Nie wieder Cum-Ex Wie die Steuerverwaltung in Deutschland schlagkräftiger und gerechter werden kann - Netzwerk Steuergerechtigkeit
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1 Nie wieder Cum-Ex Wie die Steuerverwaltung in Deutschland schlagkräftiger und gerechter werden kann Yannick Schwarz, Christoph Trautvetter Stand: 06.12. 2021 Gemeinsam für gerechte, solidarische und nachhaltige Finanzsysteme – gegen Steuerflucht und Schattenfinanzwirtschaft weltweit
Impressum Studie: Nie wieder Cum-Ex Autoren Yannick Schwarz yannick.schwarz@netzwerk-steuergerechtigkeit.de Christoph Trautvetter christoph.trautvetter@netzwerk-steuergerechtigkeit.de Herausgeber Netzwerk Steuergerechtigkeit Weidenweg 37 10249 Berlin info@netzwerk-steuergerechtigkeit.de www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/blog Gestaltung und Layout Pantea Lachin Die hier vertretenen Auffassungen geben die Meinung des Verfassers wieder und entsprechen nicht unbedingt dem offiziellen Standpunkt des Netzwerks Steuergerechtigkeit. Diese Studie nutzt zur besseren Lesbarkeit das gene- rische Maskulinum, das sich zugleich zugleich auf die männliche, die weibliche und andere Geschlechteridenti- täten bezieht. Alle Geschlechteridentitäten werden aus- drücklich mitgemeint, soweit die Aussagen dies erfordern.
Inhaltsverzeichnis Vorwort.............................................................................................. 4 Die deutsche Steuerverwaltung – ein Überblick.................................. 5 Geschichte.................................................................................................................. 5 Aufbau........................................................................................................................ 5 Bundesfinanzverwaltung................................................................................................................................ 6 Länderfinanzverwaltung................................................................................................................................. 7 Bund-Länder-Koordination über Zielvereinbarung........................................................................................ 8 Personalausstattung und Ergebnisse .......................................................................... 9 Die Betriebsprüfung......................................................................................................................................12 Die Steuerfahndung......................................................................................................................................13 Die Umsatzsteuer-Sonderprüfung...............................................................................................................16 Personalausstattung im BZSt......................................................................................................................16 Personalausstattung in den einzelnen Bundesländern..............................................................................17 Ausbildung und Fluktuation.........................................................................................................................18 Exkurs: Politische Einflussnahme und Korruption in der Steuerverwaltung.............................................19 IT .............................................................................................................................. 20 KONSENS......................................................................................................................................................21 RMS 2.0 und die Autofallquote....................................................................................................................21 EUROFISC und Umsatzsteuerbetrug...........................................................................................................22 Fußnoten................................................................................................................... 23 Quellenverzeichnis.................................................................................................... 24
4 Vorwort 2019 nahm der deutsche Staat 799 Milliarden Euro an Steuern ein, 23 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dazu ist ein großer Apparat notwendig: die deutsche Steuerverwaltung. Die Politik erlässt Steuergesetze, die Verwaltung ist Skandale der letzten Jahre Anlass zur Frage nach den für die effektive, gleichmäßige Umsetzung des Steuer- strukturellen Schwachstellen in der deutschen Steuer- systems zuständig. Aber nicht immer funktioniert der verwaltung. Diese Studie versucht, dafür das komplexe Apparat im Interesse der Allgemeinheit. Die Beispiele System, von Finanzbeamten in der Ausbildung bis zum sind so zahlreich wie unterschiedlich: Von großen Management im Bundesministerium der Finanzen, von Medienskandalen wie Cum-Ex oder der Gewinnver- IT-Kapazitäten bis zum Informationsaustausch mit den schiebung und Steuervermeidung der großen Digital- Behörden anderer Länder zu durchleuchten und geziel- konzerne über bekannte, aber größtenteils ignorierte te Verbesserungsvorschläge zu entwickeln. Skandale wie Umsatzsteuerkarusselle bis zu verheim- lichtem Auslandsvermögen der Superreichen und der Schwarzarbeit als Steuerhinterziehung des „kleinen Mannes“. Eine perfekte Verwaltung und ein Ende von Kriminalität wird es nie geben. Trotzdem geben die
5 Die deutsche Steuerverwaltung – ein Überblick 2019, bevor Corona die Statistiken verzerrte, nahm der und Steueroasen bis zur schwarz angestellten Haus- deutsche Staat 799 Milliarden Euro an Steuern ein. Das haltshilfe oder der nur bar abrechnenden Dönerbude als entsprach etwa 23 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Steuerhinterziehung des „kleinen Mannes“. Selbst mit Dazu ist ein großer Apparat notwendig: die deutsche der besten Verwaltung und den besten Gesetzen ließen Steuerverwaltung. Die Finanzministerien und Parlamen- sich Steuerhinterziehung und Steuervermeidung nicht te erlassen Steuergesetze. Über 500 Finanzämter und komplett beenden. Trotzdem geben die Skandale der übergeordnete Behörden mit etwa 100.000 Mitarbei- letzten Jahre Anlass zur Frage nach den strukturellen tenden sind für die effektive, gleichmäßige Umsetzung Schwachstellen in der deutschen Steuerverwaltung. dieser Gesetze zuständig. Aber nicht immer funktio- Diese Studie versucht, dafür das komplexe System, niert der Apparat so wie er sollte. Die Beispiele sind so von Finanzbeamten in der Ausbildung bis zum Ma- zahlreich wie unterschiedlich: Vom organisierten und nagement im Bundesministerium der Finanzen, von schwer zu überschaubaren Betrug wie bei Cum-Ex oder IT-Kapazitäten bis zum Informationsaustausch mit den den Umsatzsteuerkarussellen, über anonymes Ver- Behörden anderer Länder zu durchleuchten und gezielte mögen der Superreichen und verschobene Gewinne Verbesserungsvorschläge zu entwickeln. der großen Digitalkonzerne in Schattenfinanzplätzen Geschichte Aufbau Grundlage des heutigen Steuersystems sind die soge- Die verschiedenen Steuern sind den einzelnen Verwal- nannten Erzbergerschen Steuer- und Finanzreformen, tungsebenen zugeordnet. So gibt es Bundessteuern, die 1919/1920 ihren Anfang nahmen (Bach & Buggeln, Landessteuern und Gemeindesteuern. Die Steuern mit 2020). Bis zu den Reformen lagen die Gesetzgebungs- den größten Aufkommen sind jedoch Gemeinschafts- kompetenzen überwiegend bei den Ländern. Zudem steuern, die mehr als einer dieser drei Ebenen zustehen. gab es keine spezialisierte Steuerverwaltung. Die Auf sie entfallen über 70 Prozent der gesamten Steuer- Folge war eine inkonsistente und lückenhafte Steuer- einnahmen. Von den eingenommenen Steuern bekom- erhebung. Die Finanzlage nach dem ersten Weltkrieg men Bund und Länder je etwa 41 Prozent, Gemeinden zwang die Weimarer Republik zu grundlegenden Än- 14 Prozent und ein kleiner Teil fließt an die EU. derungen. Gesetzgebungskompetenzen wurden auf die Bundesebene verlegt, mit einem abgeschwächten In der Verwaltung nehmen die Länder eine zentrale Rol- Vetorecht der Länder. Der Zentrumspolitiker Erzberger le ein. Einerseits verwalten sie in Landeseigenverwal- schuf außerdem eine Finanzverwaltung auf Bundes- tung die ihnen allein zustehenden Steuern wie etwa die ebene, die nahezu sämtliche Steuern erheben und mit Erbschaftsteuer. Darüber hinaus verwalten sie jedoch den Ländern teilen sollte. Mit einem Fokus auf direkte auch in sogenannter Auftragsverwaltung die wichtigen Steuern wie die progressive Einkommensteuer, Vermö- Gemeinschaftssteuern, zu denen etwa die Lohn- und gens- und Erbschaftssteuern konnten die Steuereinnah- Einkommensteuer, die Umsatzsteuer und die Körper- men innerhalb weniger Jahre auf 15 Prozent des BIPs schaftsteuer gehören. Doch auch wenn sie nur wenige fast verdoppelt werden. So wurde die Grundlage für Steuern wie etwa die Kraftfahrzeugsteuer direkt ver- den modernen Wohlfahrtsstaat gelegt. Viele Aspekte walten („Bundeseigenverwaltung“), kommt den Bundes- aus dieser Zeit – zum Beispiel wesentliche Teile der Ab- finanzbehörden ebenfalls eine wichtige Rolle zu. gabenordnung und der Finanzgerichtsbarkeit sowie die direkt beim Arbeitgeber abgeführte Lohnsteuer – sind bis heute erhalten geblieben. Die Steuergesetzgebung ist weiterhin stark zentralisiert, die Erhebung erfolgt allerdings seit den Anfängen der Bundesrepublik wieder durch die Länderverwaltungen.
6 meisten Steuerpflichtigen kennen das BZSt aber vor al- Aufteilung der Steuereinnahmen lem deshalb, weil es Steuer-IDs ausstellt.1 Weil das BZSt auch für Kapitalertragsteuererstattungen zuständig ist 4% und ab 2007 ein Großteil der Cum-Ex-Geschäfte über 14% ausländische Unternehmen und Investmentfonds liefen, Bund 41% spielte das BZSt in dem Skandal eine wichtige Rolle. Länder Als Reaktion auf den Skandal wurde im März 2020 eine Kommunen inkl. Sondereinheit gegen Steuerbetrug und Steuerumgehung 41% Stadtstaaten gegründet. Sie besteht aus der Gruppe „Kapitalmarkt“ EU-Eigenmittel mit einem Informations- und Analysezentrum und der Gruppe „Internationaler Informationsaustausch“ und umfasst etwa 300 Stellen. Ein weiteres Beispiel für eine Grafik 1 Sondereinheit auf Bundesebene stellt die Zentrale Stelle Quelle: kassenmäßige Steuereinnahmen 2019, destatis zur Koordinierung von Prüfungsmaßnahmen in länder- und staatenübergreifenden Umsatzsteuer-Betrugsfällen (KUSS) dar (FVG, §5, Abs. 1, Nr. 13, 15 & 16). Der Bun- Bundesfinanzverwaltung desrechnungshof lobt, dass durch diese Einheit „zwar Die oberste Bundesbehörde ist das Bundesfinanzminis- Vollzugsdefizite aufgrund des Föderalismus vermindert terium (BMF). Dessen Steuerabteilung ist unter anderem werden“, empfahl jedoch deren „Ausbau zu einer zent- Schnittstelle zur Gesetzgebung und dem Parlament: ralen Internetfahndungseinheit“, die im Netz nach un- Hier werden Referentenentwürfe für Gesetzesänderun- bekannten Steuerfällen und neuen Geschäftsmodellen gen verfasst, deren finanzielle Folgen abgeschätzt und sucht und die Daten den Ländern zur Verfügung stellt. Informationen für den Bundestag und Anfragen von Das dafür seit fast 20 Jahren eingesetzte Programm einzelnen Abgeordneten aufbereitet. Das BMF repräsen- (XPider) funktioniert anscheinend noch nicht gut genug. tiert Deutschland in Steuerfragen auch nach außen. So ist das Ministerium, gemeinsam mit dem BmWi, für die Die Generalzolldirektion ist eine weitere, direkt dem Aushandlung von Steuerabkommen und die internatio- BMF unterstellte Behörde. Anders als der Name sug- nalen Steuernormen und -standards zuständig. Der Lei- geriert, beschäftigt sich der Zoll nicht nur mit der Ver- ter der BMF-Unterabteilung IV B, Martin Kreienbaum, lei- waltung von Importzöllen. Die Zollverwaltung erhebt tet den OECD-Steuerausschusses und das Inclusive Fra- die meisten Bundessteuern (z. B. Einfuhrumsatzsteuer, mework, in dem mehr als 100 Länder über die Reform Biersteuer, Energiesteuer, Luftverkehrsteuer, Kfz-Steu- des internationalen Systems der Besteuerung multinati- er). Seit 2004 hat der Zoll von der Bundesagentur für onaler Konzerne verhandeln. Das BMF hat außerdem die Arbeit die Kontrolle von Schwarzarbeit und illegaler Be- Aufgabe, das Steuerrecht für die Länderbehörden zentral schäftigung übernommen, seit 2013 auch die Prüfung auszulegen. Dazu erstellt es sogenannte BMF-Schreiben des Mindestlohns. Daran arbeiten mittlerweile mehr und (Nicht-)Anwendungserlasse. Zudem bildet das BMF als 7.500 Zollbeamte – oder fast jeder Fünfte. Auch die über die Bundesfinanzakademie den Nachwuchs der Financial Intelligence Unit, bei der etwa 500 Mitarbeiter Steuerverwaltung im höheren Dienst aus und fort. Dem Geldwäscheverdachtsmeldungen analysieren, ist Teil BMF unterstehen fünf Oberbehörden. der Zollstruktur. Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) begleitet die Schließlich unterstehen dem BMF das Bundesamt Finanzämter der Länder bei ausgewählten Betriebs- und für Zentrale Dienste und offene Vermögensfragen Außenprüfungen, koordiniert grenzüberschreitende Um- (BADV), das für den Lastenausgleich zuständige Bun- satzsteuerprüfungen der Länder und unterstützt diese desausgleichsamt (BAA) und die Bundesmonopolver- bei der Verfolgung von Steuerstraftaten mit erheblicher waltung für Branntwein (BfB). Auch das Informations- Bedeutung, organisiert den Informationsaustausch mit technikzentrum Bund (ITZBund) ist dem BMF zuge- Steuerbehörden aus anderen Ländern, sammelt Daten ordnet. 2016 wurden in dieser Behörde die Entwicklung und unterstützt die Länder und das BMF bei der Ana- und der Betrieb von IT-Lösungen für die Bundesbehör- lyse von Steuerlücken und Gesetzesfolgen. Schließlich den und Ministerien zusammengeführt. Ein großer Teil erhebt das BZSt auch Steuern z. B. von Personen ohne der IT für die Steuerverwaltung wird aber weiterhin im Steuerwohnsitz in Deutschland, von Spezial-Invest- sogenannten Konsens-Verfahren auf Ebene der Länder mentfonds oder aus der Versicherungssteuer. Die entwickelt und betrieben.
7 Steuerforschung und Steuerlücke Laut einer Studie des Wissenschaftlichen Beirats des Die Analyse und Bewertung von Steuergesetzen und BMF aus dem Jahr 2021 „ist die Analyse administra- Betrugsbekämpfung erfolgt derzeit vor allem durch die tiver Steuerdaten in Deutschland im internationalen Steuerabteilung des BMF in Zusammenarbeit mit dem Vergleich deutlich unterentwickelt”. Das liegt an der BZSt und basierend auf Daten aus den Ländern. Ein kritisierten Dateninfrastruktur, aber noch viel mehr am im Haushaltsentwurf für 2022 eingeplantes Steuerfor- sehr restriktiven Steuergeheimnis, das den Zugang zu schungsinstitut soll das ändern. Laut Koalitionsvertrag Informationen stark beschränkt und eine Verknüpfung soll es eine „aktuelle und bessere Datenlage etwa für von Datensätzen weitgehend verbietet. Außerdem feh- die Evaluierung von Steuerregelungen – auch im Hin- len zum Beispiel durch die Aussetzung der Vermögen- blick auf ihre Belastungswirkung – oder die entgange- steuer oder die 2008 eingeführte Anonymität bei der Ka- nen Steuereinnahmen aufgrund Steuerhinterziehung und pitalertragsteuer wichtige Daten komplett. Deutschland Steuergestaltung“ schaffen und damit „die Grundlage für gehörte auch nicht zu den immerhin 13 EU-Ländern, die eine evidenzbasierte Gesetzgebung verbessern“. laut einer EU-Umfrage von 2018 regelmäßige Steuerlü- ckenschätzungen durchführten oder planten. Länderfinanzverwaltung Parallel zum Bund sind auch in den Bundesländern 1. Zusammenarbeit mit Behörden außerhalb der die jeweiligen Finanzministerien die obersten Finanz- Steuerverwaltung (z. B. Staatsanwaltschaften) behörden. Acht der 16 Bundesländer haben zusätzlich zwischen Ministerium und Finanzämtern Oberfinanz- 2. Koordination mit Steuerbehörden anderer Länder direktionen, Landesämter oder ähnliche Mittel- und und innerhalb des Landes (z. B. Informationsweitergabe) Oberbehörden. Diese Mittelbehörden können vielfältige Aufgaben übernehmen, etwa Aufsichtsfunktionen oder 3. Datenanalyse zum Aufspüren neuer Betrugsmodel- zentrale Dienstleistungen für die Finanzämter. le und zur Identifizierung bekannter Modelle (zum Bei- spiel Umsatzsteuerkarusselle) Herzstück der Steuerverwaltung sind die über 500 Fi- nanzämter, die für die Verwaltung nahezu aller Steuern 4. Direkte Ermittlungen bei Verdächtigen in komplexen zuständig sind. Die sogenannten Veranlagungsfinanz- Betrugsfällen ämter bearbeiten die Lohn- und Einkommenssteuer- erklärungen der in ihrem Bereich wohnhaften Steuer- Je nach Bundesland übernehmen Sondereinheiten nur pflichtigen – deutschlandweit insgesamt 42 Millionen einen oder mehrere Aufgabenbereiche gleichzeitig. Menschen. In nahezu allen Bundesländern sind jedoch nicht alle dieser Aufgabenbereiche durch Sondereinheiten abge- Aufgaben wie Betriebsprüfung, Steuerfahndung und deckt. Bearbeitung von Steuerstrafsachen sind in vielen Län- dern regional oder sogar landesweit konzentriert. Die Die Sondereinheiten sind seit 2013 miteinander vernetzt Verteilung dieser und weiterer Aufgaben ist in soge- und treffen sich jährlich zu bundesweiten Konferenzen. nannten Zuständigkeitsverordnungen geregelt. In Nord- Die Bundesländer Niedersachsen, Bremen, Hamburg, rhein-Westfalen gibt es beispielsweise zehn Finanzäm- Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, ter für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung, in Berlin später gefolgt von Brandenburg und Berlin, haben sich nur ein zentrales Finanzamt für Fahndung und Straf- zusätzlich zum Norddeutschen Bund zusammenge- sachen.2 Darüber hinaus richten die Länder zunehmend schlossen, dessen Lenkungsgruppe Steueraufsicht die Sondereinheiten gegen komplexen Steuerbetrug ein.3 Arbeiten der jeweiligen Sondereinheiten koordiniert – Einer der Vorreiter war Niedersachsen, mit einem 2002 aber eben nicht die Sondereinheiten aller Länder. eingerichteten Sonderreferat im Landesamt für Steuern. In Bayern und Hessen gibt es jeweils zwei solcher Son- Neben den Finanzämtern und Ober- und Mittelbehörden dereinheiten, in NRW sogar vier. Allerdings weichen Auf- beschäftigen die Länder schließlich in den Finanzver- gabenbereich und Arbeit zwischen den Einheiten und waltungen noch weiteres Personal an Ausbildungs- Bundesländern stark voneinander ab. Grob lassen sich stätten oder für die IT. Diese Mitarbeiter sind oft keine vier verschiedene Aufgabenkomplexe unterscheiden: Beamten, sondern Tarifkräfte.
8 Sondereinheiten der Finanzverwaltung NRW 1) T ask Force „Ressortübergreifende Bekämpfung von 3) Z entralstelle für Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung Finanzierungsquellen organisierter Kriminalität und (ZEUS) (Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuer- Terrorismus“ (Finanzamt für Steuerstrafsachen und fahndung Bonn) Steuerfahndung Düsseldorf) 4) Z entrale Ermittlungs- und Koordinierungsstelle Xpider 2) A nalyseeinheit für risikoorientierte Ermittlung im (ZekoX) (Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steu- Bereich der Steueraufsicht (ARES) (Finanzamt für erfahndung Bonn) zur Bekämpfung der Steuerlücke Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Hagen) zur im Internethandel und bei Onlinedienstleistungen Entdeckung unbekannter straf- und bußgeldrelevan- ter Sachverhalte (Datenanalyse) und Koordination mit Behörden anderer Länder Bund-Länder-Koordination über Zielvereinbarungen Das im Grundgesetz verankerte föderale System gibt aber zumindest einen groben Überblick über die 27 Deutschlands führt bei der Finanzverwaltung zu zwei Ziele aus dem Rahmenkatalog. Daraus wird ersichtlich, grundlegenden Problemen. Zum einen entstehen An- dass die Zielvereinbarungen zwar fast ausnahmslos reizprobleme, wenn Landesregierungen finanziell (und erreicht werden (niedrigster Wert war 89 Prozent), aber politisch) dafür aufkommen, Steuern bei ihren Wählerin- wenig ambitioniert sind und noch dazu sehr lückenhaft nen und Wählern zu erheben, ohne dass notwendiger- eingesetzt werden. Die Anzahl der bilateral vereinbarten weise zusätzliches Einkommen für eigene politische Ziele schwankte zwischen sieben für Baden-Württem- Projekte generiert wird. Diese Dynamik kann sowohl bei berg und 15 für Bremen. Eine Prüfquote für Kleinstbe- Gemeinschaftssteuern entstehen, bei denen ein großer triebe wurde beispielsweise nur mit drei Bundesländern Anteil an den Bund fließt, als auch durch den Länder- vereinbart. Bremen erreichte die vereinbarte Quote (35 finanzausgleich, durch den einkommensstarke Länder Jahre) zu 100 Prozent, Rheinland-Pfalz die ambitionier- nicht von Mehreinnahmen profitieren. Dies führt zu tere Quote von 25 Jahren nur zu 94 Prozent. Aber die uneinheitlicher Steuererhebung und im schlechtesten reine Zahl der Prüfungen sagt noch wenig über deren Fall zu Standortwettbewerb über lückenhafte Steuerein- Qualität und Erfolg. Zielvereinbarungen über Mehrein- treibung. Zum anderen entstehen Reibungsverluste und nahmen aus der Steuerfahndung gibt es aber genauso fehlende Expertise vor allem im Umgang mit komple- wenig wie z. B. die von den Steuergewerkschaften seit xen, grenzüberschreitenden Steuerfällen. langem geforderte Vereinbarung über eine einheitliche Personalausstattung entsprechend der Bedarfe oder Ein zentrales Mittel, über das der Bund Einfluss auf die die vom Bundesrechnungshof zuletzt 2020 geforderte Arbeit der Länderverwaltungen nehmen kann, sind die Vereinbarung über eine Quote für Umsatzsteuer-Son- sogenannten Zielvereinbarungen (FVG, §21a, Abs. 2, 3 derprüfungen. & 4). Diese werden anhand eines einheitlichen Rahmen- katalogs bilateral zwischen BMF und den Länderfinanz- behörden getroffen. Die Länder verpflichten sich darin gegenüber dem Bund zur Einhaltung von Kennzahlen, wie die Bearbeitungszeit für Steuererklärungen oder Prüfquoten für Großbetriebe. Das BMF verweigert die Herausgabe der konkreten Zielvereinbarungen unter an- derem mit dem Hinweis, dass die Finanzverwaltungen der Länder „unter öffentlichen Rechtfertigungsdruck ge- raten“ könnten. Eine Kleine Anfrage der Linken von 2018
9 Durchlaufzeit/ Effizienz/ Prüfquote Was fehlt? Erledigungsquote Bagatellfälle Einkommen- 16 (meist mehrere Ziele) 8 (nur 5 Vereinbarun- 12 (9x Prüfung je Personalausstattung, steuer/ gen für große Unter- Prüfer, 3x Bagatell- Effektivität (Mehrein- Lohnsteuer- nehmen >500) fälle bis Mehrsteu- nahmen je Prüfer) etc. Außenprüfung ern i. H. v. 499 €) Körperschaften/ 15 (meist mehrere Ziele: 7 (nur 3 Vereinbarun- 9 (4x Prüfung je Personalausstattung, Betriebsprüfung letzte Prüfungsjahr Groß- gen für Kleinstbetrie- Prüfer, 8x Bagatell- Effektivität (Mehrein- betriebe, Erledigungsquo- be, Quote: 25 bis 35 quote von 33 bis 43 nahmen je Prüfer) etc. te Vorjahr, Durchlaufzeit) Jahre) Prozent) Umsatzsteuer- – – 10 Personalausstattung, Sonderprüfung Effektivität (Mehrein- nahmen je Prüfer) etc. Was fehlt? Steuerfahndung, Steuerpflichtige mit bedeutenden Einkünften, Erbschaftsteuer etc. Tabelle 1: Art und Umfang der Zielvereinbarungen Quelle: eigene Darstellung basierend auf Übersicht für 2018 Personalausstattung und Ergebnisse Der wohl wichtigste Faktor für das Funktionieren der Wie viel Personal in Deutschland insgesamt gebraucht Steuerverwaltung ist ausreichend und qualifiziertes Per- und den einzelnen Bereichen der Finanzämter zuge- sonal. Zusätzliche Beamte erhöhen die Steuereinnahmen ordnet wird, bestimmt die Personalbedarfsberechnung und finanzieren sich dadurch zum Teil selbst – wenn sie (PersBB). Sie wird alle drei Jahre von einer Bund-Län- auch effizient eingesetzt werden. Wie bei vielen anderen der-Arbeitsgruppe erstellt und soll im besten Fall den Behörden gibt es auch bei der deutschen Steuerverwal- sich verändernden Arbeitsaufwand wie z. B. Erleichte- tung massive und teilweise wachsende Personalnot. rungen durch Digitalisierung oder zusätzliche Bedarfe durch Gesetzesänderungen, höhere Prüfquotenziele Im internationalen Vergleich sind die Personalzahlen oder die Verarbeitung neue Daten aus dem internatio- laut der International Survey on Revenue Administration nalen Informationsaustausch widerspiegeln. Experten (ISO-RA) mit etwa 110.000 Beschäftigten in Deutsch- beurteilen die PersBB insgesamt als eine gute Grund- land 4 sehr hoch. Nur Russland und China beschäftigen lage, allerdings hat sie mehrere Schwächen. So basiert in absoluten Zahlen mehr Personal in ihren Steuerver- z. B. auf Daten aus den vergangenen Jahren und bildet waltungen. Vergleichbare OECD-Länder wie Frankreich, Veränderungen wie Bevölkerungswachstum oder kurz- Großbritannien oder auch Japan kommen mit weniger fristige Zusatzbedarfe wie durch die Coronahilfen nicht Personal pro Einwohner aus – wobei die Zahlen auf ausreichend oder verspätet ab. Außerdem ist beispiels- Umfragen beruhen und teilweise zwischen Ländern weise die Zahl der Steuerfahnder seit 1998 bundesweit und für Deutschland in geringem Ausmaß mit anderen auf 2.987,5 Vollzeitäquivalente gedeckelt. Eine Anpas- Datenquellen inkonsistent sind.5 Allerdings ist der Ver- sung an die gestiegene Zahl und Komplexität der Fälle gleich nur eingeschränkt aussagekräftig, weil sich der wurde nicht vorgenommen. Arbeitsaufwand je nach Steuersystem und Struktur der Verwaltung stark unterscheiden kann und anderseits die Qualität der Steuererhebung nicht gemessen wird. Möglicherweise führt auch der deutsche Finanzfödera- lismus zu einem höheren Personalbedarf als in zentrali- sierteren Verwaltungen.
10 Die Personalbedarfsberechnung aus Sicht der Gewerkschaften Die Beamten der Finanzverwaltung sind in zwei verschiedenen Gewerkschaften organisiert. Beide werden regelmäßig zur PersBB angehört und kommentieren diese. Die vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di) hebt Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft (DStG) weist dar- dabei beispielsweise hervor, dass die Einführung von Risi- auf hin, dass Gesetzesänderungen wie aktuell durch die komanagementsystemen nicht geeignet ist, die Arbeitsbe- Corona-Soforthilfemaßnahmen oder die Grundsteuerre- lastung so zu verringern, dass gestiegene Fallzahlen und form nicht zeitnah abgefedert würden. Die Gewerkschaft komplexere Gesetze mit weniger Personal erledigt werden moniert außerdem, dass das operativ tätige Personal können, und außerdem die Gefahr birgt, dass Erfahrungs- (Ist-Besetzung der Finanzämter) nicht mit dem berech- wissen und der Blick auf den Gesamtfall verloren gehen. neten Personalbedarf wächst.“ Obwohl „die Arbeitspro- Vielmehr sollte die risikobasierte Prüfung dazu dienen, zesse sich vehement verdichten, der Aufwand für die „Ressourcen für die Arbeit an bedeutenden Steuerfällen Betreuung der eingestellten und erforderlichen Nach- freizusetzen“. Für komplexe Fälle mit erhöhtem „Steuerwi- wuchskräfte konstant hoch ist und der Fortbildungsauf- derstand“ vor allem in Ballungsräumen wie München for- wand mit Blick auf neue Verfahren steigt“, orientiere sich dert ver.di entsprechend einen höheren Zeitansatz, genau- die tatsächliche Personalsituation zumeist an der Haus- so wie für die Erhöhung der Prüfdichte bei Unternehmen, haltssituation des jeweiligen Bundeslandes. für Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerson- derprüfungen und die Steuerfahndung. Als Hauptproblem Quelle: ver.di (2021, 2018) und DStG (2021) kritisiert ver.di schließlich die pauschalen Stellenkürzun- gen in den Ländern und fordert einheitliche Ausstattungs- standards durch Zielvereinbarungen nach §21 FVG. Abgesehen von Unzulänglichkeiten bei der PersBB gibt es zwei weitere Probleme, die zu einer zu geringen Personal- ausstattung führen 1. Die berechneten Bedarfe werden von den Ländern 2. Zusätzlich zum Entbehrungsfaktor ergibt sich nicht komplett in den Haushalt überführt. Je nach Bun- noch eine Lücke zwischen Haushalts-Ist und Arbeits-Ist desland gilt ein sogenannter Entbehrungsfaktor. Berlin dadurch, dass nicht alle im Haushalt vorgesehen Plan- finanziert beispielsweise lediglich 87,5 Prozent des in stellen auch besetzt werden. Gründe sind z. B. langwie- der PersBB errechneten Personalbedarfs. Der Bundes- rige Ausschreibungen, fehlende Bewerber oder unter- schnitt des Entbehrungsfaktors liegt bei etwa zehn jährige Verluste z. B. durch Elternzeit, Krankschreibung Prozent. Dabei ist die Ausstattungslücke in den unter- etc. Von 2009 bis zum letzten Datenpunkt 2020 hat sich schiedlich hoch. Für die Erledigungsstatistiken und die beispielsweise bei den Länderverwaltungen die Zahl der Kommunen wichtige oder sichtbare Bereiche wie z. B. unbesetzten Planstellen von 3.175 auf 6.140 erhöht. die Bearbeitung von Steuererklärungen oder die Hunde- Somit war Ende 2020 mit 6,0 Prozent ein doppelt so steuer werden teilweise besser ausgestattet als die für hoher Anteil von Planstellen unbesetzt als noch 2009 die gleichmäßige Steuererhebung zentralen aber weni- (3,0 Prozent). ger sichtbaren Bereiche wie die Steuerfahndung oder die Außenprüfung. 104.000 7% 102.000 6% 5% 100.000 4% 98.000 3% 96.000 2% 94.000 1% 92.000 0% 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Mitarbeiter Finanzämter Länder (Arbeits-Ist in VZÄ) (linke Achse) Anteil offener Stellen in Finanzämtern (rechte Achse) Grafik 2: Entwicklung der Mitarbeiterzahlen und offenen Stellen in der Finanzverwaltung Quelle: eigene Darstellung
11 Insgesamt ist das Personal in den Finanzämtern der nur schwer schätzen. Steuerfahnder und Betriebsprüfer Länder seit 2015 unter die Grenze von 100.000 Mit- erbringen im Schnitt Mehreinnahmen von etwa einer arbeitern gesunken und lag 2020 noch bei 96.602 (Ar- Million Euro und finanzieren sich dadurch selbst. Diese beits-Ist in Vollzeitäquivalenten). Zehn Jahre zuvor lag Feststellung wird oft zitiert und ist als Illustration gut die Zahl noch bei 102.058. Hinzu kommen einige Tau- geeignet, auch wenn sie einige Haken hat. So sind zum send Stellen für Bildungseinrichtungen, Digitalisierung Beispiel die Prüfer im Außendienst für ihre Arbeit und und ähnliche kleinere Bereiche. Gerade was IT-Stellen das Ergebnis auch auf Mitarbeiter aus dem Innendienst betrifft, ist der Personalmangel auch in den Nicht-Be- angewiesen. Vor allem bei der Betriebsprüfung ist das amtenstellen ausgeprägt. Mehrergebnis nur bedingt aussagekräftig6 und die in- direkten Mehrergebnisse sind insgesamt sogar deutlich Fehlendes Personal führt zu weniger und weniger tiefen höher (Abschreckungseffekt). Prüfungen und damit schließlich zu fehlenden Ein- nahmen und einer ungleichmäßigen Besteuerung. Wie hoch die potenziellen Mehreinnahmen sind, lässt sich Vollzeitkräfte Anzahl Mehrergebnis Mehrergebnis Mehrergebnis Prüfungen (in Mrd. €) (pro VZK, (pro Prüfung) in Mio. €) Betriebsprüfung 13.341 181.345 15,2 1,14 84.000 (einschließlich Lohnsteuer-Au- + 454 (BZSt) + 6.695 (0,91) (81.000) ßenprüfung, (sonstige Fälle) bE-Fälle) ---bE-Fälle ? 1.029 0,15 ? 146.000 Steuerfahndung 2.501 34.037 2,8 1,2 82.000 Umsatzsteuer- 1.770 77.857 1,55 0,88 20.000 Sonderprüfung Gesamt 110.000 799 7,26 Tabelle 2: Personalausstattung und Mehrergebnis bei Betriebsprüfung, Steuerfahndung und Umsatzsteuersonderprüfung Quelle: eigene Darstellung basierend auf Zahlen für 2019 Zum Vergleich 1: In Deutschland gibt es etwa Zum Vergleich 2: Die Finanzkontrolle Schwarz- 90.000 vereidigte Steuerberater, 15.000 vereidigte Wirt- arbeit beim Zoll wurde in den letzten Jahren personell schaftsprüfer und mehr als eine Million Erwerbstätige mehrfach gestärkt. Laut Jahresstatistik 2020 führten in den Bereichen Steuer- und Rechtsberatung sowie die etwa 7.500 Mitarbeitern im Vor-Corona-Jahr 2019 Wirtschaftsprüfung. Allein die größten 10 Steuerbera- 54.733 Prüfungen durch, ermittelten einen Schaden von tungsgesellschaften (von insgesamt etwa 10.000) er- 755 Millionen Euro, setzten Strafen und Bußgelder von zielten 2016 Honorarumsätze von 7 Milliarden Euro und 94 Millionen Euro fest, veranlassten weitere Ermittlun- kosteten damit etwa so viel, wie alle Finanzbeamten gen der Landesfinanzverwaltung mit Mehreinnahmen zusammen. von 45,8 Millionen Euro und verhängte Freiheitsstrafen von 1.827 Jahren. Die Steuerfahndung lag mit 1.234 Jahren, 80 Millionen Euro Strafen oder Geldbußen und einem Mehrergebnis von 2,8 Milliarden Euro absolut da- runter, relativ zu den Mitarbeitern aber deutlich darüber.
12 Die Betriebsprüfung Insgesamt arbeiteten 2020 in den Ländern 12.664 und ist nach einem Anstieg seit 2016 kontinuierlich gefallen beim BZSt noch einmal 440 Finanzbeamte in der Prü- und lag 2020 auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der fung von Betrieben. Sie erzielten 2020 ein Mehrergebnis Datenreihe in 2009. Angesichts aktueller gesetzlicher von 11,2 Milliarden Euro nach 15,2 Milliarden Euro in Entwicklungen – von der Meldepflicht für Steuergestal- 2019. Das ist das schlechteste Ergebnis seit Beginn tungen, über das Optionsmodell bis hin zur internatio- unserer Datenreihe in 2010. Auch wenn Corona zu nalen Unternehmenssteuerreform und umfangreicher diesem Tiefstand beigetragen hat, zeigt Grafik 3 einen technischer Umstellungen – wäre eher ein Anstieg abnehmenden Trend. Auch die Zahl der Betriebsprüfer nötig gewesen. 14.000 20 13.800 18 13.600 16 13.400 14 13.200 12 13.000 10 12.800 8 12.600 6 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Betriebsprüfer Länderfinanzämter, vorhandene Prüfer (VZÄ) Mehrergebnis Betriebsprüfung (Mrd.) Grafik 3: Zahl der Betriebsprüfer und Mehrergebnis 2010 bis 2020 Ein genauerer Blick zeigt, dass die Entwicklung der Nicht zuletzt zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Mehreinnahmen ziemlich direkt dem Prüfungsergeb- Geldwäsche und Wirtschaftskriminalität wäre darüber nis bei den Großbetrieben folgt. Erstaunlicherweise hinaus aber auch bei den Mittel-, Klein- und Kleinst- ist selbst im Bereich der Großbetriebe – die eigentlich betrieben eine höhere Prüfdichte nötig. Rein statistisch größtenteils laufend geprüft werden sollten – eine werden Kleinstbetriebe einmal alle 91 Jahre, in einigen abnehmende Prüfquote zu erkennen. Die besonders Bundesländern sogar alle 130 Jahre geprüft, obwohl niedrige Quote in 2020 ist möglicherweise auf Folgen die Rechnungshöfe, die Zielvereinbarungen und die Ge- der Corona-Pandemie wie Abstellung von Betriebsprü- werkschaften hier seit Jahren Verbesserungen fordern. fern für Corona-bezogene Aufgaben zurückzuführen. 25% 16 14 20% 12 15% 10 8 10% 6 4 5% 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Prüfquote bei Großbetrieben Mehrergebnis bei Großbetrieben (Mrd.) Grafik 4: Prüfquote für Großbetriebe und Mehrergebnis 2010 bis 2020
13 Die Steuerfahndung Die Zahl der Steuerfahnder in der PersBB ist seit 1998 Informationsaustausch seit 2017 sein. Zuletzt wurden auf 2.987,5 Vollzeitäquivalente gedeckelt. Die Zahl der 2021 ein Datensatz mit Immobilieninformationen aus tatsächlich eingesetzten Fahnder ist zwischen 2009 Dubai erworben und mit den Pandora Papers Informa- und 2019 leicht von 2.395 auf 2.501 gestiegen. Entspre- tionen zu 27,000 Firmen veröffentlicht. chend zeigen auch die Zahl der Fahndungsprüfungen und die Mehreinnahmen mit zuletzt (2019) 2,8 Milliar- Die Selbstanzeigen führten zwar automatisch zu einem den Euro einen leichten Aufwärtstrend. Steuerstrafverfahren. Nach Auskunft von Experten wurden die erklärten Einnahmen und Vermögen aber Grund für die seit 2010 sprunghaft angestiegenen u. a. wegen des Personalmangels viel zu selten auf Mehreinnahmen dürften auch die Ankäufe von Steu- Vollständigkeit und auf mögliche neue Hinterziehungs- er-CDs und öffentliche Leaks seit 2010, die hohe Anzahl muster geprüft. von Selbstanzeigen bis 2015 und der automatische 2.550 3,5 2.500 3 2,5 2.450 2 2.400 1,5 2.350 1 2.300 0,5 2.250 0 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Steuerfahnder bundesweit Mehrergebnis Steuerfahndung (Mrd.) Grafik 5: Zahl der Steuerfahnder und Mehrergebnis 2010 bis 2020 Bußgeld- und Strafsachenstellen, Steuerfahndung und Steuerstrafverfahren Die Finanzämter haben weitreichende Kompetenzen in Geldauflagen in Höhe von 364,0 Millionen Euro. Von der Bearbeitung von Steuerstrafverfahren. Die Strafsa- insgesamt 11.707 Fällen, die Gerichte und Staats- chenstelle fungiert dabei eigenständig als Ermittlungs- anwaltschaften abschlossen, wurden weitere 3.383 behörde, es sei denn es liegen neben der Steuerstraftat ohne Auflagen und weitere 1.404 gegen Auflagen weitere Straftaten vor, es soll ein Haftbefehl erlassen eingestellt. Von den gesamten Steuerstrafverfahren werden oder das Verfahren wird aus anderen Gründen an landeten nur 1.618 vor Gericht (bei 55 Freisprüchen), die Staatsanwaltschaft abgegeben. Die Steuerfahndung also etwa 3 Prozent. Weitere 5.236 führten zu Straf- führt die Ermittlungen durch und kann dafür Vorfelder- befehlen, die nur bei leichter Kriminalität ergehen und mittlungen anstellen, auf Geldwäscheverdachtsanzeigen nicht zu Gefängnisstrafen ohne Bewährung führen. zugreifen, Durchsuchungen erwirken und bei banden- oder gewerbsmäßigem Umsatzsteuerbetrug auch Telefo- Mehreinnahmen werden also vor allem durch Ein- ne abhören. 2019 führten 2.501 Steuerfahnder über alle stellungen mit Auflagen, Geldstrafen und Nachent- Steuerarten hinweg 26.534 Fahndungsprüfungen durch. richtung der Steuern samt Zinsen generiert. Von dem Gesamtmehrergebnis aus Steuerstrafsachen von 2019 wurden deutschlandweit 54.369 Steuerstrafverfah- über 2,8 Milliarden Euro entfallen etwa die Hälfte auf ren von den Bußgeld- und Strafsachenstellen abgeschlos- Umsatzsteuer (933,3 Millionen Euro) und Einkommen- sen. In 5.608 Fällen erging dabei ein Antrag auf Strafbe- steuer (448,9 Millionen Euro). fehl, 6.180 Fälle wurden an die Staatsanwaltschaften und 170 weitere an andere Bußgeld- und Strafsachen- Quelle: Jährlicher Bericht des BMF zur Verfolgung von stellen abgegeben. 15.352 Einstellungen erfolgten gegen Steuerstraftaten (Oktober 2020, Oktober 2021)
14 Jahr Quelle und Betroffene dt. Name (Erhalt) Bezug Steuerpflichtige Commerzbank 1996 Durchsuchungen bei Frankfurter Banken in Bezug Ca. 60.000 (Deutschland) zu Zinsabschlagsteuer nach Information durch Steuerstrafverfahren Whistleblower Batliner 2000 Daten von liechtensteinischem Treuhänder, 400 dt. Steuerpflichtige, (Liechtenstein) zunächst 1997 an Spiegel, später an Stern und 112 Strafverfahren von dort anonym zur SA Bochum LGT-Affäre 2006 Ankauf durch BND mit Daten von Heinrich Kieber Rund 700 Beschuldigte, 596 (Liechtenstein) (bis 2002) für 4,6 Mio. + möglicherweise weitere Verfahren in Wuppertal, 244 Quelle (bis 2005) davon brachten 181 Mio. € LLB-Affäre 2008 Michael Freitag erpresst LLB, erhält 9 Mio. € für 1.300 dt. Steuerpflichtige (Liechtenstein) 2.335 Kontenbelege, wird am 15.11.2007 in Rostock festgenommen und gibt Daten an die SA Credit Suisse 2010 Steuer-CD (NRW) 1.500 dt. Steuerpflichtige (Schweiz) (1.100 Strafverfahren) Schweiz 2010 Steuer-CD (Niedersachsen) 20 – 35.000 Datensätze (eher Kleinverdiener) Julius Bär – (Schweiz) 2010 Steuer-CD (NRW) 2.700 Datensätze HSBC (Swiss 2011 Konto- und Klientendaten des Schweizer Ablegers 1.992 Konten, 3,3 Mrd. Leaks, Schweiz) von HSBC, 2009 von französischen Behörden konfis- Vermögen, 229 Brief- ziert, 2010 Übergabe an Deutschland mit 1.136 kastenfirmen, 740 Namen, seit 2014 von ICIJ ausgewertet, 2018 Rest- Nummernkonten kauf durch BKA mit ca. 1.000 zusätzlichen Namen HSBC (Luxemburg) 2011 Steuer-CD (NRW) 3.000 Coutts – (Schweiz) 2012 Steuer-CD (NRW) 1.000 UBS – Schweiz (u.a.) 2012 2 Steuer-CDs (NRW) 750 Stiftungen und 550 Kapitalanlagen über 2,9 Mrd. € und 204 Mio. € hinterzogene Steuern Drei Schweizer Banken 2013 Steuer-CD (Rheinland-Pfalz) 40.000 Datensätze Credit Suisse 2013 Durchsuchung der Credit Suisse Filiale in Frankfurt 7.000 Fälle von Versiche- (Bermuda) rungsmänteln in Bermuda Unbekannt 2015 4 weitere Steuer-CDs, inklusive Cum-Ex In einem Fall 55.000 Kunden Panama Papers 2017 Daten von panamaische Anwaltskanzlei Mossack 255 Personen mit Bezug Fonseca, Veröffentlichung durch Journalistenverbund zu Deutschland, erste 2016, Ankauf durch BKA 2017 Durchsuchungen bei 8 Steuerpflichtigen in 2019 Paradise Papers 2018 Daten von Anwaltskanzlei Appleby, Veröffentlichung 5.441 Personen mit Bezug durch Journalistenverbund 2017, Ankauf durch BKA 2018 zu Deutschland Weitere Leaks Seit Ankauf weiterer, teilweise bereits veröffentlichter Unbekannt 2018 Leaks (Bahamas, Offshore, Zypern, Dubai, Pandora?) Tabelle 3: Steuer-CDs und andere Datenleaks im Zeitablauf
15 45.000 39.812 40.000 35.000 30.000 27.519 27.913 25.000 20.000 15.120 15.000 10.000 8.076 4.835 4.373 5.000 2.000 1.229 0 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Grafik 6: Selbstanzeigen in Deutschland 2010 bis 2018 (Quelle: Statista für 2010 – 2016, FAZ für 2017, teilweise vorläufig und Extrapolation basierend auf Zahlen aus NRW für 2018 7 Nach aktuellen Schätzungen haben deutsche Steuer- Dass eine umfassendere Nachverfolgung von komple- zahler trotz Steuer-CDs, Selbstanzeigen und Informati- xer Steuerhinterziehung für eine gleichmäßige Besteue- onsaustausch weiterhin mindestens 125 bis 200 Milliar- rung nötig wäre, zeigen internationale Studien. So lag den Euro im Ausland versteckt. Und weil Deutschland, in einer skandinavischen Studie, die Steuerdaten mit In- anders als einige europäische Nachbarn, weitgehend formationen aus Leaks und Amnestie-Programmen ver- auf sogenannte Gruppenabfragen verzichtet, in denen knüpft, die Hinterziehungsquote der reichsten 0,1 Pro- gezielt weitere Fälle bei den gleichen Banken oder mit zent mit 26,8 Prozent deutlich über dem Durchschnitt ähnlichen Mustern abgefragt werden, dürfte eine Viel- von 2,8 Prozent (Alstadsæter et al., 2019). Eine Studie zahl an Altfällen und Anpassungsreaktionen unerkannt mit Daten der US-Amerikanischen Steuerbehörde IRS geblieben sein (Trautvetter, 2019). zeigt weiterhin: Die einkommensstärksten ein Prozent verschweigen durchschnittlich 21 Prozent ihrer Einkom- Durch den automatischen Informationsaustausch men, die untere Hälfte lediglich sieben Prozent. Insge- empfing Deutschland 2017 außerdem erstmals fast samt hinterziehen die oberen 0,1 Prozent doppelt so viel 1,3 Millionen Datensätzen aus dem Ausland und damit wie die US-Steuerbehörde IRS bis dato vermutet hatte. mehr als zehnmal so viele Daten wie noch im Jahr Knapp unter einem Drittel des versteckten Einkommens zuvor. Allerdings verzögerte die Zuordnung zu Steuer- des reichsten Prozents war dabei aufgrund komplexer pflichtigen und den verantwortlichen Finanzämtern Strukturen in regulären Außenprüfungen nicht aufspür- durch das BZSt und die Bereitstellung der nötigen bar (Guyton et al., 2020). Software die Auswertung bis 2019 bzw. 2020. Nach Expertenauskünften sind die Datensätze so gut wie nie ausreichend für eine Steuerveranlagung und müssten in vielen Fällen durch Außenprüfung und Fahndung verifi- ziert werden, was wiederum bisher wegen der Personal- not zu selten passiert. Schließlich tragen auch das in den letzten Jahren massiv gestiegene Aufkommen an Geldwäschever- dachtsmeldungen und zuletzt auch die öffentlichkeits- wirksame Einführung des Online-Meldeportals durch die Finanzbehörden in Baden-Württemberg zu erhöhten Fallzahlen, ohne dass dies durch zusätzliches Personal kompensiert wird.
16 Die Umsatzsteuer-Sonderprüfung Nicht nur die Steuerflüchtlinge mit hohen Auslands- noch 65.971 Prüfungen durchgeführt. Die Zahl der Prü- vermögen kommen oft relativ einfach davon. Auch Um- fer hat sich im selben Zeitraum um 351 reduziert, von satzsteuerbetrug blüht unter anderem wegen fehlenden 1.981 in 2009 auf 1.630 in 2020. Folgerichtig hat sich Personals und niedriger Prüfquoten. Braml und Felber- das Gesamtmehrergebnis durch Umsatzsteuer-Sonder- mayr (2019) schätzen den Schaden EU-weit auf bis zu prüfungen stark reduziert, von über 1,9 Milliarden in 64 Milliarden Euro. Für Deutschland ermittelte eine von 2009 auf 1,55 Milliarden in 2019. der EU beauftragte Studie von CASE – Center for Social and Economic Research eine Lücke von 22 Milliarden. Auch der Bundesrechnungshof hat den Rückgang der Der Schaden allein aus grenzüberschreitenden Umsatz- Prüfquoten zuletzt erneut kritisiert. Nachdem bereits steuerkarussellen beträgt pro Jahr fünf bis 14 Milliarden 2007 die Quote von 2,0 Prozent geprüfter Unternehmen Euro (Frunza, 2016) – pro Jahr also etwa so viel wie der als inakzeptabel moniert worden war, sank die Quote Gesamtschaden aus Cum-Ex. Umsatzsteuer-Sonder- bis 2019 weiter auf 1,3 Prozent. Der BRH schreibt: „Eine prüfungen sind ein wichtiges Mittel, um diesen Betrug derart niedrige Quote kann einen gleichmäßigen und aufzudecken. Allerdings zeigt sich auch hier ein rück- den Erfordernissen der Betrugsbekämpfung genügen- läufiger Trend: Waren es 2004 noch über 100.000 und den Steuervollzug nicht gewährleisten“ (Bundesrech- 2009 immer noch 96.992 Prüfungen, wurden 2020 nur nungshof, 2020, S. 18). 2.400 2,2 2.200 2,0 2.000 1,8 1.800 1,6 1.600 1,4 1.400 1,2 1.200 1.000 1,0 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Umsatzsteuer-Sonderprüfer (Jahresdurchschnitt) Mehrergebnis Umsatzsteuer-Sonderprüfungen (Mrd.) Grafik 7: Zahl der Umsatzsteuer-Sonderprüfer und Mehrergebnis 2010 bis 2020 Personalausstattung im BZSt Entgegen dem leicht negativen Trend in den Bundes- BZSt die selbst gesetzte Quote, bis 2017 eine Beteili- ländern hat sich die Mitarbeiterzahl im BZSt von 963 gung an 5 Prozent der Betriebsprüfungen zu erreichen. im Jahr 2008 auf 1.885 im Jahr 2020 erhöht. Allerdings Zudem entfallen 284 neue Stellen auf die 2020 ge- verläuft der Ausbau weitaus langsamer als erhofft. bildete Task Force Finanzkriminalität, von denen Ende 2020 waren 320 Planstellen unbesetzt. Damit ist die August 2020 schon 234 besetzt waren. Der Zentralen Quote der unbesetzten Planstellen mit 14,5 Prozent Stelle zur Koordinierung von Prüfungsmaßnahmen in weitaus höher als der Durchschnitt in den Ländern länder- und staatenübergreifenden Umsatzsteuer-Be- (sechs Prozent). Einen wichtigen Teil des Personal- trugsfällen (KUSS) waren 2021 laut einer kleinen An- zuwachses im BZSt macht die Bundesbetriebsprüfung frage 33 Planstellen zugewiesen, und damit 3,5 (plus aus. Ihre Stellenzahl hat sich von 136 in 2009 auf 507 zehn Prozent) mehr als noch 2018. Für die Bearbei- in 2015 fast vervierfacht, auch wenn sie seitdem wieder tung des internationalen Informationsaustauschs von einen negativen Trend aufweist und bis 2020 auf 440 Steuervorbescheiden genauso wie für den Austausch gefallen ist. Die Zahl der Betriebsprüfungen, bei denen von länderbezogenen Berichten multinationaler Unter- das BZSt mitgearbeitet hat, ist dementsprechend von nehmen wurden laut einer kleinen Anfrage von 2018 2009 bis zum letzten Datenpunkt in 2018 von 643 auf je drei zusätzliche Stellen geschaffen sowie eine Stelle 1.155 angewachsen. Nichtsdestotrotz verfehlte das umgewidmet
17 Personalausstattung in den einzelnen Bundesländern Daten über die Personalsituation und die Ergebnisse der 32 Betriebsprüfern je 100.000 Einwohner war nahezu Steuerverwaltung werden in den einzelnen Ländern er- doppelt so hoch wie die 18 Prüfer der Schlusslichter hoben und vom BMF gesammelt. Das BMF verweigert Bayern, Sachsen und Thüringen. Und während Bayern mit Verweis auf die Verschwiegenheitspflicht jedoch und Thüringen bei der Steuerfahndung klar unter dem regelmäßig eine nach Ländern aufgeschlüsselte Ver- Bundesdurchschnitt von 36 Steuerfahndern je eine Mil- öffentlichung und keines der Bundesländer veröffent- lion Einwohner lagen, toppte Hamburg den Schnitt mit licht bisher die eigenen Zahlen regelmäßig. Deswegen 52 Fahndern deutlich. Vor allem die Länder Baden-Würt- sind Aussagen über Unterschiede und unterschiedliche temberg, Bayern und Thüringen fielen durch ihre durch- Trends in den Bundesländern nur beschränkt möglich. weg niedrigen Quoten auf und erweckten den Verdacht Die letzten länderübergreifend vergleichbaren Zahlen eines unfairen Standortwettbewerbs mittels unterfinan- stammen aus einer koordinierten Anfrage der Grünen zierter Steuerverwaltung. In der Folge hat Bayern bei- an die einzelnen Landesregierungen. Allerdings bezog spielsweise öffentlichkeitswirksam das Personal in der sich diese Anfrage auf den Zeitraum von 2005 – 2009, Steuerfahndung signifikant aufgestockt. So hat sich von ist also schon mehr als ein Jahrzehnt alt, und nicht alle 2010 bis 2020 die Zahl der Steuerfahnder von 353 auf Fragen wurden in allen Bundesländern beantwortet. 513 erhöht.8 Einzelne unregelmäßige und inkonsistente Damals wurden große Diskrepanzen zwischen den parlamentarische Abfragen aus den Ländern erlauben Ländern festgestellt. Während Bayern und Baden-Würt- einen groben Rückschluss auf die weitere Entwicklung, temberg 2009 jeweils nur 12 Angestellte in der Finanz- aber keine systematischen Vergleiche. verwaltung je 10.000 Einwohner aufweisen konnten, lag die Zahl beim Spitzenreiter Niedersachsen mit 30 Angestellten zweieinhalbmal so hoch. Bei den auf ein- zelne Aufgaben aufgeschlüsselten Angaben offenbarte sich ein ähnliches Bild: Der Hamburger Spitzenwert von Steuerwettbewerb um Einkommensmillionäre Mit einem positiven Einkommen über 500.000 Euro in von 2006 (S.213 ff.) wurde aber insgesamt sehr selten mindestens zwei der letzten drei Jahre, zählt man in geprüft: „Die Steuern wurden häufig entsprechend der Deutschland als Steuerzahler mit besonderen Einkünf- Erklärung des Steuerpflichtigen festgesetzt“. Die durch- ten (bE-Fälle) – in D-Mark-Zeiten war man damit Ein- schnittliche Prüfquote lag in den sechs geprüften Bun- kommensmillionär. 2020 fielen 15.133 Betriebe unter desländern für 2000 und 2001 bei 15 Prozent, variierte diese Definition. Anders als bei normalen Steuerzah- aber je nach Bundesland zwischen 10 Prozent und 60 lern, können (und sollen) die Steuerbehörden – meis- Prozent. In einem Finanzamt, das für 100 Einkommens- tens die Betriebsprüfer – diese bE-Fälle ohne konkre- millionäre zuständig war, wurde keine einzige bE-Prü- ten Anlass auch vor Ort prüfen. In Bremen erfolgte fung durchgeführt. Als Reaktion auf die Kritik des BRHs beispielsweise im Zeitraum 2013 – 2015 bei 22 von 60 wurde eine Belegaufbewahrungspflicht eingeführt und Steuerpflichtigen mit besonderen Einkünften eine Au- die Prüfquote wurde in der Folge statistisch erfasst. ßenprüfung. Dabei entstanden kassenwirksame Mehr- Sie stieg zunächst auf über 40 Prozent (2010: 43,8 Pro- einnahmen (Steuernachzahlungen, Zinsen, etc.) von 6,4 zent) und fällt seitdem auf zuletzt 22,4 Prozent in 2018. Millionen Euro. Die Außenprüfung wurde durch das Fi- Die Zahl der Prüfungen verringerte sich dabei von 1.770 nanzamt für Außenprüfungen im Auftrag des örtlichen in 2008 auf 909 in 2020, was einer historisch niedrigen Veranlagungsfinanzamts durchgeführt. jährlichen Prüfquote von 6,0 Prozent entspricht.9 Da- durch entstehen schätzungsweise jedes Jahr Steuer- Laut eines Berichts des Bundesrechnungshofs (BRH) verluste von 1,8 bis 2,3 Milliarden Euro.10
18 Ausbildung und Fluktuation Dass in vielen Bereichen und auf vielen Ebenen mehr 2013 bis 2018 von 830 auf 1.416 gestiegen. Trotz der in Personal gebraucht wird, steht außer Frage. In der letzter Zeit verstärkten Bemühungen reichen die Neuzu- Steuerverwaltung werden nur wenige Stellen von extern gänge oft nicht aus um altersbedingte Abgänge auszu- besetzt. Der Bedarf der Finanzverwaltung wird größten- gleichen. Noch dazu stößt der Ausbildungswille teilwei- teils aus der eigenen Ausbildung gewonnen. Eine Beson- se an Grenzen, weil durch die bestehende Personalnot derheit stellt dabei das BZSt dar, das lange Zeit ausgebil- qualifizierte Finanzbeamte mit freien Kapazitäten für dete Finanzbeamte von den Ländern übernommen hat, die Ausbildung und für das Einarbeiten fehlen – ein seit 2010 aber auch eigene Anwärter von den Ländern Teufelskreis. Deswegen ist die Verwaltung zunehmend ausbilden lässt – 140 in 2021. Die Ausbildung für die auf Quereinsteiger angewiesen, die allerdings auch Steuerverwaltung findet an der Finanzakademie, lokalen umfangreich eingearbeitet werden müssen. Außerdem Verwaltungsfachhochschulen sowie als Kooperation muss ggf. erwogen werden, administrative Aufgaben mit externen Hochschulen statt. Ausgebildet wird in den vermehrt von Angestellten ohne finanzbeamtliche Aus- Laufbahngruppen 1.2 (ehemals mittlerer Dienst) und 2.1 bildung erledigen zu lassen. (ehemals gehobener Dienst); ein späterer Aufstieg zu 2.2 (ehemals höherer Dienst) ist möglich.11 Die Grund- Schließlich ist auch die Abwanderung von Absolventen ausbildung dauert zwei bzw. drei Jahre, teilweise gefolgt genauso wie von hochqualifizierten Beamter in den von mehreren Pflichtstationen und Spezialisierungen. Privatsektor problematisch. Laut Hamburger Senat ist „insbesondere die Anzahl der langjährig entwickelten Einzelne Antworten der Landesregierung zeigen, dass Spitzenprüferinnen und -prüfer in den Konzern- und die Ausbildungsplätze einigermaßen begehrt sind – Großbetriebsbereichen und der erfahrenen Wissens- Mecklenburg-Vorpommern erhielt 2020 beispielsweise träger aus dem Bereich der Veranlagung ... durch 748 Bewerbungen für 92 Kandidaten, in Niedersachsen Abwerbungen auf fast allen Stufen ihrer Entwicklung waren es, 4.395 Bewerbungen und 486 eingestellte An- gefährdet.“ Gründe hierfür sind oft fehlende Aufstiegs- wärtern. Laut unseren Interviewpartnern sind jedoch die möglichkeiten, fehlende Flexibilität oder höhere Gehalts- Diskrepanzen zwischen Finanzämtern auf dem Land angebote. Die Problematik, Abgängen hochqualifizierter und solchen in Metropolen, wo die Ausbildungsmöglich- Mitarbeiter zu begegnen, zeigt sich etwa in Zahlen aus keiten für junge Menschen größer ausfallen, signifikant. Baden-Württemberg, wo 2016 – 2018 jeweils nur etwas Die Abbrecherquote lag je nach Bundesland und Zähl- mehr als die Hälfte der Abgänge durch Neueinstellung weise etwa zwischen zehn und 20 Prozent. Für erfolg- kompensiert werden konnten. Beim Umfang des Pro- reiche Absolventen gibt es teilweise Übernahmegaran- blems genauso wie bei den bestehenden Maßnahmen tien, die an eine bestimmte Note bei der Abschlussprü- gibt es je nach Bundesland große Unterschiede. In fung gekoppelt sein können. Hamburg müssen Absolventen der Laufbahngruppe 2.1 beispielsweise einen Teil der Ausbildungskosten Mehrere Bundesländer, darunter Hamburg, Nieder- zurückzahlen, wenn sie innerhalb von fünf Jahren nach sachsen, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vor- der Ausbildung auf eigenen Wunsch ausscheiden. pommern haben in der Vergangenheit die Zahl der Ausbildungsplätze erhöht. In Hamburg hat sich die Zahl der Auszubildenden von 2009 bis 2019 nahezu verzwei- einhalbfacht, in Niedersachsen hat sich die Zahl von 2009 bis 2018 fast verdoppelt und in NRW ist sie von Abwerbung leicht gemacht Sandra Höfer-Grosjean war bis zum Regierungswechsel in NRW in 2018 (SPD/Grüne zu CDU/FDP) kommissarische Leiterin der Steuerfahndung Wuppertal und zählte dort unter dem 2017 pensionierten Peter Beckhoff zu einer der wich- tigsten Ansprechpersonen in Sachen Steuerhinterziehung im Ausland und für den Kauf von Steuer-CDs. Nach einem Versetzungsversuch durch die neue Landesregierung quittierte sie gemeinsam mit einem Kollegen den Dienst und heuerte bei der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Deloitte an.12 Dies zeigt eine gewichtige Stell- schraube für geringe Fluktuation: politische Rückendeckung für besonders engagierte Finanzbeamten.
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