Nachrichten für Filmschaffende - bsf-s

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414 | 18. Januar 2018

Nachrichten für Filmschaffende

herausgegeben von Peter Hartig in Kooperation mit www.crew-united.com
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2 | Max-Ophüls-Preis                                                                                414 | 18. Januar 2018

So gelöst dürften Svenja Böttger und Oliver Baumgarten nur für die Kamera schauen, denn die Vorbereitungen zum »Max-Ophüls-Preis«

laufen auf Hochtouren. Ab nächsten Montag trifft sich der deutschsprachige Filmnachwuchs wieder in Saarbrücken. Rund 130 Filme aller

Längen laufen dieses Jahr in den Wettbewerben und Nebenreihen.

Zwischenbilanz
Der Max-Ophüls-Preis hat seit vorigem Jahr eine neue Spitze. Die Festivalleiterin Svenja Böttger
und der Gesamtprogrammleiter Oliver Baumgarten erklären, was sich beim Nachwuchsfestival
verändert hat, was anders wird oder so bleiben soll, wie es ist.

Interview Jan Fedesz

Titel: Max-Ophüls-Preis, Oliver Dietze | Foto: Epicleff Media, NFP
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414 | 18. Januar 2018

Frau Böttger, Sie haben im vorigen Jahr die Lei-
tung des Max-Ophüls-Festivals übernommen.
War’s schwer?
Svenja Böttger: Es war vor allem eine große Her-
ausforderung, und es hat ungeheuren Spaß ge-        /BROMANTISCHES3CHLOSSODERVER
macht, sie zusammen mit meinem Team anzu-           WUNSCHENE"URGRUINE OBFASZINIEREN
gehen und nun bereits die zweite Ausgabe zu         DE.ATURKULISSEODERBRACHLIEGENDE
bestreiten.                                         )NDUSTRIEANLAGENr"AYERNBIETET
                                                    ZAHLREICHE-ÒGLICHKEITENAN-OTIVEN
Die Umstände waren ja alles andere als ideal:
                                                    FØR)HREN$REH&ILMKULISSE"AYERN
Ihre Vorgängerin Gabriella Bandel hatte das         BIETETBAYERNWEITE5NTERSTØTZUNGBEI
Festival über mehrere Jahre geleitet und ging       -OTIVSUCHE $REHGENEHMIGUNGEN 
nach einem Streit mit der Stadt Saarbrücken,        5NTERBRINGUNGUNDLOGISTISCHEN,EIS
die das Festival ausrichtet. Der Streit ging        TUNGEN0ROFITIEREN3IEDAVONà
durch die Presse, auch der Kritikerverband und
prominente Filmemacher hatten da für Bandel
Stellung bezogen. Ist nun wieder alles gut?
Svenja Böttger: Ich war in diese Vorgeschichte
nicht involviert und kann mich deshalb auch
nicht dazu äußern. Mein Blick hat sich von Be-
ginn an nach vorne gerichtet, und ich habe da-
bei von allen Seiten große Unterstützung erhal-
ten.
Den Kern des Streits hatte der ehemalige
Ophüls-Leiter Boris Penth so zusammenge-
fasst: Das Festival werde nicht in seiner Bedeu-
tung honoriert, es mangele an Wertschätzung
und finanzieller Honorierung. Anlässlich Ihrer
Berufung versicherte der Aufsichtsrat Ihnen
»eine breite Unterstützung«. Bedeutet das
mehr Geld fürs Festival?
Svenja Böttger: Das heißt vor allem eine breite
Unterstützung in allen Vorhaben, das Festival zu
modernisieren und in seinen Zielen weiter zu
entwickeln. Ich bin bei meinem Antritt auf eine
stabile Grundfinanzierung getroffen, die es wei-
ter auszubauen gilt. Daran arbeiten wir gemein-
sam schrittweise.
Ihre Ernennung kam etwas überraschend. Das
Festival hatte Ihr Alter selbst angesprochen:
Mit 28 waren Sie wahrscheinlich die jüngste
                                                   WWWBAYERNBYFILMKULISSE DATENBANK
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4 | Max-Ophüls-Preis                                                                            414 | 18. Januar 2018

Leiterin eines Festivals dieser Größenordnung.                         Wo bleiben die Inhalte? Was halten Sie zum
Wie alt sind denn eigentlich die Filmemacher im                        Beispiel von Genres?
Durchschnitt?                                                          Svenja Böttger: Da sind Sie leider unzureichend
Svenja Böttger: Ohne das jetzt ausgezählt zu ha-                       informiert. Das Rad nicht neu zu erfinden, be-
ben, könnte ich mir durchaus vorstellen, dass                          zog sich auf die Struktur der bewährten und im
ich da im Schnitt liege. Und genau das stellt ja                       Zentrum stehenden Wettbewerbe aus Spielfilm,
auch einen Vorteil dar. Ich habe bis vorletztes                        Dokumentarfilm, mittellanger Film und Kurz-
Jahr an der Filmuniversität in Potsdam studiert,                       film: Diese vier Blöcke bilden nach wie vor das
kenne mich bestens mit den Hochschulen aus                             Zentrum des Festivals.
und habe hervorragende Kontakte zu der Filme-                             Um das herum aber haben wir mit »MOP-
machergeneration, an die sich das Festival vor-                        Watchlist« und »MOP-Shortlist« eine neue und
rangig wendet. Gemeinsam mit Oliver Baum-                              in seiner Auswirkung erhebliche Reihenperi-
garten, der die Gesamtleitung Programm inne-                           pherie entwickelt, die einen Querschnitt bietet
hat und auf eine Branchenerfahrung von über                            aus deutschsprachigen Nachwuchsfilmen, die
20 Jahren bauen kann, ergänzen wir uns zu ei-                          im abgelaufenen Kalenderjahr auf anderen Fe-
ner idealen Konstellation.                                             stivals Premiere hatten. Gemeinsam mit den
Der Max-Ophüls-Preis beschreibt sich als »zen-                         Wettbewerbsfilmen bieten wir damit seit dem
tralen Ort für den deutschsprachigen Filmnach-                         vergangenen Jahr die hierzulande umfassendste
wuchs«, Zeitungen nennen es knapper das                                Filmschau des aktuellen deutschsprachigen
»wichtigste« Festival dieser Art. Was sagen                            Nachwuchsfilms.
denn zum Beispiel die Hofer Filmtage dazu?                                Weitere Neuerungen umfassen den erhebli-
Svenja Böttger: Bei der kommenden Ausgabe                              chen Aus- und Umbau des Branchenpro-
präsentieren wir rund 130 aktuelle Arbeiten des                        gramms sowie der weitere programmatische
deutschsprachigen Nachwuchsfilms, weit über                            Einbezug europäischer Gäste und den Ausbau
die Hälfte davon in Ur- oder deutscher Erstauf-                        und Neu-Aufbau von Kooperationen. Und zum
führung, und bieten ihren Macherinnen fast ein                         Stichwort Genre: Genre bildet eines der thema-
Dutzend auf sie zugeschnittene Vernetzungs-                            tischen Schwerpunkte der kommenden Ausga-
veranstaltungen untereinander sowie mit Multi-                         be, weil zurzeit eine erfreulich hohe Zahl an jun-
plikatoren und Entscheidern aus der Film- und                          gen Filmemacherinnen Gestaltungselemente
Fernsehbranche. Unser gesamtes Festival ist                            aus verschiedenen Genres verwenden, um ihre
konsequent der Förderung und Präsentation                              Geschichten zu erzählen.
des Nachwuchses gewidmet.                                              Als Zuschauer nimmt man den Deutschen
Sie erklärten damals, sie wollten das Rad nicht                        Spielfilm fast nur in zwei Extremen wahr: Al-
neu erfinden. Neu waren in Ihrem ersten Jahr                            bern und klischeebeladen oder trist und
nur die Reihe »MOP-Klassiker« mit früheren                             schwer. Wie sieht’s bei Ihnen im Wettbewerb
Preisträgerfilmen und die »MOP-Visionen« mit                            aus?
neuer Technik wie Webvideos, Games, 360                                Oliver Baumgarten: Dieses Vorurteil gegen den
Grad und Virtual Reality. Also eine ständige Re-                       deutschen Spielfilm hält sich seit den 80er-Jah-
trospektive und eine Wühlkiste für Trends und                          ren hartnäckig bei denen, die sich nicht mit ihm
Hypes. Das ist nett, aber nicht überwältigend.                         beschäftigen. Wir können diesen Eindruck so
Fotos: Max-Ophüls-Preis, Oliver Dietze [2] | Max-Ophüls-Preis, Peter Fischer
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414 | 18. Januar 2018                                                                                  Max-Ophüls-Preis | 5

Die neue Chefin ist 29 und mischt sich perfekt ins Publikum (unten links). Svenja Böttger hat an der Filmuniversität Babelsberg »Konrad

Wolf« studiert, 2014 das Studentenfilmfestival Sehsüchte und dann zwei Jahre den Empfang der Filmhochschulen auf der Berlinale

geleitet, ehe sie nach Saarbrücken kam. Dort will sie nicht alles neu erfinden – wozu auch? Die vier Wettbewerbe bilden weiterhin das

Zentrum des Festivals (oben). Neu ist etwa die Programmreihe »MOP-Visionen« mit neuer Technik wie Webvideos, 360 Grad und Virtual

Reality (unten rechts).
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6 | Max-Ophüls-Preis                                                                          414 | 18. Januar 2018

pauschal in keiner Weise teilen. Unser Pro-                            Svenja Böttger: Nimmt man beide Langfilm-
gramm steckt voller gestalterisch herausragen-                         Wettbewerbe zusammen, stammen bei uns in
der, erzählerisch ungemein konsequenter und                            diesem Jahr sogar 54 Prozent der Filme von Re-
atmosphärisch intensiver Arbeiten. Wir können                          gisseurinnen. Die Diskussionen der letzten Jah-
nur alle sehr herzlich dazu einladen, sich bei                         re beginnen zu fruchten, auch im Nachwuchs
unserem Festival selbst davon zu überzeugen.                           sehen wir immer mehr Langfilmdebüts von Re-
Herr Baumgarten, sie hatten um die Jahrtau-                            gisseurinnen.
sendwende Filmplus mitbegründet, den Fach-                             Bei den Regietagen im November war die Quo-
kongress zur Filmmontage, seit vier Jahren ku-                         te ebenfalls ein Thema (cinearte 410). Die ein-
ratieren Sie das Gesamtprogramm beim Max-                              hellige Meinung auf dem Podium: Gleich nach
Ophüls-Preis. Wie unterscheiden sich die                               dem Debütfilm tue sich eine Kluft auf, ein gro-
beiden Aufgaben?                                                       ßer Teil der rund 44 Prozent Regieabsolventin-
Oliver Baumgarten: In erster Linie natürlich be-                       nen deutscher Hochschulen erhielten gar nicht
züglich des Umfangs. Beim Filmfestival Max                             die Chance, einen zweiten Film zu realisieren.
Ophüls Preis gilt es, für die Festivalwoche knapp                      Haben Sie Ideen, wie ein Nachwuchsfestival da
250 Screenings zu programmieren – Filmplus                             gegensteuern könnte?
fällt da kleiner aus, ist aber auch viel speziali-                     Svenja Böttger: Als Festival sind wir natürlich
sierter. Beide Aufgaben eint aber die Leiden-                          auf das überzeugende Angebot von Regisseu-
schaft, mich mit Bildsprachen zu beschäftigen,                         rinnen angewiesen, damit wir ihre Filme dann
mich darüber auszutauschen und immer aufs                              auch einladen können. Und so freuen wir uns
Neue Entdeckungen zu machen.                                           ganz besonders, dass wir in diesem Jahr auch
Wie haben Sie die Arbeit beim Ophüls-Preis                             einmal die Entstehung von herausragenden Re-
aufgeteilt?                                                            gisseurinnen-Filmen unterstützen können: Die
Oliver Baumgarten: In der Gesamtleitung Pro-                           Absolventinnen von »Into the Wild«, dem Men-
gramm kümmere ich mich darum, dass das in-                             toring-Programm für Filmemacherinnen, wer-
haltliche Konzept, das wir gemeinsam erarbei-                          den bei uns auf einem Pitching-Salon der Bran-
ten, durchgesetzt wird. Ich sehe und akquiriere                        che ihre neuen Projekte vorstellen – und dann
das ganze Jahr über Filme und baue das alles zu                        hoffentlich in ein paar Jahren bei uns im Wett-
dem 150 Filme umfassenden Programm zusam-                              bewerb laufen.                                c
men. Die Festivalleitung, Svenja Böttger, hält
hingegen alle Fäden in der Hand. Das betrifft
eben außer dem Programm auch: Finanzierung,
Sponsoring, Marketing, Kooperationen, Rah-
menprogramm und weitere Events und Veran-
staltungen, Repräsentationsaufgaben. Zusam-
men konzipieren wir das Programm, das aber ja
nur ein Teil des Ganzen darstellt.
16 Filme stehen dieses Jahr im Spielfilmwett-
bewerb, 7 davon haben Frauen inszeniert.
Trend, Zufall oder Quote?

Fotos: Max-Ophüls-Preis, Oliver Dietze [2] | Max-Ophüls-Preis, Peter Fischer
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414 | 18. Januar 2018                                     Max-Ophüls-Preis | 7

Filmgespräche gehören selbstverständlich zu den Vorführungen

auf dem Festival. Werkstattgespräche und Festivalclub sollen den

Austausch fördern. Präsentiert wird übrigens nicht nur der

Nachwuchs: Der 87-jährige Schauspieler Mario Adorf ist

Ehrengast beim »Max-Ophüls-Preis« samt Podiumsgespräch und

kleiner Filmreihe. Es gibt eine filmische Hommage an den

Regisseur Wolfgang Staudte, der aus Saarbrücken stammte. Die

Regisseurin Doris Dörrie erhält den Ehrenpreis für Verdienste um

den jungen deutschsprachigen Film. Und in Kooperation mit der

»Perspektive Deutsches Kino« wird das Debüt eines inzwischen

etablierten Filmemachers gezeigt – in diesem Jahr Julia von Heinz.
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8 | Fremde         414 | 18. Januar 2018

Weite Enge
Foto: Katja Kuhl
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Zehn Tage im Dezember drehte Tim Dünschede (rechts) an seinem Drittjahresfilm an der HFF München. Die Kälte wird er nie mehr unterschätzen,

sagt er: »Alles geht langsamer.« Doch es hat sich gelohnt: Der 30-Minüter läuft nun im Wettbewerb des Max-Ophüls-Preises.

Genrefilme sind im Kommen. Auch deutsche Filmstudenten erträumen sich Welten jenseits der
vertrauten Wirklichkeit. Das Max-Ophüls-Festival zeigt das in seinem Programm. Zum Beispiel
mit dem Endzeit-Drama Fremde.
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10 | Fremde                                                                414 | 18. Januar 2018

Text Peter Hartig                                  zusammen einen Genrefilm zu machen«, sagt
                                                   Dünschede. »Jetzt war es soweit.«
Alljährlich trifft sich der Filmnachwuchs in          Ach ja, das »Genre« – Sammelbegriff für alles
München zum Filmschoolfest, und jedes Jahr         an Fiktion, was nicht im Hier und Jetzt spielt
versuchen wir mit drei kurzen Fragen herauszu-     und nicht ebensogut als Dokuspiel nach Dog-
finden, wie die nächste Generation so tickt.       ma-Regeln verfilmt werden könnte: Science-
Auch Tim Dünschede hat unseren Fragebogen          Fiction und Fantasy, Krimi oder Historie. Das
im vorigen November beantwortet (cinearte          deutsche Publikum tut sich schwer damit. Nicht
411). »Mein Traumprojekt« sollen die kommen-       mit dem Genre selbst: Krimis aus Skandinavien,
den Filmemachern da in drei Sätzen beschrei-       Superhelden aus den USA, Kostümfilme aus
ben. Dünschede reichte einer: »Spannender          Großbritannien locken in die Kinos. Aber den
Genrefilm in Deutschland.« Da steckte er mitten    eigenen Filmemachern traut man’s offenbar
in der Endfertigung zu seinem Drittjahresfilm:     nicht zu. Bisher floppten die meisten Versuche,
Fremde ist ein Endzeitthriller auf engstem         »deutsches Genre« ins Kino zu bringen, selten
Raum: In einem Bunker unter der Erde lebt Ma-      erhält ein solcher Stoff Filmförderung. Was aber
rie mit ihrem Vater und ihrem kleinen Bruder.      die Filmemacher nicht davon abhält, es weiter
Als der Vater versehentlich einen Fremden an-      zu versuchen. In letzter Zeit immer mehr.
schießt, verarztet Marie den bewusstlosen             Genre made in Germany »kommt allmäh-
Mann. Für sie bietet er die Hoffnung, aus dem      lich«, meint Dünschede. Erste Festivals haben
Schutzraum auszubrechen, den sie als Gefäng-       sich ihm schon verschrieben, erste Serien wie
nis empfindet. Doch als drei Marodeure in den      You Are Wanted, Dark oder 4 Blocks hatten auf
Bunker eindringen, ist sie sich nicht mehr si-     Streaming-Plattformen genügend Erfolg, um in
cher, ob sie ihrem neuen Freund wirklich trauen    eine zweite Staffel zu gehen.
kann.                                                 Die beiden Filmstudenten liegen also im
   Genau genommen, war die Geschichte nicht        Trend. Dünschede beschreibt seine Vorliebe
die erste Wahl. Dünschede hatte bereits ein        aber mit persönlicheren Motiven: »Ich hatte
Drehbuch mit einer Mitstudententin an der          schon im zweiten Jahr einen Genrefilm geplant.
Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) in         Ich wollte kein Sozialdrama oder eine Komödie
München entwickelt. Ebenfalls ein sogenannter      drehen. Ich fühle mich im Genre wohl und mag
Genre-Stoff und ambitioniert in der Umset-         es, Welten zu kreieren.«
zung, mit Dreh in Frankreich. So war’s gedacht,
aber letztlich noch nicht umzusetzen. Die          Warum schreibt er dann sein Drehbuch nicht
Hochschule hatte die Budgets gekürzt, das Pro-     gleich selbst, wie es andere Regiestudenten und
jekt, war so nicht zu finanzieren. Auch Filmstu-   Regisseure tun? »Ich schreibe gerne selbst«, ant-
denten stehen mitunter vor den Problemen der       wortet Dünschede, »aber ich glaube auch an Ko-
echten Filmwelt. Ein anderer Stoff musste her.     operation. Ich schneide ja auch nicht selbst.
   Mit Patrick Schorn, der an der Deutschen        Und aus gutem Grund gibt es die Zunft der
Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) Pro-       Drehbuchautoren.«
duktion studiert, hatte er einen Gleichgesinnten      Das hört man hierzulande nicht oft – die Vor-
gefunden. »Wir warteten schon länger darauf,       stellung vom Autorenfilmer, der seine eigenen
Fotos: Claudio Köhl | Max-Ophüls-Preis
414 | 18. Januar 2018   Fremde | 11

Der Großteil der

Handlung läuft in

einem Bunker ab.

DoP Holger

Jungnickel (Mitte)

drehte auf der

Alexa in Cinema-

scope. Die Filme-

macher suchten

diesen Kontrast

zwischen dem

größtmöglichen

Bildausschnitt und

der klaustrophobi-

schen Stimmung.
12 | Fremde                                414 | 18. Januar 2018

Auch draußen sieht man kaum Weite. Im

Wald verstellen ständig Bäume den Blick,

die Kamera hält nah auf die Gesichter.

Fotos: Katja Kuhl | Max-Ophüls-Preis [2]
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Bücher auch inszeniert, steckt in den Köpfen.     setzt hatte. Sie drehten auf der Arri Alexa mit
Auch an den Hochschulen, die Drehbuchauto-        anamorphotischen Vantage-Objektiven. Cine-
ren ausbilden. Eine stärkere Trennung der Auf-    mascope für ein Kammerspiel im Bunker?
gaben und zugleich mehr Zusammenarbeit zwi-          »Wir suchten eben diesen Kontrast«, erklärt
schen den Gewerken würde sich Dünschede           Dünschede. »Die Stimmung ist durchweg klau-
wünschen. Sonst sei das nicht so rigoros aufge-   strophobisch, nicht nur im Bunker. Im Wald ver-
teilt – lediglich die Filmakademie Baden-Würt-    stellen Bäume den Blick, bei den Gesichtern
temberg in Ludwigsburg sei da vielleicht schon    gingen wir nah ran. Obwohl man draußen ist,
ein wenig weiter als andere.                      gibt es kaum Weite.«
   Und dort im Südwesten ist auch der Drang          Mit einem »studentischen Budget« waren die
zum Genre offenkundiger als anderswo. Schorn      Filmemacher nicht nur beim Dreh, sondern
und Dünschede veröffentlichten einen Aufruf:      auch bei der Nachbereitung sehr von der ko-
Genre-Drehbuch gesucht! An der Filmakade-         stenlosen Unterstützung und zeitlichen Verfüg-
mie hatte Marc Vogel eine passende Geschichte     barkeit seiner Partner abhängig. Die Postpro-
in der Schublade – kürzer, bunter, überschau-     duktion des ambitionierten Films zog sich über
barer, mit weniger Motiven und ohne Auslands-     mehrere Monate. Dünschede: »Nicht zuletzt
dreh. Dünschede reiste Mitte September 2016       durch das Genre an sich hatten wir einen recht
nach Ludwigsburg und überarbeitete mit Vogel      hohen Postproduktionsaufwand. Neben größe-
das Buch. Der schrieb dann die endgültige         ren Firmen wie OM Studios hatten wir auch
Fassung.                                          Leute wie Sebastian Pille(Labyrinth des Schwei-
                                                  gens, About a Girl, Das Tagebuch der Anne Frank)
Einen unerwarteten Effekt hatte die Drehbuch-     als Komponist gewinnen konnten. Da war Zeit
suche außerdem gehabt: Auf den Aufruf hatte       unser einziges Zahlungsmittel.«
sich auch die Editorin Janina Kaltenböck gemel-      So reichte das Team eine noch nicht ganz fer-
det: Sie habe zwar kein Drehbuch anzubieten,      tige Version ihres »mittellangen« Films im No-
wollte aber schon lange mal an einem Genre-       vember beim Max-Ophüls-Preis ein. Dort läuft
Film mitarbeiten.                                 er nächste Woche im Wettbewerb der mittellan-
   Die Dreharbeiten begannen am 5. Dezember       gen Filme. Die Postproduktion war Anfang Ja-
2016, zehn Tage im Winter, mit einem Team von     nuar abgeschlossen.
bis zu 70 Leuten, wo bei früheren Hochschul-
projekten nur zehn am Werk waren. Die Kälte       In einem ist Fremde jetzt schon einzigartig.
werde er nie mehr unterschätzen, sagt Dün-        Zwar haben schon früher Studenten verschiede-
schede: »Alles geht langsamer.«                   ner Hochschulen zusammengearbeitet, doch
   Auch an eine Regel der HFF für die ersten      erstmals hätten sie es geschafft, drei Filmhoch-
Studentenfilme werde er sich sicherlich in Zu-    schulen für einen Film zusammenzubringen,
kunft immer erinnern: »Keine Kinder, keine Tie-   sagt Dünschede. »Das war ein bürokratischer
re … Beim dritten Film vergisst man das gerne.«   Wust, denn es gab keinen Präzedenzfall. Das
   Die Bildgestaltung übernahm wieder Holger      macht manches schwerer, aber es hat sich ge-
Jungnickel, mit dem Dünschede schon seine         lohnt. Zumal aus dem Scheitern eines Projekts
vorherigen Kurzfilme und Musikvideos umge-        ein anderes entstanden ist.«                   c
14 | Nur Gott kann mich richten       414 | 18. Januar 2018

     Noir in Farbe

Foto: Constantin, Matthias Bolliger
414 | 18. Januar 2018                                          Nur Gott kann mich richten | 15

                        Zum Debüt hatte Özgür Yildirim vor zehn Jahren mit einem
                        Thriller überrascht. Dem Genrefilm blieb er seitdem treu. In
                        seinem neuen Werk führt er wieder hinab in die Unterwelt.
                        Produktionsnotizen zu Nur Gott kann mich richten – ab
                        heute im Kino.
16 | Nur Gott kann mich richten                                      414 | 18. Januar 2018

Ricky (Moritz Bleibtreu, Mitte) hat für seine Kumpels im Knast den

Kopf hingehalten. Mit einem letzten großen Coup soll nun alles

besser werden. So richtig böse sind die Helden in Özgür Yildirims

Gangsterdrama nicht, aber schon mal für ein krummes Ding zu ha-

ben, Vor allem aber haben sie mit ihren ganz privaten Problemen

zu kämpfen.

Fotos: Constantin, Matthias Bolliger
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Die Entstehung. Vor zehn Jahren gab Özgür Yildi-         Tatsächlich gingen Bleibtreu, Yildirim und
rim sein Regiedebüt mit dem Thriller Chiko, der       Becker ihr Projekt nicht auf die einfachste Weise
den Aufstieg und Fall junger Drogendealer auf         an. Sie zeigen diverse Seiten der Frankfurter Un-
dem Hamburger Kiez zeigte. Chiko stach hervor,        terwelt und sie bestückten diese mit Schauspie-
weil Milieu und Personen so wirklichkeitsnah          lern verschiedenster Herkunft. Bleibtreu: »Wir
waren, und weil Yildirim die Geschichte so            wollten eine gute Mischung aus Straßentalent
schnörkellos düster inszenierte, wie man das          und handwerklich perfekten Schauspielern. Wir
Gangstergenre im deutschen Kino vorher nie ge-        brachten Laien und Profis zusammen, das ergab
sehen hatte. Jetzt, knapp zehn Jahre und etliche      eine besondere Stimmung.«
Filme später, geht Yildirim zurück an den Kiez,          »Ich wollte bekannte und neue Gesichter vor
diesmal nach Frankfurt am Main: »Meine An-            der Kamera haben«, bestätigt Yildirim. Das er-
fangsidee war einfach: Ich wollte wieder einen        reichte er, indem er einerseits den Rappern SSIO
Gangsterfilm machen. Aber die neue Geschichte         und Xatar einen Auftritt als Heroindealer gab, an-
habe ich breiter angelegt. Es gibt drei Figuren mit   dererseits zum Beispiel Peter Simonischek vom
unterschiedlichen Hintergründen, damit man            Wiener Burgtheater engagierte. Wie diese Mixtu-
den Film gucken und sich darin wiederfinden           ren funktionieren, probierte Yildirim bereits
kann, auch wenn man zufällig kein Gangster ist.«      beim Casting aus: »Ich caste immer mehrere Leu-
   Yildirim ist diesmal auch Koproduzent, in Zu-      te gleichzeitig und schaue mir dabei an, wie die
sammenarbeit mit dem Produzenten Christian            zueinanderpassen. Ich will wissen, wie sie mit-
Becker von der Rat Pack Filmproduktion. Becker        einander reden oder wie sie sich zuhören, ob sie
erzählt: »Wir waren begeistert von der Idee eines     sich überhaupt verstehen.«
Gangsterdramas, das Figuren zeigt, die Schlim-
mes tun, um Gutes zu erreichen. Nur Gott kann         Das Buch. Peter Simonischek erzählt, wie er auf
mich richten hat drei solcher Antihelden, und je-     Yildirims Anfrage reagierte: »Das erste Maß ist für
der folgt seiner eigenen Agenda.«                     mich, wie lang ich brauche, um ein Drehbuch zu
   Moritz Bleibtreu spielt die Hauptfigur Ricky       lesen. Wenn das eine Woche dauert, dann werde
und gehört gleichzeitig auch zu den Produzenten       ich den Film nicht machen. Dieses hier war irre
des Films: »Das war Christian Beckers Idee. Ich       spannend, das ist geradezu alptraumartig, was
bin nun mal relativ nah an dieser Thematik dran,      da kulminiert. Das hatte ich schnell durch.«
denn ich bin in einer Gegend aufgewachsen, die           Kida Khodr Ramadan, Darsteller des Gangsters
dem Milieu des Films ähnlich ist. Ich weiß, wie       Latif, ging es ähnlich: »Ich hatte wirklich Gänse-
diese Vögel dort ticken. Das war Christian wich-      haut beim Lesen. Das Buch hat mich umgehau-
tig, er wollte, dass ich mit auf den Tonfall achte,   en.« Und Edin Hasanovic, der die Rolle des Rafael
den der Film haben muss«.                             spielt, bestätigt: »Ich hatte das Gefühl, das ist kei-
   Obwohl Bleibtreu sein ganzes Leben im Film-        ne kleine Geschichte – das ist fett, das ist groß«.
geschäft verbracht hat, war er hier zum ersten           Produzent Becker teilt diesen Eindruck: »Die
Mal als Produzent tätig. Birgit Minichmayr grinst:    Motive der Figuren sind nachvollziehbar, obwohl
»Moritz war ein bisschen aufgeregt. Der Film war      sich ihr Handeln rasant in die falsche Richtung
sein Baby. Er hat ganz viel Energie aufgewendet,      entwickelt. Das ist schon beim Lesen unglaublich
damit er richtig gut wird.«                           mitreißend.« Und Franziska Wulf sagt über ihre
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Rolle der Elena: »Mir fielen die wahnsinnig guten     nen, insbesondere, wenn sie den Tonfall der Stra-
Dialoge des Buches auf. Beim Drehen hört Özgür        ße kennen. »Der rote Faden bleibt, aber sonst
dann genau hin, ob und wann der Sound stimmt.         spreche ich meine eigene Sprache, da kommt die
Er legt großen Wert auf Authentizität.«               Straße durch«, sagt Ramadan anerkennend. »An-
                                                      ders funktioniert das auch nicht. Wenn ich reden
Die Regie. In Nur Gott kann mich richten erzählt      müsste wie ein Student, hätte das alles keinen
Yildirim nicht von Karrieregangstern. Seine Figu-     Sinn«, und Edin Hasanovic bekräftigt: »Öz ist ein
ren sind Männer vom Kiez, die nichts weiter wol-      feiner, genauer Regisseur, der mich sehr gut
len, als hier und da ein bisschen Zuschuss zum        führt, aber mir unfassbar viel Freiheit gibt. Ich
Budget oder ein Startkapital, mit dem sie ein Ge-     muss mich nicht am Text festhalten. Das ist bei
schäft aufbauen können, wenn möglich sogar ein        Regisseuren eine echte Ausnahme.« Becker wie-
legales. Becker fasst zusammen: »Das ist ein          derum findet: »Özgür hat eine große Vision, aber
Gangster-Epos ohne Gangster. Es sind eher             gleichzeitig kümmert er sich um das ganze Team,
Kleinganoven, die keine großen Deals planen. Je-      das ist ungewöhnlich. Er umarmt alle, er bedankt
der von ihnen kämpft ums Überleben, jeder be-         sich, er hält alles zusammen. Das ist das Beson-
trügt den anderen.« Yildirim zeigt diese Männer       dere an ihm.«
in ihrem privaten Alltag und bei ihren Geschäf-          Birgit Minichmayr ist in ihrer Rolle als Polizi-
ten, er zeigt sie in ihrer Gutmütigkeit und mit ih-   stin Diana Dunker zwar weniger dem Straßens-
rem gefährlichen Temperament. Denn sobald es          lang verhaftet, aber sie stimmt ihren Kollegen zu:
ums Geld geht, geben sie sich keine Blöße. Da be-     »Özgür hat keine Angst vor der Verantwortung
nehmen sie sich wie die großen Gangster, und          des Schauspielers. Im Gegenteil, er liebt, sucht
das nimmt man ihnen jederzeit ab.                     und braucht sie. Nichtsdestotrotz weiß er genau,
   Diese fast schon legendäre Wirklichkeitsnähe       was er will«.
von Yildirims Filmen liegt zum einen an der Spra-        Minichmayrs Figur agiert auf der anderen, auf
che seiner Protagonisten. Sie gehört für den Re-      der legalen Seite, aber sie ist fast ein Spiegelbild
gisseur zu den wichtigsten Aspekten einer Ge-         der Gangster. Sie legt keinen Wert auf Karriere,
schichte: »Moritz, Kida und Birgit waren drei, die    aber sie braucht Geld für die Zukunft ihres Kin-
ich mir während des Schreibens vorgestellt habe.      des, jetzt sofort, zur Not auch illegal. »Mich hat es
Wie würden die reden, wie könnte ich denen die        interessiert, mal nicht so eine ambitionierte Poli-
Dialoge anpassen, so dass es für sie wirklich         zistin zu spielen, keine von den taffen Kommis-
mundgerecht wird«. Trotzdem braucht man ein           sarinnen, die sonst immer rumlaufen. Ich fand es
gewisses Verständnis für das jeweilige Milieu, aus    spannend, diese Figur auszuloten und dabei zu
dem die Dialoge stammen. »Man muss Men-               untersuchen, was einen Menschen dazu treibt,
schen aus diversen Parallelwelten kennen, damit       ins Verbrechen abzugleiten.«
man weiß, nach welchen Mechanismen ihr Slang
funktioniert. Wenn man nur zwischen Vorgärten         Die Straße. Neben der Sprache nutzt Özgür Yildi-
aufgewachsen ist, dann kennt man bloß diese           rim noch andere Mittel, um dicht an der Realität
Seite der Sprache. Ich kenne auch die andere.«        zu bleiben. Sein Team musste Frankfurt abgra-
   Dazu kommt, dass Yildirim seinen Schauspie-        sen, um die richtigen Drehorte zu finden, und
lern vertraut. Sie können sich ihre Dialoge aneig-    man hat selten so vermüllte Hinterhöfe, so ver-
Fotos: Constantin, Matthias Bolliger
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20 | Nur Gott kann mich richten                  414 | 18. Januar 2018

                                       Auch auf der hellen Seite des Gesetzes

                                       verwischen sich nur Schattierungen von

                                       Grau: Die Polizistin Diana Dunker (Birgit

                                       Minichmayr steckt in finanziellen Nöten.

                                       Ihre kleine Tochter wartet auf ein neues

                                       Herz. Doch für die dringende Organspende

                                       reicht ein Beamtengehalt nicht.

Fotos: Constantin, Matthias Bolliger
414 | 18. Januar 2018                                                   Nur Gott kann mich richten | 21

gilbte Pilskneipen auf der Leinwand gesehen,         mitzieht. Er kümmert sich um seinen dementen
vom beängstigenden Junkie-Szenario am Bahn-          Vater, er passt auf seinen Bruder Rafael auf, er
hof ganz zu schweigen.                               will niemandem zur Last fallen – aber das gute
    »Normalerweise finde ich es doof, wenn man       Herz bringt ihn nicht weiter.
bei deutschen Filmen die Authentizität als Maß-         Also hört er auf Latif und verliert darüber alles
stab anlegt. Das mache ich bei amerikanischen        andere. Bleibtreu urteilt: »Ricky ist ein Räuber. Er
Filmen auch nicht«, kommentiert Edin Hasano-         nimmt Leuten Sachen weg. Der Film fängt an, als
vic. »Wir machen ja keine Doku, sondern einen        er aus dem Knast kommt und sich entschließt,
Spielfilm. Aber dadurch, dass wir in Frankfurt ge-   wieder den falschen Weg zu nehmen.«
dreht haben, und zwar in den krassesten Ecken,          Rafael ist Rickys jüngerer Bruder. Er war auch
ist es unvermeidbar, dass man Sachen sieht, die      im Gefängnis, aber nur für zwei Jahre. Trotzdem
eben echt sind.«                                     hat Ricky das verschuldet, also will Rafael mit
    Bleibtreu wiederum kennt solche Ecken ganz       Ricky nichts mehr zu tun haben. Er arbeitet jetzt
gut – nicht nur, weil er immer wieder Rollen hat,    in einer Spielhalle als Kassierer, dort betrügt er
die ihn auf die Kieze dieser Welt führen. »Ich bin   ein bisschen, was seinem Boss nicht entgeht.
in Hamburg in Sankt Georg großgeworden, das          Aber Rafael ist der Freund von Elena, der Tochter
war in den 1980er-Jahren ein ganz anderes Vier-      vom Boss, also hält der sich zurück mit drasti-
tel als jetzt. Es war geprägt von Prostitution und   schen Maßnahmen. »Rafael ist ein Guter, so viel
Drogen wie jedes Bahnhofsviertel, und für mich       kann man sagen«, erklärt Edin Hasanovic seine
gehörte das zum Alltag. Prostituierte waren für      Figur, und tatsächlich ist Rafael der einzige mit
mich so normal wie der Fischladen an der Ecke.       einem moralischen Kompass, der ihn vom Töten
Ich habe gedacht, das gehört so. Deswegen habe       abhält. Aber über einen fingierten Raubüberfall
ich eine große Nähe zu allem, was man Unter-         kann man schon mit ihm reden.
welt nennen würde, oder Rotlicht oder Milieu.«          Der Araber Latif hat eine große Familie, viele
    Diesen Vierteln und ihren Bewohnern gehört       Kinder, viele Freunde. Er war der beste Kumpel
die große Sympathie von Regisseur Yildirim:          von Ricky, war seinerzeit auch bei dem miss-
»Genrekino soll unterhalten. Aber ich denke,         glückten Überfall dabei, hat es aber zugelassen,
Genrekino soll auch die Leute überzeugen, die        dass Ricky ihn deckt und kam deshalb straflos
aus so einem Milieu kommen. Mir geht es tat-         davon. Inzwischen hat Latif eine Bar aufgemacht,
sächlich um den Buddy vom Kiez – der soll den        da hört er, was auf dem Kiez so passiert. Latif hat
Film sehen und sagen ›Ja, so ist es‹.«               kein Problem mit Gangstern, er wäre gerne selber
                                                     einer, es ist ihm bloß zu gefährlich. Also wartet er,
Die Figuren. Ricky war gerade fünf Jahre im Ge-      bis ein Coup mit wenig Gefahr und viel Geld da-
fängnis. Jetzt will er eine Bar auf Cabrera aufma-   herkommt. »Latif kann ein ziemliches Arschloch
chen und den Rest seines Lebens in der Sonne         sein, aber das merkt man erst, wenn man ihn
verbringen. Dafür braucht er Geld, und sein          zum zweiten Mal trifft. Er hat ein großes Herz –
Kumpel Latif, der eigentlich in seiner Schuld        trotzdem geht er über Leichen, wenn es hart auf
steht, hat nicht mal genug für seine eigene Bar.     hart kommt«, sagt Kida Khodr Ramadan dazu.
Deshalb will Latif ihn gleich für einen neuen           Elena ist auf dem Kiez großgeworden, auf dem
Überfall rekrutieren, obwohl Ricky nicht recht       ihr Vater Erik (Tim Wilde) eine Spielhalle betreibt.
22 | Nur Gott kann mich richten                                                  414 | 18. Januar 2018

Sie ist seit vielen Jahren die Freundin von Rafael.     Firma auf Malta kümmert. Peter Simonischek be-
Tagsüber unterrichtet sie Kinder in klassischem         dauert den Vater: »Der ist vor allem ein alter
Tanz, nachts tanzt sie selber in einer Strip-Bar.       Mann, er ist ein bisschen am Vergammeln, der
Aber Elena will raus aus dem Kiezleben, sie will        Arme. Er hat die große Sehnsucht, seinen jünge-
eine eigene Ballettschule aufmachen. Sie weiß           ren Sohn zu sehen, der will aber nichts von ihm
nicht, ob das mit Rafael klappen wird, weil der er-     wissen. Keiner traut sich, dem Alten das zu sagen,
fahrungsgemäß leicht in Schwierigkeiten kommt.          also fragt er immer wieder nach ihm und nervt
    Trotzdem hält sie zu ihm, denn sie hofft, dass      alle damit.«
er mit ihrer Hilfe eine Zukunft haben wird – und
sie hofft auch, dass er ihr das Startkapital für die    Die Musik. »Jeder Gangsterfilm braucht einen gu-
eigene Zukunft besorgt. Franziska Wulf be-              ten Soundtrack«, meint Minichmayr, und Yildi-
schreibt sie: »Elena ist die Einzige, die in der Rea-   rim pflichtet ihr bei: »Musik spielt bei mir immer
lität verhaftet ist. Sie bekommt halt ihr Leben auf     eine wichtige Rolle. Ich habe noch nie einen Film
die Reihe.«                                             gemacht, bei dem ich das Gefühl hatte, die Musik
    Diana Dunker ist als Polizistin Teil der seriösen   sei beiläufig oder sekundär. Und der Sound be-
Gesellschaft. Ihre kleine Tochter Lilly (Lilly Wag-     einflusst natürlich auch die Atmosphäre.«
ner) hat einen schweren Herzfehler. Wenn sie               Das setzte Yildirim nicht nur damit um, dass
nicht schnell ein neues Herz bekommt, wird sie          er den Rapper Xatar einen Titelsong schreiben
sterben – und um unter Zeitdruck an eine Organ-         ließ, sondern er gab ihm und seinem Kollegen
spende zu kommen, braucht Diana 30.000 Euro,            SSIO auch eine Rolle im Film. Zur Freude von
für die weder die Bank noch ihr Beamtengehalt           Kida Khodr Ramadan: »Die Jungs sind grade sehr
aufkommen.                                              angesagt, außerdem muss Kunst nach vorne ge-
    Diese Not führt sie in den Untergrund Frank-        bracht werden.« Und Bleibtreu, nach eigenem
furts, wo sich ihr Weg mit dem von Ricky, Rafael        Bekunden großer Liebhaber von Hip-Hop, be-
und Latif kreuzt. Das macht diese Figur für Birgit      stärkt: »Gangster-Rap ist seit Jahren schon in der
Minichmayr spannend: »Diana wird nicht als kri-         Mitte der Gesellschaft angekommen, der läuft
minelle Polizistin eingeführt. Sie kann und macht       bloß nicht im Radio wegen der bösen Texte. Aber
ihren Beruf, sie ist darin nicht schlecht. Sie be-      Straßen-Rap ist Mainstream, das haben nur eini-
nimmt sich korrekt, bis alles aus dem Ruder läuft.      ge Leute in Führungspositionen beim Film noch
Dann steht sie vor Situationen, die sie noch nie        nicht begriffen. Es gibt da draußen eine junge
erlebt hat. Aber im Gegensatz zu den Gangstern          Generation, die diese Musik versteht und weiß,
gibt es für sie eine andere Notwendigkeit, sich auf     wo sie herkommt: ungefähr von da, wo unser
kriminelle Weise Geld beschaffen zu wollen.«            Film angesiedelt ist. Das ist unser Publikum.«
    Der Vater von Ricky und Rafael lebt allein in ei-      »Für den Titel Nur Gott kann mich richten
ner verwahrlosten Wohnung, er ist Witwer, wird          wurde Özgür natürlich von dem Tupac-Song
langsam dement und trinkt sich das Leben er-            ›Only God Can Judge Me‹ inspiriert«, sagt Becker
träglich. Er weiß wenig über seine Söhne, denn          zur Bedeutung des Rap für den Film. »Aber na-
Ricky verheimlicht seine kriminellen Exkursionen        türlich gibt es Vergleichbares auch in Deutsch-
vor ihm. Ricky entschuldigt auch Rafaels Abwe-          land. Wir haben mit Xatar und SSIO zwei Kompo-
senheit damit, dass Rafa sich angeblich um eine         nisten gefunden, die uns eine Art Konzeptalbum
Fotos: Constantin, Matthias Bolliger
414 | 18. Januar 2018                                                                           Nur Gott kann mich richten | 23

Rafael (Edin Hasanovic) behält seine Freundin Elena (Franziska Wulf) im Auge (unten). In Frankfurt fand das Team Hinterhöfe und Kneipen,

wie es sie auf der Leinwand noch nicht oft zu sehen gab. An sich sei ihm so viel Authentizität nicht wichtig, meint der Schauspieler. »Wir

machen ja keine Doku, sondern einen Spielfilm.« Doch der Film sollte auch von den echten »Gangstern« da draußen ernst genommen werden,

sagt der Produzent Christian Becker. Und die Motive hätten selbst Einheimische beeindruckt – im Herbst gab’s dafür sogar den »Hessischen

Filmpreis«.
24 | Nur Gott kann mich richten                             414 | 18. Januar 2018

Ricky (oben) sucht im Glauben nach Vergebung für seine

Taten. Trotz aller Wirklichkeitsnähe war Yildirim die

Bildgestaltung wichtig. Sein DoP Matthais Bolliger drehte

mit der Varicam 35 in Cinemascope, oft spärlichen Licht

der Straßenlaternen.

Fotos: Constantin, Matthias Bolliger
414 | 18. Januar 2018                                                            Nur Gott kann mich richten | 25

zum Film gemacht haben.« Und Bleibtreu fügt             rains, die schwer kontrollierbar sind und deshalb
hinzu: »Rap ist eine Subkultur mit einer extrem         beide Seiten anziehen. Becker lobt: »Das ist ein
treuen Zuhörerschaft. Xatar steht als Gangster-         Film, der in Frankfurt spielt, aber man hat Frank-
Rapper in Deutschland für eine einzigartige             furt eigentlich noch nie so gesehen. Selbst Be-
Glaubwürdigkeit. Und er ist ein hervorragendes          kannte aus Frankfurt sagen mir: Wie habt ihr
Beispiel für gelungene Integration.«                    meine Stadt dargestellt, wie habt ihr das gefun-
   Xatar kennt und schätzt Yildirim seit dessen         den? Das macht das gute Auge des Kamera-
Debütfilm Chiko. Auch Nur Gott kann mich rich-          manns Matthias Bolliger aus.«
ten hat Xatar wieder überzeugt, denn er lobt:              Bolliger und Yildirim entwickelten ein Stilkon-
»Sehr stark. Ich kenne kaum einen Film, der             zept, das trotz aller Wirklichkeitsnähe keines-
durchgehend so viel Spannung halten kann. Das           wegs dokumentarisch aussehen sollte, sondern
hat Özgür gut hinbekommen, er trifft definitiv          sich deutlich am Spielfilm orientiert. Gedreht
den Ton der Straße.« Trotzdem ist dieser Film kei-      wurde im Cinemascope-Format, und die klar
ne reine Rappersache, wie es etwa Yildirims Ko-         strukturierten Bilder zeigen die Lust der beiden
mödie Blutzbrüdaz war. Die Tragik und die Trag-         auf Farben und Kontraste. Als visuelle Beispiele
weite der Geschichte brauchen einen Sound-              nennt Bolliger zwei Filme des Kanadiers Denis
track, der nicht ganz so radikal ist. »Ich wollte den   Villeneuve, Sicario (2015) und Prisoners (2013),
Film nicht mit Hip-Hop zuknallen, sondern ihn           oder die italienische Fernsehserie Gomorrha
auch in dieser Hinsicht universeller gestalten.         (2014-2015).
Hip-Hop ist ein Teil davon, aber dazu gibt es auch         In Anlehnung an das Noir-Genre, das Yildirim
komponierte Musik«, beschreibt Yildirim das             so schätzt, spielt auch das Licht in seinem Film
Musikkonzept des Films.                                 eine große Rolle – oder vielmehr die Abwesenheit
                                                        von Licht. Um die diversen nächtlichen Aktionen
Der Look. Yildirims Geschichte spielt also nicht        der Protagonisten entsprechend atmosphärisch
ausschließlich auf dem Kiez. Die Welt der Gang-         ins Bild zu setzen, nutzte Bolliger die extrem
ster bestimmt natürlich die Geschichte, aber ne-        lichtempfindliche Kamera Varicam 35 von Pana-
ben ihren Bars, Spielhallen oder Boxclubs gibt es       sonic, die er bereits von Fernseharbeiten her
eine Außenwelt, und gerade deren allmähliche            kannte. Mit ihr war es möglich, die vorhandenen
Verwicklung in den Coup von Ricky, Rafa und La-         Straßenlampen als hauptsächliche Lichtquelle
tif macht das Besondere des Films aus. Diese Au-        zu nehmen. So schimmern die jeweiligen Szenen
ßenwelt präsentiert, klassisch für einen Gang-          draußen mal gelb, mal grün, während die Fin-
sterfilm, die verschiedenen Handlungsorte der           sternis drum herum immer spürbar bleibt. Be-
Polizei.                                                sonders diese Nachtbilder verleihen Nur Gott
    Matthias Bolliger, Yildirims Stammkamera-           kann mich richten jene Mischung aus Gefahr
mann seit dem Debüt, interessierte sich dabei           und Romantik, die einen guten Gangsterfilm
hauptsächlich für eine Umgebung, in der sich die        ausmacht.                                        c
Wege von Polizei und Verbrechern kreuzen kön-
nen. Er bediente sich dafür an den dunklen Or-
ten einer Großstadt: Hochhaussiedlungen, ver-           Vom Dreh mit der Varicam 35 berichtet DoP Matthias Bollinger hier:

lassene Hinterhöfe, Industriebrachen – an Ter-          http://bit.ly/2B9RULQ
26 | Wochenschau   414 | 18. Januar 2018

Foto: cinearte
414 | 18. Januar 2018                                                    Wochenschau | 27

Wie geht Fairness?
Vier Wochen noch, dann wird Deutschland für einige Tage wieder zum Filmland. In den Kinos der
Hauptstadt laufen bis spät in die Nacht unzählige Filme vor noch mehr begeisterten Zuschauern,
Schauspieler, Regisseure und der eine oder andere Filmschaffende wandeln im Blitzlicht über den
Roten Teppich. Was sonst noch wichtig beim Filmemachen, wird kurz vor der Eröffnung im Kessel-
haus der Berliner Kulturbrauerei diskutiert. Am 15. Februar lädt Crew United um 16:30 Uhr zum
Diskussionsforum »Film but Fair«, in Kooperation mit mehr als 30 Branchenverbänden und der Ver-
einigten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi).
   Die Lage der Film- und Fernsehschaffenden in Deutschland wird immer schlechter, das haben in
jüngster Zeit mehrere Studien und Umfragen belegt, erklären die Veranstalter. »Doch wie kann die
Filmwirtschaft zu einem fairen, sozialvertraglichen und nachhaltigen Arbeits-, Produktions- und
Lebensumfeld weiterentwickelt werden? Welche Brancheninitiative kann das schaffen?« Dazu soll
auch über den Tellerrand geblickt werden: »Welche gelungenen Beispiele der Selbstorganisation,
Kollektivitat und Solidarität gibt es in anderen Branchen der Kultur- und Kreativwirtschaft, aber
auch in anderen Ländern?«
   Antworten und Anregungen erhoffen sie sich auf dem Podium von der Regisseurin und Autorin
Jutta Brückner, Fabian Eder (Vorstandsvorsitzender des Dachverbands der österreichischen Film-
schaffenden und der Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden), Alexander Thies (Vorsitzender
des Gesamtvorstands der Produzentenallianz), Magdalena Ziomek-Frackowiak (Geschaftsführung
und Vorstand der Künstlergenossenschaft SMartDe) und weiteren Gästen. Die Diskussion moderie-
ren die Medienwissenschaftlerin Lisa Basten und der Filmjournalist Rüdiger Suchsland.
   Zum Thema gehören auch die Arbeitsbedingungen an sich. Seit acht Jahren vergibt darum die
Bundesvereinigung der Filmschaffenden-Verbände Die Filmschaffenden den »Fair Film Award«, der
in diesem Jahr gleich im Anschluß am selben Ort vergeben wird (cinearte 413). Ausgezeichnet wer-
den die fairsten Filmprojekte des vergangenen Jahres in den Kategorien Spielfilm und Serie. Grund-
lage für die Auszeichnung ist eine umfassende Umfrage unter den Filmschaffenden, die an den je-
weiligen Projekten mitgearbeitet haben.                                                          c

Die Veranstaltung wird außerdem per Livestream übertragen:

www.out-takes.de | www.facebook.com/crewunited
28 | Wochenschau                                                          414 | 18. Januar 2018

Auf der Zielgeraden
Im vorigen Frühjahr gab Cannes eine »Goldene Palme« an die Hauptdarstellerin Diane Kruger
(links), im Sommer wurde Aus dem Nichts als deutscher Kandidat für den »Auslands-Oscar« auser-
sehen. Und da hat er ganz gute Chancen: Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences hat das
Drama von Fatih Akin (rechts) im Dezember auf ihre Auswahlliste gesetzt, Anfang Januar gab es da-
für nun schon mal den »Golden Globe«, der gerne und immer wieder als Stimmungsmesser für die
»Oscars« bezeichnet wird – auch wenn es immer wieder mal anders kommt.
    Akin und sein Koautor Hark Bohm greifen in dem Film eines der Attentate des sogenannten Na-
tionalsozialistischen Untergrunds (NSU) auf, wählte aber eine Erzählperspektive irgendwo zwi-
schen Rachethriller und Melodram. Sein Film handelt nicht von Polizeiermittlungen oder Politik,
sondern hält sich eng an seine Protagonistin, die bei dem Bombenanschlag Mann und Kind verlor
und an der Welt verzweifelt. Manchen Kritiken missfiel diese künstlerische Entscheidung – sie ver-
missten »das Politische« im Privaten. Dass Akin bislang als einziger die NSU-Morde für einen Kino-
spielfilm thematisiert hat, störte hingegen keinen.
    Am 23. Januar wird die US-Filmakademie die »Oscar«-Nominierungen für den besten fremdspra-
chigen Film bekannt geben.                                                                       c
www.oscars.org
Foto: Bombero International
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30 | Wochenschau                                                            414 | 18. Januar 2018

Technik praxisnah
Man lernt nie aus. Das weiß man auch an der HFF München. Schließlich sollen an der Hochschule
nicht nur die nächsten Filmemacher heranreifen, sondern auch all jene, die schon längst im Beruf
stehen. Und weil das vor allem für die Technik gilt, ruft das dortige Studienzentrum für Filmtechno-
logie (SFT) auch in diesem Jahr wieder mit dem Kamera-Verband Imago zum Praxisworkshop
»Hands on xK international«. Da sollen »alle Wissensstände« und Filmformen die neuesten Gerät-
schaften selbst ausprobieren.
   Die Veranstaltung wird nun außerdem durch englischsprachige Workshops erweitert: ASC-Ka-
meraleute wie Roberto Schaefer (James Bond 007: Ein Quantum Trost) und der VFX-DoP David
Stump (Stargate, X-Men) und europäische Kollegen wie Marijke van Kets, Tony Costa, Philippe Ros,
Jean-Paul Jarry oder Benjamin Bergery werden da ihr Wissen weitergeben. Ein Schwerpunkt wird
ein Praxisseminar zum Thema »Nachhaltigkeit beim Drehen – LED-Licht professionell« in Koopera-
tion mit Philipp Gassmann sein.
   Der Praxisworkshop läuft vom 19. bis 23. März. Die Teilnahme kostet regulär 1300 Euro, lasse sich
mit Frühbucherrabatt und Prämiengutschein aber auf 450 Euro reduzieren. Premium Member von
Crew United erhalten ebenfalls einen Nachlass. Studenten können gegen Mithilfe teilnehmen oder
sich um eines von 22 Stipendien bewerben.                                                          c
www.filmtechnologie.de
Fotos: Archiv | Concorde
414 | 18. Januar 2018                                                                                    Scheibenparade | 31

Scheibenparade
Bekanntlich bietet die Blu-ray die bessere Sicht. Das glauben wir gerne und stellen deshalb jede
Woche ausgewählte Neuerscheinungen vor. Das Beste daran: Sie können die Scheibe gewinnen.
Dazu müssen Sie nur die Frage am Ende richtig beantworten.

Es war einmal … nach Roald Dahl [Märchenanimation. Großbritannien 2016]
Das Märchen vom Rotkäppchen kennt, zumindest in unseren Breitengra-
den, wohl jedes Kind. Wenn’s nur wahr wäre. Ein paar Minuten hat Miss
Hunt noch, ehe sie auf zwei Kinder aufpassen soll. So sitzt sie im Café ge-
genüber mit ihrem Märchenbuch, als der böse Wolf an ihren Tisch tritt:
Ob er sich wohl zu ihr setzen dürfe? Und bald erzählt er der Dame, wie es
wirklich zuging, einst im Märchenwald – aus seiner Sicht natürlich …
   Noch ein Märchen. Die alten Geschichten erleben seit einigen Jahren einen
regelrechten Boom, und nicht nur die Trickfilmer greifen wieder begeistert zu Grimms Märchen, um
ihre eigene Version daraus zu drehen. Roald Dahl allerdings hatte sich schon viel früher daran ge-
setzt, die alten Geschichten umzuschreiben: 1982 erschien Revolting Rhymes, eine Sammlung von
sechs Gedichten zu sechs bekannten Märchen. Fünf davon haben es in einen mittellangen Film ge-
schafft – genauer gesagt in zwei Halbstünder, die hier auf einer Scheibe zusammengefügt sind. Zur
Deutschlandpremiere auf dem Filmfest München gab’s dafür den Kinderfilmfest-Publikumspreis.
   Davon sollte man sich freilich ebenso wenig beruhigen lassen wie von der Altersfreigabe ab sechs
Jahren oder den niedlichen Bildern (die 3D-Animationen erinnern an Wallace und Gromit und die
anderen Knetmännchen der Aardman-Studios): Stil und Tempo sind zwar an ein jüngstes Publikum
angepasst, doch der Humor ist nicht nur überraschend, sondern auch leicht makaber – also eindeu-
tig britisch, obwohl die drei Regisseure doch allesamt einer deutschen Filmhochschule entsprungen
sind. Einer von ihnen hatte vor einigen Jahren (mit einem anderen Koregisseur) mit einem Kurzfilm
beeindruckt, der ebenfalls im gemeinsamen Auftrag von ZDF und BBC entstand, und war damit so-
gar für einen »Oscar« nominiert gewesen. Titel und Vorlage dafür hatte welches britische Kinder-
buch geliefert?

Schreiben Sie Ihre Antwort an info@cinearte.net und in die Betreffzeile Ihrer E-Mail »Scheibenparade 414«. Einsendeschluß ist der

29. Januar 2018. Die Lösung verraten wir in der nächsten Ausgabe. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Wonach wir in der vorigen

Ausgabe an dieser Stelle gefragt hatten: Lone Scherfig inszenierte Ihre beste Stunde.
32 | Filmemachen                                                       414 | 18. Januar 2018

Filmemachen
»Alle Filmschulen versuchen den Leuten irgendwie nahezubringen oder
 beizubringen, wie man sich in dieser Welt seinen Weg bahnt. Das heißt
 natürlich auch: lernen, Kompromisse zu machen. Und da finde ich, ist es
 schade. Warum soll man so früh in seinem Leben schon Kompromisse machen?
 Das macht man viel zu sehr im Laufe des Lebens, wenn man von Kämpfen
 ermüdet wird. Aber in die Jugend gehört der Kompromiss doch nicht, finde
 ich.«

Der Regisseur Edgar Reitz (Heimat) im Interview mit dem Deutschlandfunk am 5. Januar 2017.

Foto: Concorde
414 | 18. Januar 2018                                                       Fragebogen | 33

Was treibt die nächste Generation?
Die Umfrage von HFF München und cinearte auf dem Internationalen Festival der Filmhochschulen
München.

Eri Mizutani
Regie. Nationale Film, Fernseh- und
Theaterschule, Lodz (Polen)

So habe ich mich ins Kino verliebt:
Zu meiner Zeit in der Mittelstufe hatte ich
keine Geschichtskurse belegt und mochte auch
keine Bücher. Also fing ich an, Filme zu
schauen.

Mein Traumprojekt in drei Sätzen:
Ein historischer Film in Japan.

Ein Monat, eine einsame Insel und nur ein
Video*. Welches?
Dunkirk.

* Stromanschluß vorhanden

Fragebogen und Fotos: Sophie Averkamp, Tim Dünschede, Gudrun Gruber und Ozan Mermer
34 | Kolumne: Das wahre Leben                                                414 | 18. Januar 2018

Vorspiel
Es gibt eine Welt jenseits der Leinwände. Bilden wir sie ab! Unsere Kolumne »Das wahre Leben«
ist dem Dokumentar- und Experimentalfilm gewidmet. Christoph Brandl, selbst Filmemacher,
stellt in jeder Ausgabe aktuelle Filme, Trends und Diskussionen vor.

Text Christoph Brandl

Vor dem Beginn der diesjährigen Transmediale »Face Value« am 31. Januar startet bereits ab dem 19.
Januar das Partnerprogramm. Dies umfasst das Vorfestivalprogramm »Vorspiel« sowie die »Transme-
diale Marshall McLuhan Projects«. Mit dem »Vorspiel 2018« wollen Transmediale und das Festival für
experimentelle und elektronische Musik (CTM, ehemals Club Transmediale), ihre Bemühungen der
letzten Jahre fortsetzen, ein Netzwerk für Kulturschaffende, Projekträume, Galerien und Institutionen
in Berlin aufzubauen und zu stärken. Das Vorfestivalprogramm, ganzjährig koordiniert durch Trans-
mediale/Resource, soll unterschiedliche Genres und Praxen zusammenbringen und eine kritische
Auseinandersetzung mit Kunst, Technik, Politik und Identität ermöglichen. Am Abend des 19. Januar
kommen Vertreter aller beteiligten Galerien, unabhängigen Projekträume und Veranstaltungsorte im
Acud macht Neu zusammen, um gemeinsam das Vorfestival inhaltlich vorzustellen:
Foto: Vorspiel Berlin
414 | 18. Januar 2018                                                 Kolumne: Das wahre Leben | 35

Import Projects lädt ein, anhand von Installatio-   durch eine Verbindung ihrer experimentellen
nen, Lecture Performances und Workshops mit         Klangpraxis mit Text und Video dazu ein, dar-
den Künstlern Aram Bartholl, Dani Ploeger und       über nachzudenken, wie kollektiv nicht-hierar-
Curver Thoroddsen über zeitgenössische Auto-        chische, nicht-repressive Räume geschaffen
renschaft und Autorität zu reflektieren. Bart-      werden können.
holls öffentliche Interventionen, die unter an-     Die Ausstellung »Fernblick« wird am 27. Januar
derem im Museum of Modern Art oder im Palais        bei Errant Sound eröffnet. Der Projektraum be-
de Tokyo ausgestellt wurden, beinhalten oft         handelt darin den scheinbaren Widerspruch
überraschende physikalische Manifestationen         zwischen einer telematischen Gesellschaft mit
der digitalen Welt und stellen die Rolle von        einem nie zuvor dagewesenen Zugang zu Wis-
Computern in der heutigen Zeit in Frage. Dani       sen über ferne Länder ohne die Notwendigkeit,
Ploeger kombiniert Performance, Video, Com-         dorthin zu reisen und der gleichzeitigen Zunah-
puterprogrammierung und Hacking, um die             me von Fremdenfeindlichkeit. Anders als die
Techno-Consumer-Kultur zu erforschen. Curver        üblichen Google-Ergebnisse zu »Fernblick«,
Thoroddsen ist ein isländischer Künstler und        meist Ferienangebote mit schönem Ausblick,
Musiker, dessen Arbeiten Identität, Popkultur       ermöglicht die Ausstellung Perspektiven in die
und Gesellschaft spielerisch in Szene setzen. Er    Ferne durch Gesten und Aktionen: Über Klang
ist ein Mitglied von Ghostigital und hat unter      und akustische Wahrnehmung nähern sich die
anderem mit Sigur Rós zusammengearbeitet.           ausstellenden Künstler den Themen Sehnsucht,
Hyper(surfaces)# nennt Liebig 12 ab dem 20.         Gedächtnis und Heimat an.
Januar eine Reihe von dreitägigen Einzelausstel-    Die Transmediale Marshall McLuhan Projects
lungen, in denen Künstler auf die Transmediale-     umfassen Megan Bolers »Marshall McLuhan
und CTM-Festivalthemen »Face Value« und             Lecture« und das von Baruch Gottlieb und Ma-
»Turmoil« reagieren. Den ersten Programmteil        rie-José Sondeijker kuratierte Partnerprojekt
im Projektraum bildet die ortsspezifische Instal-   »Feedback #2: Marshall McLuhan and the Arts.
lation Untitled # II (Exercise on One Axis) von     War and Peace in the Global Village«. Im Rah-
Hugo Esquinca. Alice Evermore zeigt Chasing         men von Feedback #2 gibt es vom 26. Januar bis
the White Rabbit – The Works of Alice Evermore,     zum 24. Februar an verschiedenen Orten in Ber-
eine Auswahl von Kurzfilmen und Videos, die         lin Ausstellungen und ein begleitendes Pro-
auf ihren Schriften und gemeinsamen Projekten       gramm, innerhalb dessen seltenes Archivmate-
mit dem Uccellino Giallo Film Collective basie-     rial aus Marshall McLuhans radikalen Publika-
ren. Ashley M. Puente aktiviert ihre audiovisuel-   tionen gezeigt werden – ehrfurchtslose
le Installation The Absent Sound of Light.          Prototypen eines transdisziplinären, weiterhin
Interleaved Space findet am 24. Januar in der       relevanten Mediendenkens. Das Projekt um-
Vierten Welt statt – eine von Lawinia Rate kura-    fasst weiterhin Ausstellungen bei Eigen+Art und
tierte audiovisuelle Performance, in der die        in der Humboldt-Uni, sowie die interaktive Vi-
Klangkünstlerin Aiko Okamoto alias DJ Kohlrabi      deoinstallation Explorations in Anonymous Hi-
gesellschaftliche Räume reflektiert: Was macht      story des kanadischen Künstlers David Clark. c
einen Raum zum sicheren Raum? Wie sieht ein
solcher Raum aus? Okamotos Performance lädt         https://vorspiel.berlin
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