Mycobacterium tuberculosis - Stellungnahmen des Arbeitskreises Blut des Bundesministeriums für Gesundheit - RKI
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Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen Bundesgesundheitsbl 2018 · 61:100–115 Mitteilungen des Arbeitskreises Blut des Bundesministeriums für Gesundheit https://doi.org/10.1007/s00103-017-2660-4 © Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017 Mycobacterium tuberculosis Stellungnahmen des Arbeitskreises Blut des Bundesministeriums für Gesundheit Der Arbeitskreis Blut des Bundesmi- Erregern aus dem Mycobacterium tuber- BCG-Erkrankung bezeichnet. Bei Im- nisteriums für Gesundheit gibt als culosis Komplex infiziert sein [8]. mundefekten kann es zu lebensbedrohli- nationales Beratungsgremium Stel- chen disseminierten Erkrankungen kom- lungnahmen zu neuartigen Erregern 1. Wissensstand über men (BCGitis), so beispielsweise nach der ab, bewertet neue Erkenntnisse zu den Erreger Impfung von HIV-infizierten Neugebore- bekannten Erregern und erarbeitet nen, Neugeborenen mit angeborenen Im- entsprechende Empfehlungen für Bis ins späte 19. Jahrhundert wurde von mundefekten, wie z. B. severe combined die Fachöffentlichkeit. Diese Serie der Mehrzahl der Ärzte bezweifelt, dass immunodeficiency (SCID), oder nach von Stellungnahmen zu einzelnen die Tuberkulose durch Bakterien verur- BCG-Instillation in die Harnblase zur ad- Erregern wird als Zusammenfassung sacht wird. Den wissenschaftlichen Be- juvanten, immunmodulatorischen Thera- des aktuellen Wissensstandes ver- weis trat im Jahr 1882 Robert Koch an, pie des Blasenkarzinoms [12–15]. öffentlicht, speziell unter transfusi- der als Erster den „Tuberkelbazillus“ be- M. leprae, der Erreger der Lepra [16, onsmedizinisch relevanten Aspekten schrieb [9]. Neben dem von Robert Koch 17], zählt nicht zu den Tuberkulose-Er- (Bundesgesundheitsbl. 41, 53, 1998). entdeckten Mycobacterium tuberculosis regern. Gleiches gilt für die sogenann- Sämtliche Stellungnahmen sind ver- sind weitere Mykobakterien als Erreger ten nichttuberkulösen Mykobakterien fügbar unter www.rki.de. der Tuberkulose identifiziert worden. Die- (NTM) [18], von denen bisher über 150 se Arten werden unter dem Aspekt der Pa- Arten mit unterschiedlichem humanpa- Mycobacterium tuberculosis- thogenität für den Menschen, also der Fä- thogenen Potential beschrieben wurden. Komplex higkeit Tuberkulose auszulösen, und ihrer NTM sind meist nicht bzw. nur fakulta- engen Verwandtschaft als Mycobacterium tiv pathogen. Erkrankungen treten ins- Tuberkulose zählt weltweit zu den häu- (M.) tuberculosis-Komplex zusammen- besondere im Rahmen von angeborenen figsten zum Tode führenden Infektions- gefasst. Zu den humanpathogenen Erre- und erworbenen Immundefizienzen auf. krankheiten. Die Weltgesundheitsor- gern zählen M. tuberculosis, M. bovis (ssp. ganisation schätzt, dass 2015 weltweit bovis und caprae) und M. africanum (zu 1.1 Erregereigenschaften 10,4 Millionen Menschen neu an Tuber- weiteren zum M. tuberculosis-Komplex kulose erkrankten und 1,8 Millionen da- gehörender Spezies s. Abschnitt „Tiere“). Tuberkulose-Bakterien gehören zur Fa- ran verstarben [1]. In den 1990er Jahren Im Jahr 1998 ist die Entschlüsselung des milie der Mycobacteriaceae, die spezi- schien die Elimination der Tuberkulo- Genoms der wichtigsten Mykobakteri- fische Charakteristika aufweisen (ae- se noch in greifbarer Nähe. Resistenz- enstämme gelungen [10]. Die häufigsten rob, unbeweglich, langsam wachsend, entwicklung sowie die Ko-Epidemie aus Tuberkulose-Infektionen beim Menschen stäbchenförmig). Mykobakterien ha- Tuberkulose und HIV/AIDS begünstig- verursacht M. tuberculosis. Der 1908 von ben einen Zellwandaufbau, der für den ten jedoch die erneute Ausbreitung der den französischen Forschern Albert Cal- mikroskopischen Nachweis der Bakte- Tuberkulose, erschweren ihre Kontrolle mette und Camille Guérin aus M. bovis rien Spezialfärbungen (Ziehl-Neelsen-, und machen eine Elimination zu einer entwickelte und nach ihnen benannte Auramin-Färbung) erforderlich macht. erheblichen Herausforderung, auch für Impfstoff Bacille Calmette-Guérin (BCG) Die bakterielle Zellwand besteht aus Niedrig-Inzidenzländer [2–6]. In den so zählt nach der mikrobiologischen Taxo- Schichten von Murein, Arabinogalac- genannten Entwicklungsländern treten nomie auch zum M. tuberculosis-Komplex tan, Mycolsäuren und Lipoarabinoman- 95 % der Erkrankungsfälle auf. Aber auch [11]. Ubiquitäre Mykobakterien und der nan, die nur kleine Poren enthält und in der Europäischen Union und im Eu- Impfstamm M. bovis Bacillus Calmette- dem Bakterium eine hohe Umweltresis- ropäischen Wirtschaftsraum stellt die Tu- Guérin (BCG) gelten nicht als Erreger der tenz verleiht. Phenolisches Glykolipid 1 berkulose eine erhebliche Krankheitslast Tuberkulose. Die von ihnen verursachten (PGL-Tb1) ist ein wesentlicher Pathoge- dar [7]. Nach aktuellen Schätzungen soll Krankheiten werden gemäß der aktuellen nitätsfaktor; es wird in den aggressiven etwa ein Viertel der Weltbevölkerung mit Falldefinition als Mykobakteriose bzw. Stämmen Bejing und Brazil wieder expri- 100 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2018
miert, während es durch Gendefekt bei über den MHC-Klasse-I-Weg zytoplas- Stabilität den üblicherweise zirkulierenden Stäm- matisch prozessiert und auf der Ober- Bei der Inaktivierung durch UV-Licht men nicht ein Bestandteil der Membran fläche präsentiert werden, können (405 nm) wird M. tuberculosis wie ande- ist [19, 20]. Der Wandaufbau gibt dem auch CD8 T-Zellen stimuliert werden re Bakterien inaktiviert. Bei Bestrahlung Bakterium die Säurefestigkeit in der mi- (MHC = Haupt-Histokompatibilitäts- mit 3,5 mJ/cm2 wurden 50 % und bei 7,7 kroskopischen Färbung. Komplex, engl. major histocompatibi- mJ/cm2 wurden 84 % der M. tuberculosis Das Tuberkulosebakterium zeich- lity complex). Weitere T-Zellpopulati- Bakterien abgetötet [33, 34]. net sich insbesondere durch die Fähig- onen produzieren ebenfalls IFN-γ und Mykobakterien sind thermolabil. Je keit aus, in einem intrazellulären Mem- tragen so zur Makrophagenaktivierung nach Temperatur und Sonneneinstrah- brankompartiment der Wirtszelle, meist bei (aus Hauer 2005 [23]). Neben IFN- lung können sie theoretisch über mehre- eines Makrophagen, zu überleben. Die γ wird weiteren Zytokinen, wie z. B. In- re Wochen vermehrungsfähig bleiben [35, immunologischen Vorgänge sind dabei terleukin-12 und Interleukin-18, sowie 36]. Voraussetzung für eine Ansteckungs- komplex [20–26]. Nach Inhalation erre- dem Tumor-Nekrosefaktor-α (TNF- α), fähigkeit auf aerogenem Weg ist die Gene- gerhaltiger Tröpfchenkerne (Aerosole, eine bedeutende Rolle in der Immunab- rierung alveolargängiger Aerosole, so dass s. Abschnitt Infektion und Infektions- wehr der Tuberkulose zugeschrieben [21, in eingetrocknetem Sputum eingeschlos- krankheit) und Passage der tiefen Atem- 22, 24, 25]. sene Erreger nicht als relevante Infekti- wege in die Alveolen wird M. tuberculosis Durch die Granulombildung wird das onsquelle erachtet werden [37]. Tuberku- von Alveolarmakrophagen phagozytiert. Wachstum der intrazellulären aber auch lose-Bakterien auf Oberflächen können Mykobakterien können das Milieu des extrazellulären Mykobakterien zwar lo- durch eine Wischdesinfektion mit Flä- Phagosoms so verändern, dass es als Le- kal eingedämmt, sie werden dabei aber chendesinfektionsmitteln mit geprüfter bensraum genutzt werden kann und die nicht völlig abgetötet. Denn auf die Ab- Wirksamkeit gegen Mykobakterien inak- Phagolysosomen-Bildung verhindert kapselung im Granulom können die My- tiviert werden [38]. Kontaminierte Wä- wird. Durch die Induktion einer Poren- kobakterien über verschiedene – bei wei- sche und benutztes Geschirr sind bei min- bildung in der Phagosomenmembran tem noch nicht gänzlich verstandene [26] destens 60 Grad Celsius zu reinigen [37]. wird der Zugang zum nährstoffreicheren – Mechanismen mit Veränderungen re- Zytoplasma erreicht, was ein Überleben agieren, die es ihnen ermöglichen, auch 1.1 Infektion und im nährstoffarmen Phagosom ermög- bei geringem Sauerstoffpartialdruck in ei- Infektionskrankheit licht. Die Bakterien sind zudem durch ner Art Ruhezustand mit stark gedrossel- die Hemmung der Phagolysosomen- ter Stoffwechselaktivität und Replikation Infektionswege Reifung resistent gegenüber den lyso- zu überleben („Dormanz“) [22, 27]. Der Eine Infektion mit Tuberkulose-Bakterien somalen Abtötungsmechanismen bzw. Wirt befindet sich im Zustand der „La- erfolgt hauptsächlich aerogen, d. h. durch inhibieren diese aktiv und sind durch tenz“ [22]. Gelingt es dem Organismus feinste Tröpfchenkerne in der Luft (Aero- ihre intrazelluläre Lebensweise auch vor nicht, die Tuberkulose-Bakterien zu eli- sole
Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen Extrapulmonale Tuberkulosen kom- aktive Tuberkulose entwickelt, hängt von Die Wahrscheinlichkeit, sich mit Tu- men als Infektionsquelle nur selten in Be- verschiedenen Faktoren ab. Dazu zählen: berkulose-Bakterien zu infizieren, tracht, z. B. bei Aerosol-generierenden 55Menge und Infektiosität (Anste- steigt mit der Dauer des Aufenthalts Maßnahmen im Rahmen einer Abszess- ckungsfähigkeit) der aufgenommenen in Räumen mit bakteriell kontami- drainage oder -spülung [42, 43]. Erreger nierter Luft [61, 62] und der Anzahl 55Die Infektiosität der Lungentuberku- der Erreger pro Volumeneinheit Luft Latente tuberkulöse Infektion lose ist abhängig von der Erregerlast [50, 51, 63]. Deshalb ist eine Infektion Bei sonst gesunden Erwachsenen erkran- beim Indexpatienten. Als wichtiges unter freiem Himmel wie auch infol- ken nur etwa 5–10 % der Infizierten tat- Kriterium gilt hier die mikroskopische ge flüchtiger Kontakte in einem Raum sächlich an Tuberkulose [44, 45]. Durch Nachweisbarkeit von Erregern im Spu- prinzipiell möglich [64], aber weniger die im Abschnitt „Erregereigenschaften“ tum, Bronchialsekret oder Magensaft wahrscheinlich als in geschlossenen beschriebene Granulombildung gelingt als Ausdruck einer hohen Erregerlast Räumen und bei intensiven Kontak- bei 90–95 % der immunkompetenten in- [50]. Die mikroskopische Nachweis- ten [40]. fizierten Personen eine Eingrenzung der grenze von M. tuberculosis liegt bei 103 55Empfänglichkeit (Disposition) der Infektion durch Abkapselung der Bakte- –104 Bakterien pro ml. Eine besonders dem Erreger ausgesetzten Person rien im Sinne einer latenten tuberkulösen hohe Erregerlast findet sich häufig bei Das Geschlecht (Männer sind im Er- Infektion (LTBI). Eine klinisch pragma- Patienten, bei denen sich durch Ab- wachsenenalter häufiger betroffen), tische Definition der latenten tuberkulö- husten des verkäsenden nekrotischen das Alter zum Zeitpunkt der Infekti- sen Infektion beschreibt diese als Vorhan- Materials Kavernen in der Lunge mit on sowie genetische und körperliche densein einer spezifischen Immunantwort Anschluss an das Bronchialsystem Faktoren, wie z. B. eine geschwächte (d. h. positiver Tuberkulin Hauttest (THT) gebildet haben. Die Infektiosität von Abwehrlage, haben einen Einfluss da- oder Interferon Gamma Release Assay Patienten, bei denen kein mikrosko- rauf, ob die eingedrungenen Myko- (IGRA)) in Abwesenheit von aktiver Tu- pischer, aber ein kultureller oder mo- bakterien vom Immunsystem erkannt berkulose [46]. lekularbiologischer Keimnachweis ge- und abgetötet bzw. eingegrenzt wer- Die genauen immunologischen Ab- lingt, ist demgegenüber geringer [51, den oder eine Erkrankung auslösen läufe einer Abwehrreaktion gegen M. tu- 52]. So sind kulturell positive, mikro- können [26, 40, 47, 65, 66]. Die Grün- berculosis und was letztendlich ausschlag- skopisch negative Patienten nur für de für die unterschiedliche Empfäng- gebend dafür ist, ob jemand in Folge an etwa 15 % der Folgefälle verantwort- lichkeit von Männern und Frauen Tuberkulose erkrankt, sind bislang nicht lich [53, 54]. Erkrankte Kinder unter sind wahrscheinlich multifaktoriell vollständig verstanden [26, 27, 46]. 10 Jahren sind seltener bzw. wenn, [67]. Eine der Ursachen für die erhöh- dann in aller Regel weniger infektiös, te Vulnerabilität im Kleinkindalter ist Inkubationszeit da die Bakteriendichte im Sputum ge- die noch nicht vollständig ausgebilde- Die Inkubationszeit der Tuberkulose, also ringer ist, sie seltener kavernöse Tuber- te zelluläre Abwehr [65, 66]. Deshalb die Zeit zwischen der Infektion und dem kulosen entwickeln und einen schwä- ist auch die Gefahr komplizierter Er- Auftreten der ersten Symptome, kann cheren Hustenstoß haben [48, 49, 55]. krankungsformen, wie der Miliar- Wochen, Monate oder gar Jahre betra- Wie viele Erreger ausgeschieden wer- tuberkulose und der tuberkulösen gen. Grundsätzlich ist das Erkrankungs- den, wird von der Ausprägung der Er- Meningitis, im Rahmen der Primär- risiko in den ersten beiden Jahren nach krankung, aber auch in erheblichem infektion im Kleinkindalter (
in Ballungsgebieten, soziale Fakto- Einschmelzung entzündeter Lungenher- tis tuberculosa, die mit atemabhängigen ren wie Armut und Obdachlosigkeit de Kavernen entstehen. Jeder länger als Schmerzen und Luftnot einhergeht. sowie Drogengebrauch und Alko- drei Wochen bestehende Husten sollte Durch Reaktivierung von Organher- holkrankheit (verbunden mit z. B. unbedingt ärztlich abgeklärt werden. Bei den können sich als Spätmanifestation Mangelernährung und Begleiterkran- blutigem Auswurf ist eine zügige Abklä- der postprimären Tuberkulose auch nach kungen), eine wichtige Rolle in der rung erforderlich [80]. Mögliche weitere vielen Jahren u. a. Knochen-, Gelenk- oder Krankheitsdisposition [76–79]. Allgemeinsymptome sind Einschränkun- Urogenitaltuberkulosen mit entsprechen- gen des Allgemeinbefindens, Appetit- der organspezifischer Symptomatik ent- Symptomatik, Krankheitsbild mangel, Gewichtsabnahme, leichtes Fie- wickeln. Die latente tuberkulöse Infektion ver- ber, vermehrtes Schwitzen (besonders läuft asymptomatisch. Die im Rahmen nachts), Müdigkeit, allgemeine Schwäche Bakteriämie einer Primärinfektion entstehenden oder Zeichen ähnlich denen eines grip- Sowohl bei Primärtuberkulose als auch knötchenförmigen Tuberkel (spezifi- palen Infektes. Erkrankte Kinder zeigen im Rahmen einer Reaktivierung kann sche epitheloidzellige Granulome, s. Ab- in über der Hälfte der Fälle keine spezi- auf bronchogenem, lymphogenem und schnitt Erregereigenschaften) können fischen Symptome oder fallen nur durch hämatogenem Weg eine Aussaat der Tu- im Abheilungsprozess verkalken. Wie eine verzögerte Entwicklung auf [82]. Bei berkulose-Bakterien erfolgen. Durch die bereits ausgeführt, können Tuberkulo- der extrapulmonalen Tuberkulose sind Streuung kann es zu Miliartuberkulose se-Bakterien darin über Jahrzehnte le- die Symptome je nach Lokalisation ver- und Meningitis mit entsprechend schwe- bensfähig bleiben und im weiteren Ver- schieden. ren Krankheitsverläufen kommen. Be- lauf spontan oder begünstigt durch eine Erkrankungen an Tuberkulose, die sich reits zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Abwehrschwäche reaktivieren. Die Aus- direkt aus einer Erstinfektion mit M. tu- die Bakteriämie durch M. tuberculosis einandersetzung des Organismus mit berculosis entwickeln, werden als primä- bekannt [84–86]. Unter anderen konn- den Tuberkulose-Bakterien ist 6–8 Wo- re Tuberkulose bezeichnet [83]. Nach Sitz te Faber schon früh zeigen, dass sich chen nach Infektion mittels der im Ab- des Primärherdes (Reaktion an der Ein- Tuberkulose-Bakterien im Blut befin- schnitt 1.4 beschriebenen Testverfahren trittspforte der Mykobakterien) findet sich den können [85]. Er inokulierte das Blut nachweisbar. als häufigste Form die pulmonale Tuber- von über 1000 Tuberkulosepatienten in Lässt sich jedoch radiologisch ein tu- kulose (Lunge und Atemwege bis zum Meerschweinchen, welche nachfolgend in berkulöser Primärkomplex (erbs- bis Kehlkopf), sehr selten finden sich ext- 4,2 % der Fälle tuberkulöse Läsionen ent- haselnußgroßer lokalisierter Entzün- rapulmonale Primärlokalisationen (z. B. wickelten. Durch Tierversuche ist auch dungsherd mit reaktiv aktiviertem lokal Verdauungstrakt und Haut). die hämatogene Streuung aus der Lun- drainierendem Lymphknoten, sehr selten Die postprimäre Organtuberkulose ge in andere Lungenareale und extrapul- extrapulmonale Lokalisation) oder eine kann sich unmittelbar aus einer Primär- monale Organe wie Lymphknoten, Milz, andere pathologische Veränderung (z. B. tuberkulose entwickeln (Frühmanifes- Leber, Pankreas und Nebennieren, sowie Infiltrat) nachweisen, so liegt eine mani- tation als Folge einer hämatogenen oder von dort wieder zurück in die Lungen be- feste Tuberkulose vor. lymphogenen Streuung) oder durch spä- legt [87, 88]. Die aktive Tuberkulose manifestiert tere Reaktivierung von ruhenden Streu- Insbesondere seit dem Auftreten von sich bei etwa 80 % der Patienten als Lun- herden (Spätmanifestation) [83]. HIV/AIDS wurden eine Vielzahl von gentuberkulose, sie kann prinzipiell aber Typische Manifestationen bzw. Kom- Studien bzw. Fallserien zum bakteriolo- jedes Organ befallen [80, 81]. Dement- plikationen der frühen postprimären Tu- gischen Nachweis (kulturell oder DNA) sprechend vielgestaltig präsentiert sich berkulose sind die Miliartuberkulose, bei aus dem Vollblut von Tuberkulosepatien- diese Erkrankung und ist, auch aufgrund der sich multiple hirse- bis linsengroße ten publiziert [89–101]. Die Mehrheit der der häufig fehlenden charakteristischen Tuberkuloseherde in der Lunge und in an- untersuchten Tuberkulosepatienten war Krankheitszeichen, oft nicht leicht zu di- deren Organen wie Leber, Milz oder Nie- febril und hochgradig immunsupprimiert agnostizieren. Insbesondere im Kindesal- ren finden, und die tuberkulöse Meningi- (meist HIV-infiziert) und/oder zeigte dis- ter ist die Tuberkulosediagnose aufgrund tis. Besonders gefährdet durch eine primär seminierte schwere Tuberkuloseverläu- der meist bakterienarmen Ausprägung hämatogene Aussaat sind dabei Säuglinge fe mit meist hoher Mortalität. In Einzel- und unspezifischen Symptomatik eine und Kleinkinder [49, 82], sowie Immun- fällen ist der Bakteriennachweis auch aus Herausforderung [49, 82]. Eine klassische geschwächte. Die Miliartuberkulose ist dem Blut HIV-negativer Tuberkulosepa- Manifestation im Kindesalter ist die hiläre ein schweres Krankheitsbild, das (beim tienten beschrieben, die sich in der Regel Lymphknotentuberkulose. Erwachsenen) durch deutliches Krank- jedoch ebenfalls mit schwereren Krank- Leitsymptom der Lungentuberkulose heitsgefühl, hohes Fieber, und – je nach- heitsverläufen präsentieren [84, 91, 94, ist Husten mit oder ohne Auswurf, wo- dem ob eine eher pulmonale oder menin- 96–98, 102]. Auch ein aktueller systema- bei dieser, wenn auch nur in seltenen Fäl- geale Ausprägung vorliegt – Kopfschmerz, tischer Review bestätigt die Beobachtung, len, blutig sein kann. Gelegentlich kommt Atemstörung und Husten gekennzeichnet dass eine M. tuberculosis-Bakteriämie vor- es zu Brustschmerzen und Atemnot. Bei ist. Ein weiteres frühes Krankheitsbild der rangig immunsupprimierte Personen be- ausgedehntem Befall können durch die postprimären Tuberkulose ist die Pleuri- trifft [103]. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2018 103
Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen Der Nachweis von M. tuberculosis aus der Hygieneregeln [81]. In der zweiten Weitere Übertragungswege (oral, Blut ist nicht Bestandteil der Routinedi- Hälfte des 19. Jahrhunderts starben auf Mutter-Kind, Transplantationen, agnostik der Tuberkulose. Das Nationale dem Gebiet des Deutschen Reiches je- iatrogen, Laborunfälle) Referenzzentrum für Mykobakterien am des Jahr 100.000 bis 120.000 Menschen Tuberkulosebakterien (M. bovis) können Forschungszentrum Borstel empfiehlt die an der Tuberkulose, die vor allem aus oral durch die Aufnahme von kontami- kulturelle Untersuchung von Vollblut nur den ärmeren Bevölkerungsschichten nierten Lebensmitteln (z. B. Rohmilch) bei Patienten mit zellulärem Immunde- kamen. Als Robert Koch am 10. April übertragen werden. Eine orale Übertra- fekt [104]. 1882 seine Entdeckung des Erregers gung durch erregerhaltige Nahrungsmit- der Tuberkulose in der Berliner Klini- tel (z. B. Rohmilch) kommt heute jedoch Spätfolgen schen Wochenschrift publizierte, stellte nur noch in den Gebieten vor, in denen Die unkomplizierte Tuberkulose heilt un- er zur Bedeutung der Tuberkulose fest: Infektionen mit M. bovis in Rinder- oder ter einer effektiven Therapie in der Re- „Die Statistik lehrt, dass 1/7 aller Men- Büffelbeständen auftreten (s. auch Ab- gel folgenlos aus. Je nach Krankheitsbild schen an Tuberculose stirbt und dass, schnitt „Tiere“ [115, 116]. kann es jedoch zu durchaus schwe- wenn nur die mittleren productiven Eine Übertragung kann auch während ren Folgeschäden, z. B. Narbenbildung, Altersklassen in Betracht kommen, die der Schwangerschaft auf den Fetus bzw. kommen [105]. Bei initial ausgeprägt Tuberculose ein Drittel derselben und das Neugeborene stattfinden, und zwar kavernösen Lungentuberkulosen kön- oft mehr dahinrafft.“ [9]. Als Ursachen vor der Geburt über die Plazenta oder nen Vernarbungen und Schrumpfungen waren die damals vorherrschenden Le- während der Geburt bei Genitaltuberku- des Lungengewebes und bei Beteiligung bens-, Arbeits- und Wohnbedingungen lose der Mutter, durch Verschlucken oder des Rippenfells Pleuraschwarten zu Ein- erkannt worden, die eine rasche Aus- das Eindringen von kontaminierten Kör- schränkungen der Lungenfunktion füh- breitung der Krankheit ermöglichten. perflüssigkeiten der Mutter in Mund oder ren. Ausgehend von einer Kavernenwand Erst mit der Besserung der allgemeinen Atemwege des Säuglings [117–119]. Eine oder von einem Tuberkulom kann sich Lebensbedingungen, der Erkenntnis der Infektionsgefährdung durch Muttermilch auch ein Bronchialkarzinom entwickeln infektiösen Genese und Einführung von unbehandelter Tuberkulosepatientinnen (Narbenkarzinom), und in persistieren- antituberkulösen Medikamenten sowie besteht nach Einschätzung der American den Kavernen können sich Aspergillome der Bekämpfung und Ausrottung der Academy of Pediatrics nicht [120]. bilden. Bei extrapulmonalen Tuberkulo- Rindertuberkulose nahmen die Erkran- Für Empfänger solider Organtrans- sen sind, auch in Folge von Defektheilung kungszahlen ab [111]. plantate ist aufgrund der iatrogenen Im- oder Spätfolgen nach therapeutischen Neben der Todesursachenstatistik, munsuppression das Risiko durch Re- Eingriffen, Funktionseinschränkungen bei der das Grundleiden der Verstorbe- aktivierung bzw. Neuinfektion an einer des betroffenen Organs bzw. Organsys- nen anhand der Eintragungen zur To- Tuberkulose zu erkranken je nach Setting tems möglich, so beispielsweise Bewe- desursache auf dem Leichenschauschein gegenüber Immungesunden um ein Viel- gungseinschränkungen der Wirbelsäule erfasst und entsprechend den Regeln faches erhöht. Dies stellt angesichts der [106] oder neurologische Defizite oder der Internationalen Klassifikation der unbefriedigenden Sensitivität der ver- Krampfanfälle in Folge einer tuberkulö- Krankheiten, Verletzungen und Todes- fügbaren Testverfahren auf eine laten- sen Meningitis [107]. ursachen (ICD) ermittelt und zentral te tuberkulöse Infektion eine Herausfor- Insbesondere bei Patienten, die wegen zusammengeführt wird, werden Daten derung dar [121–124]. Übertragungen einer komplexen Medikamentenresistenz zur Häufigkeit von Todesfällen an Tu- durch transplantierte Organe infizierter über längere Zeit mit potentiell toxischen berkulose über die Meldepflicht gemäß bzw. erkrankter Spender sind – teilweise Medikamenten behandelt werden müssen Infektionsschutzgesetz (IfSG) [112–114] belegt durch molekularbiologische Un- [108], kann es durch unerwünschte Arz- erfasst. Die Angaben werden direkt mit tersuchungen – insbesondere für Lun- neimittelwirkungen zu bleibenden Fol- dem Merkmal Tod an Tuberkulose (hier gen-, aber auch Nieren- und Lebertrans- geschäden kommen [105]. Dazu zählen die meldepflichtige Krankheit) im Rah- plantationen, in der Literatur beschrieben beispielsweise Hörminderung bzw. -ver- men der Basisdaten aller meldepflichti- [125–128]. Fallberichte finden sich auch lust durch Langzeit-Gabe von Aminogly- gen Erkrankungen, aber auch über das für selten beobachtete Übertragungen, so kosiden [109, 110]. Behandlungsergebnis erfasst. Für das z. B. im Zusammenhang mit einer Herz- Jahr 2015 wurde für Deutschland dem transplantation [129]. Mortalität RKI in 105 von 5660 TB-Fällen (zu de- In der Literatur sind auch Fälle von Vor der Ära der antimikrobiellen Che- nen entsprechende Informationen in Übertragung durch Nadelstichverletzun- motherapie war die Sterblichkeit an den Basisdaten vorlagen) der krank- gen beschrieben. Beispielsweise führte Tuberkulose sehr hoch. Die verfügba- heitsbedingte Tod an Tuberkulose über- eine Nadelstichverletzung nach Blutent- ren, wenig effektiven Behandlungs- und mittelt. Die Mortalitätsrate lag bei 0,13 nahme aus einem Port eines unerkannt Präventionsmöglichkeiten bestanden Todesfällen je 100.000 Einwohner, wobei tuberkulösen septischen HIV-Patienten vor allem in der Stärkung der allgemei- diese Rate mit zunehmendem Alter an- zu einer Hauttuberkulose [130], bei ei- nen Abwehr in Lungensanatorien, chi- steigt [114]. nem anderen Fall kam es nach Stichver- rurgischen Eingriffen und Beachtung letzung im Labor beim Umgang mit einer 104 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2018
positiven Kultur zu einer Hauttuberkulose gentuberkulosen mit Erregernachweis im Während die Anstrengungen, mit de- mit Lymphknotenbeteiligung [131]. Auch Sputum wurden 83 % erfolgreich behan- nen auf die Auswirkungen der HIV-Ko- Übertragungen durch intramuskuläre In- delt (geheilt oder Therapie abgeschlos- infektion reagiert wird, langsam Erfolge jektionen bzw. Punktionen sind beschrie- sen). Die geschätzte globale Inzidenz be- zeigen, sind die Fortschritte bei der Be- ben [132, 133]. So entwickelten Patienten trägt nach den neuesten Schätzungen kämpfung der medikamentenresisten- nach Behandlung in einem chinesischen 142 je 100.000 Einwohner und ist regio- ten Tuberkulose bislang begrenzt [1]. Be- Akkupunkturzentrum Inokulationstu- nal sehr unterschiedlich. In einigen Staa- sondere Aufmerksamkeit kommt hier der berkulosen der Haut bzw. der behandel- ten wie China oder Brasilien sind in den zunehmenden Verbreitung der multiresis- ten Körperregionen, in Einzelfällen kam letzten zwanzig Jahren – ausgehend von tenten Tuberkulose (MDR – definiert als es auch zu schweren Krankheitsverläu- einem deutlich höheren Inzindenzniveau Isoniazid (INH) und Rifampicin (RMP) fen mit pulmonaler und ZNS-Beteiligung – deutliche Rückgänge zu verzeichnen. In resistent) und der extensiv resistenten [132]. anderen Staaten, darunter Industrienati- (XDR – definiert als resistent gegen INH In seltenen Fällen kann eine Infektion onen wie Deutschland, hat sich der rück- und RMP plus einem der Fluorchinolo- durch direkten Kontakt verletzter Haut läufige Trend dagegen abgeschwächt oder ne und einem der injizierbaren Medika- mit infektiösem Material erfolgen [134, sogar umgekehrt (s. Abschnitt Tuberkulo- mente Amikacin, Kanamycin oder Cap- 135]. se in Deutschland). In der Republik Süd- reomycin) zu. Die WHO schätzt die Zahl afrika werden, insbesondere als Folge der der MDR- Tuberkulosefälle auf 480.000, 1.2 Epidemiologie hohen HIV Prävalenz mit geschätzt etwa 45 % davon werden allein in Indien, Chi- 830 Erkrankten pro 100.000 Einwohner na und der Russischen Föderation be- Prävalenz und Inzidenz weltweit derzeit die höchsten Inzidenzen beobach- obachtet. Insgesamt erhalten nur 20 % Die Tuberkulose ist weltweit verbreitet. tet. der Patienten, die ein MDR-TB Behand- Laut Schätzung der WHO erkrankten Ob das Ziel erreicht werden kann, die lungsregime erhalten müssten, eine sol- 2015 insgesamt 10,4 Millionen Menschen Tuberkulose bis zum Jahr 2050 zu elimi- che Therapie. Für die Kohorte der gemel- neu an Tuberkulose und 1,4 Millionen nieren, d. h. die globale Inzidenz an akti- deten MDR-TB Patienten aus 2013 wurde Menschen starben daran [1]. Neben HIV/ ver Tuberkulose unter 1 pro 1 Million Ein- global nur bei etwa 50 % eine erfolgreiche AIDS sind das die meisten Todesopfer, die wohner zu senken, ist fraglich [1, 6, 136]. Behandlung erreicht. Weltweit beträgt die auf einen einzelnen Krankheitserreger zu- Dies auch, da neben HIV weitere Komor- Rate an MDR-TB oder Rifampicin-resis- rückzuführen sind. Die Anzahl erkrank- biditäten wie Diabetes [137] und Hepa- tenten (RR) Tuberkulosen bei neuen Tu- ter Kinder liegt für 2015 nach WHO- titis [138] sowie Tabakkonsum [74, 75] berkulosefällen nach den Schätzungen der Angaben bei etwa 1 Million. Die jeweils eine zunehmende Rolle spielen und die WHO 3,9 %, bei vorbehandelten Fällen aktuellen Daten können dem jährlichen Bekämpfung der Tuberkulose erschweren 21 %, mit großen regionalen Unterschie- globalen Tuberkulosebericht der WHO bzw. ihre Ausbreitung begünstigen. den. So finden sich die höchsten Resis- entnommen werden. HIV/AIDS und Tuberkulose verursa- tenzraten in Zentralasien und Osteuropa Die Erkrankungslast variiert weltweit chen nicht nur eine ähnlich hohe Krank- mit MDR/RR-TB Raten von teilweise über sehr stark. So traten 87 % aller für 2015 heitslast. Die Epidemien überlappen sich 30 % bei neuen und über 60 % bei vorbe- geschätzten Neuerkrankungen in den 30 geografisch und betreffen teilweise die- handelten Tuberkulosepatienten. Für die sogenannten „high TB burden countries“ selben Bevölkerungsgruppen. Neben hohen Resistenzraten spielt insbesonde- auf (dazu zählen vor allem Länder in Sub- der bereits beschriebenen Erhöhung des re die weltweite Ausbreitung bestimm- sahara-Afrika und Süd-Ost-Asien). Allein Progressionsrisikos und der Progressi- ter, mit MDR-TB assoziierter Stämme in den sechs Ländern Indien, Indonesien, onsgeschwindigkeit von einer latenten – z. B. des Beijing-Genotyps, welcher sei- China, Nigeria, Pakistan und Südafrika tuberkulösen Infektion zu einer akti- nen Ursprung in Ostasien hat, eine Rolle treten 60 % der weltweiten Tuberkulose- ven Tuberkulose, erschwert die Immun- [139]. Von 9,5 % der weltweit auftretenden fälle auf. Die überwältigende Mehrheit der schwäche bei einer HIV-Infektion sowohl MDR-Tuberkulosen wird angenommen, Erkrankungs- und Todesfälle findet sich die Diagnostik auf LTBI und Tuberkulo- dass es sich um eine XDR-TB handelt, die- dabei bei Personen mit geringem oder se wie auch die antituberkulöse Thera- se Tuberkulosestämme wurden bisher in mittlerem Einkommen, es sind haupt- pie. Zugleich ist Tuberkulose die häufigs- 105 Ländern beobachtet. Eine realistische sächlich junge Erwachsene betroffen. Auf te AIDS-definierende Erkrankung und Einschätzung der Resistenzsituation wird die WHO-Europaregion entfallen 3 % der weltweit bedeutendste Ursache für eine vielerorts durch die eingeschränkten La- globalen Tuberkulosefälle. hohe Morbidität und Mortalität unter borkapazitäten und finanziellen Restrik- Die aktuellen Schätzungen der WHO HIV-Infizierten [28]. Die WHO schätzt, tionen erschwert. gehen global von einem leichten Rück- dass unter den im Jahr 2015 neu erkrank- gang der jährlichen Neuerkrankungen ten 10,4 Millionen Tuberkulose-Patienten Tuberkulose in der Europäischen seit dem Jahr 2000 um durchschnittlich 1,2 Millionen zusätzlich mit HIV infiziert Union/im Europäischen 1,4 % aus, die Mortalität hat im gleichen sind. Etwa 400.000 HIV-infizierte Tuber- Wirtschaftsraum Zeitraum um 34 % abgenommen. Von den kulose-Patienten verstarben 2015 welt- Nach dem aktuellsten Bericht des Euro- 2014 weltweit neu diagnostizierten Lun- weit [1]. pean Centre for Disease Prevention and Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2018 105
Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen Control (ECDC) und der WHO Euro neu erkrankten und etwas über 50 % bei hatte bzw. die Fallzahlen stagnierten, wird wurden 2015 in 30 Mitgliedsstaaten der vorbehandelten Patienten). Insgesamt seit 2013 ein Anstieg beobachtet [2, 114] Europäischen Union/im europäischen wurden aus den EU/EWR-Staaten 202 (. Abb. 1). Insgesamt weisen die vorhan- Wirtschaftsraum (EU/EWR) insgesamt XDR-TB Fälle übermittelt. denen Daten darauf hin, dass die TB-Fall- 60.195 Tuberkulosefälle gemeldet [6], mit Viele der in der EU/EWR gemeldeten zahlen gegenwärtig vor allem durch die weiter abnehmender Tendenz (Liechten- Tuberkulosepatienten haben eine auslän- aktuellen demografischen Entwicklun- stein ist 2015 nicht enthalten). Dies ent- dische Herkunft. Der Anteil der Patienten gen (Migration und Mobilität) beeinflusst spricht einer durchschnittlichen Meldein- mit Migrationshintergrund ist in Westeu- werden. Im Jahr 2015 wurden 5865 Neu- zidenz von 11,7 Erkrankungen je 100.000 ropa tendenziell höher (z. B. fast 90 % in erkrankungen registriert, was einer In- Einwohner, die jedoch von 2,1 in Island Norwegen und Schweden) als in Mittel- zidenz von 7,3 Erkrankungen je 100.000 bis 76,5/100.000 in Rumänien (über ein und Osteuropa (z. B.
noch nicht widerspiegeln. Mit knapp 80 % erkannt [141]. Das heißt, dass jährlich in ständige Landesgesundheitsbehörde und ist die Lunge (mit oder ohne weitere Ma- weniger als 0,1 % der Rinderhaltungsbe- von dort an das Robert Koch-Institut er- nifestationen) das am häufigsten betroffe- triebe Tuberkulose festgestellt wird. Ne- füllen muss [91, 153]. Die Vorgabe der ne Organ. Unter den Lungentuberkulosen ben Rindern sind auch andere Nutztie- Kriterien zur Erfüllung der Falldefinition sind etwa drei Viertel bakteriologisch be- re (z. B. Ziegen und Schafe) für M. bovis erfolgt bundeseinheitlich durch das Ro- stätigt („offene Lungentuberkulose“), 40 % empfänglich [116]. Für M. bovis bilden bert Koch-Institut und erlaubt somit eine gehören dabei zu der besonders infektiö- neben Mensch und Nutztieren manche Qualitätskontrolle der erhobenen Daten. sen mikroskopisch positiven Form. Zu Wildtiere (Rotwild, Wildschwein, Dachs, Ärzte sind nach § 6 Abs. 1 IfSG zur den häufigsten Formen der extrapulmo- Büffel) ein Reservoir, von dem Erkran- Meldung verpflichtet, wenn sie eine Er- nalen Tuberkulose zählt die Lymphkno- kungen weitergegeben werden können krankung oder den Tod an behandlungs- tentuberkulose (über die Hälfte der extra- [116, 142]. Die Tier-zu-Tier-Übertra- bedürftiger Tuberkulose feststellen. Zu pulmonalen Fälle). gung kann dabei aerogen über Aeroso- Lebzeiten eines Patienten ist dies immer Bezüglich des Therapieerfolges lag le durch hustende Tiere, aber auch durch bei Einleitung einer Behandlung der Tu- Deutschland auch 2015 mit durchschnitt- orale Aufnahme kontaminierten Materi- berkulose der Fall; nach dem Tod eines lich 77 % unter dem von der WHO gefor- als, und möglicherweise auch durch Biss- Patienten immer dann, wenn eine be- derten Ziel eines 85 %igen Behandlungs- wunden erfolgen [143]. handlungsbedürftige Tuberkulose anzu- erfolges. Der Behandlungserfolg nimmt Auch Haus- und Zootiere wie Affen, nehmen war. Die Meldepflicht gilt auch mit steigendem Alter der Patienten kon- Elefanten, Hunde, Katzen, Papageien, dann, wenn z. B. noch kein bakteriolo- tinuierlich ab und erreicht in der Alters- Meerschweinchen und andere Nager sind gischer Nachweis vorliegt, aber eine Be- gruppe ab 70 Jahren nur noch einen An- für Erreger des M. tuberculosis-Komplexes handlung eingeleitet wurde. Eine zusätzli- teil von etwa 65 %. Dem gegenüber liegt empfänglich und können nach einer In- che Meldepflicht besteht, wenn Patienten der Anteil erfolgreich behandelter Patien- fektion schwer erkranken [115, 143–146]. mit behandlungsbedürftiger Lungentu- ten im Kindesalter und in den mittleren Hinsichtlich der Übertragung von Tier berkulose eine Behandlung verweigern Altersgruppen bis 49 Jahre bei über 80 %. auf Mensch ist beispielsweise aus dem oder abbrechen. Die HIV-Koinfektionsrate wird in Hochprävalenzland Pakistan bekannt, Leiter von mikrobiologischen Labora- Deutschland im Meldewesen nicht erfasst. dass das Risiko einer M. bovis Übertra- torien sind nach § 7 Abs. 1 IfSG zur Mel- Sie wird basierend auf der Analyse zusätz- gung bei beruflich exponierten Berufs- dung der Nachweise von Krankheitser- licher Datenquellen für Deutschland auf gruppen wie z. B. Schlachthausarbeitern, regern verpflichtet, soweit diese auf eine etwa 4,5 % geschätzt [140]. erhöht ist [147]. Neben Rindern sind auch akute Infektion hinweisen. Dies gilt für je- Der Anteil der MDR-TB lag im Jahr andere Tiere wie z. B. die Ziege bei Tier- den möglichen Erregernachweis (z. B. Mi- 2015 bei 3,3 % (125 Fälle). Besonders hohe zu-Menschübertragungen beschrieben kroskopie) unabhängig vom Zeitpunkt der Anteile von MDR-TB finden sich bei im [148]. Die Übertragung von Mensch auf Behandlung. Zu übermitteln sind auch die Ausland geborenen Patienten, die aus ei- Tier ist jedoch, wenn in Westeuropa auch Resistenztestergebnisse [113]. nem der Nachfolgestaaten der ehemaligen sehr selten, der viel wahrscheinlichere Pathologen sind nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 Sowjetunion stammen. Übertragungsweg [142–145, 149]. IfSG zur Meldung verpflichtet, wenn ein Innerhalb Deutschlands sind deutliche Überwiegend bzw. ausschließlich im Befund erhoben wird, der sicher oder mit regionale Unterschiede in der Tuberkulo- Tierreich kommen M. microti (Erkran- hoher Wahrscheinlichkeit auf das Vorlie- se-Inzidenz feststellbar. So liegt die Inzi- kungen beim Menschen beschrieben bei gen einer Tuberkulose schließen lässt. denz in den Stadtstaaten Bremen, Berlin Panteix 2010 [150]), M. canetti, M. pinni- Die Auswertungen der Meldedaten und Hamburg deutlich über dem bundes- pedii [80, 151], M. mungi, M. orygis und werden vom RKI im jährlichen „Bericht weiten Durchschnitt. M. suricattae vor [141]. zur Epidemiologie der Tuberkulose in Die aktuellen Entwicklungen werden Deutschland“ zusammengefasst [114]. jährlich vom RKI in einem umfassenden Meldepflicht und Falldefinition Das Meldesystem ermöglicht darüber hi- Bericht zur Epidemiologie der Tuberkulo- Tuberkulose gehört zu den Krankheiten, naus die Zusammenführung der Daten se in Deutschland publiziert (www.rki.de/ bei denen eine namentliche Meldung an auch auf europäischer bzw. internationa- tuberkulose). das Gesundheitsamt erfolgt (§ 6 IfSG Mel- ler Ebene. depflichtige Krankheiten, § 7 IfSG Melde- Tuberkulose bei Tieren pflichtige Nachweise von Krankheitser- 1.4 Nachweismethoden und Die durch M. bovis verursachte Rinder- regern) [112, 113]. Wie bei allen anderen Aussagekraft tuberkulose ist heute in Mitteleuropa von meldepflichtigen Erkrankungen enthält untergeordneter Bedeutung, da der Rin- die seit Januar 2001 gültige und zuletzt Diagnostik der aktiven Erkrankung derbestand hier weitgehend tuberkulose- 2015 aktualisierte Falldefinition [152] kli- Wesentlicher Eckpfeiler der Tuberkulo- frei ist. Deutschland wurde der Status „frei nische, epidemiologische und labordia- sediagnostik ist weiterhin der bakteriolo- von Rindertuberkulose“ (OFT-Status) im gnostische Kriterien, die eine gemeldete gische Erregernachweis. Dieser kann aus Jahr 1996 (durch Entscheidung der Eu- Erkrankung für die anonymisierte Über- Sputum, Bronchialsekret oder Tracheal- ropäischen Kommission 76/96/EG) zu- mittlung vom Gesundheitsamt an die zu- sekret, Magensaft (insbesondere bei Kin- Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2018 107
Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen dern), Urin, Pleuraexsudat, Liquor, und – der Kultur erhöht und die Detektionszeit besteht. Die Differenzierung kulturell iso- je nach Lokalisation der Erkrankung- aus deutlich verkürzt. In der Regel beträgt die lierter Mykobakterien erfolgt heute in der anderen Punktions- bzw. Biopsieproben Zeit bis zu einem positiven Ergebnis mit Regel mit molekularbiologischen Verfah- erfolgen. Die Wahl des geeigneten Pro- den modernen Kulturverfahren etwa ein ren [156]. benmaterials, die korrekte Art der Ge- bis drei Wochen. Für ein sicheres Ergeb- Der Einsatz von DNA-Fingerabdruck- winnung, des Transports und der Weiter- nis müssen die Kulturen bis zu 6 Wochen Analysen zur Typisierung der Erreger verarbeitung sind für eine ausreichende (Flüssigmedien) bzw. 8 Wochen (Festme- ermöglicht, auf molekularbiologischer Sensitivität bakteriologischer Untersu- dien) bebrütet werden bevor sie als „ohne Ebene Übertragungen eines bestimmten chungen von entscheidender Bedeutung Wachstum“ bewertet werden können. Erregers zu bestätigen und ggf. auch epi- [154]. In den letzten Jahren gab es subs- Die Anwendung von Nukleinsäure- demiologisch zunächst nicht erkannte In- tantielle Fortschritte in der molekularen amplifikationstechniken (NAT) ermög- fektionsketten aufzudecken. Durch den Tuberkulose-Diagnostik, einschließlich licht den sensitiven Nukleinsäurenachweis Einsatz dieser Methoden kann die Sen- der Einführung automatisierter Systeme, von Erregern des M. tuberculosis-Kom- sitivität und Spezifität epidemiologischer die M. tuberculosis und seine Rifampicin- plexes direkt aus dem Untersuchungsma- Untersuchungen erhöht werden. Sie ge- Resistenz in weniger als 2 Stunden de- terial. Bei Vorliegen eines begründeten hören jedoch in Deutschland bisher noch tektieren können. Vergleichbare Schnell- Verdachts und mikroskopisch negati- nicht zur Routine-Diagnostik. Die in den testverfahren, die eine Testung weiterer vem Sputum sollte, insbesondere bei be- letzten Jahren entwickelten Next Gene- Antibiotikaresistenzen beinhalten sollen, sonders gefährdeten Patienten (AIDS, ration Sequencing (NGS) Verfahren er- stehen kurzfristig an [155]. Kleinkinder) und schweren Krankheits- möglichen die Sequenzierung des gesam- Zur raschen Abklärung der Infektiosi- bildern (v. a. generalisierte Erkrankung ten Genoms eines Erregers und erlauben tät sollte bei Verdacht auf das Vorliegen oder tuberkulöse Meningitis), ein schnel- aufgrund ihres höheren Auflösungsver- einer pulmonalen Tuberkulose zusätzlich ler Nachweis mit Hilfe der NAT versucht mögens noch präzisere Informationen zu zum kulturellen und ggf. NAT-Nachweis werden. Darüber hinaus kann die NAT möglichen Übertragungswegen [159]. Mit (s. u.) immer eine mikroskopische Un- bei mikroskopisch positivem Sputum zur der Gesamt-Genomsequenzierung erge- tersuchung erfolgen. Der mikroskopi- raschen Unterscheidung zwischen Tu- ben sich zudem vielversprechende Mög- sche Nachweis säurefester Stäbchen er- berkulose-Erregern und nichttuberku- lichkeiten der Verbesserung der Resis- folgt nach Anreicherung der Erreger mit lösen Mykobakterien (NTM) eingesetzt tenzbestimmung [160]. einer lichtmikroskopischen (z. B. Ziehl- werden [156]. Zudem erlauben automa- Beim Nachweis von Tuberkulose-Bak- Neelsen-Färbung) oder fluoreszenzmi- tisierte NAT-Verfahren eine vorläufige terien sollte von jedem Erstisolat eine kroskopischen (z. B. Auramin-Färbung) Beurteilung zu erwartender Medikamen- Empfindlichkeitsprüfung durchgeführt Untersuchung. Das Ergebnis der Mikros- tenresistenzen (MDR/RR-Tuberkulose), werden, um Medikamenten-Resistenzen kopie liegt schnell vor, Voraussetzung für was eine insuffiziente Therapie bis zum zu erfassen und die Therapie dementspre- ein positives Ergebnis ist aber eine Bak- Vorliegen der phänotypischen Resistenz- chend anzupassen. Eine Wiederholung terienzahl von etwa 103–104 Keimen/ml. prüfung verhindern kann. der Empfindlichkeitsprüfung nach ca. 2–3 Zwischen lebenden und toten Bakterien Eine Diagnostik ausschließlich mit Monaten ist erforderlich, wenn trotz The- kann dabei nicht unterschieden werden. Hilfe der NAT sollte nicht erfolgen, da rapie weiterhin in der Kultur Mykobakte- Auch ist eine Spezieszuordnung mittels mit dieser Methode für mikroskopisch rien isoliert werden, um evtl. erworbene Mikroskopie nicht möglich, so dass kei- negative Proben nur eine Sensitivität von Resistenzen zu entdecken[154]. Es stehen ne sichere Differenzierung zwischen Tu- 70–90 % erzielt werden kann [157]. Der drei Methoden zur Verfügung: Proporti- berkulose-Bakterien und nichttuberkulö- kulturelle Nachweis sollte daher in jedem onsmethode unter Verwendung des Lö- sen Mykobakterien erfolgen kann. Daher Fall zusätzlich durchgeführt werden, ins- wenstein-Jensen-Nährbodens (Zeitdauer ist es immer erforderlich, auch eine Kul- besondere auch um den Erreger für eine 3–4 Wochen), Verfahren mit Flüssigme- tur anzulegen und ggf. zusätzlich ein Nu- phänotypische Empfindlichkeitsprüfung dien (Zeitdauer etwa eine Woche) und kleinsäureamplifikationsverfahren (NAT) – die auf jeden Fall anzustreben ist – zu Schnellresistenzverfahren wie automati- (s. u.) durchzuführen [154]. isolieren. NAT-Verfahren sind nicht zur sierter real-time PCR-basierter Schnellre- Für den kulturellen Nachweis hat sich Therapiekontrolle geeignet, da auch DNA sistenztest, Line Probe Assay oder DNA- die Dekontamination des Untersuchungs- von nicht mehr lebensfähigen Bakterien Sequenzierungsverfahren von einer materials, z. B. mit N-Acetyl-L-Cystein- über längere Zeiträume zu positiven Test- bereits bewachsenen Kultur oder von mi- NaOH und eine Kombination von flüssi- ergebnissen führen kann [158]. kroskopisch positivem Material (Zeitdau- gen und festen Kulturmedien als optimal Bei jedem Nachweis von Mykobakteri- er jeweils etwa ein Tag). Die Amplifikati- erwiesen. Durch die lange Generations- en sollte eine Bestimmung der Mykobak- onsverfahren liefern Informationen über zeit von M. tuberculosis (16–20 h) wer- terienspezies zur Abgrenzung von NTM eine Resistenz gegenüber Rifampicin, je den auf Festmedien sehr lange Anzucht- erfolgen. Auch eine Erkrankung durch nach Test gegenüber weiteren Erstrang- zeiten (3–4 Wochen) benötigt. Durch M. bovis hat Auswirkungen auf das The- bzw. auch Zweitrangantituberkulotika. den Einsatz eines Flüssigmediums mit rapieregime, da bei M. bovis fast immer Wegen der zunehmenden Resistenzpro- Wachstumsindikator wird die Sensitivität eine Resistenz gegenüber Pyrazinamid blematik in den Herkunftsländern von 108 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2018
Patienten in Deutschland – insbesondere tuberkulin zur Mendel-Mantoux-Testung Therapie Osteuropa – empfiehlt es sich, ein Schnell- empfohlen. Die Behandlung der Tuberkulose erfolgt resistenzverfahren (oder zumindest ein Die Interferon-Gamma-Release Assays immer als antimikrobielle Kombinations- Flüssigkulturverfahren) zu wählen, um (IGRA) messen im Blut in vitro die Inter- therapie mit Antituberkulotika. Die einge- die Therapie rasch an das Ergebnis der Re- feron-Gamma-Ausschüttung sensibili- setzten Substanzen unterscheiden sich in sistenztestung anzupassen und hierdurch sierter T-Lymphozyten nach Stimulation ihren Wirkmechanismen, so dass gleich- eine Selektion weiterer resistenter Erreger mit Tuberkulose-spezifischen Antigenen zeitig verschiedene bakterielle Stoffwech- zu vermeiden. Diese Schnellresistenztes- [46, 71, 163]. Da sie spezifische Antigene selwege blockiert werden und somit die tungen können die konventionelle Sen- verwenden, die nur mit wenigen nichttu- Vermehrung der Erreger gestoppt wird. sibilitätsprüfung lediglich ergänzen und berkulösen Bakterien kreuzreagieren (M. Der zweite wichtige Grund für eine Kom- nicht ersetzen. kansasii, M. marinum, M. szulgai, M. flave- binationsbehandlung ist die Vermeidung Die Röntgendiagnostik spielt bei der scens und M. gastrii), sind sie spezifischer der Selektion resistenter Erreger. Die me- Erkennung der Lungentuberkulose und als der Tuberkulin-Hauttest. Aufgrund dikamentöse Behandlung muss über Mo- der Verlaufsbeurteilung unter Therapie der mittlerweile umfangreichen Evidenz nate durchgeführt werden, um auch ru- auch weiterhin eine entscheidende Rol- werden sie daher bei Erwachsenen als in- hende Bakterien zu erfassen. le. Sie gehört neben der Anamnese und itiales Testverfahren empfohlen [41]. Bei Zur Behandlung der Tuberkulose ste- der bakteriologischen Diagnostik zu ei- Kleinkindern (< 5 Jahren) ist die Daten- hen die folgenden Standardmedikamente ner vollständigen differenzialdiagnosti- lage noch schwächer, so dass dort für die zur Verfügung: Isoniazid (INH), Rifampi- schen Abklärung des Krankheitsbildes. initiale Testung nach wie vor – sofern ver- cin (RMP), Ethambutol (EMB) und Pyra- Darüber hinaus ist sie zur Früherkennung fügbar – dem THT der Vorrang gegeben zinamid (PZA); Streptomycin (SM) wird bzw. zum Ausschluss einer behandlungs- wird. Wenn möglich sollte bei positivem mittlerweile von der WHO zu den Zweit- bedürftigen Tuberkulose bei THT- und/ Testergebnis eine IGRA-Testung nachfol- rangmedikamenten gezählt. Darüber hi- oder IGRA-positiven Kontaktpersonen gen. Bei älteren Kindern können sowohl naus gibt es weitere sogenannte Zweit- hilfreich [80]. THT als auch IGRA für die initiale Tes- rang- oder Reservemedikamente, die bei tung verwendet werden [41, 82]. Resistenzen oder Unverträglichkeiten Diagnostik der tuberkulösen Bei angeborener oder erworbener Im- zum Einsatz kommen [26, 71, 166]. Infektion munschwäche (z. B. HIV-Infektion), un- Als Standard-Kurzzeittherapie der Immunologische Tests, mit denen nach ter immunsuppressiver Therapie oder bei Lungentuberkulose bei Erwachsenen wird 6–8 Wochen nach Infektion die immuno- schwerem generalisiertem Verlauf wie bei eine 6-monatige Chemotherapie verstan- logische Reaktion auf die Auseinanderset- der Miliartuberkulose kann eine positi- den, bei der in den ersten beiden Monaten zung mit Erregern aus dem M. tuberculo- ve Testreaktion trotz Infektion ausbleiben (Initialphase) INH, RMP, PZA und EMB sis Komplex nachgewiesen werden kann, (falsch-negative Ergebnisse). Ein negati- gegeben werden und in den folgenden machen sich die Sensibilisierung von T- ves Testergebnis schließt eine Tuberku- vier Monaten (Stabilisierungs- oder Kon- Lymphozyten durch mykobakterielle An- lose somit nicht sicher aus. Zudem kann tinuitätsphase) mit INH und RMP wei- tigene zu Nutze [26, 41]. das Testergebnis aufgrund des Untersu- terbehandelt wird. Bezüglich therapeuti- So wird beim Tuberkulin-Hauttest chungszeitpunktes in der präallergischen scher Besonderheiten, z. B. im Kindesalter, (THT) durch intrakutane Applikation von Phase noch negativ sein. Die Tests erlau- bei HIV, extrapulmonalen Tuberkulosen Tuberkulose-Antigenen (Tuberkulin) eine ben im Falle eines positiven Testergebnis- oder der Behandlung mit Zweitrangme- zellvermittelte Überempfindlichkeits- ses keine Unterscheidung zwischen laten- dikamenten bei resistenter Tuberkulose, reaktion vom verzögerten Typ (Typ IV- ter Infektion und aktiver Erkrankung oder sei an dieser Stelle auf die entsprechenden Allergie) hervorgerufen, die durch Ein- Aussagen über den Infektionszeitpunkt nationalen Empfehlungen verwiesen [71, wanderung von Abwehrzellen zu einer (frische versus früher erworbene Infekti- 82, 167]. Aktuell werden AWMF- Leitlini- messbaren Hautinduration führt [161]. on) und über das Progressionsrisiko. Die en zur Therapie der Tuberkulose beim Er- Da sich Tuberkulin aus über 200 Antige- immunologischen Tests allein sind daher wachsenen sowie im Kindesalter erarbei- nen zusammensetzt, sind Kreuzreaktio- nicht für die Diagnose einer aktiven Tu- tet. Die Behandlungsdauer der resistenten nen nach NTM-Infektionen sowie nach berkulose geeignet, das Resultat muss im- Tuberkulose ist, je nach Resistenzmuster BCG-Impfung möglich, was zu Lasten der mer in der Gesamtbewertung aller Befun- und dem darauf gezielt abgestimmten Testspezifität geht. Seit August 2005 wird de des diagnostischen Prozederes beurteilt Therapieregime, deutlich länger und kann in Deutschland das in Deutschland zuge- werden (Anamnese, Klinik, radiologische bis zu zwei Jahre betragen. lassene Tuberkulin „PPD RT 23 SSI“ (AJ und bakteriologische Befunde)[26]. Bestehen Zweifel an einer regelmäßi- Vaccines A/S Kopenhagen, Dänemark) in Serologische, auf der Detektion von gen Medikamenteneinnahme, sollte die der Regel mit einer Stärke von 2 Tuberku- Antikörpern basierende Testverfahren, Einnahme überwacht erfolgen [168]. In lineinheiten (TE) verwendet [162]. Dieses werden zur Diagnose der Tuberkulo- seltenen Fällen muss, abhängig von den Tuberkulin wird von der WHO und der se bzw. tuberkulösen Infektion von der Läsionen, auch eine chirurgische Inter- Internationalen Union gegen Tuberkulo- WHO und auch in Deutschland nicht vention in die Therapieplanung einbezo- se und Lungenkrankheiten als Standard- empfohlen [164, 165]. gen werden [169]. Grundsätzlich gehört Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2018 109
Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen die Behandlung der Tuberkulose in die auch deutsche Institutionen beteiligt sind. 2.5 Spenderinformation und Hand Therapie-erfahrener Ärzte [71]. Einige Impfstoffkandidaten befinden sich -beratung in klinischen Studien [25, 26]. Chemoprävention und Es erfolgt keine spezifische Aufklärung Chemoprophylaxe 2. Blut- und Plasmaspender oder Beratung von Spendern hinsichtlich Ist von einer latenten tuberkulösen Infek- Tuberkulose. Sofern der Verdacht auf eine tion auszugehen, so kann das Fortschrei- 2.1 Prävalenz und Inzidenz bei Tuberkulose besteht, werden potenzielle ten in eine aktive Tuberkulose durch eine Spenderkollektiven Spender für die entsprechende Diagnos- chemopräventive Therapie verhindert tik und Therapie an Fachärzte bzw. infek- werden [71]. Es wird über neun Mona- Zur Inzidenz und Prävalenz der Tuberku- tiologische Zentren weiter verwiesen. te INH verabreicht, alternativ ist die Be- lose bei Spenderkollektiven gibt es keine handlung mit INH und RMP über 3–4 Daten. Durch die Spenderauswahlkriteri- 3. Empfänger Monate bzw. bei INH-Resistenz oder en ist zu vermuten, dass sowohl Inzidenz -Unverträglichkeit mit RMP über 4 Mo- als auch Prävalenz geringer sind als in der 3.1 Prävalenz und Inzidenz von nate möglich. Bei der Indikationsstellung Allgemeinbevölkerung: Zur Spende wer- blutassoziierten Infektionen werden individuelle Faktoren berück- den nur gesunde Personen ohne schwer- und Infektionskrankheiten bei sichtigt (Alter, Begleiterkrankungen und wiegende Vorerkrankungen zugelassen; Empfängerkollektiven -medikation, Risikofaktoren für die Ent- Personengruppen, die vermehrt von Tu- wicklung einer aktiven Tuberkulose und berkulose betroffen sein können, werden Es liegen keine Daten zu Prävalenz und unerwünschte Arzneimittelwirkungen, zu nicht zur Spende zugelassen (i. v. Dro- Inzidenz in Empfängerkollektiven vor. erwartende Therapieadhärenz etc.). gengebraucher, Wohnungslose). Eben- Transfusionsassoziierte Infektionen wur- Vor allem junge Kinder
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