Neues aus dem öffentlichen Raum - Wie hinaus aus der Krise? Ein Heft über Kreativität, Gemeinsinn und Resilienz - Nationale Stadtentwicklungspolitik
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Wie hinaus aus der Krise? Ein Heft über Kreativität, Gemeinsinn und Resilienz 19 April 2021 Stadtentwicklungspolitik zu den Pilotprojekten der Nationalen M AGA ZI N Neues aus dem öffentlichen Raum
Editorial Inhalt 04 D I E N EU E S TÄ R K E D E R S TA DT Die Resonanz auf den Projekt aufruf »Post-Corona-Stadt« war enorm – acht Seiten urbaner Optimismus 12 Der alltägliche Spaziergang um den Block, die DA STECKT VIEL ZUKUNFT DRIN kleinen Fluchten ins Grüne, vor allem aber der Hintergrund: Wie die Pandemie zum Katalysator für Wunsch nach Begegnung und Gemeinschaft: neue Stadtkonzepte und mehr Resilienz wird Das alles hat unser kollektives Augenmerk in 14 den vergangenen Monaten wie kaum je zuvor LUFT NACH OBEN Im öffentlichen Raum geht mehr. auf den Nahbereich vor unserer Haustür ge- Unser Schaubild zeigt Beispiele lenkt. Der Nutzungsdruck auf den öffentlichen 16 Raum ist pandemiebedingt deutlich gestie- FLANIEREN GEHT ÜBER STUDIEREN gen, was seine Qualitäten und Defizite – als Ein Spaziergang mit offenen Augen – für erste Eindrücke, wie Ort für Sport, Bildung, Erholung, Kultur oder Corona unsere Städte verändert Mobilität – für uns alle umso deutlicher hat 19 NEUE MUSTER MESSEN hervortreten lassen. Beim genaueren Hinsehen Ein Forscherteam der TU Kaiserslautern untersucht indessen zeigt sich, dass aus den Erfahrungen die neuen Bewegungsmuster systematisch der Krise vielerorts bereits neue Ideen für die 20 resiliente (Um-)Nutzung von Straßen, Parks D I E K R E AT I V E N und Plätzen hervorgehen. Zudem entstehen FÖRDERN Die Städtebauförderung wird 50. innovative Nutzungsmodelle für die gemein- Wie sollte sie weiterentwickelt werden? Zwei Statements wohlorientierte Aneignung von Gebäuden oder 21 Ladenlokalen, die im Zusammenspiel mit dem KOLUMNE Warum man in Umbruchphasen öffentlichen Raum entwickelt werden und so dem Reiz des schnellen Benennens besser widersteht die Innenstädte neu beleben können. In dieser 23 Ausgabe des stadt:piloten berichten wir von der DIE DINGE transformativen Kraft der Städte, vom Erkun- GEMEINSAM ANGEHEN Eine Bibliothek der Dinge den neuer Pfade und Aufbruchsstimmung mit und gemeinschaftliches Stadtmachen im größeren Visionen und Konzepten für die kooperative Maßstab – in Hannover Gestaltung von Stadt – während, nach und über 26 SO GEHT ES WEITER Corona hinaus. Freuen Sie sich auf ein Heft, Veranstaltungen und Termine das in schwierigen Zeiten Lust auf Zukunft und 26 IMPRESSUM Veränderung macht. Es kann direkt losgehen. 02
Kraft der Krise Titel: Michael Kohls | Foto: Marcus Glahn Das Wort »kraft« kann im Deutschen auch in Denn da ist der Erkenntnis plötzlich nicht der grammatikalischen Form einer Präp osition mehr auszuweichen: Es kann nicht weiter mit Genitiv verwendet werden: im Sinne von gehen wie bisher, gewohnte Regeln und »aufgrund« oder »durch den Einfluss« – etwa Beg renzungen müssen überschritten werden. in Aussagen wie »kraft meines Amtes«. Nun Es muss etwas passieren! Mit einem Mal ist gibt es in schwierigen Zeiten Wichtigeres, als da Entschlossenheit, die Hängepartie zu sich mit sprachlichen Feinheiten aufzuhalten. beenden und sich wieder hochzuziehen. Aber in dies er hier steckt ein guter Hinweis: Zurück ins pralle Leben. Es gibt aber noch Kraft hat man nicht einfach so, man muss sie eine andere wichtige Kraftquelle, die dafür von irgendwoher nehmen. Und paradoxerweise nötig ist und die unser Bild nicht zeigt: die schöpft man sie manchmal gerade dort, wo Gemeinschaft. Sie wird auf den folgenden sie einem scheinbar geraubt wird: in Krisen. Seiten eindrucksvoll sichtbar.
Die neue der St Mannheim OASE Worum geht es? Nachbarschaftlich organisier- te öffentliche Orte ohne Konsumzwang haben sich während der Pandemie als resili- Fotos: POW ent und notwendig erwiesen. In der Mannheimer Neckarstadt soll auf einer prominent gelegenen Brachfläche eine gemeinwohlorientierte Nutzung entstehen. Was ist die Vision? Die OASE bietet ein viel fältiges, niedrigschwelliges Angebot an Workshops, Aus- tauschformaten sowie Bildungs- und Kulturangeboten. Hier kommen unterschiedlichste Menschen zusammen und empfinden Zugehörigkeit. Was ist neu daran? Dieser Ort wird konsequent von den Bedarfen im Quartier her gedacht und kooperativ entwickelt. Durch ein lokal verwurzeltes Wirtschaftsmodell erlangt er ökonomische Tragfähigkeit – und Hand- Im »Pingpong-Verfahren« lungsspielraum für weitere Ideen. entsteht auch die OASE: als Wer ist der Träger? Verein POW! kooperativ entwickelter Ort, e.V./co Yalla Yalla! GbR der von den Bedürfnissen der Menschen her gedacht ist
Stärke tadt Dein Park · Post-Corona-Stadt Neuruppin Wie steigern Städte ihre Resilienz in Krisenzeiten? Wie kann das urbane Leben wieder aufblühen, wenn Covid- 19 besiegt ist? Wie entsteht der nötige kooperative Ge Robin Pastor und staltungswille? Alles Fragen, Falco Kuhnert (o.) aus der feder die für Stadtmacher in den führenden Schüler- Projektgruppe vergangenen Pandemie- sind startklar Fotos: Peter Wurm Fotograf ie und Graf ik Monaten immer drängender wurden. Als dann der Pro jektaufruf »Post-Corona- Stadt« gestartet wurde, war Worum geht es? Corona hat den Bedarf an attrakti- die Resonanz überwältigend. ven öffentlichen Bewegungsflächen stei- gen lassen. Dem Neuruppiner Stadtpark soll An der positiven Aufbruchs deshalb neues Leben eingehaucht werden. Die Initi- ative geht von Schülern der Evangelischen Schule Neu- stimmung, die sich da zeigt, ruppin aus. Was ist die Vision? Unter Berücksichtigung der Nutzungsa nsprüche aller Bevölkerungsgruppen wird möchten wir Sie teilhaben der Stadtpark zu einem multicodierten Ort für individuelle Bewegungsa ngebote, naturnahe Erholung und nachhaltige lassen. Freuen Sie sich auf Bildung. Hier kann konkret mitgestaltet werden. So wächst, erweitert durch digitale Interaktion, auch das Miteinander. einige Seiten voller Ideen, Was ist neu daran? Unter anderem das iterative Vorgehen: Schüler als zentrale Akteure sind in den Prozess eingebun- Visionen und Konzepte, die den, der langfristig, kooperativ und experimentell an gelegt ist und in ein Betreiber- und Pflegemodell mün- nun schon bald sehr konkret det. Der gemeinschaftlich getragene Entwicklungs- prozess soll die Mitw irkungsbereitschaft in werden sollen. der Stadtentwicklung insgesamt erhöhen. Wer ist der Träger? Fontanestadt Neuruppin 05
Stadtplanerische Weit sicht: Ein Akteursnetzwerk startet einen kooperativen Prozess, der das Frank furter Zentrum dauerhaft beleben soll Worum geht es? Die Frankfurter Innenstadt ist – auch durch die Folgen der Corona-Krise – von Leerstand bedroht. Es gilt, ihre Leit- funktionen zu stärken und sie als attraktives Zen- trum von Stadt und Region zu erhalten. Was ist die Vision? Mit Akteuren aus Politik, Verwaltung und Zivil- gesellschaft wird ein Netzwerk etabliert, das Raum für Innovationen erschließt und für eine Diversifizierung der Innenstadtangebote sorgt: neue Läden, mehr kulturelle Zwischennutzungen, Interventionen im öffentlichen Raum, mehr Platz zum Radfahren und Flanieren. Was ist neu daran? Erarbeitet wird kein Plan, sondern ein Prozess. Post-Corona-Innenstadt · Das neue Akteursnetzwerk wird langfristig etabliert und ist nicht auf ein bestimmtes Segment begrenzt. Es entwickelt die Innenstadt dauer- Frankfurt beschreiben? Wir haben die Initiatoren gebeten, das einmal zu formulieren. haft integriert weiter. Wer ist der Träger? Stadt Frankfurt (Planungsdezernat und ie könnten Bürgerinnen und Bürger später die Vorzüge des Projektes Stadtplanungsamt) Hey LENA! · Legden Bei »LENA« wird aus dem Leben Worum geht es? nebeneinander endlich wieder Corona bringt neue Gefährdungen und Probleme in den Alltag der ein Leben miteinander! Hier Menschen im ländlichen Raum und führt zu spezifischen Bedarfs- und Versorgungslagen. Hier treffe ich Leute mit den gleichen soll Abhilfe geschaffen und dabei auch die bestehende Leerstandsthematik aufgegriffen werden. Was ist die Problemen, Interessen, und Vision? Im Ortskern entsteht ein nutzungsoffener Open Space als ad hoc bespielbarer Kriseninterventionsraum – für Bedürfnissen, wie ich sie habe. Co-Working und neue Geschäftsideen, zur digitalen Ertüchti- gung und für den allgemeinen Wissens- und Erfahrungsaus- Ich kenne sie nicht nur, tausch. Was ist neu daran? Neue Methoden der Partizipation und des Empowerments werden gelebte Praxis – in einem sondern vertraue ihrem Rat. Netzwerk aus verschiedenen Akteuren, das als Schwarzes Brett der Kommune fungiert. Eine Neudefinition erfährt Und ich spüre, dass meine Vor nicht nur die solidarische Nachbarschaftshilfe, sondern auch der Ortskern als Adresse für Handel stellungen und Anregungen mit und soziale Interaktion. Wer ist der Träger? Interesse aufgegriffen werden! * *W Das LENA-Trägergremium (lokale Akteursgruppe – in Gründung)
Foto: Stadt Frankfurt Planungsdezernat Worum geht es? In der Alten Feuerwache Weimar, einem Quartiersprojekt im kollektiven Durch das Reallabor Eigentum der Mieter, zeigte sich während der Pandemie, wie wichtig in Krisenzeiten ein selbst Feuerwache bin ich nicht mehr bestimmtes Wohnumfeld und eine solidarische Nach barschaft sind. Diese Erfahrungen sollen nun für Größeres nur Stadtkonsument, sondern genutzt werden: für mehr städtische Resilienz. Was ist die Vision? In Koproduktion mit Kommune und Universität entsteht Stadtproduzent. Ich ent ein Reallabor für gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung, das zugleich ein öffentliches Zentrum für Beteiligungskultur ist. decke im Selbstversuch der Es bündelt Wissen und Kontakte und macht Stadtkonsumenten zu Stadtproduzenten, die mit Planern auf Augenhöhe diskut ieren. Immobilienentwicklung Was ist neu daran? Das öffentliche Zentrum für Beteiligungs- kultur ist ein Novum für Thüringen. Die Feuerwache bietet meinen Gestaltungsspielraum dafür einzigartige Voraussetzungen an Infrastruktur und Erfahrung: wie man im Selbstversuch der Immobilien- und erlebe, wie meine Verant entwicklung seinen Gestaltungsspielraum und seine Verantwortung für die Stadt steigert. wortung für die Stadt wächst. * Wer ist der Träger? Reallabor Feuer wache Reallabor & Zentrum für und Stadtverwaltung Weimar Beteiligungskultur · Weimar Foto: Alte Feuerwache Weimar e.V. Mit leuchtendem Beispiel voran: Auch wenn es darum geht, Kultur selbst in schwierigen Zeiten möglich zu machen Worum geht es? Pop-up-Innenstadt · In der Pandemie wurde noch Ludwigsburg deutlicher, dass es der Ludwigsburger Innenstadt durch hohe Verkehrsbelastung Einfach mal an Aufenthaltsqualität fehlt. Nun soll der öffent- testen. Und was liche Raum neu gedacht und umgestaltet werden. gut funktioniert, Was ist die Vision? Temporäre Pop-up-Maßnahmen, später vielleicht die Orte für Kommunikation, Spiel, Sport und Kultur in der ganzen schaffen, bilden ein Experimentierfeld nachhaltiger Stadt ausrollen Stadtentw icklung. So entstehen Erfahrungsräume, die zum Mitdenken und Mitmachen einladen. Was ist neu daran? Indem alle Maßnahmen sinnlich-emotional erlebbar gemacht und mit partizipativen Elementen verknüpft werden, entsteht eine neue Form des Foto: Benjamin Stollenberg Dialogs mit Bürgerinnen und Bürgern. Ein direktes Feedback der zukünftigen Nutzer wird möglich. Wer ist der Träger? Stadt Ludwigsburg 07
Parkmeilen · München Worum geht es? In der Pandemie wurde noch deutlicher, wie wichtig wohnungsnahe Grünflächen sind. Die Münchner Parkmeilen als Graf ik: LHM | Foto: Airgonautics GbR/LHM multifunktional nutzbare Freiraumstrukturen, die verschiedene Stadtteile verbinden, bergen dafür wert- volle Potenziale. Sie sollen getestet werden. Was ist die Vision? In den Parkmeilen sollen verschiedenste Erholungs-, Sport- und Kulturangebote entstehen und Urban-Gardening- Projekte zur lokalen Lebensmittelversorgung beitragen. Indem sie für Abkühlung sorgen und Starkregen puffern, spielen die Parkmeilen zudem eine wichtige Rolle bei der Anpassung an den Klimawandel. Was ist neu daran? Durch Freirauminter vent ionen in zwei der insgesamt elf Parkmeilen wird in Kooperation mit den wichtigen Akteuren vor Ort eine Vision entw ickelt – prozesshaft und experimentell mit verschie- denen Beteiligungsformaten. Von digital über hyb- rid bis zu face-to-face auf Workshops und Spazier gängen. Wer ist der Träger? Landeshauptstadt München, Referat für Stadtplanung und Bauordnung Meilenweit voraus in kreativer Stadte ntwicklung wird München sein, wenn die Stadt künftig das Potenzial der Parkmeilen nutzt. Sie verb inden vers chied ene Stadtteile durch weitr äumige Grünflächen
Mix, Merge, Share · Aachen Worum geht es? Nicht nur durch Corona, sondern auch durch den Onlinehandel sowie Veränderungen in der Arbeitswelt und dem Freizeitverhalten sind innerstädtische Liegen- schaften unter Wandlungsdruck geraten. Neue Nut- Foto: Andreas Herrmann Eine Tanzperformance im zungskonzepte sind gefragt. Was ist die Vision? Mix I Rahmen des Reallabors Theater Merge I Share bedeutet: Im Dialog mit Eigentümern und platz – so schön kann sich Kultur Nutzern werden neue Verbindungen unter anderem von in die Innenstadt einmischen Wohnen, Arbeiten, Bildung und Kultur konzipiert und in ausgewählten Gebäuden getestet – um die Innenstadt jen- seits des Einzelhandels als solidarischen Alltagsort zu stärken. Was ist neu daran? Mit der ACademie als orga- nisatorischem und kommunikativem Herzstück ent- steht eine neue, kollaborative Stadtmacher-Allianz, die auch neue Trägermodelle entwickelt. Sie soll nach Projektende verstetigt werden. Pop-up-Prignitz, Wer ist der Träger? RWTH Aachen University Agentur für Freiräume · Wittenberge & Perleberg In der Pandemie haben wir festgestellt, wie wichtig es ist, mit Worum geht es? kleinen Kindern im Grünen zu In der Region gibt es viel Leer- stand, während anderswo durch Corona sein und Freiraum zu haben. neue Raumbedürfnisse entstanden sind. Indem freie Flächen einer innovativen Zwischen- und Neu- Hier gibt es davon jede Menge. nutzung zugeführt werden, lassen sich hier Standort- nachteile in Vorteile umwandeln. Was ist die Vision? Eine Wir haben Landleben auf Probe regionale Vermittlungsagentur macht Freiräume über ein Webportal sicht- und buchbar – als Veranstaltungsräume für gemacht und sind dann ganz Kultur und Vereine, als Pop-up-Stores, Co-Working-Spaces für Digitalarbeiter oder für ein paar Monate Landleben auf nach Perleberg gezogen. Arbeiten Probe. So wird der Zuzug gefördert und das soziale Leben im Ort krisenfester. Was ist neu daran? Kommunale Leer- können wir ebenso gut von hier standserfassung wird mit Nutzungsempfehlung und Vermittlung verbunden, der Zwischennutzungsprozess aus, im Co-Working-Space. Es ist standardisiert. Konzepte werden gemeinsam mit Bürgern und Eigentümern erarbeitet. schön, in einer Umgebung zu sein, Wer ist der Träger? Technologie- und Gewer- bezentrum Prignitz GmbH in der sich gerade so viel tut. * 09
Worum geht es? Verstärkt durch Corona gibt es eine neue Sehnsucht nach städtischer Freiheit, Individualität und sozialer Inter- Rendsburg belebt · aktion. Leerstandsbekämpfung soll hier des- halb mit anderen Themen des Wandels verknüpft werden. Was ist die Vision? Neue innovative Einzel- handelskonzepte für Online-und Offlinehandel, Pop-up- Stores, nachhaltige Mobilität und andere Maßnahmen Rendsburg führen zu einer Verbesserung der Aufenthaltsqualität und der sozialen Interaktion in der Stadt. Im Mittelpunkt stehen die Bedürfnisse der Bewohner. Alle gestalten mit. Was ist neu daran? Ideen, Akteure und Konzepte werden in einem Gemeinschaftsprojekt zusammen gebracht. Die Bündelung der Maßnahmen bringt die nötigen Synergien zur Gestaltung der resilienten Innenstadt von morgen. Wer ist der Träger? Region Rendsburg GmbH Ich gehe durch ein belebtes und begrüntes Quartier in der Rends burger Innenstadt. Meine Kinder vergnügen sich auf tollen Spiel- und Co-Working Galerie · Sportgeräten, während ich neue WANDELpfad & Geschäfte mit nachhaltigen und Homberg (Efze) individuellen Produkten entdecke. Wir bummeln zu den Hochbeeten, treffen engagierte junge Menschen, tauschen uns aus und lernen gleichzeitig etwas über Gemüse anbau in der Stadt. Nach einem Abstecher in das quirlige Quartiers Worum geht es? Homberg ist stark von demo- zentrum kaufen wir noch Gemüse grafischem Wandel, Überalterung, Leerstand und den Auswirkungen des Klima keimlinge und informieren uns wandels betroffen. Wie kann die Stadt dennoch gestärkt aus der Pandemie hervorgehen? Was ist über die neuesten Aktionen der die Vision? Initiativen vernetzen, die Stadtgesell schaft zum zentralen Akteur machen. Aus einer schein »KreativWerkstatt«, wo Jugendliche baren Sackgasse wird ein WANDELpfad, auf dem neue Potenz iale erfahrbar werden: multifunktionale Orte des nachhaltige Projekte planen. Austausches und digitalen Arbeitens. Barrieren werden abgebaut, um den Ort besser an Naherholungsräume Der Besuch in der Stadt hat uns anzubinden. Was ist neu daran? Die konsequente Ver- netzung der unterschiedlichen Wandlungsthemen gutgetan und war zugleich eine und ihre Verknüpfung mit einem symbolstarken Ort. »Spaziergangswissen« wird genutzt, tolle Inspiration. * um möglichst vielfältige Zielgruppen ein- zubinden. Wer ist der Träger? Stadt Homberg (Efze)
Erste Erfahrungen hat man in Erlangen schon gemacht mit Makerspaces und kreativer Stadte ntwicklung, in die sich jeder einbringen kann. Daran lässt sich jetzt anknüpfen Worum geht es? Die Corona-Einschränkungen und zahlreiche Geschäftsaufgaben haben in der Bevölkerung die Krisenerfahrung verstärkt und ein Gefühl von Hilflosigkeit aufkommen lassen. Wichtige Versorgungsfunktionen, etwa mit Kleinteilen, Foto: Jochen Hunger Werkzeugen und Reparaturmaterialien, werden lokal nicht mehr erfüllt. Was ist die Vision? Nach dem Motto »Macher* innen wissen sich besser zu helfen« entsteht in der Erlanger Altstadt ein Makerspace, ein kommunikativer Ort zur inno vativen Nahversorgung mit Know-how und mit Produkten. Hier wird in Werkstätten und Ateliers gemeinsam gelernt, gebaut Know-how teilen und entwickelt und so ein Anlaufpunkt für kreative Krisenbe- wältigung geschaffen. Was ist neu daran? Der Graswurzel-An- macht Städte stark · satz: Die Bürger selbst werden zu Akteuren. Dem klassischen Experten wird der geniale Anwender gegenübergestellt. So kann im Makerspace beispielsweise auch mal mit dem Erlangen OB über Stadtplanung diskutiert werden. Auf Augenhöhe. Wer ist der Träger? Makerspace für Erlangen e.V. (in Gründung) Worum geht es? Um Zentren durch ein breite- Erdgeschosse res Funktions- und Nutzungsspektrum krisenfester zu machen, braucht es inno- kuratieren · vative Ansätze. Wie finden mitwirkungsbereite Eigentümer und interessierte Nutzer zusammen? Durch ein Kuratorium. Was ist die Vision? Ein Erd Berlin geschossmanagement steuert künftig den Nutzungsmix und sorgt dafür, dass Geschäftsstraßen als attraktive städtische Identifikationsorte erhalten bleiben. Der Ein- zelhandel wird durch soziale und kulturelle Nutzungen ergänzt – dauerhaft und temporär. Was ist neu daran? Das innovative Projektdesign wird in kollaborativen digitalen Formen weiterentwickelt. Mit Methoden wie Design Thinking werden kreative Umset- zungsideen erarbeitet. Wer ist der Träger? Senatsver waltung für Stadtentwick- lung und Wohnen Berlin 11
Hintergrund Da steckt viel Zukunft drin Die Pandemie hat Städte Orte, an denen soziale Begegnungen unter Einhaltung der Abstandsregeln noch stattfinden und man angesichts vor neue Herausforderungen psychisch belastender Pandemie-Erfahrungen einen Aus- gleich finden konnte. Aus der Not abnehmender Betrieb- gestellt und bestehende samkeit und eingeschränkter Reisetätigkeiten wurde die Tugend der Experimentierfreude und des Neu-Erlebens des Probleme verschärft. Aber eigenen Umfelds gemacht. Nicht nur neue Radwege popp- ten auf, auch viele andere Maßnahmen und Aktionen, über sie wirkt auch als Katalysator die früher viel diskutiert worden wäre, werden jetzt im Ein- fach-mal-machen-Format namens »Pop-up« durchgespielt. für neue, kreative Lösungen, Themen, die den Kommunen die zu mehr Resilienz führen unter den Nägeln brennen können. Es tut sich da Angeregt von dieser neuen Dynamik, und um mo- dellhafte Ansätze für einen nachhaltigen Umgang mit den eine Menge in deutschen neuen Herausforderungen zu fördern, hat die Nationale Stadtentwicklungspolitik im Herbst 2020 den Projektaufruf Kommunen – jetzt auch »Post-Corona-Stadt« gestartet – mit Schwerpunkten in den drei Themenfeldern »Solidarische Nachbarschaft und Wirt- unterstützt durch den Projekt schaften im Quartier«, »Öffentlicher Raum, Mobilität und Stadtstruktur« sowie »Integrierte Stadtentwicklungsstrate- aufruf »Post-Corona-Stadt« gien«. Die Resonanz war überwältigend. Über 220 Projekte haben sich darauf beworben, 13 von ihnen sind durch eine Fachjury für eine Förderung über einen Zeitraum von drei Von Oliver Geyer Jahren ausgewählt worden (siehe Seite 4–11). Für Andrea Jonas vom BBSR beweist der hohe Rück- Foto: Daniel Seiffert lauf, wie sehr diese Themen den Kommunen unter den Es ist eine dynamische Lage, Routinen und bewährte Lösun- Nägeln brennen: »Es zeigt sich ein hoher Bedarf für kurz- gen gibt es nicht, wir müssen vorerst auf Sicht fahren. So fristige Anpassungen, aber auch für langfristige Strategien. war es aus der Politik in den vergangenen Monaten oft zu Zugleich wird die Not sichtbar, finanzielle Ressourcen vernehmen. In einem anderen Bereich, der Stadtentwick- für Projekte zu mobilisieren.« Mit Andrea Jonas war auch lung, wurde derweil schon deutlich weiter in die Zukunft ge- Cordelia Polinna von der Berliner Agentur Urban Catalyst dacht. Hier zeigt sich eine positive Dynamik im Umgang mit an der Auswertung der Bewerbungen und der Organisation der Frage, wie es nach der Pandemie mit den Städten weiter- der Entscheidungsfindung beteiligt. Sie hat die zwölfstün- gehen soll. In vielen Kommunen ist eine neue Bereitschaft dige Online-Jurysitzung moderiert, an der neben Repräsen- zum Ausprobieren und Improvisieren zu verzeichnen. tanten des Innenministeriums, des BBSR und der Länder Eine ebenso oft gehörte Meinung ist, dass Corona auch Vertreter der kommunalen Spitzenverbände als ge- bestehende gesellschaftliche Probleme wie ein Brennglas meinsame Arbeitsgruppe Nationale Stadtentwicklungspoli- deutlicher sichtbar mache und verstärke. Sie wiederum gilt tik beteiligt waren. Nach dem Konsensprinzip und anhand für Städte in besonderem Maße, betrifft die Pandemie mit klar definierter Kriterien wurde dort über die Pilotprojekte ihren räumlichen Auswirkungen doch nahezu alle Kernthe- diskutiert und abgestimmt. »Keine Frage, das war ein Ma- men der Stadtentwicklung. Hatte es zuvor schon der zuneh- rathon«, sagt Polinna, der zugleich die Euphorie des Auf- mende Onlinehandel den stark durch Einzelhandel gepräg- bruchs noch anzumerken ist: »Es gab nicht viel Positives ten Innenstädten schwer gemacht, kam das dortige Leben rund um Corona, aber dieser Projektaufruf war und ist eine und Treiben im Lockdown beinahe gänzlich zum Erliegen. tolle Sache. Da kann jetzt Zukunft gestaltet werden.« Es sei Durch das Corona-Brennglas trat das Szenario verödender eine wahnsinnige Leistung, dass so viele Kommunen und Innenstädte und verwaister Fußgängerzonen klar zutage. Initiativen schon mitten in der Pandemie Kapazitäten für Eine Erfahrung, die schon länger schwelende Zukunfts- die Entwicklung eines Projektantrags freigemacht haben. sorgen vielerorts aufflammen ließ. Zugleich wurden neue Allein die Zahl der Bewerbungen und die Bandbreite an Bedarfe und Möglichkeiten sichtbar. Der öffentliche Raum, Ideen und beteiligten Akteuren wertet die Stadtplanerin als das Quartier, die Grünflächen erwiesen sich als wichtige positives Zeichen für die Resilienz unseres Gemeinwesens.
Trotz eines breiten Spektrums an Ansätzen und Konzepten Ebenso entscheidend sind eine neue Nutzung des öffentli- wird in den Bewerbungen eine Art Leitmotiv sichtbar: Bis- chen Raums und mehr Flächengerechtigkeit. Andrea Jonas lang vorwiegend kommerziell genutzte Räume und Flächen vom BBSR weiß aus ihrer intensiven Auseinandersetzung in durch die Pandemie verödenden Innenstädten sollen zu mit allen Projektanträgen zu berichten: »Vielen geht es um Orten der Begegnung und des Aufbruchs werden. Men- die Frage, wie man den öffentlichen Raum als Treffpunkt schen begreifen dies als öffentliche Sache, öffnen neue besser und gemeinschaftlich gestalten kann. Vielleicht Räume, bringen sich in die Errichtung von Makerspaces zeichnet sich dabei sogar ein neues Verständnis ab, was und Co-Working-Spaces ein, vernetzen und ermächtigen unter öffentlichem Raum überhaupt zu verstehen ist.« Cor- sich mit digitalen Mitteln, teilen ihre Ressourcen, schaf- delia Polinna konkretisiert: »Wir merken, dass Schmuck- fen Diskussionsplattformen – denken und entwickeln ihre plätze und Parks mit Blumenrabatten den Menschen nicht Stadt kooperativ und gemeinwohlorientiert weiter. Sie ver- mehr reichen. Sie wollen Flächen, die sie sich für die ver- wandeln Leerstand in Potenzial und testen neue Formate, schiedensten Nutzungen aneignen können, von Sport über mit denen Städte die Digitalisierung und die Umbrüche Urban Gardening bis zu Orten der Demokratie, wo über in der Arbeitswelt für sich nutzen können. Plätze, Parks Fragen der Stadtentwicklung debattiert wird.« und Straßen werden zu multifunktionalen Orten der Be- gegnung, des Sports, der Bildung, der Versorgung und der Ein großes städtisches »Wir« Kultur weiterentwickelt. Vielfältig erscheinen dabei nicht ist im Entstehen begriffen nur die Inhalte und Formate der Projekte, sondern auch die Strukturen dahinter. Zwar sind bei den meisten Bewer- Schon mit Blick auf eine Verkehrswende und den bungen die Kommunen federführend, doch werden sie oft Klimawandel hat der öffentliche Raum in den Städten eine begleitet von einer Vielzahl von Akteuren aus Zivilgesell- neue Aufmerksamkeit erfahren. Klingt der Begriff einer- schaft, Wirtschaft und Wissenschaft. seits nach selbstverständlicher planerischer Praxis, ver- lagert sich die Betonung derzeit auffällig von »Raum« auf Eine starke Mischung macht »öffentlich« – und wirft damit neue Fragen und Möglichkei- Städte zukunftsfest ten für dessen zukünftige Entwicklung auf. Generell zeigt sich in den Projekten der Nationalen Stadtentwicklungs- »Resilienz entsteht aus Vielfalt«, sagt Polinna. »Mono- politik, dass Stadt zunehmend zu einer öffentlichen Sache kulturen sind anfällig.« Eine starke Mischung aus unter- wird, in der neben den klassisch-behördlichen Planern die schiedlichsten Nutzungen durch unterschiedlichste Men- verschiedensten kooperativen Akteurs- und Organisations- schen und mehr Gemeinwohlorientierung sei es, was Städte modelle mit zivilgesellschaftlicher Beteiligung auf den Plan für zukünftige Herausforderungen wappnet. In der aktuel- treten und gemeinsam Stadt machen. Es ist nur plausibel, len Krise sieht sie daher eine große Chance, die Zentren wie- dass damit auch gestiegene Nutzungsansprüche für den der mehr über öffentliche Einrichtungen, Kultur, Bildung öffentlichen Raum einhergehen. Diese Entwicklung passt und Teilhabe zu definieren. Auch Städte brauchen ein gutes zu dem Bedeutungszugewinn, den die Gemeingüter und Immunsystem, und das sind die Vitamine. Sie erweisen sich Konzepte wie Commons insgesamt erfahren. An vielen Or- jetzt als genauso lebenswichtig wie eine starke Wirtschaft. ten erhalten Sharing-Modelle Einzug, und sie beziehen sich keineswegs nur auf Dinge und Räume, son- dern auch auf Fähigkeiten und Wissen. Das große städtische »Wir«, das da im Entstehen begriffen ist, interessiert sich für überkom- mene Kategorien wie öffentlich und privat we- niger als für die übergeordnete Frage, wie alle städtischen Ressourcen wieder mehr dem Ge- meinwohl dienen. Dass sich diese Initiativen heute sehr schnell im Netz organisieren und den städtischen Raum spielend im virtuellen Raum weiterdenken, macht sie sehr effektiv. Polinna ist begeistert, dass die Zivil- gesellschaft jetzt ordentlich mitmischt in der Stadtentwicklung. Damit sei auch gleich die lokale Verankerung gewährleistet. »Damit solche Projekte von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen werden, ist es entschei- dend, dass sie nicht top-down implementiert werden.« Deshalb lautete ein zentrales Krite- rium für die Auswahl der Post-Corona-Projek- te: kooperative Projektbearbeitung. »Stadt- entwicklung ist eine Gemeinschaftsaufgabe«, bestätigt Andrea Jonas. Über den Fortgang der Projekte, die ab Mai 2021 in die Umsetzung gehen sollen, wird der stadt:pilot berichten. 13
Im öffentlichen Raum geht mehr. Schon vor der Pandemie sind viele neue Ideen und Modelle entstanden, wie er noch zugänglicher und gemeinwohlorientierter gestaltet werden kann. Einige Beispiele Nassforsch geplant — Flussbäder Wo Gemeinsinn gedeiht — Ob in der Aare in Bern, der Limmat Allmende-Kontor Berlin-Tempelhof in Zürich oder im Rhein in Basel: Etwas neidisch hat man lange in die Im Mittelalter hatte fast jedes Dorf eine Schweiz geblickt, wo die Menschen Allmende, ein gemeinschaftlich genutztes in sauberen Flüssen mitten in ihrer Stück Ackerfläche. Heute schaffen viele Stadt baden gehen können. Dieses Urban-Gardening-Initiativen solche Nach Naherholungspotenzial wollen auch barschaftsorte für alle – etwa das Projekt andere Städte nutzen: Im Pariser »Allmende-Kontor« auf dem Gelände des Kanalbecken Bassin de la Villette er stillgelegten Flughafens Berlin-Tempelhof: öffneten 2017 drei Schwimmbecken, Auf 5.000 Quadratmetern ist ein Labyrinth der Eintritt ist frei. Auch die Seine aus Grün und Holzbauten entstanden mit will Bürgermeisterin Anne Hidalgo inzwischen rund 250 Hochbeeten, mehreren beschwimmbar machen – vielleicht Bienenvölkern, einem Färberpflanzengar schon zu den Olympischen Spielen ten und einer eigenen Kompostwirtschaft. 2024? In Deutschland setzen sich Die Gärten sind Teil einer umfangreichen derweil Initiativen wie »Fluss Bad Nachnutzung, in der das Flugfeld zu einem Berlin« und »Isarlust« für Badespaß Experimentierfeld für die Berliner Stadtge mitten in der Stadt ein. meinschaft geworden ist – mit immer neuen Sport-, Bildungs- und Mitmachangeboten. Lebensqualität en bloc — Superblocks Barcelona Seit 2016 entstehen in Barcelona die bis zu neun Häuserblocks umfassenden »Super illes« (Superblocks), in denen wieder die Fußgänger und Radfahrer Vorfahrt haben – und Autos maximal 10 bis 20 km/h fahren dürfen. Wo vorher alles Straße war, bestim men Hochbeete, Bänke und Bäume das neue Stadtbild. Noch gibt es erst eine Handvoll dieser beruhigten Zonen, aber es sind noch Hunderte geplant. Längst gereichen sie auch anderen Metropolen als Vorbild für ver kehrsberuhigte innerstädtische Zonen. Da bei nutzen vielerorts die Verantwortlichen den Lockdown, um geplante Vorhaben vorzu ziehen oder als Pop-up-Aktionen temporär durchzuspielen. Die Pandemie erweist sich als Katalysator für eine Verkehrswende und mehr Flächengerechtigkeit. Luft nach oben
oben Big Picture Großer Bahnhof für Utopien — Utopiastadt Wuppertal Der stillgelegte Mirker Bahnhof in Wuppertal wird re noviert und umgebaut – von Bürgerinnen und Bürgern in Eigenregie. Drinnen und drum herum entsteht seit 2011 die »Utopiastadt«, ein Labor für kreative Stadt entwicklung, Bürgerengagement und Sharing-Eco nomy-Konzepte. Mit einem Repaircafé, Co-Working- Läuft in Seoul — und Co-Forschungsspaces und einem kostenlosen Seoullo 7017 Fahrradverleih – passend zur Lage direkt an der zum Spazier- und Fahrradschnellweg ausgebauten ehe Mehr als 100 Hochstraßen für Autos maligen Nordbahntrasse. Dazu kommen Kultur- und wurden in Seoul in den vergangenen Diskussionsformate, denn die Utopiastadt will ein »an Jahrzehnten gebaut – eine davon dauernder Gesellschaftskongress mit Ambitionen und ist seit 2017 ein öffentlicher Fuß Wirkung« sein. gängerweg in luftiger Höhe. Im Zen trum der koreanischen Hauptstadt verbindet »Seoullo 7017« mehrere Viertel rund um den Hauptbahnhof, die vorher durch Gleise voneinander getrennt waren. Auf rund einem Kilometer Länge schaffen 200 ver schiedene Pflanzenarten, kleine Teiche, Sitzmöglichkeiten und Pa villons ein parkähnliches Ambiente. Vorbild für diese Umnutzung über den Dächern ist der High Line Park, der in Manhattan auf einer alten Frachtzug-Trasse entstand. Mal so am Rande — Parklets Stuttgart Wo durch zwei bis drei geparkte Au tos öffentlicher Raum privat besetzt wird, könnte so viel mehr passieren. Als »Parklets« werden Parkplätze am Straßenrand der Allgemein heit zurückgegeben, Stadtmöbel in Selbstverwaltung erweitern den Bürgersteig. Die Idee stammt aus San Francisco, in Deutschland ist Stuttgart Pionierstadt: Hier gab es im Sommer 2016 als städteplaneri sches Realexperiment 11 Parklets, jedes individuell gestaltet, meist im Holzpaletten-DIY-Baustil. Mal mit einem Barfußgarten, mal mit Ab stellplätzen für Fahrräder, mal mit einer Sitzkisten-Verleihstation oder einem Mini-Sandplatz – aber immer als Orte der Begegnung. Inzwischen bietet die Stadt Stuttgart ein offi Von Michael Brake zielles Antragsverfahren für Park Illustration: Aart-Jan Venema lets im Innenstadtbereich an, 2021 sollen neue Parklets entstehen.
Flanieren geht über studieren geht Reportage Studie 16
über Nebenstraßen durch den Zuzug von Studenten, Kreativen und jungen Fami- lien herandrängt und die Mieten nach oben treibt. Auf der Karl-Marx-Straße ist das »alte« Neukölln noch voll da: sein wun- derbares trashiges Chaos und seine dif- fuse Identität zwischen historischem Arbeiterviertel und migrantischem Unternehmertum. Das Neukölln der endlosen Formen, der alltäglichen Im- provisation und der Taubenkacke. Was nicht hält, wird einfach mit Gaffa-Ta- pe festgeklebt. Was man nicht mehr braucht, stellt man an den Straßen- rand. Muss nicht hübsch sein, muss nur weitergehen: das Leben und Arbeiten, Auch auf gewohn das Kaufen und Geldverdienen. Etwas ten Pfaden Neues weiter die Straße runter gibt es zwei entdecken: der Einkaufszentren und ein paar Filia- Spaziergang in Zei len der großen Ketten. Vor allem aber ten der Pandemie kleinteiligen Einzelhandel: Schnäpp- chen-Shops, Juweliere, Wettstuben und strassbesetzter Nippes, türkische Reisebüros und Dönerbuden, Handy- läden – vor allem viele Handyläden! –, Die Spätis haben immer offen. Auch Café-Bars und Shops, in denen es alles Für erste Erkenntnisse während einer Pandemie wollen die gibt, von Werkzeug über Modeschmuck darüber, wie die Corona- Leute mit Weggetränken, Knabber- bis zu Elektrogeräten. Alles zusam- zeug und Aufladekarten versorgt wer- men ergibt das nach Verkaufsfläche Krise den Stadtraum den. Der Besitzer des »Spätkauf 11« hat die drittgrößte Einkaufsstraße Berlins. verändert, empfehlen sich sich einen Plastikstuhl vor seinen La- Normalerweise. den gestellt. Weil er rauchen will. Weil Spaziert man jetzt die Karl-Marx- einfach ein Spaziergang die Sonne scheint. Weil er hier die Straße hinunter, sind die meisten und genaues Hinschauen. vorbeigehenden Menschen im Auge Läden zu. Diese Straße mit ihren vielen hat – und sie ihn. Mit zwei Männern Fenstern und Türen, die jetzt verschlos Unsere Autorin war unterhält er sich gut gelaunt auf Tür- sen sind, wirkt wie ein löchriges städ- Anfang März auf der Karl- kisch. Allen, die er kennt, nickt er zu. tisches Gewebe: überall unfreiwillige Eine soziale Schmierstelle in der unter Lücken. Und Unterschiede, die es vor- Marx-Straße in Berlin- der Epidemie ächzenden Großstadt- her nicht gab. Das urbane Gebilde zer- Neukölln unterwegs, wo maschine. fällt vorübergehend in drei Kategorien Die Berliner Karl-Marx-Straße – eine Hierarchie der Corona-Stadt: sie auch wohnt beginnt am Hermannplatz, wo die Erstens die Geschäfte, die Glück U-Bahn ständig neue Menschentrau- haben und trotz Kontaktbeschränkun Von Annett Scheffel ben ausspuckt. Auch jetzt, nur weniger gen öffnen dürfen, die Spätis, Kebab- Fotos: Franz Grünewald eng gedrängt als sonst. Die Karl-Marx- Läden und arabischen Supermärkte Straße ist Neuköllns soziale Schlag- mit ihren in satten Farben leuchten- ader: 2.970 mit Wohn- und Geschäfts- den Obst- und Gemüseauslagen. Oder eren häusern dicht bebaute Meter, zumeist das »Hair Style Gizi«, wo an diesem in schmutzigem Gelb, Ocker und Grau, Montagnachmittag zum ersten Mal durchbrochen von der bunten Unüber- seit Monaten wieder Haare auf Vorder- sichtlichkeit der vielen kleinen Shops mann gebracht werden. Zweitens die mit pickepackevollen Schaufens- halb offenen Geschäfte, die mit Abhol- tern, die vor allem die türkische und Service oder etwas unklarem Misch- arabische Community ansprechen konzept zwischen Lebensmittel- und sollen. Hier macht sich erst vereinzelt Einzelhandel. Und davon gibt es hier der Wandel bemerkbar, der aus den viele. Im »Hao-You-Duo Asiamarkt« be-
Nach einem langen Corona-Winter sind kommt man nicht nur Sojasauce und derwagen, Teenagergruppen, die zu nur vergessen, viele Menschen Yum-Yum-Nudeln, sondern auch allen fünft oder sechst die Straße runter- wie viel trubeliger, hungrig nach Sonne möglichen Klimbim wie etwa winken- ziehen. Wollen alle aneinander vor- enger und dichter und nach Freiraum de Glückskatzen. Bei »Foto Braune« bei, werden selbst fünf Meter Gehweg es mal zuging ist das Rollgitter nur halb hochgezo- unbehaglich eng. Überhaupt wird der an diesem Ort? gen. Kunden müssen darunter durch- empfohlene Abstand von 1,50 Meter Bedroht war das Gleichgewicht schlüpfen. hier oft besorgniserregend abgerun- des Soziotops Karl-Marx-Straße auch Und drittens die Räume mit det. Vielleicht sind deswegen wenig vorher schon. Die Bezirkspolitik ar den komplett heruntergelassenen ältere Menschen zu sehen. Die Ängst- beitet seit Jahren daran, einen hippen Rollläden und geschlossenen Türen. lichen, die Vorerkrankten könnte diese Großstadtboulevard und Co-Working- Geschlossen sind das »Passage-Kino« Dichte abschrecken, sodass sie sich Hotspot anzusiedeln. Eine 40.000 Qua- und die Neuköllner Oper. Geschlossen noch mehr in die häusliche Isolation dratmeter große »Arbeits- und Life die Shishabar »Barbar Aga« und Braut- zurückziehen. Auf den Treppen vorm stylelandschaft« für die kreative Klasse läden gegenüber. Geschlossen das Neuköllner Rathaus sitzen derweil eher ist schon im Bau. Viel Glas und Platz kleine Sushirestaurant. Ein paar der unbesorgt wirkende Grüppchen nach für Freelancer und teure Coffeeshops. Geschäfte und Kultureinrichtungen einem langen Winter sehnsüchtig in Wird man so was überhaupt noch brau- sehen so gespenstisch aus, dass man der Sonne. Einer der wenigen Orte, die chen, nun, da sich alle ans Homeoffice sich fragt: Machen die je wieder auf? zum Verweilen einladen. Bänke gibt gewöhnt haben? Wie wird die Zukunft, Was wird überhaupt noch gebraucht in es auf der Karl-Marx-Straße zu wenig. in die hier Millionen fließen, nach der einer Zukunft, in der die meisten An- Dabei würde sich das anbieten, seit der Krise wirklich aussehen? wohner zwar geimpft sind, ihnen das Verkehrslärm hier deutlich abgenom- Man will gar nicht wissen, dauernde Streamen und Bestellen aber men hat – schon vor der Pandemie, als was der berühmte Namensgeber der zur Gewohnheit geworden ist? aus vier Spuren zwei gemacht und brei- Straße zu solchen Plänen gesagt hätte. Andererseits hat man nicht das tere Radfahrstreifen angelegt wurden. Lieber blickt man auf das ständig Un- Gefühl, dass der öffentliche Raum Ist auf den Gehwegen also nicht fertige, auf die vielen Zwischenräume Karl-Marx-Straße zu einem Angstraum eigentlich alles wie immer? Die Intensi- und Übergänge, das Gewusel, die Viel- geworden ist, der jetzt gemieden wird. tät, das Durcheinander der Sprachen, falt und Improvisationsbereitschaft, Im Gegenteil. Auf den Gehwegen ist der stetige Strom der Passanten, diese die den Eindruck einer gew issen es ziemlich voll. Laut telefonierende Vielzahl an Menschen und Moden und Belastbarkeit vermitteln. Irgendwie, Männer in Lederjacken, Studenten Bewegungen, die das Neuköllner Leben denkt man, ist diese Straße doch ro- unter Kopfhörern, Familien mit Kin ausmachen? Oder hat man womöglich bust genug.
Neue Um den öffentlichen Raum zukunftsgerecht zu gestalten, muss man wissen, wie sich seine Nutzung Muster Forschung und die Bewegungsmuster darin durch Corona verändert haben. messen Gastbeitrag eines Forscherteams, das sich mit dieser Frage aktuell befasst Von Andreas Beulich Während der Pandemie erlangte der öffentliche Raum eine Analyse der veränderten Raumnutzungsmuster verstärkte Aufmerksamkeit. Speziell in Innenstädten und bei beengten Wohnverhältnissen zeigte sich, wie wichtig Als Forschungsteam der TU Kaiserslautern verfolgen öffentliche Freiräume für Bewegung, Spaziergänge oder wir dabei einen mehrstufigen Ansatz: Zum einen unter Spielen sind. Sie wurden intensiver und vielfältiger genutzt, suchen wir nationale und internationale Fallbeispiele (u.a. teils neu entdeckt und man Paris, Mailand, Hongkong) cherorts zuungunsten des hinsichtlich ihrer Methoden jahrzehntelang so dominan und Erfolgsrezepte sowie ihrer ten Autos neu aufgeteilt. Übertragbarkeit. Denn gute An Gleichzeitig zeigte sich sätze gibt es bereits, etwa in aber auch, wie begrenzt Kopenhagen oder Paris, wo die das Angebot an Freiräumen gesamte Innenstadt in eine Art insgesamt ist – »shared space« umgestaltet und dass ihre Gestaltung wird: mit Vorrang für den Rad- teilweise zu überdenken ist. und Fußverkehr, reduzierter Die Covid-19-Pan Geschwindigkeit, Umnutzung demie hat zu völlig neuen von Parkplätzen, hochwertigem Abstandsregeln, Mengen Stadtmobiliar und hoher Aufent beschränkungen und haltsqualität. Verhaltenscodes geführt, Zum anderen analysier en durch die viele Unzuläng wir veränderte Bewegungsab lichkeiten des öffentlichen »Heatmaps« zeigen läufe und Raumnutzungsmuster Raums spürbar werden: Verä nderungen in den im öffentlichen Raum. Hierfür Gehwege erweisen sich als Bewegungsmustern. Im kommt ein Methodenrepertoire zu schmal, Warteflächen Vergleich zum Vorjahres aus analogen und digitalen Tools Graf ik: Andreas Beulich vor Geschäften als zu zeitraum (blau) wurden zum Einsatz: Neben Foto- und knapp bemessen, Straßen in der Pandemie verstärkt Videoanalysen werden auch querschnitte als auto-, Frei- und Naturräume zur Verfügung gestellte Handy aber nicht »menschopti aufgesucht (rot) bewegungsdaten mit GPS- miert«. Auch zeigte sich, Tracking-Erhebungen aus dem dass die Außengastrono Alltagsleben von Bürgern GIS- mie mehr Platz bräuchte, der zwischen den Parkplätzen nur basiert ausgewertet. Anhand wiederkehrender Bewegungs schwer zu »erobern« ist. Der öffentliche Raum ist plötzlich abläufe und quartiersübergreifender Raumnutzungsmus geprägt durch Verbote, Absperrungen und Beklebungen. ter kann dann ein maßstabsübergreifendes Bild gezeichnet Er wird zum Risikoraum erklärt. werden, wie sich die Nutzungsansprüche an den öffentlichen Raum dynamisch verändern (siehe Abbildung oben). Neue Gestaltungsregeln ableiten Aus diesen Erkenntnissen möchten wir Gestaltungs regeln für resiliente öffentliche Räume ableiten und sie Vor dem Hintergrund der Pandemie stellt sich die anschließend anhand temporärer Interventionen in drei Frage, wie öffentliche Räume in Zukunft gestaltet werden Innenstädten einem Realitätscheck unterziehen. In einem sollten, damit frei zugängliche, intuitiv nutzbare, responsive Echtzeitversuch sammeln wir Erkenntnisse darüber, wie der und vor allem lebenswerte Stadträume entstehen. Dazu öffentliche Raum anpassungsfähiger und zugleich qualitäts möchten wir mit dem von der Nationalen Stadtentwicklungs voller und vielfältiger gestaltet werden könnte. Als ein Stadt politik geförderten Forschungsprojekt »Offener öffentlicher raum, der auch in Zukunft offen für die Stadtbewohner ist Raum – Gestaltungsregeln für Freiräume in der resilienten und nicht eingeengt durch Verbote und Absperrungen. Stadt« einen Beitrag leisten. Wir analysieren veränderte Ver haltensweisen und Bewegungsmuster im öffentlichen Raum, um daraus neue Gestaltungsregeln abzuleiten. Sie sollen Neben Andreas Beulich und Martin Berchtold (Fachgebiet eine stärkere sowie offenere Nutzung ermöglichen und hohe Digitalisierung, Visualisierung und Monitoring in der Raum Aufenthaltsqualitäten im öffentlichen Raum schaffen – so planung) gehören zu dem Forscherteam Lutz Eichholz, Detlef wohl unter Pandemie- als auch unter Normalbedingungen. Kurth und Marie-Katrin Turgetto (Lehrstuhl Stadtplanung). 19
Die Städtebauförderung wird 50. Meinung Wie kann sie in der heutigen Situation mit neuem Schwung helfen, den öffentlichen Raum zukunftsfest zu machen? Creative Places und Communities als Impulsgeber erkennen und unterstützen »Nun, da im stationären Einzelhandel Kreative Stadtmacher vieles an Nutzungen wegbricht, wird die Notwen- Mittel für die Experimentierklausel in der digkeit grundlegender Transformationen immer Städtebauförderung erhöhen offensichtlicher. Gleichzeitig wächst das Bewusst- sein für Kooperation und eine neue Kommunika- »Die Weiterentwicklung des öffentlichen tionskultur. Und: Es steht eine junge Generation Raums hört nie auf. Aktuell sehen wir, wie seine bereit, die sich unaufgefordert mit ihrer Power in Bedeutung durch Corona noch mal erheblich steigt. die Lösung gesamtgesellschaftlicher Herausforde- Es sind mehr Menschen zu beobachten, die sich rungen einbringt. Die selbstbewussten Stadtma- draußen treffen und zusammen spazieren gehen. cher*innen bringen vielfältige kooperative Experi- Dadurch nehmen die Leute natürlich auch deut- mente zur Stadtentwicklung auf den licher wahr, ob sie mit ihrer Umgebung zufrieden Weg. Was das für den öffentlichen sind. Und sie ergreifen zunehmend die Initiative, Raum bedeutet? In der aktuellen Foto: Piet Schmidt wenn ihnen etwas fehlt. Da wird dann eben selbst Situation macht es aus meiner Sicht eine Bank aufgestellt. keinen Sinn mehr, den öffentli- Dr. Timo Munzinger Sprich: Der öffentliche chen Raum als Solitär isoliert zu ist beim Deutschen Raum füllt sich nicht betrachten und zu gestalten. Es gilt, Städtetag zuständ ig für nur mit mehr Menschen, das Gemeinwesen und den Sozial- integrierte Stadtent sondern auch mit kriti- raum Stadt, auch mit seinem Gebäudebestand und wicklung. Er hat einen schem Bewusstsein und seinen Erdgeschoss-Zonen, als Einheit zu begrei- Überblick über die Mitgestaltungswillen. fen. Und es gilt, Stadtgestaltung als aktivierende, Herausford erungen und Immer mehr zivilgesell kulturelle, performative und vor allem eigendyna- innov ativen Lösungs schaftliche Akteure tre- mische Stadtentwicklung neu zu denken. So wie ansätze in großen und ten auf den Plan, die an viele junge Stadtmacher*innen das schon tun. Es kleinen Städten. Stadtentwicklung mit- muss jetzt darum gehen, einen Rahmen zu schaf- arbeiten, sie selbst be- fen, damit von Creative Places und Communities treiben wollen. Wie kann die Städtebauförderung Impulse für eine Transformation der Innenstädte dem Rechnung tragen? Indem wir nicht die Gegen- und Quartiere ausgehen können – weg von mono- fördern sätze sehen, sondern das Miteinander betonen. funktionalen Angeboten und hin zu neuen Forma- Stadtentwicklungskonzepte sind auch bisher nicht ten des Miteinanders. Anstatt beim Zentren- und im stillen Kämmerlein von Experten entwickelt Quartiersmanagement weiterhin zu segmentie- worden, sondern durchaus mit den Bürgern ge- ren – hier das soziale Ma- meinsam. Die Umsetzung dieser Konzepte erfolgte nagement, dort das Ansied- Prof. Reiner Schmidt dann allerdings oft von gewerblichen Akteuren. lungsmanagement, dort das lehrt an der Hochschule Jetzt gibt es zunehmend informell organisierte Leerstandsmanagement et Anhalt Stadt- und Frei- Akteure, die umsetzen wollen. Das stellt die Städte cetera et cetera –, braucht raumentwicklung und vor neue Herausforderungen: Wie kann man die man Konsortien sowie eine erforscht im Rahmen kreativen Stadtmacher wirklich etablieren und ver- aktivierende Stadtentwick- der Nationalen Stadt- hindern, dass sie von professionellen lung, verstanden als Be- entwicklungspolitik die Entwicklern und den Marktkräften gleitung sich selbst regulie- stadtentwicklungspoli- Foto: Rüdiger Schestag verdrängt werden? Damit Creative render, eigendynamischer, tischen Potenziale von Places und Communities ein fester Be- kreativer Ökosysteme – auf kreativen Akteuren, der- standteil der Stadtentwicklung werden, Basis eines gemeinsamen zeit in der Vernetzungs- braucht es neue Anreize, die nicht Mindsets und gemeinsa- initiative »Gemeinsam dem bisherigen Schema »Finanzieren mer Orientierungen. Um die für das Quartier«. und bauen« folgen. Mein Vorschlag: Potenziale eines integrierten den Anteil der Mittel für die Experimentierklausel Community-Managements zur Entfaltung zu brin- in der Städtebauförderung erhöhen, um mehr gen, wird man nicht unbedingt ganz neue Förder- Reallabore zu realisieren. Das wäre eine einfache instrumente brauchen, aber doch einen deutlich Maßnahme, um flexibler zu werden.« flexibleren Einsatz der vorhandenen Mittel. Dann haben die neuen Creative Places und Communities, die jetzt überall entstehen, eine Chance, zu Aus- Ein ausführliches Interview mit Timo Munzinger und gangspunkten konsistenter zivilgesellschaftlicher Reiner Schmidt zum Thema »Zukunft der Städtebauförderung« Verantwortungsgemeinschaften für Stadtent finden Sie unter: nationale-stadtentwicklungspolitik.de wicklung zu werden.«
Auf geht’s in die wunderbare Unklarheit! Kolumne Noch sind die verlassenen Fußgänger zonen und leeren Kaufhäuser angefüllt mit alten Routinen, doch es keimen auch schon Wünsche und Hoffnungen. Zwar heißen diese Relikte einer unter gehenden Epoche noch »Kaufhaus«, doch wir sollten sie umbenennen. Wenn wir über neues Leben in »Kauf häusern« nachdenken, dann fallen uns ich solle »Land gewinnen«, sicher nur weitere Einkaufsgelegen was sowohl als Mittel heiten ein. Wir könnten sie (Kein-)Kauf gegen das Herumtrödeln haus nennen, so wie im Nürnberger gemeint war als auch für Pilotprojekt (K-)Einkaufswagen als das zügige Abschließen Alternativen zur Konsumorientierung von Hausaufgaben.) entwickelt wurden. Doch der Titel ist Lucius Burckhardt ging es nicht gut, er ist hauntologisch, noch zu um unsere Erwartungen, stark mit dem Vergangenen verbunden, um vorgefertigte Bilder Foto: Victoria Jung zu wenig auf eine positive Zukunft und um routinierte Emp ausgerichtet, so wie die ebenfalls von findungen des vermeint den Geistern des Konsum-Zeitalters lich Schönen und Guten. gejagten »Post-Shopping-Cities«. Als Provokation dagegen Einen neuen Begriff haben wir aber erfand er deshalb alter noch nicht. Lassen Sie uns diesen native Spaziergänge, mal Zustand noch eine Zeit lang in der mit einem ausrollbaren Schwebe halten, bevor die Benen Wie kann man die Chancen, die sich mobilen Zebrastreifen, mal als Ent nungsmaschine der Immobilienfirmen in Umbruchphasen bieten, wirklich decker auf einer Industriebrache. und Planungsbüros anläuft. Obwohl … nutzen? Indem man Routinen aus dem Doch wir spazieren – obwohl es uns wahrscheinlich ist es dafür schon zu Weg geht und den Schwebezustand manchmal schon langweilig wird – spät. Zumindest ein Hamburger In erst einmal aushält. Stephan Willinger immer weiter entlang vorgegebener vestor hat bereits einen guten Namen plädiert dafür, dem Reiz des schnellen Wege. Wir sind gefangen in Routinen, für sein Umbaukonzept gefunden: das Benennens zu widerstehen. weil wir denkfaul sind oder weil uns die »Hamburger Ding«. Das klingt zwar Anregung fehlt. Man kann nur hoffen, irgendwie auch großsprecherisch, fügt Weil ja das Spazieren zu unser aller dass uns das nicht nach der Pandemie sich aber in Heideggers Dingtheorie, Dauerbeschäftigung geworden ist, auch mit der Transformation unserer nach der Objekte zu Dingen werden, erinnerte ich mich neulich an Lucius Städte so geht. Zum Durchbrechen sobald sie die ihnen ursprünglich zuge Burckhardt, einen Schweizer Sozio von Routinen braucht es Mut und Be wiesene Funktion verlieren, also offen logen, der sich gerne als Spazier weglichkeit. Wie Harald Welzer sagt: für die Zukunft sind. Etwas von solcher gangswissenschaftler bezeichnet »eine Art Wirklichkeitsgymnastik«. – nicht nur sprachlichen – Offenheit hat und zu dem ich vor rund 25 Jahren Und das passt nun ganz gut zu unserer sollten wir uns im Umgang mit den Kontakt hatte. Burckhardt hatte sich derzeitigen Situation, zum Zerfall Innenstädten bewahren. Lieber erst immer wieder kritisch und provokativ, einer durch Routinen abgesicherten mal ein »Amt für Ideen« gründen (wie aber auch mit einem Augenzwinkern zu Wirklichkeit. Wir gehen momentan mit ebenfalls im Pilotprojekt Nürnberg). Fragen demokratischer Stadtplanung geschärften Sinnen durch die Stadt. Und dann die Innenstadt neu entde geäußert. Häufig ging es dabei, wie Körperabstände, akustische Signale cken, als Folie unserer Wünsche und hier im Heft, um den öffentlichen wie Husten oder Räuspern, Menschen als Raum für neue Geschichten. Raum, stets um die Werturteile einer ohne Mundschutz, all das beobachten immer stärker sich ausdifferenzieren wir aufmerksam als Bestandteile einer den Gesellschaft. Das Spazieren an neuen sozialen Welt. Jedes Spazieren Stephan Willinger sich ist ja unmittelbar mit dem Raum erzeugt neue Choreografien und (lat.: spatium) verbunden, und dessen erinnert an den von Jane Jacobs ge ist Projektleiter der Nationalen Aneignung erfolgt nicht nur räumlich, prägten Begriff der sidewalk ballets, Stadtentwicklungspolitik im Bundes durch Herumstreifen, sondern auch als Experimente zur Erprobung eines institut für Bau-, Stadt- und Raum kognitiv. (Meine Mutter rief früher oft, neuen Zusammenlebens. forschung (BBSR). 21
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