Neuropsychologischer und klinischer Verlauf bei nichtneoplastischer limbischer Enzephalitis - Krause und ...
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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Neuropsychologischer und Homepage: klinischer Verlauf bei www.kup.at/ nichtneoplastischer limbischer JNeurolNeurochirPsychiatr Enzephalitis Online-Datenbank mit Autoren- Lehner-Baumgartner E und Stichwortsuche Baumgartner C, Prayer D, Serles W Journal für Neurologie Neurochirurgie und Psychiatrie 2003; 4 (3), 24-28 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21 Preis : EUR 10,–
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NEUROPSYCHOLOGISCHER UND KLINI- SCHER VERLAUF BEI NICHTNEOPLASTI- SCHER LIMBISCHER ENZEPHALITIS E. Lehner-Baumgartner1, W. Serles1, D. Prayer2, C. Baumgartner1 1 Abt. f. Klinische Epilepsieforschung, Univ.-Klinik f. Neurologie und 2Abt. f. Neuroradiologie, FALLBERICHT Univ.-Klinik f. Radiodiagnostik, Wien Patienten bei ca. 60 % antineuronale weils einige Sekunden bis maximal ZUSAMMENFASSUNG Antikörper (anti-Hu, anti-Ta und anti-Ma) nachgewiesen werden kön- 2 Minuten andauerten. Die Gedächt- nis- und Orientierungsstörungen nen [1]. In ca. 50 % der Fälle besteht waren letztlich so stark ausgeprägt, Wir präsentieren den Krankheitsver- als Primärtumor ein kleinzelliges daß der Patient bereits wenige Wo- lauf eines 61jährigen Patienten mit Lungenkarzinom, wobei auch Asso- chen nach Krankheitsbeginn seiner nichtparaneoplastischer limbischer ziationen mit anderen Tumoren, wie Tätigkeit als selbständiger Verleger Enzephalitis unter besonderer Berück- Thymomen, Lymphomen, Kolon- und nicht mehr nachkommen konnte. sichtigung der neuropsychologischen Hodenkarzinomen, in der Literatur Der Patient wurde deshalb im Mai Funktionsstörungen. Die Krankheit beschrieben wurden [1]. Eine andere 2001 an einer neurologischen Abtei- manifestierte sich mit einer ausge- Ursache für eine limbische Enzepha- lung aufgenommen, wobei sich im prägten zeitlichen und räumlichen litis besteht in einer Infektion mit EEG links fronto-temporal Zeichen Orientierungsstörung, einer deutli- Herpes-simplex-Virus Typ 1 [2]. einer erhöhten zerebralen Erregungs- chen Beeinträchtigung des Langzeit- Kürzlich wurde auch eine Variante bereitschaft und ein Herdbefund gedächtnisses bei unauffälligem der limbischen Enzephalitis beschrie- zeigten. Der Patient wurde daraufhin Arbeits- bzw. Kurzzeitgedächtnis ben, bei der sowohl eine paraneo- auf Phenytoin 200 mg Tagesdosis sowie in häufigen fokalen Anfällen plastische als auch eine herpetische eingestellt, ein Kontroll-EEG im wei- (ausgeprägte autonome und affektive Ursache ausgeschlossen werden teren Verlauf ergab einen unauffälli- Symptome, fakultative Bewußtseins- kann (sog. nichtherpetische oder gen Befund. Die Liquordiagnostik störung) mit teilweiser sekundärer nichtparaneoplastische limbische und die kraniale CCT waren unauf- Generalisierung. In der MRT zeigte Enzephalitis) [3, 4]. fällig, die neuropsychologische Dia- sich in den FLAIR-, T2- und diffusi- gnostik zeigte ein dysmnestisches onsgewichteten Sequenzen eine Obwohl die neuropsychologischen Syndrom. Der Patient wurde mit der deutlich hyperintense Darstellung Defizite, und hier insbesondere die Diagnose einer „nichtkonvulsiven der rechten mehr als der linken Hip- Gedächtnisstörung, das wohl we- Epilepsie“ entlassen, eine ambulante pokampusformationen. Unter einer sentlichste Kardinalsymptom der MRT-Untersuchung wurde empfoh- Kortisontherapie konnte eine Stabili- Erkrankung darstellen, wurden bis- len. sierung im Zustandsbild des Patien- her nur wenige Patienten mit limbi- ten erreicht werden. Aus neuropsy- scher Enzephalitis einer exakten Im Juni 2001 kam es zu einer massi- chologischer Sicht kann die limbische neuropsychologischen Diagnostik ven Verschlechterung des Allgemein- Enzephalitis als Modellerkrankung unterzogen [5–8]. Ziel des vorlie- zustands mit allgemeiner Schwäche, für das Studium der Funktion der genden Fallberichts ist es deshalb, Übelkeit, Desorientierung und fragli- Hippokampusformation für das den Krankheitsverlauf eines Patienten chen akustischen Halluzinationen. menschliche Gedächtnis angesehen mit nichtparaneoplastischer limbi- Der Patient wurde zur weiteren Dia- werden – Kurzzeit- vs. Langzeitge- scher Enzephalitis zu präsentieren, gnostik an unserer Abteilung aufge- dächtnis, anterograde vs. retrograde wobei das Hauptaugenmerk auf die nommen. Klinisch-neurologisch Amnesie, episodisches vs. semanti- Darstellung der neuropsychologi- zeigte sich dabei bis auf eine deutli- sches Gedächtnis, zeitliche Spezifität schen Funktionsstörungen gelegt che antero- und retrograde Amnesie der retrograden Amnesie. wurde. und eine Orientierungsstörung ein unauffälliger Status. Anamnestisch war zu diesem Zeitpunkt ferner ein massiver Gewichtsverlust von 76 auf EINLEITUNG KASUISTIK 64 kg bei 176 cm Körpergröße inner- halb von 2 Monaten nach Krankheits- beginn bemerkenswert. In der struk- Die limbische Enzephalitis ist eine Klinischer Verlauf turellen Abklärung mittels MRT zeigte seltene Erkrankung, die durch ein sich auf der FLAIR-Sequenz sowie amnestisches Syndrom, epileptische Bei dem 61jährigen, rechtshändigen auf den T2- und diffusionsgewichte- Anfälle und psychiatrische Auffällig- Patienten kam es Anfang Mai 2001 ten Sequenzen eine deutlich hyper- keiten (Persönlichkeitsveränderun- relativ akut zu einer Gedächtnis- und intense Darstellung des rechten mehr gen, Irritabilität, depressive Verstim- Orientierungsstörung sowie zu mehr- als des linken Hippokampus ohne mungen, Angstzustände und Hallu- fach täglich auftretenden Zuständen pathologische KM-Anfärbung bei zinationen) gekennzeichnet ist [1]. mit „komischem“ Gefühl in der ansonsten unauffälligen Verhältnis- Die Ätiologie ist heterogen: In den Magengegend, Übelkeit, Hyperven- sen – kompatibel mit einer limbi- meisten Fällen besteht eine paraneo- tilation, eingeschränkter Reagibilität schen Enzephalitis (Abb. 1). Unter plastische Genese, wobei bei diesen und polytopen Parästhesien, die je- der Annahme einer paraneoplasti- 24 J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 3/2003 For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
FALLBERICHT schen Genese erfolgte eine extensive hiermit keine befriedigende Anfalls- Funktionen, die auch in der neuro- Tumorsuche (unter anderem mittels kontrolle erzielt werden konnte. psychologischen Kontrolluntersu- CT des Thorax und Abdomens, Ultra- chung objektivierbar war. Der Patient schall des Hodens, Ganzkörper-PET, Unter der Arbeitshypothese einer konnte Ende Oktober erneut in häus- Ganzkörper-Knochenszintigraphie, limbischen Enzephalitis wurde eine liche Pflege entlassen werden. In der Mammographie, Gastroskopie, Kolo- Therapie mit intravenösen Immun- Folge wurde durch den Patienten noskopie, Bestimmung der Tumor- globulinen begonnen (0,4 g/kg KG bzw. dessen Angehörige die Cortison- marker, Bestimmung der antineuro- durch 5 Tage in Abständen von therapie mit Ende des Jahres 2001 nalen Antikörper anti-Hu, anti-Ri, 4 Wochen), die zu einer gewissen vollständig abgesetzt, worauf es er- anti-Jo), die negative Befunde er- Stabilisierung, jedoch zu keiner neut zu einer Verschlechterung der brachte. Die serologische Vaskulitis- grundlegenden Besserung des kognitiven Funktionen kam. Zudem diagnostik verlief ebenso negativ. Zustandsbildes führte. Der Patient traten auch mehrfach täglich die Differentialdiagnostisch wurde auch konnte schließlich in häusliche Pflege oben beschriebenen Zustände im an eine Hashimoto-Enzephalitis ge- entlassen werden, bedurfte aufgrund Sinne von fokalen Anfällen mit aus- dacht, wobei die Schilddrüsenhor- seines ausgeprägten amnestischen geprägten autonomen und affektiven monwerte, das TSH und die Schild- Syndroms jedoch einer ständigen Symptomen auf. drüsenautoantikörper im Normbe- Betreuung. reich waren. Ebenso blieb die Dia- Von Mitte Februar 2002 bis Anfang gnostik bezüglich eines Morbus Im August 2001 erlitt der Patient April 2002 ereigneten sich 4 schwere Whipple negativ. Da die oben be- seinen ersten generalisierten tonisch- generalisierte tonisch-klonische An- schriebenen anfallsartigen Zustände klonischen Anfall. Nach einem neu- fälle, bei denen sich der Patient unter unter der Therapie mit Phenytoin erlichen Immunglobulinzyklus wurde anderem eine Sternum- und eine nach kurzfristiger Besserung erneut eine intravenöse Cortisonstoßthera- Humerus-Fraktur zuzog. Er wurde täglich auftraten, wurde die anti- pie durchgeführt, an die eine orale deshalb Mitte April 2002 erneut epileptische Therapie auf Carba- Erhaltungstherapie angeschlossen stationär aufgenommen. In einer mazepin und in weiterer Folge auf wurde. Unter dieser Therapie kam es Kontroll-MRT bei der Aufnahme Gabapentin umgestellt, wobei auch zu einer Besserung der mnestischen zeigten sich hyperintense Verände- rungen im Hippokampusbereich beidseits, wobei nunmehr die linke Abbildung 1: Magnetresonanztomographie. Die axialen FLAIR-gewichteten Seite deutlicher betroffen war; zudem waren auch die fornikalen Sequenzen zeigen hyperintense Signalveränderung im Hippokampus beid- Bündel auf den T2-gewichteten seits (rechts mehr als links) Sequenzen deutlich signalgesteigert. Abbildung 2: Iktales EEG während des prolongierten Video-EEG-Moni- torings. EEG-Anfallsmuster, regio- nal linkstemporal (rhythmische Theta-Tätigkeit). Klinisch zeigte sich ein fokaler Anfall mit autonomer Symptomatik J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 3/2003 25
FALLBERICHT In einem prolongierten Video-EEG- in einem Tagesheim betreut werden. fanden sich bei der verzögerten Wie- Monitoring konnten zwei Anfälle mit Im weiteren Verlauf verbesserte sich dergabe (nach ca. 30 Minuten) mas- Bewußtseinsstörung, Hyperventila- seine kognitive Leistungsfähigkeit so sive Leistungseinbußen. tion, oralen und Handautomatismen weit, daß der Patient nunmehr wie- abgeleitet werden, wobei sich im der untertags alleine zu Hause leben In der Kontrolluntersuchung vom iktalen EEG bei einem Anfall ein kann. Die Anfallssituation konnte Juni 2002 zeigte sich eine weitere rechtstemporales Anfallsmuster, bei stabilisiert werden: Bis Jänner 2003 Verschlechterung der neuropsycholo- dem zweiten Anfall ein linkstempo- traten keine weiteren generalisierten gischen Kennwerte. Der Patient war rales Anfallsmuster zeigte (Abb. 2). tonisch-klonischen Anfälle mehr auf, zeitlich, räumlich und situativ völlig Im interiktalen EEG zeigten sich eine es kommt jedoch alle 1–2 Wochen desorientiert (die Orientierung zur generalisierte und bitemporale Ver- zum clusterartigen Auftreten von eigenen Person war noch erhalten), langsamung, es konnten jedoch fokalen Anfällen mit vegetativer weshalb eine weitere häusliche Be- keine Spikes abgeleitet werden. Begleitsymptomatik (Hyperventila- treuung nicht mehr möglich schien. Unter einer erneuten oralen Corti- tion, Sinustachykardie, Angst), wobei Die Gedächtnisleistung hatte sich so sontherapie kam es zu einer deutli- das Bewußtsein erhalten bleibt. stark verschlechtert, daß der Patient chen Frequenzreduktion der zuvor das klinische Bild eines anterograden täglichen fokalen Anfälle, generali- Neuropsychologischer Verlauf und retrograden amnestischen Syn- sierte tonisch-klonische Anfälle tra- droms bot. ten nicht mehr auf. Auch die mne- Die wesentlichen Ergebnisse der stischen Leistungen besserten sich neuropsychologischen Testungen im Aufgrund der massiven Orientierungs- langsam. Eine MRT-Kontrolle Anfang Verlauf sind in Tabelle 1 zusammen- und Gedächtnisstörung mußte der Juni 2002 ergab keinen Hinweis auf gefaßt. Bei der ersten stationären Patient unmittelbar nach der stationä- ein florides Geschehen, was als mög- Aufnahme im Juni 2001 stand aus ren Entlassung in einem Tagesheim liches Ansprechen auf die Therapie neuropsychologischer Sicht die aus- betreut werden. Durch die Fortfüh- gewertet wurde. Allerdings zeigte geprägte Orientierungsstörung (zeit- rung der oralen Cortisontherapie sich eine deutlich ausgeprägte bilate- lich und räumlich) im Vordergrund. verbesserte sich jedoch die kognitive rale Hippokampusatrophie. Der Pati- Zudem zeigten sich bei unauffälligem Leistungsfähigkeit so weit, daß der ent konnte Anfang Juni 2002 in häus- Arbeits- bzw. Kurzzeitgedächtnis im Patient seit Ende des Jahres 2002 liche Pflege entlassen werden. Bereich des Langzeitgedächtnisses wieder untertags alleine zu Hause deutliche Defizite, d. h., obwohl das leben kann. In der neuropsychologi- Aufgrund der massiven Orientierungs- unmittelbare Wiedergeben von kur- schen Untersuchung vom Jänner und Gedächtnisstörung mußte der zen Geschichten oder Wortlisten 2003 finden sich eine diskrete zeit- Patient nach der Entlassung zunächst weitgehend unbeeinträchtigt war, liche und eine deutliche räumliche Orientierungsstörung. Im eigenen Umfeld des Patienten ist jedoch die Tabelle 1: Zusammenfassung der erhobenen neuropsychologischen Parameter räumliche Orientierung weitgehend gegeben (z. B. kann der Patient alleine Testverfahren Juni 2001 Juni 2002 Jänner 2003 zum Supermarkt um die Ecke einkau- Standard Progressive Sehr gute Nicht Sehr gute fen gehen und findet auch wieder Matrices (SPM) intellektuelle durchgeführt intellektuelle zurück in die Wohnung). Die situa- Begabung Begabung tive Orientierung ist wieder voll her- Mini Mental Unterhalb der Norm Unterhalb der Norm Normal gestellt. Die anterograde Amnesie State (MMS) (Summenwert = 23) (Summenwert = 20) (Summenwert = 26) hat sich nur minimal gebessert, aber Zahlenspanne Normal Normal Normal der Patient kann mit diversen Kom- (vor- und rückwärts) pensationsstrategien die Gedächtnis- Blockspanne Normal Normal Normal störung so weit kontrollieren, daß er (vor- und rückwärts) wieder zu Hause betreut werden Verbales Langzeit- Unterhalb der Norm Keine Erinnerung Quasi keine kann. Die retrograde Gedächtnisstö- gedächtnis (Wieder- (Summenwert = 6) (Summenwert = 0) Erinnerung rung hat sich gegenüber der antero- gabe nach 30 Min.) (Summenwert = 3) graden deutlicher erholt, wenngleich Visuelles Langzeit- Nicht durchgeführt Keine Erinnerung Quasi keine weiterhin deutliche Erinnerungslük- gedächtnis (Wieder- (Summenwert = 0) Erinnerung ken vorhanden sind. Viele dieser gabe nach 30 Min.) (Summenwert = 3) „verlorenen“ Erinnerungen kann der Erfragen autobio- Deutlich Keine Erinnerung Deutlich Patient aber aufgrund seiner sehr graphischer Daten eingeschränkt (außer Name) eingeschränkt guten intellektuellen Begabung „re- konstruieren“. 26 J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 3/2003
FALLBERICHT Neben der Hippokampusformation unser Patient konnte länger vor DISKUSSION sind für die Konsolidierung auch der angrenzende entorhinale und peri- Krankheitsbeginn zurückliegende Gedächtnisinhalte besser abrufen als rhinale Kortex, der anteriore und der solche, die sich in einem kürzeren Die nichtneoplastische limbische mediale Thalamus sowie Strukturen Abstand vor Krankheitsbeginn oder Enzephalitis ist eine seltene Entität, des basalen Vorderhirns (mediales danach ereignet hatten. In Überein- die allerdings bei allen Patienten mit Septum, diagonales Band von Broca) stimmung mit anderen Berichten ist einem amnestischen Syndrom und erforderlich [9]. dies mit der Annahme einer zeitlich einer (schwer behandelbaren) Tem- spezifischen Bedeutung des Hippo- porallappenepilepsie in die differen- Bei unserem Patienten zeigten sich kampus bei retrograden Amnesien tialdiagnostischen Überlegungen sowohl eine anterograde als auch kompatibel. Länger zurückliegende einbezogen werden sollte. Differen- eine retrograde Amnesie, wobei die Ereignisse dürften demnach aus dem tialdiagnostisch sind eine Hashimoto- anterograde Amnesie deutlicher aus- Hippokampus „ausgelagert“ und Enzephalitis, eine zerebrale Manife- geprägt war. Das neuropsychologi- dann in parahippokampalen oder station im Rahmen eines systemi- sche Charakteristikum der anterogra- neokortikalen Strukturen gespeichert schen Lupus erythematodes, eine den Amnesie besteht in der Unfähig- werden [6]. Rasmussen-Enzephalitis, eine herpe- keit, neu gelernte Informationen tische limbische Enzephalitis und vor (semantisches Gedächtnis) und Ereig- Des weiteren zeigte unser Patient allem eine paraneoplastische limbi- nisse (episodisches Gedächtnis) frei eine ausgeprägte räumlich-topogra- sche Enzephalitis abzugrenzen [3]. wiederzugeben bzw. diese wieder- phische Orientierungsstörung (d. h., Bisher wurden die kognitiven Defi- zuerkennen. Dies deutet darauf hin, es traten Probleme in der realen zite von Patienten mit limbischer daß die Hippokampusformation ins- Orientierung und der Fortbewegung Enzephalitis nur in wenigen Fällen besondere für das Lernen (Enkodie- im dreidimensionalen Raum auf), mittels serieller formaler und exten- rung) und das Wiedergeben (freier was mit einer Schädigung des poste- siver neuropsychologischer Testbatte- Abruf und Wiedererkennen) von rioren Hippokampusanteils vereinbar rien systematisch untersucht [5–8]. neuen, bewußten Gedächtnisinhal- ist. Diese Beobachtung deckt sich Im Gegensatz zu anderen Erkrankun- ten von Bedeutung ist [10]. mit der Untersuchung von Hirayama gen mit amnestischen Syndromen et al. [8], die bei einer Patientin mit (Korsakoff-Syndrom, Zustand nach Bei der retrograden Amnesie kann es limbischer Enzephalitis die räumlich- Hypoxie, bilaterale Thalamusinfarkte – wie bei unserem Patienten – zudem topographische Orientierungsstörung etc.) zeigte sich bei unserem Patienten zu einem unterschiedlichen Betrof- als wesentliches Symptom beschrie- eine selektive, bilaterale Affektion fensein verschiedener Systeme des ben. von medialen temporalen Strukturen. Langzeitgedächtnisses kommen, wo- Dies ermöglicht einen eindrucksvol- bei insbesondere Gedächtnisinhalte Zusammenfassend ist das oft relativ len Einblick in die Bedeutung dieser mit einem autobiographischen Bezug akut ausgeprägte amnestische Syn- Strukturen für das menschliche nicht mehr erinnert werden (episo- drom bei nichtneoplastischer limbi- Gedächtnis, wobei die folgenden disches Gedächtnis), während das scher Enzephalitis prinzipiell medi- Aspekte besondere Beachtung ver- „Faktenwissen“ (u. a. Benennen des kamentös behandelbar und einer dienen. Bundespräsidenten, alphabetische neuropsychologischen Rehabilitation Reihe etc.) durchaus intakt sein kann zugänglich, was die Notwendigkeit Die deutliche Diskrepanz zwischen (semantisches Gedächtnis). Unsere einer korrekten und raschen Diagno- einem erhaltenen Kurzzeit- bzw. Ergebnisse stützen somit die Hypo- stik unterstreicht [3, 4, 7]. Arbeitsgedächtnis und einem hoch- these, daß die Einprägung episodi- gradig beeinträchtigten Langzeitge- scher Gedächtnisinhalte stärker an Literatur: dächtnis bestätigt die Hypothese einen intakten Hippokampus gebun- 1. Gultekin SH, Rosenfeld MR, Voltz R, Eichen J, einer Repräsentation des Kurzzeit- den ist als die semantischer [11]. Posner JB, Dalmau J. Paraneoplastic limbic en- gedächtnisses im Assoziationskortex So konnten Varga-Khadem et al. [12] cephalitis: neurological symptoms, immunologi- (verbales Kurzzeitgedächtnis: tem- in einer Studie bei jungen Erwachse- cal findings and tumour association in 50 patients. Brain 2000; 123: 1481–94. poro-parietaler Assoziationskortex nen, deren Hippokampi im Kindes- 2. Gordon B, Selnes OA, Hart J Jr, Hanley DF, der sprachdominanten Hemisphäre; alter degeneriert waren, feststellen, Whitley RJ. Long-term cognitive sequelae of visuell-räumliches Kurzzeitgedächt- daß diese zwar Schulwissen erwerben acyclovir-treated herpes simplex encephalitis. nis: parietaler Assoziationskortex der und behalten, jedoch keine persönli- Arch Neurol 1990; 47: 646–7. nicht sprachdominanten Hemisphäre) chen Ereignisse erinnern konnten. 3. Bien CG, Schulze-Bonhage A, Deckert M, Urbach H, Helmstaedter C, Grunwald T, Schaller sowie die Bedeutung der Hippokam- C, Elger CE. Limbic encephalitis not associated pusformation für Konsolidierungsvor- Zudem zeigte sich eine zeitlich spe- with neoplasm as a cause of temporal lobe epi- gänge in das Langzeitgedächtnis. zifische retrograde Amnesie, d. h., lepsy. Neurology 2000; 55: 1823–8. J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 3/2003 27
FALLBERICHT 4. Mori M, Kuwabara S, Yoshiyama M, Kanesaka T, 8. Hirayama K, Taguchi Y, Sato M, Tsukamoto T. ential effects of early hippocampal pathology on Ogata T, Hattori T. Successful immune treatment Limbic encephalitis presenting with topographi- episodic and semantic memory. Science 1997; for non-paraneoplastic limbic encephalitis. J Neurol cal disorientation and amnesia. J Neurol Neuro- 277: 376–80. Sci 2002; 201: 85–8. surg Psychiatry 2003; 74: 110–2. 5. Martin RC, Haut MW, Goeta-Kreisler K, 9. Schuri U. Gedächtnisstörungen. In: Sturm W, Blumenthal D. Neuropsychological functioning Herrmann M, Wallesch CW (Hrsg). Lehrbuch der in a patient with paraneoplastic limbic encepha- klinischen Neuropsychologie. Swets & Zeitlinger litis. J Int Neuropsychol Soc 1996; 2: 460–6. Publishers, Lisse, NL, 2000; 375–91. 6. Kapur N, Brooks DJ. Temporally-specific retro- 10. Delis DC, Lucas JA, Kopelman MD. Memory. Korrespondenzadresse: grade amnesia in two cases of discrete bilateral In: Fogel BS, Schiffer RB, Rao SM (eds). Synopsis hippocampal pathology. Hippocampus 1999; 9: ao. Univ.-Prof. Dr. med. Christoph of Neuropsychiatry. Lippincott Williams & 247–54. Wilkins, Philadelphia, 2000; 169–91. Baumgartner 7. Bak TH, Antoun N, Balan KK, Hodges JR. 11. Tulving E, Markowitsch HJ. Episodic and Abt. für Klinische Epilepsieforschung Memory lost, memory regained: neuropsycho- declarative memory: role of the hippocampus. Universitätsklinik für Neurologie logical findings and neuroimaging in two cases of paraneoplastic limbic encephalitis with radi- Hippocampus. 1998; 8: 198–204. 1090 Wien, Währinger Gürtel 18–20 cally different outcomes. J Neurol Neurosurg 12. Vargha-Khadem F, Gadian DG, Watkins KE, E-Mail: Psychiatry 2001; 71: 40–7. Connelly A, Van Paesschen W, Mishkin M. Differ- christoph.baumgartner@univie.ac.at
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