Nie wieder Cum-Ex Wie die Steuerverwaltung in Deutschland schlagkräftiger und gerechter werden kann - Netzwerk Steuergerechtigkeit

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Nie wieder Cum-Ex

Wie die Steuerverwaltung in Deutschland
schlagkräftiger und gerechter werden kann
Yannick Schwarz, Christoph Trautvetter
Stand: 06.12. 2021

Gemeinsam für gerechte, solidarische und nachhaltige Finanzsysteme –
gegen Steuerflucht und Schattenfinanzwirtschaft weltweit
Impressum
Studie: Nie wieder Cum-Ex

Autoren
Yannick Schwarz
yannick.schwarz@netzwerk-steuergerechtigkeit.de

Christoph Trautvetter
christoph.trautvetter@netzwerk-steuergerechtigkeit.de

Herausgeber
Netzwerk Steuergerechtigkeit
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10249 Berlin

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Gestaltung und Layout
Pantea Lachin

                                                        Die hier vertretenen Auffassungen geben die Meinung des
                                                        Verfassers wieder und entsprechen nicht unbedingt dem
                                                        offiziellen Standpunkt des Netzwerks Steuergerechtigkeit.

                                                        Diese Studie nutzt zur besseren Lesbarkeit das gene-
                                                        rische Maskulinum, das sich zugleich zugleich auf die
                                                        männliche, die weibliche und andere Geschlechteridenti-
                                                        täten bezieht. Alle Geschlechteridentitäten werden aus-
                                                        drücklich mitgemeint, soweit die Aussagen dies erfordern.
Inhaltsverzeichnis

Vorwort.............................................................................................. 4

Die deutsche Steuerverwaltung – ein Überblick.................................. 5
      Geschichte.................................................................................................................. 5
      Aufbau........................................................................................................................ 5
            Bundesfinanzverwaltung................................................................................................................................ 6
            Länderfinanzverwaltung................................................................................................................................. 7
            Bund-Länder-Koordination über Zielvereinbarung........................................................................................ 8

      Personalausstattung und Ergebnisse .......................................................................... 9
            Die Betriebsprüfung......................................................................................................................................12
            Die Steuerfahndung......................................................................................................................................13
            Die Umsatzsteuer-Sonderprüfung...............................................................................................................16
            Personalausstattung im BZSt......................................................................................................................16
            Personalausstattung in den einzelnen Bundesländern..............................................................................17
            Ausbildung und Fluktuation.........................................................................................................................18
            Exkurs: Politische Einflussnahme und Korruption in der Steuerverwaltung.............................................19

      IT .............................................................................................................................. 20
            KONSENS......................................................................................................................................................21
            RMS 2.0 und die Autofallquote....................................................................................................................21
            EUROFISC und Umsatzsteuerbetrug...........................................................................................................22

      Fußnoten................................................................................................................... 23
      Quellenverzeichnis.................................................................................................... 24
4

Vorwort
2019 nahm der deutsche Staat 799 Milliarden Euro an Steuern ein,
23 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dazu ist ein großer Apparat
notwendig: die deutsche Steuerverwaltung.
Die Politik erlässt Steuergesetze, die Verwaltung ist   Skandale der letzten Jahre Anlass zur Frage nach den
für die effektive, gleichmäßige Umsetzung des Steuer-   strukturellen Schwachstellen in der deutschen Steuer-
systems zuständig. Aber nicht immer funktioniert der    verwaltung. Diese Studie versucht, dafür das komplexe
Apparat im Interesse der Allgemeinheit. Die Beispiele   System, von Finanzbeamten in der Ausbildung bis zum
sind so zahlreich wie unterschiedlich: Von großen       Management im Bundesministerium der Finanzen, von
Medienskandalen wie Cum-Ex oder der Gewinnver-          IT-Kapazitäten bis zum Informationsaustausch mit den
schiebung und Steuervermeidung der großen Digital-      Behörden anderer Länder zu durchleuchten und geziel-
konzerne über bekannte, aber größtenteils ignorierte    te Verbesserungsvorschläge zu entwickeln.
Skandale wie Umsatzsteuerkarusselle bis zu verheim-
lichtem Auslandsvermögen der Superreichen und der
Schwarzarbeit als Steuerhinterziehung des „kleinen
Mannes“. Eine perfekte Verwaltung und ein Ende von
Kriminalität wird es nie geben. Trotzdem geben die
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Die deutsche Steuerverwaltung –
ein Überblick
2019, bevor Corona die Statistiken verzerrte, nahm der      und Steueroasen bis zur schwarz angestellten Haus-
deutsche Staat 799 Milliarden Euro an Steuern ein. Das      haltshilfe oder der nur bar abrechnenden Dönerbude als
entsprach etwa 23 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.        Steuerhinterziehung des „kleinen Mannes“. Selbst mit
Dazu ist ein großer Apparat notwendig: die deutsche         der besten Verwaltung und den besten Gesetzen ließen
Steuerverwaltung. Die Finanzministerien und Parlamen-       sich Steuerhinterziehung und Steuervermeidung nicht
te erlassen Steuergesetze. Über 500 Finanzämter und         komplett beenden. Trotzdem geben die Skandale der
übergeordnete Behörden mit etwa 100.000 Mitarbei-           letzten Jahre Anlass zur Frage nach den strukturellen
tenden sind für die effektive, gleichmäßige Umsetzung       Schwachstellen in der deutschen Steuerverwaltung.
dieser Gesetze zuständig. Aber nicht immer funktio-         Diese Studie versucht, dafür das komplexe System,
niert der Apparat so wie er sollte. Die Beispiele sind so   von Finanzbeamten in der Ausbildung bis zum Ma-
zahlreich wie unterschiedlich: Vom organisierten und        nagement im Bundesministerium der Finanzen, von
schwer zu überschaubaren Betrug wie bei Cum-Ex oder         IT-Kapazitäten bis zum Informationsaustausch mit den
den Umsatzsteuerkarussellen, über anonymes Ver-             Behörden anderer Länder zu durchleuchten und gezielte
mögen der Superreichen und verschobene Gewinne              Verbesserungsvorschläge zu entwickeln.
der großen Digitalkonzerne in Schattenfinanzplätzen

Geschichte                                                  Aufbau
Grundlage des heutigen Steuersystems sind die soge-         Die verschiedenen Steuern sind den einzelnen Verwal-
nannten Erzbergerschen Steuer- und Finanzreformen,          tungsebenen zugeordnet. So gibt es Bundessteuern,
die 1919/1920 ihren Anfang nahmen (Bach & Buggeln,          Landessteuern und Gemeindesteuern. Die Steuern mit
2020). Bis zu den Reformen lagen die Gesetzgebungs-         den größten Aufkommen sind jedoch Gemeinschafts-
kompetenzen überwiegend bei den Ländern. Zudem              steuern, die mehr als einer dieser drei Ebenen zustehen.
gab es keine spezialisierte Steuerverwaltung. Die           Auf sie entfallen über 70 Prozent der gesamten Steuer-
Folge war eine inkonsistente und lückenhafte Steuer-        einnahmen. Von den eingenommenen Steuern bekom-
erhebung. Die Finanzlage nach dem ersten Weltkrieg          men Bund und Länder je etwa 41 Prozent, Gemeinden
zwang die Weimarer Republik zu grundlegenden Än-            14 Prozent und ein kleiner Teil fließt an die EU.
derungen. Gesetzgebungskompetenzen wurden auf
die Bundesebene verlegt, mit einem abgeschwächten           In der Verwaltung nehmen die Länder eine zentrale Rol-
Vetorecht der Länder. Der Zentrumspolitiker Erzberger       le ein. Einerseits verwalten sie in Landeseigenverwal-
schuf außerdem eine Finanzverwaltung auf Bundes-            tung die ihnen allein zustehenden Steuern wie etwa die
ebene, die nahezu sämtliche Steuern erheben und mit         Erbschaftsteuer. Darüber hinaus verwalten sie jedoch
den Ländern teilen sollte. Mit einem Fokus auf direkte      auch in sogenannter Auftragsverwaltung die wichtigen
Steuern wie die progressive Einkommensteuer, Vermö-         Gemeinschaftssteuern, zu denen etwa die Lohn- und
gens- und Erbschaftssteuern konnten die Steuereinnah-       Einkommensteuer, die Umsatzsteuer und die Körper-
men innerhalb weniger Jahre auf 15 Prozent des BIPs         schaftsteuer gehören. Doch auch wenn sie nur wenige
fast verdoppelt werden. So wurde die Grundlage für          Steuern wie etwa die Kraftfahrzeugsteuer direkt ver-
den modernen Wohlfahrtsstaat gelegt. Viele Aspekte          walten („Bundeseigenverwaltung“), kommt den Bundes-
aus dieser Zeit – zum Beispiel wesentliche Teile der Ab-    finanzbehörden ebenfalls eine wichtige Rolle zu.
gabenordnung und der Finanzgerichtsbarkeit sowie die
direkt beim Arbeitgeber abgeführte Lohnsteuer – sind
bis heute erhalten geblieben. Die Steuergesetzgebung
ist weiterhin stark zentralisiert, die Erhebung erfolgt
allerdings seit den Anfängen der Bundesrepublik wieder
durch die Länderverwaltungen.
6

                                                             meisten Steuerpflichtigen kennen das BZSt aber vor al-
  Aufteilung der Steuereinnahmen                             lem deshalb, weil es Steuer-IDs ausstellt.1 Weil das BZSt
                                                             auch für Kapitalertragsteuererstattungen zuständig ist
              4%                                             und ab 2007 ein Großteil der Cum-Ex-Geschäfte über
      14%
                                                             ausländische Unternehmen und Investmentfonds liefen,
                                            Bund
                             41%                             spielte das BZSt in dem Skandal eine wichtige Rolle.
                                            Länder           Als Reaktion auf den Skandal wurde im März 2020 eine
                                            Kommunen inkl.   Sondereinheit gegen Steuerbetrug und Steuerumgehung
   41%                                      Stadtstaaten     gegründet. Sie besteht aus der Gruppe „Kapitalmarkt“
                                            EU-Eigenmittel   mit einem Informations- und Analysezentrum und der
                                                             Gruppe „Internationaler Informationsaustausch“ und
                                                             umfasst etwa 300 Stellen. Ein weiteres Beispiel für eine
Grafik 1
                                                             Sondereinheit auf Bundesebene stellt die Zentrale Stelle
Quelle: kassenmäßige Steuereinnahmen 2019, destatis          zur Koordinierung von Prüfungsmaßnahmen in länder-
                                                             und staatenübergreifenden Umsatzsteuer-Betrugsfällen
                                                             (KUSS) dar (FVG, §5, Abs. 1, Nr. 13, 15 & 16). Der Bun-
Bundesfinanzverwaltung                                       desrechnungshof lobt, dass durch diese Einheit „zwar
Die oberste Bundesbehörde ist das Bundesfinanzminis-         Vollzugsdefizite aufgrund des Föderalismus vermindert
terium (BMF). Dessen Steuerabteilung ist unter anderem       werden“, empfahl jedoch deren „Ausbau zu einer zent-
Schnittstelle zur Gesetzgebung und dem Parlament:            ralen Internetfahndungseinheit“, die im Netz nach un-
Hier werden Referentenentwürfe für Gesetzesänderun-          bekannten Steuerfällen und neuen Geschäftsmodellen
gen verfasst, deren finanzielle Folgen abgeschätzt und       sucht und die Daten den Ländern zur Verfügung stellt.
Informationen für den Bundestag und Anfragen von             Das dafür seit fast 20 Jahren eingesetzte Programm
einzelnen Abgeordneten aufbereitet. Das BMF repräsen-        (XPider) funktioniert anscheinend noch nicht gut genug.
tiert Deutschland in Steuerfragen auch nach außen. So
ist das Ministerium, gemeinsam mit dem BmWi, für die         Die Generalzolldirektion ist eine weitere, direkt dem
Aushandlung von Steuerabkommen und die internatio-           BMF unterstellte Behörde. Anders als der Name sug-
nalen Steuernormen und -standards zuständig. Der Lei-        geriert, beschäftigt sich der Zoll nicht nur mit der Ver-
ter der BMF-Unterabteilung IV B, Martin Kreienbaum, lei-     waltung von Importzöllen. Die Zollverwaltung erhebt
tet den OECD-Steuerausschusses und das Inclusive Fra-        die meisten Bundessteuern (z. B. Einfuhrumsatzsteuer,
mework, in dem mehr als 100 Länder über die Reform           Biersteuer, Energiesteuer, Luftverkehrsteuer, Kfz-Steu-
des internationalen Systems der Besteuerung multinati-       er). Seit 2004 hat der Zoll von der Bundesagentur für
onaler Konzerne verhandeln. Das BMF hat außerdem die         Arbeit die Kontrolle von Schwarzarbeit und illegaler Be-
Aufgabe, das Steuerrecht für die Länderbehörden zentral      schäftigung übernommen, seit 2013 auch die Prüfung
auszulegen. Dazu erstellt es sogenannte BMF-Schreiben        des Mindestlohns. Daran arbeiten mittlerweile mehr
und (Nicht-)Anwendungserlasse. Zudem bildet das BMF          als 7.500 Zollbeamte – oder fast jeder Fünfte. Auch die
über die Bundesfinanzakademie den Nachwuchs der              Financial Intelligence Unit, bei der etwa 500 Mitarbeiter
Steuerverwaltung im höheren Dienst aus und fort. Dem         Geldwäscheverdachtsmeldungen analysieren, ist Teil
BMF unterstehen fünf Oberbehörden.                           der Zollstruktur.

Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) begleitet die        Schließlich unterstehen dem BMF das Bundesamt
Finanzämter der Länder bei ausgewählten Betriebs- und        für Zentrale Dienste und offene Vermögensfragen
Außenprüfungen, koordiniert grenzüberschreitende Um-         (BADV), das für den Lastenausgleich zuständige Bun-
satzsteuerprüfungen der Länder und unterstützt diese         desausgleichsamt (BAA) und die Bundesmonopolver-
bei der Verfolgung von Steuerstraftaten mit erheblicher      waltung für Branntwein (BfB). Auch das Informations-
Bedeutung, organisiert den Informationsaustausch mit         technikzentrum Bund (ITZBund) ist dem BMF zuge-
Steuerbehörden aus anderen Ländern, sammelt Daten            ordnet. 2016 wurden in dieser Behörde die Entwicklung
und unterstützt die Länder und das BMF bei der Ana-          und der Betrieb von IT-Lösungen für die Bundesbehör-
lyse von Steuerlücken und Gesetzesfolgen. Schließlich        den und Ministerien zusammengeführt. Ein großer Teil
erhebt das BZSt auch Steuern z. B. von Personen ohne         der IT für die Steuerverwaltung wird aber weiterhin im
Steuerwohnsitz in Deutschland, von Spezial-Invest-           sogenannten Konsens-Verfahren auf Ebene der Länder
mentfonds oder aus der Versicherungssteuer. Die              entwickelt und betrieben.
7

 Steuerforschung und Steuerlücke
 Laut einer Studie des Wissenschaftlichen Beirats des      Die Analyse und Bewertung von Steuergesetzen und
 BMF aus dem Jahr 2021 „ist die Analyse administra-        Betrugsbekämpfung erfolgt derzeit vor allem durch die
 tiver Steuerdaten in Deutschland im internationalen       Steuerabteilung des BMF in Zusammenarbeit mit dem
 Vergleich deutlich unterentwickelt”. Das liegt an der     BZSt und basierend auf Daten aus den Ländern. Ein
 kritisierten Dateninfrastruktur, aber noch viel mehr am   im Haushaltsentwurf für 2022 eingeplantes Steuerfor-
 sehr restriktiven Steuergeheimnis, das den Zugang zu      schungsinstitut soll das ändern. Laut Koalitionsvertrag
 Informationen stark beschränkt und eine Verknüpfung       soll es eine „aktuelle und bessere Datenlage etwa für
 von Datensätzen weitgehend verbietet. Außerdem feh-       die Evaluierung von Steuerregelungen – auch im Hin-
 len zum Beispiel durch die Aussetzung der Vermögen-       blick auf ihre Belastungswirkung – oder die entgange-
 steuer oder die 2008 eingeführte Anonymität bei der Ka-   nen Steuereinnahmen aufgrund Steuerhinterziehung und
 pitalertragsteuer wichtige Daten komplett. Deutschland    Steuergestaltung“ schaffen und damit „die Grundlage für
 gehörte auch nicht zu den immerhin 13 EU-Ländern, die     eine evidenzbasierte Gesetzgebung verbessern“.
 laut einer EU-Umfrage von 2018 regelmäßige Steuerlü-
 ckenschätzungen durchführten oder planten.

Länderfinanzverwaltung
Parallel zum Bund sind auch in den Bundesländern           1. Zusammenarbeit mit Behörden außerhalb der
die jeweiligen Finanzministerien die obersten Finanz-      Steuerverwaltung (z. B. Staatsanwaltschaften)
behörden. Acht der 16 Bundesländer haben zusätzlich
zwischen Ministerium und Finanzämtern Oberfinanz-          2. Koordination mit Steuerbehörden anderer Länder
direktionen, Landesämter oder ähnliche Mittel- und         und innerhalb des Landes (z. B. Informationsweitergabe)
Oberbehörden. Diese Mittelbehörden können vielfältige
Aufgaben übernehmen, etwa Aufsichtsfunktionen oder         3. Datenanalyse zum Aufspüren neuer Betrugsmodel-
zentrale Dienstleistungen für die Finanzämter.             le und zur Identifizierung bekannter Modelle (zum Bei-
                                                           spiel Umsatzsteuerkarusselle)
Herzstück der Steuerverwaltung sind die über 500 Fi-
nanzämter, die für die Verwaltung nahezu aller Steuern     4. Direkte Ermittlungen bei Verdächtigen in komplexen
zuständig sind. Die sogenannten Veranlagungsfinanz-        Betrugsfällen
ämter bearbeiten die Lohn- und Einkommenssteuer-
erklärungen der in ihrem Bereich wohnhaften Steuer-        Je nach Bundesland übernehmen Sondereinheiten nur
pflichtigen – deutschlandweit insgesamt 42 Millionen       einen oder mehrere Aufgabenbereiche gleichzeitig.
Menschen.                                                  In nahezu allen Bundesländern sind jedoch nicht alle
                                                           dieser Aufgabenbereiche durch Sondereinheiten abge-
Aufgaben wie Betriebsprüfung, Steuerfahndung und           deckt.
Bearbeitung von Steuerstrafsachen sind in vielen Län-
dern regional oder sogar landesweit konzentriert. Die      Die Sondereinheiten sind seit 2013 miteinander vernetzt
Verteilung dieser und weiterer Aufgaben ist in soge-       und treffen sich jährlich zu bundesweiten Konferenzen.
nannten Zuständigkeitsverordnungen geregelt. In Nord-      Die Bundesländer Niedersachsen, Bremen, Hamburg,
rhein-Westfalen gibt es beispielsweise zehn Finanzäm-      Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein,
ter für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung, in Berlin    später gefolgt von Brandenburg und Berlin, haben sich
nur ein zentrales Finanzamt für Fahndung und Straf-        zusätzlich zum Norddeutschen Bund zusammenge-
sachen.2 Darüber hinaus richten die Länder zunehmend       schlossen, dessen Lenkungsgruppe Steueraufsicht die
Sondereinheiten gegen komplexen Steuerbetrug ein.3         Arbeiten der jeweiligen Sondereinheiten koordiniert –
Einer der Vorreiter war Niedersachsen, mit einem 2002      aber eben nicht die Sondereinheiten aller Länder.
eingerichteten Sonderreferat im Landesamt für Steuern.
In Bayern und Hessen gibt es jeweils zwei solcher Son-     Neben den Finanzämtern und Ober- und Mittelbehörden
dereinheiten, in NRW sogar vier. Allerdings weichen Auf-   beschäftigen die Länder schließlich in den Finanzver-
gabenbereich und Arbeit zwischen den Einheiten und         waltungen noch weiteres Personal an Ausbildungs-
Bundesländern stark voneinander ab. Grob lassen sich       stätten oder für die IT. Diese Mitarbeiter sind oft keine
vier verschiedene Aufgabenkomplexe unterscheiden:          Beamten, sondern Tarifkräfte.
8

  Sondereinheiten der Finanzverwaltung NRW
 1) T
     ask Force „Ressortübergreifende Bekämpfung von       3) Z
                                                               entralstelle für Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung
    Finanzierungsquellen organisierter Kriminalität und       (ZEUS) (Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuer-
    Terrorismus“ (Finanzamt für Steuerstrafsachen und         fahndung Bonn)
    Steuerfahndung Düsseldorf)                             4) Z
                                                               entrale Ermittlungs- und Koordinierungsstelle Xpider
 2) A
     nalyseeinheit für risikoorientierte Ermittlung im       (ZekoX) (Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steu-
    Bereich der Steueraufsicht (ARES) (Finanzamt für          erfahndung Bonn) zur Bekämpfung der Steuerlücke
    Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Hagen) zur           im Internethandel und bei Onlinedienstleistungen
    Entdeckung unbekannter straf- und bußgeldrelevan-
    ter Sachverhalte (Datenanalyse) und Koordination
    mit Behörden anderer Länder

Bund-Länder-Koordination über Zielvereinbarungen
Das im Grundgesetz verankerte föderale System              gibt aber zumindest einen groben Überblick über die 27
Deutschlands führt bei der Finanzverwaltung zu zwei        Ziele aus dem Rahmenkatalog. Daraus wird ersichtlich,
grundlegenden Problemen. Zum einen entstehen An-           dass die Zielvereinbarungen zwar fast ausnahmslos
reizprobleme, wenn Landesregierungen finanziell (und       erreicht werden (niedrigster Wert war 89 Prozent), aber
politisch) dafür aufkommen, Steuern bei ihren Wählerin-    wenig ambitioniert sind und noch dazu sehr lückenhaft
nen und Wählern zu erheben, ohne dass notwendiger-         eingesetzt werden. Die Anzahl der bilateral vereinbarten
weise zusätzliches Einkommen für eigene politische         Ziele schwankte zwischen sieben für Baden-Württem-
Projekte generiert wird. Diese Dynamik kann sowohl bei     berg und 15 für Bremen. Eine Prüfquote für Kleinstbe-
Gemeinschaftssteuern entstehen, bei denen ein großer       triebe wurde beispielsweise nur mit drei Bundesländern
Anteil an den Bund fließt, als auch durch den Länder-      vereinbart. Bremen erreichte die vereinbarte Quote (35
finanzausgleich, durch den einkommensstarke Länder         Jahre) zu 100 Prozent, Rheinland-Pfalz die ambitionier-
nicht von Mehreinnahmen profitieren. Dies führt zu         tere Quote von 25 Jahren nur zu 94 Prozent. Aber die
uneinheitlicher Steuererhebung und im schlechtesten        reine Zahl der Prüfungen sagt noch wenig über deren
Fall zu Standortwettbewerb über lückenhafte Steuerein-     Qualität und Erfolg. Zielvereinbarungen über Mehrein-
treibung. Zum anderen entstehen Reibungsverluste und       nahmen aus der Steuerfahndung gibt es aber genauso
fehlende Expertise vor allem im Umgang mit komple-         wenig wie z. B. die von den Steuergewerkschaften seit
xen, grenzüberschreitenden Steuerfällen.                   langem geforderte Vereinbarung über eine einheitliche
                                                           Personalausstattung entsprechend der Bedarfe oder
Ein zentrales Mittel, über das der Bund Einfluss auf die   die vom Bundesrechnungshof zuletzt 2020 geforderte
Arbeit der Länderverwaltungen nehmen kann, sind die        Vereinbarung über eine Quote für Umsatzsteuer-Son-
sogenannten Zielvereinbarungen (FVG, §21a, Abs. 2, 3       derprüfungen.
& 4). Diese werden anhand eines einheitlichen Rahmen-
katalogs bilateral zwischen BMF und den Länderfinanz-
behörden getroffen. Die Länder verpflichten sich darin
gegenüber dem Bund zur Einhaltung von Kennzahlen,
wie die Bearbeitungszeit für Steuererklärungen oder
Prüfquoten für Großbetriebe. Das BMF verweigert die
Herausgabe der konkreten Zielvereinbarungen unter an-
derem mit dem Hinweis, dass die Finanzverwaltungen
der Länder „unter öffentlichen Rechtfertigungsdruck ge-
raten“ könnten. Eine Kleine Anfrage der Linken von 2018
9

                          Durchlaufzeit/                                           Effizienz/
                                                          Prüfquote                                       Was fehlt?
                          Erledigungsquote                                         Bagatellfälle

 Einkommen-               16 (meist mehrere Ziele)        8 (nur 5 Vereinbarun-    12 (9x Prüfung je      Personalausstattung,
 steuer/                                                  gen für große Unter-     Prüfer, 3x Bagatell-   Effektivität (Mehrein-
 Lohnsteuer-                                              nehmen >500)             fälle bis Mehrsteu-    nahmen je Prüfer) etc.
 Außenprüfung                                                                      ern i. H. v. 499 €)

 Körperschaften/          15 (meist mehrere Ziele:        7 (nur 3 Vereinbarun-    9 (4x Prüfung je       Personalausstattung,
 Betriebsprüfung          letzte Prüfungsjahr Groß-       gen für Kleinstbetrie-   Prüfer, 8x Bagatell-   Effektivität (Mehrein-
                          betriebe, Erledigungsquo-       be, Quote: 25 bis 35     quote von 33 bis 43    nahmen je Prüfer) etc.
                          te Vorjahr, Durchlaufzeit)      Jahre)                   Prozent)

 Umsatzsteuer-            –                               –                        10                     Personalausstattung,
 Sonderprüfung                                                                                            Effektivität (Mehrein-
                                                                                                          nahmen je Prüfer) etc.

 Was fehlt?               Steuerfahndung, Steuerpflichtige mit bedeutenden Einkünften, Erbschaftsteuer etc.

Tabelle 1: Art und Umfang der Zielvereinbarungen
Quelle: eigene Darstellung basierend auf Übersicht für 2018

Personalausstattung und Ergebnisse
Der wohl wichtigste Faktor für das Funktionieren der                   Wie viel Personal in Deutschland insgesamt gebraucht
Steuerverwaltung ist ausreichend und qualifiziertes Per-               und den einzelnen Bereichen der Finanzämter zuge-
sonal. Zusätzliche Beamte erhöhen die Steuereinnahmen                  ordnet wird, bestimmt die Personalbedarfsberechnung
und finanzieren sich dadurch zum Teil selbst – wenn sie                (PersBB). Sie wird alle drei Jahre von einer Bund-Län-
auch effizient eingesetzt werden. Wie bei vielen anderen               der-Arbeitsgruppe erstellt und soll im besten Fall den
Behörden gibt es auch bei der deutschen Steuerverwal-                  sich verändernden Arbeitsaufwand wie z. B. Erleichte-
tung massive und teilweise wachsende Personalnot.                      rungen durch Digitalisierung oder zusätzliche Bedarfe
                                                                       durch Gesetzesänderungen, höhere Prüfquotenziele
Im internationalen Vergleich sind die Personalzahlen                   oder die Verarbeitung neue Daten aus dem internatio-
laut der International Survey on Revenue Administration                nalen Informationsaustausch widerspiegeln. Experten
(ISO-RA) mit etwa 110.000 Beschäftigten in Deutsch-                    beurteilen die PersBB insgesamt als eine gute Grund-
land 4 sehr hoch. Nur Russland und China beschäftigen                  lage, allerdings hat sie mehrere Schwächen. So basiert
in absoluten Zahlen mehr Personal in ihren Steuerver-                  z. B. auf Daten aus den vergangenen Jahren und bildet
waltungen. Vergleichbare OECD-Länder wie Frankreich,                   Veränderungen wie Bevölkerungswachstum oder kurz-
Großbritannien oder auch Japan kommen mit weniger                      fristige Zusatzbedarfe wie durch die Coronahilfen nicht
Personal pro Einwohner aus – wobei die Zahlen auf                      ausreichend oder verspätet ab. Außerdem ist beispiels-
Umfragen beruhen und teilweise zwischen Ländern                        weise die Zahl der Steuerfahnder seit 1998 bundesweit
und für Deutschland in geringem Ausmaß mit anderen                     auf 2.987,5 Vollzeitäquivalente gedeckelt. Eine Anpas-
Datenquellen inkonsistent sind.5 Allerdings ist der Ver-               sung an die gestiegene Zahl und Komplexität der Fälle
gleich nur eingeschränkt aussagekräftig, weil sich der                 wurde nicht vorgenommen.
Arbeitsaufwand je nach Steuersystem und Struktur der
Verwaltung stark unterscheiden kann und anderseits
die Qualität der Steuererhebung nicht gemessen wird.
Möglicherweise führt auch der deutsche Finanzfödera-
lismus zu einem höheren Personalbedarf als in zentrali-
sierteren Verwaltungen.
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 Die Personalbedarfsberechnung aus Sicht der Gewerkschaften
 Die Beamten der Finanzverwaltung sind in zwei verschiedenen Gewerkschaften organisiert. Beide werden regelmäßig
 zur PersBB angehört und kommentieren diese.
 Die vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di) hebt                    Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft (DStG) weist dar-
 dabei beispielsweise hervor, dass die Einführung von Risi-                auf hin, dass Gesetzesänderungen wie aktuell durch die
 komanagementsystemen nicht geeignet ist, die Arbeitsbe-                   Corona-Soforthilfemaßnahmen oder die Grundsteuerre-
 lastung so zu verringern, dass gestiegene Fallzahlen und                  form nicht zeitnah abgefedert würden. Die Gewerkschaft
 komplexere Gesetze mit weniger Personal erledigt werden                   moniert außerdem, dass das operativ tätige Personal
 können, und außerdem die Gefahr birgt, dass Erfahrungs-                   (Ist-Besetzung der Finanzämter) nicht mit dem berech-
 wissen und der Blick auf den Gesamtfall verloren gehen.                   neten Personalbedarf wächst.“ Obwohl „die Arbeitspro-
 Vielmehr sollte die risikobasierte Prüfung dazu dienen,                   zesse sich vehement verdichten, der Aufwand für die
 „Ressourcen für die Arbeit an bedeutenden Steuerfällen                    Betreuung der eingestellten und erforderlichen Nach-
 freizusetzen“. Für komplexe Fälle mit erhöhtem „Steuerwi-                 wuchskräfte konstant hoch ist und der Fortbildungsauf-
 derstand“ vor allem in Ballungsräumen wie München for-                    wand mit Blick auf neue Verfahren steigt“, orientiere sich
 dert ver.di entsprechend einen höheren Zeitansatz, genau-                 die tatsächliche Personalsituation zumeist an der Haus-
 so wie für die Erhöhung der Prüfdichte bei Unternehmen,                   haltssituation des jeweiligen Bundeslandes.
 für Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerson-
 derprüfungen und die Steuerfahndung. Als Hauptproblem                     Quelle: ver.di (2021, 2018) und DStG (2021)
 kritisiert ver.di schließlich die pauschalen Stellenkürzun-
 gen in den Ländern und fordert einheitliche Ausstattungs-
 standards durch Zielvereinbarungen nach §21 FVG.

Abgesehen von Unzulänglichkeiten bei der PersBB gibt es zwei weitere Probleme, die zu einer zu geringen Personal-
ausstattung führen
1.   Die berechneten Bedarfe werden von den Ländern                    2.    Zusätzlich zum Entbehrungsfaktor ergibt sich
nicht komplett in den Haushalt überführt. Je nach Bun-                 noch eine Lücke zwischen Haushalts-Ist und Arbeits-Ist
desland gilt ein sogenannter Entbehrungsfaktor. Berlin                 dadurch, dass nicht alle im Haushalt vorgesehen Plan-
finanziert beispielsweise lediglich 87,5 Prozent des in                stellen auch besetzt werden. Gründe sind z. B. langwie-
der PersBB errechneten Personalbedarfs. Der Bundes-                    rige Ausschreibungen, fehlende Bewerber oder unter-
schnitt des Entbehrungsfaktors liegt bei etwa zehn                     jährige Verluste z. B. durch Elternzeit, Krankschreibung
Prozent. Dabei ist die Ausstattungslücke in den unter-                 etc. Von 2009 bis zum letzten Datenpunkt 2020 hat sich
schiedlich hoch. Für die Erledigungsstatistiken und die                beispielsweise bei den Länderverwaltungen die Zahl der
Kommunen wichtige oder sichtbare Bereiche wie z. B.                    unbesetzten Planstellen von 3.175 auf 6.140 erhöht.
die Bearbeitung von Steuererklärungen oder die Hunde-                  Somit war Ende 2020 mit 6,0 Prozent ein doppelt so
steuer werden teilweise besser ausgestattet als die für                hoher Anteil von Planstellen unbesetzt als noch 2009
die gleichmäßige Steuererhebung zentralen aber weni-                   (3,0 Prozent).
ger sichtbaren Bereiche wie die Steuerfahndung oder
die Außenprüfung.

     104.000                                                                                                                   7%

     102.000                                                                                                                   6%
                                                                                                                               5%
     100.000
                                                                                                                               4%
      98.000
                                                                                                                               3%
      96.000
                                                                                                                               2%
      94.000                                                                                                                   1%
      92.000                                                                                                                   0%
                 2009     2010     2011     2012     2013     2014    2015       2016     2017     2018     2019     2020

       Mitarbeiter Finanzämter Länder (Arbeits-Ist in VZÄ) (linke Achse)         Anteil offener Stellen in Finanzämtern (rechte Achse)

Grafik 2: Entwicklung der Mitarbeiterzahlen und offenen Stellen in der Finanzverwaltung
Quelle: eigene Darstellung
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Insgesamt ist das Personal in den Finanzämtern der                   nur schwer schätzen. Steuerfahnder und Betriebsprüfer
Länder seit 2015 unter die Grenze von 100.000 Mit-                   erbringen im Schnitt Mehreinnahmen von etwa einer
arbeitern gesunken und lag 2020 noch bei 96.602 (Ar-                 Million Euro und finanzieren sich dadurch selbst. Diese
beits-Ist in Vollzeitäquivalenten). Zehn Jahre zuvor lag             Feststellung wird oft zitiert und ist als Illustration gut
die Zahl noch bei 102.058. Hinzu kommen einige Tau-                  geeignet, auch wenn sie einige Haken hat. So sind zum
send Stellen für Bildungseinrichtungen, Digitalisierung              Beispiel die Prüfer im Außendienst für ihre Arbeit und
und ähnliche kleinere Bereiche. Gerade was IT-Stellen                das Ergebnis auch auf Mitarbeiter aus dem Innendienst
betrifft, ist der Personalmangel auch in den Nicht-Be-               angewiesen. Vor allem bei der Betriebsprüfung ist das
amtenstellen ausgeprägt.                                             Mehrergebnis nur bedingt aussagekräftig6 und die in-
                                                                     direkten Mehrergebnisse sind insgesamt sogar deutlich
Fehlendes Personal führt zu weniger und weniger tiefen               höher (Abschreckungseffekt).
Prüfungen und damit schließlich zu fehlenden Ein-
nahmen und einer ungleichmäßigen Besteuerung. Wie
hoch die potenziellen Mehreinnahmen sind, lässt sich

                      Vollzeitkräfte       Anzahl              Mehrergebnis          Mehrergebnis           Mehrergebnis
                                           Prüfungen           (in Mrd. €)           (pro VZK,              (pro Prüfung)
                                                                                     in Mio. €)

 Betriebsprüfung      13.341               181.345             15,2                  1,14                   84.000
 (einschließlich
 Lohnsteuer-Au-       + 454 (BZSt)         + 6.695                                   (0,91)                 (81.000)
 ßenprüfung,                               (sonstige Fälle)
 bE-Fälle)

 ---bE-Fälle          ?                    1.029               0,15                  ?                      146.000

 Steuerfahndung       2.501                34.037              2,8                   1,2                    82.000

 Umsatzsteuer-        1.770                77.857              1,55                  0,88                   20.000
 Sonderprüfung

 Gesamt               110.000                                  799                   7,26

Tabelle 2: Personalausstattung und Mehrergebnis bei Betriebsprüfung, Steuerfahndung und Umsatzsteuersonderprüfung
Quelle: eigene Darstellung basierend auf Zahlen für 2019

Zum Vergleich 1: In Deutschland gibt es etwa                         Zum Vergleich 2: Die Finanzkontrolle Schwarz-
90.000 vereidigte Steuerberater, 15.000 vereidigte Wirt-             arbeit beim Zoll wurde in den letzten Jahren personell
schaftsprüfer und mehr als eine Million Erwerbstätige                mehrfach gestärkt. Laut Jahresstatistik 2020 führten
in den Bereichen Steuer- und Rechtsberatung sowie                    die etwa 7.500 Mitarbeitern im Vor-Corona-Jahr 2019
Wirtschaftsprüfung. Allein die größten 10 Steuerbera-                54.733 Prüfungen durch, ermittelten einen Schaden von
tungsgesellschaften (von insgesamt etwa 10.000) er-                  755 Millionen Euro, setzten Strafen und Bußgelder von
zielten 2016 Honorarumsätze von 7 Milliarden Euro und                94 Millionen Euro fest, veranlassten weitere Ermittlun-
kosteten damit etwa so viel, wie alle Finanzbeamten                  gen der Landesfinanzverwaltung mit Mehreinnahmen
zusammen.                                                            von 45,8 Millionen Euro und verhängte Freiheitsstrafen
                                                                     von 1.827 Jahren. Die Steuerfahndung lag mit 1.234
                                                                     Jahren, 80 Millionen Euro Strafen oder Geldbußen und
                                                                     einem Mehrergebnis von 2,8 Milliarden Euro absolut da-
                                                                     runter, relativ zu den Mitarbeitern aber deutlich darüber.
12

Die Betriebsprüfung
Insgesamt arbeiteten 2020 in den Ländern 12.664 und                   ist nach einem Anstieg seit 2016 kontinuierlich gefallen
beim BZSt noch einmal 440 Finanzbeamte in der Prü-                    und lag 2020 auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der
fung von Betrieben. Sie erzielten 2020 ein Mehrergebnis               Datenreihe in 2009. Angesichts aktueller gesetzlicher
von 11,2 Milliarden Euro nach 15,2 Milliarden Euro in                 Entwicklungen – von der Meldepflicht für Steuergestal-
2019. Das ist das schlechteste Ergebnis seit Beginn                   tungen, über das Optionsmodell bis hin zur internatio-
unserer Datenreihe in 2010. Auch wenn Corona zu                       nalen Unternehmenssteuerreform und umfangreicher
diesem Tiefstand beigetragen hat, zeigt Grafik 3 einen                technischer Umstellungen – wäre eher ein Anstieg
abnehmenden Trend. Auch die Zahl der Betriebsprüfer                   nötig gewesen.

     14.000                                                                                                           20

     13.800                                                                                                           18

     13.600                                                                                                           16

     13.400                                                                                                           14

     13.200                                                                                                           12

     13.000                                                                                                           10

     12.800                                                                                                           8

     12.600                                                                                                           6
               2010      2011      2012      2013      2014        2015   2016     2017     2018      2019     2020

        Betriebsprüfer Länderfinanzämter, vorhandene Prüfer (VZÄ)            Mehrergebnis Betriebsprüfung (Mrd.)

Grafik 3: Zahl der Betriebsprüfer und Mehrergebnis 2010 bis 2020

Ein genauerer Blick zeigt, dass die Entwicklung der                   Nicht zuletzt zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung,
Mehreinnahmen ziemlich direkt dem Prüfungsergeb-                      Geldwäsche und Wirtschaftskriminalität wäre darüber
nis bei den Großbetrieben folgt. Erstaunlicherweise                   hinaus aber auch bei den Mittel-, Klein- und Kleinst-
ist selbst im Bereich der Großbetriebe – die eigentlich               betrieben eine höhere Prüfdichte nötig. Rein statistisch
größtenteils laufend geprüft werden sollten – eine                    werden Kleinstbetriebe einmal alle 91 Jahre, in einigen
abnehmende Prüfquote zu erkennen. Die besonders                       Bundesländern sogar alle 130 Jahre geprüft, obwohl
niedrige Quote in 2020 ist möglicherweise auf Folgen                  die Rechnungshöfe, die Zielvereinbarungen und die Ge-
der Corona-Pandemie wie Abstellung von Betriebsprü-                   werkschaften hier seit Jahren Verbesserungen fordern.
fern für Corona-bezogene Aufgaben zurückzuführen.

        25%                                                                                                           16

                                                                                                                      14
        20%
                                                                                                                      12

        15%                                                                                                           10

                                                                                                                      8
        10%
                                                                                                                      6

                                                                                                                      4
         5%
              2010      2011      2012      2013      2014     2015       2016    2017     2018      2019     2020

        Prüfquote bei Großbetrieben            Mehrergebnis bei Großbetrieben (Mrd.)

Grafik 4: Prüfquote für Großbetriebe und Mehrergebnis 2010 bis 2020
13

Die Steuerfahndung
Die Zahl der Steuerfahnder in der PersBB ist seit 1998               Informationsaustausch seit 2017 sein. Zuletzt wurden
auf 2.987,5 Vollzeitäquivalente gedeckelt. Die Zahl der              2021 ein Datensatz mit Immobilieninformationen aus
tatsächlich eingesetzten Fahnder ist zwischen 2009                   Dubai erworben und mit den Pandora Papers Informa-
und 2019 leicht von 2.395 auf 2.501 gestiegen. Entspre-              tionen zu 27,000 Firmen veröffentlicht.
chend zeigen auch die Zahl der Fahndungsprüfungen
und die Mehreinnahmen mit zuletzt (2019) 2,8 Milliar-                Die Selbstanzeigen führten zwar automatisch zu einem
den Euro einen leichten Aufwärtstrend.                               Steuerstrafverfahren. Nach Auskunft von Experten
                                                                     wurden die erklärten Einnahmen und Vermögen aber
Grund für die seit 2010 sprunghaft angestiegenen                     u. a. wegen des Personalmangels viel zu selten auf
Mehreinnahmen dürften auch die Ankäufe von Steu-                     Vollständigkeit und auf mögliche neue Hinterziehungs-
er-CDs und öffentliche Leaks seit 2010, die hohe Anzahl              muster geprüft.
von Selbstanzeigen bis 2015 und der automatische

      2.550                                                                                                           3,5

      2.500                                                                                                           3
                                                                                                                      2,5
      2.450
                                                                                                                      2
      2.400
                                                                                                                      1,5
      2.350
                                                                                                                      1
      2.300                                                                                                           0,5
      2.250                                                                                                           0
              2010      2011       2012    2013      2014     2015      2016     2017     2018     2019     2020

        Steuerfahnder bundesweit            Mehrergebnis Steuerfahndung (Mrd.)

Grafik 5: Zahl der Steuerfahnder und Mehrergebnis 2010 bis 2020

 Bußgeld- und Strafsachenstellen, Steuerfahndung und Steuerstrafverfahren
 Die Finanzämter haben weitreichende Kompetenzen in                  Geldauflagen in Höhe von 364,0 Millionen Euro. Von
 der Bearbeitung von Steuerstrafverfahren. Die Strafsa-              insgesamt 11.707 Fällen, die Gerichte und Staats-
 chenstelle fungiert dabei eigenständig als Ermittlungs-             anwaltschaften abschlossen, wurden weitere 3.383
 behörde, es sei denn es liegen neben der Steuerstraftat             ohne Auflagen und weitere 1.404 gegen Auflagen
 weitere Straftaten vor, es soll ein Haftbefehl erlassen             eingestellt. Von den gesamten Steuerstrafverfahren
 werden oder das Verfahren wird aus anderen Gründen an               landeten nur 1.618 vor Gericht (bei 55 Freisprüchen),
 die Staatsanwaltschaft abgegeben. Die Steuerfahndung                also etwa 3 Prozent. Weitere 5.236 führten zu Straf-
 führt die Ermittlungen durch und kann dafür Vorfelder-              befehlen, die nur bei leichter Kriminalität ergehen und
 mittlungen anstellen, auf Geldwäscheverdachtsanzeigen               nicht zu Gefängnisstrafen ohne Bewährung führen.
 zugreifen, Durchsuchungen erwirken und bei banden-
 oder gewerbsmäßigem Umsatzsteuerbetrug auch Telefo-                 Mehreinnahmen werden also vor allem durch Ein-
 ne abhören. 2019 führten 2.501 Steuerfahnder über alle              stellungen mit Auflagen, Geldstrafen und Nachent-
 Steuerarten hinweg 26.534 Fahndungsprüfungen durch.                 richtung der Steuern samt Zinsen generiert. Von dem
                                                                     Gesamtmehrergebnis aus Steuerstrafsachen von
 2019 wurden deutschlandweit 54.369 Steuerstrafverfah-               über 2,8 Milliarden Euro entfallen etwa die Hälfte auf
 ren von den Bußgeld- und Strafsachenstellen abgeschlos-             Umsatzsteuer (933,3 Millionen Euro) und Einkommen-
 sen. In 5.608 Fällen erging dabei ein Antrag auf Strafbe-           steuer (448,9 Millionen Euro).
 fehl, 6.180 Fälle wurden an die Staatsanwaltschaften
 und 170 weitere an andere Bußgeld- und Strafsachen-                 Quelle: Jährlicher Bericht des BMF zur Verfolgung von
 stellen abgegeben. 15.352 Einstellungen erfolgten gegen             Steuerstraftaten (Oktober 2020, Oktober 2021)
14

                             Jahr         Quelle und                                            Betroffene dt.
 Name
                             (Erhalt)     Bezug                                                 Steuerpflichtige

 Commerzbank                 1996         Durchsuchungen bei Frankfurter Banken in Bezug        Ca. 60.000
 (Deutschland)                            zu Zinsabschlagsteuer nach Information durch          Steuerstrafverfahren
                                          Whistleblower

 Batliner                    2000         Daten von liechtensteinischem Treuhänder,             400 dt. Steuerpflichtige,
 (Liechtenstein)                          zunächst 1997 an Spiegel, später an Stern und         112 Strafverfahren
                                          von dort anonym zur SA Bochum

 LGT-Affäre                  2006         Ankauf durch BND mit Daten von Heinrich Kieber        Rund 700 Beschuldigte, 596
 (Liechtenstein)                          (bis 2002) für 4,6 Mio. + möglicherweise weitere      Verfahren in Wuppertal, 244
                                          Quelle (bis 2005)                                     davon brachten 181 Mio. €

 LLB-Affäre                  2008         Michael Freitag erpresst LLB, erhält 9 Mio. € für     1.300 dt. Steuerpflichtige
 (Liechtenstein)                          2.335 Kontenbelege, wird am 15.11.2007 in Rostock
                                          festgenommen und gibt Daten an die SA

 Credit Suisse               2010         Steuer-CD (NRW)                                       1.500 dt. Steuerpflichtige
 (Schweiz)                                                                                      (1.100 Strafverfahren)

 Schweiz                     2010         Steuer-CD (Niedersachsen)                             20 – 35.000 Datensätze
                                                                                                (eher Kleinverdiener)

 Julius Bär – (Schweiz)      2010         Steuer-CD (NRW)                                       2.700 Datensätze

 HSBC (Swiss                 2011         Konto- und Klientendaten des Schweizer Ablegers       1.992 Konten, 3,3 Mrd.
 Leaks, Schweiz)                          von HSBC, 2009 von französischen Behörden konfis-     Vermögen, 229 Brief-
                                          ziert, 2010 Übergabe an Deutschland mit 1.136         kastenfirmen, 740
                                          Namen, seit 2014 von ICIJ ausgewertet, 2018 Rest-     Nummernkonten
                                          kauf durch BKA mit ca. 1.000 zusätzlichen Namen

 HSBC (Luxemburg)            2011         Steuer-CD (NRW)                                       3.000

 Coutts – (Schweiz)          2012         Steuer-CD (NRW)                                       1.000

 UBS – Schweiz (u.a.)        2012         2 Steuer-CDs (NRW)                                    750 Stiftungen und 550
                                                                                                Kapitalanlagen über
                                                                                                2,9 Mrd. € und 204 Mio. €
                                                                                                hinterzogene Steuern

 Drei Schweizer Banken 2013               Steuer-CD (Rheinland-Pfalz)                           40.000 Datensätze

 Credit Suisse               2013         Durchsuchung der Credit Suisse Filiale in Frankfurt   7.000 Fälle von Versiche-
 (Bermuda)                                                                                      rungsmänteln in Bermuda

 Unbekannt                   2015         4 weitere Steuer-CDs, inklusive Cum-Ex                In einem Fall 55.000 Kunden

 Panama Papers               2017         Daten von panamaische Anwaltskanzlei Mossack          255 Personen mit Bezug
                                          Fonseca, Veröffentlichung durch Journalistenverbund   zu Deutschland, erste
                                          2016, Ankauf durch BKA 2017                           Durchsuchungen bei 8
                                                                                                Steuerpflichtigen in 2019

 Paradise Papers             2018         Daten von Anwaltskanzlei Appleby, Veröffentlichung    5.441 Personen mit Bezug
                                          durch Journalistenverbund 2017, Ankauf durch BKA 2018 zu Deutschland

 Weitere Leaks               Seit         Ankauf weiterer, teilweise bereits veröffentlichter   Unbekannt
                             2018         Leaks (Bahamas, Offshore, Zypern, Dubai, Pandora?)

Tabelle 3: Steuer-CDs und andere Datenleaks im Zeitablauf
15

      45.000
                                                                      39.812
      40.000

      35.000

      30.000     27.519                                 27.913

      25.000

      20.000
                                                                                  15.120
      15.000

      10.000                                8.076
                               4.835                                                            4.373
       5.000                                                                                                  2.000        1.229
            0
                  2010          2011         2012         2013         2014         2015         2016         2017         2018

Grafik 6: Selbstanzeigen in Deutschland 2010 bis 2018
(Quelle: Statista für 2010 – 2016, FAZ für 2017, teilweise vorläufig und Extrapolation basierend auf Zahlen aus NRW für 2018 7

Nach aktuellen Schätzungen haben deutsche Steuer-                        Dass eine umfassendere Nachverfolgung von komple-
zahler trotz Steuer-CDs, Selbstanzeigen und Informati-                   xer Steuerhinterziehung für eine gleichmäßige Besteue-
onsaustausch weiterhin mindestens 125 bis 200 Milliar-                   rung nötig wäre, zeigen internationale Studien. So lag
den Euro im Ausland versteckt. Und weil Deutschland,                     in einer skandinavischen Studie, die Steuerdaten mit In-
anders als einige europäische Nachbarn, weitgehend                       formationen aus Leaks und Amnestie-Programmen ver-
auf sogenannte Gruppenabfragen verzichtet, in denen                      knüpft, die Hinterziehungsquote der reichsten 0,1 Pro-
gezielt weitere Fälle bei den gleichen Banken oder mit                   zent mit 26,8 Prozent deutlich über dem Durchschnitt
ähnlichen Mustern abgefragt werden, dürfte eine Viel-                    von 2,8 Prozent (Alstadsæter et al., 2019). Eine Studie
zahl an Altfällen und Anpassungsreaktionen unerkannt                     mit Daten der US-Amerikanischen Steuerbehörde IRS
geblieben sein (Trautvetter, 2019).                                      zeigt weiterhin: Die einkommensstärksten ein Prozent
                                                                         verschweigen durchschnittlich 21 Prozent ihrer Einkom-
Durch den automatischen Informationsaustausch                            men, die untere Hälfte lediglich sieben Prozent. Insge-
empfing Deutschland 2017 außerdem erstmals fast                          samt hinterziehen die oberen 0,1 Prozent doppelt so viel
1,3 Millionen Datensätzen aus dem Ausland und damit                      wie die US-Steuerbehörde IRS bis dato vermutet hatte.
mehr als zehnmal so viele Daten wie noch im Jahr                         Knapp unter einem Drittel des versteckten Einkommens
zuvor. Allerdings verzögerte die Zuordnung zu Steuer-                    des reichsten Prozents war dabei aufgrund komplexer
pflichtigen und den verantwortlichen Finanzämtern                        Strukturen in regulären Außenprüfungen nicht aufspür-
durch das BZSt und die Bereitstellung der nötigen                        bar (Guyton et al., 2020).
Software die Auswertung bis 2019 bzw. 2020. Nach
Expertenauskünften sind die Datensätze so gut wie nie
ausreichend für eine Steuerveranlagung und müssten in
vielen Fällen durch Außenprüfung und Fahndung verifi-
ziert werden, was wiederum bisher wegen der Personal-
not zu selten passiert.

Schließlich tragen auch das in den letzten Jahren
massiv gestiegene Aufkommen an Geldwäschever-
dachtsmeldungen und zuletzt auch die öffentlichkeits-
wirksame Einführung des Online-Meldeportals durch
die Finanzbehörden in Baden-Württemberg zu erhöhten
Fallzahlen, ohne dass dies durch zusätzliches Personal
kompensiert wird.
16

Die Umsatzsteuer-Sonderprüfung
Nicht nur die Steuerflüchtlinge mit hohen Auslands-                  noch 65.971 Prüfungen durchgeführt. Die Zahl der Prü-
vermögen kommen oft relativ einfach davon. Auch Um-                  fer hat sich im selben Zeitraum um 351 reduziert, von
satzsteuerbetrug blüht unter anderem wegen fehlenden                 1.981 in 2009 auf 1.630 in 2020. Folgerichtig hat sich
Personals und niedriger Prüfquoten. Braml und Felber-                das Gesamtmehrergebnis durch Umsatzsteuer-Sonder-
mayr (2019) schätzen den Schaden EU-weit auf bis zu                  prüfungen stark reduziert, von über 1,9 Milliarden in
64 Milliarden Euro. Für Deutschland ermittelte eine von              2009 auf 1,55 Milliarden in 2019.
der EU beauftragte Studie von CASE – Center for Social
and Economic Research eine Lücke von 22 Milliarden.                  Auch der Bundesrechnungshof hat den Rückgang der
Der Schaden allein aus grenzüberschreitenden Umsatz-                 Prüfquoten zuletzt erneut kritisiert. Nachdem bereits
steuerkarussellen beträgt pro Jahr fünf bis 14 Milliarden            2007 die Quote von 2,0 Prozent geprüfter Unternehmen
Euro (Frunza, 2016) – pro Jahr also etwa so viel wie der             als inakzeptabel moniert worden war, sank die Quote
Gesamtschaden aus Cum-Ex. Umsatzsteuer-Sonder-                       bis 2019 weiter auf 1,3 Prozent. Der BRH schreibt: „Eine
prüfungen sind ein wichtiges Mittel, um diesen Betrug                derart niedrige Quote kann einen gleichmäßigen und
aufzudecken. Allerdings zeigt sich auch hier ein rück-               den Erfordernissen der Betrugsbekämpfung genügen-
läufiger Trend: Waren es 2004 noch über 100.000 und                  den Steuervollzug nicht gewährleisten“ (Bundesrech-
2009 immer noch 96.992 Prüfungen, wurden 2020 nur                    nungshof, 2020, S. 18).

      2.400                                                                                                          2,2

      2.200                                                                                                          2,0
      2.000                                                                                                          1,8
      1.800
                                                                                                                     1,6
      1.600
                                                                                                                     1,4
      1.400
                                                                                                                     1,2
      1.200
      1.000                                                                                                          1,0
              2010     2011      2012      2013     2014      2015      2016     2017     2018     2019     2020

         Umsatzsteuer-Sonderprüfer (Jahresdurchschnitt)         Mehrergebnis Umsatzsteuer-Sonderprüfungen (Mrd.)

Grafik 7: Zahl der Umsatzsteuer-Sonderprüfer und Mehrergebnis 2010 bis 2020

Personalausstattung im BZSt
Entgegen dem leicht negativen Trend in den Bundes-                   BZSt die selbst gesetzte Quote, bis 2017 eine Beteili-
ländern hat sich die Mitarbeiterzahl im BZSt von 963                 gung an 5 Prozent der Betriebsprüfungen zu erreichen.
im Jahr 2008 auf 1.885 im Jahr 2020 erhöht. Allerdings               Zudem entfallen 284 neue Stellen auf die 2020 ge-
verläuft der Ausbau weitaus langsamer als erhofft.                   bildete Task Force Finanzkriminalität, von denen Ende
2020 waren 320 Planstellen unbesetzt. Damit ist die                  August 2020 schon 234 besetzt waren. Der Zentralen
Quote der unbesetzten Planstellen mit 14,5 Prozent                   Stelle zur Koordinierung von Prüfungsmaßnahmen in
weitaus höher als der Durchschnitt in den Ländern                    länder- und staatenübergreifenden Umsatzsteuer-Be-
(sechs Prozent). Einen wichtigen Teil des Personal-                  trugsfällen (KUSS) waren 2021 laut einer kleinen An-
zuwachses im BZSt macht die Bundesbetriebsprüfung                    frage 33 Planstellen zugewiesen, und damit 3,5 (plus
aus. Ihre Stellenzahl hat sich von 136 in 2009 auf 507               zehn Prozent) mehr als noch 2018. Für die Bearbei-
in 2015 fast vervierfacht, auch wenn sie seitdem wieder              tung des internationalen Informationsaustauschs von
einen negativen Trend aufweist und bis 2020 auf 440                  Steuervorbescheiden genauso wie für den Austausch
gefallen ist. Die Zahl der Betriebsprüfungen, bei denen              von länderbezogenen Berichten multinationaler Unter-
das BZSt mitgearbeitet hat, ist dementsprechend von                  nehmen wurden laut einer kleinen Anfrage von 2018
2009 bis zum letzten Datenpunkt in 2018 von 643 auf                  je drei zusätzliche Stellen geschaffen sowie eine Stelle
1.155 angewachsen. Nichtsdestotrotz verfehlte das                    umgewidmet
17

Personalausstattung in den einzelnen Bundesländern
Daten über die Personalsituation und die Ergebnisse der     32 Betriebsprüfern je 100.000 Einwohner war nahezu
Steuerverwaltung werden in den einzelnen Ländern er-        doppelt so hoch wie die 18 Prüfer der Schlusslichter
hoben und vom BMF gesammelt. Das BMF verweigert             Bayern, Sachsen und Thüringen. Und während Bayern
mit Verweis auf die Verschwiegenheitspflicht jedoch         und Thüringen bei der Steuerfahndung klar unter dem
regelmäßig eine nach Ländern aufgeschlüsselte Ver-          Bundesdurchschnitt von 36 Steuerfahndern je eine Mil-
öffentlichung und keines der Bundesländer veröffent-        lion Einwohner lagen, toppte Hamburg den Schnitt mit
licht bisher die eigenen Zahlen regelmäßig. Deswegen        52 Fahndern deutlich. Vor allem die Länder Baden-Würt-
sind Aussagen über Unterschiede und unterschiedliche        temberg, Bayern und Thüringen fielen durch ihre durch-
Trends in den Bundesländern nur beschränkt möglich.         weg niedrigen Quoten auf und erweckten den Verdacht
Die letzten länderübergreifend vergleichbaren Zahlen        eines unfairen Standortwettbewerbs mittels unterfinan-
stammen aus einer koordinierten Anfrage der Grünen          zierter Steuerverwaltung. In der Folge hat Bayern bei-
an die einzelnen Landesregierungen. Allerdings bezog        spielsweise öffentlichkeitswirksam das Personal in der
sich diese Anfrage auf den Zeitraum von 2005 – 2009,        Steuerfahndung signifikant aufgestockt. So hat sich von
ist also schon mehr als ein Jahrzehnt alt, und nicht alle   2010 bis 2020 die Zahl der Steuerfahnder von 353 auf
Fragen wurden in allen Bundesländern beantwortet.           513 erhöht.8 Einzelne unregelmäßige und inkonsistente
Damals wurden große Diskrepanzen zwischen den               parlamentarische Abfragen aus den Ländern erlauben
Ländern festgestellt. Während Bayern und Baden-Würt-        einen groben Rückschluss auf die weitere Entwicklung,
temberg 2009 jeweils nur 12 Angestellte in der Finanz-      aber keine systematischen Vergleiche.
verwaltung je 10.000 Einwohner aufweisen konnten,
lag die Zahl beim Spitzenreiter Niedersachsen mit 30
Angestellten zweieinhalbmal so hoch. Bei den auf ein-
zelne Aufgaben aufgeschlüsselten Angaben offenbarte
sich ein ähnliches Bild: Der Hamburger Spitzenwert von

 Steuerwettbewerb um Einkommensmillionäre
 Mit einem positiven Einkommen über 500.000 Euro in         von 2006 (S.213 ff.) wurde aber insgesamt sehr selten
 mindestens zwei der letzten drei Jahre, zählt man in       geprüft: „Die Steuern wurden häufig entsprechend der
 Deutschland als Steuerzahler mit besonderen Einkünf-       Erklärung des Steuerpflichtigen festgesetzt“. Die durch-
 ten (bE-Fälle) – in D-Mark-Zeiten war man damit Ein-       schnittliche Prüfquote lag in den sechs geprüften Bun-
 kommensmillionär. 2020 fielen 15.133 Betriebe unter        desländern für 2000 und 2001 bei 15 Prozent, variierte
 diese Definition. Anders als bei normalen Steuerzah-       aber je nach Bundesland zwischen 10 Prozent und 60
 lern, können (und sollen) die Steuerbehörden – meis-       Prozent. In einem Finanzamt, das für 100 Einkommens-
 tens die Betriebsprüfer – diese bE-Fälle ohne konkre-      millionäre zuständig war, wurde keine einzige bE-Prü-
 ten Anlass auch vor Ort prüfen. In Bremen erfolgte         fung durchgeführt. Als Reaktion auf die Kritik des BRHs
 beispielsweise im Zeitraum 2013 – 2015 bei 22 von 60       wurde eine Belegaufbewahrungspflicht eingeführt und
 Steuerpflichtigen mit besonderen Einkünften eine Au-       die Prüfquote wurde in der Folge statistisch erfasst.
 ßenprüfung. Dabei entstanden kassenwirksame Mehr-          Sie stieg zunächst auf über 40 Prozent (2010: 43,8 Pro-
 einnahmen (Steuernachzahlungen, Zinsen, etc.) von 6,4      zent) und fällt seitdem auf zuletzt 22,4 Prozent in 2018.
 Millionen Euro. Die Außenprüfung wurde durch das Fi-       Die Zahl der Prüfungen verringerte sich dabei von 1.770
 nanzamt für Außenprüfungen im Auftrag des örtlichen        in 2008 auf 909 in 2020, was einer historisch niedrigen
 Veranlagungsfinanzamts durchgeführt.                       jährlichen Prüfquote von 6,0 Prozent entspricht.9 Da-
                                                            durch entstehen schätzungsweise jedes Jahr Steuer-
 Laut eines Berichts des Bundesrechnungshofs (BRH)          verluste von 1,8 bis 2,3 Milliarden Euro.10
18

Ausbildung und Fluktuation
Dass in vielen Bereichen und auf vielen Ebenen mehr           2013 bis 2018 von 830 auf 1.416 gestiegen. Trotz der in
Personal gebraucht wird, steht außer Frage. In der            letzter Zeit verstärkten Bemühungen reichen die Neuzu-
Steuerverwaltung werden nur wenige Stellen von extern         gänge oft nicht aus um altersbedingte Abgänge auszu-
besetzt. Der Bedarf der Finanzverwaltung wird größten-        gleichen. Noch dazu stößt der Ausbildungswille teilwei-
teils aus der eigenen Ausbildung gewonnen. Eine Beson-        se an Grenzen, weil durch die bestehende Personalnot
derheit stellt dabei das BZSt dar, das lange Zeit ausgebil-   qualifizierte Finanzbeamte mit freien Kapazitäten für
dete Finanzbeamte von den Ländern übernommen hat,             die Ausbildung und für das Einarbeiten fehlen – ein
seit 2010 aber auch eigene Anwärter von den Ländern           Teufelskreis. Deswegen ist die Verwaltung zunehmend
ausbilden lässt – 140 in 2021. Die Ausbildung für die         auf Quereinsteiger angewiesen, die allerdings auch
Steuerverwaltung findet an der Finanzakademie, lokalen        umfangreich eingearbeitet werden müssen. Außerdem
Verwaltungsfachhochschulen sowie als Kooperation              muss ggf. erwogen werden, administrative Aufgaben
mit externen Hochschulen statt. Ausgebildet wird in den       vermehrt von Angestellten ohne finanzbeamtliche Aus-
Laufbahngruppen 1.2 (ehemals mittlerer Dienst) und 2.1        bildung erledigen zu lassen.
(ehemals gehobener Dienst); ein späterer Aufstieg zu
2.2 (ehemals höherer Dienst) ist möglich.11 Die Grund-        Schließlich ist auch die Abwanderung von Absolventen
ausbildung dauert zwei bzw. drei Jahre, teilweise gefolgt     genauso wie von hochqualifizierten Beamter in den
von mehreren Pflichtstationen und Spezialisierungen.          Privatsektor problematisch. Laut Hamburger Senat ist
                                                              „insbesondere die Anzahl der langjährig entwickelten
Einzelne Antworten der Landesregierung zeigen, dass           Spitzenprüferinnen und -prüfer in den Konzern- und
die Ausbildungsplätze einigermaßen begehrt sind –             Großbetriebsbereichen und der erfahrenen Wissens-
Mecklenburg-Vorpommern erhielt 2020 beispielsweise            träger aus dem Bereich der Veranlagung ... durch
748 Bewerbungen für 92 Kandidaten, in Niedersachsen           Abwerbungen auf fast allen Stufen ihrer Entwicklung
waren es, 4.395 Bewerbungen und 486 eingestellte An-          gefährdet.“ Gründe hierfür sind oft fehlende Aufstiegs-
wärtern. Laut unseren Interviewpartnern sind jedoch die       möglichkeiten, fehlende Flexibilität oder höhere Gehalts-
Diskrepanzen zwischen Finanzämtern auf dem Land               angebote. Die Problematik, Abgängen hochqualifizierter
und solchen in Metropolen, wo die Ausbildungsmöglich-         Mitarbeiter zu begegnen, zeigt sich etwa in Zahlen aus
keiten für junge Menschen größer ausfallen, signifikant.      Baden-Württemberg, wo 2016 – 2018 jeweils nur etwas
Die Abbrecherquote lag je nach Bundesland und Zähl-           mehr als die Hälfte der Abgänge durch Neueinstellung
weise etwa zwischen zehn und 20 Prozent. Für erfolg-          kompensiert werden konnten. Beim Umfang des Pro-
reiche Absolventen gibt es teilweise Übernahmegaran-          blems genauso wie bei den bestehenden Maßnahmen
tien, die an eine bestimmte Note bei der Abschlussprü-        gibt es je nach Bundesland große Unterschiede. In
fung gekoppelt sein können.                                   Hamburg müssen Absolventen der Laufbahngruppe
                                                              2.1 beispielsweise einen Teil der Ausbildungskosten
Mehrere Bundesländer, darunter Hamburg, Nieder-               zurückzahlen, wenn sie innerhalb von fünf Jahren nach
sachsen, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vor-             der Ausbildung auf eigenen Wunsch ausscheiden.
pommern haben in der Vergangenheit die Zahl der
Ausbildungsplätze erhöht. In Hamburg hat sich die Zahl
der Auszubildenden von 2009 bis 2019 nahezu verzwei-
einhalbfacht, in Niedersachsen hat sich die Zahl von
2009 bis 2018 fast verdoppelt und in NRW ist sie von

 Abwerbung leicht gemacht
 Sandra Höfer-Grosjean war bis zum Regierungswechsel in NRW in 2018 (SPD/Grüne zu CDU/FDP) kommissarische
 Leiterin der Steuerfahndung Wuppertal und zählte dort unter dem 2017 pensionierten Peter Beckhoff zu einer der wich-
 tigsten Ansprechpersonen in Sachen Steuerhinterziehung im Ausland und für den Kauf von Steuer-CDs. Nach einem
 Versetzungsversuch durch die neue Landesregierung quittierte sie gemeinsam mit einem Kollegen den Dienst und
 heuerte bei der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Deloitte an.12 Dies zeigt eine gewichtige Stell-
 schraube für geringe Fluktuation: politische Rückendeckung für besonders engagierte Finanzbeamten.
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