Neues über Rückenschmerzen - Hefte für Yoga
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Neues über Rückenschmerzen Teil 2 Rückenschmerzen zählen zu den häufigsten Krankheiten in Deutschland: Würde man am gleichen Tag alle Deutschen fragen, wie es zur Zeit um ihren Rücken bestellt ist, würden fast 40% angeben, unter Rückenschmerzen zu leiden. Bei der Anzahl der Tage und der Fälle von Arbeitsunfähigkeit stehen Rückenschmerzen an erster Stelle. Trotzdem wurde ihre wissen- schaftliche Untersuchung lange Zeit vernachlässigt: »Am erstaunlichsten finde ich es, dass so wenig wissenschaftlich gut fundierte Forschung über ein so großes und verbreitetes Problem betrieben wurde. Von allen kontrollierten medizinischen Studien befassten sich bisher nur 0,2% mit Rückenschmerzen« schreibt im Jahr 2000 Egon Jonsson im Vorwort zu einem Buch, das bis heute große Wirkung auf das neue Verständnis von Rückenschmerzen hat. Inzwischen hat sich die Landschaft wissenschaftlicher 32 VIVEKA 38
NEUES ÜBER RÜCKENSCHMERZEN 2 Untersuchungen zu diesem Thema deutlich gewandelt und wir körper, Wirbelgelenken, Sehnen, Mus- kelgewebe oder Muskelgruppen (»Ver- verfügen über immer mehr Studien über die Ursachen, den Ver- kürzungen von Muskel x«, »Schwäche lauf und die Behandlung von Rückenschmerzen. Ihre von Muskel y«). Es vermittelt den (irri- Ergebnisse sind nun Gegenstand einer umfangreichen und gen) Eindruck, dass sich bei genauer Di- anhaltenden Diskussion innerhalb der wissenschaftlich agnostik EIN Bereich im Rücken finden orientierten Medizin und Psychologie. Diese Diskussion enthält ließe, dessen krankhafte Veränderung auch für Yogalehrende und Yoga Praktizierende wissenswerte für die bestehenden Rückenschmerzen ursächlich verantwortlich ist. Diese Vor- und interessante Aspekte, die wir im Folgenden darstellen stellung begünstigt wiederum bei den wollen. Betroffenen eine »somatische Fixie- rung«: Sie erleben ihren Rücken (fälsch- licherweise) als unveränderbar geschä- digt. ● Zu wenig wurde berücksichtigt, WENN ES UM Rückenschmerzen ging, dass zum jetzigen Zeitpunkt die Finan- dass die Entwicklung chronischer galt lange Zeit die Rückenschulbewe- zierung von »klassischen Rückenschul- Rückenschmerzen einhergeht mit Ver- gung nicht nur als praktische, sondern programmen« mit primär- und sekun- änderungen in der Reizverarbeitung, auch als wissenschaftliche Avantgarde. därpräventiver Zielsetzung nicht sinnvoll der neuro-muskulären Koordination Es war ihr Verdienst, die Bedeutung von erscheint, da von ihnen kein relevanter und mit der Entstehung besonderer Be- Rückenschmerzen ins öffentliche Be- Beitrag zur Lösung der sozialmedizini- wertungs- und Wahrnehmungsmuster wusstsein zu tragen und in ihrem Um- schen Problematik »unspezifische verbunden ist. Die Herausbildung spezi- feld wurde intensiv über Entstehung Rückenschmerzen« zu erwarten ist.« fischer Strukturen der Schmerzbah- und Behandlung von Rückenschmerzen (Lühmann 1998) nung, die Verfestigung von Störungen diskutiert. In jüngster Zeit nun geriet die Diese Kritik an den »alten« Rücken- in der Schmerzbewertung, der Rückenschulbewegung mit ihren Kon- schulen fand schließlich ihren folgen- Schmerzverarbeitung, der hormonellen zepten selbst in eine ernsthafte Krise reichsten Ausdruck in einer von der Ber- und vegetativen Steuerung spielen bei und die dabei aufgeworfenen Fragen telsmann-Stiftung in Auftrag gegebene immer wiederkehrenden Rücken- helfen uns, den neuesten Stand der Er- und in Deutschland durchgeführte Stu- schmerzen eine viel größere Rolle als kenntnisse und Fragestellungen zum die, die im Dezember 2005 auf einem früher angenommen. Die Entstehung Rückenschmerz darzustellen. Fachkongress vorgestellt wurde. Ihr ein- chronischer Schmerzen ist weitaus als deutiges Fazit: »Traditionelle Rücken- es die alten dazu entwickelten Modelle Kritik an den schulen helfen Patienten nur wenig da- vermittelt haben. Darüber hinaus sind bei, Bewegungsangst abzubauen und sie viel mehr durch ihre spezifische (und Rückenschulen eine positive Einstellung zum eigenen inzwischen immer besser verstandene) 1997 ENTSTAND IN Amerika eine groß Rücken zu entwickeln. Anstatt zur Akti- Eigendynamik bestimmt als durch jene angelegte Studie, um die Effektivität vität zu ermuntern, legen sie zu viel Störungen und Schädigungen im Bewe- von Rückenschulen zu dokumentieren: Wert auf die Schulung »rückengerech- gungsapparat, durch die sie einmal aus- 2500 Postarbeitern wurde mit Hilfe von ten« Verhaltens und können damit Be- gelöst wurden. Und nicht zuletzt: Die Videos, Bildpräsentationen und unter wegungsangst und übertriebene Auf- Bedeutung aktiven Übens, die Wieder- Anleitung von Krankengymnasten merksamkeit fördern.« herstellung einer gestörten neuro-mus- rückengerechtes Verhalten nahe ge- Nicht zuletzt aufgrund dieser Ein- kulären Koordination und die Stärkung bracht. Die Überprüfung der Wirksam- schätzung haben sich Im Frühjahr 2006 des Vertrauens in die eigenen Möglich- keit dieser Maßnahme brachte ein über- verschiedene Rückenschulen zu- keiten sind entschieden höher zu be- raschendes Ergebnis: Weniger Rücken- sammengeschlossen um eine »Neue werten als ein Training von »rückenge- schmerzen wurden nicht bei den trai- Rückenschule« zu begründen, die mit rechtem« Verhalten im Alltag. Soweit nierten Mitarbeitern festgestellt, son- einem neuen Ansatz versucht, verlore- der Stand der aktuellen Diskussion, die dern bei denen, die an der Schulung nes Terrain wiederzugewinnen. sich tatsächlich auf zahlreiche neue nicht teilgenommen hatten! Weil auch Die entscheidenden Einwände ge- Untersuchungen und Forschungsergeb- andere Untersuchungen die Zweifel an gen die früher von Rückenschulen, Or- nisse stützen kann. der Wirksamkeit von Rückenschulen thopäden und Krankengymnasten ver- unterstützten, dauerte nicht lange, bis tretenen Konzepte lassen sich kurz so Akute Rückenschmerzen diese Diskussion auch Deutschland er- zusammenfassen: reichte: In einer viel beachteten Veröf- ● Das bisherige Erklärungsmodell ABER AUCH DIE Einschätzung akuter fentlichung hieß es damals: »Für die An- für Rückenschmerzen ist zu »somatisch« starker Schmerzen im Rückenbereich wendung von Rückenschulprogrammen orientiert, das heißt zu sehr ausgerichtet (also zum Beispiel ein Hexenschuss) in der Bundesrepublik bedeutet dies, auf Störungen in Bandscheiben, Wirbel- wurde korrigiert: Studien haben erge- VIVEKA 38 33
THEMA ben, dass sich der Verlauf akuter Rückenschmerzen durch intensive thera- Schmerz peutische Eingriffe erstaunlich wenig beeinflussen lässt. Als wirklich hilfreich Wie kommt Schmerz überhaupt zustande? Was schmerzt eigentlich, wenn der erwiesen haben sich eine angemessene Rücken schmerzt? Wie reagiert der Körper auf Schmerzen, was kann Schmer- Behandlung mit Schmerzmitteln und vor zen auslösen und welche Mechanismen beeinflussen unser Schmerzerleben? allem anderen das Bemühen, möglichst Was lässt einen Schmerz chronisch werden? in Bewegung zu bleiben. Frühere Be- Weil sich auch hierzu in den letzten Jahren ein neues Verständnis herausgebil- handlungsstrategien wie zum Beispiel det hat, mit dessen Hilfe Rückenschmerzen in seiner Vielschichtigkeit in neuem andauernde Bettruhe, intensive Inter- Licht betrachtet wird, wollen wir dies in aller Kürze präsentieren. ventionen (z.B. Behandlung mit Sprit- zen) zeigten dagegen keinen oder sogar Schmerz ist ein komplexes Phänomen eher einen die Beschwerden verlängern- den Effekt. Das gleiche gilt übrigens in Schmerz ist das wichtigste Frühwarnsystem unseres Körpers. Schmerz ent- sehr deutlicher Weise für Massagen. steht dort, wo unser Körper Schaden nimmt. Für eine solche Meldung stehen Ohne Wirkung, so jedenfalls der derzei- Millionen von besonderen Zellen bereit, die alle in der Lage sind, eine solche tige Stand in der Studienlage, ist her- Schädigung zu erfühlen und weiterzuleiten, man nennt sie Schmerzrezepto- kömmliche Krankengymnastik. Akute ren, oder Nozizeptoren. Immer dann, wenn in ihrer nahen Umgebung Körper- Rückenschmerzen klingen in der Regel gewebe zerstört oder angegriffen wird (zum Beispiel durch Hitze, durch eine also auch ohne besondere Behandlung Verletzung, durch eine Entzündung, durch Sauerstoffmangel und vieles andere recht schnell wieder ab (eine Ausnahme mehr) werden diese Zellen aktiviert, »gereizt«. Und die Gesamtheit unseres davon machen allerdings – die viel selte- Nervensystems sorgt dafür, dass wir die Aktivität dieser Schmerzrezeptoren neren - Schmerzen, die eine eindeutige schließlich auch »erleben«. Allerdings sind die Prozesse, die schließlich zum Er- so genannte »radikuläre« Symptomatik leben eines Schmerzes führen, sehr komplex und von vielen Faktoren beein- zeigen, also an einem Nervenstrang ent- flusst. Das fängt schon bei den Schmerzrezeptoren selbst an, die keineswegs lang ins Bein ausstrahlen. Siehe dazu wie Schalter funktionieren, welche einfach nur an und ausgeknipst werden. So den ersten Teil des Artikels in Viveka, ist zum Beispiel ihre Empfindlichkeit gegenüber Reizen durchaus veränderbar. Heft 37). Eine in Kongressvorträgen Bestimmte Stoffe (wie etwa Prostaglandine oder Zytokine, beide werden bei gern präsentierte Karikatur trifft es recht Entzündungen freigesetzt) senken ihre Erregungsschwelle, andere dagegen gut. Sie zeigt den Arzt am Bett eines Pa- (wie etwa die körpereigenen Endomorphine) heben diese Erregungsschwelle tienten, der ihn wegen Rückenschmer- an. Auf diese Weise wird eine gleiche Schädigung von Körpergewebe schon zen zu einem Hausbesuch geholt hat: auf der Ebene unserer Schmerzrezeptoren in unterschiedlicher Weise, also »Sie haben mich gerade noch rechtzei- mehr oder weniger intensiv »wahrgenommen« werden. tig gerufen. Noch zwei Tage länger, und Aber es wird noch komplexer, wenn wir dem Weg folgen, den ein solches Sie wären von selbst gesund gewor- Schmerzsignal geht, bis wir es als Schmerz erleben. Da ist zuerst einmal die den.« Weiterleitung von den Schmerzrezeptoren am Ort des Geschehens zur näch- sten Station, für die Nerven aus dem Rückenbereich ist dies das Rückenmark. Chronische Dort werden die Schmerzimpulse nicht nur einfach 1:1 weitergeleitet, sondern erst nachdem sie durch komplexe Mechanismen modifiziert wurden, setzen sie Rückenschmerzen verstärkt oder abgeschwächt ihren Weg zum Hirn fort. Eine länger andauern- SEHR VIEL MEHR Augenmerk als frü- de oder wiederholte Reizung führt nun dazu, dass immer mehr benachbarte her wird aber auf die Frage gelegt, wa- Schaltstellen mitschwingen, wenn ein Schmerzreiz weitergeschaltet wird. Ein rum aus einem akuten Schmerz ein immer größerer Bereich des Rückens wird als schmerzend wahrgenommen, es Dauerproblem werden kann. Denn bei wird immer einfacher, einen wahrnehmbaren Schmerz auszulösen. Dieses fast 40 % der Betroffenen entwickelt »Bahnen« von Schmerzen setzt sich in jenen Bereichen des Gehirns fort, in de- sich aus dem ersten Rückenschmerz ein nen schließlich die eigentliche Schmerzwahrnehmung stattfindet. Auch hier chronisches Leiden. Keine andere Er- werden nicht einfach Schalter umgelegt, sondern es sind hochkomplexe Pro- krankung führt zum Beispiel in Deutsch- zesse, an deren Ende schließlich das Empfinden von Schmerz steht. Dabei land so häufig zu einer Frühberentung führt chronisch erlebter Schmerz weniger zu einer Gewöhnung und damit ab- wie chronische Rückenbeschwerden, geschwächten Wahrnehmung sondern vielmehr zu einer immer größeren Be- keine Erkrankung ist so kostenintensiv reitschaft des gesamten Nervensystems, diesen Schmerz wahrzunehmen. Das wie chronische Rückenschmerzen. ist auch der Grund dafür, warum heute so viel Wert darauf gelegt wird, Welche Faktoren sind es, die den Schmerzen gleich welcher Art möglichst frühzeitig - wenn nötig auch mit Me- Verlauf von Rückenbeschwerden über dikamenten - zu behandeln. Eine angemessene und rechtzeitige Schmerzthe- die Monate und Jahre hinweg beeinflus- rapie kann nämlich mit verhindern helfen, dass sich Schmerzen immer ➟ sen? Warum verschwinden manche Rückenschmerzen schon nach einer Wo- 34 VIVEKA 38
NEUES ÜBER RÜCKENSCHMERZEN 2 che und warum sind andere dagegen mal die Erfahrung gemacht, wie belas- der Tatsache leben lernen, dass auch wir der Beginn einer langen Leidensge- tend eine solche Ungewissheit ist und nicht sagen können, was mit einem schichte? In der Sprache der Medizin: wie beruhigend es dagegen sein kann, schmerzenden Rücken nun genau im Was kann dafür verantwortlich gemacht endlich zu wissen, was die Ursache für Ungleichgewicht ist. (Das gilt natürlich werden, dass sich aus einem akuten eine körperliche Beschwerde ist. »Ob- in gleicher Weise für alle anderen, die Rückenschmerz eine chronische Erkran- wohl Ihre Bandscheibe schon stark ab- mit dem Thema Rückenschmerzen zu kung entwickelt? Welche Bedingungen genutzt und ein Vorfall schon sichtbar tun haben und gerade »alternative« Er- unterstützen eine solche Chronifizie- ist, ihre Schmerzen kommen daher eher klärungen von Vertretern der einen oder rung, welche einen günstigeren Ver- nicht«: Statt als positiv empfunden zu anderen Therapiemethode machen da lauf? Und natürlich: Welche therapeuti- werden, kann eine solche Botschaft keine Ausnahme. So faszinierend oder sche Maßnahmen sind dabei Erfolg ver- auch Abwehr provozieren: »Aber ich bil- bestechend einfach sie bisweilen klin- sprechend und welche nicht? de mir den Schmerz doch nicht ein!« gen, einer kritischen Prüfung hat noch Und in manchem guten Zureden spürt keines dieser Konzepte wirklich stand- Chronische ein Betroffener keine Ermunterung, son- gehalten). Gleichzeitig erlaubt der heuti- dern hört darin den Verdacht, dass es so ge Forschungsstand, dass wir immer Rückenschmerzen sind schlimm ja denn doch nicht sein könne. fundierter die Rahmenbedingungen be- meist »unspezifisch« Oder dass man bisher einfach versäumt nennen können, die diesen Schmerz hätte, einen inneren Schalter umzule- verursachen und beeinflussen. Und kön- IMMER DEUTLICHER BELEGEN ent- gen, wodurch sich alles ganz anders an- nen immer besser zeigen, warum die sprechende Studien: Chronische fühlen würde. Wer Schmerzen hat, die Strategien des Yoga geeignet sind, diese Rückenschmerzen sind viel weniger als einfach nicht aufhören wollen, kann Bedingungen positiv zu verändern. früher angenommen eine DIREKTE Folge sich in diesem Erleben schnell nicht Was also den bisherigen Erklärungs- von Abnutzungserscheinungen an den ernst genommen fühlen. Schmerzerle- modellen fehlt, ist die Orientierung an Bandscheiben (Bandscheibendegenera- ben ist nie »gewollt«, sondern immer den heute bekannten Ursachenzusam- tionen, Bandscheibenvorwölbungen, das Ergebnis von lang währenden Pro- menhängen für den chronischen und Bandscheibenvorfälle) an den Wirbeln zessen, auf die bewusst kaum Einfluss damit in aller Regel »unspezifischen« und ihren Gelenken (arthrotische Verän- genommen wurde. Rückenschmerz: Wir wissen inzwischen, derungen). Sicherlich sind diese und an- Aber dieses Dilemma lässt sich lösen. dass solche Schmerzen vor allem da- dere Gewebeschädigungen an der Ent- So schließt der schon zitierte Orthopäde durch charakterisiert sind, dass sie eine stehung von Schmerzen beteiligt. Aber Bigos mit den beruhigenden Worten: Eigendynamik entwickelt haben, die sich gerade das Andauern von Rücken- »Wir können viele Probleme lösen, auch bei bester Diagnostik nur noch sel- schmerzen lässt sich allein daraus eben wenn wir solides medizinisches Wissen ten auf eine klar umrissene Ursache zu- nicht erklären. Der überwiegende Anteil mit der Fähigkeit verbinden, Patienten rückführen lässt. Was immer einmal der von Rückenschmerzen muss als »unspe- optimal zu beraten.« Woher dieser Opti- Auslöser der Schmerzen gewesen ist zifischer Rückenschmerz« (s. dazu aus- mimus? Einmal speist er sich aus der er- (z.B. eine Reizung der Wirbelgelenke, führlich VIVEKA, Heft 37) gelten. Unter freulichen Tatsache, dass wir trotz allen des Iliosakralgelenks, degenerative Pro- dem Titel »Rückenschmerz, die unange- offenen Fragen immer besser wissen, zesse in einer Bandscheibe, den Wirbel- nehme Wahrheit« fasst ein international welche Konzepte wirklich helfen, einen körpern oder unterschiedliche Formen anerkannter amerikanischer Orthopäde, kranken Rücken wieder gesünder zu muskulärer Dysbalance), für die Chroni- S.J. Bigos den Stand der Dinge zusam- machen und einen gesunden Rücken fizierung des Schmerzes spielt dies eine men: »Patienten erwarten vom Arzt ei- gesund zu erhalten. Zum zweiten: Auch nur untergeordnete Rolle. Verantwort- ne genaue Diagnose der Ursache und wenn sich ein Großteil der Rücken- lich für den immer wiederkehrenden eine darauf aufbauende Therapie, die schmerzen nicht auf eine einzige (ein- oder andauernden Rückenschmerz ist die Ursache der Beschwerden beseitigt. fach diagnostizierbare) Ursache reduzie- vielmehr die Herausbildung einer umfas- Manche werden es unakzeptabel fin- ren lässt, verstehen wir immer besser, sende Störung, die in einem hohen Maß den, dass Ärzte die genaue Diagnose welche Faktoren bei ihrer Entstehung dadurch gekennzeichnet ist, dass sie nicht wissen und Aktivität als Therapie und Chronifizierung eine wesentliche durch eine besondere, nicht einfach zu empfehlen. Unglücklicherweise haben Rolle spielen. Es wird immer klarer, wie durchschauende Eigendynamik am Le- wir den Umgang mit dieser Problematik sich dieses Geflecht unterschiedlicher ben erhalten wird. Diese Störung betrifft in unserer medizinischen Ausbildung Funktionszusammenhänge im Körper körperliche Strukturen genauso wie nicht gelernt.« (S.J. Bigos 2001) Diese gegenseitig bedingt und vor allem wie komplexe Prozesse der Schmerzverarbei- Situation ist tatsächlich sowohl für die darauf Einfluss genommen werden tung und Schmerzbewertung. Entspre- Betroffenen als auch für Therapeuten kann. chend entwickelt sich die richtige Strate- nicht einfach. Für die Betroffenen heißt Wir Yogalehrende befinden uns gie gegen chronische Rückenschmerzen dies: »Mein Rücken schmerzt noch im- übrigens in einem ähnlichen Zwiespalt, nicht aus einer möglichst genauen Or- mer, aber niemand kann mir sagen, wa- wie ihn S.J. Bigos für den ehrlichen Or- tung ihrer Ursachen im Rücken. Viel- rum.« Und jedeR hat sicher schon ein- thopäden beschreibt: Wir müssen mit mehr muss eine solche Strategie vor al- VIVEKA 38 35
THEMA lem in der Lage sein den, AKTUELLEN Kreislauf der Schmerzentstehung zu einfacher ihren Weg suchen und aus einem akuten Ereignis ein Dauerproblem durchbrechen. wird. »Rückengerecht!?« Erklärungsmodelle DARÜBER HINAUS HAT sich die Beto- Um Schmerzentstehung in seiner Vielschichtigkeit zu begreifen, bemühen sich nung von »rückengerechtem Verhalten« Wissenschaftler (von der Grundlagenforschung im Bereich der Neurophysiolo- als ein zweischneidiges Schwert erwie- gie und Zellbiologie bis hin zu Psychologen und klinischen Schmerztherapeu- sen. Auf der einen Seite ist es zum Bei- ten) seit längerem um Modelle, die diese Prozesse veranschaulichen und für spiel nach wie vor unbestritten, dass die Praxis der Schmerzbehandlung nützliche Aussagen treffen können. Noch schwere Lasten möglichst körpernah an- gehoben werden sollen, dass die Wir- belsäule dabei am besten aufgerichtet Bis in die jüngste Zeit ähnelten bleibt oder dass langes monotones Sit- die Vorstellungen über die zen für den Rücken eine große Belas- Entstehung von Schmerz tung darstellt. jenem Modell, das schon Auf der anderen Seite weisen immer Descartes 1644 entwickelte mehr Studienergebnisse darauf hin, dass hatte: Ein Reiz (hier in einer zu viel Beschäftigung mit einer stets zeitgenössischen Illustration rückengerechten Haltung im Alltag das Feuer) trifft auf die Haut kontraproduktiv wirkt: Das natürliche und setzt sich unverändert fort Bewegungsrepertoire des Menschen bis zum Gehirn. Auch wenn wird dadurch wohl zu oft zu sehr einge- später entdeckt wurde, wie schränkt. Die Folgen einer Angst vor fal- der Schmerzreiz über scher Bewegung und Fehlspannung besondere Nervenbahnen und durch ein ständiges Bemühen um die über vielerlei Schaltstationen richtige Haltung sind mögliche Gründe seinen Weg zum Gehirn dafür, warum in zahlreichen Studien ei- Abb. 1 nimmt: Weiterhin glaubte ne intensive Schulung in rückengerech- man, dass Schmerzreize ohne tem Verhalten nicht zu einer Abnahme wesentliche Veränderungen bis zum Zentralnervensystem übertragen wer- sondern sogar zu einer Zunahme von den. Erst in den 5oer Jahren begann man zu erkennen, dass bei chroni- Rückenbeschwerden führte. Und auch schen Schmerzzuständen komplexere Prozesse die Schmerzübertragung das ein interessantes (für viele nicht bestimmten. Heute gibt es viele Nachweise dafür, dass chronischer überraschendes) Ergebnis neuerer Schmerz zu einem Umbau neuraler Strukturen führt und so einer »Bah- Untersuchungen: Die Häufigkeit von nung« von Schmerzreizen Vorschub leistet. Es kommt zu einem »positiven Rückenschmerzen hängt viel weniger ab Feedback«, das Schmerzgeschehen selbst entwickelt eine Eigendynamik, vom richtigen Schreibtischstuhl als vom die weiteres Schmerzerleben erleichtert. Ausmaß der Freude an der Arbeit und eben immer wieder: wie viel regelmäßi- ge und abwechslungsreiche Bewegung wird keines dieser Modelle als wirklich befriedigend angesehen, die anhalten- ein Mensch seinem bewegungslosen Be- de Diskussion darüber verhilft uns aber schon heute zu einem tieferen und in rufsalltag entgegensetzen kann. der in der Praxis besser nutzbarem Verständnis von Schmerz. Trotzdem: Es ist das große Verdienst In vielen Studien wurde inzwischen der Nachweis geführt, dass die Chronifizie- der »alten« Rückenschulen, die Bedeu- rung von Schmerzen mit einer »Ausbreitung der Schmerzen auf mehreren tung von Rückenschmerzen als eine der Ebenen einhergeht, d.h. der körperlichen, psychischen und sozialen Ebene.« großen Zivilisationskrankheiten ins Be- (A. Ljutow, B. Nagel 2005) In einem viel beachteten Modell versuchte der wusstsein aller gebracht zu haben. Und Schmerzforscher und Neurchirurg J.D. Loeser diesen Sachverhalt darzustellen: in ihrem Umfeld wurden die ersten Stra- »Wie das Wasser aus einer vollen Brunnenschale überläuft in die nächste tegien im Umgang mit Rückenbe- Schale, so erzeugt Nociception (die Erregung von Schmerzrezeptoren) in genü- schwerden entwickelt, in denen eigene gendem Ausmaß Schmerz, Schmerz erzeugt Leiden und Leiden erzeugt Initiative, Verhaltensänderungen und Schmerzverhalten.« (Abb. 2) In der Diskussion erwies sich dieses Modell aber mehr Bewegung eine wichtige Rolle als zu einfach. Es berücksichtigt zu wenig, wie Krankheitsverhalten und Leiden spielten. selbst wieder auf die Schmerzwahrnehmung zurückwirken. Außerdem fehlt Die aktuelle Entwicklung der darin die Einbeziehung sozialer Faktoren, die im Zusammenhang mit ➟ Rückenschulen zeigt, dass sie sehr wohl die Zeichen der Zeit erkannt haben, vie- 36 VIVEKA 38
NEUES ÜBER RÜCKENSCHMERZEN 2 les geändert und Grund legend neu ge- über »einfache, angenehme und mög- nen«. Vielmehr sind sie Teil eines Sys- staltet haben: So folgt etwa deren jüng- lichst ganzheitliche Aktivitäten« Bewe- tems, das seine Wirkungen auf verschie- stes Curriculum zur Weiterbildung für gungsspielräume erweitern. denen Ebenen entfaltet. Rückenschullehrer vom Mai 2006 (als In erfolgreichen so genannten »ver- Weit über die körperliche Aktivität hin- pdf-Dokument unter www.bdr-ev.de) haltenstherapeutischen« Ansätzen (in aus ist es Entspannung und Erfahrung inhaltlich weit gehend jenen Erkenntnis- denen wir viele der Konzepte des Yoga eines angemessenen Spannungszu- sen, die wir in diesem Artikel darlegen. Sûtra wieder finden können) stehen stands, das Erlernen, wie man ihn her- heute vor allem folgende Ziele im stellen kann, ist es das Mut fassen, die Was hilft? Vordergrund: Bestätigung der Eigeninitiative, das Wiedererlangen verlorenen Zutrauens in ALS WIRKLICH ERFOLG versprechend ● Abbau ungünstiger Formen der die eigenen Möglichkeiten, das Raum hat sich in aktuellen und wissenschaft- Schmerzverarbeitung für sich finden und nicht zuletzt der lich gründlich angelegten Untersuchun- ● Abbau der Fixierung auf den kran- Spaß an der Sache, was die Wirkungen gen Folgendes gezeigt: ken Rücken des Yoga bestimmt. Bei akuten Rückenschmerzen helfen ● Abbau von Mutlosigkeit und Re- Dennoch ist es nicht gleichgültig, Schmerzmittel; die Empfehlung, trotz signation gegenüber den chronischen wie dabei mit den Körperübungen um- Schmerzen aktiv zu bleiben, verkürzt Schmerzen gegangen wird. nachweislich nicht nur den Krankheits- ● Unterstützung im Finden regelmä- verlauf sondern hilft auch chronische ßiger körperlicher Aktivität Was beim Âsanaüben Verläufe zu verhindern. Bettruhe, her- ● Entlastung im beruflichen und pri- kömmliche Krankengymnastik und vaten Alltag bedacht werden sollte Übungstherapie (damit sind vor allem ● ZUNÄCHST EINMAL BEDARF es herkömmliche Physiotherapeutischen Erfolgreiche multidisziplinäre Pro- einer richtigen Einschätzung der einzel- Methoden gemeint) ist nicht wirksamer gramme zeichnen sich aus durch ein ho- nen Körperübungen (Âsana) auf der Sei- als Placebo oder keine Therapie. hes Maß an Individualisierung und ver- te des Unterrichtenden. Sie können in Bei chronischen Schmerzen gilt es binden verschiedene Therapieansätze der Bewältigung von Rückenschmerzen als nachgewiesen, dass »aktive Übun- miteinander (z.B. Körperübungen plus von großem Nutzen sein, wenn aus den gen helfen, ebenso wie Verhaltensthera- Abbau ungünstiger Formen der vielen Übungen die richtige Auswahl ge- pie und multidisziplinäre Behandlungs- Schmerzverarbeitung plus Entlastung im troffen wurde und diese dann angemes- programme.« In einer kühl und streng Alltag etc.). sen unterrichtet wird. Âsanas können formulierten Zusammenfassung heißt Das ist der aktuelle Stand wissen- aber auch schaden; dann wenn sie es: »Obwohl viele Therapeuten an ihre schaftlicher Forschung zum Thema aku- überfordern, Schmerzen triggern oder Behandlung glauben, liegen die Eviden- ter und chronischer Rückenschmerz. den Bewegungsapparat destabilisieren. zen (= das, was wissenschaftlich wirklich ● DIE POSITIVE WIRKUNG der nachgewiesen werden kann) auf der Chronische Körperübungen des Yoga geht vor al- Hand: Fakt ist, dass nur sehr wenige Be- lem davon aus, WIE sie praktiziert wer- handlungen als effektiv für akute Rückenschmerzen und den. Nicht bestimmte Formen (und Rückenschmerzen bewiesen sind. Yoga schon gar nicht akrobatische Haltungen) Dies gilt für Schmerzmittel und die führen zum Erfolg, sondern ein beson- Anordnung, aktiv zu bleiben. Fakt ist YOGA BIETET EIN umfassendes und derer Umgang mit dem eigenen Körper: auch, dass ebenso nur sehr wenige Be- ganzheitliches Konzept an, das bei der Nicht »höher, schneller, weiter«, son- handlungen für chronische Rücken- Vorbeugung, aber auch Therapie chro- dern konzentriert, in enger Verbindung schmerzen in ihrer Wirksamkeit bewie- nischer Rückenschmerzen einen wesent- mit dem Atem, Grenzen respektierend, sen sind: Übungstherapie, Verhaltens- lichen Beitrag leisten kann. Allerdings zuversichtlich, schmerzfrei. therapie und multidisziplinäre Program- genügt es in diesem Zusammenhang ● DIE VORSTELLUNG, DASS Mus- me. Fakt ist, dass die üblicherweise an- nicht, sich ausschließlich mit den Kör- kulatur, die sich über lange Zeit in ei- gewendeten Verfahren bei Rücken- perübungen des Yoga auseinanderzu- nem erhöhten Spannungszustand befin- schmerzen ineffektiv sind. Fakt ist aber setzen, obgleich das so nahe zu liegen det (wie es bei chronischen Rücken- auch, dass für viele Behandlungsverfah- scheint: Rückenschmerz – Yoga liefert schmerzen der Fall ist), durch starke und ren keine ausreichenden Studien vorlie- wirksame und erprobte körperliche Akti- lange gehaltene Dehnungen wieder in gen.« (Tulder 2001). vitäten – Rückenschmerz bessert sich... einen »gesünderen« Zustand gebracht Zu den Übungsverfahren, denen ei- Yogalehrende, die sich mit den Ergeb- werden kann, ist ein Irrtum. Vielmehr ne positive Wirkung nachgewiesen wur- nissen ihres Unterrichtens kritisch aus- kann übermäßiges Dehnen den Rücken de zählt jene Form von Yoga, die in die- einandersetzen, wissen aber, dass die destabilisieren und den Weg für erns- ser Zeitschrift vermittelt wird (s. VIVEKA, Wirkung von Âsana nicht einfach damit thafte Rückenprobleme bahnen. Die Heft 37, S. 27). Generell zeigen sich je- erklärt werden können, dass sie »kräfti- Entscheidung für das Angebot von ne Übungsverfahren als wirksam, die gen« oder »verkürzte Muskeln deh- Wechsel zwischen Kontraktionen und VIVEKA 38 37
THEMA Dehnungen wie es im dynamischen Üben geschieht ist jedem Versuch weit Das 4-Komponenten-Modell überlegen, den Rücxken durch intensi- von Loeser (1982): Wie das ves Dehnen positiv zu erreichen. Wasser aus einer vollen Brun- ● DYNAMISCHES ÜBEN WIRKT im nenschale überläuft in die Zusammenhang mit Rückenbeschwer- nächste Schale, so erzeugt No- den grundsätzlich auch wesentlich bes- ciception (die Erregung von ser als eine Praxis von statisch gehalte- Schmerzrezeptoren) in genü- nen Positionen isometrischer Muskel- gendem Ausmaß Schmerz, kontraktionen. Darüber hinaus hilft es, Schmerz erzeugt Leiden und unnötige Risiken zu vermeiden. Leiden erzeugt Schmerzverhal- ● YOGA STEHT NIE im Wider- ten. Es zeigte sich bald, das spruch zu anderen seriösen Therapiean- auch dieses Modell zu ein- sätzen. Im Gegenteil: Yogaüben kann dimensional angelegt ist, weil jede andere Behandlung, zum Beispiel es die gegenseiteige Beeinflus- auch medikamentöse Schmerzthera- Abb. 2 sung seiner Komponenten zu pien, begleiten und unterstützen. wenig berücksichtigt. ● UND, WIE SCHON gesagt: Kör- perübungen sind dem Yoga nicht alles. Prânâyâma beruhigt den Geist und chronischem Schmerz ebenfalls eine Rolle spielen. Heute werden sehr viel bringt Ordnung in Gedanken und Ge- komplexere Modelle vorgeschlagen, welche die bei chronischem Schmerz be- fühle. Ein schöner Spaziergang oder ein deutsamen vielfältigen Einflussgrößen in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit klärendes Gespräch können zu Zeiten besser widerspiegeln möchten. (CJ. Main und C. Spanswick 2000 (Abb. 3) und ebenso heilsam sein, wie eine ausgeklü- Multidimensionale Ansätze wie zum Beispiel der von R. Wörz 2001) gelte Übungsabfolge. Der Yoga selbst Wesentlich verantwortlich gemacht für eine Chronifizierung von Rücken- verfügt über ein ganzheitliches Konzept, schmerzen wird ein Zusammenspiel folgender Aspekte: in dessen Mittelpunkt Themen stehen Mangelnde Bewegung wie: Positive Selbstwahrnehmung; Stär- Ungünstige Formen der Schmerzverarbeitung kung der Eigenverantwortung; produkti- Schonverhalten und Muskelverspannungen ver Umgang mit Schmerz, Leid und Ent- Katastrophisierung täuschung; Strategien zur Konfliktlö- Angst und Vermeidung sung. Depressive Stimmung Chronisch anhaltende Belastungen im privaten und beruflichen Alltag. Einige wesentliche Aspekte, die unseren Ein Schmerz – viele Ursachen Umgang mit Dabei gelingt es immer besser zu erklären, über welche Mechanismen sich die- Rückenschmerzen se verschiedenen Faktoren gegenseitig beeinflussen. So konnte man zum Beispiel nachweisen, dass es bei Rückenschmerzpatien- bestimmen ten, bei denen sich eine erhöhte Depressivität in Verbindung mit körperlicher Inaktivität zeigt, zu einer verringerten Endorphinfreisetzung kommt, die wiede- ● Bewegung tut gut rum eine generalisierte erhöhte Schmerzempfindlichkeit zur Folge hat: Eine Wesentliches Ziel jeder Yogapraxis günstige Voraussetzung dafür, dass sich aus einem »normaler« Schmerz eine für einen Menschen mit Rückenschmer- Dynamik entwickeln kann, die in einem chronischen Schmerzproblem endet. zen ist es, dessen Bewegungsspielraum Oder es ließ sich belegen, wie chronisch anhaltende alltägliche Überbelastung zu vergrößern. Bewegung soll wieder zu einer Erhöhung der Anspannung im Bereich des unteren Rückenstreckers Freude machen und der Körper ange- führt, diese Daueranspannung zu einem kontinuierlichen Schmerzsignal, die- nehm erlebt werden. Jemand, der lei- ses kontinuierliche Schmerzsignal zu einer immer größeren Sensibilität gegen- det, kann aus einer Yogapraxis die Zu- über Schmerzreizen und damit zu Schon- und Fehlhaltungen. Dies alles wiede- versicht schöpfen, dass es vorangeht, rum zeigt negative Auswirkungen auf die Stimmung, auf die Einschätzung des dass mehr Bewegung möglich ist, dass Schmerzes, seine Bewertung und Verarbeitung. sich der Körperzustand zum Positiven Eindrücklich ist auch die inzwischen immer wieder bestätigte Tatsache, dass hin verändern lässt. Dazu braucht er die bei der Entwicklung chronischer Rückenschmerzen negative Erwartungseffekte Erfahrung, dass eine schmerzfreie Bewe- eine wichtige, manche behaupten eine entscheidende Rolle spielen. gung möglich ist, dass Bewegung »Katastrophisieren« ist der psychologische Fachbegriff für diese Haltung, ➟ Schmerzen lindern kann, dass eine Ab- folge von Bewegungen allgemeines 38 VIVEKA 38
NEUES ÜBER RÜCKENSCHMERZEN 2 Abb.1 Die Möglichkeiten Yogaübungen an die besondere Situation einer Person anzupassen sind im Yoga schier end- los. Alle Âsana lassen sich auf die vielfältigste Art variieren. Hier zum Beispiel eine Reihe von Übungen, die vom Apânâsana über Varianten des Vajrâsana zu unterschiedlichen Formen von Uttânâsana eine immer intensivere Vorbeuge fordern. Wohlbefinden hinterlassen kann, dass erlernen. Sie ist es, die ihm als Leitfaden dungen zu treffen, braucht es eine an- Körperübungen einfach und machbar im alltäglichen Geschehen zu klären gemessene Einschätzung, mit welchen sind. hilft: Was kann ich mir zumuten, ohne Âsana und welchen ihrer Varianten ge- mit dem Rücken in ernsthafte Probleme arbeitet werden sollte. All diese Fragen ● Im Üben ist Schmerzfreiheit das zu geraten, was muss ich aushalten ler- können nicht allein von der betroffenen Ziel, im Alltag ein angemessener nen, damit mein Lebensraum durch Person beantwortet werden, obgleich Umgang mit dem Schmerz mein Rückenleiden nicht zu sehr einge- ihre Beobachtungen beim Üben von Regelmäßigkeit in der Yogapraxis - schränkt wird. großer Wichtigkeit sind. Anders als die und das ist eine der Vorraussetzungen Ärztin, die ein Medikament verschreibt, für die Wirkungen solchen Übens - kann ● Den eigenen Körper besser ken- genügt es einer Yogalehrerin nicht, zu nur dann erreicht werden, wenn sie sich nen lernen wissen, dass»sich nichts verändert hat« mit einer angenehmen Erfahrung ver- Yogapraxis fördert die Fähigkeit, den oder »alles besser geworden ist«. Sie bindet. Dafür ist schmerzfreies Üben eigenen Körper in seinen Möglichkeiten braucht das feed back des Übenden, Voraussetzung. Nur in sehr seltenen und Grenzen besser einzuschätzen. Dies um neue Schritte der Praxis zu entwi- Ausnahmefällen ist dies zu Beginn der geschieht nicht durch passive Selbstbe- ckeln. Aber sie muss deutlich machen, Arbeit mit Yoga nicht erreichbar: Die obachtung, sondern über die Erfahrung wozu diese Fragen gestellt, warum sie Vielfalt der Möglichkeiten, Yogaübun- der Aktivität einer Âsanapraxis. Aber detaillierte Antworten sucht: Im Mittel- gen zu variieren und sie an die besonde- auch im Yoga-Üben besteht bei chroni- punkt bleibt immer die Suche nach den re Situation einer Person anzupassen ist schem Schmerzleiden immer die Gefahr, Möglichkeiten und nur in diesem Zu- schier endlos (Abb. 1). Gerade die Tatsa- sich am Schmerz und den von ihm er- sammenhang ist das Wissen um Ein- che, dass wir eigentlich immer in der zwungenen Einschränkungen festzubei- schränkungen von Bedeutung. Wird Lage sind, Übungen zu finden, die dem ßen. Die Gründe dafür sind offensicht- dies aus den Augen verloren, so kommt Körper Bewegung und Aktivität ohne lich: es leicht zu einer Fixierung beider Betei- die Erfahrung von Schmerz erlauben, ist Einerseits ist es nötig, die Übung- ligter auf die Schmerzen: Auf der Seite ein wichtiger Grund für den großen Er- spraxis an die aktuellen Besonderheiten der/s Lehrenden schafft eine solche Situ- folg, der mit Yogaübungen bei Men- des Rückens anzupassen: Wie intensiv ation oft viel unproduktiven Druck schen mit Rückenschmerzen zu errei- dürfen zum Beispiel Vorbeugen sein, (»meine Vorschläge müssen sofort ganz chen ist. wie viel Spannung verträgt der Rücken, viel helfen«), auf der Seite der Übenden Was für die Übungspraxis wichtiges welche Bewegungen provozieren den ein erneutes Kreisen um den Schmerz Ziel ist, gilt so nicht für den Alltag. Wer Kreislauf von Verspannung – Schmerz – (»selbst das kann ich nicht mehr«). mit Rückenschmerzen im Alltag in Be- mehr Verspannung - mehr Schmerz... ? Gelingt es aber diese Klippen zu um- wegung bleiben will, kann Schmerzen Mit welchen Varianten kann der Rücken schiffen, so fordert und entwickelt die oft nicht vermeiden. Eine angemessene gefordert werden, ohne durch Überlas- Praxis und ihre gemeinsame Erarbeitung Selbsteinschätzung allerdings kann ein tung in seine alten Schmerzmuster zu- die Fähigkeit der Selbstbeobachtung kranker Mensch durch seine Yogapraxis rückzufallen? Um hier richtige Entschei- und bietet die Chance den eigenen Kör- VIVEKA 38 39
THEMA per auf gute Weise immer besser ken- in der jemand angesichts eines Schmerzerlebens kaum glauben kann, dass sich nenzulernen. die Situation wieder zum Besseren hin wenden könnte. Menschen, die ange- Der Yoga-Ansatz ist in die Zukunft gerichtet und auf das Eröffnen neuer Perspektiven. Deshalb darf sich im Unterricht und im Üben auch nicht alles um den kranken Rücken drehen. Das ist Verletzung auch gar nicht nötig, denn anders als in der ursprünglich verletzungsorientierten Fokus auf Krankengymnastik ist dem Yoga die Ab- Schmerz Symptome sicht sehr fremd, einen einzelnen Kör- perbereich oder gar einen Muskel iso- Erlernte liert zum Gegenstand einer Übung zu Hilflosigkeit Körperliche Angst und machen. Mit jeder Übung ist der ganze (Depression) Dekonditionierung Vermeidung Körper angesprochen. Nicht zuletzt durch die intensive Verbindung der Be- Rückzug von Arbeit wegungen mit dem Atem erreichen wir Schonverhalten und sozialen ein ganzheitliches Erleben der verschie- Muskelverspannung Aktivitäten denen Âsanas und können selbst bei in- tensiver Arbeit am Rücken falsche Fixie- reduzierte Körperliche rungen vermeiden. Wenn es im Aktivität Yogaunterricht angesichts eines schmer- zenden Rückens passiert, dass mehr die Einschränkungen als die Möglichkeiten Ärger in den Mittelpunkt rücken, ist es we- Frustration sentlich, eine solche Entwicklung früh- zeitig zu erkennen und ihr als Unterrich- tendeR entgegen zu steuern. Erfahrung, Sozio- kontinuierliche Reflexion der eigenen ökonomische Arbeit, auch im kollegialen Gespräch Faktoren Abb. 3 und Supervisionen helfen, solche Fallen zu vermeiden. Eine vereinfachte Darstellung des »Behinderungsmodells« von Main und Spanswick (2000): Viele Betroffene können anhand dieses Modells Einflussfaktoren in ihrer individuellen Krankheitsgeschichte identifizieren. ● Selbsthilfe Direkte Strategien zur Therapie lassen sich daraus aber kaum ableiten. Wenn wir als YogalehrerInnen auf Menschen treffen, die mit oder wegen Rückenschmerzen unsere Hilfe suchen, sichts eines akuten Rückenschmerzes eine solche Haltung zeigen, gehören viel haben wir es natürlich mit einer ganz häufiger als andere zu denen, die schließlich mit einem chronischen Rücken- besonderen Auswahl zu tun. Wer zu problem zu tun haben. Aber Vorsicht: Mit schnellen Ratschlägen wie: »So uns kommt, ist motiviert, etwas für sich schlimm ist das doch alles gar nicht« oder gar der Vorstellung, jemand sei ei- selbst zu tun, ist überzeugt, dass eigene gentlich an seinem Zustand »selbst schuld« ist niemanden geholfen. Katastro- Aktivität etwas verändern kann und be- phisieren ist kein freiwillig gewählter Gemütszustand, den man einfach verlas- reit, die dafür nötige Zeit, Energie und sen könnte. Es ist vielmehr die Art und Weise, wie ein Mensch seine momenta- Kosten aufzubringen. Eine solche Hal- ne Lage tatsächlich ERLEBT. tung ist für einen kranken Menschen Und es ist eben dieses Erleben, das sich ändern muss. Wenn sich ein Mensch weder selbstverständlich noch kann durch Katastrophisieren in seiner Bewegungsfähigkeit und Stimmung mehr als man davon ausgehen, dass sie, einmal nötig einschränken lässt, so ist dies nicht »gewollt« und lässt sich durch einen gewonnen, nicht auch wieder verloren einfachen Willensakt (»ich sehe das jetzt einmal ganz anders«) kaum beheben. gehen kann: Etwa durch Frustration Dass und wie jemand chronischen Schmerz erfährt, ist Ergebnis eines Prozes- über eine Stagnation oder einer Ver- ses, der über lange Zeit »hinter seinem Rücken« stattgefunden hat. Diese Situ- schlechterung der Beschwerden ange- ation kann nicht von heute auf morgen verändert werden und es gibt auch sichts unvermeidbarer Belastungen. Und kein Patentrezept, das immer und für alle funktioniert. Vielmehr braucht es niemand, der immer wieder Schmerzen das In Gang Setzen eines neuen Prozess, der in die entgegen gesetzte ➟ hat, ist vor der Angst gefeit, vielleicht doch das Falsche zu üben, vielleicht doch ein hoffnungsloser Fall zu sein, 40 VIVEKA 38
NEUES ÜBER RÜCKENSCHMERZEN 2 vielleicht doch gerade die Ausnahme zu sein, bei der nichts mehr hilft... Yoga- Richtung wirkt. Dazu bedarf es für die Betroffenen vor allem der Erfahrung, lehrerInnen müssen akzeptieren kön- dass es noch Freiräume gibt, dass weniger Schmerz erlebbar wird und auch für nen, dass jemand auch einmal frustriert die Zukunft in den Bereich realistischer Möglichkeit rückt. Mut Machen und und mutlos ist ohne reflexartig positives Aufmunterung ist in diesem Zusammenhang sicher ein wichtiger Aspekt. Aber Denken einzufordern. Mut und Zuver- der Betroffene muss sich dabei auch verstanden fühlen und nicht allein gelas- sicht zu vermitteln kann dann gelingen, sen mit seinem Leid. »Damit müssen Sie halt leben«, »Dass Sie mit dieser wenn sich dieses Anliegen auf Verste- Bandscheibe überhaupt noch stehen können!« oder »Ihre Wirbelsäule ist 20 hen, Akzeptanz und Zuwendung grün- Jahre älter als Sie!« Solche Aussagen, wie sie (früher) von manchem Orthopä- det. den zu hören waren sind allerdings tatsächlich eine Katastrophe. Eindrücklich ist auch die Tatsache, dass Untersuchungen immer wieder zeigen: ● Vertrauen in die eigene Kraft Bei Rückenschmerzen auf den Erfolg passiver Behandlungsangebote zu ver- Yogapraxis lebt vom Vertrauen in trauen, ist wenig Erfolg versprechend. Vielmehr wird dies heute eher als ein Ri- die Möglichkeit, durch eigenes Zutun sikofaktor für die Entwicklung chronischen Rückenschmerzen verstanden. Stu- positive Veränderungen zu bewirken. dien zeigen: Wer zum ersten Mal von einer Schmerzattacke im Rücken betrof- Das Yoga Sûtra nennt dieses Vertrauen fen wird und sich viel von einer Heilung durch Massage verspricht wird nach in die eigene Kraft (Íraddha) die wesent- einigen Jahren eher zu jenen gehören, die unter chronischen Schmerzen lei- liche Voraussetzung für einen Erfolg im den. Yoga. Deshalb ist alles, was dieses Ver- Positiv dagegen wirkt sich eine Haltung aus, die auf eigenes Tun und Aktivität trauen fördert und stärkt, wesentlicher setzt. Wir Yogalehrende sind also in der glücklichen Lage, dass zu uns Men- Bestandteil der Yogaarbeit. Ein großer schen kommen, die bessere Chancen auf Überwindung ihrer Schmerzen ha- Teil unserer Arbeit mit Menschen, die an ben als der Durchschnitt: Sie glauben daran, dass positive Veränderung im Be- chronischen Schmerzen leiden, besteht reich der eigenen Möglichkeiten liegt. darin, sie darin zu unterstützen, wieder Zugang zu diesem Vertrauen in die eige- ne Kraft zu finden. . vielschichtiges System von Erklärungen Wirkung ab. Also: Wer sich in seinem ● Schmerz ist nicht gleich Leid und praktischen Übungskonzepten ent- Übungsangebot vor allem um den Rü- Eines der zentralen Konzepte des wickelt. In seinem Mittelpunkt steht die cken kümmert, womöglich noch dar- Yoga Sûtra stellt die Frage nach der Ver- Überzeugung, dass der Zugang zu unse- legt, welche Muskeln genau er wie stär- änderbarkeit von Leid. Wenn wir leiden, ren positiven Ressourcen vom Zustand, ken will, hat weniger Erfolg in der Hei- ist dies Ergebnis eines komplexen inne- von der jeweiligen Gestimmtheit unse- lung chronischer Rückenschmerzen als ren Geschehens. Zwar sieht das Yoga res Geistes abhängt. Die Erfahrung von jene, welche Verfahren benutzen, die Sûtra in Krankheit einen der wichtigsten Schmerz fördert jene Tendenzen in uns, den Körper ganzheitlich und nicht Auslöser für das Entstehen von Leid, welche die Möglichkeiten unseres Geis- »punktgenau« in Bewegung bringen. Niedergeschlagenheit und Hader. Aber tes beschränken, unsere Wahrneh- Trotzdem wäre es töricht, einer Rücken- wie zum Beispiel körperliche Schmerzen, mungsfähigkeit einengen. Dem können kranken, die zum Beispiel mit dem Kie- Behinderungen, ja selbst die Bedrohung wir aktiv etwas entgegensetzen, durch ser-Training (eine eher spezifische Me- unseres Lebens von uns empfunden entsprechendes Üben, durch ein besse- thode) gute Erfahrungen gemacht hat, werden, ist abhängig von der Art und res Verständnis unserer Selbst, durch die davon abzuraten oder vor die Wahl zu Weise, wie wir dies wahrnehmen, wel- Arbeit an einer Haltung von größerer stellen: Yoga oder Kieser. Oder jeman- che Gefühle sich damit verbinden, wel- Gelassenheit und Ruhe. den von Massagen abzubringen, ob- che Bedeutung es in unserer persön- wohl sie gut geholfen haben. Und lichen Werteskala einnimmt, wie es un- ● Chronische Schmerzen duldenn manchmal verschafft die wieder gefun- seren Blick in die Zukunft bestimmt. Die kein Besserwissen dene Möglichkeit regelmäßig im Wald Konzepte des Yoga ähneln hier in vielen Was hilft, ist richtig. Das gilt natür- zu laufen mehr Verbesserung der Punkten den Vorstellungen, welche lich nicht uneingeschränkt (wir wissen Rückenschmerzen als das tägliche Yoga- heute die Diskussionen über Schmerz- zum Beispiel, dass intensives Vorbeugen programm. Was hilft ist richtig und verarbeitung, Schmerzwahrnehmung heute Schmerzen erleichtert, aber mor- wenn wir jemand dabei zur Seite stehen und deren mögliche Veränderungen be- gen noch größere und dauerhafte Pro- können herauszufinden, was es stimmen. Hier wie dort wird die Frage bleme nach sich zieht). Aber es gilt für braucht, was taugt und was weniger gestellt, wie mentale Haltungen, wie alles Tun, von dem man mit einiger Si- taugt, um der Endlosschleife von Stimmungen entstehen und wie sie un- cherheit sagen kann, dass es nicht scha- Rückenschmerzen etwas entgegenzu- sere Wahrnehmung beeinflussen. Und det. Wir wissen zum Beispiel aus Unter- setzen, haben wir gute Arbeit geleistet. wie sich unsere innere Befindlichkeit suchungen: Je spezifischer Übungswei- ▼ und unsere Wahrnehmung verändern sen angelegt sind, desto schlechter lässt. Der Yoga hat zu diesen Fragen ein schneiden sie hinsichtlich ihrer positiven VIVEKA 38 41
THEMA Im Artikel zitierte Literatur: Leserbrief zu Viveka Nr. 37 Bertelmannstiftung: Tagungsunterlagen unter: www.ber- »Neues über Rückenschmerzen1« telsmann-stiftung.de > Gesundheit > Gesunde Lebenswel- Ich mache darauf aufmerksam, dass Manuelle Therapie ten > Prävention von Rückenschmerzen. Die wichtigsten bzw. Manualtherapie nicht identisch ist mit Chirotherapie. Vorträge waren: Volbracht, E. Prävention von Rücken- Die Chirotherapie, landläufig als »Einrenken« von Wirbeln schmerzen; Lühmann, D. Präventionspotential bei Rücken- und peripheren Gelenken bezeichnet, ist heute ein kleiner schmerzen und Pfeifer, K. Analyse von Rückenschule, alle Teil der Manualtherapie. gehalten im Dezember 2005. »Manuelle Therapie« ist die Therapie mit den Händen und Bigos, SJ. (Departement of Orthopedics, Harborview Medi- beinhaltet nach einer subtilen Diagnostik die Beseitigung cal Center, Seattle) et al., Back Pain, The uncomfortable einer so genannten »Funktionsstörung«. Diese Funktions- truth, deutsch: Rückenschmerz, die unangenehme Wahr- störung ist in den seltensten Fällen eine Gelenkblockie- heit; Ein Problem von Überzeugung und Aktivität, Der rung, vielmehr liegen – wie in Eurem Bericht ausführlich Schmerz, Bd.6, Heidelberg 2001, online 2004, erwähnt - komplexe Störmechanismen vor: Restriktionen http://www.springerlink.com/content/c1wqc6nx3u1y6njh über mehrere Etagen, Weichteilverquellungen mit ent- Hasenbring M., Klasen B. Psychologische und psychobio- sprechend gestörtem lokalem Stoffwechsel (Reflektorisch- logische Modelle der Schmerzchronifizierung, Psychoneuro, algetische Zonen) und auch Muskeltriggerpunkte durch Zeitschrift für Praxis und Klinik, 2005; 31, Thieme 2005. unflexible Bewegungsmuster gehören auch dazu. Kleinböhl D. et al. Schmerzgedächtnis und Sensibilisie- Sehr spät haben Orthopäden und andere Ärzte erkannt, rung, psychoneuro 2005; 31 (2), Thieme 2005 dass nicht zuviel Bewegung, sondern eine Bewegungs- Konföderation der deutschen Rückenschulen, Curricu- mangel (oder ein fehlerhafter fixierter Bewegungsstereo- lum zur Weiterbildung Rückenschullehrer/in als pdf-Doku- typ) für den Teufelskreis der chronischen Rückenschmer- ment unter: www.bdr-ev.de mit einer ausgezeichneten und zen verantwortlich ist. Herr Prof. Hildebrand hat da mit ei- umfangreichen Literaturliste nem Großteil der Vorurteile aufgeräumt. Das ist auch der Ljutow A., Nagel B. Wie schätze ich die Rückenschmerzsi- Grund, warum die Physiotherapie ohne Aktivmaßnahmen tuation meines Patienten ein? Zorthop (Zeitschrift für Or- bei chronischem Rückenschmerz quasi nicht wirksam ist. thopädie) 2005; 143:311 ff Eine Verurteilung der Manuellen Therapie als «Plazebo- Lühmann D., Kohlmann T., Raspe H. Die Evaluation von Wirkstoff« ist aus meiner Sicht jedoch fehl am Platz. Diese Rückenschulprogrammen als medizinische Technologie. He- Schlussfolgerung drängt sich freilich auf, wenn Therapeu- alth Technology Assessment. Schriftenreihe des Deutschen ten unkritisch jedes Problem als »Blockierung« bezeichnen Institutes für Medizinische Doku-mentation und Informa- und wen man die Manualtherapie aus rein wissenschaft- tion im Auftrag des Bundesministerium für Gesundheit. licher (evidence-based) Sicht betrachtet. Ich war selbst be- Band 2. Baden-Baden. Nomos (1998) teiligt an einer Multicenter-Studie der Uni Jena, in der die Main C.J., Spanswick C. Pain managemant, an interdisci- Reliabilität von Manualmedizinischen befunden getestet plinary approach. Eidinburh 2000 wurde. Ergebnis: schlecht für die Manualtherapie, kaum Pfingsten M., Hildebrandt J. Rückenschmerzen, in: Reproduzierbarkeit. Ich kennen aber auch den Unter- Psychologische Schmerztherapie, Springer 2004 schied zwischen einer reinen Technik und der komplexen Wörz R. Die multidimensionale, nonlineare Schmerzkon- manualmedizinischen Analyse eines ganz(heitlich)en Pro- zeption. Fortschritte der Medizin 119.Jg., Nr.III-IV/2001 blems, das immer ein Einfühlen in den Menschen und ge- Nachemson A., Jonsson E. Neck and Back Pain. Lippin- naue Kenntnisse der Biomechanik und Physiologie voraus- cott, Williams&Wilkins, 2000 (Ein vielzitiertes Standartwerk) setzt. Van Tulder M. W. Die Behandlung von Rückenschmerzen. So wie Ihr Yoga berechtigter Weise nicht auf die Anwen- (Institute for Research in Extramural Medicine & Depart- dung bestimmter Atem- und Körpertechniken reduzieren ment of Clinical Epidemiology and Biostatistics, Vrije Uni- wollt, so fühle ich mich bemüßigt, eine Lanze für die Ma- versity Medical Centre), Der Schmerz Band 6 Springer 2001 nualtherapie zu brechen, die – richtig verstanden und an- Des weiteren: gewandt – ein exzellentes Mittel zur Diagnostik und The- Sehr wissenschaftlich, sehr aktuell und alles in Englisch: Ei- rapie von Funktionsstörungen ist. Wie Yoga eben auch, ner der größten (amerikanischen) Datenbanken medizi- nur dass bei der Manualtherapie statt des visuell-sprach- nisch-wissenschaftlicher Artikel: »Pubmed« unter der lichen Kontaktes der kinästhetisch-nonverbale Sinneskanal Internetadresse: www.ncbi.nih.gov/entrez/query benutzt wird, vom Therapeuten wie vom Klienten. Unter www.springerlink.com/content findet sich eine um- Herzliche Grüße fangreiche Sammlung deutschsprachiger wissenschaftlicher Nikola S. Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Artikel des Springer-Verlags (hat nichts zu tun mit dem Medizin Bildzeitungs-Springer!) zu unterschiedlichsten Themen, die Oranienburg über eine Suchfunktion abrufbar sind. Das gleiche vom Thieme-Verlag unter: http://www.thieme- connect.de/ejournals/home.html 42 VIVEKA 38
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