NACHHALTIGKEIT ALS FRAGE DER GERECHTIGKEIT - FACHLICHE GRUNDLAGEN UND ANREGUNGEN FÜR EINE UMSETZUNG VON BNE IN RELIGIONSUNTERRICHT UND SCHULE

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NACHHALTIGKEIT ALS FRAGE DER GERECHTIGKEIT - FACHLICHE GRUNDLAGEN UND ANREGUNGEN FÜR EINE UMSETZUNG VON BNE IN RELIGIONSUNTERRICHT UND SCHULE
Schwerpunkt

    NACHHALTIGKEIT ALS FRAGE
    DER GERECHTIGKEIT
    FACHLICHE GRUNDLAGEN UND ANREGUNGEN FÜR EINE
    UMSETZUNG VON BNE IN RELIGIONSUNTERRICHT UND SCHULE

                                                           des Pentateuch (vgl. Ex 23,10f., Dtn 15,1-11, Lev
    von Marie-Christin Beckers
                                                           25,2-7) nach jeweils sechs Jahren ein agrar-
                                                           wirtschaftliches oder finanzwirtschaftliches
    Im Ersten Testament kommt der Nachhaltigkeits-         Brachejahr (bzw. Erlassjahr) vorgeschrieben.4 Die
    gedanke auf vielfältige Weisen zum Ausdruck.           Unterbrechung der Arbeit bzw. des Wirtschaftens
    Hier soll dies nur in Kürze am Beispiel1 der alttes-   wird in den Vordergrund gerückt. Sie dient der
    tamentlichen Schöpfungstheologie konkretisiert         Nachhaltigkeit in dreierlei Hinsicht: Sie schafft
    werden, die auch für Schülerinnen und Schüler          eine Zeit der Rekreation der Schöpfung bzw. der
    einen anschaulichen Lerngegenstand bilden              Regeneration ihrer natürlichen Gaben, eine Re-
    kann. Schöpfung reicht weit über das hinaus, was       gelmäßigkeit für die Heiligung des Schöpfers und
    gemeinhin als Natur bezeichnet wird. Verstan-          nicht zuletzt eine Möglichkeit des Innehaltens
    den als „creatio continua ist [s]ie Geschichte der     zur Regeneration des Menschen und des sozialen
    Kommunikationsgemeinschaft der Geschöpfe               Lebens.
    und des Schöpfers“2 [Hervorhebung im Original],
    so Guido Hunze – also ein manifestiertes Be-              Diese Welt ist – betrachtet als eine Schöpfung
    ziehungsgeschehen, das Gott ins Leben gerufen          Gottes, die er seinem irdischen Ebenbild und
    hat und durch wechselseitiges Zutun erhalten           Stellvertreter5 zur fürsorglichen Gestaltung und
    möchte. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll,        gerechten Verwaltung (vgl. Weish 9,3) anver-
    im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung           traut hat – Leihgabe (vgl. Ps 24,1) und Aufgabe
    vom Bewahren der Mitwelt statt vom Schutz der          für den Menschen.6 Der Mensch soll der älteren
    Umwelt zu sprechen. Die Bewahrung der Mitwelt          Schöpfungserzählung zufolge die Erde bebauen
    zielt dabei nicht auf eine Unveränderlichkeit son-     und hüten (vgl. Gen 2,15), das heißt hegen und
    dern auf eine unversehrte Beziehungsbalance.           pflegen. Die im Hebräischen „benutzten Verben
    Das schließt auch, aber nicht nur die ökologische      sind keine Ausbeutungs- oder Gewaltbegriffe,
    Komponente ein – zum Beispiel die Einhaltung           sondern der Acker- und Weidekultur entlehnte
    der planetaren Grenzen, was zugleich eine              Worte, die […] mit Landschafts- und Tierpflege
    notwendige Voraussetzung für die langfristige          einhergehen, wie es Ez 34 mit der Metapher vom
    Sicherung von Lebengrundlagen ist.                     guten Hirten veranschaulicht“7 [Hervorhebung im
                                                           Original], erläutert Andreas Lienkamp in seiner
       Gott hat als „Freund des Lebens“ nach jüdisch-      Habilitationsschrift einer „Ethik der Nachhaltig-
    christlichem Glauben einen harmonischen, rhyth-        keit in christlicher Perspektive“ (2009).
    misch geordneten Lebensraum geschaffen, den er
    mitsamt seiner Lebewesen als „sehr gut“ (Gen 1,31)        Erich Zenger verweist in diesem Kontext auch
    befunden hat. Am Ende des Schöpfungsaktes              auf die Erzählungen, die sich im Alten Testament
    krönt der Sabbath die ganze Schöpfung (vgl. Gen        an die ersten beiden Schöpfungstexte anschlie-
    2,3).3 Nicht der Mensch, schon gar nicht er allein,    ßen und mit ihnen unmittelbar zusammenge-
    sondern Gott und die allumfassende geheiligte          dacht werden müssen: „Es sind Geschichten,
    Ruhezeit, die er sich nimmt und die er seiner          die von den Enttäuschungen Gottes mit den
    Schöpfung gibt, vervollkommnen diese Welt.             Menschen erzählen“8, die also aufzeigen, wie der
    Analog dazu werden in allen drei Gesetzbüchern         Mensch seine ethische Bestimmung in der Welt

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Schwerpunkt

              verfehlt. Der Mensch akzeptiert nicht die von           Innersten eines jeden Wesens‘ (LS 221). […] Des-
              Gott vorgegebenen Grenzen und seine durch-              halb sind auch diejenigen, die Jesus nachfolgen,
              dachte Schöpfungsordnung. Schon im Garten               dazu eingeladen, die Welt und ihre Mitmenschen
              Eden – und danach immer wieder – missachtet             mit Blicken wertschätzender Zärtlichkeit, zu-
              er die anvertrauten Gaben und den Wert des Le-          gleich aber mit engagierter Entschiedenheit zu
              bens, indem er sich nimmt, was ihm nicht zusteht        begegnen (vgl. LS 220)“11, um so an der Basileia
              und ruiniert so durch sein egoistisches Verhalten       mitzubauen.
              eine harmonische (Welt-)Gemeinschaft – seien
              es Adam und Eva, Kain gegenüber Abel, die in               Viele Evangeliumsperikopen greifen die The-
              Bosheit verfallenen Menschen um Noah oder die           men Gerechtigkeit, Solidarität und Zukunft auf.
              grenzenlos bauende Weltbevölkerung in Babel.            So wird zum Beispiel der Mangel an Bereitschaft
                                                                      zu antizipatorischem Denken und zukunftsträch-
                 Das ordnungswidrige Verhalten erklärt die in         tigem Handeln im eschatologisch relevanten
              vielen biblischen Texten aufgegriffene Diskrepanz       Gleichnis über die klugen und die törichten Jung-
              zwischen sehr guter Schöpfung und der als un-           frauen (vgl. Mt 25,1-13) problematisiert, in wel-
              heilvoll erlebten Welt. Denn dieses Verhalten hat       chem Letztere am Tag des Herrn leer ausgehen,
              Auswirkungen auf die Mitwelt oder nachfolgende          weil sie nicht vorausschauend agiert haben.
              Generationen. „Das Alte Testament vertritt […] die
              Ansicht, dass die Nachkommen unter der Schuld der          Mit einem Blick auf die religionspädagogisch
              Vorfahren zu leiden haben (Ex 20,5; Num 14,18),         relevanten Gegenwartserfahrungen stellt Sabine
              […] sie werden […] angeklagt, noch schlimmer als        Pemsel-Maier fest: „An die Stelle der Sehnsucht
              die Vorfahren zu sein (Ri 2,19; Jer 7,26; Jer 16,12).   nach Erlösung ist – bei Kindern und Jugendlichen
              Einerseits zu diesem Schuldzusammenhang zu ste-         ebenso wie bei Erwachsenen – die Sehnsucht
              hen (Jer 3,25; Esr 9,7), andererseits aber sich vom     nach Glück und Sinn getreten. Sie ist nicht oder
              Verhalten der Vorfahren zu distanzieren (Ps 95,8-9;     kaum eschatologisch ausgerichtet, sondern ge-
              Sach 1,4), ist Auftrag an die Nachkommen“9, so          genwartsbezogen: Im Hier und Jetzt sollen Glück,
              Bernd Biberger. Damit die nachfolgenden Gene-           Heil, Erlösung erfahrbar werden.“12 In dieser
              rationen ihrem Auftrag nachkommen können und            Hinsicht gewinnt die biblische Rede vom Leben in
              damit der Bundesschluss Gottes mit allem Leben          Fülle (Vgl. Joh 10,10.17,13) an Bedeutung. Damit
              auf Erden (vgl. Gen 9,8-17) nicht ein einseitiges       alle Menschen – auch die entfernt lebenden und
              Nachhaltigkeitsversprechen bleibt, der die Men-         die zukünftigen – das Ihnen zugesagte Leben in
              schen vergebens an ihre Schöpfungsverantwortung         Fülle schon anfanghaft im Diesseits als Leben in
              erinnern sollte, müssen sie lernen, was es heißt,       Würde erfahren können, braucht es in der globali-
              Verantwortung in dieser Welt zu übernehmen.             sierten und technisierten Welt eine Ethik des Ge-
                                                                      nug, die eine nachhaltige Entwicklung gestattet.
                 Auch im neuen Bund bzw. im Zweiten Testa-
              ment lassen sich Nachhaltigkeitsbezüge finden.             Das Thema Nachhaltigkeit spielt ebenso in den
              Oft ist das Thema Zukunft hierin mit einer Jen-         neutestamentlichen Briefen eine Rolle. Exemp-
              seitshoffnung verknüpft, doch die Basileia soll         larisch sei der paulinische Ausspruch „nicht die
              schon in Diesseits anbrechen. Zentral ist, dass         Kinder sollen für die Eltern sparen, sondern die
              durch die Menschwerdung Gottes und Auferwe-             Eltern für die Kinder“ (2 Kor 12,14) genannt, der
              ckung Jesu Christi die Schöpfung Ort des Heilsge-       auf eine generationenübergreifende Gerechtig-
              schehens ist und bleibt. Ihr ist Rettung verheißen      keit abzielt.
              (vgl. Röm 8,22-24).
                                                                         Im Einklang mit den skizzierten biblischen
                 Jesus Christus ist durch die ihm gegebene            Nachhaltigkeitssentenzen konstatierte John Rawls
              Weisheit Gottes der Erhalter der Schöpfung.10           in seiner bekannten „Theorie der Gerechtigkeit“
              Das hat wiederum Implikationen für die Christus-        (1971): „Inequalities are permissible whenthey
              nachfolge, wie Dirk Ansorge verdeutlicht: „Gottes       maximize, or at least all contribute to, the long-
              Verbindung mit der Welt hat eine doppelte               term expectations of the least fortunate group in
              Richtung; denn Christus hat in seiner Mensch-           society.“ 13 Hans Jonas nahm die „Zukunft als die
              werdung ‚diese materielle Welt in sich aufge-           unabgeschlossene Dimension unserer Verant-
              nommen‘; als Auferstandener aber wohnt er ‚im           wortlichkeit“14 mit in sein vielzitiertes Werk „Das

2
Prinzip Verantwortung“ (1979) auf. Er manifes-          neuen politischen Theologie von Johann Baptist
tierte sie in folgendem Nachhaltigkeitsimperativ:       Metz auch jene ein, die bereits in Vergangenheit
„‚Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung          und Gegenwart zu Opfern der Zukunft geworden
verträglich sind mit der Permanenz echten               sind.19 Dies zu erkennen, erfordert das Einüben
menschlichen Lebens auf Erden‘; oder negativ            eines Perspektivwechsels, der nicht nur religions-
ausgedrückt: ‚Handle so, daß die Wirkungen              pädagogisch20, sondern auch allgemeindidaktisch21
deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die        in der BNE von entscheidender Bedeutung ist.
künftige Möglichkeit solchen Lebens‘“15.
                                                            Eine nachhaltige Entwicklung aus der Sicht von
   Eine Vielzahl von Theologinnen und Theologen         und in Solidarität mit den Marginalisierten, deren
ebenso, wie andere Geistes- und Gesellschafts-          Stimme nicht gehört wird, mit den Leidenden, die
wissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, betonen      ihrer Rechte beraubt wurden und mit den Weni-
dieses Desiderat aus christlicher Sicht bis heute.      ger-Begünstigten aller Art muss nicht zulasten der
Das biblische Narrativ der Nachhaltigkeit und der       individuellen Freiheit gehen, die auch aus christ-
Glaube an die Botschaft der Offenbarung haben           licher Sicht ein hohes Gut ist (vgl. Gal 5,1). Dass der
für Christinnen und Christen ethische Implikatio-       Schöpfer den Menschen als freies Wesen erschaf-
nen. Denn Nachhaltigkeit zielt, dem Christlichen        fen hat, heißt allerdings nicht, dass ihm verschwen-
Sozialethiker Helge Wulsdorf folgend, „darauf, ein      derische Freiheit auf Kosten anderer geschenkt
Mehr an Gerechtigkeit in Raum und Zeit zu schaf-        ist. Vielmehr kann der Mensch, nach Überzeugung
fen. Sie ist damit Ausdruck christlicher Zukunfts-      der deutschen Bischöfe, durch „pädagogische Im-
hoffnung und nimmt den biblischen Schöpfungs-           pulse […] die innere Freiheit von gesellschaftlichen
auftrag zeitgemäß wahr.“16 Folglich besitzt, „die       Gewohnheiten und Konsumzwängen […] lernen“.
vergegenwärtigende Erinnerung an das bereits            Diese Überzeugung entspricht dem Suffizienz-An-
angebrochene Reich Gottes […] visionär-utopisches       satz (Genügsamkeitsansatz) einer nachhaltigen
Potential für menschliches Handeln“17, so Claudia       Entwicklung, der von Postwachstumsökonomin-
Gärtner.                                                nen und -ökunomen wie Niko Paech und auch von
                                                        Papst Franziskus (LS 222 und 223) vertreten wird.
   Die Christliche Sozialethikerin Marianne Heim-
bach-Steins erklärt, dass „Nachhaltigkeit […]              Die Religionspädagoginnen Gärtner und Beder-
als Bedingung für Zukunftsfähigkeit verstanden          na sind sich einig, dass ein christliches Verständnis
werden“18 kann. Die Zukunft dieser Welt kann nur        von nachhaltigem Leben in Freiheit im Positi-
dann für alle lebenswert werden, wenn heute             ven mehr umfasst als Selbstbeschränkung und
strukturell, individuell und politisch nachhaltige      schmerzhaften Verzicht. Gemeint sei „vielmehr die
Entwicklungen vorangetrieben werden. Wenn               Freiheit, alles zurückzulassen, Jesus nachzufol-
also das Spannungsfeld von sozialer Gleichheit,         gen, und radikal frei für Jesu Botschaft vom Reich
wirtschaftlicher Tragfähigkeit, politischer Teilhabe,   Gottes zu sein.“22 Eine pädagogische Einladung zu
kultureller Vielfalt und ökologischer Verträglichkeit   einem genügsameren Lebensstil ohne destruktive
bei jedem Entscheidungsprozess bewusst in den           Arten von Moralisierung sei kein „‚Ökototalitaris-
Blick genommen wird. Wenn ferner ein Urteil vor         mus‘ und [keine] ‚Erziehungsdiktatur‘“23. Vielmehr
dem Hintergrund dieser Dimensionen gefällt wird,        sei sie mit einer Bildung, die sich als Freiheits-
das letztlich ein Handeln zugunsten von mehr Ge-        geschehen versteht, begründet vereinbar: „Wenn
rechtigkeit in dieser Welt nach sich zieht.             man Freiheit versteht als Fähigkeit zur Selbstbe-
                                                        stimmung, auch für die Freiheit der Anderen einzu-
   Die Ungerechtigkeit der sozial-ökologischen          treten, ist Suffizienz Ausdruck und Voraussetzung
Krise besteht vor allem darin, dass die Gruppe          von Freiheit“24, so Bederna.
der Hauptleidtragenden nicht mit der Gruppe der
Hauptverursachenden übereinstimmt. Sie leben oft           Dass aus christlicher Perspektive auch in Freiheit
an unterschiedlichen Orten oder zu unterschiedli-       eine andere Welt möglich ist, gründet Gärtner zu-
chen Zeiten. Daher ist in sozialethischen Postulaten    folge in der unbegreiflichen Andersartigkeit Gottes,
wie auch im politischen Nachhaltigkeitsdiskurs von      das heißt in der ursprünglichen „Alterität […] das
intergenerationeller und globaler bzw. universaler      ideologiekritische Potenzial des Christentums,
Gerechtigkeit die Rede. Laut Gärtner schließt die       das so den Blick auf das Andere, auf Alternativen
sogenannte Option für die Armen im Sinne der            eröffnet“25. Gemeint ist eine zutiefst christliche

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Schwerpunkt

              Hoffnung: Ein gerechteres Miteinander ist möglich       Ziel der Gewinnmaximierung verfolgen […]. Alle
              – und Gott, der Andere, kann dem Menschen bei           und vor allem die entwickelten Länder müssen es
              der dafür notwendigen Umkehr zu alternativer,           als dringende Verpflichtung erkennen, die Art und
              nachhaltiger Praxis helfen.26                           Weise des Gebrauchs der natürlichen Güter zu
                                                                      überdenken. Das Forschen nach Innovationen […]
                 Wie die verschiedenen Beispiele zeigen, könnte       muss durch wirkungsvolle Anreize vorangetrieben
              der christliche Glaube Ausgangspunkt und Stütze         werden“30. Forschen und innovativ denken können
              einer gemeinsamen Vision von nachhaltiger Ent-          auch die Jüngsten der Gesellschaft in ihrer kindli-
              wicklung (in der Schule) sein. Nicht ohne Grund hat     chen Neugier und jugendlichen Kreativität. Um dies
              das Leitbild nachhaltiger Entwicklung, das neben        zu fördern, müssen ihnen in der Schule einerseits
              Solidarität, Subsidiarität und Personalität eines der   grundlegende Kenntnisse und Kompetenzen ver-
              vier wissenschaftlich grundlegenden Prinzipien          mittelt, andererseits ein gewisser Erkundungs- und
              Christlicher Sozialethik bildet, seit einigen Jahr-     Handlungsspielraum zur Verfügung gestellt werden.
              zehnten auch in der kirchlichen Sozialverkündi-
              gung seinen Niederschlag gefunden. Schon in den            Papst Franziskus hat die Bedeutung der Bildung
              1960er Jahren klangen einige Themen, die sich           in diesem Kontext erkannt und rief daher alle
              heute in den UN-Nachhaltigkeitszielen wieder-           Menschen guten Willens, zur Unterzeichnung
              finden, in päpstlichen Lehrschreiben an – zum           eines globalen Bildungspakts auf. Er lancierte ihn
              Beispiel in den Enzykliken „Mater et magistra“ (Jo-     schließlich am 15. Oktober 2020 in einer Videobot-
              hannes XXIII., 1961), „Pacem in terris“ (Johannes       schaft und sprach dabei von „eine[r] historische[n]
              XXIII., 1963) und „Populorum progressio“ (Paul VI.,     Gelegenheit […], um die Welt und die Geschichte
              1967).                                                  menschlicher zu machen“31. Es gelte nun „auf die
                                                                      Stimme von Kindern, Jugendlichen und jungen
                  Infolgedessen befassten sich auch die deutschen     Menschen zu hören, denen wir Werte und Wissen
              Bischöfe immer wieder mit Anliegen einer nachhal-       vermitteln“32. In dem Bildungspakt wird die Selbst-
              tigen Entwicklung. Beispielsweise veröffentlichten      verpflichtung aller Unterzeichnenden formuliert,
              der Rat der EKD und die DBK 199727 ein gemeinsa-        „unser gemeinsam[e] Haus dadurch zu hüten
              mes Wort unter dem Titel „Zukunft in Solidarität        und zu pflegen, dass wir es vor der Ausbeutung
              und Gerechtigkeit“. Es stellt nicht nur ein eigenes     seiner Ressourcen schützen, einen schlichteren
              Kapitel unter das Postulat der „Nachhaltigkeit“         Lebensstil annehmen und die umfassende Nutzung
              (GW 122–125), sondern befasst sich durchgängig          erneuerbarer Energiequellen anstreben, welche die
              mit Nachhaltigkeitsthemen: „ökologische Krise“,         menschliche und natürliche Umwelt gemäß den
              „globale Herausforderungen“, „Armut in der Wohl-        Prinzipien der Subsidiarität und Solidarität sowie
              standsgesellschaft“, „finanzielle Belastungen des       der Kreislaufwirtschaft achten. […] [W]ir wollen uns
              sozialen Sicherungssystems“, „Zeit des Wandels und      also mutig dafür einsetzen, in unseren Herkunfts-
              der Erneuerung“. So lauten einige der Überschriften     ländern ein Bildungsprojekt ins Leben zu rufen,
              dieses ökumenischen Werks. Diese Herausforde-           indem wir unser Bestes geben und in Zusammen-
              rungen besitzen knapp 25 Jahre später zum Groß-         arbeit33 mit der Zivilgesellschaft schöpferische und
              teil ungebrochene Aktualität und zählen zu den          umgestaltende Prozesse in Gang setzen.“34
              Kernthemen der heutigen BNE.
                                                                         Ebenso setzen die deutschen Bischöfe einen
                  Es folgten viele weitere bischöfliche und päpst-    Schwerpunkt auf die Bildungspolitik. Sie forderten
              liche Schreiben, die verschiedene Aspekte von Zu-       eine Ausweitung der BNE bereits vor 15 Jahren und
              kunftsfähigkeit, globaler Entwicklung, Schöpfungs-      begrüßten das UN-Programm einer Weltdekade
              verantwortung, universaler Geschwisterlichkeit und      zur BNE-Förderung.35 Dies bekräftigten sie 2018 in
              Gerechtigkeit beleuchteten28 und damit eine für         ihren Handlungsempfehlungen zur „Schöpfungs-
              alle lebenswerte Welt erstreben. Sogar in das Kom-      verantwortung als kirchlicher Auftrag“, in denen
              pendium der Soziallehre der Kirche hielt das Prinzip    sie dazu „an[regten], das Thema Schöpfungsver-
              der Nachhaltigkeit Eingang: „Die Verantwortung für      antwortung in die Curricula des Religionsunter-
              die Umwelt […] erstreckt sich auf die Forderungen       richts […] aufzunehmen sowie mit Angeboten einer
              nicht nur der Gegenwart, sondern auch der Zu-           Bildung für nachhaltige Entwicklung […] zu ökolo-
              kunft“29. Weiter heißt es: „Eine Wirtschaft, die die    gisch-sozialer Bewusstseinsbildung und ‚Globalem
              Umwelt respektiert, wird nicht ausschließlich das       Lernen‘ beizutragen.“36

4
Es hat sich gezeigt, dass die inhaltliche Ausrich-   besteht das Risiko, dass transformatives Enga-
tung von christlichem Wertekanon und dem Leit-           gement zum Beispiel aufgrund der emotionalen
bild nachhaltiger Entwicklung deutlich konvergieren      Entfremdung gegenüber den verdeckten, zukünf-
und dass die Nachhaltigkeitsfrage aus bildungspoli-      tigen Folgen eigener und systemischer Aktivitäten
tischer wie kirchlicher Sicht im Religionsunterricht     gar nicht erst in die Tat umgesetzt wird oder dass
einen festen Platz hat. Doch wie kann ihr dieser         bei Nachhaltigkeitsbemühungen bereits nach
Platz in der Praxis eingeräumt werden?                   kurzer Zeit Ermüdungserscheinungen eintreten.
                                                         Papst Franziskus spricht immer wieder von einer
Formelles Lernen – BNE in den Religionsunter-            „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ (unter ande-
richt integrieren                                        rem LS 52), die es zu überwinden gelte. Auch hier
In der Leitlinie Bildung für nachhaltige Entwick-        bietet die Rückbindung an Religion und Spirituali-
lung des Ministeriums für Schule und Bildung             tät einen Mehrwert.
Nordrhein-Westfalen werden zehn „BNE-affine
Fächer“37 dargestellt. Das Fach Religion scheint            Dieses Proprium des Religionsunterrichts im
dabei in Vergessenheit geraten zu sein. Wie              Bereich des normen- und wertorientierten Ler-
zentral der Beitrag religiöser Bildung jedoch ist,       nens hat indes zu berücksichtigen, dass Bildung
zeigt sich zum Beispiel im Nationalen Aktions-           stets ein selbstbestimmter Prozess bleiben muss,
plan Bildung für nachhaltige Entwicklung, den die        der auf freie, mündige und eigenverantwortli-
Nationale Plattform BNE unter dem Vorsitz des            che Bürgerinnen und Bürger hinzielt. Axel Bernd
Bundesministeriums für Bildung und Forschung             Kunze weist darauf hin, dass in der Nachhaltig-
als Beitrag zum Weltaktionsprogramm BNE 2017             keitsbildung „eine Spannung zwischen dem Jetzt
verabschiedet hat. Darin wird eines der drei             der Schüler, ihren gegenwärtigen Bedürfnissen
Hauptkapitel wie folgt eingeleitet: „Bildung für         und Möglichkeiten, und dem Morgen, für das
nachhaltige Entwicklung (BNE) fördert Dialog-            Lehrer wie Schüler gemeinsam Verantwortung
fähigkeit und Orientierungswissen, kreatives und         tragen, zu tage“40 tritt. Der Christliche Sozialethi-
kritisches Denken sowie ein ganzheitliches Lernen        ker und Pädagoge betont vor diesem Hintergrund,
unter Berücksichtigung religiöser Orientierung           dass die Bildungs- und Erziehungsverantwortung
und kultureller Werte. Sie zielt auf die Bereit-         gegenüber Schülerinnen und Schüler nur dann
schaft, Verantwortung für das eigene Handeln zu          wahrgenommen wird, wenn die Lernenden zum
übernehmen, mit Unsicherheiten und Widersprü-            einen eine Förderung in Sach- und Urteilskompe-
chen umzugehen, Probleme zu lösen und an der             tenzen erhalten, die sie zu freien, selbstbestimm-
Gestaltung einer demokratischen und kulturell            ten Wertentscheidungen befähigen. Zum anderen
vielfältigen Gesellschaft mitzuwirken. Hierzu            müssten ihnen Orte und Anlässe geboten werden,
können Kirchen und Religionsgemeinschaften               die kreative Urteilsprozesse und verantwortungs-
einen wichtigen Beitrag leisten und vielfältige Er-      volles Entscheiden in sittlich anspruchsvollen,
fahrungen in den Prozess einbringen.“38                  zukunftsrelevanten Belangen ermöglichen.41

   Wie weiter oben genauer ausgeführt wurde,                Auch psychologisch betrachtet ist es wichtig,
bietet das Christentum und damit das Fach                den Lernenden konkrete Handlungsoptionen auf-
Religion vielfältige Potentiale auf dem Feld von         zuzeigen42, damit sie Selbstwirksamkeit erfahren,
BNE. Denn tradierte Narrative und Weltsichten,           und so möglichen Ohnmachtsgefühlen entgegen-
Symbole und Bedeutungen, Regelwerke und Prak-            gewirkt werden kann. Bestenfalls geschieht dies
tiken sind genuiner Bestandteil von Religionen.          anhand von Lernformaten, die nicht bloß auf
Sie sind vor allem in der kulturellen Dimension          low-cost-Aktivitäten (zum Beispiel Mülltrennung)
nachhaltiger Entwicklung durch ihre wahrneh-             hinauslaufen oder Scheinerfolge verzeichnen
mungs-, urteils- und handlungsprägende Kraft von         (Stichwort: Rebound-Effekt). Die Lernformate
entscheidender Relevanz für die BNE.39                   sollten idealerweise eine transformative Wirkung
                                                         haben, also zum Beispiel ein Mitwirken in realen
   Der Religionsunterricht kann über seinen              Gestaltungsprozessen in Ergänzung zu bloß insze-
inhaltlichen Beitrag hinaus ein Heart-Opener             nierten Planspielen und ähnlichen Simulationen43.
sein, und damit eine essenzielle Voraussetzung           Eine feste schulische Struktur, die – angesichts
für ausdauerndes Nachhaltigkeitshandeln. Ohne            der Vorgabe im Nationalen Aktionsplan Bildung
ganzheitliches Lernen mit Herz, Kopf und Hand,           für nachhaltige Entwicklung, „[u]nverzweckte

                                                                                                                 5
Schwerpunkt

              ‚Freiräume‘ […] strukturell zu verankern“44 – ge-      dabei im individuellen Kontext stets bereit ist, von
              nau das ermöglichen möchte, ist beispielsweise         Situation zu Situation dazu zu lernen. Auf metho-
              das Programm ‚FREI DAY‘ der Initiative „Schule im      disch-didaktischer Ebene kann dieses Ziel durch
              Aufbruch“. Dieses sieht mindestens vier Unter-         heterogenitätssensible und schüler/innen-gelenk-
              richtsstunden in der Woche für selbstständiges,        te bzw. partizipationsorientierte Unterrichtsset-
              lösungsorientiertes Lernen an realen, den Inter-       tings beherzigt werden. Diese sind nach aktuellem
              essen der Schülerinnen und Schüler entsprechen-        BNE-Forschungsstand von besonderer Bedeutung.
              den Zukunftsherausforderungen vor.45                   Denn Schülerinnen und Schüler empfinden laut
                                                                     Zwischenstandsbericht zum nationalen BNE-Pro-
                 Auch außerhalb eines solchen Programms las-         zess die bisherige Unterrichtsgestaltung als wenig
              sen sich Lernsettings im Unterricht realisieren, die   partizipativ, was der Zielsetzung von BNE 2030
              selbstgesteuertes, eigenverantwortliches Arbeiten      und dem Wunsch der Schülerinnen und Schüler
              im Sinne transformativer Bildung ermöglichen und       entgegenstehe.46
              für die Schülerinnen und Schüler Erfolgserleb-
              nisse in Aussicht stellen. Projektarbeit, entde-          Im Übrigen ist Partizipationsförderung dem Rat
              ckendes Lernen und ganzheitliche Ansätze sind          der EKD und der DBK ebenfalls ein Anliegen, wie
              hier willkommene Konzepte, um transformatives          sie im Gemeinsamen Wort erläutern: „Um sich be-
              Engagement zu evozieren. Als Auftakt eines Projek-     teiligen zu können und die Möglichkeit zu haben,
              tes kann die Lehrkraft beispielsweise mit den Schü-    in der öffentlichen Meinungsbildung gehört und
              lerinnen und Schülern kritische Fragen zum Thema       verstanden zu werden, ist […] ein Bildungssystem
              „Nachhaltigkeit an unserer Schule“ sammeln,            notwendig, das neben beruflichen Fähigkeiten
              denen sie in Expertengruppen nachgehen werden.         politisches Urteilsvermögen und die Fähigkeit zu
              So können sich die Schülerinnen und Schüler in         politischem Engagement vermittelt.“47 Es ist rat-
              einem schulischen Bereich ihres Interessensgebiets     sam, dies auf sprach- und heterogenitätssensible
              (zum Beispiel Verpflegung, Verkehr, Schulgelände,      Weise zu unterrichten, damit zusätzliche Barrieren
              Klassenräume) vermittels selbstgewählter Unter-        genommen werden und das Thema Nachhaltig-
              stützung (zum Beispiel Materialrecherche, Konsul-      keit, das die Zukunft aller betrifft, auch für alle
              tation von Expertinnen und Experten) mit der dor-      zugänglich wird.
              tigen Relevanz von Nachhaltigkeit und mit eigenen
              Verbesserungsvorschlägen befassen. Durch Wahl-            Dabei spielt außerdem das ganzheitliche
              freiheit kann – auch in heterogenen Lerngruppen –      Lernen eine Rolle, das für gelingende BNE eine
              Freude am problemlösenden Denken geweckt und           wichtige Voraussetzung bildet. Auch vor dem
              für alle sinnstiftendes Tun ermöglicht werden, das     Hintergrund des von Papst Franziskus entwor-
              zu weiterem Engagement motiviert.                      fenen zentralen Konzepts einer ganzheitlichen48
                                                                     Ökologie (vgl. LS 137-162) kann religiöse BNE
                  Die Beraterin für Organisationsentwicklung         ganzheitlich ausgerichtet werden. Der Reli-
              Hanna Göhler sagte auf einer Fortbildung für Lehr-     gionsunterricht kann etwa mit den Gaben der
              kräfte, um Transformation zu bewirken, müsse           Schöpfung die Sinne schärfen oder gezielt in der
              man metaphorisch gesprochen den Sport wech-            Schöpfung stattfindet. Das außerordentliche Ler-
              seln: Vom Einzelspieler im Tennis zum Radsport-        nen in Wald und Feld, im Schulgarten oder Klos-
              ler in einem Schwarm mit gleicher Zielrichtung,        tergarten, macht die Schöpfung und den Grund,
              weiter zum gemeinsamen Anpacken beim Rudern            sie zu bewahren für die Schülerinnen und Schüler
              und schließlich zum strategischen Teamdenken,          – spirituell und leiblich – besser begreifbar.
              das die Einnahme einer persönlichen Position
              auf dem Fußballfeld gestattet. Dieses Zielstadium         Darüber hinaus sind unzählige Mikrometho-
              lässt sich wunderbar in Analogie zur paulinischen      den für den BNE-orientierten Religionsunterricht
              Leib-Glieder-Metapher und ihren religionspäda-         denkbar, die selbstverständlich auf die Schulform
              gogischen Implikationen setzen: Keine und keiner       und Altersgruppe abzustimmen sind.49 Daher sei
              muss am Ende alles können und der perfekte             hier nur eine kurze Liste von Anregungen notiert
              „homo sustinens“ (Bernd Siebenhüner) sein. Es          und darüber hinaus auf ausführlichere Sammlun-
              reicht, wenn jede und jeder nach den persön-           gen verwiesen50:
              lichen Stärken und Begabungen den bestmög-                Szenario-Methode51,
              lichen Beitrag zur gemeinsamen Vision leistet und         Zukunftswerkstatt52,

6
Dilemmadiskussion                                       Ebenso können im philosophierenden/theo-
  Rollen- oder Planspiele53,                           logisierenden Lernen BNE-relevante Fragen the-
  Psalmen zum aktuellen Weltgeschehen schreiben,       matisiert werden: Wer bin ich als Geschöpf Gottes
  Eine Rede (etwa aus Sicht des Papstes) oder          und was ist meine Rolle als Mensch in dieser Welt?
  eine Poetry-Slam schreiben,                          Was bedeutet (universale) Gerechtigkeit und wie
  Auszüge aus den Enzykliken von Papst Fran-           lassen sich verschiedene Formen und Theorien von
  ziskus mit säkularen Texten über nachhaltige         Gerechtigkeit (christlich) begründen? Wie gehe ich
  Entwicklung vergleichen,                             mit meiner Endlichkeit um und mit dem Gedanken,
  Ein Video oder Podcast aufnehmen (etwa über          dass ich der Welt nach meinem irdischen Leben et-
  den Heiligen Franz von Assisi)                       was hinterlasse? Was bedeutet für mich Hoffnung
  Ein Interview führen (etwa mit christlich moti-      und (inwiefern) hat Gott etwas damit zu tun?
  vierten Umweltschützerinnen und -schützern)
  Eine kleine Erntedankfeier inszenieren und               Darüber hinaus kann das dialogische oder
  reflektieren                                         trialogische Lernen mit seinen verschiedenen
                                                       konfessionellen bzw. religiösen Perspektiven die
   Daneben kann religiöse BNE in den verschie-         vielfältigen Zugänge zu Nachhaltigkeitsfragen er-
denen Dimensionen religionsdidaktischer Metho-         öffnen und die BNE bereichern. Aus dem gleichen
dik54 umgesetzt werden. Der vielleicht offensicht-     Grund werden Organisationsformen des Lernens,
lichste Zugang ist jener über das christliche Ethos.   die auch fächerübergreifend realisiert werden
Ethisches Lernen in BNE-orientierten Religions-        können, empfohlen. Insbesondere aufgrund der
unterricht muss nicht heißen, Moral im engeren         Tatsache, dass viele Nachhaltigkeitsthemen die
Sinne zu thematisieren. Zunächst umfasst es            Perspektiven mehrerer Fachgebiete erfordern, um
eine Sensibilisierung für Wert und Würde des           hinreichend nachvollzogen werden zu können, sei
geschaffenen Lebens, die aus dem ästhetischen          der nordrhein-westfälischen Leitlinie zufolge eine
Lernen, zum Beispiel im Sinne einer bewussten          interdisziplinäre Kooperation in der Schule nützlich.
Betrachtung der Schöpfung erwachsen kann und           Dies kann beispielsweise in Form von „Themenwo-
zum „Staunenlernen“55 beiträgt. Denn der katholi-      chen oder -tage[n], themenorientierte[m] Unter-
schen Soziallehre zufolge solle sich „[d]er Mensch     richt, Epochenunterricht, Projektarbeiten und/oder
[…] gegenüber dem Schöpfer vor allem durch             Werkstattunterricht“57 geschehen.
eine Haltung der Dankbarkeit und Anerkennung
auszeichnen: Die Welt verweist auf das Geheim-            Ein erster Schritt ist jedoch bereits getan, wenn
nis Gottes, der ihn erschaffen hat und ihn erhält.     die Fachkonferenz für eine „konkrete Verankerung
Wenn man […] die Natur in ihrer geschöpflichen         von BNE im schulinternen Lehrplan“58 eines Faches
Dimension wiederzuentdecken vermag, dann               sorgt, wie es das Schulministeriums vorsieht.
kann man […] zum Horizont des Mysteriums vor-          Dies wird im Falle der Religionslehre gewiss nicht
dringen […].“56 [Hervorhebung im Original]. Die        schwerfallen, da es zahlreiche Schnittfelder von
aus eigenen Beobachtungen und Erfahrungen              BNE-Themenstellungen mit fachimmanenten Ziel-
gewonnen Wertfragen können anschließend dis-           setzungen und bereits bestehenden Querschnitts-
kursethisch aufgegriffen werden.                       bereichen gibt: Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung
                                                       der Schöpfung, Einhaltung der Menschenrechte,
   Auch das biographische Lernen kann dazu einen       der Wert des Lebens und die Würde der Person,
erheblichen Beitrag leisten. Welche Norm- und          Anerkennung und Wertschätzung kultureller Di-
Wertvorstellungen vertrete ich? Nach welchen Leit-     versität, die (theologische) Rede von Armut und
bildern richte ich mein Handeln aus? Was trage ich     Hunger/Durst, das Verhältnis der Geschlechter, So-
zu einem friedlichen und solidarischen Miteinander     lidarität und Gemeinschaft, Zukunft und Prophetie,
bei? Welchen Lebensstil halte ich für erstrebens-      Utopien/Heterotopien und Hoffnungen – die Liste
wert? Solche und weiterführende Sinn- bzw. Identi-     ließe sich unschwer fortsetzen.
tätsfragen, regen dazu an, die eigene individuelle
und gesellschaftliche Praxis zu hinterfragen und          Diese thematische Breite von Nachhaltigkeit,
sich – auch vor dem Hintergrund berühmter oder         die einerseits zur Aufweichung ihres transforma-
(noch) unbekannter Vorbilder aus Kirche, Gesell-       tiven Potentials und zur Trägheit ihrer Implemen-
schaft oder dem näheren Umfeld – mit alternativen      tierung beiträgt59, birgt andererseits Chancen für
Lebenskonzepten auseinanderzusetzen.                   den BNE-orientierten Unterricht. Im Sinne der

                                                                                                               7
Schwerpunkt

              Interessens- und Subjektorientierung nachkon-            Daher kommt es darauf an, durch einen Be-
              ziliarer Religionspädagogik, lassen sich hierdurch    wusstseinswandel im Zusammenklang von christli-
              diverse Anknüpfungspunkte finden. Die vielfältigen    cher Tradition (zum Beispiel das Leben Jesu Christi,
              Facetten nachhaltiger Entwicklung60 können dabei      Heilige wie Franz von Assisi, monastische Lebens-
              helfen, eine Nähe zu der Zielgruppe und den indivi-   formen, paradiesischer Ur-Veganismus, Selbst- und
              duellen Lernenden zu schaffen. Damit Heranwach-       Nächstenliebe) und gegenwärtigen Trends (zum
              sende die Relevanz erkennen und einen eigenen         Beispiel Minimalismus, Veganismus, Achtsamkeit
              Standpunkt begründet einnehmen können, ist es         und Entschleunigung, Fair-Trade-Boom, Wieder-
              notwendig, einen möglichst konkreten Lebens-          entdeckung des Wandertourismus) die Attraktivi-
              weltbezug der zunächst abstrakten Thematik            tät nachhaltiger Lebensstile für Schülerinnen und
              herzustellen. Dieser zentrale Gedanke findet in der   Schüler nachvollziehbar zu machen. Sodann gilt es,
              Religionspädagogik durch das Prinzip der Korrela-     Grundeinstellungen, die nachhaltige Entwicklung
              tion seine Berücksichtigung.                          und Transformation begünstigen, aus religiöser Per-
                                                                    spektive66 zu untermauern. Religionen haben das
                 Ein korrelativer Religionsunterricht kann die      Potential, auf eine alternative Art von Lebensquali-
              mangelnden Nachhaltigkeitserfahrungen der             tät67 hinzuweisen, die für das Individuum und seine
              heute heranwachsenden Generation mit der              Mitwelt nachhaltig ist.
              frohen Botschaft Jesu Christi von einem erfüllten
              Leben und der sinnstiftenden Offenbarung des              Am Beispiel der Fastenzeit können etwa die
              Ersten Testaments in ein konstruktives Wechsel-       Vorzüge von Verzicht („weniger Masse, mehr Klas-
              spiel bringen. Damit „[d]er Glaube […] im Kontext     se“) bzw. von bewussterem, suffizienten Konsum
              des Lebens vollziehbar, und das Leben […] im          (zum Beispiel Teilen in Gemeinschaft, Genuss der
              Licht des Glaubens verstehbar“61 wird, wie es die     wesentlichen Gaben, Wertschätzung immaterieller
              Würzburger Synode angedacht hat. Korrelation          Güter) erörtert werden. Am Beispiel der Tempel-
              im Kontext von religiöser BNE kann nach Beder-        reinigung Jesu (Vgl. Mt 21,12-17, Mk 11,15-19, Lk
              nas Verständnis bedeuten, dass eine vom Glau-         19,45-48, Joh 2,13-25) kann die Rolle von Revoluti-
              ben geprägte Weltdeutung bei nicht-nachhal-           on und religiös motiviertem Widerstand gegen eine
              tigen Verhältnissen den Betroffenen helfe. Und        Misswirtschaft, die zur gängigen Praxis geworden
              dass umgekehrt eine nachhaltige Entwicklung           ist, diskutiert werden. Solche Verbindungen von
              den Blick auf die frohe Botschaft bereichere. Sie     Glaubensüberlieferung und Gegenwartserfahrung,
              konkludiert für die Unterrichtspraxis: „Lehrerin-     von spirituell-individualethischem und politisch-so-
              nen und Lehrer sollten sich also fragen, ob die       zialethischem Lernen werden im Sinne der Leitlinie
              Botschaft des Reiches Gottes und der Schöpfung        Bildung für nachhaltige Entwicklung „zu einem
              von Nachhaltigkeitsfragen und diesbezüglichen         fachlich fundierten und zugleich lebensweltnahen
              Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler her          und motivierenden Unterricht beitragen“68 und da-
              neu gelesen und als relevant für diese erschlos-      durch mit Blick auf das angestrebte Nachhaltigkeits-
              sen wird.“62                                          handeln den Schülerinnen und Schülern helfen, sich
                                                                    zu motivieren und andere zu aktivieren.
                 Die letzten Auflagen der Sinus-Jugendstudie,
              der Shell-Jugendstudie und der BMU-Jugendstu-             Beschuldigungen und verbotslastige Appelle an
              die haben deutlich gemacht, dass die heutigen         das schlechte Gewissen gilt es dagegen aus christ-
              Jugendlichen einer problembewussten, um die           licher wie aus bildungspolitischer und psychologi-
              Zukunft besorgten Generation angehören und            scher Sicht zu unterlassen. Denn Schuldgefühle sind
              ihnen Nachhaltigkeit ein wichtiges Anliegen ist.63    weder ein Garant für persönliche Verhaltensände-
              Dennoch könne man nach Gärtner „davon spre-           rungen, noch führen sie dazu, dass die Lernenden
              chen, dass Heranwachsende an einer low-cost-          gegen über-individuelle Nicht-Nachhaltigkeit,
              BNE interessiert sind“64, da die meisten als Kinder   Strukturen der Ungerechtigkeit und Entrechtung
              ihrer Zeit „angesichts des gesellschaftlich weiter    angehen werden.69 Eher führen sie zu einem Gefühl
              existierenden hegemonialen Kapitalismus“65 in         von individueller Überforderung, zu Verweigerung
              ihrem konsumgebundenen Streben nach Indivi-           oder gar reaktantem Verhalten.
              dualisierung und Anerkennung noch jenen Rol-
              lenbildern und Statussymbolen verhaftet seien,          Dementgegen kann in der Schule auch gelernt
              die keine nachhaltige Entwicklung erlaubten.          werden, sich für solche Systeme und soziale Ver-

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hältnisse stark zu machen, die das Gemeinwohl, das        motivational die praktische Umsetzung des im
heißt die Möglichkeit würdevoller Selbstverwirk-          Unterricht aufgebauten Nachhaltigkeitswissens.
lichung jeder Person, ins Zentrum des Interesses
stellen, mehr noch: eine gesellschaftliche Beteili-           Ein Negativbeispiel ist etwa die in vielen Schulen
gung aller einzufordern, diese zu ermöglichen und         bis heute verankerte, alljährliche Nutzung des
ihre Chancen wahrzunehmen.                                Flugverkehrs durch ganze Schulklassen oder -kurse.
                                                          Diese Praxis ist oft für einen Großteil der Mobili-
   Claudia Gärtner, die eine religiöse BNE mit dem        täts-Emissionen einer Schule verantwortlich und
Schwerpunkt politischen Lernens entworfen hat,            sollte daher, solange kein umweltverträgliches
bilanziert daher: „Es greift […] deutlich zu kurz, bei    Fliegen möglich ist, minimiert werden. Handelt es
BNE nach methodisch-didaktischen Gelingensbe-             sich um kurze und mittlere Distanzen zum Zielort,
dingungen zu suchen […]. Wesentliche Gründe               sollten alternative Anreiseoptionen unbedingt
hierfür liegen in […] gesellschaftlichen, sozialen        ernsthaft erwogen werden. Langstreckenflüge
und ökonomischen Kontexten, in denen indivi-              können umgangen werden, indem regelmäßige
duelles Lernen und Handeln eingebettet ist. BNE           Treffen von bestehenden Fernaustauschprogram-
bedarf somit grundlegend einer interdisziplinären         men durch die heute gängigen Kommunikations-
Ausrichtung, die auf politisches und demokrati-           möglichkeiten des Internets ersetzt werden. An
sches Lernen hin orientiert ist.“70 Folglich lohnt sich   diesen können zudem – statt einer privilegierten
ein Blick darauf, inwiefern eine Ausrichtung dieser       Minderheit – alle Klassen-/Stufenangehörigen
entscheidenden Rahmenbedingungen am Lernort               gemeinsam teilnehmen. Des Weiteren kann durch
Schule denkbar ist.                                       die digitalen Kontaktmöglichkeiten zu geographisch
                                                          entfernten Partnerinnen und Partner, zum Beispiel
Über den RU hinaus – Nachhaltigkeit in der                im Globalen Süden, der persönliche Austausch –
Schule praktizieren                                       anstelle einer einmaligen Reise – über mehrere
BNE soll nach Auffassung des nordrhein-west-              Jahre und durch regelmäßigen Wiedersehen auf-
fälischen Schulministeriums „nicht als Additum,           rechterhalten werden.74 Auch Vor- und Nachteile
sondern als ein integraler Bestandteil einer umfas-       verschiedener Klassen-, Kurs- und Stufenfahrtziele
senden schulischen Bildung verstanden werden.“71          sowie der genutzten Verkehrsmittel sollten mit den
Bedenkt man, dass Schule nicht nur ein Ort formel-        Schülerinnen und Schülern kritisch gegeneinan-
len Lernens ist, sondern auch ein Sozialraum, der         der abgewogen werden.75 Andernfalls forciert die
zu informellem Lernen und Sozialisation, beiträgt,        Schule den unreflektierten Umgang mit nicht-nach-
so wird schnell deutlich, dass ein ganzheitlich auf       haltigen Aktivitäten und reproduziert Normen, die
Nachhaltigkeit ausgerichtetes Schulkonzept einen          sie durch Bildung eigentlich zu überwinden sucht.
zentralen Bestandteil der Bemühungen um BNE
darstellt. Eine Institution, in der über die Zukunft         Wichtig ist auf der schulischen – wie auf der
gelernt wird, sollte auch selbst eine lernende,           individuellen Ebene –, nicht bei der Verkleinerung
zukunftsweisende Institution sein. Dieser Einsicht        des ökologischen Fußabdrucks stehen zu bleiben,
trägt der Whole School Approach Rechnung – im             sondern zum nächsten Schritt, einer Vergrößerung
Deutschen häufig bezeichnet als ‚gesamtinstitutio-        des Handabdrucks, weiterzugehen. Der Hand
neller Ansatz‘ oder auch ‚ganzheitlicher Lehr- und        Print-Ansatz, den Germanwatch publik gemacht
Lernansatz‘.72 Das Fachforum Schule der Nationalen        hat, veranschaulicht, dass gesellschaftliches Enga-
Plattform BNE formuliert daher in seiner Zwischen-        gement und politische Mitgestaltung zugunsten
bilanz zum Nationalen Aktionsplan die Zielsetzung         nachhaltigerer Rahmenbedingungen eine not-
für 2030 „dass BNE […] schulische Bildung und die         wendige Ergänzung zu individuellen Verhaltensän-
Institution selbst transformierend prägt“.73              derungen sind.76 Bleibt dies aus, kämpfen Einzelne
                                                          mühselig gegen nicht-nachhaltige Strukturen an,
   Mit Blick auf Normvorstellungen und gesell-            was weder dauerhaft durchzuhalten ist, noch den
schaftliche Erwartungen können Schulen im Guten           nötigen Gesamteffekt erzielt. Durch die gemeinsa-
wie im Schlechten – je nachdem, welche Priorität          me Hinwirkung auf nachhaltige Strukturen – in der
einer nachhaltigen Entwicklung in der Schulorga-          Institution Schule, wie in der Gesamtgesellschaft –
nisation und Schulgemeinschaft beigemessen                kann hingegen das eigene Nachhaltigkeitshandeln
wird – ein Vorbild für Schülerinnen und Schüler           erleichtert und fremdes Nachhaltigkeitshandeln
sein. Damit begünstigen oder hemmen sie zugleich          angestoßen bzw. ermöglicht werden.

                                                                                                                   9
Schwerpunkt

                 Zur Schaffung nachhaltiger Strukturen werden           NGOs/Netzwerken/Hilfswerken78, Stiftungen,
              für den Umsetzungsweg verbindliche Vereinbarun-           soziale und ökologische Patenschaften/Part-
              gen für den Umsetzungsweg sowie feste Zielvor-            nerschaften und ähnliches79. Teilweise können
              stellungen mit klaren Kriterien und überprüfbaren         (Lehramt-)Studierende, Wissenschaftlerinnen
              Indikatoren benötigt, damit es nicht zu einer Art         und Wissenschaftler, Kommunalpolitikerinnen
              von Greenwashing im Schulsystem kommt. BNE                und -politiker ebenfalls zur Unterstützung ange-
              soll mehr sein als ein Darüber-Reden. Es zielt            fragt werden.
              immer auf die Ermöglichung von transformativem            Aufsuchen außerschulischer Lernorte, die dem
              Handeln. Diesem Ziel unter Wahrung der Freiheit           Lernen einen Mehrwert verschaffen oder den
              von Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden,           Lernerfolg gesamtgesellschaftlich multiplizie-
              funktioniert nur, wenn es im Lernumfeld auch au-          ren: zum Beispiel Exkursion in die Schöpfung,
              thentische Vorbilder gibt. „Walk the talk“ – oder:        aufklärende Schätz- und Mitmachaktion in der
              mit gutem Beispiel Schritt für Schritt vorangehen         Fußgängerzone, Befragung von Passantinnen
              – lautet das Gebot der Stunde. Sind die Schüle-           und Passanten oder Entscheidungstragende;
              rinnen und Schüler erst einmal sensibilisiert, wird
              die eine oder andere (persönliche) Veränderung            klassen- und jahrgangsübergreifende Formate
              auch ihrerseits bestaunt und vielleicht sogar wert-       für Schülerinnen und Schüler und ggf. andere
              schätzend artikuliert.                                    Schulakteurinnen und -akteure: zum Beispiel
                                                                        AGs, Workshops, Pausenaktionen, Projektwo-
                 Schule ist für Schülerinnen und Schüler der            chen, Fastenzeitaktion, Jahresthema, Wettbe-
              ideale Ort, um zwei zentrale Bereiche von BNE zu-         werbe, Nachhaltigkeitstage und Feste zur Feier
              sammenzubringen: Global denken, lokal handeln.            erreichter Ziele, Tauschbörsen und Flohmärkte,
              Als Keimzelle für nachhaltige Ideen und eine Art          Ausstellungen, Initiativen, Umwelt- oder Sozial-
              Mikro-Gesellschaft zum Erkunden und Erproben              praktika wie das Compassion-Projekt, Quali-
              der gelernten Inhalte, bietet sie reichlich Chan-         fikation zu Nachhaltigkeitsbotschafterinnen und
              cen, das herausfordernde Thema nachhaltiger               -botschafter für die Politik und Gesellschaft;
              Entwicklung und transformativer Weltgestaltung
              in die Praxis zu überführen. Beispielhaft seien           Vorgaben und Konzepte für die Schule und das
              folgende Anregungen genannt:                              Kollegium: zum Beispiel Schulleitbild, Schulver-
                                                                        einbarung, pädagogisches Konzept, Beteili-
                nachhaltige Schüler/innenfirmen: zum Bei-               gungs- und Mitverantwortungsstrukturen für
                spiel Anbau im Schulgarten mit Snack- und               Schülerinnen und Schüler (sowie Eltern), schul-
                Blumenverkauf im Schulkiosk; Verkauf öko-fair-          interne Curricula, Fortbildungen, gemeinsame
                gehandelter Büromaterialien und Schulshirts;            Schulungen, Evaluationsinstrumente;
                Ausschank von fair gehandeltem Kaffee und
                Tee; veganes Catering bei Veranstaltungen;              Schulorganisation80 unter Mitsprache- und
                schulinterner Verleih von Freizeitliteratur, Spie-      Mitgestaltungsmöglichkeiten der Lernenden:
                len, ausgewählten Filmen, Sportausstattung              zum Beispiel Schulessen- und Getränkeangebot,
                und ähnliches.; Auswärtsverleih oder Verstei-           Verkehrsflächen und-anbindung, Schulfahrten
                gerung selbstgestalteter Kunst- oder Handwer-           und Ausflüge, Strom- und Heizungsregulation
                ke für einen guten Zweck; Produktion einfacher          (eigene Anlagen und Betriebszeit), Abfalleinspa-
                Gebrauchsgegenstände für die Schule zum Bei-            rung, Druck-/Kopiereinstellungen und-nutzung,
                spiel aus Holz oder Textilien; Dienstleistungen         Beschaffungsregulation, Schulgeländeumgestal-
                wie Fahrradpflege, Energiesparkontrolle oder            tung, Schulgebäudeanpassungen, Klimaschutz-
                soziale Angebote für Heimbewohnerinnen und              konzept.
                -bewohner;
                                                                        Es gibt also eine Fülle von Möglichkeiten, Interes-
                Vernetzung und Kooperation mit außerschuli-          se am Thema Nachhaltigkeit und Begeisterung für
                schen Partnern77: Diese können den Unterricht        eine entsprechende Praxis zu wecken – durch span-
                und das Schulleben bereichern oder Einblicke         nende Projekte, die Selbstwirksamkeitserfahrungen
                und Mitwirkungsmöglichkeiten gewähren. Hier          ermöglichen, durch Feste mit Ausstellungen und
                bieten sich Möglichkeiten mit benachbarten           Aktionen, die in kreativer Weise Aufmerksamkeit auf
                Kirchengemeinden, Verbänden/Vereinen,                die Relevanz und Dringlichkeit des Themas lenken,

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durch Gemeinschaftserlebnisse verschiedener Art.      der Religionsunterricht in der Schule […] und […]
Erfahrungen, die Schülerinnen und Schüler in diesen   das kirchliche Bildungs- und Erziehungsangebot
und vielen weiteren Lernbereichen gemacht haben,      durch eigene Schulen“83, motivieren die deutschen
können im Unterricht aufgegriffen werden. Reflexion   Bischöfe. Insofern bildet religiöse BNE auch eine
und Diskussion bieten dann einen umso größeren        Chance für die Kirche, da viele BNE-Themen, -Ein-
und nachhaltigeren Lerneffekt wenn sie auf eigene     stellungen und -Haltungen, in genuin christlichen
Erlebnisse und Erfahrungen aufbauen.                  Ansätzen wiederzufinden sind. Wenn die Kirche
   Um auch als Initiatorin bzw. Initiator solcher     den Schülerinnen und Schülern Gestaltungsspiel-
Formate motiviert zu bleiben und mit vereinten        räume lässt, kann sie Heranwachsenden auf diese
Kräften strukturelle Veränderungen anstoßen           Weise einen neuen Zugang zum christlichen Glau-
zu können, ist es grundlegend, sich mit anderen       ben eröffnen. Bisher machen sich bereits Kom-
Bereitwilligen zu verbinden, sich gegenseitig an-     munen die Partizipation junger Bürgerinnen und
zuspornen, wertzuschätzen und auszutauschen –         Bürger als Bereicherung ihrer Stadtentwicklung
möglicherweise sogar systematisch in Communi-         zunutze.84 Eine ähnliche Beteiligung junger Change
ties of Practice. Manchmal kann es auch hilfreich     Agents in der Kirche über die Kinder- und Jugend-
sein, dabei die Dichotomie von Lehrenden- und         katechese oder die Schulpastoral zu ermöglichen,
Lernenden aufbrechen, um sich als Lerngemein-         kann einen Mehrwert für alle Beteiligten bieten.
schaft zusammen auf den Weg zu machen, da die
Kreativität und Innovationsfähigkeit der Heran-       Schöpfungslust statt Krisenfrust – transformati-
wachsenden ebenso lehrreich sein kann wie die         ves Handeln fördern
Expertise und Lebenserfahrung der Erwachsenen.        Es mag angesichts der Dringlichkeit ernsthafter
                                                      Nachhaltigkeitsbestrebungen naheliegen, Ler-
   Teil dieser Lerngemeinschaft sind nicht nur        nende durch Dramatisierung anzuspornen. Doch
Schülerinnen, Schüler, Lehrerinnen und Lehrer,        das Gegenteil kann die Folge sein, wie die in den
auch Eltern und alle, die an Schulen arbeiten. Die    1970er Jahren verbreitete Katastrophenpädago-
Deutsche Bischofskonferenz weist etwa darauf          gik gezeigt hat, die oftmals zu Abschreckung und
hin, dass die „Schulpastoral […] das Umweltenga-      Lähmung führte. Daher hat die BNE versucht,
gement von Jugendlichen unterstützen und ihnen        einen anderen Kurs einzuschlagen. Gärtner zufol-
ggf. auch in Kooperation mit außerschulischen         ge ist die „Datenbasis für eine so weitreichende
Partnern Wege eröffnen [kann], dieses Engage-         Abkehr von der […] ‚Katastrophendidaktik‘ […]
ment in zielführende politische Projekte oder in      eher dünn […], [sodass] eine eindeutige Be-
einen nachhaltigen Lebensstil zu übersetzen. Dabei    wertung von didaktischen Konzeptionen [nicht]
werden Schulseelsorgerinnen und Schulseelsorger       vorgenommen werden kann“ 85. Dennoch spricht
das christliche Verständnis von Natur als Schöp-      einiges dafür, von pädagogischen Vorhaben,
fung Gottes mit den entsprechenden normativen         die Pessimismus schüren, Abstand zu nehmen.
Implikationen für einen nachhaltigen und sozial       Die vielfach ausgezeichnete Broaden-and-Bu-
gerechten Lebensstil zur Sprache bringen.“81 Unter    ild-Theorie (Barbara Frederickson) der Positiven
Rekurs auf die Enzyklika „Laudato siʼ“ (2015), in     Psychologie besagt, dass Emotionen wie Freude,
der Papst Franziskus die spirituelle Komponente       Dankbarkeit, Wertschätzung, Ehrfurcht, Liebe
einer Nachhaltigkeitserziehung betont, fahren die     und Hoffnung die Wahrnehmung und Offenheit
deutschen Bischofe fort: „Insbesondere ist es Auf-    eines Menschen begünstigen („broaden“), da-
gabe von Schulpastoral, Jugendliche in ihrem Enga-    durch Problemlösefähigkeiten und innovative Ge-
gement für eine intakte natürliche Umwelt und bei     danken fördern und schließlich zum langfristigen
ihrer Suche nach einem nachhaltigen Lebensstil zu     Ressourcenaufbau des Individuums in Form von
unterstützen.“82                                      gestärkter Resilienz und zwischenmenschlicher
                                                      Beziehung führen („build“).86
   Zudem bieten gerade Schulen in kirchlicher Trä-
gerschaft große Potentiale, um nachhaltige Struk-        In Sinne dieser Theorie87 und vor dem Hinter-
turen auf institutioneller Ebene umzusetzen. Durch    grund entsprechender christlicher Grundhaltun-
„Bildung und Erziehung […] versuchen die Kirchen,     gen kommt dem Empowerment von Schülerin-
Menschen zu einem wertbezogenen Handeln im            nen und Schülern eine entscheidende Rolle in
persönlichen, sozialen und politischen Bereich zu     der religiösen BNE zu. Wenn man es geschafft
befähigen […]. Von besonderer Bedeutung sind          hat, junge Menschen für nachhaltige Entwicklung

                                                                                                           11
Schwerpunkt

              zu begeistern und zu Nachhaltigkeitshandeln           möglichkeit eines intendierten Wandels äußere.
              zu ermutigen, brauchen sich Lehrerinnen und           Doch gebe es auch Narrative, die einen Ausweg
              Lehrer keine Sorgen um die Umsetzung von BNE          sähen.90 Dazu zählt etwa das Umkehrnarrativ.
              machen. Sie werden nicht alleine vor einem Berg       Die Erzählung von der Umkehr fokussiert auf die
              von Herausforderungen stehen, der unmög-              Verursachung und deren Lösung statt auf die
              lich zu bewältigen wäre. Wer mit der richtigen        Desaster und sie zielt auf die Fähigkeit zu Verän-
              Haltung und Überzeugung an BNE herangeht,             derung statt auf Gleichgültigkeit und Resignation.
              Schülerinnen und Schüler als Produzierende von        Sie kann aus der christlichen Hoffnung, die keine
              BNE-Wissen betrachtet sowie grundlegende BNE-         reine Jenseitshoffnung bleiben darf,91 gespeist
              Kompetenzen und Bereitschaft zur Beteiligung          werden: Gott nimmt Anteil am geschöpflichen
              an Aushandlungs- und Gestaltungsprozessen             Leid und kennt überdies einen Heilsplan für seine
              fördert, wird vielmehr dafür belohnt. Denn die        Schöpfung; diese Verheißung für eine bessere
              Schülerinnen und Schüler werden selbst innova-        Welt besteht durch alle Krisen hindurch fort.
              tive Wege einschlagen, Ideen in den Unterricht
              einbringen und das BNE-Feld vorantreiben.                Was die Schule zu einer besseren Welt von
                                                                    morgen beitragen kann, lässt sich auf folgende
                 Transformation braucht Veränderungsbereit-         Kurzformel bringen: Befähigung und Ermutigung
              schaft und Veränderungsbereitschaft braucht           zu einer persönlichen und gesamtgesellschaft-
              Überzeugung. Diese Überzeugung können Religi-         lichen Umkehr. Religionsunterricht und Schul-
              onsunterricht und Schulpastoral befeuern, denn        seelsorge können den Blick auf die Verbunden-
              nach christlichem Glauben, so Papst Franziskus,       heit der Schöpfungsfamilie und den Auftrag des
              „[ist] die Welt […] mehr als ein zu lösendes          Menschen angesichts heutiger Herausforderun-
              Problem, sie ist ein freudiges Geheimnis, das wir     gen lenken. Sie können neugierig machen und
              mit frohem Lob betrachten“ (LS 12). Oder anders       zur Mitgestaltung der Schöpfung motivieren,
              gesagt: Der Wandel muss von den Schülerinnen          indem sie Handlungsräume und Möglichkeiten
              und Schülern kommen, ihre Befähigung, Bestär-         für Selbstwirksamkeitserfahrungen schaffen.
              kung und Begeisterungsanreize von den Schulen
              und den Ressourcen religiöser Bildung.                   Letztlich können Kirche und Schule, wenn sie
                                                                    „nach den Zeichen der Zeit […] forschen und sie
                 Gerade angesichts der Klimakrise erfahren          im Licht des Evangeliums […] deuten“ (GS 4),
              Schülerinnen und Schülern jedoch vermehrt             das heißt die frohe Botschaft als Angebot und
              psychosozialen Stress etwa in Form von Über-          Ansporn wachhalten, wesentlich dazu beitragen,
              forderung, Hilfslosigkeit, Kontrollverlust, Wut und   dass die nächste Generation aus dieser Hoffnung
              Schuldgefühlen.88 Aus christlicher Sicht kann und     lebt und daran glaubt, mit Gottes Beistand die
              sollte den begründeten Sorgen und Belastun-           Welt zu einem gerechteren und zukunftsfähigen
              gen wie auch einer abträglichen Panikmache            Ort machen zu können. Dieses Empowerment
              durch einen Hoffnungsgedanken Einhalt geboten         sollte jede religiöse Bildung und schulische Er-
              werden, der die naturwissenschaftlichen Gründe        ziehung zum Ziel haben. In diesem Sinne schließt
              zur Besorgnis nicht negiert aber dennoch Kraft        dieser Text mit den ermutigenden Worten von
              und Zuversicht spendet. Zwar ist es wichtig, die      Papst Franziskus zur Besiegelung des globalen
              Risiken ernstzunehmen und wissenschaftlich ge-        Bildungspaktes: „Erziehen ist immer ein Akt der
              stützte Zukunftsszenarien offen darzulegen, aller-    Hoffnung; er ruft zur Mitbeteiligung auf und
              dings sollten diese nicht zu didaktischen Zwecken     zur Umwandlung der sterilen, lähmenden Logik
              in ein Katastrophen-Narrativ verwandelt werden.       der Gleichgültigkeit in ein anderes Denken, das
                                                                    unsere gegenseitige Zugehörigkeit berücksichtigt.
                 Bederna stellt unter Bezugnahme auf das            […] Jede Veränderung erfordert einen Bildungs-
              gleichnamige DFG-Projekt der Universität Vechta       prozess, um neue Paradigmen herauszubilden,
              verschiedene „Narrative des Anthropozän in            die auf die Herausforderungen und Notlagen
              Wissenschaft und Literatur“89 sowie in Kirche und     der heutigen Welt reagieren, die Bedürfnisse
              Gesellschaft gegenüber. Die einen Erzählun-           der verschiedenen Generationen verstehen und
              gen handeln von der menschlich verursachten,          Lösungen für sie finden und die Menschheit von
              unvermeidlichen Katastrophe, andere von der           heute und morgen zum Blühen bringen. Wir sind
              unverschuldeten Komplexität, die sich als Un-         der Meinung, dass Bildung einer der wirksams-

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