Neues aus dem öffentlichen Raum - Wie hinaus aus der Krise? Ein Heft über Kreativität, Gemeinsinn und Resilienz - Nationale Stadtentwicklungspolitik

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Neues aus dem öffentlichen Raum - Wie hinaus aus der Krise? Ein Heft über Kreativität, Gemeinsinn und Resilienz - Nationale Stadtentwicklungspolitik
Wie hinaus aus
  der Krise? Ein Heft
  über Kreativität,
  Gemeinsinn
  und Resilienz

                             19
April 2021
                Stadtentwicklungspolitik
                zu den Pilotprojekten
                der Nationalen
                M AGA ZI N

             Neues aus dem öffentlichen Raum
Neues aus dem öffentlichen Raum - Wie hinaus aus der Krise? Ein Heft über Kreativität, Gemeinsinn und Resilienz - Nationale Stadtentwicklungspolitik
Editorial

                                                                                      Inhalt
                                                         04
                                                    D I E N EU E S TÄ R K E
                                                    D E R S TA DT
                                                    Die Resonanz auf den Projekt­
                                                    aufruf »Post-Corona-Stadt«
                                                    war enorm – acht Seiten urbaner
                                                    Optimismus

                                                        12

Der alltägliche Spaziergang um den Block, die       DA STECKT
                                                    VIEL ZUKUNFT DRIN

kleinen Fluchten ins Grüne, vor allem aber der      Hintergrund: Wie die
                                                    Pandemie zum Katalysator für
Wunsch nach Begegnung und Gemeinschaft:             neue Stadtkonzepte und mehr
                                                    Resilienz wird
Das alles hat unser kollektives Augenmerk in            14
den vergangenen Monaten wie kaum je zuvor           LUFT NACH OBEN
                                                    Im öffentlichen Raum geht mehr.
auf den Nahbereich vor unserer Haustür ge-          Unser Schaubild zeigt Beispiele

lenkt. Der Nutzungsdruck auf den öffentlichen           16

Raum ist pandemiebedingt deutlich gestie-           FLANIEREN
                                                    GEHT ÜBER STUDIEREN

gen, was seine Qualitäten und Defizite – als        Ein Spaziergang mit offenen
                                                    Augen – für erste Eindrücke, wie
Ort für Sport, Bildung, Erholung, Kultur oder       Corona unsere Städte verändert

Mobilität – für uns alle umso deutlicher hat             19
                                                    NEUE MUSTER MESSEN
hervortreten lassen. Beim genaueren Hinsehen        Ein Forscherteam der TU
                                                    Kaiserslautern untersucht
indessen zeigt sich, dass aus den Erfahrungen       die neuen Bewegungsmuster
                                                    systematisch
der Krise vielerorts bereits neue Ideen für die
                                                         20
resiliente (Um-)Nutzung von Straßen, Parks          D I E K R E AT I V E N

und Plätzen hervorgehen. Zudem entstehen            FÖRDERN
                                                    Die Städtebauförderung wird 50.

innovative Nutzungsmodelle für die gemein-          Wie sollte sie weiterentwickelt
                                                    werden? Zwei Statements
wohlorientierte Aneignung von Gebäuden oder            21
Ladenlokalen, die im Zusammenspiel mit dem          KOLUMNE
                                                    Warum man in Umbruchphasen
öffentlichen Raum entwickelt werden und so          dem Reiz des schnellen
                                                    Benennens besser widersteht
die Innenstädte neu beleben können. In dieser
                                                        23
Ausgabe des stadt:piloten berichten wir von der     DIE DINGE

transformativen Kraft der Städte, vom Erkun-        GEMEINSAM ANGEHEN
                                                    Eine Bibliothek der Dinge

den neuer Pfade und Aufbruchsstimmung mit           und gemeinschaftliches
                                                    Stadtmachen im größeren
Visionen und Konzepten für die kooperative          Maßstab – in Hannover

Gestaltung von Stadt – während, nach und über           26
                                                    SO GEHT ES WEITER
Corona hinaus. Freuen Sie sich auf ein Heft,        Veranstaltungen und Termine

das in schwierigen Zeiten Lust auf Zukunft und         26
                                                    IMPRESSUM
Veränderung macht. Es kann direkt losgehen.
                                                                                      02
Neues aus dem öffentlichen Raum - Wie hinaus aus der Krise? Ein Heft über Kreativität, Gemeinsinn und Resilienz - Nationale Stadtentwicklungspolitik
Kraft
                                                                                       der Krise
Titel: Michael Kohls | Foto: Marcus Glahn

                                            Das Wort »kraft« kann im Deutschen auch in        Denn da ist der Erkenntnis plötzlich nicht
                                            der grammatikalischen Form einer Prä­p osition    mehr auszuweichen: Es kann nicht weiter­
                                            mit Genitiv verwendet werden: im Sinne von        gehen wie bisher, gewohnte Regeln und
                                            »aufgrund« oder »durch den Einfluss« – etwa       Be­g renzungen müssen überschritten werden.
                                            in Aussagen wie »kraft meines Amtes«. Nun         Es muss etwas passieren! Mit einem Mal ist
                                            gibt es in schwierigen Zeiten Wichtigeres, als    da Entschlossenheit, die Hängepartie zu
                                            sich mit sprachlichen Feinheiten aufzuhalten.     beenden und sich wieder hochzuziehen.
                                            Aber in die­s er hier steckt ein guter Hinweis:   Zurück ins pralle Leben. Es gibt aber noch
                                            Kraft hat man nicht einfach so, man muss sie      eine andere wichtige Kraftquelle, die dafür
                                            von irgendwoher nehmen. Und paradoxerweise        nötig ist und die unser Bild nicht zeigt: die
                                            schöpft man sie manchmal gerade dort, wo          Gemeinschaft. Sie wird auf den folgenden
                                            sie einem scheinbar geraubt wird: in Krisen.      Seiten eindrucksvoll sichtbar.
Neues aus dem öffentlichen Raum - Wie hinaus aus der Krise? Ein Heft über Kreativität, Gemeinsinn und Resilienz - Nationale Stadtentwicklungspolitik
Die neue
     der St
    Mannheim
 OASE

                                   Worum geht es?
                              Nachbarschaftlich organisier-
                         te öffentliche Orte ohne Konsumzwang
                      haben sich während der Pandemie als resili-

                                                                                                           Fotos: POW
                   ent und notwendig erwiesen. In der Mannheimer
                    Neckarstadt soll auf einer prominent gelegenen
                   Brachfläche eine gemeinwohlorientierte Nutzung
                 entstehen. Was ist die Vision? Die OASE bietet ein viel­
               fältiges, niedrigschwelliges Angebot an Workshops, Aus-
                tauschformaten sowie Bildungs- und Kulturangeboten.
                Hier kommen unterschiedlichste Menschen zusammen
               und empfinden Zugehörigkeit. Was ist neu daran? Dieser
                  Ort wird konsequent von den Bedarfen im Quartier
                     her gedacht und kooperativ entwickelt. Durch
                   ein lokal verwurzeltes Wirtschaftsmodell erlangt
                       er ökonomische Tragfähigkeit – und Hand-             Im »Pingpong-Verfahren«
                            lungsspielraum für weitere Ideen.               entsteht auch die OASE: als
                             Wer ist der Träger? Verein POW!                kooperativ entwickelter Ort,
                                  e.V./co Yalla Yalla! GbR                  der von den Bedürfnissen der
                                                                            Menschen her gedacht ist
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Stärke
tadt                                                                                            Dein Park ·

                                Post-Corona-Stadt
                                                                                                 Neuruppin

     Wie steigern Städte ihre
     Re­silienz in Krisenzeiten?
     Wie kann das urbane Leben
     wieder aufblühen, wenn Covid-
     19 besiegt ist? Wie entsteht
     der nötige kooperative Ge­                                                                                  Robin Pastor und

     staltungswille? Alles Fragen,                                                                               Falco Kuhnert
                                                                                                                 (o.) aus der feder­

     die für Stadtmacher in den                                                                                  führenden Schüler-
                                                                                                                 Projektgruppe

     vergangenen Pandemie-                                                                                        sind startklar
                                                    Fotos: Peter Wurm Fotograf ie und Graf ik

     Monaten immer drängender
     wurden. Als dann der Pro­
     jektaufruf »Post-Corona-
     Stadt« gestartet wurde, war                                                                Worum geht es?
                                                                  Corona hat den Bedarf an attrakti-
     die Resonanz überwältigend.                               ven öffentlichen Bewegungsflächen stei-
                                                             gen lassen. Dem Neuruppiner Stadtpark soll
     An der positiven Aufbruchs­                        deshalb neues Leben eingehaucht werden. Die Initi-
                                                       ative geht von Schülern der Evangelischen Schule Neu-
     stimmung, die sich da zeigt,                     ruppin aus. Was ist die Vision? Unter Berücksichtigung
                                                     der Nutzungs­a nsprüche aller Bevölkerungsgruppen wird
     möchten wir Sie teil­haben                     der Stadtpark zu einem multicodierten Ort für individuelle
                                                    Bewegungs­a ngebote, naturnahe Erholung und nachhaltige
     lassen. Freuen Sie sich auf                    Bildung. Hier kann konkret mitgestaltet werden. So wächst,
                                                    er­weitert durch digitale Interaktion, auch das Miteinander.
     einige Seiten voller Ideen,                     Was ist neu daran? Unter anderem das iterative Vorgehen:
                                                    Schüler als zentrale Akteure sind in den Prozess eingebun-
     Visionen und Kon­zepte, die                       den, der langfristig, kooperativ und experimentell an­
                                                       gelegt ist und in ein Betreiber- und Pflegemodell mün-
     nun schon bald sehr konkret                         det. Der gemeinschaftlich getragene Entwicklungs-
                                                             prozess soll die Mit­w irkungsbereitschaft in
     werden sollen.                                           der Stadtentwicklung insgesamt erhöhen.
                                                                   Wer ist der Träger? Fontanestadt
                                                                              Neuruppin
05
Neues aus dem öffentlichen Raum - Wie hinaus aus der Krise? Ein Heft über Kreativität, Gemeinsinn und Resilienz - Nationale Stadtentwicklungspolitik
Stadtplanerische Weit­
                                                                                                    sicht: Ein Akteursnetzwerk
                                                                                                    startet einen kooperativen
                                                                                                    Prozess, der das Frank­
                                                                                                    furter Zentrum dauerhaft
                                                                                                    beleben soll

                                                                                           Worum geht es?
                                                                                     Die Frankfurter Innenstadt ist –
                                                                                 auch durch die Folgen der Corona-Krise
                                                                               – von Leerstand bedroht. Es gilt, ihre Leit-
                                                                            funktionen zu stärken und sie als attraktives Zen-
                                                                           trum von Stadt und Region zu erhalten. Was ist die
                                                                        Vision? Mit Akteuren aus Politik, Verwaltung und Zivil-
                                                                         gesellschaft wird ein Netzwerk etabliert, das Raum für
                                                                       Inno­vationen erschließt und für eine Diversifizierung der
                                                                        Innenstadtangebote sorgt: neue Läden, mehr kulturelle
                                                                      Zwischennutzungen, Interventionen im öffentlichen Raum,
                                                                         mehr Platz zum Radfahren und Flanieren. Was ist neu
                                                                         daran? Erarbeitet wird kein Plan, sondern ein Prozess.

            Post-Corona-Innenstadt ·                                      Das neue Akteursnetzwerk wird langfristig etabliert
                                                                                und ist nicht auf ein bestimmtes Segment
                                                                              begrenzt. Es entwickelt die Innenstadt dauer-
                                    Frankfurt

                                                                                                                              beschreiben? Wir haben die Initiatoren gebeten, das einmal zu formulieren.
                                                                                haft integriert weiter. Wer ist der Träger?
                                                                                 Stadt Frankfurt (Planungsdezernat und

                                                                                                                               ie könnten Bürgerinnen und Bürger später die Vorzüge des Projektes
                                                                                            Stadtplanungsamt)

                           Hey LENA! ·
                                    Legden
                                                              Bei »LENA« wird aus dem Leben
                     Worum geht es?                              nebeneinander endlich wieder
             Corona bringt neue Gefährdungen
               und Probleme in den Alltag der                      ein Leben miteinander! Hier
         Menschen im ländlichen Raum und führt zu
     spezifischen Bedarfs- und Versorgungslagen. Hier          treffe ich Leute mit den gleichen
   soll Abhilfe geschaffen und dabei auch die bestehende
    Leerstandsthematik aufgegriffen werden. Was ist die             Problemen, Interessen, und
  Vision? Im Ortskern entsteht ein nutzungsoffener Open
Space als ad hoc bespielbarer Kriseninterventionsraum – für     Bedürfnissen, wie ich sie habe.
Co-Working und neue Geschäftsideen, zur digitalen Ertüchti-
gung und für den allgemeinen Wissens- und Erfahrungsaus-                 Ich kenne sie nicht nur,
tausch. Was ist neu daran? Neue Methoden der Partizipation
 und des Empowerments werden gelebte Praxis – in einem             sondern vertraue ihrem Rat.
 Netzwerk aus verschiedenen Akteuren, das als Schwarzes
  Brett der Kommune fungiert. Eine Neudefinition erfährt        Und ich spüre, dass meine Vor­
       nicht nur die solidarische Nachbarschaftshilfe,
     sondern auch der Ortskern als Adresse für Handel          stellungen und Anregungen mit
         und soziale Interaktion. Wer ist der Träger?
                                                               Interesse aufgegriffen werden! *
                                                                                                                             *W

              Das LENA-Trägergremium (lokale
               Akteursgruppe – in Gründung)
Neues aus dem öffentlichen Raum - Wie hinaus aus der Krise? Ein Heft über Kreativität, Gemeinsinn und Resilienz - Nationale Stadtentwicklungspolitik
Foto: Stadt Frankfurt Planungsdezernat

                                                                                                                 Worum geht es?
                                                                In der Alten Feuerwache Weimar,
                                                             einem Quartiersprojekt im kollektiven
                                                                                                                                                               Durch das Reallabor
                                                          Eigentum der Mieter, zeigte sich während der
                                                        Pandemie, wie wichtig in Krisenzeiten ein selbst­
                                                                                                                                                     Feuerwache bin ich nicht mehr
                                                     bestimmtes Wohnumfeld und eine solidarische Nach­
                                                   barschaft sind. Diese Erfahrungen sollen nun für Größeres
                                                                                                                                                      nur Stadt­konsument, sondern
                                                   genutzt werden: für mehr städtische Resilienz. Was ist die
                                                Vision? In Koproduktion mit Kommune und Universität entsteht
                                                                                                                                                           Stadtproduzent. Ich ent­
                                                  ein Reallabor für gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung,
                                               das zugleich ein öffentliches Zentrum für Beteiligungskultur ist.
                                                                                                                                                         decke im Selbstversuch der
                                               Es bündelt Wissen und Kontakte und macht Stadtkonsumenten zu
                                                Stadtproduzenten, die mit Planern auf Augenhöhe disku­t ieren.
                                                                                                                                                            Immobilienentwicklung
                                                 Was ist neu daran? Das öffentliche Zentrum für Beteiligungs-
                                                  kultur ist ein Novum für Thüringen. Die Feuerwache bietet
                                                                                                                                                      meinen Gestaltungsspielraum
                                                   dafür einzigartige Voraussetzungen an Infrastruktur und
                                                     Erfahrung: wie man im Selbstversuch der Immobilien-
                                                                                                                                                      und erlebe, wie meine Verant­
                                                         entwicklung seinen Gestaltungsspielraum und
                                                           seine Verantwortung für die Stadt steigert.
                                                                                                                                                     wortung für die Stadt wächst. *
                                                            Wer ist der Träger? Real­labor Feuer ­wache
                                          Reallabor & Zentrum für

                                                                  und Stadt­verwaltung Weimar
                                            Beteiligungskultur ·
                                                                    Weimar

                                                                             Foto: Alte Feuerwache Weimar e.V.

                                                                                                                          Mit leuchtendem Beispiel
                                                                                                                          voran: Auch wenn es darum geht,
                                                                                                                          Kultur selbst in schwierigen
                                                                                                                          Zeiten möglich zu machen

                                                                         Worum geht es?
                                                                                                                                           Pop-up-Innenstadt ·
                                                       In der Pandemie wurde noch                                                                       Ludwigsburg
                                                   deutlicher, dass es der Ludwigsburger
                                                Innenstadt durch hohe Verkehrsbelastung
                                                                                                                                                                                                       Einfach mal
                                             an Aufenthaltsqualität fehlt. Nun soll der öffent-
                                                                                                                                                                                                       testen. Und was
                                            liche Raum neu gedacht und umgestaltet werden.
                                                                                                                                                                                                       gut funktioniert,
                                          Was ist die Vision? Temporäre Pop-up-Maßnahmen,
                                                                                                                                                                                                       später vielleicht
                                          die Orte für Kommunikation, Spiel, Sport und Kultur
                                                                                                                                                                                                       in der ganzen
                                          schaffen, bilden ein Experimentierfeld nachhaltiger
                                                                                                                                                                                                       Stadt ausrollen
                                         Stadtent­w icklung. So entstehen Erfahrungsräume, die
                                         zum Mitdenken und Mitmachen einladen. Was ist neu
                                           daran? Indem alle Maßnahmen sinnlich-emotional
                                          er­leb­bar gemacht und mit partizipativen Elementen
                                              verknüpft werden, entsteht eine neue Form des
                                                                                                                                                                          Foto: Benjamin Stollenberg

                                                Dialogs mit Bürgerinnen und Bürgern. Ein
                                                 direktes Feedback der zukünftigen Nutzer
                                                     wird möglich. Wer ist der Träger?
                                                            Stadt Ludwigsburg
                                  07
Neues aus dem öffentlichen Raum - Wie hinaus aus der Krise? Ein Heft über Kreativität, Gemeinsinn und Resilienz - Nationale Stadtentwicklungspolitik
Parkmeilen ·
           München

                                                                                        Worum geht es?
                                                                                     In der Pandemie wurde noch
                                                                                deutlicher, wie wichtig wohnungsnahe
                                                                          Grünflächen sind. Die Münchner Parkmeilen als
                     Graf ik: LHM | Foto: Airgonautics GbR/LHM

                                                                        multifunktional nutzbare Freiraumstrukturen, die
                                                                       verschiedene Stadtteile verbinden, bergen dafür wert-
                                                                      volle Potenziale. Sie sollen getestet werden. Was ist die
                                                                   Vision? In den Parkmeilen sollen verschiedenste Erholungs-,
                                                                   Sport- und Kulturangebote entstehen und Urban-Gardening-
                                                                 Projekte zur lokalen Lebensmittelversorgung beitragen. Indem
                                                                    sie für Abkühlung sorgen und Starkregen puffern, spielen
                                                                  die Parkmeilen zudem eine wichtige Rolle bei der Anpassung
                                                                 an den Klimawandel. Was ist neu daran? Durch Freirauminter­
                                                                      ven­t ionen in zwei der insgesamt elf Parkmeilen wird in
                                                                  Kooperation mit den wichtigen Akteuren vor Ort eine Vision
                                                                    ent­w ickelt – prozesshaft und experimentell mit verschie-
                                                                        denen Beteiligungsformaten. Von digital über hyb-
                                                                         rid bis zu face-to-face auf Workshops und Spazier­
                                                                             gängen. Wer ist der Träger? Landeshauptstadt
                                                                                 München, Referat für Stadtplanung
                                                                                           und Bauordnung

                                                                                               Meilenweit voraus in
                                                                                               kreativer Stadt­e ntwicklung wird
                                                                                               München sein, wenn die Stadt
                                                                                               künftig das Potenzial der
                                                                                               Parkmeilen nutzt. Sie ver­b inden
                                                                                               ver­­s chie­d ene Stadtteile durch
                                                                                               weit­r äumige Grünflächen
Neues aus dem öffentlichen Raum - Wie hinaus aus der Krise? Ein Heft über Kreativität, Gemeinsinn und Resilienz - Nationale Stadtentwicklungspolitik
Mix, Merge, Share ·
                                                                                                                                                   Aachen
                                                                                                  Worum geht es?
                                                                                            Nicht nur durch Corona, sondern
                                                                                          auch durch den Onlinehandel sowie
                                                                                      Veränderungen in der Arbeitswelt und dem
                                                                                     Freizeitverhalten sind innerstädtische Liegen-
                                                                                  schaften unter Wandlungsdruck geraten. Neue Nut-
     Foto: Andreas Herrmann

                              Eine Tanzperformance im                            zungskonzepte sind gefragt. Was ist die Vision? Mix I
                              Rahmen des Reallabors Theater­                   Merge I Share bedeutet: Im Dialog mit Eigentümern und
                              platz – so schön kann sich Kultur                Nutzern werden neue Verbindungen unter anderem von
                              in die Innenstadt einmischen                     Wohnen, Arbeiten, Bildung und Kultur konzipiert und in
                                                                              ausgewählten Gebäuden getestet – um die Innenstadt jen-
                                                                                seits des Einzelhandels als solidarischen Alltagsort zu
                                                                               stärken. Was ist neu daran? Mit der ACademie als orga-
                                                                                 nisatorischem und kommunikativem Herzstück ent-
                                                                                  steht eine neue, kollaborative Stadtmacher-Allianz,
                                                                                      die auch neue Trägermodelle entwickelt. Sie
                                                                                        soll nach Projektende verstetigt werden.
                                             Pop-up-Prignitz,                                  Wer ist der Träger? RWTH
                                                                                                   Aachen University

                                           Agentur für Freiräume ·
                                                    Wittenberge & Perleberg

                                                                          In der Pandemie haben wir
                                                                   festgestellt, wie wichtig es ist, mit
                                       Worum geht es?
                                                                      kleinen Kindern im Grünen zu
                In der Region gibt es viel Leer-
            stand, während anderswo durch Corona
                                                                        sein und Freiraum zu haben.
       neue Raumbedürfnisse entstanden sind. Indem
     freie Flächen einer innovativen Zwischen- und Neu-
                                                                      Hier gibt es davon jede Menge.
    nutzung zugeführt werden, lassen sich hier Standort-
  nachteile in Vorteile umwandeln. Was ist die Vision? Eine
                                                                     Wir haben Landleben auf Probe
  regionale Vermittlungsagentur macht Freiräume über ein
 Webportal sicht- und buchbar – als Veran­staltungsräume für
                                                                        gemacht und sind dann ganz
  Kultur und Vereine, als Pop-up-Stores, Co-Working-Spaces
 für Digitalarbeiter oder für ein paar Monate Landleben auf
                                                                   nach Perleberg gezogen. Arbeiten
  Probe. So wird der Zuzug gefördert und das soziale Leben
  im Ort krisenfester. Was ist neu daran? Kommunale Leer-
                                                                     können wir ebenso gut von hier
     standserfassung wird mit Nutzungsempfehlung und
   Vermittlung verbunden, der Zwischennutzungsprozess
                                                                    aus, im Co-Working-Space. Es ist
         standardisiert. Konzepte werden gemeinsam
           mit Bürgern und Eigentümern erarbeitet.
                                                                  schön, in einer Umgebung zu sein,
         Wer ist der Träger? Technologie- und Gewer-
                   bezentrum Prignitz GmbH
                                                                       in der sich gerade so viel tut. *
09
Neues aus dem öffentlichen Raum - Wie hinaus aus der Krise? Ein Heft über Kreativität, Gemeinsinn und Resilienz - Nationale Stadtentwicklungspolitik
Worum geht es?
                                                 Verstärkt durch Corona gibt es
                                              eine neue Sehnsucht nach städtischer
                                           Freiheit, Individualität und sozialer Inter-

      Rendsburg belebt ·                  aktion. Leerstandsbekämpfung soll hier des-
                                        halb mit anderen Themen des Wandels verknüpft
                                       werden. Was ist die Vision? Neue innovative Einzel-
                                    handelskonzepte für Online-und Offlinehandel, Pop-up-
                                     Stores, nachhaltige Mobilität und andere Maßnahmen
                       Rendsburg
                                   führen zu einer Verbesserung der Aufenthaltsqualität und
                                      der sozialen Interaktion in der Stadt. Im Mittelpunkt
                                      stehen die Bedürfnisse der Bewohner. Alle gestalten
                                     mit. Was ist neu daran? Ideen, Akteure und Konzepte
                                      werden in einem Gemeinschaftsprojekt zusammen­
                                        gebracht. Die Bündelung der Maßnahmen bringt
                                            die nötigen Synergien zur Gestaltung der
                                               resilienten Innenstadt von morgen.
                                                    Wer ist der Träger? Region
                                                        Rendsburg GmbH

Ich gehe durch ein belebtes und
begrüntes Quartier in der Rends­
burger Innenstadt. Meine Kinder
ver­gnügen sich auf tollen Spiel- und

                                                                                                                               Co-Working Galerie ·
Sportgeräten, während ich neue

                                                                                                                                 WANDELpfad &
Geschäfte mit nachhaltigen und

                                                                                                                                                  Homberg (Efze)
individuellen Produkten entdecke.
Wir bummeln zu den Hochbeeten,
treffen engagierte junge Menschen,
tauschen uns aus und lernen
gleichzeitig etwas über Gemüse­
anbau in der Stadt. Nach einem
Abstecher in das quirlige Quartiers­                                                                   Worum geht es?
                                                                                                    Homberg ist stark von demo-
zentrum kaufen wir noch Gemüse­                                                                 grafischem Wandel, Überalterung,
                                                                                          Leerstand und den Auswirkungen des Klima­
keimlinge und informieren uns                                                            wandels betroffen. Wie kann die Stadt dennoch
                                                                                        gestärkt aus der Pandemie hervorgehen? Was ist
über die neuesten Aktionen der                                                          die Vision? Initiativen vernetzen, die Stadtgesell­
                                                                                    schaft zum zentralen Akteur machen. Aus einer schein­
»KreativWerkstatt«, wo Jugendliche                                                   baren Sackgasse wird ein WANDELpfad, auf dem neue
                                                                                    Poten­z iale erfahrbar werden: multifunktionale Orte des
nachhaltige Projekte planen.                                                        Austausches und digitalen Arbeitens. Barrieren werden
                                                                                     abgebaut, um den Ort besser an Naherholungsräume
Der Besuch in der Stadt hat uns                                                      anzubinden. Was ist neu daran? Die konsequente Ver-
                                                                                       netzung der unterschiedlichen Wandlungsthemen
gutgetan und war zugleich eine                                                          und ihre Verknüpfung mit einem symbol­starken
                                                                                             Ort. »Spaziergangswissen« wird genutzt,
tolle Inspiration. *                                                                         um möglichst vielfältige Zielgruppen ein-
                                                                                                zubinden. Wer ist der Träger? Stadt
                                                                                                          Homberg (Efze)
Erste Erfahrungen hat man in Erlangen
                                                         schon gemacht mit Makerspaces und kreativer
                                                         Stadt­e ntwicklung, in die sich jeder einbringen
                                                         kann. Daran lässt sich jetzt anknüpfen

                                                                                 Worum geht es?
                                                                        Die Corona-Einschränkungen und
                                                                      zahlreiche Geschäftsaufgaben haben in
                                                                 der Bevölkerung die Krisenerfahrung verstärkt
                                                               und ein Gefühl von Hilflosigkeit aufkommen lassen.
                                                             Wichtige Versorgungsfunktionen, etwa mit Kleinteilen,
Foto: Jochen Hunger

                                                           Werkzeugen und Reparaturmaterialien, werden lokal nicht
                                                            mehr erfüllt. Was ist die Vision? Nach dem Motto »Macher*
                                                           innen wissen sich besser zu helfen« entsteht in der Erlanger
                                                           Altstadt ein Makerspace, ein kommunikativer Ort zur inno­
                                                         vativen Nahversorgung mit Know-how und mit Produkten. Hier
                                                           wird in Werkstätten und Ateliers gemeinsam gelernt, gebaut

                       Know-how teilen
                                                          und entwickelt und so ein Anlaufpunkt für kreative Krisenbe-
                                                          wältigung geschaffen. Was ist neu daran? Der Graswurzel-An-

                      macht Städte stark ·
                                                          satz: Die Bürger selbst werden zu Akteuren. Dem klassischen
                                                            Experten wird der geniale Anwender gegenübergestellt. So
                                                              kann im Makerspace beispielsweise auch mal mit dem
                            Erlangen                               OB über Stadtplanung diskutiert werden. Auf
                                                                   Augenhöhe. Wer ist der Träger? Makerspace
                                                                          für Erlangen e.V. (in Gründung)

                                                           Worum geht es?
                                                      Um Zentren durch ein breite-
                                                                                                    Erdgeschosse
                                                 res Funktions- und Nutzungsspektrum
                                                krisenfester zu machen, braucht es inno-
                                                                                                     kuratieren ·
                                            vative Ansätze. Wie finden mitwirkungsbereite
                                           Eigentümer und interessierte Nutzer zusammen?
                                           Durch ein Kuratorium. Was ist die Vision? Ein Erd­
                                                                                                                 Berlin

                                        geschossmanagement steuert künftig den Nutzungsmix
                                         und sorgt dafür, dass Geschäftsstraßen als attraktive
                                       städtische Identifikationsorte erhalten bleiben. Der Ein-
                                       zelhandel wird durch soziale und kulturelle Nutzungen
                                         ergänzt – dauerhaft und temporär. Was ist neu daran?
                                          Das innovative Projektdesign wird in kolla­borativen
                                           digitalen Formen weiterentwickelt. Mit Methoden
                                             wie Design Thinking werden kreative Umset-
                                               zungsideen erarbeitet. Wer ist der Träger?
                                                  Senatsver waltung für Stadtentwick-
                                                        lung und Wohnen Berlin
                 11
Hintergrund
          Da steckt
     viel Zukunft drin
Die Pandemie hat Städte                                         Orte, an denen soziale Begegnungen unter Einhaltung
                                                                der Abstandsregeln noch stattfinden und man angesichts
vor neue Herausforderungen                                      psychisch belastender Pandemie-Erfahrungen einen Aus-
                                                                gleich finden konnte. Aus der Not abnehmender Betrieb-
gestellt und bestehende                                         samkeit und eingeschränkter Reisetätigkeiten wurde die
                                                                Tugend der Experimentierfreude und des Neu-Erlebens des
Probleme verschärft. Aber                                       eigenen Umfelds gemacht. Nicht nur neue Radwege popp-
                                                                ten auf, auch viele andere Maßnahmen und Aktionen, über
sie wirkt auch als Katalysator                                  die früher viel diskutiert worden wäre, werden jetzt im Ein-
                                                                fach-mal-machen-Format namens »Pop-up« durchgespielt.
für neue, kreative Lösungen,
                                                                Themen, die den Kommunen
die zu mehr Resilienz führen                                    unter den Nägeln brennen

können. Es tut sich da                                                 Angeregt von dieser neuen Dynamik, und um mo-
                                                                dellhafte Ansätze für einen nachhaltigen Umgang mit den
eine Menge in deutschen                                         neuen Herausforderungen zu fördern, hat die Nationale
                                                                Stadtentwicklungspolitik im Herbst 2020 den Projektaufruf
Kommunen – jetzt auch                                           »Post-Corona-Stadt« gestartet – mit Schwerpunkten in den
                                                                drei Themenfeldern »Solidarische Nachbarschaft und Wirt-
unterstützt durch den Projekt­                                  schaften im Quartier«, »Öffentlicher Raum, Mobilität und
                                                                Stadtstruktur« sowie »Integrierte Stadtentwicklungsstrate-
aufruf »Post-Corona-Stadt«                                      gien«. Die Resonanz war überwältigend. Über 220 Projekte
                                                                haben sich darauf beworben, 13 von ihnen sind durch eine
                                                                Fachjury für eine Förderung über einen Zeitraum von drei
                                       Von Oliver Geyer         Jahren ausgewählt worden (siehe Seite 4–11).
                                                                       Für Andrea Jonas vom BBSR beweist der hohe Rück-

                                                                                                                                 Foto: Daniel Seiffert
                                                                lauf, wie sehr diese Themen den Kommunen unter den
 Es ist eine dynamische Lage, Routinen und bewährte Lösun-      Nägeln brennen: »Es zeigt sich ein hoher Bedarf für kurz-
 gen gibt es nicht, wir müssen vorerst auf Sicht fahren. So     fristige Anpassungen, aber auch für langfristige Strategien.
 war es aus der Politik in den vergangenen Monaten oft zu       Zugleich wird die Not sichtbar, finanzielle Ressourcen
 vernehmen. In einem anderen Bereich, der Stadtentwick-         für Projekte zu mobilisieren.« Mit Andrea Jonas war auch
 lung, wurde derweil schon deutlich weiter in die Zukunft ge-   Cordelia Polinna von der Berliner Agentur Urban Catalyst
 dacht. Hier zeigt sich eine positive Dynamik im Umgang mit     an der Auswertung der Bewerbungen und der Organisation
 der Frage, wie es nach der Pandemie mit den Städten weiter-    der Entscheidungsfindung beteiligt. Sie hat die zwölfstün-
 gehen soll. In vielen Kommunen ist eine neue Bereitschaft      dige Online-Jurysitzung moderiert, an der neben Repräsen-
 zum Ausprobieren und Improvisieren zu verzeichnen.             tanten des Innenministeriums, des BBSR und der Länder
        Eine ebenso oft gehörte Meinung ist, dass Corona        auch Vertreter der kommunalen Spitzenverbände als ge-
 bestehende gesellschaftliche Probleme wie ein Brennglas        meinsame Arbeitsgruppe Nationale Stadtentwicklungspoli-
 deutlicher sichtbar mache und verstärke. Sie wiederum gilt     tik beteiligt waren. Nach dem Konsensprinzip und anhand
 für Städte in besonderem Maße, betrifft die Pandemie mit       klar definierter Kriterien wurde dort über die Pilotprojekte
 ihren räumlichen Auswirkungen doch nahezu alle Kernthe-        diskutiert und abgestimmt. »Keine Frage, das war ein Ma-
 men der Stadtentwicklung. Hatte es zuvor schon der zuneh-      rathon«, sagt Polinna, der zugleich die Euphorie des Auf-
 mende Onlinehandel den stark durch Einzelhandel gepräg-        bruchs noch anzumerken ist: »Es gab nicht viel Positives
 ten Innenstädten schwer gemacht, kam das dortige Leben         rund um Corona, aber dieser Projektaufruf war und ist eine
 und Treiben im Lockdown beinahe gänzlich zum Erliegen.         tolle Sache. Da kann jetzt Zukunft gestaltet werden.« Es sei
 Durch das Corona-Brennglas trat das Szenario verödender        eine wahnsinnige Leistung, dass so viele Kommunen und
 Innenstädte und verwaister Fußgängerzonen klar zutage.         Initiativen schon mitten in der Pandemie Kapazitäten für
 Eine Erfahrung, die schon länger schwelende Zukunfts-          die Entwicklung eines Projektantrags freigemacht haben.
 sorgen vielerorts aufflammen ließ. Zugleich wurden neue        Allein die Zahl der Bewerbungen und die Bandbreite an
 Bedarfe und Möglichkeiten sichtbar. Der öffentliche Raum,      Ideen und beteiligten Akteuren wertet die Stadtplanerin als
 das Quartier, die Grünflächen erwiesen sich als wichtige       positives Zeichen für die Resilienz unseres Gemeinwesens.
Trotz eines breiten Spektrums an Ansätzen und Konzepten          Ebenso entscheidend sind eine neue Nutzung des öffentli-
     wird in den Bewerbungen eine Art Leitmotiv sichtbar: Bis-        chen Raums und mehr Flächengerechtigkeit. Andrea Jonas
     lang vorwiegend kommerziell genutzte Räume und Flächen           vom BBSR weiß aus ihrer intensiven Auseinandersetzung
     in durch die Pandemie verödenden Innenstädten sollen zu          mit allen Projektanträgen zu berichten: »Vielen geht es um
     Orten der Begegnung und des Aufbruchs werden. Men-               die Frage, wie man den öffentlichen Raum als Treffpunkt
     schen begreifen dies als öffentliche Sache, öffnen neue          besser und gemeinschaftlich gestalten kann. Vielleicht
     Räume, bringen sich in die Errichtung von Makerspaces            zeichnet sich dabei sogar ein neues Verständnis ab, was
     und Co-Working-Spaces ein, vernetzen und ermächtigen             unter öffentlichem Raum überhaupt zu verstehen ist.« Cor-
     sich mit digitalen Mitteln, teilen ihre Ressourcen, schaf-       delia Polinna konkretisiert: »Wir merken, dass Schmuck-
     fen Diskussionsplattformen – denken und entwickeln ihre          plätze und Parks mit Blumenrabatten den Menschen nicht
     Stadt kooperativ und gemeinwohlorientiert weiter. Sie ver-       mehr reichen. Sie wollen Flächen, die sie sich für die ver-
     wandeln Leerstand in Potenzial und testen neue Formate,          schiedensten Nutzungen aneignen können, von Sport über
     mit denen Städte die Digitalisierung und die Umbrüche            Urban Gardening bis zu Orten der Demokratie, wo über
     in der Arbeitswelt für sich nutzen können. Plätze, Parks         Fragen der Stadtentwicklung debattiert wird.«
     und Straßen werden zu multifunktionalen Orten der Be-
     gegnung, des Sports, der Bildung, der Versorgung und der         Ein großes städtisches »Wir«
     Kultur weiterentwickelt. Vielfältig erscheinen dabei nicht       ist im Entstehen begriffen
     nur die Inhalte und Formate der Projekte, sondern auch
     die Strukturen dahinter. Zwar sind bei den meisten Bewer-               Schon mit Blick auf eine Verkehrswende und den
     bungen die Kommunen federführend, doch werden sie oft            Klimawandel hat der öffentliche Raum in den Städten eine
     begleitet von einer Vielzahl von Akteuren aus Zivilgesell-       neue Aufmerksamkeit erfahren. Klingt der Begriff einer-
     schaft, Wirtschaft und Wissenschaft.                             seits nach selbstverständlicher planerischer Praxis, ver-
                                                                      lagert sich die Betonung derzeit auffällig von »Raum« auf
     Eine starke Mischung macht                                       »öffentlich« – und wirft damit neue Fragen und Möglichkei-
     Städte zukunftsfest                                              ten für dessen zukünftige Entwicklung auf. Generell zeigt
                                                                      sich in den Projekten der Nationalen Stadtentwicklungs-
            »Resilienz entsteht aus Vielfalt«, sagt Polinna. »Mono-   politik, dass Stadt zunehmend zu einer öffentlichen Sache
     kulturen sind anfällig.« Eine starke Mischung aus unter-         wird, in der neben den klassisch-behördlichen Planern die
     schiedlichsten Nutzungen durch unterschiedlichste Men-           verschiedensten kooperativen Akteurs- und Organisations-
     schen und mehr Gemeinwohlorientierung sei es, was Städte         modelle mit zivilgesellschaftlicher Beteiligung auf den Plan
     für zukünftige Herausforderungen wappnet. In der aktuel-         treten und gemeinsam Stadt machen. Es ist nur plausibel,
     len Krise sieht sie daher eine große Chance, die Zentren wie-    dass damit auch gestiegene Nutzungsansprüche für den
     der mehr über öffentliche Einrichtungen, Kultur, Bildung         öffentlichen Raum einhergehen. Diese Entwicklung passt
     und Teilhabe zu definieren. Auch Städte brauchen ein gutes       zu dem Bedeutungszugewinn, den die Gemeingüter und
     Immunsystem, und das sind die Vitamine. Sie erweisen sich        Konzepte wie Commons insgesamt erfahren. An vielen Or-
     jetzt als genauso lebenswichtig wie eine starke Wirtschaft.      ten erhalten Sharing-Modelle Einzug, und sie beziehen sich
                                                                                    keineswegs nur auf Dinge und Räume, son-
                                                                                    dern auch auf Fähigkeiten und Wissen. Das
                                                                                    große städtische »Wir«, das da im Entstehen
                                                                                    begriffen ist, interessiert sich für überkom-
                                                                                    mene Kategorien wie öffentlich und privat we-
                                                                                    niger als für die übergeordnete Frage, wie alle
                                                                                    städtischen Ressourcen wieder mehr dem Ge-
                                                                                    meinwohl dienen. Dass sich diese Initiativen
                                                                                    heute sehr schnell im Netz organisieren und
                                                                                    den städtischen Raum spielend im virtuellen
                                                                                    Raum weiterdenken, macht sie sehr effektiv.
                                                                                           Polinna ist begeistert, dass die Zivil-
                                                                                    gesellschaft jetzt ordentlich mitmischt in der
                                                                                     Stadtentwicklung. Damit sei auch gleich die
                                                                                    lokale Verankerung gewährleistet. »Damit
                                                                                    solche Projekte von den Bürgerinnen und
                                                                                    Bürgern angenommen werden, ist es entschei-
                                                                                    dend, dass sie nicht top-down implementiert
                                                                                    werden.« Deshalb lautete ein zentrales Krite-
                                                                                    rium für die Auswahl der Post-Corona-Projek-
                                                                                     te: kooperative Projektbearbeitung. »Stadt-
                                                                                    entwicklung ist eine Gemeinschaftsaufgabe«,
                                                                                    bestätigt Andrea Jonas.

                                                                                   Über den Fortgang der Projekte,
                                                                                   die ab Mai 2021 in die Umsetzung gehen sollen,
                                                                                   wird der stadt:pilot berichten.
13
Im öffentlichen Raum geht mehr. Schon vor der
       Pandemie sind viele neue Ideen und Modelle entstanden,
        wie er noch zugänglicher und gemeinwohlorientierter
                gestaltet werden kann. Einige Beispiele

                                               Nassforsch geplant —
                                               Flussbäder

Wo Gemeinsinn gedeiht —                        Ob in der Aare in Bern, der Limmat
Allmende-Kontor Berlin-Tempelhof               in Zürich oder im Rhein in Basel:
                                               Etwas neidisch hat man lange in die
Im Mittelalter hatte fast jedes Dorf eine      Schweiz geblickt, wo die Menschen
Allmende, ein gemeinschaftlich genutztes       in sauberen Flüssen mitten in ihrer
Stück Ackerfläche. Heute schaffen viele        Stadt baden gehen können. Dieses
Urban-Gardening-Initiativen solche Nach­       Naherholungspotenzial wollen auch
barschaftsorte für alle – etwa das Projekt     andere Städte nutzen: Im Pariser
»Allmende-Kontor« auf dem Gelände des          Kanalbecken Bassin de la Villette er­
stillgelegten Flughafens Berlin-Tempelhof:     öffneten 2017 drei Schwimmbecken,
Auf 5.000 Quadratmetern ist ein Labyrinth      der Eintritt ist frei. Auch die Seine
aus Grün und Holzbauten entstanden mit         will Bürgermeisterin Anne Hidalgo
inzwischen rund 250 Hochbeeten, mehreren       beschwimmbar machen – vielleicht
Bienenvölkern, einem Färberpflanzengar­        schon zu den Olympischen Spielen
ten und einer eigenen Kompostwirtschaft.       2024? In Deutschland setzen sich
Die Gärten sind Teil einer umfangreichen       derweil Initiativen wie »Fluss Bad
Nachnutzung, in der das Flugfeld zu einem      Berlin« und »Isarlust« für Badespaß
Experimentierfeld für die Berliner Stadtge­    mitten in der Stadt ein.
meinschaft geworden ist – mit immer neuen
Sport-, Bildungs- und Mitmachangeboten.

Lebensqualität en bloc —
Superblocks Barcelona

Seit 2016 entstehen in Barcelona die bis zu
neun Häuserblocks umfassenden »Super­
illes« (Superblocks), in denen wieder die
Fußgänger und Radfahrer Vorfahrt haben
– und Autos maximal 10 bis 20 km/h fahren
dürfen. Wo vorher alles Straße war, bestim­
men Hochbeete, Bänke und Bäume das neue
Stadtbild. Noch gibt es erst eine Handvoll
dieser beruhigten Zonen, aber es sind noch
Hunderte geplant. Längst gereichen sie
auch anderen Metropolen als Vorbild für ver­
kehrsberuhigte innerstädtische Zonen. Da­
bei nutzen vielerorts die Verantwortlichen
den Lockdown, um geplante Vorhaben vorzu­
ziehen oder als Pop-up-Aktionen temporär
durchzuspielen. Die Pandemie erweist sich
als Katalysator für eine Verkehrswende und
mehr Flächengerechtigkeit.

                 Luft nach                                                             oben
oben

                                                                                             Big Picture
 Großer Bahnhof für Utopien —
 Utopiastadt Wuppertal

 Der stillgelegte Mirker Bahnhof in Wuppertal wird re­
 noviert und umgebaut – von Bürgerinnen und Bürgern
 in Eigenregie. Drinnen und drum herum entsteht seit
 2011 die »Utopiastadt«, ein Labor für kreative Stadt­
 entwicklung, Bürgerengagement und Sharing-Eco­
 nomy-Konzepte. Mit einem Repaircafé, Co-Working-          Läuft in Seoul —
 und Co-Forschungsspaces und einem kostenlosen             Seoullo 7017
 Fahrradverleih – passend zur Lage direkt an der zum
 Spazier- und Fahrradschnellweg ausgebauten ehe­           Mehr als 100 Hochstraßen für Autos
 maligen Nordbahntrasse. Dazu kommen Kultur- und           wurden in Seoul in den vergangenen
 Diskussionsformate, denn die Utopiastadt will ein »an­    Jahrzehnten gebaut – eine davon
 dauernder Gesellschaftskongress mit Ambitionen und        ist seit 2017 ein öffentlicher Fuß­
 Wirkung« sein.                                            gängerweg in luftiger Höhe. Im Zen­
                                                           trum der koreanischen Hauptstadt
                                                           verbindet »Seoullo 7017« mehrere
                                                           Viertel rund um den Hauptbahnhof,
                                                           die vorher durch Gleise voneinander
                                                           getrennt waren. Auf rund einem
                                                           Kilometer Länge schaffen 200 ver­
                                                           schiedene Pflanzenarten, kleine
                                                           Teiche, Sitzmöglichkeiten und Pa­
                                                           villons ein parkähnliches Ambiente.
                                                           Vorbild für diese Umnutzung über
                                                           den Dächern ist der High Line Park,
                                                           der in Manhattan auf einer alten
                                                           Frachtzug-Trasse entstand.

                                                           Mal so am Rande —
                                                           Parklets Stuttgart

                                                           Wo durch zwei bis drei geparkte Au­
                                                           tos öffentlicher Raum privat besetzt
                                                           wird, könnte so viel mehr passieren.
                                                           Als »Parklets« werden Parkplätze
                                                           am Straßenrand der Allgemein­
                                                           heit zurückgegeben, Stadtmöbel
                                                           in Selbstverwaltung erweitern den
                                                           Bürgersteig. Die Idee stammt aus
                                                           San Francisco, in Deutschland ist
                                                           Stuttgart Pionierstadt: Hier gab es
                                                           im Sommer 2016 als städteplaneri­
                                                           sches Realexperiment 11 Parklets,
                                                           jedes individuell gestaltet, meist im
                                                           Holzpaletten-DIY-Baustil. Mal mit
                                                           einem Barfußgarten, mal mit Ab­
                                                           stellplätzen für Fahrräder, mal mit
                                                           einer Sitzkisten-Verleihstation oder
                                                           einem Mini-Sandplatz – aber immer
                                                           als Orte der Begegnung. Inzwischen
                                                           bietet die Stadt Stuttgart ein offi­
Von Michael Brake
                                                           zielles Antragsverfahren für Park­
Illustration: Aart-Jan Venema
                                                           lets im Innenstadtbereich an, 2021
                                                           sollen neue Parklets entstehen.
Flanieren     geht über studieren

       geht
Reportage

            Studie
                                    16
über               Nebenstraßen durch den Zuzug von
                                                                                 Studenten, Kreativen und jungen Fami-
                                                                                 lien herandrängt und die Mieten nach
                                                                                 oben treibt.
                                                                                        Auf der Karl-Marx-Straße ist das
                                                                                »alte« Neukölln noch voll da: sein wun-
                                                                                 derbares trashiges Chaos und seine dif-
                                                                                 fuse Identität zwischen historischem
                                                                                Arbeiterviertel und migrantischem
                                                                                Unternehmertum. Das Neukölln der
                                                                                 endlosen Formen, der alltäglichen Im-
                                                                                 provisation und der Taubenkacke. Was
                                                                                 nicht hält, wird einfach mit Gaffa-Ta-
                                                                                 pe festgeklebt. Was man nicht mehr
                                                                                 braucht, stellt man an den Straßen-
                                                                                 rand. Muss nicht hübsch sein, muss nur
                                                                                weitergehen: das Leben und Arbeiten,
                                                         Auch auf gewohn­        das Kaufen und Geldverdienen. Etwas
                                                         ten Pfaden Neues       weiter die Straße runter gibt es zwei
                                                         entdecken: der         Einkaufszentren und ein paar Filia-
                                                         Spaziergang in Zei­     len der großen Ketten. Vor allem aber
                                                         ten der Pandemie        kleinteiligen Einzelhandel: Schnäpp-
                                                                                 chen-Shops, Juweliere, Wettstuben
                                                                                 und strassbesetzter Nippes, türkische
                                                                                Reisebüros und Dönerbuden, Handy-
                                                                                 läden – vor allem viele Handyläden! –,
                                     Die Spätis haben immer offen. Auch          Café-Bars und Shops, in denen es alles
Für erste Erkenntnisse               während einer Pandemie wollen die           gibt, von Werkzeug über Modeschmuck
darüber, wie die Corona-             Leute mit Weggetränken, Knabber-            bis zu Elektrogeräten. Alles zusam-
                                     zeug und Aufladekarten versorgt wer-        men ergibt das nach Verkaufsfläche
Krise den Stadtraum                  den. Der Besitzer des »Spätkauf 11« hat     die drittgrößte Einkaufsstraße Berlins.
verändert, empfehlen sich            sich einen Plastikstuhl vor seinen La-     Normalerweise.
                                     den gestellt. Weil er rauchen will. Weil           Spaziert man jetzt die Karl-Marx-
einfach ein Spaziergang              die Sonne scheint. Weil er hier die         Straße hinunter, sind die meisten
und genaues Hinschauen.              vorbeigehenden Menschen im Auge            Läden zu. Diese Straße mit ihren vielen
                                     hat – und sie ihn. Mit zwei Männern        Fenstern und Türen, die jetzt verschlos­
Unsere Autorin war                   unterhält er sich gut gelaunt auf Tür-      sen sind, wirkt wie ein löchriges städ-
Anfang März auf der Karl-            kisch. Allen, die er kennt, nickt er zu.    tisches Gewebe: überall unfreiwillige
                                     Eine soziale Schmierstelle in der unter    Lücken. Und Unterschiede, die es vor-
Marx-Straße in Berlin-               der Epidemie ächzenden Großstadt-           her nicht gab. Das urbane Gebilde zer-
Neukölln unterwegs, wo               maschine.                                   fällt vorübergehend in drei Kategorien
                                            Die Berliner Karl-Marx-Straße       – eine Hierarchie der Corona-Stadt:
sie auch wohnt                       beginnt am Hermannplatz, wo die                    Erstens die Geschäfte, die Glück
                                     U-Bahn ständig neue Menschentrau-           haben und trotz Kontaktbeschränkun­
            Von Annett Scheffel      ben ausspuckt. Auch jetzt, nur weniger      gen öffnen dürfen, die Spätis, Kebab-
            Fotos: Franz Grünewald   eng gedrängt als sonst. Die Karl-Marx-     Läden und arabischen Supermärkte
                                     Straße ist Neuköllns soziale Schlag-        mit ihren in satten Farben leuchten-
                                     ader: 2.970 mit Wohn- und Geschäfts-        den Obst- und Gemüseauslagen. Oder

eren
                                     häusern dicht bebaute Meter, zumeist        das »Hair Style Gizi«, wo an diesem
                                     in schmutzigem Gelb, Ocker und Grau,       Montagnachmittag zum ersten Mal
                                     durchbrochen von der bunten Unüber-         seit Monaten wieder Haare auf Vorder-
                                     sichtlichkeit der vielen kleinen Shops      mann gebracht werden. Zweitens die
                                     mit pickepackevollen Schaufens-             halb offenen Geschäfte, die mit Abhol-
                                     tern, die vor allem die türkische und       Service oder etwas unklarem Misch-
                                     arabische Community ansprechen              konzept zwischen Lebensmittel- und
                                     sollen. Hier macht sich erst vereinzelt    Einzelhandel. Und davon gibt es hier
                                     der Wandel bemerkbar, der aus den          viele. Im »Hao-You-Duo Asiamarkt« be-
Nach einem langen
                                                                                                           Corona-Winter sind
kommt man nicht nur Sojasauce und        der­wagen, Teenagergruppen, die zu         nur vergessen,
                                                                                                           viele Menschen
Yum-Yum-Nudeln, sondern auch allen       fünft oder sechst die Straße runter-       wie viel trubeliger,
                                                                                                           hungrig nach Sonne
möglichen Klimbim wie etwa winken-       ziehen. Wollen alle aneinander vor-        enger und dichter
                                                                                                           und nach Freiraum
de Glückskatzen. Bei »Foto Braune«       bei, werden selbst fünf Meter Gehweg       es mal zuging
ist das Rollgitter nur halb hochgezo-    unbehaglich eng. Überhaupt wird der        an diesem Ort?
gen. Kunden müssen darunter durch-       empfohlene Abstand von 1,50 Meter                 Bedroht war das Gleichgewicht
schlüpfen.                               hier oft besorgniserregend abgerun-        des Soziotops Karl-Marx-Straße auch
       Und drittens die Räume mit        det. Vielleicht sind deswegen wenig        vorher schon. Die Bezirkspolitik ar­
den komplett heruntergelassenen          ältere Menschen zu sehen. Die Ängst-       beitet seit Jahren daran, einen hippen
Rollläden und geschlossenen Türen.       lichen, die Vor­erkrankten könnte diese    Großstadtboulevard und Co-Working-
Geschlossen sind das »Passage-Kino«      Dichte abschrecken, sodass sie sich        Hotspot anzusiedeln. Eine 40.000 Qua-
und die Neuköllner Oper. Geschlossen     noch mehr in die häusliche Isolation       dratmeter große »Arbeits- und Life­
die Shishabar »Barbar Aga« und Braut-    zurückziehen. Auf den Treppen vorm         stylelandschaft« für die kreative Klasse
läden gegenüber. Geschlossen das         Neuköllner Rathaus sitzen derweil eher     ist schon im Bau. Viel Glas und Platz
kleine Sushirestaurant. Ein paar der     unbesorgt wirkende Grüppchen nach          für Freelancer und teure Coffeeshops.
Geschäfte und Kultureinrichtungen        einem langen Winter sehnsüchtig in         Wird man so was überhaupt noch brau-
sehen so gespenstisch aus, dass man      der Sonne. Einer der wenigen Orte, die     chen, nun, da sich alle ans Homeoffice
sich fragt: Machen die je wieder auf?    zum Verweilen einladen. Bänke gibt         gewöhnt haben? Wie wird die Zukunft,
Was wird überhaupt noch gebraucht in     es auf der Karl-Marx-Straße zu wenig.      in die hier Millionen fließen, nach der
einer Zukunft, in der die meisten An-    Dabei würde sich das anbieten, seit der    Krise wirklich aussehen?
wohner zwar geimpft sind, ihnen das      Verkehrslärm hier deutlich abgenom-               Man will gar nicht wissen,
dauernde Streamen und Bestellen aber     men hat – schon vor der Pandemie, als      was der berühmte Namensgeber der
zur Gewohnheit geworden ist?             aus vier Spuren zwei gemacht und brei-     Straße zu solchen Plänen gesagt hätte.
      Andererseits hat man nicht das     tere Radfahrstreifen angelegt wurden.      Lieber blickt man auf das ständig Un-
Gefühl, dass der öffentliche Raum               Ist auf den Gehwegen also nicht     fertige, auf die vielen Zwischenräume
Karl-Marx-Straße zu einem Angstraum      eigentlich alles wie immer? Die Intensi-   und Übergänge, das Gewusel, die Viel-
geworden ist, der jetzt gemieden wird.   tät, das Durcheinander der Sprachen,       falt und Improvisationsbereitschaft,
 Im Gegenteil. Auf den Gehwegen ist      der stetige Strom der Passanten, diese     die den Eindruck einer ge­w issen
es ziemlich voll. Laut telefonierende    Vielzahl an Menschen und Moden und         Belastbarkeit vermitteln. Irgendwie,
Männer in Lederjacken, Studenten         Bewegungen, die das Neuköllner Le­ben      denkt man, ist diese Straße doch ro-
unter Kopfhörern, Familien mit Kin­­     ausmachen? Oder hat man womöglich          bust genug.
Neue                                                                        Um den öffentlichen Raum
                                                                             zukunftsgerecht zu gestalten, muss
                                                                             man wissen, wie sich seine Nutzung

  Muster

                                                               Forschung
                                                                             und die Bewegungsmuster darin
                                                                             durch Corona verändert haben.

 messen
                                                                             Gastbeitrag eines Forscherteams, das
                                                                             sich mit dieser Frage aktuell befasst
                                                                                                                       Von Andreas Beulich

     Während der Pandemie erlangte der öffentliche Raum eine               Analyse der veränderten Raumnutzungsmuster
     verstärkte Aufmerksamkeit. Speziell in Innenstädten und
     bei beengten Wohnverhältnissen zeigte sich, wie wichtig                      Als Forschungsteam der TU Kaiserslautern verfolgen
     öffentliche Freiräume für Bewegung, Spaziergänge oder                 wir dabei einen mehrstufigen Ansatz: Zum einen unter­
     Spielen sind. Sie wurden intensiver und vielfältiger genutzt,         suchen wir nationale und internationale Fallbeispiele (u.a.
     teils neu entdeckt und man­                                                                          Paris, Mailand, Hongkong)
     cherorts zuungunsten des                                                                             hinsichtlich ihrer Methoden
     jahrzehntelang so dominan­                                                                           und Erfolgsrezepte sowie ihrer
     ten Autos neu aufgeteilt.                                                                            Übertragbarkeit. Denn gute An­
     Gleichzeitig zeigte sich                                                                             sätze gibt es bereits, etwa in
     aber auch, wie begrenzt                                                                              Kopenhagen oder Paris, wo die
     das Angebot an Freiräumen                                                                            gesamte Innenstadt in eine Art
     insgesamt ist –                                                                                      »shared space« umgestaltet
     und dass ihre Gestaltung                                                                             wird: mit Vorrang für den Rad-
     teilweise zu überdenken ist.                                                                         und Fußverkehr, reduzierter
            Die Covid-19-Pan­                                                                             Geschwindigkeit, Umnutzung
     demie hat zu völlig neuen                                                                            von Parkplätzen, hochwertigem
     Abstandsregeln, Mengen­                                                                              Stadtmobiliar und hoher Aufent­
     beschränkungen und                                                                                   haltsqualität.
     Verhaltenscodes geführt,                                                                                   Zum anderen analysie­­r en
     durch die viele Unzuläng­                                                                            wir veränderte Bewegungsab­
     lichkeiten des öffentlichen       »Heatmaps« zeigen                                                  läufe und Raumnutzungsmuster
     Raums spürbar werden:             Ver­ä nderungen in den                                             im öffentlichen Raum. Hierfür
     Gehwege erweisen sich als         Bewegungsmustern. Im                                               kommt ein Methodenrepertoire
     zu schmal, Warteflächen           Vergleich zum Vorjahres­                                           aus analogen und digitalen Tools
                                  Graf ik: Andreas Beulich

     vor Geschäften als zu             zeitraum (blau) wurden                                             zum Einsatz: Neben Foto- und
     knapp bemessen, Straßen­          in der Pandemie verstärkt                                          Videoanalysen werden auch
     querschnitte als auto-,           Frei- und Naturräume                                               zur Verfügung gestellte Handy­
     aber nicht »menschopti­           aufgesucht (rot)                                                   bewegungsdaten mit GPS-
     miert«. Auch zeigte sich,                                                                            Tracking-Erhebungen aus dem
     dass die Außengastrono­                                                                              Alltagsleben von Bürgern GIS-
     mie mehr Platz bräuchte, der zwischen den Parkplätzen nur             basiert ausgewertet. Anhand wiederkehrender Bewegungs­
     schwer zu »erobern« ist. Der öffentliche Raum ist plötzlich           abläufe und quartiersübergreifender Raumnutzungsmus­
     geprägt durch Verbote, Absperrungen und Beklebungen.                  ter kann dann ein maßstabsübergreifendes Bild gezeichnet
     Er wird zum Risikoraum erklärt.                                       werden, wie sich die Nutzungsansprüche an den öffentlichen
                                                                           Raum dynamisch verändern (siehe Abbildung oben).
     Neue Gestaltungsregeln ableiten                                              Aus diesen Erkenntnissen möchten wir Gestaltungs­
                                                                           regeln für resiliente öffentliche Räume ableiten und sie
            Vor dem Hintergrund der Pandemie stellt sich die               anschließend anhand temporärer Interventionen in drei
     Frage, wie öffentliche Räume in Zukunft gestaltet werden              Innenstädten einem Realitätscheck unterziehen. In einem
     sollten, damit frei zugängliche, intuitiv nutzbare, responsive        Echtzeitversuch sammeln wir Erkenntnisse darüber, wie der
     und vor allem lebenswerte Stadträume entstehen. Dazu                  öffentliche Raum anpassungsfähiger und zugleich qualitäts­
     möchten wir mit dem von der Nationalen Stadtentwicklungs­             voller und vielfältiger gestaltet werden könnte. Als ein Stadt­
     politik geförderten Forschungsprojekt »Offener öffentlicher           raum, der auch in Zukunft offen für die Stadtbewohner ist
     Raum – Gestaltungsregeln für Freiräume in der resilienten             und nicht eingeengt durch Verbote und Absperrungen.
     Stadt« einen Beitrag leisten. Wir analysieren veränderte Ver­
     haltensweisen und Bewegungsmuster im öffentlichen Raum,
     um daraus neue Gestaltungsregeln abzuleiten. Sie sollen               Neben Andreas Beulich und Martin Berchtold (Fachgebiet
     eine stärkere sowie offenere Nutzung ermöglichen und hohe             Digitalisierung, Visualisierung und Monitoring in der Raum­
     Aufenthaltsqualitäten im öffentlichen Raum schaffen – so­             planung) gehören zu dem Forscherteam Lutz Eichholz, Detlef
     wohl unter Pandemie- als auch unter Normalbedingungen.                Kurth und Marie-Katrin Turgetto (Lehrstuhl Stadtplanung).
19
Die Städtebauförderung wird 50.

                                                                                                                                                             Meinung
Wie kann sie in der heutigen
Situation mit neuem Schwung helfen,
den öffentlichen Raum zukunftsfest
zu machen?                          Creative Places und Communities
                                    als Impulsgeber erkennen und unterstützen

                                                                                                               »Nun, da im stationären Einzelhandel

                                                         Kreative Stadtmacher
                                                                                                        vieles an Nutzungen wegbricht, wird die Notwen-
Mittel für die Experimentierklausel in der                                                              digkeit grundlegender Transformationen immer
Städtebauförderung erhöhen                                                                              offensichtlicher. Gleichzeitig wächst das Bewusst-
                                                                                                        sein für Kooperation und eine neue Kommunika-
       »Die Weiterentwicklung des öffentlichen                                                          tionskultur. Und: Es steht eine junge Generation
Raums hört nie auf. Aktuell sehen wir, wie seine                                                        bereit, die sich unaufgefordert mit ihrer Power in
Bedeutung durch Corona noch mal erheblich steigt.                                                       die Lösung gesamtgesellschaftlicher Herausforde-
Es sind mehr Menschen zu beobachten, die sich                                                           rungen einbringt. Die selbstbewussten Stadtma-
draußen treffen und zusammen spazieren gehen.                                                           cher*innen bringen vielfältige kooperative Experi-
Dadurch nehmen die Leute natürlich auch deut-                                                                           mente zur Stadtentwicklung auf den
licher wahr, ob sie mit ihrer Umgebung zufrieden                                                                        Weg. Was das für den öffentlichen
sind. Und sie ergreifen zunehmend die Initiative,                                                                       Raum bedeutet? In der aktuellen

                                                                                   Foto: Piet Schmidt
wenn ihnen etwas fehlt. Da wird dann eben selbst                                                                        Situation macht es aus meiner Sicht
                            eine Bank aufgestellt.                                                                      keinen Sinn mehr, den öffentli-
Dr. Timo Munzinger          Sprich: Der öffentliche                                                                     chen Raum als Solitär isoliert zu
ist beim Deutschen          Raum füllt sich nicht                                                                       betrachten und zu gestalten. Es gilt,
Städtetag zustän­d ig für   nur mit mehr Menschen,                                                                      das Gemeinwesen und den Sozial-
integrierte Stadtent­       sondern auch mit kriti-                                                     raum Stadt, auch mit seinem Gebäudebestand und
wicklung. Er hat einen      schem Bewusstsein und                                                       seinen Erdgeschoss-Zonen, als Einheit zu begrei-
Überblick über die          Mitgestaltungswillen.                                                       fen. Und es gilt, Stadtgestaltung als aktivierende,
Herausfor­d erungen und     Immer mehr zivilgesell                                                      kulturelle, performative und vor allem eigendyna-
inno­v ativen Lösungs­      schaftliche Akteure tre-                                                    mische Stadtentwicklung neu zu denken. So wie
ansätze in großen und       ten auf den Plan, die an                                                    viele junge Stadtmacher*innen das schon tun. Es
kleinen Städten.            Stadtentwicklung mit-                                                       muss jetzt darum gehen, einen Rahmen zu schaf-
                            arbeiten, sie selbst be-                                                    fen, damit von Creative Places und Communities
treiben wollen. Wie kann die Städtebauförderung                                                         Impulse für eine Transformation der Innenstädte
dem Rechnung tragen? Indem wir nicht die Gegen-                                                         und Quartiere ausgehen können – weg von mono-
                                                       fördern

sätze sehen, sondern das Miteinander betonen.                                                           funktionalen Angeboten und hin zu neuen Forma-
Stadtentwicklungskonzepte sind auch bisher nicht                                                        ten des Miteinanders. Anstatt beim Zentren- und
im stillen Kämmerlein von Experten entwickelt                                                           Quartiersmanagement weiterhin zu segmentie-
worden, sondern durchaus mit den Bürgern ge-                                                            ren – hier das soziale Ma-
meinsam. Die Umsetzung dieser Konzepte erfolgte                                                         nagement, dort das Ansied-       Prof. Reiner Schmidt
dann allerdings oft von gewerblichen Akteuren.                                                          lungsmanagement, dort das        lehrt an der Hochschule
Jetzt gibt es zunehmend informell organisierte                                                          Leerstandsmanagement et          Anhalt Stadt- und Frei-
Akteure, die umsetzen wollen. Das stellt die Städte                                                     cetera et cetera –, braucht      raumentwicklung und
vor neue Herausforderungen: Wie kann man die                                                            man Konsortien sowie eine        erforscht im Rahmen
kreativen Stadtmacher wirklich etablieren und ver-                                                      aktivierende Stadtentwick-       der Nationalen Stadt-
hindern, dass sie von professionellen                                                                   lung, verstanden als Be-         entwicklungspolitik die
Entwicklern und den Marktkräften                                                                        gleitung sich selbst regulie-    stadtentwicklungspoli-
                                                          Foto: Rüdiger Schestag

verdrängt werden? Damit Creative                                                                        render, eigendynamischer,        tischen Potenziale von
Places und Communities ein fester Be-                                                                   kreativer Ökosysteme – auf       kreativen Akteuren, der-
standteil der Stadtentwicklung werden,                                                                  Basis eines gemeinsamen          zeit in der Vernetzungs-
braucht es neue Anreize, die nicht                                                                      Mindsets und gemeinsa-           initiative »Gemeinsam
dem bisherigen Schema »Finanzieren                                                                      mer Orientierungen. Um die für das Quartier«.
und bauen« folgen. Mein Vorschlag:                                                                      Potenziale eines integrierten
den Anteil der Mittel für die Experimentierklausel                                                      Community-Managements zur Entfaltung zu brin-
in der Städtebauförderung erhöhen, um mehr                                                              gen, wird man nicht unbedingt ganz neue Förder-
Reallabore zu realisieren. Das wäre eine einfache                                                       instrumente brauchen, aber doch einen deutlich
Maßnahme, um flexibler zu werden.«                                                                      flexibleren Einsatz der vorhandenen Mittel. Dann
                                                                                                        haben die neuen Creative Places und Communities,
                                                                                                        die jetzt überall entstehen, eine Chance, zu Aus-
             Ein ausführliches Interview mit Timo Munzinger und                                         gangspunkten konsistenter zivilgesellschaftlicher
             Reiner Schmidt zum Thema »Zukunft der Städtebauförderung«                                  Verantwortungsgemeinschaften für Stadtent­
             finden Sie unter: nationale-stadtentwicklungspolitik.de                                    wicklung zu werden.«
Auf geht’s in die
                      wunderbare Unklarheit!

                                                                                                     Kolumne
                                                                                                                Noch sind die verlassenen Fußgänger­
                                                                                                                zonen und leeren Kaufhäuser angefüllt
                                                                                                                mit alten Routinen, doch es keimen
                                                                                                                auch schon Wünsche und Hoffnungen.
                                                                                                               Zwar heißen diese Relikte einer unter­
                                                                                                                gehenden Epoche noch »Kaufhaus«,
                                                                                                                doch wir sollten sie umbenennen.
                                                                                                                Wenn wir über neues Leben in »Kauf­
                                                                                                                häusern« nachdenken, dann fallen uns
                                                                             ich solle »Land gewinnen«,
                                                                                                                sicher nur weitere Einkaufsgelegen­
                                                                             was sowohl als Mittel
                                                                                                                heiten ein. Wir könnten sie (Kein-)Kauf­
                                                                             gegen das Herumtrödeln
                                                                                                                haus nennen, so wie im Nürnberger
                                                                             gemeint war als auch für
                                                                                                                Pilotprojekt (K-)Einkaufswagen als
                                                                             das zügige Abschließen
                                                                                                               Alternativen zur Konsumorientierung
                                                                             von Hausaufgaben.)
                                                                                                                entwickelt wurden. Doch der Titel ist
                                                                             Lucius Burckhardt ging es
                                                                                                                nicht gut, er ist hauntologisch, noch zu
                                                                             um unsere Erwartungen,
                                                                                                                stark mit dem Vergangenen verbunden,
                                                                             um vorgefertigte Bilder
Foto: Victoria Jung

                                                                                                                zu wenig auf eine positive Zukunft
                                                                             und um routinierte Emp­
                                                                                                                ausgerichtet, so wie die ebenfalls von
                                                                             findungen des vermeint­
                                                                                                                den Geistern des Konsum-Zeitalters
                                                                             lich Schönen und Guten.
                                                                                                                gejagten »Post-Shopping-Cities«.
                                                                             Als Provokation dagegen
                                                                                                                Einen neuen Begriff haben wir aber
                                                                             erfand er deshalb alter­
                                                                                                                noch nicht. Lassen Sie uns diesen
                                                                             native Spaziergänge, mal
                                                                                                               Zustand noch eine Zeit lang in der
                                                                             mit einem ausrollbaren
                                                                                                                Schwebe halten, bevor die Benen­
                      Wie kann man die Chancen, die sich         mobilen Zebrastreifen, mal als Ent­
                                                                                                                nungsmaschine der Immobilienfirmen
                      in Umbruchphasen bieten, wirklich          decker auf einer Industriebrache.
                                                                                                                und Planungsbüros anläuft. Obwohl …
                      nutzen? Indem man Routinen aus dem         Doch wir spazieren – obwohl es uns
                                                                                                                wahrscheinlich ist es dafür schon zu
                      Weg geht und den Schwebezustand            manchmal schon langweilig wird –
                                                                                                                spät. Zumindest ein Hamburger In­
                      erst einmal aushält. Stephan Willinger     immer weiter entlang vorgegebener
                                                                                                               vestor hat bereits einen guten Namen
                      plädiert dafür, dem Reiz des schnellen     Wege. Wir sind gefangen in Routinen,
                                                                                                                für sein Umbaukonzept gefunden: das
                      Benennens zu widerstehen.                  weil wir denkfaul sind oder weil uns die
                                                                                                               »Hamburger Ding«. Das klingt zwar
                                                                 Anregung fehlt. Man kann nur hoffen,
                                                                                                                irgendwie auch großsprecherisch, fügt
                      Weil ja das Spazieren zu unser aller       dass uns das nicht nach der Pandemie
                                                                                                                sich aber in Heideggers Dingtheorie,
                      Dauerbeschäftigung geworden ist,           auch mit der Transformation unserer
                                                                                                                nach der Objekte zu Dingen werden,
                      erinnerte ich mich neulich an Lucius       Städte so geht. Zum Durchbrechen
                                                                                                                sobald sie die ihnen ursprünglich zuge­
                      Burckhardt, einen Schweizer Sozio­         von Routinen braucht es Mut und Be­
                                                                                                                wiesene Funktion verlieren, also offen
                      logen, der sich gerne als Spazier­         weglichkeit. Wie Harald Welzer sagt:
                                                                                                                für die Zukunft sind. Etwas von solcher
                      gangswissenschaftler bezeichnet            »eine Art Wirklichkeitsgymnastik«.
                                                                                                               – nicht nur sprachlichen – Offenheit
                      hat und zu dem ich vor rund 25 Jahren      Und das passt nun ganz gut zu unserer
                                                                                                                sollten wir uns im Umgang mit den
                      Kontakt hatte. Burckhardt hatte sich       derzeitigen Situation, zum Zerfall
                                                                                                                Innenstädten bewahren. Lieber erst
                      immer wieder kritisch und provokativ,      einer durch Routinen abgesicherten
                                                                                                                mal ein »Amt für Ideen« gründen (wie
                      aber auch mit einem Augenzwinkern zu       Wirklichkeit. Wir gehen momentan mit
                                                                                                                ebenfalls im Pilotprojekt Nürnberg).
                      Fragen demokratischer Stadtplanung         geschärften Sinnen durch die Stadt.
                                                                                                                Und dann die Innenstadt neu entde­
                      geäußert. Häufig ging es dabei, wie        Körperabstände, akustische Signale
                                                                                                                cken, als Folie unserer Wünsche und
                      hier im Heft, um den öffentlichen          wie Husten oder Räuspern, Menschen
                                                                                                                als Raum für neue Geschichten.
                      Raum, stets um die Werturteile einer       ohne Mundschutz, all das beobachten
                      immer stärker sich ausdifferenzieren­      wir aufmerksam als Bestandteile einer
                      den Gesellschaft. Das Spazieren an         neuen sozialen Welt. Jedes Spazieren          Stephan Willinger
                      sich ist ja unmittelbar mit dem Raum       erzeugt neue Choreografien und
                      (lat.: spatium) verbunden, und dessen      erinnert an den von Jane Jacobs ge­           ist Projektleiter der Nationalen
                      Aneignung erfolgt nicht nur räumlich,      prägten Begriff der sidewalk ballets,         Stadtentwicklungspolitik im Bundes­
                      durch Herumstreifen, sondern auch          als Experimente zur Erprobung eines           institut für Bau-, Stadt- und Raum­
                      kognitiv. (Meine Mutter rief früher oft,   neuen Zusammenlebens.                         forschung (BBSR).
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