Mycobacterium tuberculosis - Stellungnahmen des Arbeitskreises Blut des Bundesministeriums für Gesundheit - RKI

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Mycobacterium tuberculosis - Stellungnahmen des Arbeitskreises Blut des Bundesministeriums für Gesundheit - RKI
Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen

      Bundesgesundheitsbl 2018 · 61:100–115            Mitteilungen des Arbeitskreises Blut des Bundesministeriums für Gesundheit
      https://​doi.org/​10.1007/​s00103-​017-​2660-4
      © Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017

                                                       Mycobacterium tuberculosis
                                                       Stellungnahmen des Arbeitskreises Blut des
                                                       Bundesministeriums für Gesundheit

      Der Arbeitskreis Blut des Bundesmi-              Erregern aus dem Mycobacterium tuber-         BCG-Erkrankung bezeichnet. Bei Im-
      nisteriums für Gesundheit gibt als               culosis Komplex infiziert sein [8].           mundefekten kann es zu lebensbedrohli-
      nationales Beratungsgremium Stel-                                                              chen disseminierten Erkrankungen kom-
      lungnahmen zu neuartigen Erregern                1. Wissensstand über                          men (BCGitis), so beispielsweise nach der
      ab, bewertet neue Erkenntnisse zu                den Erreger                                   Impfung von HIV-infizierten Neugebore-
      bekannten Erregern und erarbeitet                                                              nen, Neugeborenen mit angeborenen Im-
      entsprechende Empfehlungen für                   Bis ins späte 19. Jahrhundert wurde von       mundefekten, wie z. B. severe combined
      die Fachöffentlichkeit. Diese Serie              der Mehrzahl der Ärzte bezweifelt, dass       immunodeficiency (SCID), oder nach
      von Stellungnahmen zu einzelnen                  die Tuberkulose durch Bakterien verur-        BCG-Instillation in die Harnblase zur ad-
      Erregern wird als Zusammenfassung                sacht wird. Den wissenschaftlichen Be-        juvanten, immunmodulatorischen Thera-
      des aktuellen Wissensstandes ver-                weis trat im Jahr 1882 Robert Koch an,        pie des Blasenkarzinoms [12–15].
      öffentlicht, speziell unter transfusi-           der als Erster den „Tuberkelbazillus“ be-        M. leprae, der Erreger der Lepra [16,
      onsmedizinisch relevanten Aspekten               schrieb [9]. Neben dem von Robert Koch        17], zählt nicht zu den Tuberkulose-Er-
      (Bundesgesundheitsbl. 41, 53, 1998).             entdeckten Mycobacterium tuberculosis         regern. Gleiches gilt für die sogenann-
      Sämtliche Stellungnahmen sind ver-               sind weitere Mykobakterien als Erreger        ten nichttuberkulösen Mykobakterien
      fügbar unter www.rki.de.                         der Tuberkulose identifiziert worden. Die-    (NTM) [18], von denen bisher über 150
                                                       se Arten werden unter dem Aspekt der Pa-      Arten mit unterschiedlichem humanpa-
      Mycobacterium tuberculosis-                      thogenität für den Menschen, also der Fä-     thogenen Potential beschrieben wurden.
      Komplex                                          higkeit Tuberkulose auszulösen, und ihrer     NTM sind meist nicht bzw. nur fakulta-
                                                       engen Verwandtschaft als Mycobacterium        tiv pathogen. Erkrankungen treten ins-
      Tuberkulose zählt weltweit zu den häu-           (M.) tuberculosis-Komplex zusammen-           besondere im Rahmen von angeborenen
      figsten zum Tode führenden Infektions-           gefasst. Zu den humanpathogenen Erre-         und erworbenen Immundefizienzen auf.
      krankheiten. Die Weltgesundheitsor-              gern zählen M. tuberculosis, M. bovis (ssp.
      ganisation schätzt, dass 2015 weltweit           bovis und caprae) und M. africanum (zu        1.1 Erregereigenschaften
      10,4 Millionen Menschen neu an Tuber-            weiteren zum M. tuberculosis-Komplex
      kulose erkrankten und 1,8 Millionen da-          gehörender Spezies s. Abschnitt „Tiere“).     Tuberkulose-Bakterien gehören zur Fa-
      ran verstarben [1]. In den 1990er Jahren         Im Jahr 1998 ist die Entschlüsselung des      milie der Mycobacteriaceae, die spezi-
      schien die Elimination der Tuberkulo-            Genoms der wichtigsten Mykobakteri-           fische Charakteristika aufweisen (ae-
      se noch in greifbarer Nähe. Resistenz-           enstämme gelungen [10]. Die häufigsten        rob, unbeweglich, langsam wachsend,
      entwicklung sowie die Ko-Epidemie aus            Tuberkulose-Infektionen beim Menschen         stäbchenförmig). Mykobakterien ha-
      Tuberkulose und HIV/AIDS begünstig-              verursacht M. tuberculosis. Der 1908 von      ben einen Zellwandaufbau, der für den
      ten jedoch die erneute Ausbreitung der           den französischen Forschern Albert Cal-       mikroskopischen Nachweis der Bakte-
      Tuberkulose, erschweren ihre Kontrolle           mette und Camille Guérin aus M. bovis         rien Spezialfärbungen (Ziehl-Neelsen-,
      und machen eine Elimination zu einer             entwickelte und nach ihnen benannte           Auramin-­Färbung) erforderlich macht.
      erheblichen Herausforderung, auch für            Impfstoff Bacille Calmette-Guérin (BCG)       Die bakterielle Zellwand besteht aus
      Niedrig-Inzidenzländer [2–6]. In den so          zählt nach der mikrobiologischen Taxo-        Schichten von Murein, Arabinogalac-
      genannten Entwicklungsländern treten             nomie auch zum M. tuberculosis-Komplex        tan, Mycolsäuren und Lipoarabinoman-
      95 % der Erkrankungsfälle auf. Aber auch         [11]. Ubiquitäre Mykobakterien und der        nan, die nur kleine Poren enthält und
      in der Europäischen Union und im Eu-             Impfstamm M. bovis Bacillus Calmette-         dem Bakterium eine hohe Umweltresis-
      ropäischen Wirtschaftsraum stellt die Tu-        Guérin (BCG) gelten nicht als Erreger der     tenz verleiht. Phenolisches Glykolipid 1
      berkulose eine erhebliche Krankheitslast         Tuberkulose. Die von ihnen verursachten       (PGL-Tb1) ist ein wesentlicher Pathoge-
      dar [7]. Nach aktuellen Schätzungen soll         Krankheiten werden gemäß der aktuellen        nitätsfaktor; es wird in den aggressiven
      etwa ein Viertel der Weltbevölkerung mit         Falldefinition als Mykobakteriose bzw.        Stämmen Bejing und Brazil wieder expri-

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miert, während es durch Gendefekt bei       über den MHC-Klasse-I-Weg zytoplas-             Stabilität
den üblicherweise zirkulierenden Stäm-      matisch prozessiert und auf der Ober-           Bei der Inaktivierung durch UV-Licht
men nicht ein Bestandteil der Membran       fläche präsentiert werden, können               (405 nm) wird M. tuberculosis wie ande-
ist [19, 20]. Der Wandaufbau gibt dem       auch CD8 T-Zellen stimuliert werden             re Bakterien inaktiviert. Bei Bestrahlung
Bakterium die Säurefestigkeit in der mi-    (MHC = Haupt-Histokompatibilitäts-              mit 3,5 mJ/cm2 wurden 50 % und bei 7,7
kroskopischen Färbung.                      Komplex, engl. major histocompatibi-            mJ/cm2 wurden 84 % der M. tuberculosis
    Das Tuberkulosebakterium zeich-         lity complex). Weitere T-Zellpopulati-          Bakterien abgetötet [33, 34].
net sich insbesondere durch die Fähig-      onen produzieren ebenfalls IFN-γ und                Mykobakterien sind thermolabil. Je
keit aus, in einem intrazellulären Mem-     tragen so zur Makrophagenaktivierung            nach Temperatur und Sonneneinstrah-
brankompartiment der Wirtszelle, meist      bei (aus Hauer 2005 [23]). Neben IFN-           lung können sie theoretisch über mehre-
eines Makrophagen, zu überleben. Die        γ wird weiteren Zytokinen, wie z. B. In-        re Wochen vermehrungsfähig bleiben [35,
immunologischen Vorgänge sind dabei         terleukin-12 und Interleukin-18, sowie          36]. Voraussetzung für eine Ansteckungs-
komplex [20–26]. Nach Inhalation erre-      dem Tumor-Nekrosefaktor-α (TNF- α),             fähigkeit auf aerogenem Weg ist die Gene-
gerhaltiger Tröpfchenkerne (Aerosole,       eine bedeutende Rolle in der Immunab-           rierung alveolargängiger Aerosole, so dass
s. Abschnitt Infektion und Infektions-      wehr der Tuberkulose zugeschrieben [21,         in eingetrocknetem Sputum eingeschlos-
krankheit) und Passage der tiefen Atem-     22, 24, 25].                                    sene Erreger nicht als relevante Infekti-
wege in die Alveolen wird M. tuberculosis       Durch die Granulombildung wird das          onsquelle erachtet werden [37]. Tuberku-
von Alveolarmakrophagen phagozytiert.       Wachstum der intrazellulären aber auch          lose-Bakterien auf Oberflächen können
Mykobakterien können das Milieu des         extrazellulären Mykobakterien zwar lo-          durch eine Wischdesinfektion mit Flä-
Phagosoms so verändern, dass es als Le-     kal eingedämmt, sie werden dabei aber           chendesinfektionsmitteln mit geprüfter
bensraum genutzt werden kann und die        nicht völlig abgetötet. Denn auf die Ab-        Wirksamkeit gegen Mykobakterien inak-
Phagolysosomen-Bildung verhindert           kapselung im Granulom können die My-            tiviert werden [38]. Kontaminierte Wä-
wird. Durch die Induktion einer Poren-      kobakterien über verschiedene – bei wei-        sche und benutztes Geschirr sind bei min-
bildung in der Phagosomenmembran            tem noch nicht gänzlich verstandene [26]        destens 60 Grad Celsius zu reinigen [37].
wird der Zugang zum nährstoffreicheren      – Mechanismen mit Veränderungen re-
Zytoplasma erreicht, was ein Überleben      agieren, die es ihnen ermöglichen, auch         1.1 Infektion und
im nährstoffarmen Phagosom ermög-           bei geringem Sauerstoffpartialdruck in ei-      Infektionskrankheit
licht. Die Bakterien sind zudem durch       ner Art Ruhezustand mit stark gedrossel-
die Hemmung der Phagolysosomen-             ter Stoffwechselaktivität und Replikation       Infektionswege
Reifung resistent gegenüber den lyso-       zu überleben („Dormanz“) [22, 27]. Der          Eine Infektion mit Tuberkulose-Bakterien
somalen Abtötungsmechanismen bzw.           Wirt befindet sich im Zustand der „La-          erfolgt hauptsächlich aerogen, d. h. durch
inhibieren diese aktiv und sind durch       tenz“ [22]. Gelingt es dem Organismus           feinste Tröpfchenkerne in der Luft (Aero-
ihre intrazelluläre Lebensweise auch vor    nicht, die Tuberkulose-Bakterien zu eli-        sole
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         Extrapulmonale Tuberkulosen kom-              aktive Tuberkulose entwickelt, hängt von         Die Wahrscheinlichkeit, sich mit Tu-
      men als Infektionsquelle nur selten in Be-       verschiedenen Faktoren ab. Dazu zählen:          berkulose-Bakterien zu infizieren,
      tracht, z. B. bei Aerosol-generierenden          55Menge und Infektiosität (Anste-                steigt mit der Dauer des Aufenthalts
      Maßnahmen im Rahmen einer Abszess-                  ckungsfähigkeit) der aufgenommenen            in Räumen mit bakteriell kontami-
      drainage oder -spülung [42, 43].                    Erreger                                       nierter Luft [61, 62] und der Anzahl
                                                       55Die Infektiosität der Lungentuberku-           der Erreger pro Volumeneinheit Luft
      Latente tuberkulöse Infektion                       lose ist abhängig von der Erregerlast         [50, 51, 63]. Deshalb ist eine Infektion
      Bei sonst gesunden Erwachsenen erkran-              beim Indexpatienten. Als wichtiges            unter freiem Himmel wie auch infol-
      ken nur etwa 5–10 % der Infizierten tat-            Kriterium gilt hier die mikroskopische        ge flüchtiger Kontakte in einem Raum
      sächlich an Tuberkulose [44, 45]. Durch             Nachweisbarkeit von Erregern im Spu-          prinzipiell möglich [64], aber weniger
      die im Abschnitt „Erregereigenschaften“             tum, Bronchialsekret oder Magensaft           wahrscheinlich als in geschlossenen
      beschriebene Granulombildung gelingt                als Ausdruck einer hohen Erregerlast          Räumen und bei intensiven Kontak-
      bei 90–95 % der immunkompetenten in-                [50]. Die mikroskopische Nachweis-            ten [40].
      fizierten Personen eine Eingrenzung der             grenze von M. tuberculosis liegt bei 103    55Empfänglichkeit (Disposition) der
      Infektion durch Abkapselung der Bakte-              –104 Bakterien pro ml. Eine besonders         dem Erreger ausgesetzten Person
      rien im Sinne einer latenten tuberkulösen           hohe Erregerlast findet sich häufig bei       Das Geschlecht (Männer sind im Er-
      Infektion (LTBI). Eine klinisch pragma-             Patienten, bei denen sich durch Ab-           wachsenenalter häufiger betroffen),
      tische Definition der latenten tuberkulö-           husten des verkäsenden nekrotischen           das Alter zum Zeitpunkt der Infekti-
      sen Infektion beschreibt diese als Vorhan-          Materials Kavernen in der Lunge mit           on sowie genetische und körperliche
      densein einer spezifischen Immunantwort             Anschluss an das Bronchialsystem              Faktoren, wie z. B. eine geschwächte
      (d. h. positiver Tuberkulin Hauttest (THT)          gebildet haben. Die Infektiosität von         Abwehrlage, haben einen Einfluss da-
      oder Interferon Gamma Release Assay                 Patienten, bei denen kein mikrosko-           rauf, ob die eingedrungenen Myko-
      (IGRA)) in Abwesenheit von aktiver Tu-              pischer, aber ein kultureller oder mo-        bakterien vom Immunsystem erkannt
      berkulose [46].                                     lekularbiologischer Keimnachweis ge-          und abgetötet bzw. eingegrenzt wer-
          Die genauen immunologischen Ab-                 lingt, ist demgegenüber geringer [51,         den oder eine Erkrankung auslösen
      läufe einer Abwehrreaktion gegen M. tu-             52]. So sind kulturell positive, mikro-       können [26, 40, 47, 65, 66]. Die Grün-
      berculosis und was letztendlich ausschlag-          skopisch negative Patienten nur für           de für die unterschiedliche Empfäng-
      gebend dafür ist, ob jemand in Folge an             etwa 15 % der Folgefälle verantwort-          lichkeit von Männern und Frauen
      Tuberkulose erkrankt, sind bislang nicht            lich [53, 54]. Erkrankte Kinder unter         sind wahrscheinlich multifaktoriell
      vollständig verstanden [26, 27, 46].                10 Jahren sind seltener bzw. wenn,            [67]. Eine der Ursachen für die erhöh-
                                                          dann in aller Regel weniger infektiös,        te Vulnerabilität im Kleinkindalter ist
      Inkubationszeit                                     da die Bakteriendichte im Sputum ge-          die noch nicht vollständig ausgebilde-
      Die Inkubationszeit der Tuberkulose, also           ringer ist, sie seltener kavernöse Tuber-     te zelluläre Abwehr [65, 66]. Deshalb
      die Zeit zwischen der Infektion und dem             kulosen entwickeln und einen schwä-           ist auch die Gefahr komplizierter Er-
      Auftreten der ersten Symptome, kann                 cheren Hustenstoß haben [48, 49, 55].         krankungsformen, wie der Miliar-
      Wochen, Monate oder gar Jahre betra-                Wie viele Erreger ausgeschieden wer-          tuberkulose und der tuberkulösen
      gen. Grundsätzlich ist das Erkrankungs-             den, wird von der Ausprägung der Er-          Meningitis, im Rahmen der Primär-
      risiko in den ersten beiden Jahren nach             krankung, aber auch in erheblichem            infektion im Kleinkindalter (
in Ballungsgebieten, soziale Fakto-        Einschmelzung entzündeter Lungenher-            tis tuberculosa, die mit atemabhängigen
   ren wie Armut und Obdachlosigkeit          de Kavernen entstehen. Jeder länger als         Schmerzen und Luftnot einhergeht.
   sowie Drogengebrauch und Alko-             drei Wochen bestehende Husten sollte                Durch Reaktivierung von Organher-
   holkrankheit (verbunden mit z. B.          unbedingt ärztlich abgeklärt werden. Bei        den können sich als Spätmanifestation
   Mangelernährung und Begleiterkran-         blutigem Auswurf ist eine zügige Abklä-         der postprimären Tuberkulose auch nach
   kungen), eine wichtige Rolle in der        rung erforderlich [80]. Mögliche weitere        vielen Jahren u. a. Knochen-, Gelenk- oder
   Krankheitsdisposition [76–79].             Allgemeinsymptome sind Einschränkun-            Urogenitaltuberkulosen mit entsprechen-
                                              gen des Allgemeinbefindens, Appetit-            der organspezifischer Symptomatik ent-
Symptomatik, Krankheitsbild                   mangel, Gewichtsabnahme, leichtes Fie-          wickeln.
Die latente tuberkulöse Infektion ver-        ber, vermehrtes Schwitzen (besonders
läuft asymptomatisch. Die im Rahmen           nachts), Müdigkeit, allgemeine Schwäche         Bakteriämie
einer Primärinfektion entstehenden            oder Zeichen ähnlich denen eines grip-          Sowohl bei Primärtuberkulose als auch
knötchenförmigen Tuberkel (spezifi-           palen Infektes. Erkrankte Kinder zeigen         im Rahmen einer Reaktivierung kann
sche epitheloidzellige Granulome, s. Ab-      in über der Hälfte der Fälle keine spezi-       auf bronchogenem, lymphogenem und
schnitt Erregereigenschaften) können          fischen Symptome oder fallen nur durch          hämatogenem Weg eine Aussaat der Tu-
im Abheilungsprozess verkalken. Wie           eine verzögerte Entwicklung auf [82]. Bei       berkulose-Bakterien erfolgen. Durch die
bereits ausgeführt, können Tuberkulo-         der extrapulmonalen Tuberkulose sind            Streuung kann es zu Miliartuberkulose
se-Bakterien darin über Jahrzehnte le-        die Symptome je nach Lokalisation ver-          und Meningitis mit entsprechend schwe-
bensfähig bleiben und im weiteren Ver-        schieden.                                       ren Krankheitsverläufen kommen. Be-
lauf spontan oder begünstigt durch eine           Erkrankungen an Tuberkulose, die sich       reits zu Beginn des 20. Jahrhunderts war
Abwehrschwäche reaktivieren. Die Aus-         direkt aus einer Erstinfektion mit M. tu-       die Bakteriämie durch M. tuberculosis
einandersetzung des Organismus mit            berculosis entwickeln, werden als primä-        bekannt [84–86]. Unter anderen konn-
den Tuberkulose-Bakterien ist 6–8 Wo-         re Tuberkulose bezeichnet [83]. Nach Sitz       te Faber schon früh zeigen, dass sich
chen nach Infektion mittels der im Ab-        des Primärherdes (Reaktion an der Ein-          Tuberkulose-Bakterien im Blut befin-
schnitt 1.4 beschriebenen Testverfahren       trittspforte der Mykobakterien) findet sich     den können [85]. Er inokulierte das Blut
nachweisbar.                                  als häufigste Form die pulmonale Tuber-         von über 1000 Tuberkulosepatienten in
    Lässt sich jedoch radiologisch ein tu-    kulose (Lunge und Atemwege bis zum              Meerschweinchen, welche nachfolgend in
berkulöser Primärkomplex (erbs- bis           Kehlkopf), sehr selten finden sich ext-         4,2 % der Fälle tuberkulöse Läsionen ent-
haselnußgroßer lokalisierter Entzün-          rapulmonale Primärlokalisationen (z. B.         wickelten. Durch Tierversuche ist auch
dungsherd mit reaktiv aktiviertem lokal       Verdauungstrakt und Haut).                      die hämatogene Streuung aus der Lun-
drainierendem Lymphknoten, sehr selten            Die postprimäre Organtuberkulose            ge in andere Lungenareale und extrapul-
extrapulmonale Lokalisation) oder eine        kann sich unmittelbar aus einer Primär-         monale Organe wie Lymphknoten, Milz,
andere pathologische Veränderung (z. B.       tuberkulose entwickeln (Frühmanifes-            Leber, Pankreas und Nebennieren, sowie
Infiltrat) nachweisen, so liegt eine mani-    tation als Folge einer hämatogenen oder         von dort wieder zurück in die Lungen be-
feste Tuberkulose vor.                        lymphogenen Streuung) oder durch spä-           legt [87, 88].
    Die aktive Tuberkulose manifestiert       tere Reaktivierung von ruhenden Streu-              Insbesondere seit dem Auftreten von
sich bei etwa 80 % der Patienten als Lun-     herden (Spätmanifestation) [83].                HIV/AIDS wurden eine Vielzahl von
gentuberkulose, sie kann prinzipiell aber         Typische Manifestationen bzw. Kom-          Studien bzw. Fallserien zum bakteriolo-
jedes Organ befallen [80, 81]. Dement-        plikationen der frühen postprimären Tu-         gischen Nachweis (kulturell oder DNA)
sprechend vielgestaltig präsentiert sich      berkulose sind die Miliartuberkulose, bei       aus dem Vollblut von Tuberkulosepatien-
diese Erkrankung und ist, auch aufgrund       der sich multiple hirse- bis linsengroße        ten publiziert [89–101]. Die Mehrheit der
der häufig fehlenden charakteristischen       Tuberkuloseherde in der Lunge und in an-        untersuchten Tuberkulosepatienten war
Krankheitszeichen, oft nicht leicht zu di-    deren Organen wie Leber, Milz oder Nie-         febril und hochgradig immunsupprimiert
agnostizieren. Insbesondere im Kindesal-      ren finden, und die tuberkulöse Meningi-        (meist HIV-infiziert) und/oder zeigte dis-
ter ist die Tuberkulosediagnose aufgrund      tis. Besonders gefährdet durch eine primär      seminierte schwere Tuberkuloseverläu-
der meist bakterienarmen Ausprägung           hämatogene Aussaat sind dabei Säuglinge         fe mit meist hoher Mortalität. In Einzel-
und unspezifischen Symptomatik eine           und Kleinkinder [49, 82], sowie Immun-          fällen ist der Bakteriennachweis auch aus
Herausforderung [49, 82]. Eine klassische     geschwächte. Die Miliartuberkulose ist          dem Blut HIV-negativer Tuberkulosepa-
Manifestation im Kindesalter ist die hiläre   ein schweres Krankheitsbild, das (beim          tienten beschrieben, die sich in der Regel
Lymphknotentuberkulose.                       Erwachsenen) durch deutliches Krank-            jedoch ebenfalls mit schwereren Krank-
    Leitsymptom der Lungentuberkulose         heitsgefühl, hohes Fieber, und – je nach-       heitsverläufen präsentieren [84, 91, 94,
ist Husten mit oder ohne Auswurf, wo-         dem ob eine eher pulmonale oder menin-          96–98, 102]. Auch ein aktueller systema-
bei dieser, wenn auch nur in seltenen Fäl-    geale Ausprägung vorliegt – Kopfschmerz,        tischer Review bestätigt die Beobachtung,
len, blutig sein kann. Gelegentlich kommt     Atemstörung und Husten gekennzeichnet           dass eine M. tuberculosis-Bakteriämie vor-
es zu Brustschmerzen und Atemnot. Bei         ist. Ein weiteres frühes Krankheitsbild der     rangig immunsupprimierte Personen be-
ausgedehntem Befall können durch die          postprimären Tuberkulose ist die Pleuri-        trifft [103].

                                                                Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2018   103
Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen

         Der Nachweis von M. tuberculosis aus          der Hygieneregeln [81]. In der zweiten      Weitere Übertragungswege (oral,
      Blut ist nicht Bestandteil der Routinedi-        Hälfte des 19. Jahrhunderts starben auf     Mutter-Kind, Transplantationen,
      agnostik der Tuberkulose. Das Nationale          dem Gebiet des Deutschen Reiches je-        iatrogen, Laborunfälle)
      Referenzzentrum für Mykobakterien am             des Jahr 100.000 bis 120.000 Menschen       Tuberkulosebakterien (M. bovis) können
      Forschungszentrum Borstel empfiehlt die          an der Tuberkulose, die vor allem aus       oral durch die Aufnahme von kontami-
      kulturelle Untersuchung von Vollblut nur         den ärmeren Bevölkerungsschichten           nierten Lebensmitteln (z. B. Rohmilch)
      bei Patienten mit zellulärem Immunde-            kamen. Als Robert Koch am 10. April         übertragen werden. Eine orale Übertra-
      fekt [104].                                      1882 seine Entdeckung des Erregers          gung durch erregerhaltige Nahrungsmit-
                                                       der Tuberkulose in der Berliner Klini-      tel (z. B. Rohmilch) kommt heute jedoch
      Spätfolgen                                       schen Wochenschrift publizierte, stellte    nur noch in den Gebieten vor, in denen
      Die unkomplizierte Tuberkulose heilt un-         er zur Bedeutung der Tuberkulose fest:      Infektionen mit M. bovis in Rinder- oder
      ter einer effektiven Therapie in der Re-         „Die Statistik lehrt, dass 1/7 aller Men-   Büffelbeständen auftreten (s. auch Ab-
      gel folgenlos aus. Je nach Krankheitsbild        schen an Tuberculose stirbt und dass,       schnitt „Tiere“ [115, 116].
      kann es jedoch zu durchaus schwe-                wenn nur die mittleren productiven              Eine Übertragung kann auch während
      ren Folgeschäden, z. B. Narbenbildung,           Altersklassen in Betracht kommen, die       der Schwangerschaft auf den Fetus bzw.
      kommen [105]. Bei initial ausgeprägt             Tuberculose ein Drittel derselben und       das Neugeborene stattfinden, und zwar
      kavernösen Lungentuberkulosen kön-               oft mehr dahinrafft.“ [9]. Als Ursachen     vor der Geburt über die Plazenta oder
      nen Vernarbungen und Schrumpfungen               waren die damals vorherrschenden Le-        während der Geburt bei Genitaltuberku-
      des Lungengewebes und bei Beteiligung            bens-, Arbeits- und Wohnbedingungen         lose der Mutter, durch Verschlucken oder
      des Rippenfells Pleuraschwarten zu Ein-          erkannt worden, die eine rasche Aus-        das Eindringen von kontaminierten Kör-
      schränkungen der Lungenfunktion füh-             breitung der Krankheit ermöglichten.        perflüssigkeiten der Mutter in Mund oder
      ren. Ausgehend von einer Kavernenwand            Erst mit der Besserung der allgemeinen      Atemwege des Säuglings [117–119]. Eine
      oder von einem Tuberkulom kann sich              Lebensbedingungen, der Erkenntnis der       Infektionsgefährdung durch Muttermilch
      auch ein Bronchialkarzinom entwickeln            infektiösen Genese und Einführung von       unbehandelter Tuberkulosepatientinnen
      (Narbenkarzinom), und in persistieren-           antituberkulösen Medikamenten sowie         besteht nach Einschätzung der American
      den Kavernen können sich Aspergillome            der Bekämpfung und Ausrottung der           Academy of Pediatrics nicht [120].
      bilden. Bei extrapulmonalen Tuberkulo-           Rindertuberkulose nahmen die Erkran-            Für Empfänger solider Organtrans-
      sen sind, auch in Folge von Defektheilung        kungszahlen ab [111].                       plantate ist aufgrund der iatrogenen Im-
      oder Spätfolgen nach therapeutischen                Neben der Todesursachenstatistik,        munsuppression das Risiko durch Re-
      Eingriffen, Funktionseinschränkungen             bei der das Grundleiden der Verstorbe-      aktivierung bzw. Neuinfektion an einer
      des betroffenen Organs bzw. Organsys-            nen anhand der Eintragungen zur To-         Tuberkulose zu erkranken je nach Setting
      tems möglich, so beispielsweise Bewe-            desursache auf dem Leichenschauschein       gegenüber Immungesunden um ein Viel-
      gungseinschränkungen der Wirbelsäule             erfasst und entsprechend den Regeln         faches erhöht. Dies stellt angesichts der
      [106] oder neurologische Defizite oder           der Internationalen Klassifikation der      unbefriedigenden Sensitivität der ver-
      Krampfanfälle in Folge einer tuberkulö-          Krankheiten, Verletzungen und Todes-        fügbaren Testverfahren auf eine laten-
      sen Meningitis [107].                            ursachen (ICD) ermittelt und zentral        te tuberkulöse Infektion eine Herausfor-
         Insbesondere bei Patienten, die wegen         zusammengeführt wird, werden Daten          derung dar [121–124]. Übertragungen
      einer komplexen Medikamentenresistenz            zur Häufigkeit von Todesfällen an Tu-       durch transplantierte Organe infizierter
      über längere Zeit mit potentiell toxischen       berkulose über die Meldepflicht gemäß       bzw. erkrankter Spender sind – teilweise
      Medikamenten behandelt werden müssen             Infektionsschutzgesetz (IfSG) [112–114]     belegt durch molekularbiologische Un-
      [108], kann es durch unerwünschte Arz-           erfasst. Die Angaben werden direkt mit      tersuchungen – insbesondere für Lun-
      neimittelwirkungen zu bleibenden Fol-            dem Merkmal Tod an Tuberkulose (hier        gen-, aber auch Nieren- und Lebertrans-
      geschäden kommen [105]. Dazu zählen              die meldepflichtige Krankheit) im Rah-      plantationen, in der Literatur beschrieben
      beispielsweise Hörminderung bzw. -ver-           men der Basisdaten aller meldepflichti-     [125–128]. Fallberichte finden sich auch
      lust durch Langzeit-Gabe von Aminogly-           gen Erkrankungen, aber auch über das        für selten beobachtete Übertragungen, so
      kosiden [109, 110].                              Behandlungsergebnis erfasst. Für das        z. B. im Zusammenhang mit einer Herz-
                                                       Jahr 2015 wurde für Deutschland dem         transplantation [129].
      Mortalität                                       RKI in 105 von 5660 TB-Fällen (zu de-           In der Literatur sind auch Fälle von
      Vor der Ära der antimikrobiellen Che-            nen entsprechende Informationen in          Übertragung durch Nadelstichverletzun-
      motherapie war die Sterblichkeit an              den Basisdaten vorlagen) der krank-         gen beschrieben. Beispielsweise führte
      Tuberkulose sehr hoch. Die verfügba-             heitsbedingte Tod an Tuberkulose über-      eine Nadelstichverletzung nach Blutent-
      ren, wenig effektiven Behandlungs- und           mittelt. Die Mortalitätsrate lag bei 0,13   nahme aus einem Port eines unerkannt
      Präventionsmöglichkeiten bestanden               Todesfällen je 100.000 Einwohner, wobei     tuberkulösen septischen HIV-Patienten
      vor allem in der Stärkung der allgemei-          diese Rate mit zunehmendem Alter an-        zu einer Hauttuberkulose [130], bei ei-
      nen Abwehr in Lungensanatorien, chi-             steigt [114].                               nem anderen Fall kam es nach Stichver-
      rurgischen Eingriffen und Beachtung                                                          letzung im Labor beim Umgang mit einer

104    Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2018
positiven Kultur zu einer Hauttuberkulose    gentuberkulosen mit Erregernachweis im              Während die Anstrengungen, mit de-
mit Lymphknotenbeteiligung [131]. Auch       Sputum wurden 83 % erfolgreich behan-           nen auf die Auswirkungen der HIV-Ko-
Übertragungen durch intramuskuläre In-       delt (geheilt oder Therapie abgeschlos-         infektion reagiert wird, langsam Erfolge
jektionen bzw. Punktionen sind beschrie-     sen). Die geschätzte globale Inzidenz be-       zeigen, sind die Fortschritte bei der Be-
ben [132, 133]. So entwickelten Patienten    trägt nach den neuesten Schätzungen             kämpfung der medikamentenresisten-
nach Behandlung in einem chinesischen        142 je 100.000 Einwohner und ist regio-         ten Tuberkulose bislang begrenzt [1]. Be-
Akkupunkturzentrum Inokulationstu-           nal sehr unterschiedlich. In einigen Staa-      sondere Aufmerksamkeit kommt hier der
berkulosen der Haut bzw. der behandel-       ten wie China oder Brasilien sind in den        zunehmenden Verbreitung der multiresis-
ten Körperregionen, in Einzelfällen kam      letzten zwanzig Jahren – ausgehend von          tenten Tuberkulose (MDR – definiert als
es auch zu schweren Krankheitsverläu-        einem deutlich höheren Inzindenzniveau          Isoniazid (INH) und Rifampicin (RMP)
fen mit pulmonaler und ZNS-Beteiligung       – deutliche Rückgänge zu verzeichnen. In        resistent) und der extensiv resistenten
[132].                                       anderen Staaten, darunter Industrienati-        (XDR – definiert als resistent gegen INH
   In seltenen Fällen kann eine Infektion    onen wie Deutschland, hat sich der rück-        und RMP plus einem der Fluorchinolo-
durch direkten Kontakt verletzter Haut       läufige Trend dagegen abgeschwächt oder         ne und einem der injizierbaren Medika-
mit infektiösem Material erfolgen [134,      sogar umgekehrt (s. Abschnitt Tuberkulo-        mente Amikacin, Kanamycin oder Cap-
135].                                        se in Deutschland). In der Republik Süd-        reomycin) zu. Die WHO schätzt die Zahl
                                             afrika werden, insbesondere als Folge der       der MDR- Tuberkulosefälle auf 480.000,
1.2 Epidemiologie                            hohen HIV Prävalenz mit geschätzt etwa          45 % davon werden allein in Indien, Chi-
                                             830 Erkrankten pro 100.000 Einwohner            na und der Russischen Föderation be-
Prävalenz und Inzidenz weltweit              derzeit die höchsten Inzidenzen beobach-        obachtet. Insgesamt erhalten nur 20 %
Die Tuberkulose ist weltweit verbreitet.     tet.                                            der Patienten, die ein MDR-TB Behand-
Laut Schätzung der WHO erkrankten                Ob das Ziel erreicht werden kann, die       lungsregime erhalten müssten, eine sol-
2015 insgesamt 10,4 Millionen Menschen       Tuberkulose bis zum Jahr 2050 zu elimi-         che Therapie. Für die Kohorte der gemel-
neu an Tuberkulose und 1,4 Millionen         nieren, d. h. die globale Inzidenz an akti-     deten MDR-TB Patienten aus 2013 wurde
Menschen starben daran [1]. Neben HIV/       ver Tuberkulose unter 1 pro 1 Million Ein-      global nur bei etwa 50 % eine erfolgreiche
AIDS sind das die meisten Todesopfer, die    wohner zu senken, ist fraglich [1, 6, 136].     Behandlung erreicht. Weltweit beträgt die
auf einen einzelnen Krankheitserreger zu-    Dies auch, da neben HIV weitere Komor-          Rate an MDR-TB oder Rifampicin-resis-
rückzuführen sind. Die Anzahl erkrank-       biditäten wie Diabetes [137] und Hepa-          tenten (RR) Tuberkulosen bei neuen Tu-
ter Kinder liegt für 2015 nach WHO-          titis [138] sowie Tabakkonsum [74, 75]          berkulosefällen nach den Schätzungen der
Angaben bei etwa 1 Million. Die jeweils      eine zunehmende Rolle spielen und die           WHO 3,9 %, bei vorbehandelten Fällen
aktuellen Daten können dem jährlichen        Bekämpfung der Tuberkulose erschweren           21 %, mit großen regionalen Unterschie-
globalen Tuberkulosebericht der WHO          bzw. ihre Ausbreitung begünstigen.              den. So finden sich die höchsten Resis-
entnommen werden.                                HIV/AIDS und Tuberkulose verursa-           tenzraten in Zentralasien und Osteuropa
    Die Erkrankungslast variiert weltweit    chen nicht nur eine ähnlich hohe Krank-         mit MDR/RR-TB Raten von teilweise über
sehr stark. So traten 87 % aller für 2015    heitslast. Die Epidemien überlappen sich        30 % bei neuen und über 60 % bei vorbe-
geschätzten Neuerkrankungen in den 30        geografisch und betreffen teilweise die-        handelten Tuberkulosepatienten. Für die
sogenannten „high TB burden countries“       selben Bevölkerungsgruppen. Neben               hohen Resistenzraten spielt insbesonde-
auf (dazu zählen vor allem Länder in Sub-    der bereits beschriebenen Erhöhung des          re die weltweite Ausbreitung bestimm-
sahara-Afrika und Süd-Ost-Asien). Allein     Progressionsrisikos und der Progressi-          ter, mit MDR-TB assoziierter Stämme
in den sechs Ländern Indien, Indonesien,     onsgeschwindigkeit von einer latenten           – z. B. des Beijing-Genotyps, welcher sei-
China, Nigeria, Pakistan und Südafrika       tuberkulösen Infektion zu einer akti-           nen Ursprung in Ostasien hat, eine Rolle
treten 60 % der weltweiten Tuberkulose-      ven Tuberkulose, erschwert die Immun-           [139]. Von 9,5 % der weltweit auftretenden
fälle auf. Die überwältigende Mehrheit der   schwäche bei einer HIV-Infektion sowohl         MDR-Tuberkulosen wird angenommen,
Erkrankungs- und Todesfälle findet sich      die Diagnostik auf LTBI und Tuberkulo-          dass es sich um eine XDR-TB handelt, die-
dabei bei Personen mit geringem oder         se wie auch die antituberkulöse Thera-          se Tuberkulosestämme wurden bisher in
mittlerem Einkommen, es sind haupt-          pie. Zugleich ist Tuberkulose die häufigs-      105 Ländern beobachtet. Eine realistische
sächlich junge Erwachsene betroffen. Auf     te AIDS-definierende Erkrankung und             Einschätzung der Resistenzsituation wird
die WHO-Europaregion entfallen 3 % der       weltweit bedeutendste Ursache für eine          vielerorts durch die eingeschränkten La-
globalen Tuberkulosefälle.                   hohe Morbidität und Mortalität unter            borkapazitäten und finanziellen Restrik-
    Die aktuellen Schätzungen der WHO        HIV-Infizierten [28]. Die WHO schätzt,          tionen erschwert.
gehen global von einem leichten Rück-        dass unter den im Jahr 2015 neu erkrank-
gang der jährlichen Neuerkrankungen          ten 10,4 Millionen Tuberkulose-Patienten        Tuberkulose in der Europäischen
seit dem Jahr 2000 um durchschnittlich       1,2 Millionen zusätzlich mit HIV infiziert      Union/im Europäischen
1,4 % aus, die Mortalität hat im gleichen    sind. Etwa 400.000 HIV-infizierte Tuber-        Wirtschaftsraum
Zeitraum um 34 % abgenommen. Von den         kulose-Patienten verstarben 2015 welt-          Nach dem aktuellsten Bericht des Euro-
2014 weltweit neu diagnostizierten Lun-      weit [1].                                       pean Centre for Disease Prevention and

                                                               Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2018   105
Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen

      Control (ECDC) und der WHO Euro                  neu erkrankten und etwas über 50 % bei       hatte bzw. die Fallzahlen stagnierten, wird
      wurden 2015 in 30 Mitgliedsstaaten der           vorbehandelten Patienten). Insgesamt         seit 2013 ein Anstieg beobachtet [2, 114]
      Europäischen Union/im europäischen               wurden aus den EU/EWR-Staaten 202            (. Abb. 1). Insgesamt weisen die vorhan-
      Wirtschaftsraum (EU/EWR) insgesamt               XDR-TB Fälle übermittelt.                    denen Daten darauf hin, dass die TB-Fall-
      60.195 Tuberkulosefälle gemeldet [6], mit           Viele der in der EU/EWR gemeldeten        zahlen gegenwärtig vor allem durch die
      weiter abnehmender Tendenz (Liechten-            Tuberkulosepatienten haben eine auslän-      aktuellen demografischen Entwicklun-
      stein ist 2015 nicht enthalten). Dies ent-       dische Herkunft. Der Anteil der Patienten    gen (Migration und Mobilität) beeinflusst
      spricht einer durchschnittlichen Meldein-        mit Migrationshintergrund ist in Westeu-     werden. Im Jahr 2015 wurden 5865 Neu-
      zidenz von 11,7 Erkrankungen je 100.000          ropa tendenziell höher (z. B. fast 90 % in   erkrankungen registriert, was einer In-
      Einwohner, die jedoch von 2,1 in Island          Norwegen und Schweden) als in Mittel-        zidenz von 7,3 Erkrankungen je 100.000
      bis 76,5/100.000 in Rumänien (über ein           und Osteuropa (z. B.
noch nicht widerspiegeln. Mit knapp 80 %       erkannt [141]. Das heißt, dass jährlich in       ständige Landesgesundheitsbehörde und
ist die Lunge (mit oder ohne weitere Ma-       weniger als 0,1 % der Rinderhaltungsbe-          von dort an das Robert Koch-Institut er-
nifestationen) das am häufigsten betroffe-     triebe Tuberkulose festgestellt wird. Ne-        füllen muss [91, 153]. Die Vorgabe der
ne Organ. Unter den Lungentuberkulosen         ben Rindern sind auch andere Nutztie-            Kriterien zur Erfüllung der Falldefinition
sind etwa drei Viertel bakteriologisch be-     re (z. B. Ziegen und Schafe) für M. bovis        erfolgt bundeseinheitlich durch das Ro-
stätigt („offene Lungentuberkulose“), 40 %     empfänglich [116]. Für M. bovis bilden           bert Koch-Institut und erlaubt somit eine
gehören dabei zu der besonders infektiö-       neben Mensch und Nutztieren manche               Qualitätskontrolle der erhobenen Daten.
sen mikroskopisch positiven Form. Zu           Wildtiere (Rotwild, Wildschwein, Dachs,              Ärzte sind nach § 6 Abs. 1 IfSG zur
den häufigsten Formen der extrapulmo-          Büffel) ein Reservoir, von dem Erkran-           Meldung verpflichtet, wenn sie eine Er-
nalen Tuberkulose zählt die Lymphkno-          kungen weitergegeben werden können               krankung oder den Tod an behandlungs-
tentuberkulose (über die Hälfte der extra-     [116, 142]. Die Tier-zu-Tier-Übertra-            bedürftiger Tuberkulose feststellen. Zu
pulmonalen Fälle).                             gung kann dabei aerogen über Aeroso-             Lebzeiten eines Patienten ist dies immer
    Bezüglich des Therapieerfolges lag         le durch hustende Tiere, aber auch durch         bei Einleitung einer Behandlung der Tu-
Deutschland auch 2015 mit durchschnitt-        orale Aufnahme kontaminierten Materi-            berkulose der Fall; nach dem Tod eines
lich 77 % unter dem von der WHO gefor-         als, und möglicherweise auch durch Biss-         Patienten immer dann, wenn eine be-
derten Ziel eines 85 %igen Behandlungs-        wunden erfolgen [143].                           handlungsbedürftige Tuberkulose anzu-
erfolges. Der Behandlungserfolg nimmt              Auch Haus- und Zootiere wie Affen,           nehmen war. Die Meldepflicht gilt auch
mit steigendem Alter der Patienten kon-        Elefanten, Hunde, Katzen, Papageien,             dann, wenn z. B. noch kein bakteriolo-
tinuierlich ab und erreicht in der Alters-     Meerschweinchen und andere Nager sind            gischer Nachweis vorliegt, aber eine Be-
gruppe ab 70 Jahren nur noch einen An-         für Erreger des M. tuberculosis-Komplexes        handlung eingeleitet wurde. Eine zusätzli-
teil von etwa 65 %. Dem gegenüber liegt        empfänglich und können nach einer In-            che Meldepflicht besteht, wenn Patienten
der Anteil erfolgreich behandelter Patien-     fektion schwer erkranken [115, 143–146].         mit behandlungsbedürftiger Lungentu-
ten im Kindesalter und in den mittleren            Hinsichtlich der Übertragung von Tier        berkulose eine Behandlung verweigern
Altersgruppen bis 49 Jahre bei über 80 %.      auf Mensch ist beispielsweise aus dem            oder abbrechen.
    Die HIV-Koinfektionsrate wird in           Hochprävalenzland Pakistan bekannt,                  Leiter von mikrobiologischen Labora-
Deutschland im Meldewesen nicht erfasst.       dass das Risiko einer M. bovis Übertra-          torien sind nach § 7 Abs. 1 IfSG zur Mel-
Sie wird basierend auf der Analyse zusätz-     gung bei beruflich exponierten Berufs-           dung der Nachweise von Krankheitser-
licher Datenquellen für Deutschland auf        gruppen wie z. B. Schlachthausarbeitern,         regern verpflichtet, soweit diese auf eine
etwa 4,5 % geschätzt [140].                    erhöht ist [147]. Neben Rindern sind auch        akute Infektion hinweisen. Dies gilt für je-
    Der Anteil der MDR-TB lag im Jahr          andere Tiere wie z. B. die Ziege bei Tier-       den möglichen Erregernachweis (z. B. Mi-
2015 bei 3,3 % (125 Fälle). Besonders hohe     zu-Menschübertragungen beschrieben               kroskopie) unabhängig vom Zeitpunkt der
Anteile von MDR-TB finden sich bei im          [148]. Die Übertragung von Mensch auf            Behandlung. Zu übermitteln sind auch die
Ausland geborenen Patienten, die aus ei-       Tier ist jedoch, wenn in Westeuropa auch         Resistenztestergebnisse [113].
nem der Nachfolgestaaten der ehemaligen        sehr selten, der viel wahrscheinlichere              Pathologen sind nach § 8 Abs. 1 Nr. 3
Sowjetunion stammen.                           Übertragungsweg [142–145, 149].                  IfSG zur Meldung verpflichtet, wenn ein
    Innerhalb Deutschlands sind deutliche          Überwiegend bzw. ausschließlich im           Befund erhoben wird, der sicher oder mit
regionale Unterschiede in der Tuberkulo-       Tierreich kommen M. microti (Erkran-             hoher Wahrscheinlichkeit auf das Vorlie-
se-Inzidenz feststellbar. So liegt die Inzi-   kungen beim Menschen beschrieben bei             gen einer Tuberkulose schließen lässt.
denz in den Stadtstaaten Bremen, Berlin        Panteix 2010 [150]), M. canetti, M. pinni-           Die Auswertungen der Meldedaten
und Hamburg deutlich über dem bundes-          pedii [80, 151], M. mungi, M. orygis und         werden vom RKI im jährlichen „Bericht
weiten Durchschnitt.                           M. suricattae vor [141].                         zur Epidemiologie der Tuberkulose in
    Die aktuellen Entwicklungen werden                                                          Deutschland“ zusammengefasst [114].
jährlich vom RKI in einem umfassenden          Meldepflicht und Falldefinition                  Das Meldesystem ermöglicht darüber hi-
Bericht zur Epidemiologie der Tuberkulo-       Tuberkulose gehört zu den Krankheiten,           naus die Zusammenführung der Daten
se in Deutschland publiziert (www.rki.de/      bei denen eine namentliche Meldung an            auch auf europäischer bzw. internationa-
tuberkulose).                                  das Gesundheitsamt erfolgt (§ 6 IfSG Mel-        ler Ebene.
                                               depflichtige Krankheiten, § 7 IfSG Melde-
Tuberkulose bei Tieren                         pflichtige Nachweise von Krankheitser-           1.4 Nachweismethoden und
Die durch M. bovis verursachte Rinder-         regern) [112, 113]. Wie bei allen anderen        Aussagekraft
tuberkulose ist heute in Mitteleuropa von      meldepflichtigen Erkrankungen enthält
untergeordneter Bedeutung, da der Rin-         die seit Januar 2001 gültige und zuletzt         Diagnostik der aktiven Erkrankung
derbestand hier weitgehend tuberkulose-        2015 aktualisierte Falldefinition [152] kli-     Wesentlicher Eckpfeiler der Tuberkulo-
frei ist. Deutschland wurde der Status „frei   nische, epidemiologische und labordia-           sediagnostik ist weiterhin der bakteriolo-
von Rindertuberkulose“ (OFT-Status) im         gnostische Kriterien, die eine gemeldete         gische Erregernachweis. Dieser kann aus
Jahr 1996 (durch Entscheidung der Eu-          Erkrankung für die anonymisierte Über-           Sputum, Bronchialsekret oder Tracheal-
ropäischen Kommission 76/96/EG) zu-            mittlung vom Gesundheitsamt an die zu-           sekret, Magensaft (insbesondere bei Kin-

                                                                  Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2018   107
Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen

      dern), Urin, Pleuraexsudat, Liquor, und –        der Kultur erhöht und die Detektionszeit      besteht. Die Differenzierung kulturell iso-
      je nach Lokalisation der Erkrankung- aus         deutlich verkürzt. In der Regel beträgt die   lierter Mykobakterien erfolgt heute in der
      anderen Punktions- bzw. Biopsieproben            Zeit bis zu einem positiven Ergebnis mit      Regel mit molekularbiologischen Verfah-
      erfolgen. Die Wahl des geeigneten Pro-           den modernen Kulturverfahren etwa ein         ren [156].
      benmaterials, die korrekte Art der Ge-           bis drei Wochen. Für ein sicheres Ergeb-          Der Einsatz von DNA-Fingerabdruck-
      winnung, des Transports und der Weiter-          nis müssen die Kulturen bis zu 6 Wochen       Analysen zur Typisierung der Erreger
      verarbeitung sind für eine ausreichende          (Flüssigmedien) bzw. 8 Wochen (Festme-        ermöglicht, auf molekularbiologischer
      Sensitivität bakteriologischer Untersu-          dien) bebrütet werden bevor sie als „ohne     Ebene Übertragungen eines bestimmten
      chungen von entscheidender Bedeutung             Wachstum“ bewertet werden können.             Erregers zu bestätigen und ggf. auch epi-
      [154]. In den letzten Jahren gab es subs-            Die Anwendung von Nukleinsäure-           demiologisch zunächst nicht erkannte In-
      tantielle Fortschritte in der molekularen        amplifikationstechniken (NAT) ermög-          fektionsketten aufzudecken. Durch den
      Tuberkulose-Diagnostik, einschließlich           licht den sensitiven Nukleinsäurenachweis     Einsatz dieser Methoden kann die Sen-
      der Einführung automatisierter Systeme,          von Erregern des M. tuberculosis-Kom-         sitivität und Spezifität epidemiologischer
      die M. tuberculosis und seine Rifampicin-        plexes direkt aus dem Untersuchungsma-        Untersuchungen erhöht werden. Sie ge-
      Resistenz in weniger als 2 Stunden de-           terial. Bei Vorliegen eines begründeten       hören jedoch in Deutschland bisher noch
      tektieren können. Vergleichbare Schnell-         Verdachts und mikroskopisch negati-           nicht zur Routine-Diagnostik. Die in den
      testverfahren, die eine Testung weiterer         vem Sputum sollte, insbesondere bei be-       letzten Jahren entwickelten Next Gene-
      Antibiotikaresistenzen beinhalten sollen,        sonders gefährdeten Patienten (AIDS,          ration Sequencing (NGS) Verfahren er-
      stehen kurzfristig an [155].                     Kleinkinder) und schweren Krankheits-         möglichen die Sequenzierung des gesam-
          Zur raschen Abklärung der Infektiosi-        bildern (v. a. generalisierte Erkrankung      ten Genoms eines Erregers und erlauben
      tät sollte bei Verdacht auf das Vorliegen        oder tuberkulöse Meningitis), ein schnel-     aufgrund ihres höheren Auflösungsver-
      einer pulmonalen Tuberkulose zusätzlich          ler Nachweis mit Hilfe der NAT versucht       mögens noch präzisere Informationen zu
      zum kulturellen und ggf. NAT-Nachweis            werden. Darüber hinaus kann die NAT           möglichen Übertragungswegen [159]. Mit
      (s. u.) immer eine mikroskopische Un-            bei mikroskopisch positivem Sputum zur        der Gesamt-Genomsequenzierung erge-
      tersuchung erfolgen. Der mikroskopi-             raschen Unterscheidung zwischen Tu-           ben sich zudem vielversprechende Mög-
      sche Nachweis säurefester Stäbchen er-           berkulose-Erregern und nichttuberku-          lichkeiten der Verbesserung der Resis-
      folgt nach Anreicherung der Erreger mit          lösen Mykobakterien (NTM) eingesetzt          tenzbestimmung [160].
      einer lichtmikroskopischen (z. B. Ziehl-         werden [156]. Zudem erlauben automa-              Beim Nachweis von Tuberkulose-Bak-
      Neelsen-Färbung) oder fluoreszenzmi-             tisierte NAT-Verfahren eine vorläufige        terien sollte von jedem Erstisolat eine
      kroskopischen (z. B. Auramin-Färbung)            Beurteilung zu erwartender Medikamen-         Empfindlichkeitsprüfung durchgeführt
      Untersuchung. Das Ergebnis der Mikros-           tenresistenzen (MDR/RR-Tuberkulose),          werden, um Medikamenten-Resistenzen
      kopie liegt schnell vor, Voraussetzung für       was eine insuffiziente Therapie bis zum       zu erfassen und die Therapie dementspre-
      ein positives Ergebnis ist aber eine Bak-        Vorliegen der phänotypischen Resistenz-       chend anzupassen. Eine Wiederholung
      terienzahl von etwa 103–104 Keimen/ml.           prüfung verhindern kann.                      der Empfindlichkeitsprüfung nach ca. 2–3
      Zwischen lebenden und toten Bakterien                Eine Diagnostik ausschließlich mit        Monaten ist erforderlich, wenn trotz The-
      kann dabei nicht unterschieden werden.           Hilfe der NAT sollte nicht erfolgen, da       rapie weiterhin in der Kultur Mykobakte-
      Auch ist eine Spezieszuordnung mittels           mit dieser Methode für mikroskopisch          rien isoliert werden, um evtl. erworbene
      Mikroskopie nicht möglich, so dass kei-          negative Proben nur eine Sensitivität von     Resistenzen zu entdecken[154]. Es stehen
      ne sichere Differenzierung zwischen Tu-          70–90 % erzielt werden kann [157]. Der        drei Methoden zur Verfügung: Proporti-
      berkulose-Bakterien und nichttuberkulö-          kulturelle Nachweis sollte daher in jedem     onsmethode unter Verwendung des Lö-
      sen Mykobakterien erfolgen kann. Daher           Fall zusätzlich durchgeführt werden, ins-     wenstein-Jensen-Nährbodens (Zeitdauer
      ist es immer erforderlich, auch eine Kul-        besondere auch um den Erreger für eine        3–4 Wochen), Verfahren mit Flüssigme-
      tur anzulegen und ggf. zusätzlich ein Nu-        phänotypische Empfindlichkeitsprüfung         dien (Zeitdauer etwa eine Woche) und
      kleinsäureamplifikationsverfahren (NAT)          – die auf jeden Fall anzustreben ist – zu     Schnellresistenzverfahren wie automati-
      (s. u.) durchzuführen [154].                     isolieren. NAT-Verfahren sind nicht zur       sierter real-time PCR-basierter Schnellre-
          Für den kulturellen Nachweis hat sich        Therapiekontrolle geeignet, da auch DNA       sistenztest, Line Probe Assay oder DNA-
      die Dekontamination des Untersuchungs-           von nicht mehr lebensfähigen Bakterien        Sequenzierungsverfahren von einer
      materials, z. B. mit N-Acetyl-L-Cystein-         über längere Zeiträume zu positiven Test-     bereits bewachsenen Kultur oder von mi-
      NaOH und eine Kombination von flüssi-            ergebnissen führen kann [158].                kroskopisch positivem Material (Zeitdau-
      gen und festen Kulturmedien als optimal              Bei jedem Nachweis von Mykobakteri-       er jeweils etwa ein Tag). Die Amplifikati-
      erwiesen. Durch die lange Generations-           en sollte eine Bestimmung der Mykobak-        onsverfahren liefern Informationen über
      zeit von M. tuberculosis (16–20 h) wer-          terienspezies zur Abgrenzung von NTM          eine Resistenz gegenüber Rifampicin, je
      den auf Festmedien sehr lange Anzucht-           erfolgen. Auch eine Erkrankung durch          nach Test gegenüber weiteren Erstrang-
      zeiten (3–4 Wochen) benötigt. Durch              M. bovis hat Auswirkungen auf das The-        bzw. auch Zweitrangantituberkulotika.
      den Einsatz eines Flüssigmediums mit             rapieregime, da bei M. bovis fast immer       Wegen der zunehmenden Resistenzpro-
      Wachstumsindikator wird die Sensitivität         eine Resistenz gegenüber Pyrazinamid          blematik in den Herkunftsländern von

108    Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2018
Patienten in Deutschland – insbesondere       tuberkulin zur Mendel-Mantoux-Testung            Therapie
Osteuropa – empfiehlt es sich, ein Schnell-   empfohlen.                                       Die Behandlung der Tuberkulose erfolgt
resistenzverfahren (oder zumindest ein            Die Interferon-Gamma-Release Assays          immer als antimikrobielle Kombinations-
Flüssigkulturverfahren) zu wählen, um         (IGRA) messen im Blut in vitro die Inter-        therapie mit Antituberkulotika. Die einge-
die Therapie rasch an das Ergebnis der Re-    feron-Gamma-Ausschüttung sensibili-              setzten Substanzen unterscheiden sich in
sistenztestung anzupassen und hierdurch       sierter T-Lymphozyten nach Stimulation           ihren Wirkmechanismen, so dass gleich-
eine Selektion weiterer resistenter Erreger   mit Tuberkulose-spezifischen Antigenen           zeitig verschiedene bakterielle Stoffwech-
zu vermeiden. Diese Schnellresistenztes-      [46, 71, 163]. Da sie spezifische Antigene       selwege blockiert werden und somit die
tungen können die konventionelle Sen-         verwenden, die nur mit wenigen nichttu-          Vermehrung der Erreger gestoppt wird.
sibilitätsprüfung lediglich ergänzen und      berkulösen Bakterien kreuzreagieren (M.          Der zweite wichtige Grund für eine Kom-
nicht ersetzen.                               kansasii, M. marinum, M. szulgai, M. flave-      binationsbehandlung ist die Vermeidung
    Die Röntgendiagnostik spielt bei der      scens und M. gastrii), sind sie spezifischer     der Selektion resistenter Erreger. Die me-
Erkennung der Lungentuberkulose und           als der Tuberkulin-Hauttest. Aufgrund            dikamentöse Behandlung muss über Mo-
der Verlaufsbeurteilung unter Therapie        der mittlerweile umfangreichen Evidenz           nate durchgeführt werden, um auch ru-
auch weiterhin eine entscheidende Rol-        werden sie daher bei Erwachsenen als in-         hende Bakterien zu erfassen.
le. Sie gehört neben der Anamnese und         itiales Testverfahren empfohlen [41]. Bei            Zur Behandlung der Tuberkulose ste-
der bakteriologischen Diagnostik zu ei-       Kleinkindern (< 5 Jahren) ist die Daten-         hen die folgenden Standardmedikamente
ner vollständigen differenzialdiagnosti-      lage noch schwächer, so dass dort für die        zur Verfügung: Isoniazid (INH), Rifampi-
schen Abklärung des Krankheitsbildes.         initiale Testung nach wie vor – sofern ver-      cin (RMP), Ethambutol (EMB) und Pyra-
Darüber hinaus ist sie zur Früherkennung      fügbar – dem THT der Vorrang gegeben             zinamid (PZA); Streptomycin (SM) wird
bzw. zum Ausschluss einer behandlungs-        wird. Wenn möglich sollte bei positivem          mittlerweile von der WHO zu den Zweit-
bedürftigen Tuberkulose bei THT- und/         Testergebnis eine IGRA-Testung nachfol-          rangmedikamenten gezählt. Darüber hi-
oder IGRA-positiven Kontaktpersonen           gen. Bei älteren Kindern können sowohl           naus gibt es weitere sogenannte Zweit-
hilfreich [80].                               THT als auch IGRA für die initiale Tes-          rang- oder Reservemedikamente, die bei
                                              tung verwendet werden [41, 82].                  Resistenzen oder Unverträglichkeiten
Diagnostik der tuberkulösen                       Bei angeborener oder erworbener Im-          zum Einsatz kommen [26, 71, 166].
Infektion                                     munschwäche (z. B. HIV-Infektion), un-               Als Standard-Kurzzeittherapie der
Immunologische Tests, mit denen nach          ter immunsuppressiver Therapie oder bei          Lungentuberkulose bei Erwachsenen wird
6–8 Wochen nach Infektion die immuno-         schwerem generalisiertem Verlauf wie bei         eine 6-monatige Chemotherapie verstan-
logische Reaktion auf die Auseinanderset-     der Miliartuberkulose kann eine positi-          den, bei der in den ersten beiden Monaten
zung mit Erregern aus dem M. tuberculo-       ve Testreaktion trotz Infektion ausbleiben       (Initialphase) INH, RMP, PZA und EMB
sis Komplex nachgewiesen werden kann,         (falsch-negative Ergebnisse). Ein negati-        gegeben werden und in den folgenden
machen sich die Sensibilisierung von T-       ves Testergebnis schließt eine Tuberku-          vier Monaten (Stabilisierungs- oder Kon-
Lymphozyten durch mykobakterielle An-         lose somit nicht sicher aus. Zudem kann          tinuitätsphase) mit INH und RMP wei-
tigene zu Nutze [26, 41].                     das Testergebnis aufgrund des Untersu-           terbehandelt wird. Bezüglich therapeuti-
    So wird beim Tuberkulin-Hauttest          chungszeitpunktes in der präallergischen         scher Besonderheiten, z. B. im Kindesalter,
(THT) durch intrakutane Applikation von       Phase noch negativ sein. Die Tests erlau-        bei HIV, extrapulmonalen Tuberkulosen
Tuberkulose-Antigenen (Tuberkulin) eine       ben im Falle eines positiven Testergebnis-       oder der Behandlung mit Zweitrangme-
zellvermittelte Überempfindlichkeits-         ses keine Unterscheidung zwischen laten-         dikamenten bei resistenter Tuberkulose,
reaktion vom verzögerten Typ (Typ IV-         ter Infektion und aktiver Erkrankung oder        sei an dieser Stelle auf die entsprechenden
Allergie) hervorgerufen, die durch Ein-       Aussagen über den Infektionszeitpunkt            nationalen Empfehlungen verwiesen [71,
wanderung von Abwehrzellen zu einer           (frische versus früher erworbene Infekti-        82, 167]. Aktuell werden AWMF- Leitlini-
messbaren Hautinduration führt [161].         on) und über das Progressionsrisiko. Die         en zur Therapie der Tuberkulose beim Er-
Da sich Tuberkulin aus über 200 Antige-       immunologischen Tests allein sind daher          wachsenen sowie im Kindesalter erarbei-
nen zusammensetzt, sind Kreuzreaktio-         nicht für die Diagnose einer aktiven Tu-         tet. Die Behandlungsdauer der resistenten
nen nach NTM-Infektionen sowie nach           berkulose geeignet, das Resultat muss im-        Tuberkulose ist, je nach Resistenzmuster
BCG-Impfung möglich, was zu Lasten der        mer in der Gesamtbewertung aller Befun-          und dem darauf gezielt abgestimmten
Testspezifität geht. Seit August 2005 wird    de des diagnostischen Prozederes beurteilt       Therapieregime, deutlich länger und kann
in Deutschland das in Deutschland zuge-       werden (Anamnese, Klinik, radiologische          bis zu zwei Jahre betragen.
lassene Tuberkulin „PPD RT 23 SSI“ (AJ        und bakteriologische Befunde)[26].                   Bestehen Zweifel an einer regelmäßi-
Vaccines A/​S Kopenhagen, Dänemark) in            Serologische, auf der Detektion von          gen Medikamenteneinnahme, sollte die
der Regel mit einer Stärke von 2 Tuberku-     Antikörpern basierende Testverfahren,            Einnahme überwacht erfolgen [168]. In
lineinheiten (TE) verwendet [162]. Dieses     werden zur Diagnose der Tuberkulo-               seltenen Fällen muss, abhängig von den
Tuberkulin wird von der WHO und der           se bzw. tuberkulösen Infektion von der           Läsionen, auch eine chirurgische Inter-
Internationalen Union gegen Tuberkulo-        WHO und auch in Deutschland nicht                vention in die Therapieplanung einbezo-
se und Lungenkrankheiten als Standard-        empfohlen [164, 165].                            gen werden [169]. Grundsätzlich gehört

                                                                 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2018   109
Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen

      die Behandlung der Tuberkulose in die            auch deutsche Institutionen beteiligt sind.   2.5 Spenderinformation und
      Hand Therapie-erfahrener Ärzte [71].             Einige Impfstoffkandidaten befinden sich      -beratung
                                                       in klinischen Studien [25, 26].
      Chemoprävention und                                                                            Es erfolgt keine spezifische Aufklärung
      Chemoprophylaxe                                  2. Blut- und Plasmaspender                    oder Beratung von Spendern hinsichtlich
      Ist von einer latenten tuberkulösen Infek-                                                     Tuberkulose. Sofern der Verdacht auf eine
      tion auszugehen, so kann das Fortschrei-         2.1 Prävalenz und Inzidenz bei                Tuberkulose besteht, werden potenzielle
      ten in eine aktive Tuberkulose durch eine        Spenderkollektiven                            Spender für die entsprechende Diagnos-
      chemopräventive Therapie verhindert                                                            tik und Therapie an Fachärzte bzw. infek-
      werden [71]. Es wird über neun Mona-             Zur Inzidenz und Prävalenz der Tuberku-       tiologische Zentren weiter verwiesen.
      te INH verabreicht, alternativ ist die Be-       lose bei Spenderkollektiven gibt es keine
      handlung mit INH und RMP über 3–4                Daten. Durch die Spenderauswahlkriteri-       3. Empfänger
      Monate bzw. bei INH-Resistenz oder               en ist zu vermuten, dass sowohl Inzidenz
      -Unverträglichkeit mit RMP über 4 Mo-            als auch Prävalenz geringer sind als in der   3.1 Prävalenz und Inzidenz von
      nate möglich. Bei der Indikationsstellung        Allgemeinbevölkerung: Zur Spende wer-         blutassoziierten Infektionen
      werden individuelle Faktoren berück-             den nur gesunde Personen ohne schwer-         und Infektionskrankheiten bei
      sichtigt (Alter, Begleiterkrankungen und         wiegende Vorerkrankungen zugelassen;          Empfängerkollektiven
      -medikation, Risikofaktoren für die Ent-         Personengruppen, die vermehrt von Tu-
      wicklung einer aktiven Tuberkulose und           berkulose betroffen sein können, werden       Es liegen keine Daten zu Prävalenz und
      unerwünschte Arzneimittelwirkungen, zu           nicht zur Spende zugelassen (i. v. Dro-       Inzidenz in Empfängerkollektiven vor.
      erwartende Therapieadhärenz etc.).               gengebraucher, Wohnungslose). Eben-           Transfusionsassoziierte Infektionen wur-
          Vor allem junge Kinder
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