Neophytenbekämpfung an Gewässern im Spannungsfeld gesetzlicher Zielkonflikte (Essay)
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Neophytenbekämpfung an Gewässern im Spannungsfeld gesetzlicher Zielkonflikte (Essay) Norbert Kräuchi Kanton Aargau, Abteilung Landschaft und Gewässer (CH)* Control of non-native plant species along streams: an area of conflict caused by legal trade-offs (essay) Driven by global trade and supported by climate change, we increasingly encounter new species in our ecosys- tems. Certain of these species, for example Asian Knotweeds (Reynoutria japonica, R. sachalinensis, R. × bohem- ica), exhibit immense growth rates and thereby suppress existing vegetation in revitalized reaches and biotopes deserving particular protection. The ecological damage accompanying the loss of biodiversity can only be contained by effective and efficient control measures. Contradictory legal guidelines at Federal level lead in practice to a conflict of aims, making goal-oriented control impossible. On the one hand the Chemical Risk Reduction Ordinance prohibits the use of pesticides in a 3-m strip along water stretches. On the other hand, numerous laws – such as the Federal Act on the Protection of Nature and Cultural Heritage, the Water Protec- tion Law and the Ordinance on the Handling of Organisms in the Environment infer that it is a responsibility to protect riparian zones and river banks as ecologically valuable habitats, and to take measures against invasive neophytes. As long-term investigations in the Canton of Aargau have shown, chemical control sustainably weakens the Asian Knotweed. Further, a fluorescent tracer experiment demonstrated that with careful imple- mentation, the use of pesticides along a 3-m strip along riverbanks poses no threat to the stretch of water. There- fore the Canton of Aargau hopes that these findings contribute to the fastest possible resolution of this conflict of aims, so that investments made over the past years towards restoring stretches of water may be protected promptly from the threat of Asian Knotweed. Keywords: Asian Knotweed control, invasive species management, legal trade-offs, river restoration doi: 10.3188/szf.2014.0140 * Departement Bau, Verkehr und Umwelt (BVU), Entfelderstrasse 22, CH-5001 Aarau, E-Mail norbert.kraeuchi@ag.ch A m 6. Juni 1993 hat das Aargauer Stimmvolk turiert sowie 8.7 km dynamische Uferabschnitte eine einzigartige Vision in der Verfassung ver- geschaffen. Uferbereiche von etwa 25 ha können zu- ankert: Der Kanton Aargau schafft innert zwan- sätzlich periodisch bei Hochwasser überflutet wer- zig Jahren nach Inkrafttreten dieser Verfassungsbestim- den. 165 Tümpel wurden neu erstellt, sodass insge- mung zum Schutze des bedrohten Lebensraums der samt rund 8 ha neue Stillgewässer für Amphibien Flussauen und zur Erhaltung der landschaftlich und bio- und Libellen bereitstehen. logisch einzigartigen, national bedeutsamen Reste der ehe- Diese Investitionen in die Renaturierung und maligen Auengebiete einen Auen-Schutzpark. Dieser setzt Revitalisierung unserer Gewässer werden nun zuse- sich, ausgehend vom Wassertor der Schweiz, aus Teilflä- hends durch einzelne, sich invasiv verhaltende Neo- chen längs der Flüsse Aare und Reuss und ihrer Zuflüsse phyten (vgl. Küffer et al 2014, dieses Heft) bedroht. zusammen. Er weist eine Gesamtfläche von mindestens Untersuchungen von Haag et al (2013) an 16 Flüssen einem Prozent der Kantonsfläche auf (SR 131.227). in der Schweiz verdeutlichen, dass invasive Neophy- Der Aargauer Auenschutzpark umfasst heute ten besonders an Flüssen in tieferen Lagen und in 0.94% (1326 Hektaren) der gesamten Kantonsfläche. Siedlungsnähe gefunden wurden und dass invasive Die noch fehlende Fläche wird in den kommenden Neophyten in revitalisierten Flussabschnitten häu- Jahren realisiert. Insgesamt hat der Kanton zwischen figer vorkommen als in nicht revitalisierten, weil es 1994 und 2014 rund 50 Millionen Franken inves- dort aufgrund der Bauarbeiten viel mehr offene, un- tiert. So wurden insgesamt 12.5 km neue Fliessge- bewachsene Stellen gibt. Die Autoren kommen zum wässer erstellt, gut 10.5 km Flüsse und Bäche rena- Schluss, dass Flussrevitalisierungen invasive Neo- 140 PERSPEKTIVEN Schweiz Z Forstwes 165 (2014) 6: 140–145 140197_Forstverein_06_(140_145) 140 22.05.2014 08:56:07
hinterlassen kahle Oberflächen, welche ungeschützt der Erosion ausgesetzt sind. Hinzu kommt das enorme Ausbreitungspotenzial: Schon Sprossstücke von eini- gen wenigen Zentimetern Länge, die abgeschwemmt oder verschleppt werden, können wieder austreiben und einen neuen Bestand bilden. Im Folgenden wird die Herausforderung im Umgang mit den asiatischen Staudenknöterichen im Wasserkanton Aargau als Fallbeispiel näher beleuchtet. Bekämpfung von asiatischen Stauden- knöterichen – lessons learned Die Neobiota-Fachstellen der Kantone Aargau, Bern, Glarus, Luzern, Wallis und Zürich liessen 2006 einen Vorbericht erstellen, in dem auf der Basis ei- ner Literaturrecherche und einer Praktikerbefragung Abb 1 Asiatische Staudenknöteriche verfügen über eine immense Wuchskraft. 6-maliger Empfehlungen für die Bekämpfung der asiatischen Rückschnitt pro Jahr in den Bünzauen bei Möriken. Foto: Thomas Gerber Staudenknöteriche formuliert wurden. Das Bundes- amt für Umwelt (BAFU) hat in der Folge zusammen phyten fördern. Entsprechend wichtig ist es, früh- mit dem Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft zeitig und mit hoher Wirksamkeit der flächigen Aus- (AWEL) des Kantons Zürich und den genannten Kan- breitung der invasiven Arten Einhalt zu gebieten. tonen ein Pilotprojekt zur Bekämpfung der asiati- Auch wenn die Beeinträchtigung von Schutz- schen Staudenknöteriche gestartet (Bollens & Fischer gütern in der Schweiz und im Aargau insgesamt noch 2013). Die dabei gewonnenen Erkenntnisse (Bollens überschaubar ist, verursachen invasive Neobiota be- & Fischer 2013) verdeutlichen die Wirkung der reits heute einen beträchtlichen volkswirtschaftli- mechanischen und der chemischen Bekämpfung. chen Schaden (vgl. dazu auch Bischoff et al 2014, So blieb bei der mechanischen Bekämpfung über dieses Heft). Im Aargau geben die kantonalen Fach- fünf Jahre die Stängelzahl unverändert bei circa stellen für die Bekämpfung invasiver Neobiota jähr- 30 Stängeln pro Quadratmeter, und die oberirdische lich rund 730 000 Schweizer Franken aus (Kanton Biomasse nahm um 87% ab. Bei der chemischen Aargau 2014). Aus Sicht der Fachstellen genügt der Bekämpfung hingegen nahm die Anzahl Stängel Betrag allerdings nicht, um der zunehmenden Be- im gleichen Zeitraum im Mittel von 37 auf einen drohung kantonaler Schutzgebiete und wertvoller Stängel pro Quadratmeter ab, und die oberirdische Lebensräume durch invasive Arten effektiv und ef- Biomasse reduzierte sich um 99%. Zudem waren fizient zu begegnen – umso weniger, als sich das Pro- 38% der chemisch behandelten Flächen zumindest blem der invasiven Arten mit dem Klimawandel und oberirdisch knöterichfrei (vgl. dazu auch Gerber & dem globalen Handel in den kommenden Jahrzehn- Schaffner 2014, dieses Heft). ten noch verstärken wird (vgl. Kueffer et al 2014, die- Bereits seit 1992 werden die asiatischen Stau- ses Heft). Entsprechend wichtig ist es aus kantonaler denknöteriche in der aargauischen Reussebene be- Sicht, dass im Umgang mit invasiven Neophyten alle kämpft. Aber erst die chemische Bekämpfung mit Bekämpfungsmöglichkeiten genutzt werden bezie- dem Herbizid Glyphosat 360 S ab dem Jahr 1999 hungsweise genutzt werden dürfen. Dies gilt beson- führte zum Erfolg (Egloff 2011). Zwar verschwanden ders bei der Bekämpfung der asiatischen Stauden- die Vorkommen nicht wie angenommen innert we- knöteriche (Reynoutria japonica, R. sachalinensis, niger Jahre, sondern es war zum Teil eine Behand- R. × bohemica; Synonyme auf Deutsch: gebietsfremde lung über zehn Jahre notwendig. Von den elf unter- Staudenknöteriche, Japan knöteriche). Diese stam- suchten Vorkommen im Jahr 2001 waren 2013 noch men aus Ostasien und zeichnen sich durch sehr ra- zwei vorhanden (Abbildung 2, Tabelle 1). Die Behand- sches Wachstum und sehr invasive Verbreitung aus lung erfolgte jährlich ab Mitte Juni mit einer Nach- (vgl. dazu auch Gerber & Schaffer 2014, dieses Heft). kontrolle einige Wochen später. Der ideale Zeitpunkt Sie durchdringen selbst Mauerfugen oder Asphalt und für die erste Behandlung eines neuen Standorts ist können dadurch Bauwerke massiv beschädigen. Dank zwischen Mitte und Ende Juni, da dann die Pflanzen ihren unterirdischen Rhizomen bilden sie dichte Be- mittelgross sind und das Pflanzenschutzmittel noch stände und verdrängen die einheimische Vegetation gut aufgetragen werden kann. Ab dem zweiten Be- fast vollständig. Sie besiedeln bevorzugt Böschungen handlungsjahr zeigten sich Krüppelwuchsformen, und Ufer von Fliessgewässern (Abbildung 1). Die ober- bei denen das Mittel die Blattmasse zum Absterben irdischen Pflanzenteile sterben im Winter ab und brachte, die Tiefenwirkung in die Rhizome jedoch Schweiz Z Forstwes 165 (2014) 6: 140–145 PERSPECTIVES 141 140197_Forstverein_06_(140_145) 141 22.05.2014 08:56:15
60 50 Anzahl Stängel pro Quadratmeter 40 30 20 10 0 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Beobachtungsjahr Standort 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 Abb 2 Bekämpfung des asiatischen Staudenknöterichs im aargauischen Reusstal 1992–2013. Bis 1998 mechanische Bekämpfung. Erstmalige Behandlung mit dem Herbizid Glyphosat 360 S im Jahr 1999, wobei die Daten erst ab dem Jahr 2001 in einer statis- tisch auswertbaren Form erfasst wurden. Siehe auch Tabelle 1. noch gering war. Bei Krüppelwuchsformen sollte die zeigt – richtig ausgeführt – sehr gute Resultate (Ab- Behandlung erst im August erfolgen, da die Pflanzen bildung 3). Diese Methode kann allerdings nur an gut im Juni noch sehr klein sind und dadurch mit dem zugänglichen Stellen angewendet werden und zudem Herbizid eine zu geringe Tiefenwirkung erzielt wird. nur dann, wenn die Ufer nicht hart verbaut sind und Generell sollten Nachkontrollen über weitere drei wenn keine Gefahr besteht, dass die Baugrube geflu- Jahre nach der letzten Feststellung des asiatischen tet wird. Beim Ausbaggern besteht zudem immer die Staudenknöterichs durchgeführt werden. Gefahr, dass Wurzel- und Sprossteile abgeschwemmt Unsere Erfahrungen bei der Bekämpfung von oder verschleppt und dadurch neue Bestände etab- asiatischen Staudenknöterichen entlang von Gewäs- liert werden. Abgesehen davon, dass die mechanische sern zeigen, dass selbst ein 6-maliger Rückschnitt pro Bekämpfung mit Ausbaggern nicht überall möglich Jahr die Wuchskraft nicht gross einzudämmen ver- ist, verursacht sie enorme Kosten. Der Kanton Aargau mag, diese mechanische Bekämpfungsart also nicht muss daher klare Prioritäten bei bei der Neophyten- wirksam ist (Abbildung 1). Die mechanische Bekämp- bekämpfung entlang der Gewässer setzen. Aktuell fung durch Ausbaggern und Erdaustausch hingegen werden solche nur auf 19 km (insbesondere Bünz, Bünzauen, Suhre, Wyna) des 3000 km langen Gewäs- sernetzes bekämpft. Angesichts ihrer Verbreitungs- Stand- Anzahl angetroffener Stängel pro Quadratmeter im Jahr ort dynamik verdeutlicht sich die Notwendigkeit, gegen 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 invasive Neophyten frühzeitig vorzugehen, um die 1 50 15 5 30 2 15 0 2 0 0 0 0 0 Kosten langfristig tief halten zu können. Je früher mit 2 2 3 0 0 2 0 0 0 – 0 0 4 der Bekämpfung begonnen wird, desto höher ist der 3 0 0 0 0 0 – – 0 – 0 0 0 0 «return on investment» beziehungsweise desto gerin- 4 10 3 2 8 1 2 0 1 0 – 0 0 0 ger fallen die Bekämpfungskosten in den Folgejahren 5 2 3 1 5 1 0 0 0 0 0 0 0 0 aus (Walther & Leuthardt 2014, dieses Heft). 6 15 0 0 7 0 0 2 0 3 0 0 0 0 7 >1 >1 >1 0 3 0 5 1 0 – 3 2 2 8 >1 10 2 10 20 20 4 0 2 3 5 0 0 Bekämpfungspflicht für die Kantone 9 0 – 0 0 0 – 2 0 – – 2 0 0 10 10 – 15 10 9 10 4 3 5 0 0 0 0 Das Bundesgesetz vom 21. Juni 1991 über den Wasserbau (SR 721.100) sieht in Art. 4 Abs. 2 vor, dass 11 – 3 0 0 0 – 0 0 0 0 – – – bei Eingriffen in das Gewässer dessen natürlicher Verlauf Tab 1 Bekämpfung des asiatischen Staudenknöterichs im aargauischen Reusstal 1992–2013. möglichst beibehalten oder wiederhergestellt werden muss. Bis 1998 mechanische Bekämpfung. Erstmalige Behandlung mit dem Herbizid Glyphosat Gewässer und Gewässerraum müssen so gestaltet werden, 360 S im Jahr 1999, wobei die Daten erst ab dem Jahr 2001 in einer statistisch auswert- baren Form erfasst wurden. Siehe auch Abbildung 2. – keine Kontrolle, dunkelblau: letzt- dass sie einer vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt als Le- malige Feststellung, weiss: weiterhin vorhanden. Im Jahr 1999 waren an allen Standorten bensraum dienen können (Bst. a) und eine standort- Stängel vorhanden. Am Standort 3 war das letztmalige Vorkommen vor dem Jahr 2001 zu gerechte Ufervegetation gedeihen kann (Bst. c). Daraus verzeichnen. sowie aus dem fast gleich lautenden Art. 37 Abs. 2 142 PERSPEKTIVEN Schweiz Z Forstwes 165 (2014) 6: 140–145 140197_Forstverein_06_(140_145) 142 22.05.2014 08:56:17
den Hochwasserschutz erforderlichen Abflusskapa- zitäten erhalten bleiben. Gesetzlicher Zielkonflikt verunmöglicht effiziente und effektive Bekämpfung Obwohl die genannten Bestimmungen alle- samt die Schutzwürdigkeit von Gewässern und deren Ufern bekräftigen, besteht die Schutz- und Bekämp- fungspflicht nur im Rahmen des geltenden (Polizei-) Rechts. Anhang 2.5 Ziff. 1.1 Abs. 1 Bst. e der Chemi- kalien-Risikoreduktions-Verordnung vom 18. Mai 2005 (ChemRRV, SR 814.81) bestimmt, dass Pflanzen- schutzmittel in oberirdischen Gewässern und in ei- nem Streifen von 3 m Breite entlang von diesen nicht verwendet werden dürfen. Davon ist auch im um- fangreichen Katalog von Anhang 2.5 Ziff. 1.2 Chem- Abb 3 Bekämpfung von asiatischen Staudenknöterichen: Bodenabtrag (im Bild) und Ent- RRV keine Ausnahme vorgesehen. Der Einsatz von sorgung des verseuchten Materials auf einer Inertstoffdeponie. Kostenpunkt für eine Länge Pflanzenschutzmitteln entlang von oberirdischen von 100 m: CHF 20 000.–. Foto: Thomas Gerber Gewässern zur Bekämpfung asiatischer Staudenknö- teriche ist somit nur nach einer entsprechenden An- (insbesondere Bst. a und c) des Bundesgesetzes vom passung der ChemRRV zulässig. 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer Die Praxis ist mit einem Zielkonflikt und (GSchG, SR 814.20) lässt sich eine Pflicht ableiten, widersprüchlichen gesetzlichen Vorgaben auf Bun- bei ausgebauten und renaturierten Gewässerab- desebene konfrontiert. Auf der einen Seite lässt sich schnitten Massnahmen gegen die Etablierung inva- aus zahlreichen Gesetzen – etwa dem NHG, dem siver Neophyten zu ergreifen. GSchG oder der FrSV – die Pflicht ableiten, die Ufer- Art. 18 Abs. 1bis des Bundesgesetzes vom 1. Juli streifen als ökologisch wertvolle Lebensräume zu 1966 über den Natur- und Heimatschutz (NHG, schützen und Massnahmen gegen invasive Neophy- SR 451) erkennt eine besondere Schutzpflicht: Beson- ten zu ergreifen. Auf der anderen Seite verbietet die ders zu schützen sind Uferbereiche, Riedgebiete […], die ChemRRV genau dort das wirkungsvollste und kos- eine ausgleichende Funktion im Naturhaushalt erfüllen tengünstigste Instrument, nämlich den Einsatz von oder besonders günstige Voraussetzungen für Lebensge- Pflanzenschutzmitteln. meinschaften aufweisen. Dies ist als behördenverbind- Aus diesem Grund hat der Kanton Aargau licher Auftrag namentlich gegenüber Uferbereichen beim Bund eine Anpassung der ChemRRV verlangt, zu verstehen, woraus sich eine Bekämpfungspflicht die es den kantonalen Gewässerschutzfachstellen er- ableiten lässt. Seit dem 10. September 2008 ist die lauben würde, eine Ausnahmebewilligung für einen revidierte Verordnung über den Umgang mit Orga- zeitlich und räumlich begrenzten Einsatz von Pflan- nismen in der Umwelt (Freisetzungsverordnung, zenschutzmitteln in besonders schützenswerten FrSV, SR 814.911) des Bundes in Kraft. Die Freiset- Gebieten durch ausgebildete Fachleute und mit zungsverordnung statuiert mit Art. 52 Abs. 1 eine Begleitung von Fachpersonen zu erteilen. Das BAFU direkte Bekämpfungspflicht seitens der Kantone: Tre- beantwortete die Anfrage leider negativ. ten Organismen auf, die Menschen, Tiere oder die Um- Eine gleich gelagerte Motion von Nationalrat welt schädigen oder die biologische Vielfalt oder deren Beat Flach (13.3859) wird vom Bundesrat zur Ableh- nachhaltige Nutzung beeinträchtigen könnten, so ordnen nung empfohlen. In seiner Begründung hält der Bun- die Kantone die erforderlichen Massnahmen zur Bekämp- desrat fest, dass ein Entscheid über die Anpassung der fung und, soweit erforderlich und sinnvoll, zur künftigen rechtlichen Grundlagen hinsichtlich einer Ausnah- Verminderung ihres Auftretens an. Art. 8 Abs. 2 Bst. b mebewilligung im Rahmen einer Gesamtbeurteilung der FrSV präzisiert, dass oberirdische Gewässer und der Auswirkungen invasiver gebietsfremder Arten auf ein 3 m breiter Streifen entlang derselben als beson- das Ökosystem erfolgen müsse. Dabei seien auch die ders empfindliche und schützenswerte Lebensräume Wirkungen langjähriger und möglicherweise gross- gelten. Als Eigentümer der aargauischen Gewässer flächiger Anwendungen der gewählten Bekämpfungs- ist der Kanton Aargau zudem gemäss §121 des kan- methoden zu prüfen. Hierfür müssten die Grundla- tonalen Baugesetzes (BauG, 1993; SAR 713.100) ver- gen betreffend Wirkungsgrad, Wirkungsdauer, aber pflichtet, die Gewässer, die Ufer und ihre Bestockung auch Nebenwirkungen und allfällige alternative Me- sowie die Hochwasserschutzbauten so zu unterhal- thoden vorliegen. Im Hinblick auf die asiatischen ten, dass die ökologischen Funktionen sowie die für Staudenknöteriche stünden diese Grundlagen noch Schweiz Z Forstwes 165 (2014) 6: 140–145 PERSPECTIVES 143 140197_Forstverein_06_(140_145) 143 22.05.2014 08:56:23
aus, weshalb der Bund zusammen mit den beteilig- Glyphosat-Anwendungen unter kontrollierten Bedin- ten sechs Kantonen den interkantonalen Pilotversuch gungen und mit zusätzlichen Schutzmassnahmen zu (Bollens & Fischer 2013) weiterführen wolle und die bedeutend geringeren Belastungen im Gewässer entsprechende Interessenabwägung erst vornehmen führen. Der an der Suhre bei Muhen durchgeführte werde, wenn diese Grundlagen vorliegen. Spritzversuch mit Fluoreszenz-Tracer bestätigte die Der Vorstand der Bau-, Planungs- und Umwelt- Hypothese, dass unter strengen Auflagen – vor allem direktorenkonferenz hat im Dezember 2013 bei der hinsichtlich Wind und verwendeter Spritzdüse – eine zuständigen Bundesrätin beantragt, einen Ausnah- umweltgefährdende Abdrift fast ganz ausgeschlossen metatbestand in der ChemRRV zu schaffen. Dieser werden kann. Obwohl der Tracer bis einen Meter an Antrag wurde mit derselben Begründung abgewie- das Gewässer heran appliziert wurde, konnte auch sen. Weiter wurde festgehalten, dass für die Bekämp- bei den Durchgängen ohne zusätzliche Schutzmass- fung invasiver Neophyten entlang von Gewässern nahmen mit den hoch sensitiven Analyseverfahren ein breites Spektrum von rechtlich zulässigen mechani- in keinem Fall Abdrift gemessen werden. schen und manchmal auch biologischen Methoden zur Unsere Studie hat gezeigt, dass es möglich ist, Verfügung stehe. Angesichts der vielen negativen Er- mit geschultem Personal und unter strengen Aufla- fahrungen mit der aktiven Einführung von neuen gen Glyphosat bis nahe ans Gewässer anzuwenden, Arten in funktionierende Ökosysteme beurteilt der ohne die Umwelt zu gefährden. Aus Sicht des Kan- Kanton Aargau die biologische Bekämpfung der asi- tons Aargau liegen damit ausreichende und wissen- atischen Staudenknöteriche mit dem Blattfloh Apha- schaftlich abgesicherte Daten vor, die eine Änderung lara itadori (vgl. auch Gerber & Schaffer 2014, dieses der ChemRRV rechtfertigen. Die Fortsetzung des Heft), wie sie derzeit vom Bund geprüft wird, sehr interkantonalen Pilotversuchs (Bollens & Fischer skeptisch. Denn eine Bekämpfung mit einem einge- 2013) wird wissenschaftlich keine neuen, relevan- führten Fressfeind ist ein ungleich grösseres Risiko ten Erkenntnisse zur Beantwortung der Sinnhaftig- als eine Bekämpfung mit einem der weltweit wohl keit eines «Ausnahmetatbestands asiatischer Stau- am besten untersuchten Pflanzenschutzmittel, des- denknöterich» in der ChemRRV liefern, aber mit sen Einsatz jederzeit eingestellt werden kann. dem Zuwarten werden wir viel Zeit im Kampf gegen diesen invasiven Eindringling verlieren. Tracerversuch zum Ausbringen von Spritzmitteln entlang von Gewässern Schlussfolgerung Angesichts der Dringlichkeit adäquater Be- In schützenswerten und einzigartigen Bioto- kämpfungsmassnahmen entlang von Gewässern und pen drohen invasive Neophyten die jahrzehntelan- ermuntert durch die vielversprechenden Resultate der gen und ressourcenintensiven Anstrengungen zum Glyphosat-Langzeitstudie im aargauischen Reusstal Erhalt und zur nachhaltigen Förderung naturnaher (Tabelle 1, Abbildung 2) hat der Kanton Aargau im Ökosysteme und Landschaften zunichtezumachen. Jahr 2013 in einer wissenschaftlich begleiteten Pilot- Insbesondere die uneingeschränkte Verbreitung der studie die Auswirkungen des praktischen, räumlich asiatischen Staudenknöteriche entlang von Gewäs- begrenzten Einsatzes von Spritzmitteln zur Stauden- sern und in neu geschaffenen Auengebieten und knöterichbekämpfung untersucht. Da das BAFU keine Flussabschnitten dürfen wir nicht länger zulassen. Bewilligung für den Einsatz von Glyphosat erteilt Der Kanton Aargau ist überzeugt, dass für die Be- hatte, wurde der Spritzversuch mit einem Fluoreszenz- kämpfung der asiatischen Staudenknöteriche ent- Tracer durchgeführt (ALG 2014). Die Studie wollte zei- lang der Gewässer räumlich und zeitlich begrenzte gen, welche Bedingungen für das Spritzen von Gly- chemische Massnahmen die bestmögliche Option phosat gelten müssen, um sicherzustellen, dass die darstellen, weil sie effektiv, ökonomisch tragbar, öko- Umwelt dabei nicht gefährdet wird. Basierend auf den logisch vertretbar und politisch kommunizierbar ist. Erfahrungswerten aus der Landwirtschaft wurde zu- Der wissenschaftlich begleitete Tracerversuch (ALG dem eine Expositions- und Risikoabschätzung für die 2014) hat verdeutlicht, dass ein sorgfältig ausgeführ- Abdrift und die Abschwemmung von Glyphosat ins ter Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auch im Gewässer erstellt. Die Ergebnisse zeigen, dass auch 3-Meter-Uferstreifen keine Gefährdung für das Ge- im Worst-Case-Szenario (ohne Einschränkungen wässer und die Umwelt darstellt. Mit chemischen hinsichtlich Wind und ohne zusätzliche Schutzmass- Massnahmen liesse sich der asiatische Staudenknö- nahmen wie Schutzvlies oder vom Wasser weggerich- terich in den besonders schützenswerten Gebieten teter Spritzstrahl) die sogenannten Environmental Schritt für Schritt eindämmen. Ihn schweizweit an Quality Standards (Maycock et al 2010) für kurzzei- der weiteren Verbreitung hindern zu wollen, ist hin- tige Belastungen eingehalten werden können. Da das gegen illusorisch respektive langfristig unbezahlbar Worst-Case-Szenario bewusst von erschwerten Be- (Kräuchi et al 2014). ■ dingungen ausgeht, kann angenommen werden, dass Eingereicht: 2. April 2014, akzeptiert (ohne Review): 1. Mai 2014 144 PERSPEKTIVEN Schweiz Z Forstwes 165 (2014) 6: 140–145 140197_Forstverein_06_(140_145) 144 22.05.2014 08:56:23
Dank EGLOFF T (2011) Auswertung und Beurteilung der Wirksamkeit der chemischen Bekämpfung des Japanknöterichs. Aarau: Kan- ton Aargau, Departement für Bau, Verkehr und Umwelt, Ab- Der Autor dankt Thomas Egloff, Thomas Ger- teilung Landschaft und Gewässer. 5 p. ber, Alois Huber, Werner Lehmann und Sebastian GERBER E, SCHAFFNER U (2014) Gebietsfremde Staudenknöteri- Meyer von der Abteilung Landschaft und Gewässer che im Schweizer Wald – Auswirkungen und Massnahmen. für die engagierten Diskussionen und das langjäh- Schweiz Z Forstwes 165: 150–157. doi: 10.3188/szf.2014.0150 rige Engagement bei der Bekämpfung von invasiven HAAG S, NOBIS MP, KRÜSI BO (2013) Profitieren invasive Neophy- ten von Flussrevitalisierungen? Nat.schutz Landsch.plan 45: Neophyten. 357–364. KANTON AARGAU (2014) Neobiota-Strategie – Ziele und Hand- lungsbedarf zweite Projektphase. 39 p. https://www.ag.ch/ Literatur media/kanton_aargau/dgs/dokumente_4/verbraucherschutz_1/ chemiebiosicherheit/neobiota_1/Neobiota-Strategie_10_03_14. ALG (2014) Bekämpfung von Staudenknöterichen mit Glyphosat pdf (6.5.2014) an Gewässern im Kanton Aargau – Schlussbericht einer Pilot- KRÄUCHI N, GERBER T, MEYER S (2014) Mit Herbizid gegen Stau- studie mit Fluoreszenz-Tracer. Aarau: Kanton Aargau, Departe- denknöterich – auch an Gewässern. Umw Aargau 64: 11–14. ment für Bau, Verkehr und Umwelt, Abteilung Landschaft und KÜFFER C, BUGMANN H, CONEDERA M (2014) Invasive Neobiota Gewässer. 11 p. https://www.ag.ch/de/bvu/umwelt_natur_ im Wald: Konzepte und wissenschaftliche Grundlagen. landschaft/naturschutz/neobiota/neobiota_1.jsp (6.5.2014) Schweiz Z Forstwes 165: 124–131. doi: 10.3188/szf.2014.0124 BISCHOFF W, CUENI J, PEISL-GAILLET Y, KOLLY D (2014) Bekämp- MAYCOCK D, CRANE M, ATKINSON C, JOHNSON I (2012) Pro- fung invasiver Neophyten: beschränkte Mittel zielgerichtet posed EQS for Water Framework Directive Annex VIII, sub- einsetzen (Essay). Schweiz Z Forstwes 165: 132–139. doi: stances: glyphosate (for consultation). Edinburgh: Environ- 10.3188/szf.2014.0132 ment Agency and the Scotland and Northern Ireland Forum BOLLENS U, FISCHER D (2013) Pilotversuch zur Bekämpfung des for Environmental Research. 131 p. Japanknöterichs: Schlussbericht 2012. Zürich: Baudirektion WALTHER GR, LEUTHARDT F (2014) Invasive Neobiota: von den Kanton Zürich. 104 p. Grundlagen zur nationalen Strategie. Schweiz Z Forstwes 165: 146–149. doi: 10.3188/szf.2014.0146 Neophytenbekämpfung an Gewässern im Lutte contre les néophytes le long Spannungsfeld gesetzlicher Zielkonflikte des cours d’eau au centre des conflits (Essay) d’objectifs législatifs (essai) Getrieben durch den globalen Handel und unterstützt durch Nous retrouvons dans notre écosystème de plus en plus de den Klimawandel finden wir in unseren Ökosystemen zuneh- nouvelles espèces, entraînées par le commerce global et sou- mend neue Arten. Einzelne dieser Arten wie beispielsweise die tenues par les changements climatiques. Certaines de ces es- asiatischen Staudenknöteriche (Reynoutria japonica, R. sacha- pèces, telles que la renouée du Japon (Reynoutria japonica, linensis, R. × bohemica) verfügen über eine immense Wuchs- R. sachalinensis, R. × bohemica), sont très prolifères et ont kraft und verdrängen in revitalisierten Flussabschnitten und évincé la végétation autochtone le long des cours d’eau revi- besonders schützenswerten Lebensräumen die vorhandene talisés et des habitats dignes de protection. L’atteinte écolo- Vegetation. Der mit dem Verlust der Biodiversität einherge- gique qui découle de cette perte de biodiversité ne peut être hende ökologische Schaden lässt sich nur mit einer effekti- atténuée que par une stratégie de lutte efficace et effective. ven und effizienten Bekämpfungsstrategie in Grenzen halten. Les directives législatives contradictoires au niveau fédéral Widersprüchliche gesetzliche Vorgaben auf Bundesebene füh- conduisent en pratique à des conflits d’objectifs et empêchent ren in der Praxis allerdings zu einem Zielkonflikt und verun- une lutte efficiente. D’une part, l’ordonnance sur la réduc- möglichen eine zielgerichtete Bekämpfung. Auf der einen tion des risques liés aux produits chimiques interdit l’utilisa- Seite verbietet die Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung tion de produits phytosanitaires sur une bande de 3 m le long den Einsatz von Pflanzschutzmitteln in einem Streifen von 3 m des cours d’eau. D’un autre côté, on peut déduire de nombre entlang der Gewässer. Auf der anderen Seite lässt sich aber de textes législatifs – par ex. de la loi fédérale sur la protec- aus zahlreichen Gesetzen – etwa dem Natur- und Heimat- tion de la nature et du paysage, de la loi fédérale sur la pro- schutzgesetz, dem Gewässerschutzgesetz oder der Freiset- tection des eaux ou de l’ordonnance sur l’utilisation d’orga- zungsverordnung – die Pflicht ableiten, die Uferstreifen als nismes dans l’environnement – l’obligation de protéger les ökologisch wertvolle Lebensräume zu schützen und Massnah- rives en tant qu’habitat écologiquement important et de men gegen invasive Neophyten zu ergreifen. Wie langjährige prendre des mesures contre les néophytes envahissantes. Des Untersuchungen im Kanton Aargau zeigen, schwächt die che- recherches de longue date conduites dans le canton d’Argo- mische Bekämpfung den asiatischen Staudenknöterich nach- vie démontrent que la lutte chimique affaiblit durablement haltig. Zudem konnte mit einem Fluoreszenz-Tracer-Versuch la renouée du Japon. De plus, il a été prouvé lors d’un essai nachgewiesen werden, dass bei sorgfältiger Ausführung der avec un traceur fluorescent qu’il n’y avait pas de danger pour Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auch im 3-Meter-Uferstrei- le cours d’eau si des produits phytosanitaires sont emplo- fen keine Gefährdung für das Gewässer darstellt. Der Kanton yés précautionneusement même dans la zone riveraine de Aargau hofft daher, dass diese Erkenntnisse dazu beitragen, 3 mètres. Le canton d’Argovie espère que ces connaissances den Zielkonflikt schnellstmöglich zu lösen, damit die in den contribueront à résoudre rapidement ces conflits d’objectifs, letzten Jahren getätigten Investitionen in die Renaturierung afin de pouvoir protéger à temps contre la renouée du Japon der Gewässer rechtzeitig vor der Bedrohung durch den asia- les investissements consentis pour la renaturation de cours tischen Staudenknöterich geschützt werden können. d’eau. Schweiz Z Forstwes 165 (2014) 6: 140–145 PERSPECTIVES 145 140197_Forstverein_06_(140_145) 145 22.05.2014 08:56:24
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