Tuberkulose in der Schweiz - Leitfaden für Fachpersonen des Gesundheitswesens - InfoVac
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Impressum Auskunft Tuberkulose Lungenliga Schweiz Kompetenzzentrum Tuberkulose Chutzenstrasse 10 Chutzenstrasse 10 3007 Bern 3007 Bern info@lung.ch Tel. 031 378 20 50 www.lungenliga.ch tbinfo@lung.ch www.tbinfo.ch Herausgeber Lungenliga Schweiz Bundesamt für Gesundheit Institutionelle Autoren Bundesamt für Migration Bundesamt für Gesundheit Lungenliga Schweiz Nationales Zentrum für Mykobakterien Pädiatrische Infektiologiegruppe Schweiz Schweizer Kollegium für Hausarztmedizin Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie Schweizerische Gesellschaft für pädiatrische Pneumologie Schweizerische Gesellschaft für Pneumologie Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte der Schweiz Einzelautoren, einschliesslich Vertreter der institutionellen Autoren Jürg Barben, Christoph Berger, Erik C. Böttger, Jean-Marie Egger, Peter Helbling, Jean-Paul Janssens, Chung-Yol Lee, Jesica Mazza- Stalder, David Nadal, Stefan Neuner-Jehle, Laurent Nicod, Valeria Reho, Hans L. Rieder, Otto D. Schoch, Claire-Anne Siegrist, Alexander Turk, Jean-Pierre Zellweger, Stefan Zimmerli. Hintergrund Grundlage des vorliegenden Handbuchs sind die aktuellen inter nationalen Leitlinien zur Diagnose und Behandlung der Tuberkulose. Die vorliegende gekürzte Fassung ergänzt und aktualisiert das «Handbuch Tuberkulose 2012». Nachdruck mit Quellenangabe gestattet. November 2014 / 1. revidierte Ausgabe der Kurzfassung «Tuberkulose in der Schweiz, das Wichtigste in Kürze» 2
Inhaltsverzeichnis 4 1 Rolle des Arztes 5 2 Epidemiologie 8 3 Übertragung, Pathogenese und klinisches Bild 3.1 Übertragung 3.2 Pathogenese 3.3 Klinisches Bild 3.4 Radiologischer Befund 11 4 Latente Infektion mit M. tuberculosis 4.1 Tuberkulintest 4.2 Interferon-Gamma Release Assays (IGRAs) 4.3 Indikationen für die Testung asymptomatischer Personen auf eine latente Infektion 4.4 Auswahl der Test-Art 4.5 Behandlungsoptionen bei latenter Infektion mit M. tuberculosis 20 5 Umgebungsuntersuchung 5.1 Ablauf einer Umgebungsuntersuchung 5.2 Besonderes Vorgehen bei der Umgebungsuntersuchung je nach Alter und Immunstatus 25 6 Diagnose der Erkrankung 28 7 Behandlung der Tuberkulose 7.1 Standard-Therapieschema 7.2 Therapie der resistenten T uberkulose 7.3 Spezielle Behandlungssituationen 7.4 Verlaufskontrolle während der Behandlung 7.5 Isolierung von Tuberkulosepatienten 7.6 Ergebnisse der Tuberkulosebehandlung 36 8 Meldeverfahren und epidemiologische Überwachung 37 9 BCG-Impfung 39 10 T uberkulose bei im Ausland geborenen Personen 40 11 F inanzielle Aspekte und Gesetzesgrundlagen 11.1 Krankenversicherung 11.2 Unfallversicherung 11.3 Gesundheitsamt 11.4 Arbeitgeber/Arbeitgeberin 11.5 Privatpersonen 11.6 Spezielle Behandlungssituationen 44 12 Informationen und nützliche Adressen 12.1 Broschüren und sonstige Materialien 12.2 Internet 12.3 Tuberkulose-Hotline für medizinisches Personal 46 13 Literatur 3
1 Rolle des Arztes Die Ärzte spielen bei der Behandlung der eine entscheidende Rolle. Sie stellen das Tuberkulose sowohl bei der medizinischen unverzichtbare Bindeglied zwischen der Versorgung erkrankter Personen als auch individuellen und der öffentlichen Gesund- aus der Sicht der öffentlichen Gesundheit heit dar. Zu den Aufgaben des Arztes oder Zustimmung des Kantonsarztamtes und der Ärztin gehört: in Zusammenarbeit mit der für die Tuber- – a n TB zu denken, wenn eine Person mit kulosebekämpfung zuständigen kanto- Tuberkulose vereinbare Anzeichen und/ nalen Fachstelle, in der Regel der kanto- oder Symptome aufweist, insbesondere, nalen Lungenliga; wenn sie einer entsprechenden Hoch – dafür zu sorgen, dass die Patientin oder risikogruppe angehört (z. B. Personen der Patient sich während des gesamten aus einem Land mit hoher Tuberkulose- vorgesehenen Behandlungszeitraums an Inzidenz, Personen mit erst kürzlich er- die verordnete Therapie hält, und dem folgtem Kontakt mit einem anstecken- Kantonsarztamt allfällige Therapieunter- den Tuberkulosefall, immungeschwächte brüche, mangelnde Therapietreue oder Personen); Therapieabbrüche (Nichtmehrerscheinen – rasch die erforderliche diagnostische in der Praxis) der Patientin oder des Abklärung (Thoraxröntgen, mikrobiolo- Patienten zu melden; zur Förderung der gische Untersuchungen) durchzuführen Therapieadhärenz und der Behandlung oder die Person an einen erfahrenen bis zum vorgesehenen Ende sind soziale Kollegen / eine erfahrene Kollegin bzw. Aspekte zu berücksichtigen, und alle ein spezialisiertes Zentrum zu über an der Wiederherstellung der Gesund- weisen; heit Beteiligten sollen die allenfalls not – jeden Tuberkulosefall sofort bei Thera- wendige Unterstützung jeglicher Art piebeginn beim zuständigen Kantons- leisten; arztamt zu melden; – sicherzustellen, dass der Tuberkulosefall – dafür zu sorgen, dass alle Personen, die geheilt wurde, indem er/sie in allen längeren Kontakt mit einem anstecken- Fällen die entsprechenden Kontrollunter- den Tuberkulosefall hatten, getestet suchungen durchführt oder anordnet werden (Umgebungsuntersuchung); die und das Kantonsarztamt über das Be- Umgebungsuntersuchung erfolgt mit handlungsergebnis informiert. 4
2 Epidemiologie Die Tuberkulose-Inzidenz ist in der Schweiz, wurden, wurden 577 Fälle gemeldet, ent- wie in vielen anderen westeuropäischen sprechend einer Melderate von 7,2 Fällen Ländern, seit mindestens dem 19. Jahr auf 100 000 Einwohner. Von den betrof hundert rückläufig. Im Jahr 2007 wurde fenen Patientinnen und Patienten waren mit 478 gemeldeten Fällen der bislang 127 (22 %) Schweizer und 429 (74 %) niedrigste Stand erreicht, wonach in den Personen ausländischer Herkunft, darunter darauffolgenden Jahren wieder ein leichter 131 (31 % der Fälle ausländischer Her- Anstieg erfolgte. Im Jahr 2011, dem letzten kunft) Asylsuchende oder Flüchtlinge (Ab- Jahr, für das endgültige Daten publiziert bildung 2-1). Abbildung 2-1. Dem Bundesamt für Gesundheit gemeldete Tuberkulosefälle in der Schweiz, nach Herkunft, 2005–2011. 500 400 Number of notified cases 300 Foreign origin Swiss origin 200 100 0 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Year of notification Federal Office of Public Health. Bull FOPH 2013;(no 21):343-53 5
2 Epidemiologie Abbildung 2-2. Prozentualer Anteil der multiresistenten Tuberkulose bei nicht vorbehandelten Patienten, 1994–2009. Quelle: World Health Organization. Multidrug and extensively drug-resistant TB (M/XDR-TB). 2010 global report on surveillance and response. World Health Organization Document 2010;WHO/HTM/TB/2010.3:1-58. 0–
2 Epidemiologie 0–
3 Übertragung, Pathogenese und klinisches Bild 3.1 Übertragung ausserhalb der Schweiz erworben oder es handelt sich um Reaktivierungen lange Die Tuberkulose wird durch einen patho zurückliegender Infektionen bei älteren genen Vertreter des Mycobacterium-tuber- Schweizer Personen. culosis-Komplexes verursacht. Zu diesem Komplex gehören M. tuberculosis, M. bo- vis, M. africanum und M. canettii sowie 3.2 Pathogenese die für den Menschen nicht pathogenen Spezies M. bovis BCG und M. microti. Die M. tuberculosis kann Makrophagen er Übertragung von M. tuberculosis erfolgt folgreich an der unspezifischen Zerstörung aerogen, über kleinste Bronchialsekret- der phagozytierten Erreger hindern. Die Tröpfchen (Tröpfchenkerne, engl. «droplet Bakterien können sich daher im Inneren der nuclei»), die lebende Erreger enthalten. Makrophagenzelle vermehren. Bei deren Personen mit Atemwegstuberkulose setzen Zelltod werden sie freigesetzt, rufen eine bei respiratorischen Aktivitäten, insbeson lokale entzündliche Reaktion hervor, werden dere Husten und Sprechen, Tröpfchen un- von anderen Makrophagen phagozytiert terschiedlicher Grösse frei. Die kleinsten und führen schliesslich zur Lymphozyten- dieser Tröpfchen sinken nicht sofort auf- sensibilisierung. In der Folge kommt es ent- grund der Schwerkraft auf den Boden, son- weder dern verbleiben ausreichend lange in der – zur Eradikation der Mykobakterien oder Luft, dass sie in nicht mit Feuchtigkeit ge- – zur Bildung von Granulomen. sättigter Luft zu Tröpfchenkernen mit einem oder mehreren Tuberkulosebakterien ver- Personen mit einer latenten M.-tuberculo- dunsten. Tröpfchenkerne können aufgrund sis-Infektion sind weder krank noch können ihrer geringen Grösse mehrere Stunden in sie M. tuberculosis übertragen. Die Mehr- der Luft schweben und erreichen bei In zahl dieser latent infizierten Personen halation mit hoher Wahrscheinlichkeit die (schätzungsweise rund 90 %) entwickelt Alveolen, wo sie sich allenfalls an der Zell- zeitlebens keine Tuberkulose. Eine immuno- wand ablagern und von Gewebemakro logische Reaktion kann mithilfe geeigne- phagen phagozytiert werden. ter Tests (Tuberkulintest oder Interferon- Die Übertragung des seltenen M. bovis er- Gamma-Assay) ausgelöst werden. Sie ist folgt in der Regel durch orale Aufnahme von das einzige Anzeichen einer früheren Infek- Erregern über unpasteurisierte Milch von tion mit M. tuberculosis. Kühen mit tuberkulöser Mastitis. In den sel- Bei einem geringeren Teil der Personen ent- tenen durch M. bovis verursachten Tuber- wickelt sich die subklinische oder latente kulosefällen wurde der Erreger entweder M.-tuberculosis-Infektion zu einer Tuber 8
3 Übertragung, Pathogenese und klinisches Bild kulose (d. h. zu einer durch M. tuberculosis nale Tuberkulose). Die häufigsten extra verursachten Erkrankung, die klinisch und/ pulmonalen Formen sind Lymphknoten-, oder radiologisch manifest wird). Dabei ist Pleura-, Knochen- und Gelenkstuberkulose das Risiko in den ersten beiden Jahren nach sowie Urogenitaltuberkulose. Disseminierte der Infizierung am höchsten. Die Gefahr des Formen (akute Miliartuberkulose, kryptische Fortschreitens der Infektion zur Erkrankung Disseminierung, protrahierte Erkrankung ist höher bei sehr jungen Personen (Säug mit Mehrorganbefall) treten hauptsächlich linge und Kleinkinder), bei Jugendlichen und bei immungeschwächten sowie bei sehr jungen Erwachsenen sowie bei Personen, jungen und sehr alten Personen auf. deren zelluläres Immunsystem geschwächt Die Tuberkulose verläuft klinisch meist lang- ist, z. B. durch immunsuppressive Therapien sam fortschreitend mit lokalen (bei pulmo- oder Störungen des Immunsystems (insbe- nalen Formen: Husten, geringer Auswurf) sondere HIV-Infektion), Diabetes etc. und allgemeinen (Fieber, Unwohlsein, Erschöpfung, Nachtschweiss, Appetit- und Gewichtsverlust) Anzeichen und/oder Nur Patienten mit unbehandelter Tuber- Symptomen. In der Frühphase der Erkran- kulose der Lungen und Atemwege kung sind die Symptome häufig nur schwach können die Erreger aushusten und so ausgeprägt. Kein klinisches Zeichen oder möglicherweise andere Personen infi Symptom ist für die Tuberkulose pathogno- zieren. Dies ist bei Kindern unter 10 Jah- monisch. Ältere Personen weisen oftmals ren selten. Die Gefahr einer Übertragung weniger Symptome auf. Der Tuberkulose- steigt, wenn Sputum produziert wird, verdacht gründet deshalb zusätzlich auf dieses wiederum eine grosse Zahl an dem Gesamtbild einer Reihe von Faktoren Erregern enthält und wenn ein physi und Hinweisen, wie Herkunft der betrof kalischer Mechanismus zur Produktion fenen Person, Dauer der Symptome, be- grosser Mengen kleinster Tröpfchen kannte frühere Exposition und radiolo- wirksam ist (bei Tuberkulosepatienten in gische Befunde. Schwindendes Interesse für erster Linie Husten). die Tuberkulose und seltener werdende Kenntnisse darüber bergen die Gefahr einer verzögerten Diagnosestellung mit entspre- chender Häufung fortgeschrittener Krank- 3.3 Klinisches Bild heitsformen. Die Tuberkulose betrifft meist das Lungen- parenchym (Lungentuberkulose), kann aber auch andere Organe befallen (extrapulmo- 9
3 Übertragung, Pathogenese und klinisches Bild 3.4 Radiologischer Befund Veränderungen im Thoraxröntgenbild sind üblicherweise der auffälligste Hinweis auf das Vorliegen einer Lungentuberkulose. Bei asymmetrischen Infiltraten in den Ober feldern (Abbildung 3-1), insbesondere mit kavernösem oder mikronodulärem Muster, besteht Tuberkuloseverdacht. Atypische Lokalisationen (Infiltrate in Unterfeldern) finden sich häufiger bei immungeschwäch- ten und älteren Personen. Kein radiolo gischer Befund ist jedoch spezifisch für eine Tuberkulose. Der radiologische Befund erlaubt keine Unterscheidung zwischen bakteriologisch aktiver, inaktiver oder ab geheilter Tuberkulose. Abbildung 3-1. Thoraxröntgenaufnahme eines Patienten mit sputummikroskopisch positiver Lungentuberkulose. Ausgedehnter bilateraler Befall mit asymmetrischen Infiltraten, miliaren Verschattungen und Kavernenbildung. Fallbeispiel Nr. 1 Ein 27-jähriger Patient aus Kamerun, Nichtraucher, mit seit drei Monaten pro- gredientem Husten und persistierendem Infiltrat im rechten Oberlappen leidet mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht an einer viralen Bronchitis! Fallbeispiel Nr. 2 Bei einer 14-jährigen Jugendlichen aus Angola, die in den letzten zwei Monaten zehn Kilogramm abgenommen hat und bei der kleinsten Anstrengung hustet, liegt wohl mehr als eine Depression im Jugendalter vor. 10
4 Latente Infektion mit M. tuberculosis Zwischen dem Erwerb einer Infektion mit Beide Testsysteme messen die Freisetzung M. tuberculosis und der klinischen Mani- von Zytokinen (hauptsächlich Interferon- festation einer Tuberkulose können Monate, Gamma) durch sensibilisierte T-Lympho Jahre oder sogar Jahrzehnte liegen; die zyten bzw. ihre Wirkungen zusammen mit Inkubationszeit der Tuberkulose lässt sich mykobakteriellen Antigenen. nicht eindeutig definieren. Dennoch gilt Ein positives Ergebnis in einem der beiden nicht automatisch das Prinzip «einmal in Tests ist ein Hinweis auf einen vorausgegan- fiziert, immer infiziert». Die in den acht genen Kontakt mit mykobakteriellen Anti- Jahrzehnten seit Aufstellung dieser Behaup- genen oder einem Mykobakterium, ist aber tung gewonnenen umfassenden bakterio kein Nachweis für weiterhin vorhandene logischen, histopathologischen, immunolo- lebende Mykobakterien. Aus diesem Grund gischen und epidemiologischen Daten legen können weder Tuberkulintest noch IGRAs nahe, dass ein lebenslanger Trägerstatus für zwischen einer zurückliegenden Infektion lebende Mykobakterien eher die Ausnahme mit M. tuberculosis, einer persistierenden als die Regel darstellt. latenten Infektion mit M. tuberculosis und Mit keinem der derzeit verfügbaren Tests einer klinisch oder mikrobiologisch manifes- lässt sich bestimmen, ob eine klinisch ge ten Tuberkulose unterscheiden. sunde Person, bei der ein Verdacht auf eine latente Infektion mit M. tuberculosis be- steht, tatsächlich Trägerin lebender Erreger Der Ausdruck «latente Infektion mit M. ist. Die uns zur Verfügung stehenden Tests tuberculosis» (insbesondere im US-ame- beruhen auf der durch M. tuberculosis in- rikanischen Sprachgebrauch auch als duzierten und durch Effektorzellen vermit- «latente Tuberkulose-Infektion» oder telten Immunreaktion, die mindestens zehn kurz «LTBI» bezeichnet) bei Vorliegen Jahre lang ausgelöst werden kann. Diese eines positiven Tuberkulintests oder IGRA persistierende Immunreaktivität zeigt sich ist daher etwas irreführend: Was anhand wohl am deutlichsten in der anhaltend po- dieser Tests nachgewiesen wird, ist die sitiven und allmählich schwächer werden- immunologische Spur eines früheren den Reaktion im Tuberkulintest nach einer Kontakts mit mykobakteriellen Anti BCG-Impfung. genen oder einer früheren Infektion mit M. tuberculosis und andere Mykobakterien einem Mykobakterium. Dies ist daher induzieren eine verzögerte zelluläre Immun- kein eindeutiger Beleg für eine persis reaktion, die auf der Sensibilisierung von tierende Infektion mit lebenden Erregern. T-Lymphozyten beruht. Diese Sensibilisie- Die Gefahr einer Progression zur Tuber- rung lässt sich nachweisen durch: kulose ist aber nur gegeben, wenn le – einen Tuberkulintest oder bende Mykobakterien vorhanden sind. – einen Bluttest (Interferon-Gamma Release Daher ist es nicht weiter überraschend, Assay, IGRA). 11
4 Latente Infektion mit M. tuberculosis Bei der Bewertung des Tuberkuloserisikos dass sowohl der Tuberkulintest als auch müssen folgende Faktoren berücksichtigt IGRAs relativ schlechte Prädiktoren im werden: Hinblick auf eine zukünftige Tuberkulose – das Alter der Person, erkrankung darstellen (die überwiegende – die seit Erwerb der Infektion verstrichene Mehrheit der positiv getesteten Personen Zeit, entwickelt zeitlebens keine Tuberkulose). – die Intaktheit des zellulären Immun Dagegen verbessert sich mit abnehmen- systems. der effektiver Prävalenz einer M.-tuber- culosis-Infektion der negative Vorhersa- Bei Vorliegen einer persistierenden Infektion gewert, d. h. die Wahrscheinlichkeit, dass hängt das Risiko der Progression zur Tuber- eine Person mit negativem Ergebnis im kulose von der Qualität der Immunabwehr Tuberkulintest bzw. im IGRA (ausgenom- der infizierten Person ab. Bei Kindern unter men Fälle, in denen eine Anergie vorliegt) 5 Jahren, insbesondere bei Kindern im ersten keine Tuberkulose entwickelt. Lebensjahr, anderen frisch infizierten Per sonen sowie Personen mit beeinträchtig- Abbildung 4-1. Prävalenz und Inzidenz von Tuberkulose bei frisch infizierten Kontaktpersonen im gleichen Haushalt, nach dem zeitlichen Abstand seit der Identifizierung des Indexfalls. Studie des United States Public Health Service. 40 Initial prevalence Incidence during follow-up Cases per 1,000 persons 30 5-year cumulative: 64 per 1,000 20 10 0 2 4 6 8 10 12 Year of observation Ferebee S H, Mount F W. Am Rev Respir Dis 1962;85:490-521 Ferebee S H. Adv Tuberc Res 1970;17:28-106 12
4 Latente Infektion mit M. tuberculosis ter Immunfunktion (HIV, Behandlung mit Bei der Wahl eines Schwellenwerts für die TNF-alpha-Hemmern etc.) besteht ein er- Bezeichnung einer Reaktion als «signifi- höhtes Risiko einer Progression zur Tuber- kant» oder «positiv» werden Sensitivität kulose. In diesen Fällen ist daher eine medi- und Spezifität des Tests gegeneinander ab- kamentöse Prävention vorrangig angezeigt. gewogen. Das Tuberkuloserisiko ist in den ersten zwei Die Spezifität des Tuberkulintests weist Jahren nach der Ansteckung am höchsten stärkere Schwankungen auf als seine Sen und nimmt dann ab, geht aber niemals ganz sitivität, da sie von der unterschiedlichen zurück (Abbildung 4-1). Prävalenz von Kreuzreaktionen infolge einer früheren Infektion mit anderen Myko bakterienarten (M. bovis BCG oder ver- 4.1 Tuberkulintest schiedenen Umweltmykobakterien) und der seit dieser letzteren Infektion verstrichenen Tuberkulin enthält eine grosse Zahl unter- Zeit abhängt. schiedlicher mykobakterieller Peptide, von Die Sensitivität des Tuberkulintests ist kons denen die meisten auch in M. bovis BCG tanter als die Spezifität. Wenn anergische sowie in geringerem Umfang in einigen oder teilweise anergische Personen (d. h. Arten von Umweltmykobakterien zu finden Personen, die trotz Infektion mit M. tuber- sind. culosis nicht angemessen auf Tuberkulin Zur Durchführung wird ausschliesslich die reagieren können) ausgeschlossen werden, intradermale Technik empfohlen. Eine Dosis hat ein Indurationsdurchmesser von 10 Mil- von 0,1 ml Tuberkulin PPD RT23 (2 Tuber- limetern oder mehr eine Sensitivität von kulineinheiten) wird intradermal an der Beu- ca. 90 % und ein Durchmesser von 5 Milli- geseite des Unterarms injiziert. Zur Injektion metern oder mehr eine Sensitivität von ca. wird eine 1-ml-Spritze mit Kurzschliffnadel 99 % (bezogen auf alle, die mit > 0 mm (26 G) verwendet. Die Haut wird leicht ge- reagieren) (Abbildung 4-2). spannt und die Spitze mit der angeschrägten Die Sensitivität eines Tests kann nur auf Seite nach oben in die oberste Hautschicht Kosten der Spezifität erhöht werden: Mit eingeführt. zunehmender Sensitivität nimmt die Spezi- Die Reaktionsstärke wird frühestens 48 fität ab. Dennoch besteht ein allgemeiner Stunden (vorzugsweise 72 Stunden) nach Konsens darüber, dass bei Kontaktpersonen der Injektion beurteilt. Dazu wird der die höhere Sensitivität Vorrang hat. Dabei Querdurchmesser, d. h. der senkrecht zur wird in Kauf genommen, dass einzelne Unterarm-Längsachse gemessene Durch- Personen als infiziert betrachtet werden, messer der Induration in Millimetern er obwohl sie es eigentlich nicht sind. Der Vor- hoben. Wichtig: Nur die Induration wird hersagewert eines positiven Tuberkulintests gemessen, nicht aber allfällige Ödeme oder verbessert sich bei einer gezielten Um Erytheme. gebungsuntersuchung, da hier die erwar 13
4 Latente Infektion mit M. tuberculosis Abbildung 4-2. Sensitivität des Tuberkulintests nach Indurationsdurchmesser bei Erwachsenen im Alter zwischen 15 und 29 Jahren. Mit Mischanalyse modellierte Daten der Tuberkulin- erhebung von Tumkur, Indien. 100 Sensitivity (per cent) 80 60 40 20 0 5 10 15 20 25 30 Induration (mm) Original data: Narain R, et al. Bull World Health Organ 1963;29:641-64 tete Prävalenz einer tatsächlichen Infektion 4.2 Interferon-Gamma Release höher ist. Bei der gezielten Umgebungs Assays (IGRAs) untersuchung wird empfohlen, nicht BCG- geimpfte Kontaktpersonen ab einem In- IGRAs (zwei kommerzielle Tests sind derzeit durationsdurchmesser von 5 Millimetern als bei Swissmedic registriert) weisen nur zwei «positiv» und präventiv behandlungsbe- (oder drei) unterschiedliche Peptide von dürftig einzustufen. Solch niedrige Grenz pathogenen Spezies des M.-tuberculosis- werte wurden auch für andere Personen mit Komplexes nach (nicht vorhanden in besonders hohem Tuberkuloserisiko emp- M. bovis BCG und M. microti, jedoch vor- fohlen (z. B. Personen mit HIV-Infektion). Es handen auch in M. marinum, M. kansasii liegen allerdings Hinweise darauf vor, dass und M. szulgai). Die Ergebnisse der IGRA- der angestrebte Gewinn an Sensitivität Bluttests werden daher nicht durch eine relativ gering ist, während der damit einher- frühere BCG-Impfung oder die häufigsten gehende Verlust an Spezifität grösser ist. Umweltmykobakterien beeinflusst. Gegen- 14
4 Latente Infektion mit M. tuberculosis über dem Tuberkulintest weisen IGRAs eine 4.3 Indikationen für die Testung vergleichbare Sensitivität, jedoch eine hö asymptomatischer Personen here Spezifität auf. IGRAs messen die Kon- zentration des von Lymphozyten nach In auf eine latente Infektion kubation einer Blutprobe mit spezifischen Peptiden freigesetzten Interferon-Gamma. – Suche nach einer möglichen Infektion Das Testergebnis wird entweder in Interna- mit M. tuberculosis bei Personen, die tionalen Einheiten/ml (QuantiFERON-TB® kürzlich mit einer an ansteckender Gold In-Tube) oder als Zahl der Interferon- Lungentuberkulose erkrankten Person Gamma-produzierenden Lymphozyten pro Kontakt hatten (Umgebungsuntersu- 250 000 Zellen (T-SPOT®.TB) angegeben. chung). Die technischen Vorgaben des Herstellers – Suche nach einer möglichen Infektion sind unbedingt einzuhalten. Insbesondere mit M. tuberculosis bei immunge- dürfen die Blutproben nicht der Kälte aus- schwächten Personen (Ausgangsunter- gesetzt werden (Lymphozytenhemmung). suchung bei Personen mit HIV-Infek Bei Kindern unter 5 Jahren ist der Anteil tion, vor immunsuppressiver Behandlung nicht interpretierbarer Resultate höher. Der [z. B. mit TNF-Alpha-Hemmern] oder Stellenwert der IGRAs bei Säuglingen und vor einer Organtransplantation). Kleinkindern wird derzeit noch kontrovers – Suche nach einer möglichen Infektion diskutiert. mit M. tuberculosis bei Personen, die beruflich exponiert waren (Beschäftigte im Gesundheits- oder Sozialwesen und Laborpersonal), oder um einen Aus- gangswert vor Antritt einer Beschäfti- gung in einer Umgebung mit erhöhtem Expositionsrisiko zu haben. – Eine systematische Testung (Screening) auf eine latente Infektion ist derzeit in keiner Situation als den oben genann- ten angezeigt (schlechter Vorhersage- wert eines positiven Testergebnisses bei ungezielter Reihenuntersuchung). 15
4 Latente Infektion mit M. tuberculosis Durch den Nachweis einer Infektion mit schiedlicher namhafter Gesellschaften (z. B. M. tuberculosis können Tuberkulintest und Leitlinien des britischen National Institute for IGRAs in bestimmten klinischen Situationen Health and Care Excellence [NICE], Cana ausserdem ergänzende Hinweise liefern: dian Thoracic Society). Mit zunehmendem Sie können allenfalls zur diagnostischen Kenntnisstand wird vermutlich eine entspre- Abklärung Tuberkulose-kompatibler An chende Anpassung dieser Empfehlungen zeichen oder Symptome beitragen, wenn erforderlich. eine bakteriologische Bestätigung der Tu- Zur Testung auf eine latente Infektion wer- berkulose schwierig ist (z. B. bei Kleinkindern den drei Strategien befürwortet: oder Patienten mit bestimmten extrapul – Tuberkulintest mit anschliessender IGRA- monalen Tuberkuloseformen). Dabei ist Bestätigung eines positiven Ergebnisses jedoch stets zu beachten, dass IGRAs und – Verwendung eines IGRA als einziger der Tuberkulintest nicht zwischen einer la- Test tenten Infektion mit M. tuberculosis und – Verwendung des Tuberkulintests als einzi- (klinisch manifester) Tuberkulose unter- ger Test scheiden können. IGRAs verfügen zwar generell über eine hö- Tuberkulintest mit anschliessender IGRA- here Spezifität als der Tuberkulintest, sind Bestätigung eines positiven Ergebnisses aber mit anderen Nachteilen behaftet, z. B. Dieser zweistufige Ansatz basiert auf dem Schwankungen der Testreaktivität, wodurch Prinzip der sequenziellen Testung, bei der häufiger als beim Tuberkulintest «Konver zunächst ein Test mit hoher Sensitivität und sionen» und «Reversionen» festgestellt in einem zweiten Schritt ein Test mit hoher werden. Neuere Ergebnisse zu mangelnder Spezifität zur Anwendung kommt. Das Spezifität von IGRAs in seriellen Untersu- bedeutet, dass im ersten Test alle Personen chungen legen nahe, dass die Grenzwerte identifiziert werden, die möglicherweise dieser Tests neu bewertet und «Grauzonen» das gesuchte Merkmal (in diesem Fall eine genauer definiert werden sollten. latente Infektion mit M. tuberculosis) auf- weisen. Im zweiten Test wird das Vorliegen des Merkmals bestätigt. Damit sollen un 4.4 Auswahl der Test-Art nötige Massnahmen (in diesem Fall die prä- ventive Behandlung) vermieden werden. Empfehlungsgrundlage Nachteile der sequenziellen Testung sind die Die Empfehlungen des vorliegenden Ab- höheren Kosten für den zweistufigen Test schnitts widerspiegeln die tatsächliche Praxis und die noch nicht ausreichend charakteri- in der Schweiz, die Lücken des aktuellen sierten Leistungsmerkmale der beiden Test- Wissensstands und nicht zuletzt auch die systeme. Diese variieren möglicherweise Diskordanzen in den Empfehlungen unter- stark in Abhängigkeit von umgebungs- und 16
4 Latente Infektion mit M. tuberculosis patientenspezifischen Faktoren (insbeson- Verwendung des Tuberkulintests dere dem Alter der getesteten Person). Das als einziger Test letztgenannte Problem stellt sich insbeson- Der Tuberkulintest stellt in zwei Situationen dere bei BCG-geimpften Personen, mögli- den bevorzugten Ansatz dar. cherweise sogar noch bis zu 15 Jahre Erstens bei wiederholten (seriellen) Untersu- nach der Impfung. Der Einfluss von BCG auf chungen von Beschäftigten im Gesundheits- den Tuberkulintest hängt hauptsächlich ab wesen, sofern diese vorgesehen sind (ver- vom BCG-Impfstamm, dem Alter zum Zeit- breitet in Nordamerika). Mehrere Studien zu punkt der Impfung, der seit der Impfung solchen Untersuchungen haben mittlerweile verstrichenen Zeit und einem möglichen eine ausserordentlich hohe Rate an offen- Booster-Effekt durch Infektionen mit Um- sichtlich falsch-positiven IGRA-Ergebnissen weltmykobakterien. Daher erscheint eine belegt, also Konversionen bei Personen, bei sequenzielle Teststrategie sinnvoll. denen gar kein Kontakt mit einer Infektions- quelle festgestellt werden konnte. Beim Verwendung eines IGRA als einziger Test Tuberkulintest zeigte sich bei gleichzeitiger Generell ist die Sensitivität eines IGRA Anwendung in den entsprechenden Situa wenig anfällig gegenüber Störeinflüssen tionen kein vergleichbares Phänomen. (vergleichbar mit dem Tuberkulintest), bei Zweitens bei der Abklärung von Kin- gegenüber dem Tuberkulintest insgesamt dern, insbesondere der Altersgruppe unter höherer Spezifität. Daher verlässt man sich 5 Jahren, bei der die Zuverlässigkeit von bei Erwachsenen immer häufiger aus- IGRAs nicht ausreichend erwiesen ist. In ei- schliesslich auf einen IGRA. nigen Studien wurde im Vergleich zu älteren Bei BCG-geimpften Kindern unter 5 Jahren Kindern eine sehr hohe Rate an nicht inter- mag der alleinige Einsatz eines IGRA beson- pretierbaren Ergebnissen festgestellt. ders vorteilhaft erscheinen. Leider liefern IGRAs jedoch gerade bei dieser Altersgruppe In der Schweiz empfohlene Teststrategie, relativ häufig nicht interpretierbare Ergeb- wenn die Untersuchung auf eine latente nisse und stellen damit keine zufriedenstel- Infektion angezeigt ist lende Strategie dar (siehe unten). Hier werden bei Erwachsenen, die Kontakt IGRAs können also in bestimmten Situatio- mit einer nachweislich an potenziell an nen den Tuberkulintest nicht ersetzen. Nebst steckender Tuberkulose erkrankten Person den Kindern, bei denen viele Experten noch hatten, beide Ansätze empfohlen, d. h. 1) für den Tuberkulintest plädieren, ist eine ein Tuberkulintest mit anschliessendem weitere solche Situation die wiederholte IGRA oder 2) ausschliesslich ein IGRA-Test. Untersuchung von Beschäftigten im Ge- Dies entspricht den Empfehlungen, die be- sundheitswesen zur Überwachung von reits in der ersten Fassung dieser Leitlinien nosokomialen Übertragungen. (2012) herausgegeben wurden. 17
4 Latente Infektion mit M. tuberculosis Eine Ausnahme von der oben genannten Empfehlung bildet die Untersuchung von – Isoniazid täglich über einen Zeitraum Kindern auf eine latente Infektion mit von 9 Monaten oder M. tuberculosis, insbesondere von Kindern – Rifampicin täglich über einen Zeitraum unter 5 Jahren. Aufgrund der relativen von 4 Monaten oder Häufung von nicht interpretierbaren IGRA- – Isoniazid und Rifampicin täglich über Ergebnissen in dieser Altersgruppe sollte hier einen Zeitraum von 3 Monaten. vorzugsweise der Tuberkulintest eingesetzt werden. Für die präventive Therapie mit Isoniazid Empfehlung zur Aufgabe von wiederholten liegt über alle Altersgruppen hinweg die um- Tests bei Beschäftigten im Gesundheits fassendste Erfahrung aus einschlägigen Stu- wesen dien vor. Die Studien zu Rifampicin waren Routinemässige wiederholte Untersuchun- bisher weitgehend auf Erwachsene be- gen von Beschäftigten im Gesundheitswe- schränkt. Dennoch werden die hier genann- sen ohne bekannte Exposition gegenüber ten Optionen unabhängig von der Alters- einem potenziell ansteckenden Fall werden gruppe in allen Fällen empfohlen, in denen in der Schweiz nicht mehr empfohlen. Hinter eine präventive Therapie für notwendig dieser Entscheidung steht das allgemeine erachtet wird. Für alle Therapieoptionen Prinzip, dass ein Test nur durchgeführt wer- gelten die entsprechenden Vorsichtsmass- den sollte, wenn ein erhöhtes Infektions nahmen bei Patienten und Patientinnen mit risiko besteht und eine präventive Therapie akuten oder chronischen Leberfunktions einen konkreten Nutzen bringen kann. störungen. In diesen Fällen ist die Beizie- hung eines Facharztes angezeigt. Kontaktpersonen, bei denen eine Infektion 4.5 Behandlungsoptionen durch einen Indexfall mit Isoniazid-resisten- bei latenter Infektion mit ter Tuberkulose festgestellt wurde, sollte eine der Optionen auf Basis von Rifampicin M. tuberculosis nahegelegt werden. Personen, die als mit M. tuberculosis infi- Bei korrekter Befolgung kann die präventive ziert gelten und ein erhöhtes Risiko für die Behandlung einer latenten Infektion mit Entwicklung einer Tuberkulose aufweisen, M. tuberculosis das Risiko einer Progression sollten eine präventive Therapie (mittlerweile zur Tuberkulose um bis zu 90 % senken. Die häufig auch als «Behandlung der latenten Verträglichkeit der präventiven Therapie Infektion mit M. tuberculosis» bezeichnet) und die Therapieadhärenz müssen regel- erhalten. Hier stehen drei Therapieschemata mässig kontrolliert werden. Die monatliche mit ähnlicher Wirksamkeit zur Auswahl: Kontrolle der Leberenzymwerte ist bei Per- 18
4 Latente Infektion mit M. tuberculosis sonen unter 35 Jahren nicht vorgeschrieben, sofern keine Lebererkrankung und kein regelmässiger Alkoholkonsum bekannt sind und die Person keine anderen leberschädi- genden Arzneimittel erhält. Das Risiko arzneimittelinduzierter Leber- funktionsbeeinträchtigungen muss gegen den Nutzen der präventiven Therapie abge- wogen werden. Bei langjähriger Infektion ohne bekannte zusätzliche Risikofaktoren überwiegt ab einem gewissen (nicht genau definierten) Alter das Hepatitisrisiko gegen- über dem Tuberkuloserisiko. Bei Personen mit Risikofaktoren (z. B. frisch erworbene Infektion) ist das erwartete Hepatitisrisiko in Fällen ohne vorbestehende Leberfunk tionsbeeinträchtigung in jedem Alter wahr- scheinlich geringer als das Risiko einer Pro- gression zur Tuberkuloseerkrankung. 19
5 Umgebungsuntersuchung Das Ziel der Umgebungsuntersuchung ist, alle diejenigen Kontaktpersonen einer an Übertragungsquellen für M. tuberculosis ansteckender Lungentuberkulose erkrank- – An Tuberkulose erkrankte Personen, ten Person zu identifizieren, die möglicher- deren Atemwegssekrete M. tubercu weise infiziert wurden oder schon an Tuber- losis enthalten, sind potenzielle Über- kulose erkrankt sind. Bei frisch infizierten träger, allerdings nicht alle in gleichem Personen lässt sich das Risiko einer Tuber- Masse. Eine potenzielle Übertragungs- kuloseerkrankung durch eine präventive quelle ist definitionsgemäss eine Per- Therapie deutlich senken. son, in deren Proben aus den Atemwe- gen unter dem Mikroskop säurefeste Stäbchenbakterien nachgewiesen wer- Das Risiko einer Infektion mit den (positiver Ausstrich). Eine solche M. tuberculosis hängt weitgehend von Probe kann von spontan produziertem folgenden exogenen Faktoren ab: oder induziertem Sputum stammen – der Konzentration von M. tuberculosis oder bronchoskopisch gewonnen wer- in der Umgebungsluft und den (Bronchialabsaugung oder bron- – der Expositionsdauer, d. h. der gesam- choalveoläre Lavage). Ein europäisches ten (Atem-)Zeit in dieser Luft. Konsensusgremium kam ausserdem – etwas willkürlicherweise – überein, dass ein relevantes Risiko einer Infektion mit M. tuberculosis nur bei Kontaktperso- Das Risiko einer Progression zur Tuber- nen besteht, die sich länger als insge- kulose hängt von folgenden endogenen samt 8 Stunden mit solch einer Person Faktoren ab: mit positivem Ausstrich im gleichen –A lter der Kontaktperson, Raum aufhalten. –Z eit seit der Infizierung und – Tuberkulosepatienten, deren Atem- –Intaktheit des zellulären Immunsys- wegssekrete nur kulturell oder in tems. Nukleinsäure-Amplifikationsassays (z. B. Xpert MTB/RIF® Assay) positiv getestet werden, stellen ein geringeres Risiko dar. In solchen Fällen gelten lediglich enge Kontaktpersonen (z. B. Familienangehörige) als einem erhöh- ten Risiko ausgesetzt sowie Personen, deren kumulative Expositionsdauer in geschlossenen Räumen 40 Stunden überschreitet. 20
5 Umgebungsuntersuchung In der Schweiz sind die Kantonsarztämter 5.1 A blauf einer Umgebungs zuständig dafür, dass Umgebungsunter untersuchung suchungen durchgeführt werden. Durch geführt wird die Umgebungsuntersuchung Zunächst wird gemeinsam mit dem Indexfall durch speziell geschultes, erfahrenes Per eine vollständige Liste aller Personen erstellt, sonal (in der Regel die kantonale Lungenliga die im Zeitraum von 3 Monaten vor der oder Mitarbeitende des Kantonsarztamtes), Diagnose oder dem Behandlungsbeginn in enger Zusammenarbeit mit der behan- einen räumlich und zeitlich relevanten Kon- delnden Ärztin oder dem behandelnden takt mit ihm hatten. Nach Möglichkeit wer- Arzt und dem zuständigen Kantonsarzt oder den die Kontaktpersonen nach dem Grad der zuständigen Kantonsärztin. der Exposition in Gruppen unterteilt. Lebt die erkrankte Person in einem institu- tionellen Rahmen (Krankenhaus, Pflege- Indikationen für die Durchführung einer heim, Sozialwohnheim, Aufnahmestelle für Umgebungsuntersuchung Immigranten und Immigrantinnen, Haftan- – Indexfall mit Lungentuberkulose und stalt), wird die Liste mit Unterstützung einer mikroskopisch positivem Ausstrich zuständigen Person der Institution zusam- (spontanes oder induziertes Sputum mengestellt. bzw. mittels bronchoalveolärer Lavage Mit Blick auf eine möglichst zweckmässige oder Bronchialabsaugung gewonnene Planung der Umgebungsuntersuchung ist Proben). die Liste so zügig wie möglich zu erstellen – Indexfall mit Lungentuberkulose und (in den ersten Tagen nach Behandlungs kulturellem Erregernachweis (sponta- beginn und Meldung). nes oder induziertes Sputum oder Im nächsten Schritt werden Personen, die mittels bronchoalveolärer Lavage bzw. engen Kontakt mit der erkrankten Person Bronchialabsaugung gewonnene Pro- hatten, auf Symptome untersucht und ben) oder mit einem positiven Ergebnis einem Tuberkulintest oder einem IGRA un- nur in einem Nukleinsäuren-Amplifika- terzogen. tionsassay. Bei solchen Indexfällen be- Unabhängig vom Expositionsgrad werden schränkt sich die Umgebungsunter bei der Umgebungsuntersuchung Kinder suchung auf enge Kontaktpersonen unter 12 Jahren und immungeschwächte (oder Personen mit mehr als 40-stün- Personen vorrangig und ohne Wartezeit diger kumulativer Expositionsdauer) untersucht und getestet. Bei Kindern unter und Säuglinge bzw. Kleinkinder. 5 Jahren sind stets so rasch wie mög- lich eine klinische Untersuchung und eine Thoraxröntgenaufnahme durchzuführen. Wenn eine Erkrankung ausgeschlossen werden kann, wird unverzüglich eine pro- 21
5 Umgebungsuntersuchung phylaktische Behandlung mit Isoniazid ein- tigung des Immunsystems vorliegt – ver- geleitet. Bei einem negativen ersten Tu nachlässigbar gering. berkulintest wird 2 Monate nach dem Da häufig weder der BCG-Impfstatus noch letzten effektiven Kontakt mit der erkrank- gegebenenfalls das Impfalter bekannt sind, ten Person (aus praktischen Gründen defi- berücksichtigt das empfohlene Vorgehen niert als letzter Kontakt vor Beginn der den BCG-Impfstatus nicht. Behandlung des Indexfalls) ein Kontrolltest durchgeführt. Fällt der Tuberkulintest bzw. der IGRA wieder negativ aus, kann eine Infektion mit einiger Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen und eine begonnene prä- ventive Behandlung abgebrochen werden. Bei allen Kontaktpersonen mit Tuberkulose- kompatiblen Anzeichen oder Symptomen ist möglichst umgehend eine medizinische Abklärung (einschliesslich Thoraxröntgen- aufnahme) erforderlich. Alle sonstigen Kontaktpersonen können zu einem gemein- samen Termin mindestens acht Wochen nach dem letzten effektiven Kontakt unter- sucht werden. Ausschliesslich bei Kontakt- personen mit positivem Testergebnis ist eine Abklärung (Thoraxröntgenaufnahme) er forderlich, um eine Tuberkulose und damit die Notwendigkeit einer vollen (kurativen) Therapie auszuschliessen. Das konkrete Risiko einer Progression zur Tuberkulose besteht nur bei gemäss Tuber- kulintest oder IGRA mutmasslich infizierten Personen. Diese Personen müssen über das Risiko einer möglichen Tuberkuloseerkran- kung aufgeklärt werden und, sofern keine Kontraindikation besteht, Zugang zu einer präventiven Therapie erhalten. Bei Kontaktpersonen, die mehr als 8 Wo- chen nach dem letzten effektiven Kontakt ein negatives Testergebnis aufweisen, ist das Erkrankungsrisiko – wenn keine Beeinträch- 22
5 Umgebungsuntersuchung 5.2 Besonderes Vorgehen bei der Umgebungsuntersuchung je nach Alter und Immunstatus Vorgehen bei immunkompetenten Kontaktpersonen ab 12 Jahren 8 Wochen nach Kontakt (8 Wochen entsprechen etwa Tuberkulintest oder der medianen Latenzphase IGRA der spezifischen zellvermittelten Immunantwort) Tuberkulintest Negatives Ergebnis Keine weiteren Untersuchungen Positives Ergebnis IGRA zur Bestätigung IGRA Positives Ergebnis Medizinische Abklärung und Thoraxröntgenaufnahme Thoraxröntgen Normal Präventive Therapie, sofern keine aufnahme Kontraindikation vorliegt zum Ausschluss einer Auffällig Weitere Abklärung (einschliesslich aktiven TB Anlegen von Kulturen) Tuberkulosebehandlung, sofern angezeigt 23
5 Umgebungsuntersuchung Vorgehen bei Kontaktpersonen bis zum Alter von 12 Jahren und bei immungeschwächten Kontaktpersonen Kinder ab 5 Jahren bis vor Vollendung Tuberkulose über einen Gesamtbehand- des 12. Lebensjahres: lungszeitraum von 9 Monaten fortzu – S ofortige Testung führen. – Bei Kindern mit negativem erstem Test wird im Abstand von 8 Wochen ein zwei- Neugeborene bis zur Vollendung ter Test durchgeführt. des ersten Lebensmonats: Hier ist die Untersuchung durch einen Kinder unter 5 Jahren: Spezialisten erforderlich. Sofortige fachärztliche Untersuchung, ein- schliesslich Thoraxröntgenaufnahme. Kin- Immungeschwächte Personen: der unter 5 Jahren mit negativem erstem Immungeschwächte Personen (HIV-In Test und ohne aktive Tuberkulose sollten fektion, arzneimittelinduzierte Immunsup- eine Isoniazid-Behandlung erhalten und im pression, Transplantation, Niereninsuffizi- Abstand von 8 Wochen noch einmal ge- enz etc.) müssen sofort getestet werden testet werden. Fällt auch der zweite Test (vorzugsweise mittels IGRA). Bei einem negativ aus, kann die Behandlung abge- negativen Ergebnis wird der Test im Ab- brochen werden. Fällt der zweite Test da- stand von 8 Wochen wiederholt. Fällt der gegen positiv aus (Konversion), ist das zweite Test positiv aus, ist nach Ausschluss betroffene Kind erneut einer Untersu- einer aktiven Tuberkulose (klinische und chung zu unterziehen und die präventive radiologische Abklärung) eine präventive Therapie nach Ausschluss einer aktiven Therapie indiziert. 24
6 Diagnose der Erkrankung Die Diagnose einer aktiven Tuberkulose wird eine Bronchoskopie ersetzen und eignet sich durch den Nachweis einer pathogenen Spe- auch bei Kindern im Schulalter. zies des M.-tuberculosis-Komplexes in einer Die mikroskopische Untersuchung der ge- biologischen Probe (Sputum, Bronchial färbten Sputumausstriche (Hellfeld-Mikro sekret, Pleura- oder andere Flüssigkeit, skopie mit Ziehl-Neelsen-Färbung oder Gewebe, bei Kindern Magensaftaspirat) ge- Fluoreszenzmikroskopie mit Auramin O sichert. Im Rahmen der epidemiologischen oder einem Derivat) ist nach wie vor das Überwachung (Meldesystem) spricht man in schnellste Verfahren zur Vermutungsdia diesem Fall von einem bestätigten Tuberku- gnose einer multibazillären Tuberkulose. Sie losefall. ermöglicht ausserdem die rasche Beurteilung Eine klinisch und radiologisch diagnostizierte der relativen Infektiosität des Patienten oder Tuberkulose gilt dagegen als wahrschein der Patientin, die wiederum als Indikator für licher oder nicht bestätigter Fall. Solche Fälle die erforderliche Ausdehnung der Umge- müssen, ebenso wie eine zum Zeitpunkt des bungsuntersuchung dient. Die Mikroskopie Todes diagnostizierte Tuberkulose, ebenfalls ist für die Feststellung einer Tuberkulose gemeldet werden. allerdings wesentlich weniger empfindlich Immunologische Tests (Tuberkulintest und als die Kultur. Dennoch stellt die mikrosko- IGRAs) sind indirekte Tests und weisen die pische Untersuchung ein hochempfindliches Immunantwort auf eine vorbestehende my- Instrument zur Erkennung effektiver Über- kobakterielle Infektion nach. Sie eignen sich träger dar. weder zur Bestätigung einer aktiven Erkran- kung (Tuberkulose) noch erbringen sie den Nachweis, dass noch lebende Erreger vor- handen sind. Bei Patienten, bei denen aufgrund der klini- schen oder radiologischen Befunde Verdacht auf das Vorliegen einer Tuberkulose besteht, Fallbeispiel Nr. 3 müssen mehrere Proben genommen werden Ein 27-jähriger Schweizer Bankangestell- (in der Schweiz werden mindestens drei ter leidet an anhaltendem Husten und Proben empfohlen), von denen mindestens einem sich allmählich ausdehnenden ka- eine frühmorgens (vorzugsweise beim Auf- vernösen Infiltrat im linken Oberlappen. stehen) gewonnen werden muss. Die Induk- Die erste bakteriologische Sputumunter- tion mit einem Aerosol aus 3- bis 6-prozen- suchung wird nach 18 Monaten vom tiger hypertonischer Kochsalzlösung (mit Hausarzt verordnet und liefert ein ein- Salbutamol) erleichtert die Sputumproduk deutig positives direktmikroskopisches tion bei Patienten, die keine spontane Probe Resultat. «An Tuberkulose denken!» abgeben können. Dieses Verfahren kann oft 25
6 Diagnose der Erkrankung Die mikroskopische Untersuchung muss stets Arzneimittel sollten stets phänotypisch be- durch den kulturellen Nachweis auf Fest- stätigt werden, da genotypische Systeme und Flüssignährmedien ergänzt werden. Dies bezüglich ihrer Qualitätsmerkmale den klas- erhöht die diagnostische Empfindlichkeit, sischen phänotypischen Tests noch immer ermöglicht eine spezifische Diagnosesiche- unterlegen sind. rung der Tuberkulose und gestattet bei kul- Die tatsächliche klinische Korrelation der tureller Bestätigung die weitere Abklärung, Ergebnisse aus den Resistenzprüfungen ist z. B. durch Resistenztests oder molekulare für einige, jedoch nicht für alle Antituberku- Charakterisierung des Erregerstamms. lotika gesichert. Nach Informationen des Bei klinisch hohem Tuberkuloseverdacht und internationalen Netzwerks der supranatio- negativem Mikroskopiebefund kann zur nalen Referenzlabors sind sowohl die Test- zeitnahen, spezifischen Tuberkulosediagno- merkmale (Empfindlichkeit und Spezifität) se ein Nukleinsäuren-Amplifikationsassay als auch die Reproduzierbarkeit für Isoniazid (z. B. Xpert MTB/RIF® Assay) eingesetzt werden. Bei Patienten, bei denen ein erhöhtes Risiko von Arzneimittelresistenzen besteht (frühere Fallbeispiel Nr. 4 Behandlungen, Therapieversagen, Rezidive, Bei einem jungen Asylsuchenden aus Kontakt mit Fällen mit bekannter Medika- Georgien werden bei der Einreise in mentenresistenz, Herkunft aus einer Region die Schweiz chronischer Husten und mit hoher Prävalenz von Resistenzen), ist Gewichtsabnahme festgestellt. Nach eine schnelle, empfindliche und spezifische eigenen Angaben hat er in seinem Her- genotypische Rifampicin-Resistenzprüfung kunftsland bereits eine Behandlung unerlässlich. unbekannter Art und Dauer gegen Tu- Ob das Ergebnis eines genotypischen Rifam- berkulose erhalten. Im Thoraxröntgen- picin-Resistenztests routinemässig der Be- bild ist ein Infiltrat im linken Oberlappen stätigung durch einen phänotypischen Test zu erkennen, das als «Vernarbung eines bedarf, ist noch nicht eindeutig geklärt und ausgeheilten Tuberkuloseherdes» inter- hängt möglicherweise vom verwendeten pretiert wird. Eine Sputumuntersuchung Testsystem ab. Es konnte gezeigt werden, wird nicht durchgeführt. Drei Wochen dass phänotypische Tests mit bestimmten später wird der Patient stationär aufge- handelsüblichen Systemen auf Basis von nommen. Es wird eine multiresistente Flüssignährmedien gewisse klinisch relevan- Tuberkulose mit positivem Sputumaus- te Mutationen nicht erkennen. Das Natio- strich festgestellt. Zu diesem Zeitpunkt nale Zentrum für Mykobakterien empfiehlt waren bereits die Zimmernachbarn und einen phänotypischen Test zur Bestätigung das Personal exponiert worden. «An auch für Rifampicin. Die Ergebnisse der Tuberkulose denken!» genotypischen Resistenztests für andere 26
6 Diagnose der Erkrankung und Rifampicin im Allgemeinen gut. Im Ge- gensatz dazu fielen die Tests mit Ethambutol und Streptomycin für alle evaluierten Cha- rakteristika ungünstig aus. Noch weniger ist über die Genauigkeit und Reproduzierbar- keit der Resistenztests mit Zweitlinien- Medikamenten (verwendet bei multiresis- tenter Tuberkulose) bekannt. Die Ergebnisse können bei einigen dieser Wirkstoffe (z. B. Cycloserin) so unzuverlässig sein, dass sie von den meisten Experten gar nicht in Be- tracht gezogen werden. Bei Patienten mit Rifampicin-resistenter Tuberkulose sollten beim Labor Resistenz- tests auf folgende Medikamente ange fordert werden: Pyrazinamid (sofern dies nicht bereits, wie in der Schweiz üblich, routinemässig erfolgt ist), mindestens eines der injizierbaren Zweitlinien-Medikamente (Kanamycin, Amikacin, Capreomycin) sowie ein Fluorchinolon (Letzteres vorzugsweise mit Bestimmung der minimalen Hemm konzentration). Diese Tests können eine wichtige Orientierungshilfe bezüglich der empfohlenen Behandlungsschemata bei multiresistenter Tuberkulose geben. 27
7 Behandlung der Tuberkulose 7.1 Standard-Therapieschema Die Tuberkulose wird mit einer Kombination unterschiedlicher Antituberkulotika über Vor Beginn einer Tuberkulosebehandlung ist mehrere Monate behandelt. Die vier am es unerlässlich, häufigsten eingesetzten Antituberkulotika der ersten Behandlungslinie sind Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol. – die empfohlene diagnostische Abklä- Tabelle 7-1 fasst die derzeitigen Dosierungs- rung vollumfänglich durchzuführen, empfehlungen der Weltgesundheitsorgani- insbesondere die Abnahme geeigneter sation zusammen. Proben für die mikrobiologischen Un- tersuchungen, – eine Risikobewertung bezüglich einer Medikamentenresistenz vorzunehmen, insbesondere gegen Rifampicin (wich- tigster Wirkstoff der ersten Behand- lungslinie und meist ein Hinweis auf eine kombinierte Rifampicin-Isonia- zid-Resistenz, d. h. eine Multiresistenz [multi-drug resistance, MDR]), – den Immunstatus des Patienten / der Patientin abzuklären (HIV-Test). Tabelle 7-1. Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation zur Dosierung von vier Erstlinien- Antituberkulotika. Tagesdosis (Bereich) Tageshöchstdosis Fortsetzungsphase in mg/kg (mg) mit intermit tierender (dreimal wöchentlicher) Gabe Erwachsene Kinder Nur Erwachsene Isoniazid 5 (4–6) 10 (7–15) 300 10 (8–12) Rifampicin 10 (8–12) 15 (10–20) 600 10 (8–12) Pyrazinamid 25 (10–30) 35 (30–40) Keine Angaben Nicht zutreffend Ethambutol 15 (15–20) 20 (15–25) Keine Angaben Nicht zutreffend 28
7 Behandlung der Tuberkulose Das Therapieschema mit der erwiesener- Standardtherapie der Tuberkulose massen besten Wirksamkeit ist eine sechs- Initial- oder Intensivphase: monatige Therapie auf täglicher Basis. Alle 4 Medikamente: Isoniazid (H), Rifampi- Antituberkulotika werden einmal täglich cin (R), Pyrazinamid (Z) und Ethambutol verabreicht, nach Möglichkeit morgens. In (E) während 2 Monaten der Intensivphase ist eine intermittierende Behandlung nicht empfohlen. Eine Fortset- Fortsetzungsphase: zungsphase mit intermittierender Behand- 2 Medikamente: Isoniazid (H) und Ri- lung (dreimal wöchentlich) wird nur emp- fampicin (R) während 4 Monaten fohlen, wenn alle Arzneimittel unter direkter Überwachung verabreicht werden. Fettrei- Kurzbezeichnung: 2 HRZE / 4 HR che Mahlzeiten vermindern die Resorption und damit auch die maximalen Blutspiegel. Abbildung 7-1. Auswirkungen einer Mahlzeit auf Basis von Kohlenhydraten, Protein oder Fett auf die Pharmakokinetik von Rifampicin. 8 Empty stomach 100 g glucose 2 egg whites 50 g butter 6 Mean serum level (mg/L) 4 2 Minimum inhibitory concentration 0 2 4 6 8 Hours after ingestion Purohit SD, et al. Tubercle 1987;68:151-2 29
7 Behandlung der Tuberkulose Wenn die Medikamente zum Frühstück ein- 7.2 T herapie der resistenten genommen werden, sollte diese Mahlzeit Tuberkulose daher hauptsächlich aus Kohlenhydraten (und Protein) bei möglichst geringem Fett Die inadäquate Behandlung einer Tuber anteil bestehen (Abbildung 7-1). Es wird kulose durch resistente M.-tuberculosis- empfohlen, zur Vereinfachung der Behand- Stämme kann weitere Resistenzentwick lung Kombinationspräparate zu verwenden. lungen begünstigen (Amplifikation). Die Gefahr einer Medikamentenresistenz ist insbesondere bei Patienten hoch, auf die Die Standardbehandlung wird bei mindestens eines der folgenden Kriterien allen Tuberkuloseformen eingesetzt, zutrifft: mit folgenden Ausnahmen: – Einzelne Organisationen (American Thoracic Society) empfehlen die Aus- – Vorausgehende mindestens einmona- dehnung der Fortsetzungsphase auf tige Behandlung mit Antituberkulotika. 7 Monate (Gesamtbehandlungsdauer Das Risiko ist besonders hoch, wenn 9 Monate), wenn kavernöse Verände- die Behandlung mehrere Monate ohne rungen vorliegen und die Kultur auch Ansprechen eingenommen wurde nach der Intensivphase noch positiv ist. (Therapieversagen) oder wenn das Be- – Tuberkulöse Meningitis: Ausdehnung handlungsschema nicht den aktuellen der Fortsetzungsphase auf 10 Monate Empfehlungen entsprach. (Gesamtbehandlungsdauer 12 Mona- – Kontakt mit einer an Tuberkulose er- te); eventuell in den ersten Wochen krankten Person mit bekannter Medi- ergänzend Kortikosteroide. kamentenresistenz – Tuberkulöse Perikarditis und schwere – Herkunft aus einer Region mit hoher (septische) Tuberkulose: In den ersten Prävalenz von medikamentenresisten- Wochen wird eine ergänzende Behand- ter Tuberkulose lung mit Kortikosteroiden empfohlen. – Bei M. bovis besteht eine natürliche Resistenz gegen Pyrazinamid. Bei einer Während eine Monoresistenz gegen Isonia durch diesen Erreger verursachten Tu- zid normalerweise mit dem empfohlenen berkulose wird daher insgesamt 9 Mo- Standard-Behandlungsschema überwunden nate lang behandelt (Ausdehnung der werden kann, ist eine Rifampicin-Resistenz Intensivphase auf 7 Monate). entscheidend (mit oder ohne gleichzeitige – Bei Rifampicin-resistenten Erregern Isoniazid-Resistenz, letztere dann meist wird die Tuberkulosebehandlung im- ebenfalls vorhanden): Das Behandlungs mer mit einem Spezialisten festgelegt. ergebnis bei Rifampicin-resistenter Tuber kulose fällt bei alleinigem Einsatz von Erst 30
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