einstellte. Thalberg
                                                                                                            duction – doch nicht, ohne den vorher noch umzube-          ließ Dickens und Shakespeare verfilmen, Junior da-
                                                                                                            nennen. Fortan hieß er nicht mehr Julius, sondern »Carl     gegen Gegenwartsautoren wie Erich Maria Remarque,
                                                                                                            Laemmle, jr.«, was Kontinuität signalisieren sollte, sich   Hans Fallada oder Stefan Zweig. Und während Thalberg
                                                                                                            aber für den jungen Mann, der bald nur noch »Juni-          einer der Verfasser des Production Code war, setzte
                                                                                                            or« genannt wurde, als schwere Hypothek erwies. Man         Junior alles daran, die Zensur zu untergraben – Wie-
                                                                                                            bezweifelte des Juniors Befähigung für seinen Posten,       deraufführungen von John Stahls BACK STREET (1932)
                                                                                                            zumal der Senior für seinen Nepotismus bekannt war,         wurden nach der Einsetzung des Production Code
                                                                                                            und machte hinter seinem Rücken Witze über ihn.             rundweg abgelehnt, zunächst weil der Film »nicht die
                                                                                                                Carl Laemmle Senior wandte sich mehr und mehr           korrekten moralischen Werte« vertrete. Später wurde
                                                                                                            seinem humanitären Engagement zu, während Junior,           gar beschieden, BACK STREET sei »zum Symbol für
                                                                                                            stets makellos gekleidet und strahlend, das Studio auf      genau die falsche Art Filme geworden«, denen der Pro-
                                                                                                            neue Wege führte und zugleich viele Filme persönlich        duction Code doch ein Ende setzen sollte.
                                                                                                            produzierte. Zwischen den beiden mächtigen und un-              Allein Junior ist es zu verdanken, dass bei der Uni-
                                                                                                            gewöhnlich jungen Produktionschefs der Studios MGM          versal die Horrorklassiker der 1930er Jahre DRACULA,
FRANKENSTEIN, THE MUMMY, THE INVISIBLE MAN etc.               des Star-Systems, bewiesen hatte – Margaret Sullavan
                      entstanden (die das Filmmuseum im Frühjahr 2017               kam für ONLY YESTERDAY, dann produzierte Junior für
                      zeigte), doch sein Einfluss ging weit darüber hinaus.         sie mit LITTLE MAN, WHAT NOW? einen der ersten Hol-
                      Er wollte das für seine Sparsamkeit berüchtigte Stu-          lywoodfilme, die den Aufstieg der Nazis behandelten.
                      dio aufwerten und die gut eingeführte Produktpalette          Universal hatte ursprünglich eine besonders enge Bin-
                      aus Western, Serials und Kurzfilmkomödien auf echte           dung an die deutsche Filmindustrie gepflegt, doch nun
                      A-Filme umstellen, die vorerst durch die erfolgreiche         war Universal das erste große Studio, das sich wegen
                      B-Produktion querfinanziert werden sollten. Er war            der Nationalsozialisten aus dem lukrativen deutschen
Carl Laemmle Junior

                      kultiviert, ehrgeizig und risikofreudig, förderte Innovati-   Markt zurückzog. Derweil hielten sich Fox, Warner und
                      onen in der Studiotechnik und versuchte neue Formen           MGM dem Exportgeschäft zuliebe brav an Vorgaben
                      zu etablieren. KING OF JAZZ (1930) sollte eine neue Art       der neuen Machthaber in Deutschland und vermieden
                      des Musikfilms begründen und die verschwenderisch             jeden Anflug von Kritik.
                      ausgestatteten MGM-Musicals in den Schatten stellen,              Bis heute kann man lesen, Juniors teure Flops
                      doch der Aufwand für dieses Farbspektakel zahlte sich         hätten das Studio ruiniert, doch das trifft nicht zu. Das
                      nicht aus. Das Projekt, das rund zwei Millionen Dollar        Problem war nicht der gelegentliche Misserfolg, son-
                      verschlungen hatte, fiel an der Kasse durch.                  dern vielmehr eine schleichende Kostenfalle, wie die
 12                       Junior war eine unverbesserliche Spielernatur.            Papiere des Unternehmens belegen: Ein mittlerer Film,
                      Wenn er auf kostspielige, wagemutige und anspruchs-           an dem keine großen Erwartungen hingen, war bei der
                      volle Projekte setzte, erwiesen sich seine furchtlosen        Universal früher auf $200.000 gekommen; unter Ju-
                      Entscheidungen oft als richtig, wie bei ALL QUIET ON          nior konnte er $30.000 bis $80.000 mehr kosten. Die
                      THE WESTERN FRONT (1930), der trotz heftiger Kon-             Defizite sammelten sich an, bis Junior 1936 seinem
                      troversen im Vorfeld (den Weltkrieg aus der Sicht des         Spielerinstinkt folgte und, anstatt Budgets zusammen-
                      Feindes zeigen?), enormer Schwierigkeiten in der Pro-         zustreichen, alles auf eine Karte setzte – eine Verfil-
                                                                                    mung des Musicals SHOW BOAT im ganz großen Stil
                                                                                    mit aufwändigen Bauten, kunstvollen Kostümen und
                                                                                    den Stars der Bühnenversion einschließlich des großen
                                                                                    Paul Robeson. Im sicheren Gefühl, einen Riesenhit zu
                                                                                    landen und im vollen Vertrauen auf James Whales In-
                                                                                    szenierung nickte Junior die Kosten ab, die sich letztlich
                                                                                    auf $1.275.000 summierten.
                                                                                        Derweil spielte Laemmle Senior, der schon so man-
                                                                                    che finanzielle Krise ebenso geschickt wie fragwürdig
                                                                                    gemeistert hatte, auf Risiko. Für einen Kredit von gera-
                                                                                    de $750.000 stand eine Option auf das gesamte Studio
                                                                                    als Sicherheit. Als der Kredit fällig wurde, griffen die
                                                                                    Geldgeber zu und übernahmen Universal am 14. März
                      duktion und Zensurproblemen in vielen Ländern doch            1936 für fünfeinhalb Millionen Dollar – gerade viermal
                      letztlich ein Welterfolg wurde und dem 22-jährigen Pro-       soviel, wie SHOW BOAT gekostet hatte. Einen Monat
                      duzenten einen Oscar eintrug. Variety schrieb: »Nichts        später kündigte Junior. Mit nur 28 Jahren war er ein
                      wird hier dezent übergangen, nichts für das weibliche         gescheiterter Filmproduzent. Die bittere Ironie war, dass
                      Publikum geschönt. Gezeigt wird der Krieg, wie er ist,        SHOW BOAT ein enormer Erfolg bei Kritik und Publikum
                      Schlachterei. Der Völkerbund könnte keine bessere In-         wurde – zu spät für die Rettung der Laemmles.
                      vestition tätigen als den Film aufzukaufen und ihn in             James Whale hatte besonderen Grund, Juniors
                      allen Sprachen der Welt allen Nationen alljährlich zu         Abschied zu bedauern, denn sein nächster Film, THE
                      zeigen, bis das Wort Krieg aus den Lexika getilgt wird.«      ROAD BACK, die Fortsetzung von ALL QUIET ON THE
                          Junior band unkonventionelle Regisseure ans               WESTERN FRONT, wurde von den neuen Chefs nach
                      Studio – James Whales doppelbödige Ironie, Edward             Boykottdrohungen aus Deutschland massiv zusam-
                      Cahns zynischer Nihilismus, John Stahls humanisti-            mengekürzt. Die Library of Congress konnte die jahr-
                      sches Feuer fanden in deren Jahren bei der Universal          zehntelang verlorene Urfassung von THE ROAD BACK
                      ihren vollsten Ausdruck. Er konnte Stars mit demselben        wieder herstellen, die neben SHOW BOAT am Ende der
                      Geschick aufbauen, das schon sein Vater, der Erfinder         Filmreihe steht.
Junior war zunächst noch einige Monate bei MGM          den Film in Windeseile auf der Zugfahrt von Los Ange-
angestellt, ohne dass das zu einem Film geführt hätte.      les nach New York überarbeiten, um ZaSu Pitts durch
Nach dem Tod seines Vaters 1939 erbte Junior rund           nachgedrehte Szenen mit Beryl Mercer zu ersetzen.
fünf Millionen Dollar. Er lebte noch bis 1979, Gerüch-      Obwohl es bei Aufführungen in Deutschland zu Störak-
te um einzelne Projekte Juniors gab es immer wieder,        tionen der SA kam und der Film daraufhin zeitweise
doch die Filme nahmen nie Gestalt an. Bei seinem Tod        verboten wurde, war ALL QUIET ON THE WESTERN
war das Herrenhaus in Beverly Hills beliehen und das        FRONT schließlich einer der erfolgreichsten Filme der
Vermögen fast aufgebraucht. Sogar sein Oscar für ALL        Saison 1931/32. Der Oscar für den besten Film gab

                                                                                                                     Carl Laemmle Junior
QUIET ON THE WESTERN FRONT war verschwunden                 Junior das Gefühl, sich bewiesen zu haben.
und wurde nicht wieder aufgefunden. Die New York             Freitag, 14. September 2018, 21.00 Uhr  Diens-
Times hielt es nicht für nötig, einen Nachruf zu bringen.   tag, 18. September 2018, 18.30 Uhr

                                                            Outside the Law (Sirenen um Mitternacht) | USA
                                                            1930 | R: Tod Browning | B: Tod Browning, Garrett Fort
                                                            | K: Roy F. Overbaugh | M: David Broekman | D: Edward
                                                            G. Robinson, Mary Nolan, Owen Moore, Eddie Sturgis,
                                                            John George | 79 min | OF | Ein Ganovenpärchen hin-       13
                                                            tergeht einen Gangsterboss und muss untertauchen.
                                                            Regisseur Tod Browning kann in seiner Vorliebe für den
                                                            amerikanischen fahrenden Carnival schwelgen – eine
                                                            Welt für sich, ein Zwischenreich aus Showbusiness und
                                                            Verbrechen. Die Figuren scheinen der Sideshow aus
                                                            Brownings FREAKS (1932) entsprungen. In der brillan-
                                                            ten dialogfreien Anfangssequenz tritt Owen Moore als
    Die Filme dieser Reihe belegen durchweg, dass           beinloser »Automat« im Schaufenster eines Kaufhauses
Junior als Produzent eine risikofreudige, wagemutige        auf, während Mary Nolan als leicht bekleidetes Model
Linie verfolgte. Er war weder ein Verschwender noch         in einem Museum für »Lebende Bilder« arbeitet – im
ein Pfennigfuchser, sondern stattete Projekte, an die er    Grunde nichts anderes als eine Burlesque Show. Auf
glaubte, mit Mitteln aus, die andere Studios nicht ris-     der Flucht vor dem Gangsterboss geben sich die beiden
kierten. Die Vielzahl beeindruckender Produktionen aus      als Frischvermählte aus und verstecken sich in einer
gerade sieben Jahren, von denen wir nur einen kleinen       für sie exotischen, befremdlichen »Normalität«, in der
Teil ausgewählt haben, lässt uns mit der Frage zurück:      Welt der middle class, die sie zugleich anzieht und
Was hätte Junior noch geschaffen, was wäre alles            anwidert. Browning, der diese Außenseitergeschichte
möglich gewesen, wäre die Ära Laemmle nicht 1936            1920 schon einmal für Laemmle Senior als Stumm-
abrupt beendet worden?                                      film inszeniert hatte, kehrte nach Jahren bei MGM zur
                            Dave Kehr, Christoph Michel     Universal zurück.
                                                             Samstag, 15. September 2018, 21.00 Uhr
All Quiet on the Western Front (Im Westen nichts
Neues) | USA 1930 | R: Lewis Milestone | B: Maxwell         King of Jazz (Der Jazzkönig) | USA 1930 | R: John
Anderson, George Abbott, Del Andrews, nach dem Ro-          Murray Anderson | B: Harry Ruskin | K: Jerome Ash,
man von Erich Maria Remarque | K: Arthur Edeson | M:        Hal Mohr, Ray Rennahan | M: Milton Ager, James Die-
David Broekman | D: Lew Ayres, Louis Wolheim, John          trich, George Gershwin, Ferde Grofé Sr., Billy Rose,
Wray, Arnold Lucy, Ben Alexander | 136 min | OmU |          Mabel Wayne, Jack Yellen | D: Paul Whiteman, John
Der Film folgt Paul und seinen Freunden von der Schul-      Boles, Laura La Plante, Jeanette Loff, Glenn Tryon |
bank durch die Grundausbildung in die Schützengräben        98 min | OF | »Mit der Superproduktion KING OF JAZZ
und begleitet sie mit großem Aufwand und dokumen-           wollte Universal dem darniederliegenden Genre Musi-
tarischer Genauigkeit bis zum bitteren Ende. Die Dar-       cal neues Leben einhauchen. Paul Whiteman war als
stellerin von Pauls Mutter, ZaSu Pitts, war eine beliebte   Bandleader auf dem Gipfel seines Ruhmes und hatte
Komikerin, und das Publikum in Testvorführungen re-         die erste Garde des Jazz engagiert, darunter einen
agierte bei ihrem Auftritt reflexartig mit Gelächter. Der   jungen Sänger namens Bing Crosby. John Murray An-
Cutter (und spätere Regisseur) Edward L. Cahn musste        derson hatte spektakuläre Broadwayrevuen inszeniert
und konnte neben Universals Vertragsstars die größten       Seed (… und der Tag kam) | USA 1931 | R: John
                      Bühnentalente für seine Vision begeistern, obwohl er        M. Stahl | B: Gladys Lehman, nach dem Roman von
                      keine Filmerfahrung hatte. Das Endergebnis war eine         Charles G. Norris | K: Jackson Rose | M: Heinz Roem-
                      beispiellose Verbindung von Bühnen- und Filmele-            held | D: John Boles, Genevieve Tobin, Lois Wilson, Ray-
                      menten ohne Plot und fast ohne Dialog in strahlendem        mond Hackett, Bette Davis, ZaSu Pitts, Richard Tucker,
                                                                                  Helen Parrish | 96 min | OF | Bart Carter, verheiratet,
                                                                                  fünf Kinder, hat einen Roman geschrieben. Als seine
                                                                                  frühere Freundin Margaret ihm hilft, das Buch heraus-
Carl Laemmle Junior

                                                                                  zubringen, lässt Bart sich scheiden und heiratet Mar-
                                                                                  garet. Er produziert immer mehr Schund, um seinen
                                                                                  Lebensstil zu finanzieren. Nach einer Begegnung mit
                                                                                  seinen Kindern aus erster Ehe, die ohne ihn ganz gut
                                                                                  geraten sind, holt er sie zu sich, als könnte er Versäum-
                                                                                  tes nachholen. Der Regisseur John Stahl, geboren in
                                                                                  Baku als Jacob Strelitsky, hatte schon als junger Mann
                                                                                  ein kleines Hollywoodstudio geleitet und war eines der
 14                                                                               Gründungsmitglieder der Academy of Motion Picture
                                                                                  Arts and Sciences. Junior verstand sich glänzend mit
                      frühem Technicolor. War KING OF JAZZ jahrzehntelang         ihm und ließ ihm freie Hand bei der Besetzung und In-
                      nur in schlechten und unvollständigen Kopien verfüg-        szenierung seiner Filme, als hätte Stahl ein Studio im
                      bar, kann man ihn nun erstmals seit 85 Jahren in einer      Studio. Seine Filme über Figuren, die gegen unüber-
                      Form sehen und hören, die der ursprünglichen Länge,         windliche Vorurteile ankämpfen, deren Leben aus der
                      Szenenfolge und Bildqualität nahe kommt.« (James            Bahn gerät, oder die schicksalhafte Fehlentscheidun-
                      Layton, David Pierce)                                       gen nicht mehr korrigieren können, sind geprägt von
                       Sonntag, 16. September 2018, 21.00 Uhr                    tiefer Menschlichkeit.
                                                                                   Samstag, 22. September 2018, 21.00 Uhr
                      A House Divided (Der Mannsteufel) | USA 1931 | R:
                      William Wyler | B: John B. Clymer, Dale Van Every, John     Law and Order (Gesetz und Ordnung) | USA 1932 | R:
                      Huston, Olive Edens | K: Charles J. Stumar | D: Walter      Edward L. Cahn | B: John Huston, Tom Reed, nach dem
                      Huston, Douglass Montgomery, Helen Chandler, Mary           Roman »Saint Johnson« von W. R. Burnett | K: Jack-
                      Foy, Lloyd Ingraham | 70 min | OF | Nach Lehrjahren in      son Rose | M: David Broekman | D: Walter Huston,
                      Western und Actionfilmen kann man dies als den ers-         Harry Carey, Russell Hopton, Raymond Hatton, Ralph
                      ten echten William-Wyler-Film ansehen. Wie in vielen        Ince | 75 min | OF | In Tombstone herrscht das Recht
                      seiner späteren Filme, so ist auch hier die Hauptperson     des Stärkeren. Der frühere Marshal Frame Johnson
                      eine Vaterfigur in der Krise. Seth Law ist ein charis-      hat das Kämpfen satt, als er mit seinen Brüdern in
                      matischer Mann der Tat, ein Witwer, der seinen emp-         den Ort kommt, doch er trägt noch einmal den Stern
                      findsamen Sohn so unerbittlich dominiert wie die kleine     und tritt zur letzten Konfrontation an. Edward L. Cahn
                      Gemeinde, in der er lebt. Eine junge Frau in Not heiratet   lässt die entfesselte Kamera ins Geschehen eintauchen
                      ihn aus Dankbarkeit, fühlt sich aber zu seinem ver-         und hinausflüchten, als wäre sie Beteiligte und nicht
                      ängstigten Sohn hingezogen. Die Geschichte spielt auf       Beobachterin der Ereignisse. »Dieser fast vergessene
                      einer kleinen Insel vor der Pazifikküste im Nordosten       Film ist vielleicht der einzige Tonfilm-Western, der noch
                      der USA, und die düstere Atmosphäre der zerlumpten          einmal zu der urwüchsigen Qualität und dem rigoro-
                      Kolonie von Lachsfischern lässt an Roberto Rossellinis      sen Realismus der frühen William-S.-Hart-Filme findet,
                      20 Jahre später entstandenen STROMBOLI denken.              nicht nur in der Handlung, sondern auch in der Bildge-
                      Huston scheint sich im Verlauf der Handlung physisch        staltung, der Figurenzeichnung und der Inszenierung.
                      zu verwandeln, er wird vom hoch aufragenden Gigan-          Die Geschichte wird geradeheraus und in gelassenem
                      ten zur kriechenden Schlange, ebenso wie sich Wylers        Tempo erzählt, die Action ist nie Selbstzweck, doch den
                      Kamerapositionen von Hustons Aussichtspunkt auf der         Höhepunkt bildet eines der rohesten und heftigsten
                      Anhöhe bergab zum Erdboden verlagern.                       Feuergefechte der Filmgeschichte.« (George N. Fenin,
                      Freitag, 21. September 2018, 21.00 Uhr  Dienstag,         William K. Everson)
                      25. September 2018, 18.30 Uhr                                Sonntag, 23. September 2018, 21.00 Uhr
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