WILLKOMMEN AUF DEUTSCH - DOK MACHT SCHULE
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DOK macht Schule Willkommen auf Deutsch 26.10. – 1. 11.2015 58. INTERNATIONALES LEIPZIGER FESTIVAL FÜR DOKUMENTAR– UND ANIMATIONSFILM WWW.DOK-LEIPZIG.DE
DOK macht Schule Mit seinen Schulvermittlungsprojekten bietet DOK Leipzig Lehrern/innen die Möglichkeit, sich gemein- sam mit ihren Schülern/innen ausgesuchte Dokumentarfilme im Kino anzuschauen. Das Vermittlungskonzept von „DOK macht Schule“ besteht aus drei Teilen: • Schulvorbereitungsstunden vor der Vorführung in den Schulklassen • Filmhefte, die den Lehrern/innen eine individuelle Vor- und Nachbereitung ermöglichen • Vorführung mit anschließender Diskussion mit den Filmemachern/innen Inhaltsverzeichnis DOK macht Schule2 Inhalt3 Thema6 Zur Filmsprache12 Unterrichtsvorschläge18 Materialien19 Literaturhinweise, Links und Filmempfehlungen22 Impressum: Herausgeber: DOK Leipzig (V.i.S.d.P.) Adresse: Leipziger Dok-Filmwochen GmbH, Katharinenstr. 17, 04109 Leipzig, Tel.: +49 (0)341 30864-0, Fax: +49 (0)341 30864-15, info@dok-leipzig.de, www.dok-leipzig.de Autorin: Luc-Carolin Ziemann Redaktion: Andreas Kötzing Layout: Lisa Gerkens Bildnachweis: Pier53 Lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License © März 2015
Filmheft | Willkommen auf Deutsch | 3 Inhalt Carsten Rau und Hauke Wendler Carsten Rau (Autor, Regisseur, Produzent) wurde 1967 in Hamburg geboren. Er studierte Politische Wissenschaften und Geschichte in Hamburg und Berlin. Von 1993 bis 2006 arbeitete er als Autor, Regisseur und Reporter für das NDR Fernsehen. 2006 gründete er zusammen mit Hauke Wendler die Filmproduk- tionsfirma PIER 53 in Hamburg. Gemeinsam realisieren sie Dokumentationen, Dokumentarfilme und Reportagen für öffentlich-rechtliche Sender und fürs Kino. (Quelle: www.willkommen-auf-deutsch.de) Hauke Wendler (Autor, Regisseur, Produzent) wurde 1967 in Bremen gebo- ren. Er studierte Politische Wissenschaften und Geschichte in Hamburg und London und verfasste mehrere Bücher zu den Themen Medienpolitik und Mi- gration. Von 1995 bis 2006 arbeitete er als Autor, Regisseur und Reporter für das NDR Fernsehen. Für ihre gemeinsamen TV-Produktionen wurden Carsten Rau und Hauke Wendler mehrfach für den Grimme-Preis nominiert. (Quelle: www.willkommen-auf-deutsch.de) Gemeinsame Filmographie 2014 Willkommen auf Deutsch , 2011 Wadim Willkommen auf Deutsch Deutschland 2014, 90 min. Filmformat: DCP Sprache: Deutsch Buch und Regie: Carsten Rau und Hauke Wendler Produktion: PIER 53 Filmproduktion Kamera: Boris Mahlau Schnitt: Stephan Haase Ton: Torsten Reimers, Detlev Meyer, Patrick Benze Redaktion: Barbara Denz und Gudrun Hanke-El Ghomri Förderung: Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und Nordmedia – Film- und Mediengesellschaft Niedersachsen/Bremen. Verleih: Brown Sugar Films Altersempfehlung Altersempfehlung: ab 14 Jahren Klassenstufen: ab 9. Klasse Themen: Asyl, Integration, Flüchtlinge, Rassismus, Fremde Kulturen, kulturelle Identität, Heimat, Vorurteile Unterrichtsfächer: Gemeinschaftskunde/Sozialkunde, Politik, Geschichte, Philosophie, Ethik/Religion
Filmheft | Willkommen auf Deutsch | 4 Wie reagieren Menschen, wenn in ihrer Nachbar- Die Regisseure beobachten zwei kleine Gemeinden schaft Asylbewerber untergebracht werden? „Will- in Niedersachsen, in denen Flüchtlinge untergebracht kommen auf Deutsch“ geht diesem Thema nach und werden sollen. Sie erleben, wie sich Bürgerinitiativen beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Auswir- gründen, die sich angesichts der neuen Nachbarn um kungen der Asyl- und Flüchtlingspolitik. Im Zen- das Wohl ihrer Kinder und den Verkaufswert ihrer trum des Films stehen die vielzitierte „Willkommens- Eigenheime sorgen. Sie lernen aber auch Menschen kultur“ und die Frage nach der Offenheit gegenüber kennen, die sich ohne Wenn und Aber für die Flücht- Migranten in Deutschland. linge einsetzen. Für die Asylsuchenden selbst ist die Ankunft in Deutschland zwar oft das Ende einer jah- relangen Odyssee, doch viele Probleme dämpfen ihre Erwartungen an die neue Heimat.
Filmheft | Willkommen auf Deutsch | 5 Übersicht der mitwirkenden Larisa Reiner Kaminski Die 21-jährige Larisa ist mit ihrer Mutter und ihren Der Leiter des Fachbereichs Soziales beim Land- fünf jüngeren Geschwistern aus Tschetschenien nach kreis Harburg ist zuständig für die Unterbringung Deutschland gekommen, um Asyl zu beantragen. von Asylbewerbern. Er bemüht sich darum, eine Will- Nach der Ankunft wird die Mutter aufgrund psychi- kommenskultur von amtlicher Seite zu fördern und scher Probleme ins Krankenhaus eingeliefert. Larisa trifft dabei – besonders bei der Einrichtung von Un- muss allein die Verantwortung für ihre fünf jüngeren terkünften – immer wieder auf Widerstand aus der Brüder übernehmen. Bevölkerung. Ingeborg Neupert Hartmut Prahm Die 80-jährige Rentnerin aus Tespe kümmert sich Der Bürger aus Appel ist einer der Mitbegründer ehrenamtlich um Larisas Familie. Sie hilft ihnen bei der Bürgerinitiative gegen das geplante Asylbewer- Fragen und Problemen mit den Ämtern und lernt mit berheim. Er sagt, die Menschen in Appel wären im den Kindern Deutsch. Trotz ihres hohen Alters in- Großen und Ganzen offen für Fremde, aber 53 Asyl- vestiert sie viel Kraft und Mühe in die Hilfe und ge- bewerber seien „nicht sozial verträglich“ für den klei- winnt in ihrem Freundeskreis weitere Unterstützer/ nen 400 Seelen-Ort. innen. Malik und Abida Das Ehepaar stammt aus Pakistan und musste von dort fliehen. Abida ist Christin, Malik gläubiger Mus- lim – aufgrund ihrer unterschiedlichen religiösen Überzeugungen wurden sie in ihrer Heimat bedroht und verfolgt.
Filmheft | Willkommen auf Deutsch | 6 Thema Willkommenskultur in Rassismus, der „nicht so Willkommenskultur Deutschland gemeint“ ist Als Willkommenskultur bezeichnet man die Offenheit gesellschaftlicher Struk- In Deutschland wurden zwar In der Eröffnungsszene beglei- turen gegenüber Fremden. Das beinhal- verschiedene Maßnahmen zur tet die Kamera Hartmut Prahm tet einerseits eine offene und tolerante Haltung bei jedem Einzelnen, aber auch Förderung einer Willkommens- auf einem Spaziergang durch das offene Strukturen von Organisationen kultur eingeführt, jedoch gibt es idyllische niedersächsische Dorf und Institutionen im Umgang mit Men- schen, die in ein Land einwandern. Als immer noch Probleme in der Um- Appel. Der großgewachsene Mann Grundlage für eine Willkommenskultur setzung. Im Umgang mit Vielfalt zeigt dem Filmteam sein Dorf und gilt ein „Wir-Gefühl“, das auch Migranten einschließt. Damit verbunden ist die Ent- werden nach wie vor verschiedene hebt bei jedem Auto, das vorbei- wicklung einer Anerkennungskultur, die Formen der Diskriminierung beo- fährt, die Hand zum Gruß – in die bereits bestehende kulturelle Vielfalt der deutschen Gesellschaft als Norma- bachtet (Vgl. Carrel 2013) und es Appel kennt man sich, nur knapp lität und Ressource für gesellschaftliche gibt gesellschaftliche Strömungen, 450 Menschen wohnen hier. Als Entwicklung würdigt. die die Zuwanderung stärker be- bekannt wurde, dass im leerste- Flüchtling grenzen möchten. Mit den stei- henden Alten- und Pflegeheim Personen, die aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder Religion in ihrem Hei- genden Flüchtlingszahlen der Menschen untergebracht werden matstaat verfolgt werden bzw. aufgrund letzten Jahre (Grafik siehe Attach- sollen, die in Deutschland Asyl der sozialen, wirtschaftlichen oder poli- tischen Bedingungen bzw. wegen eines ment, S. 3) hat die Diskussion über beantragt haben, dauerte es nicht (Bürger-)Krieges ihr Heimatland verlas- den Umgang mit Migration und lange, bis sich dagegen eine Bür- sen mussten. Der Hohe Flüchtlingskom- missar der Vereinten Nationen (UNHCR) Flüchtlingen in Deutschland eine gerinitiative gründete. gibt an, dass die Anzahl der Flüchtlinge, neue Intensität erreicht. Immer Hartmut Prahm ist deren Vorsit- die ihr Heimatland verlassen mussten, 2013 weltweit knapp 20 Mio. betrug. wieder kommt es zu – teilweise zender. Er begründet den Wider- Schätzungen, die auch die Vertriebenen gewalttätigen – Protesten, wenn stand gegen die Unterbringung innerhalb der eigenen Länder (Binnen- Flüchtlinge) einkalkulieren, belaufen sich neue Unterkünfte für Flüchtlinge mit rationalen Argumenten, wie auf ca. 51 Mio. Flüchtlinge. geplant werden. Diese Entwick- zum Beispiel der fehlenden In- Asyl lung war für Hauke Wendler und frastruktur. Im Verlauf des Films Ein geschützter Aufenthaltsort, im Grie- Carsten Rau der Anlass, sich dem wird aber deutlich, dass der Pro- chischen der „Ort, von dem man nicht ge- waltsam weggeholt wird“. Unser Grund- Thema filmisch zu nähern. Dabei test auch durch irrationale Äng- gesetz gewährt politischen Flüchtlingen beleuchten sie ganz bewusst ver- ste („Da kann man ja seine Kinder Asyl. Dieses unbefristete Aufenthalts- recht in Deutschland wird nur denjenigen schiedene Perspektiven: Zu Wort nicht mehr auf die Straße lassen!“) gewährt, bei denen eine Prüfung ergibt, kommen Flüchtlinge und deren genährt wird. Hinzu kommt der dass sie wegen politischer Verfolgung (und nicht z.B. aus wirtschaftlichen Grün- Unterstützer/innen, aber auch kri- Unmut darüber, in die Planungen den) ihre Heimat verlassen haben. tisch eingestellte Bürger/innen nicht eingebunden gewesen zu Bürgerinitiative sowie Mitarbeiter/innen von Be- sein: Interessenvereinigung von Bürgerinnen hörden und politischen Initiati- Obwohl Appel wie viele andere und Bürgern, die sich aufgrund eines kon- kreten Anlasses organisiert haben und ven. Der Film behandelt einerseits ländliche Regionen unter Abwan- sich um Abhilfe im Sinne ihres Anliegens die Ängste und das Unverständ- derungstendenzen leidet, wollen bemühen, z.B. dass eine Umgehungs- straße gebaut wird. Im Gegensatz zu nis derer, die ihre Heimat durch sich die Alteingesessenen nicht Parteien wollen Bürgerinitiativen nicht auf den Zuzug von „Fremden“ be- „von oben“ diktieren lassen, wer zu Dauer bestehen, nehmen nicht an Wahl- en teil und haben auch kein allgemeinpo- droht sehen. Er zeigt anderer- ihnen gehören soll und wer nicht. litisches Programm. Sie können aber zu seits aber auch die Erlebnisse und 53 Flüchtlinge in einem Ort mit Vorstufen politischer Parteien werden. Hoffnungen von Menschen, die in 450 Anwohnern: Dieser Plan sei Deutschland nicht nur vorrüber- „sozial unverträglich“. gehend Schutz suchen, sondern dauerhaft eine neue Heimat fin- den möchten.
Filmheft | Willkommen auf Deutsch | 7 Als Alternative schlagen die Anwohner vor, zehn Asylbewer- ber im Gasthaus ‚Deutscher Hof‘ unterzubringen. Tatsächlich kann man die be- hördliche Planung hinterfra- gen, doch in der dünn besiedel- ten Region südlich von Hamburg gibt es nur wenig geeignete Orte und Objekte, um die gut 1000 Asylbewerber unterzubrin- gen, die der Landkreis nach dem Königssteiner Schlüssel ins- gesamt aufnehmen muss. Dazu kommt, dass Einwohner hier, wie auch in anderen Teilen von Tatsächlich wird das Altenheim als Königssteiner Schlüssel Deutschland nach dem St. Flori- Standort schließlich fallen gelas- Jedes Bundesland nimmt eine bestimmte Zahl von Asylsuchenden auf. Diese Auf- ans-Prinzip reagieren: „Generell sen und steht nun weiter leer. Der- nahmequote wird nach dem sogenann- habe ich nichts gegen Ausländer, weil beziehen zehn Flüchtlinge ten „Königsteiner Schlüssel“ festgesetzt. Dieser wird für jedes Jahr entsprechend solange sie nicht direkt neben mir aus Albanien und Syrien ihre Zim- der Steuereinnahmen und der Bevölke- einziehen.“ mer im Gasthof ‚Deutsches Haus‘. rungszahl der Länder berechnet. Schon bevor die ersten Flücht- St.-Florians-Prinzip linge nach Appel kommen, haben Hingehen statt Eine egoistische Geisteshaltung nach dem Grundsatz, das eigene Umfeld mög- die Bürger genaue Vorstellungen Wegschauen lichst problemfrei zu halten und Unange- über ihre potentiellen neuen Bereits einige Zeit vorher hatte nehmes möglichst weit weg zu schieben, obwohl dann andere davon betroffen Nachbarn. In ihren emotionalen das Filmteam im 70 Kilometer werden. Im Englischen spricht man vom Äußerungen schwingen auch entfernten Tespe mit den Drehar- NIMBY-Prinzip. NIMBY ist ein Akronym für „Not in my backyard“. rassistische Ressentiments mit. beiten begonnen, als dort gerade So unterstellt Hartmut Prahm den eine siebenköpfige Flüchtlings- Rassismus Rassismus ist eine Ideologie der Un- Flüchtlingen beispielsweise, dass familie aus Tschetschenien ange- gleichwertigkeit. Sie teilt die Menschen sie aufgrund ihrer „männlichen kommen war. Auch hier regte sich aufgrund ihrer vermeintlichen oder realen Herkunft, Hautfarbe, Sprache oder eth- Bedürfnisse“ eine Gefahr für die Widerstand gegen die Flüchtlinge, nischen Zugehörigkeit in verschiedene Frauen und Kinder des Dorfes die in einer zur Wohnung umge- Gruppen ein und weist diesen unverän- derliche, meist negative Eigenschaften werden könnten. Er wisse nicht, so bauten ehemaligen Sparkassen- oder Handlungen zu. Ihrer eigenen Grup- Prahm in einer öffentlichen Dis- filiale untergebracht sind. Die al- pe sprechen Rassisten meist eine natürli- che Überlegenheit zu und leiten daraus kussion, wie lange der Protest noch leinerziehende Mutter erlitt einen das Recht zur Benachteiligung anderer friedlich bleiben werde. Sollte Zusammenbruch und musste da- ab. Der sog. Alltagsrassismus beschreibt die Übernahme von Rassismus in alltäg- das Heim wirklich gebaut wer- nach monatelang im Krankenhaus lichen Situationen. Es handelt sich dabei den, könne er für nichts garantie- betreut werden. oft um rassistische Bezüge in der All- tagssprache und im Alltagsbewusstsein ren. Als selbst diese Drohung nicht und um Ausgrenzungspraxen, bei denen zum gewünschten Ergebnis führt, Menschen oder Menschengruppen auf- grund eines Merkmals (Hautfarbe, Her- greift die Bürgerinitiative zu ju- kunft, Geschlecht etc.) in einer subtilen ristischen Mitteln, um den Einzug Art und Weise diskriminiert werden. der Flüchtlinge durch baurecht- liche Einsprüche zu verhindern.
Filmheft | Willkommen auf Deutsch | 8 Die Verantwortung für die fünf minderjährigen Jungen trägt seit- dem die erst 21-jährige Larisa. Tat- kräftig unterstützt wird die junge Frau von älteren Damen aus dem Ort, die die harsche Ablehnung aus Tespe entsetzt hat: „Als ich das hörte von dem Protest gegen die Familie habe ich mich er- schrocken und habe gedacht, oh Gott, was wohnen hier für harte Menschen.“ Ingeborg Neubert Einige der Rentnerinnen um die 80-jährige Ingeborg Neubert haben nach dem Zweiten Welt- krieg selbst erlebt, wie sich Flucht Mittendrin: Ein Beamter Drittstaatenregelung/ Dublin-III-Verordnung und Ausgrenzung anfühlen. Nun zwischen Bürokratie und Die Drittstaatenregelung besagt, dass wollen sie dazu beitragen, dass sich Menschlichkeit Asylsuchende, die von ihrem Herkunfts- land über einen sicheren Drittstaat nach Larisa und ihre Familie in Tespe Rainer Kaminski, der Leiter des Deutschland eingereist sind, keinen An- bald zu Hause fühlen. Angesichts Fachbereichs Soziales beim Land- spruch auf Asyl in Deutschland haben. Sie werden auf Anordnung des Bundes- der fragilen Gesundheit der Mut- kreis Harburg, weiß, dass nur ein amtes an den für sie zuständigen sicheren ter werden die freiwilligen Helfe- verschwindend geringer Teil der Drittstaat, der ihr letzter Aufenthaltsort war, zurückgeführt. Diese Anordnung rinnen zur unverzichtbaren Stüt- Menschen, die in Deutschland wird auch Abschiebungsanordnung ge- ze der Familie. Ingeborg Neubert Asyl beantragen, auch dauerhaft nannt. lernt mit den Kindern Deutsch hier leben darf. Die Anerken- Asylverfahren und unterstützt Larisa im Um- nungsquote bei Asylanträgen lag Erreichen Geflüchtete die Bundesrepu- blik, stellen sie einen Asylantrag. Das gang mit den Behörden. Das ist im Jahr 2014 bei 1,8 Prozent. Asylverfahren kann unterschiedlich lan- nicht einfach, denn das deutsche ge dauern – von mehreren Monaten bis zu mehreren Jahren. Nur ca. 1,8 % der Asylrecht ist kompliziert. So ist Dazu kamen ungefähr 30 Pro- Asylanträge werden positiv entschieden. die tschetschenische Familie akut zent, die als Flüchtlinge anerkannt Weitere 30 % der Antragsteller werden zwar nicht als asylberechtigt, aber als von Abschiebung bedroht, weil werden und solange in Deutsch- Flüchtling anerkannt. Sie erhalten einen sie über Polen nach Deutschland land bleiben dürfen, bis sich die temporären Aufenthaltstitel, der jederzeit widerrufen werden kann, wenn sich die eingereist ist, um hier Asyl zu be- politische Situation in ihrem Hei- Situation im Heimatland ändert. antragen. Die sogenannte Dritt- matland verbessert hat. (Quelle: Anerkennungsquote staatenregelung besagt jedoch, BAMF) Die Anerkennungsquote beziffert, wie dass ein Asylverfahren nur dort Als Vertreter des Staates ist Rai- viele Asylgesuche positiv entschie- den werden. Neben der Anerkennung möglich ist, wo die Asylsuchenden ner Kaminski dafür zuständig, die als Asylbewerber, die nur recht weni- zuerst ein sogenanntes „sicheres Asylsuchenden angemessen zu be- ge Antragsteller erreichen, existieren weitere Aufenthaltsarten. So wird eine Drittland“ im Geltungsbereich der treuen und die vielzitierte Will- vergleichsweise größere Zahl der Asyl- Dublin-III-Verordnung betreten kommenskultur – gemäß den ge- bewerber als Flüchtling anerkannt und darf so lange in Deutschland bleiben, bis haben. Folglich hätte die Familie setzlichen Vorgaben - umzusetzen. sich die politische Situation in ihrem Hei- eigentlich in Polen ihren Asylan- matland ändert. In diesem Fall wird der Status geändert und eine Ausreise ge- trag stellen müssen. fordert. Erfolgt diese nicht freiwillig, wird sie durch eine Abschiebung erzwungen. (Quelle: BAMF)
Filmheft | Willkommen auf Deutsch | 9 Der Beamte betont jedoch mehr- fach, wie notwendig es seiner Mei- nung nach ist, das Ausländerrecht zu modifizieren. Als mindestens ebenso elementar wie staatliche Leistungen bewertet er das ge- samtgesellschaftliche Engagement für Flüchtlinge. Dass sich genau dieses Engagement nicht erzwin- gen lässt, sondern nur von den Bürger/innen vor Ort ausgehen kann, erlebt er allerdings täglich. Wenn sich Anwohner/innen wie in Appel durch die Anwesenheit von Flüchtlingen bedroht fühlen, ist Kaminski als Vermittler gefragt: Die Angst vor „Überfremdung“ das Gefühl erzeugen, dass der ei- Er muss eine Eskalation verhin- zeigt sich im Film am deutlichs- gene Status Quo bedroht ist. dert, indem er versucht, die Inte- ten bei Hartmut Prahm, dem Vor- Wie wichtig persönliche Begeg- ressen des Staates, der Flüchtlinge sitzenden der Bürgerinitiative. Er nungen sind, veranschaulicht der und der Anwohner/innen auszu- schätzt an Appel nicht nur die Film anhand von Ingeborg Neu- gleichen. Sein langfristiges Ziel Ruhe und Beschaulichkeit, son- pert. Für sie war Zuwanderung ist es, ein gesellschaftliches Klima dern auch die Tatsache, dass er lange kein Thema – in der nie- herzustellen, in dem die Anwoh- in dem kleinen Ort selbst Ein- dersächsischen Kleinstadt gab es ner/innen den Flüchtlingen Em- fluss auf die Gestaltung seiner Le- schließlich kaum Flüchtlinge oder pathie und Hilfsbereitschaft ent- bensumstände hat. Die geplante Migranten. Erst als sie durch die gegen bringen. Bis dahin kann es Asylunterkunft beunruhigt ihn massive Abwehr gegen Larisas Fa- jedoch ein langer Weg sein, auf nicht nur wegen der Flüchtlinge, milie aufgeschreckt wurde, be- dem Kaminski immer wieder auch sondern auch weil er sich von den gann sie, sich mit dem Thema Asyl persönlich zum Zielpunkt von Ag- politischen Entscheidungsträgern zu beschäftigen. gressionen wird. übergangen fühlt. Kontakttheorie Das Beispiel veranschaulicht, Soziologisches Theorem, das 1954 von Gordon Allport formulierte und 1998 Heimat Deutschland? Ver- dass es häufig vor allem an per- von Andrew Pettigrew weiter entwickelt schiedene Perspektiven auf sönlichen Kontakten zwischen wurde. Die Kontakttheorie spezifiziert Bedingungen, unter denen interethnische ein begehrtes Gefühl Deutschen und Migranten man- Vorurteile reduziert werden können. För- Die Mitwirkenden in „Willkom- gelt. Wie in der Kontakttheorie derlich sind demzufolge der persönliche Kontakt zwischen Angehörigen der ver- men auf Deutsch“ sprechen über beschrieben, wären allerdings ge- schiedenen Gruppen sowie die Existenz ihre Heimat bzw. den Heimatver- rade solche Begegnungen geeig- gemeinsamer Ziele und ein vergleich- barer sozialer Status. lust. Dabei messen alle – Flücht- net, um die vorhandenen Ängste linge wie Alteingesessene – der in der Bevölkerung abzubauen. Heimat einen hohen Wert zu. (Vgl. Winkler, 2003) Ohne per- Viele Alteingesessenen sehen die sönliche Erfahrungen können ab- Flüchtlinge, die auf der Suche strakte Statistiken über steigende nach einem neuen Zuhause nach Asylbewerberzahlen – unterstützt Deutschland kommen, jedoch als durch eine dramatisierende Me- Bedrohung der eigenen Heimat an. dienberichterstattung – durchaus
Filmheft | Willkommen auf Deutsch | 10 Durch ihren direkten Kontakt mit der Familie registrierte sie, wie sehr der Verlust der Heimat die Psyche der ganzen Familie beein- trächtigt hat. Besonders die Tatsa- che, dass Larisa trotz der schwie- rigen Umstände gern mit ihrer Familie in Tespe bleiben möchte, machte ihr bewusst, wie groß die Sehnsucht der jungen Tschetsche- nin nach einer neuen Heimat ist. Es ist nicht ohne Ironie, dass La- risa – ähnlich wie Hartmut Prahm – an Deutschland vor allem die Ruhe gefällt. Genau daran müs- Vielfalt als Chance und Abgesehen von der Frage nach sen sich Malik und Abida aus Pa- Integration als Notwen- dem gesellschaftlichen Nutzen, kistan erst noch gewöhnen. Sie digkeit den Zuwanderer für unser Ge- realisieren schon kurz nach ihrer Malik und Abida haben in ihrer meinwesen haben, wirft „Will- Ankunft, wie groß die kulturel- Heimat beide in leitenden Positi- kommen auf Deutsch“ die grund- len Unterschiede zwischen ihrer onen in Nichtregierungsorgani- sätzliche Frage auf, wie Menschen alten und ihrer neuen Heimat sationen gearbeitet. Sie sind Aka- aus ganz unterschiedlichen Kul- sind – besonders der Kontakt und demiker und sprechen mehrere turkreisen in Deutschland inte- der Austausch mit anderen Men- Sprachen fließend. Damit gehören griert werden können. Der Film schen fehlt ihnen in Tespe. Anders sie ohne Zweifel in die Kategorie macht deutlich, dass Integrati- als Larisa, die sehr scheu ist und der gutausgebildeten Zuwande- on nicht verordnet werden kann. die Wohnung nur selten verlässt, rer, um die der deutsche Staat seit Eine Willkommenskultur, die es macht sich das Ehepaar schon kurz einigen Jahren mit verschiedenen den Ankommenden so einfach wie nach seiner Ankunft auf den Weg, Kampagnen wirbt. Spätestens mit möglich macht, sich hier heimisch um in einer nahen Kirchgemeinde dem Migrationsbericht 2014 hat zu fühlen, kann nicht gegen den mit Einheimischen und anderen sich die Einsicht manifestiert, dass Willen der Bevölkerung, sondern Migranten ins Gespräch zu kom- Deutschland in Zukunft noch we- nur mit der Unterstützung der men. Beide gehen selbstbewusst sentlich mehr Zuwanderung benö- Einheimischen entstehen. Eine vo- auf Fremde zu und reflektieren tigen wird, da unser Renten- und rausschauende und transparente die kulturellen Unterschiede zwi- Sozialsystem aufgrund des demo- Unterkunftsplanung ist ebenso schen ihrer alten und ihre neuen grafischen Wandels nicht mehr wichtig wie der gezielte Aufbau Heimat. ohne ausländische Arbeitskräfte von Strukturen, in denen sich Ein- finanzierbar sein wird. heimische und Neuankömmlinge begegnen können.
Filmheft | Willkommen auf Deutsch | 11 Fragen für den Unterricht Beschreiben Sie die Hauptpersonen im Film und Warum droht Larisa die Abschiebung nach Polen? ihre Beziehungen zueinander! Und woran liegt es, dass sie letztlich doch in Tespe bei ihrer Familie bleiben kann? Wie beschreibt Herr Prahm sein Heimatdorf Appel? Wie nehmen Sie selbst Appel wahr? Malik und Abida suchen sofort nach ihrer Ankunft den Kontakt zu den Deutschen. Auf welche kulturel- Die Bürgerinitiative in Appel will laut eigener Aus- len Unterschiede treffen sie und in welchen Szenen sage den Menschen helfen. Dennoch sind sie gegen wird dies deutlich? die Aufnahme von 53 Asylbewerbern in ihrem Dorf. Wie begründen sie ihren Widerstand? Welche Vorurteile gegenüber Ausländern werden im Film angesprochen? Welche Vorurteile über Deut- Welche Gründe haben die Menschen im Film, nach sche werden artikuliert? Deutschland zu ziehen? Auf welche Probleme und Grenzen stoßen sie? Hartmut Prahm unterscheidet zwischen Flücht- lingen, die „aus politischen Gründen um ihr Im Mittelpunkt des Films steht das Thema „Migra- Leben fürchten müssen“ und anderen, die auf- tionspolitik“. Welche verschiedenen Meinungen dazu grund von wirtschaftlichen Gesichtspunkten flie- sind zu hören? Wie werden die verschiedenen Positi- hen. Seiner Meinung nach sollte nur die erste onen dargestellt? Gruppe in Deutschland aufgenommen werden. Wie bewerten Sie diese Unterscheidung? Wovor haben die Mitwirkenden Angst? Denken Sie dabei an alle im Film dargestellten Menschen. Kön- Hat sich Ihre Sicht auf das Thema Zuwanderung nen Sie als Zuschauer/innen beurteilen, welche Äng- durch den Film verändert? ste „berechtigt“ sind und welche nicht? In welcher Hinsicht hat eine Veränderung stattgefunden? Was motiviert Ingeborg Neupert dazu, die die tschetschenische Familie im Dorf zu unterstützen? Was tut sie konkret?
Filmheft | Willkommen auf Deutsch | 12 Zur Filmsprache Jedem (s)eine Stimme geben und trotzdem Stellung be- ziehen – Die Erzählhaltung Hauke Wendler und Carsten Rau haben sich bereits mehrfach mit den kontroversen Themen Migra- tion und Integration auseinander gesetzt. In ihrem preisgekrönten Vorgängerfilm „Wadim“ erzählten sie die dramatische Geschichte eines Jugendlichen, der nach sei- ner Abschiebung aus Deutschland kein Zuhause mehr fand und sich schließlich das Leben nahm. Da- mals konzentrierten sich die Re- gisseure auf die Perspektive der bar bleibt, dass ihre Sicht auf das Dokumentarfilm Familie des Opfers. Doch als sich Thema sich teilweise stark von dem Im weitesten Sinne bezeichnet der Begriff im Sommer 2013 die Anwohner/ non-fiktionale Filme, die mit Material, das unterscheidet, was vor der Kamera innenproteste gegen die Einrich- sie in der Realität vorfinden, einen Aspekt gesagt – oder nicht gesagt wird. der Wirklichkeit abbilden. John Grierson, tung von neuen Flüchtlingsunter- der den Begriff prägte, verstand darunter Die scharfen Proteste gegen künften häuften, entschlossen sie den Versuch, mit der Kamera eine wah- die Ansiedlung der tschetsche- re, aber dennoch dramatisierte Version sich, nun auch die andere Seite nischen Familie in Tespe waren des Lebens zu erstellen; er verlangte von in den Blick zu nehmen. Im Mit- Dokumentarfilmern/innen einen schöp- bei Drehbeginn bereits abgeebbt. telpunkt des Dokumentarfilms ferischen Umgang mit der Realität. Im Als das Filmteam vor Ort eintraf, Allgemeinen verbindet sich mit dem Do- „Willkommen auf Deutsch“ stehen kumentarfilm ein Anspruch an Authentizi- wollte niemand vor der Kamera deshalb nicht allein Flüchtlinge, tät, Wahrheit und einen sozialkritischen wiederholen, was bei der Bürger- Impetus, oft und fälschlicherweise auch die in Deutschland eine neue Hei- versammlung gesagt worden war. an Objektivität. In den letzten Jahren ist mat suchen, sondern auch diejeni- der Trend zu beobachten, dass in Misch- Sichtbar waren „nur“ noch die Fol- gen, die sich gegen die Aufnahme formen (Doku-Drama, Fake- oder Perfor- gen der Feindseligkeiten für die ming-Doku) dokumentarische und fikti- dieser Menschen in ihrer Nach- onale Elemente ineinander fließen und Familie, die noch lange mit dem barschaft wehren. Ganz bewusst sich Genregrenzen auflösen. (Quelle: Gefühl kämpfen musste, in Tespe www.kinofenster.de) wählten Rau und Wendler als Ort unerwünscht zu sein. Die Regis- ihrer filmischen Untersuchung Protagonist/innen seure nahmen sich viel Zeit, Larisa keinen sozialen Brennpunkt, son- Die Protagonist/innen sind die handeln- die Lage ihrer Familie beschreiben den Personen, die in einem Dokumentar- dern suchten „vor der eigenen film mitwirken. Häufig geben die Protago- zu lassen, um bei den Zuschauen- Haustür“ nach Beispielen. nist/innenn dabei einen tiefen Einblick in den Sympathie für sie zu erzeugen. ihr privates Denken und Leben. Anders Obwohl die Regisseure nicht Im Gegensatz dazu werden die als im Spielfilm, wo Schauspieler die Meinung aller Protagonist/innen Ideen eines Regisseur/innen umsetzen, beiden Mütter aus Appel, die sich teilen, bemühen sie sich um eine entsteht der Dokumentarfilm oft im Span- in der Bürgerinitiative engagie- nungsfeld der verschiedenen Interessen ausgewogene Darstellung der ver- der Protagonist/innen und des Filmteams. ren, nur schlaglichtartig gezeigt, schiedenen Perspektiven auf das so dass die von Ihnen artikulierten Thema. Den eigenen Standpunkt Ängste eher übertrieben und halt- vermitteln sie durch verschie- los wirken. dene dramaturgische und filmä- sthetische Mittel, so dass spür-
Filmheft | Willkommen auf Deutsch | 13 Als Vertreter der Behörden war Rainer Kaminski für die Thema- tik des Films unverzichtbar und daher investierten die Regisseure einiges an Überzeugungsarbeit, um ihn zur Teilnahme zu bewegen. Da der Beamte bereits schlechte Erfahrungen mit anderen Medien gemacht hatte, stand er der Idee zunächst ablehnend gegenüber, wurde dann aber doch zu einem der wichtigsten Protagonisten des Films. An seiner Person verdeut- licht der Film, in welcher Zwick- mühle sich Staatsbeamte befinden können: Sie sind verpflichtet, die Statt die im Film geäußerten Vor- Bei Rainer Kaminski beschränkt gesetzlichen Vorgaben umzuset- urteile („…die wollen es sich hier sich der Film auf seinen Arbeitsall- zen, selbst dann, wenn sie sie kri- bei uns nur leichter machen…“) mit tag, er wird als korrekter und aus- tikwürdig finden. großer Geste politisch zu entkräf- gesprochen zielstrebiger Mensch Ebenso eloquent wie Kamin- ten, werden die teilweise stereo- gezeigt. Immer wieder konzen- ski, aber deutlich weniger medi- typen Ausdrücke von Fremden- triert sich der Bildausschnitt enscheu war Hartmut Prahm. Der feindlichkeit leise und humorvoll auf seine tippenden Finger oder Kopf der Bürgerinitiative in Appel ad absurdum geführt. die klackenden Ledersohlen, die spricht aus, was seiner Meinung zügig die blanken Amtsflure ent- nach die „schweigende Mehrheit“ lang eilen. denkt, vermeidet aber meist offen Die Menschen ins Bild set- rassistische Statements. Erst da- zen - Mise en Scene Interviews Interviews dienen der Informationsbe- durch, dass ihn die Regisseure Das Team begleitet die Mitwir- schaffung und der Recherche. Sie ge- seine Gedanken wirklich zu Ende kenden des Films meist auf ihren hören in Dokumentarfilmen und ande- ren dokumentarischen Formaten zu den führen lassen, wird deutlich, wie alltäglichen Wegen. Klassische wichtigsten Bestandteilen. Im Grunde vorurteilsgeprägt seine Meinung Interviews sind die Ausnahme, ist ein Interview eine Befragung, bei der ist. Dieser Eindruck wird auch stattdessen werden die Mitwir- die Rollen klar verteilt sind: Ein Intervie- wer fragt, der Interviewpartner antwortet. durch den gezielten Einsatz der kenden in ihrem Umfeld aufge- Vor dem Interview muss der Interviewer beschwingten Filmmusik verstär- nommen. Dadurch wird das Ge- darauf hinweisen, dass das Gespräch zur Veröffentlichung bestimmt ist. Im fertigen kt. So erscheint Prahm manch- fühl vermittelt, man erlebe die Film können Interviews ganz unterschied- mal fast wie eine tragische Gestalt, Menschen so, wie sie ihren Alltag lich eingebunden werden. Am häufigsten wenn er, begleitet von pointierten bestreiten. So zeigt die Kamera wird auf das „Sit-Down-Interview“ zu- rückgegriffen, das in einem ruhigen, ab- Klängen, allein mit dem Filmteam Hartmut Prahm häufig bei Spa- geschlossenen Raum geführt und in dem durch die leeren Straßen Appels ziergängen durch Appel und im der Interviewte häufig in einer Halbnah- oder Naheinstellung gefilmt wird, bei der läuft. Gespräch mit seinen Mitstreitern. Kopf und Schultern sichtbar sind. Diese Die unterschiedlichen Figuren- Trotzdem erfahren wir – anders als Einstellung wird auch als „Talking Heads“ konstellationen machen „Willkom- bei den Flüchtlingen – wenig Pri- bezeichnet. men auf Deutsch“ zu einem politi- vates von ihm. In diesem Film ist Bildausschnitt schen Plädoyer für einen offenen, Prahm der Vertreter der Bürgeri- Der gewählte Bildausschnitt bestimmt im Zusammenspiel mit der Kameraperspek- toleranten Umgang mit Flüchtlin- nitiative: ein Mann mit einer Mis- tive und der Tiefenschärfe die Möglich- gen, ohne zu unterschlagen, dass sion, immer im Dienst der Sache keiten für die visuelle Anordnung von Fi- es auch andere Sichtweisen gibt. unterwegs. guren und Objekten innerhalb des Bildes.
Filmheft | Willkommen auf Deutsch | 14 Mit diesen Detailaufnahmen wird Kaminski zum Inbegriff des Staatsbediensteten stilisiert. Sein Plädoyer für einen offeneren Um- gang mit Flüchtlingen steht dazu nur auf den ersten Blick im Wi- derspruch. Kaminski wird im po- sitiven Sinn als „Überzeugungs- täter“ gezeigt, der ganz in seinem Job aufgeht. Die Mitwirkenden des Films sind sich die ganze Dreh- zeit über bewusst, dass sie vor einer Kamera agieren. Das gilt vor allem für die Flücht- linge, die sich in einer Ausnahme- situation befinden. Mitten im lau- fenden Asylverfahren müssen sie gen und beschwerlichen Flucht in Neben der Hauptkamera, die davon ausgehen, dass alles, was sie Tespe endlich einen Rückzugsort sich darauf konzentriert, den oder im Film sagen und tun, die Ent- gefunden zu haben. Daher wird die Handelnden im Blick zu behal- scheidung der Behörden beein- die Wohnung auch immer wieder ten, werden oft sogar weitere Ka- flussen könnte. Dass sie dennoch ins Bild gesetzt. meras eingesetzt, die einerseits das bereit waren, am Film mitzuwir- Die rüstige Ingeborg Neupert Geschehen aus einer anderen Per- ken, zeugt von großem Vertrauen ist schließlich die Person, die zwi- spektive aufnehmen, andererseits in das Filmteam. Das gilt vor allem schen den Welten pendelt. Sie ist sogenannte Schnittbilder produ- für Malik und Abida, die die Re- sowohl in der unsicheren Welt zieren, die später in der Montage gisseure zufällig kurz nach ihrer der Flüchtlinge ein Stück weit „zuzur Verbindung zweier ähnlicher Ankunft auf dem Flur der Harbur- Hause“, lebt aber gleichzeitig auch Einstellungen (zum Beispiel eines ger Sozialbehörde trafen. Die Pa- ihren normalen Alltag in ihrer Gesprächs) in der Kombination kistaner waren schon nach einem kleinen Wohnung in Tespe. Wenn mit einem anderen Bild genutzt kurzen Gespräch bereit, sich wäh- die Kamera sie beim Spazierenge- werden. Gerade durch den Einsatz rend ihrer ersten Tage in Tespe fil- hen begleitet, erinnert ihre Hei- solcher Schnittbilder (beispiels- men zu lassen. matverbundenheit sogar an Hart- weise die Detailaufnahme der tip- Sowohl Malik und Abida, aber mut Prahm. penden Hände Kaminskis) kann auch die Gruppe albanischer ein Film eine visuelle Erzählung Flüchtlinge sind im Film mei- entwickeln, die die gesprochenen stens „auf Achse“ zu sehen. Das Mit Bildern erzählen – die Worte illustriert oder hinterfragt. liegt nicht nur daran, dass sie ge- Kameraarbeit rade auf dem Weg zu einer neuen Die grundsätzliche Entschei- Unterkunft in Deutschland waren dung, in welcher Umgebung oder und ihr gesamtes Hab und Gut vor welchem Hintergrund die Mit- bei sich trugen. Gleichzeitig sind wirkenden des Films abgebildet Malik und Abida auch sehr offe- werden, treffen Regisseure und nen Menschen, die sofort nach Kameraleute meistens vor Beginn ihrer Ankunft den Kontakt zu an- der Dreharbeiten. Häufig muss die deren Menschen suchten. Larisa Bildgestaltung allerdings an die und ihre Familie scheinen es hin- Gegebenheiten am Drehort ange- gegen zu genießen, nach der lan- passt werden.
Filmheft | Willkommen auf Deutsch | 15 Im Falle von „Willkommen auf Deutsch“ werden häufig ähnliche Bilder benutzt, um die verschie- denen Erzählstränge miteinan- der zu verknüpfen. Wenn Hartmut Prahm aus seinem Wohnzimmer- fenster in den Regen schaut und erzählt, dass es früher schwieriger war, sesshaft zu werden als heute, blickt in der nächsten Einstellung Larisa ebenfalls aus dem Fenster ins Unwetter – und sinniert mög- licherweise über ihre Schwierig- keiten, in Deutschland eine neue Heimat zu finden. Während Prahm seine gepflegten Finger zufrieden über dem Bauch verschränkt, wer- den in einer folgenden Szenen die versinnbildlicht dies durch die Sequenz bis auf die Haut herunter gekau- gleiche Geste an der Gardine, die Eine Gruppe aufeinanderfolgender Ein- stellungen, die eine sinnliche, abge- ten Fingernägel von Schachid, La- in der Zwischenzeit filmisch auf- schlossene Einheit bilden. Die Sequenz risas 16-jährigem Bruder, gezeigt. geladen wurde. kann aus mehreren Szenen bestehen und Zeitgleich spricht Larisa über die wird meist durch eine filmische Markie- Oft werden die Bezüge zwi- rung begrenzt, zum Beispiel den Einsatz schwierige Situation der Fami- von Musik, eine Auf- oder Abblende oder lie und ihre große Angst vor der schen Bildern oder zwischen Text einen Kommentar. Abschiebung. und Bild auch von der Regie selbst Einstellung In beiden Sequenzen wer- erst während der Sichtung des Die kleinste Einheit des Films. Aus meh- den Verbindungen zwischen den gedrehten Materials entdeckt. Je reren Einstellungen verschiedener Größe (z.B. Detail, Großaufnahme) setzt sich Einstellungen hergestellt, ohne sublimer und versteckter diese Be- eine Szene zusammen. Im Normalfall dass dafür auch nur ein einziges züge sind, desto schwieriger er- wird eine Einstellung durch einen Schnitt begrenzt. Wort benutzt wird. schließen sich diese „sprechenden Der Kameramann Boris Mahlau Bilder“ im fertigen Film. Im be- Kommentar/Voice-Over filmt häufig kleine Details, die Auf der Tonspur vermittelt eine Erzähler- sten Fall ergänzen sich die unter- stimme Informationen, die dem besseren eine große Bedeutung in sich tra- Verständnis der Geschichte dienen sol- schwelligen Bezüge und die Er- gen können. Zum Beispiel rückt er len und mitunter Ereignisse zusammen- zählung des Films, so dass sich fassen, die nicht im Bild zu sehen sind. Im mit der Spitzengardine wiederholt frühen Dokumentarfilm war es üblich, die ein sehr deutsches Einrichtungsu- die Komposition von Szenen aus- Bilder, die damals meist noch ohne Ton tensil in der Wohnung der tschet- nimmt wie ein natürlicher Fluss. aufgenommen wurden, mit einem sehr starken Kommentar zu versehen. Ge- schenischen Familie in den Fokus. gen die Verwendung solcher autoritären Im ersten Teil des Films zupft La- Kommentare regte sich Widerstand, als Den eigenen Blickwinkel es mit der Entwicklung neuer Kamera- risa die Gardine immer wieder technik Ende der 1950er-Jahre möglich zurecht, während sich ihr sorgen- finden – Ohne Kommentar, wurde, dokumentarische Bilder auch voller Blick nach draußen richtet aber mit Musik mit Original-Ton aufzunehmen. Ab den 1960er-Jahren entstanden immer mehr – die Gardine ist dabei im über- Auf einen Kommentar, der in Dokumentarfilme, die bewusst auf einen tragenen Sinne eine Art durchläs- vielen TV-Dokumentationen obli- Kommentar verzichteten. sige Grenze zwischen innen und gatorisch ist, verzichten Rau und außen. Als ihre Mutter schließlich Wendler. Die Interpretation des endlich wieder zu Hause ist, über- Films wird so weit wie möglich nimmt sie Larisas Rolle – der Film den Zuschauenden überlassen.
Filmheft | Willkommen auf Deutsch | 16 Gerade weil Dokumentarfilmer die Wirklichkeit künstlerisch be- arbeiten (z.B. durch die Auswahl bestimmter Szenen, die Montage oder auch den Einsatz von Musik) und damit die Realität unver- meidbar subjektiv gestalten, sollte diese Prägung nicht noch durch den Kommentar verstärkt werden, meint der Regisseur Wendler. Mündige Zuschauende, so Wendler, können sich ihre eige- nen Gedanken zu dem Gesehenen und Gehörten machen. Diese ei- genen Erkenntnisse wirken weit- aus nachhaltiger als ein Kommen- tar, der vorgibt, wie die Bilder zu interpretieren sind. Recht ungewöhnlich ist die Montage/ Schnitt im Dokumentarfilm Eine Herausforderung für die Filmmusik, die Sabine Wortmann Als Schnitt oder Montage bezeichnet für den Film komponiert hat. Die man die Anordnung und Zusammenstel- Regie ist der Verzicht auf einen lung der einzelnen Bildelemente eines Kommentar besonders dann, wenn lebhafte Musik, die unter ande- Filmes einschließlich der Szenenfolge es darum geht, komplexe Pro- rem mit Marimba, Vibraphon, Xy- und der Anordnung der verschiedenen lophon eingespielt wurde, gibt Sequenzen. Im Schnittprozess wird aus blemlagen zu erklären. Rau und den einzelnen Filmszenen ein filmischer Wendler stießen an ihre Grenzen, dem Film eine große Leichtigkeit Text produziert. Dabei ist die Bezeich- und erinnert an Slapstick-Komö- nung Filmschnitt eigentlich irreführend, als sie die prekäre Situation von denn die Kunst der Montage liegt nicht Larisas Familie erklären wollten. dien der 1930er-und 1940er-Jahre. in virtuos gesetzten Schnitten, sondern in Warum ihnen eine Abschiebung Damit ergibt sich ein deutlicher der Interpretation des Materials und im Kontrast zur inhaltlichen Schwe- Zusammenfügen einzelner Elemente zu nach Polen droht, verstanden Lari- einer großen Erzählung. Im Dokumentar- sa und ihre Mutter zunächst selbst re des Themas. Die Filmemacher film ist die Filmmontage für die Dramatur- wollten mit der Wahl der Musik gie des Films mindestens ebenso wichtig nicht ganz. Schließlich arbeitete wie die Drehbucharbeit, da beide mit sich Ingeborg Neupert mühsam in ganz bewusst einen Kontrapunkt dem Aufbau der Geschichte des Films die Rechtslage ein und erklärt im setzen und signalisieren, dass befasst sind. Film, wie die Gesetze lauten und trotz der scheinbar unvereinbaren Filmmusik auf welche Weise sie umgesetzt Positionen im Streit um Zuwande- Das Filmerlebnis wird wesentlich von der rung und Integration eine positive Filmmusik beeinflusst. Sie kann Stim- werden. Für Rau und Wendler war mungen untermalen (Illustration), ver- dies eine gute Möglichkeit, um Einigung denkbar ist. deutlichen (Polarisierung) oder im kras- sen Gegensatz zu den Bildern stehen die schwierige politische Situation (Kontrapunkt). Eine extreme Form der von Larisas Familie im Film trans- Illustration ist die Pointierung (auch: Mi- parent zu machen. ckey-Mousing), die nur kurze Momente der Handlung mit passenden musika- lischen Signalen unterlegt. Musik kann Emotionalität und dramatische Spannung erzeugen, manchmal gar die Verständ- lichkeit einer Filmhandlung erhöhen. Bei Szenenwechseln, Ellipsen, Parallelmon- tagen oder Montagesequenzen fungiert die Musik auch als akustische Klammer, in dem sie die Übergänge und Szenenfol- gen als zusammengehörig definiert.
Filmheft | Willkommen auf Deutsch | 17 Fragen für den Unterricht • Vermitteln die Filmemacher Ihrer Meinung nach • Der Film verzichtet auf einen Kommentar. Hat Ih- eher ein objektives oder ein subjektives Bild über nen ein Kommentar gefehlt? Wenn ja, warum? die Problematik von Zuwanderung und Integrati- on? Begründen Sie Ihre Meinung. • Wir wirkt die Filmmusik auf Sie? In welchen Sze- nen ist Ihnen die Musik besonders aufgefallen? • In welcher Umgebung werden die Protagonisten gefilmt? Was sagt die Umgebung über sie aus? • Verschiedene illustrative Aufnahmen dienen der Regie als Bindeglieder zwischen den verschie- • Inwiefern unterteilt der Film die Mitwirkenden in denen Geschichten und Schauplätzen. An welche Täter und Opfer? Bilder erinnern Sie sich? • Wie werden der Landkreis Harburg und die Orte Appel und Tespe im Film dargestellt?
Filmheft | Willkommen auf Deutsch | 18 Unterrichtsvorschläge Vor dem Kinobesuch: Thema Unterbringung Welche Assoziationen weckt der Titel „Willkom- Wo und wie sollten Ihrer Meinung nach Flüchtlinge men auf Deutsch“? in Deutschland untergebracht werden? Eher in einer Großstadt oder in einem Dorf? Lieber in einer Ge- Wie stellen Sie sich die Situation vor, wenn Flücht- meinschaftsunterkunft oder in einer eigenen Woh- linge in Deutschland ankommen? nung? Sammeln Sie Argumente für oder gegen die unterschiedlichen Möglichkeiten. Vergleichen Sie Ihre Argumente mit den Ergebnissen der Umfrage Nach dem Kinobesuch: der DOK Spotters Schülerredaktion! Fluchtursachen http://dok-spotters.de/?p=2954 Warum würden Sie aus ihrer Heimat fliehen? • Weil Krieg herrscht Interview mit Hauke Wendler • Weil ich selbst oder ein Mitglied meiner Im Video-Interview äußert sich der Regisseur Familie bedroht wird Hauke Wendler dazu, welche Art von Willkommens- • Weil ich politisch verfolgt werde kultur er sich wünscht. Wie lauten seine Vorschläge? • Damit meine Kinder in die Schule gehen http://dok-spotters.de/?p=2954 können • Damit ich meiner Familie eine Leben in Filmrezension Sicherheit bieten kann Schreiben Sie eine Filmrezension über „Willkom- men auf Deutsch“. Teilen Sie sich dazu in zwei Grup- Vergleichen Sie nun, welche Voraussetzungen für pen auf – während die eine Gruppe bei der Formu- die Anerkennung eines Asylgesuchs oder des Flücht- lierung ihres Textes genauen Vorgaben folgt, kann lingsstatus in Deutschland gelten. die zweite Gruppe den Text frei gestalten. Verglei- chen Sie gruppenintern Ihre Texte und wählen Sie je- Integration weils zwei Beispiele aus, die Sie der anderen Gruppe Was versteht man unter dem Begriff „Integration“? präsentieren. Sammeln Sie verschiedene Definitionen und verglei- chen sie sie miteinander! Entscheiden Sie sich für Die Vorgaben für Gruppe 1: eine Definition und begründen Sie Ihre Meinung. 1. Worum geht es in dem Film? (ca. 300 Zeichen) 2. Wie hat der Filmemacher das Thema umgesetzt? Thema Kommentar (ca. 300 Zeichen) Sichten Sie die Beispielszenen A und B. Wählen 3. Wie hat Ihnen der Film gefallen? Bewerten Sie Sie eine Szene aus und verfassen sie einen möglichen den Film! (ca. 300 Zeichen) Kommentar dazu. Präsentieren Sie den Text Ihren Mitschüler/innen, indem Sie ihn direkt zu den Bildern einsprechen. In- wiefern verändert der Kommentar die Wirkung der Szenen? Die Menschen ins Bild setzen Sichten Sie die Beispielszenen B und C und ver- gleichen Sie, wie Ingeborg Neupert und Hartmut Prahm dargestellt werden. Welche Wirkungen erzielt der Film durch den Einsatz filmischer Mittel wie der Filmmusik, der Kameraeinstellung und der Montage? (Beispielszenen siehe: http://www.dok-leip- zig.de/projekte/dok-macht-schu le/schu lk ino/ schulscreenings/willkommen-auf-deutsch)
Filmheft | Willkommen auf Deutsch | 19 Materialien Hintergründe und Fakten zum Thema Asyl der Asylprüfung ist das Bundesamt für Migration (BAMF). Die Bundesländer haben für eine angemes- in Deutschland sene Unterbringung zu sorgen. Obwohl Deutschland durch seine geografische Lage für Asylsuchende schwer zu erreichen ist, wur- den 2014 gut 200.000 Asylanträge gestellt – das sind Wie leben Asylsuchende in Deutschland? mehr als doppelt so viele wie 2013. Bedenkt man aller- Erwachsene Asylbewerber erhalten (je nachdem, dings, dass weltweit mehr als 51 Millionen Menschen ob sie alleinstehend sind oder für minderjährige Kin- auf der Flucht sind (Quelle: UNHCR), relativiert sich der zu sorgen haben) zwischen 290,- und 362,- EUR diese Zahl. Nur ein kleiner Teil aller weltweit Ge- Regelleistung nach § 3 des Asylbewerberleistungsge- flüchteten stellt in der Bundesrepublik einen Asyl- setzes pro Monat. antrag. Laut Zahlen des BAMF nimmt innerhalb der Jede Person hat Anspruch auf 6 m² Wohnraum. EU Schweden – umgerechnet auf die Einwohnerzahl Dabei teilen sich bis zu 5 Menschen ein Zimmer und – die meisten Flüchtlinge auf. Auf 1000 Einwohner schlafen teilweise in Doppelstockbetten. kommen hier 5,7 Asylanträge. Dicht dahinter kommt 8 Bewohner/innen teilen sich einen Herd mit vier der kleine Inselstaat Malta mit 5,3 Anträgen je 1000 Kochplatten. Einwohner. In Deutschland werden nur 1,6 Asylan- Eine Dusche soll maximal von 10 Menschen, eine träge pro 1000 Bewohner registriert – innerhalb Eu- Toilette von 10 Frauen oder 15 Männer genutzt werden. ropas liegen wir damit eher im Mittelfeld. Unverbindlich empfohlen wird, dass ein(e) Sozial- 2014 wurden in Deutschland bestimmte Her- arbeiter/in für 150 Asylsuchende zuständig ist. Das kunftsstaaten wie Serbien, Mazedonien und Bosnien- Verhältnis ist in der Realität häufig noch schlechter. Herzegowina als „sichere Herkunftsländer“ einge- Die meisten Asylsuchenden sind in Heimen, soge- stuft. Flüchtlinge aus diesen Ländern erhalten nun nannten Gemeinschaftsunterkünften, untergebracht. generell kein Asyl mehr in Deutschland. Eine Ein- Die Heimgrößen variieren zwischen 30 und 500 Be- zelfallprüfung findet nicht mehr statt. Durch diese wohner/innen. Die Zustände in den Heimen sind sehr Maßnahme soll die durchschnittliche Verfahrensdau- unterschiedlich. Manche sind in kleine Wohnein- er eines Antrags verkürzt werden. Im Gegenzug kön- heiten unterteilt, in anderen teilen sich alle Bewoh- nen Flüchtlinge aus Syrien und dem Nord-Irak mit ner/innen eine Küche und sanitäre Einrichtungen. einem erleichterten Verfahren rechnen. Trotz allem Mangelnde Privatsphäre, der psychische Stress und dauerte ein Asylverfahren im Jahr 2014 im Schnitt die soziale Isolation wirken sich negativ auf die Le- über sieben Monate. bensqualität aus. Auf engem Raum müssen häufig traumatisierte Menschen aus verschiedenen Ländern Dabei müssen gerade die Antragsteller, die die gute und mit unterschiedlichen sozialen Hintergrün- Chancen auf Anerkennung ihrer Asylanträge haben, den gemeinsam leben. Häufig haben nur Familien oft ein Jahr und länger auf eine Entscheidung warten und psychisch kranke Menschen Chancen auf eige- (Quelle: BAMF). Staatliche Integrationsmaßnahmen ne Wohnungen. Die Umsetzung der Verwaltungs- (wie Sprachkurse) werden jedoch meist erst nach vorschrift liegt in der Verantwortung der Städte und einer Anerkennung ermöglicht, da eine Integration Kommunen. Ihr politischer Wille entscheidet, wie erst dann angestrebt wird, wenn gesichert ist, dass Asylsuchende untergebracht werden. die Flüchtlinge dauerhaft in Deutschland bleiben. In den ersten neun Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland dürfen Geflüchtete nicht arbeiten. Da- nach wird eine Arbeitserlaubnis nur dann erteilt, wenn Sie nachweisen können, dass kein deutscher Staatsbürger und kein EU-Bürger diese Arbeit auf- nehmen wollte. Das Führen dieses Nachweises ist je- doch aufwändig, so dass sich kaum ein Arbeitgeber dazu bereit erklärt. Zuständig für die Durchführung
Filmheft | Willkommen auf Deutsch | 20 Materialien Wie läuft ein Asylverfahren in Deutsch- Interview mit Carmen Stamm, die seit 2 Jahren in Leipzig gemeinsam mit anderen Schüler/innen land ab? das Asylbewerber-Hilfsprojekt “Stolz und Vorurteil” Jeder, der sich auf das Asylrecht beruft, muss ein leitet. Anerkennungsverfahren durchlaufen, das im Asyl- dok-spotters.de/?p=2954 verfahrensgesetz festgelegt ist. Zuständig für die Durchführung der Asylverfahren ist das Bundesamt Was tut die Stadt Leipzig, um eine andere Willkom- für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Das BAMF menskultur zu schaffen? informiert über den Ablauf des Asylverfahrens von Interview mit Christian Walther, Projektleiter Asyl der Antragstellung über die Anhörung bis zur Ent- bei der Stadt Leipzig scheidung mit einem Flyer, der hier herunter geladen werden kann. Interview siehe: http://www.dok-leipzig.de/pro- www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/ jekte/dok-macht-schule/schulkino/schulscreenings/ DE/Publikationen/Flyer/ablauf-asyl- willkommen-auf-deutsch verfahren.pdf?__blob=publicationFile Die eigene Geschichte erzählen: Willkom- Geschichtlicher Rückblick auf Verände- men in Deutschland? rungen im deutschen Asylrecht Was erleben Flüchtlinge, die zu uns nach Deutsch- Vor zwanzig Jahren: Einschränkung des Asylrechts land kommen? Wie heißen wir die Menschen will- 1993 kommen, die zu uns vor Krieg, Terror und Armut Anfang der 1990er Jahre stiegen die Asylbewer- fliehen? Die Journalistin und Philosophin Carolin berzahlen in Deutschland stark an. Der wichtigste Emcke hat zusammen mit dem Fotografen Sebastian Grund dafür war der Krieg in Ex-Jugoslawien und Bolesch Flüchtlinge, die in der Zentralen Aufnahme- die anhaltenden Konflikte in Nachfolgestaaten. 1992 stelle für Asylbewerber in Eisenhüttenstadt/Bran- wurden über 400.000 Asylanträge in Deutschland denburg angekommen sind, über Monate begleitet. gestellt, 1990 waren es nur knapp 200.000 gewesen. Ihre Geschichten können hier nachgelesen werden: Das Thema Asyl würde zum parteipolitischen Spiel- ball, viele Medien schürten die Angst vor einer ver- www.zeit.de/zeit-magazin/fluechtlinge-in- meintlichen „Asylantenflut“. Eine Welle rassistischer deutschland und ausländerfeindlicher Gewalttaten ging durch Deutschland. Im Jahr 1993 wurde das Asylrecht Quellen: schließlich stark eingeschränkt. Mal ehrlich: Flucht und Asyl in Sachsen. Hg: Wei- Ein guter Hintergrundartikel ist hier zu lesen: terdenken e.V. Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen e. V., www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/160780/ Dresden, 2014 asylkompromiss Wendel, Kay: Unterbringung von Flüchtlingen in Wie Jugendliche das Thema sehen: Die DOK Deutschland, Regelungen und Praxis der Spotters zu „Willkommen auf Deutsch“ Bundesländer im Vergleich, Hg. Förderverein PRO Video-Interview mit dem Regisseur Hauke Wend- ASYL e. V., Frankfurt am Main 2014 ler, das die DOK Spotters Jugendredaktion kurz nach der Premiere des Films bei DOK Leipzig im Novem- ber 2014 geführt hat. Wo sollten Asylbewerber untergebracht werden – auf dem Land oder in der Stadt? Straßenumfrage der DOK Spotters
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