NIEDERSÄCHSISCHER DEMOKRATIE-MONITOR - NDM 2021 JULIAN SCHENKE, ANNEMIEKE MUNDERLOH SIMON T. FRANZMANN, STEFFEN KÜHNEL - FODEX
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Niedersächsischer Demokratie-Monitor 2021 FoDEx-Studie Niedersächsischer Demokratie-Monitor NDM 2021 Julian Schenke, Annemieke Munderloh Simon T. Franzmann, Steffen Kühnel oDEx Nr. 8 (2021) Politische Einstellungen in Niedersachsen während der Corona-Pandemie 1 FoDEx-Studie | Politische Kultur
Inhalt Auf einen Blick 1 Vorbemerkung: Zum Forschungszyklus 3 1 Wie sind wir vorgegangen? (Stammdaten) 7 2 Soziodemographische Merkmale der Befragten 9 3 Ergebnisse 15 3.1 Politisches Interesse, Problemwahrnehmung und Bewertung der Politik 15 3.2 Institutionenvertrauen 22 3.3 Demokratiezufriedenheit 25 3.4 Verschwörungsglaube 28 3.5 Regionale Unterschiede im Demokratierückhalt 33 3.6 Alle in der Mitte? Die ideologische Selbstverortung der niedersächsischen Bevölkerung 36 3.7 Corona-Krise 41 4 Fazit und Ausblick: Polarisierende Zufriedenheit? 49 Quellen und Literatur 51 Abbildungsverzeichnis 53 Anhang: Fragebogen 55 Autor*innen74 2
Auf einen Blick D er „Niedersächsische Demokra- ■■ wie hoch das politische Interesse der Be- tiemonitor“ (NDM) hat als Längs- fragten ist und wie sie Politik bewerten, schnittstudie die Aufgabe, mehr- heitskulturelle politische Men- ■■ wie stark sie Institutionen und der Demo- talitätstrends in Niedersachsen kratie vertrauen, zu identifizieren und zu dokumentieren. Dafür werden turnusmäßig repräsentative Umfragen ■■ wie sich die Befragten selbst politisch ver- in der niedersächsischen deutschsprachigen orten, Wohnbevölkerung durchgeführt (erstmals 2019) und daran anschließend in qualitativen Vertie- ■■ wie sie auf die Corona-Krise blicken, fungsstudien die unterhalb der Einstellungse- bene liegenden politisch-kulturellen Sinnbe- ■■ welche Rückschlüsse sich aus diesen ab- züge und Ordnungsideen, also konkret: Menta- gefragten Items insgesamt für die Einstel- litäten und Gesinnungen, erforscht. Für die vor- lungsdisposition der Niedersachsen (insbe- liegende Studie wurden von April bis Juni 2021 sondere im Vergleich zu 2019) ergeben. nun zum zweiten Mal Umfragedaten erhoben, die im Folgenden präsentiert und mit den Da- Wir kommen zu folgenden Ergebnissen: ten von 2019 in Beziehung gesetzt werden. Auf diese Weise können Veränderungen und Kons- 1. Die Niedersachsen zeigen weiterhin ein tanten in den Einstellungen der Niedersachsen großes politisches Interesse, indem sie sowie zentrale Fragen nach dem Vertrauen der politische Vorgänge genau verfolgen Bevölkerung in Demokratie, Politik und Institu- (was jedoch nicht mit persönlichem poli- tionen, aber auch Ängste und Hoffnungen – hier tischem Engagement gleichbedeutend vor allem im Zusammenhang mit der aktuellen ist); als dringlichstes Problem sehen sie Corona-Pandemie – eruiert werden. die Corona-Krise an, vor allem im Hinblick auf gesellschaftlichen Zusammenhalt; das Die Studie fragt im Anschluss an die erste Erhe- Thema Klima ist nur noch für eine spezifi- bung von 2019 danach, sche Gruppe vordringlich. ■■ ob die in den Vorgängerstudien festge- 2. Im Vergleich zu 2019 vertrauen noch mehr stellte Konsensmenge bezüglich des Ver- Befragte darauf, dass die Probleme, die sie hältnisses der Niedersachsen zu politischen selbst als von gesamtgesellschaftlich zen- Vorgängen, ihrem Demokratieverständnis traler Bedeutung identifizieren, von der und der Beurteilung gesellschaftlicher Pro- Politik gelöst werden können. bleme sich weiter vergrößert hat oder ob regionale Differenzen nun verstärkt zum 3. Die Corona-Krise hat nicht wie befürchtet Vorschein kommen, zu einer Vertrauenskrise des politischen Systems geführt; ganz im Gegenteil: Das FoDEx-Studie | Politische Kultur 1
Niedersächsischer Demokratie-Monitor 2021 Vertrauen in Politik und Institutionen ist dass Jüngere und formal höher Gebildete während der Pandemie in Niedersach- eher resilient sind; der Anteil derer, die sen sogar leicht gestiegen. Es ist nur eine glauben, dass der Einfluss von Lobbyis- Minderheit, die die staatliche Politik der ten auf politische Entscheidungen unter- Corona-Bekämpfung als störend empfin- schätzt werde (was die Vertiefungsstudie det bzw. offen ablehnt. Die größte Sorge aus dem Jahr 2020 bereits nahelegte), ist hegen die Niedersachsen insgesamt davor, indes sehr hoch. dass die Pandemie den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden könnte. 7. Die meisten Niedersachen verorten sich selbst auf einer Links-Rechts-Skala in der 4. Die Hälfte der Befragten zeigt sich zufrie- Mitte. Nur wenige Befragte geben an, rechts den mit der Demokratie; wir sehen sowohl der Mitte positioniert zu sein. einen Anstieg der Zufriedenheit als der Unzufriedenheit mit der Demokratie im 8. Die Niedersachsen sind gespalten, wenn Vergleich zu 2019. es um die Bewertung der politischen Maß- nahmen während der Corona-Pandemie 5. Es zeigen sich regionale Unterschiede in geht: Während die eine Hälfte der Befrag- der Unterstützung der Prinzipien der reprä- ten zufrieden mit der staatlichen Coro- sentativen Demokratie; sie ist am stärksten na-Bekämpfung ist, ist die andere Hälfte in der Region südlich von Hamburg ausge- entsprechend unzufrieden. Allerdings liegt prägt und am geringsten in den Regionen hierin keine klare eindimensionale Polari- um Braunschweig, Wolfsburg, Goslar und sierung. Denn die Gruppe der mit der Coro- Göttingen. Dies ist aber ein Befund auf der na-Politik Unzufriedenen unterscheidet Basis einer sehr groben Regionseinteilung sich intern nochmals deutlich in den Moti- und vor der Durchführung weitergehender vlagen. Dies zeigt sich schon daran, dass Analysen vorsichtig zu interpretieren. gleichzeitig eine deutliche Mehrheit der Befragten prinzipiell staatliche Vorgaben 6. Der Anteil derjenigen, die zum Verschwö- bei der Pandemiebekämpfung dezidiert als rungsglauben neigen, ist im Vergleich zu gerechtfertigt ansieht und nicht grundsätz- 2019 konstant geblieben, wobei auffällt, lich opponiert. 2 FoDEx-Studie | Politische Kultur
Vorbemerkung: Zum Forschungszyklus W ie groß ist das Vertrauen der ■■ Marg, Stine/Finkbeiner, Florian/Kühnel, niedersächsischen Bevölke- Steffen/Dermitzaki, Efpraxia: Niedersächsi- rung in die Demokratie? Wie scher-Demokratie-Monitor. NDM 2019. Fo- bewertet sie staatliche, poli- DEx-Studie Politische Kultur Nr. 2, Göttin- tische und zivilgesellschaft- gen 2019. liche Institutionen? Welche gesellschaftspoli- ■■ Schenke, Julian/Trittel, Katharina/Neu- tischen Probleme, Ängste und Hoffnungen gibt mann, Amelie: Die ungeschriebene Verfas- es und wie viel Vertrauen setzen die Bürger*in- sung der Niedersachsen. 1. Qualitative Ver- nen Niedersachsens in die Problemlösungs- tiefungsstudie des Niedersächsischen De- kompetenz von Regierung, Politik, Behörden, mokratie-Monitors (NDM). FoDEx-Studie Gerichten, Öffentlichkeit? Und wie blicken die Politische Kultur Nr. 5, Göttingen 2020. Niedersachsen in die Zukunft? Aktuelle wissenschaftliche Antworten auf Die vorliegende Studie baut auf diesen bereits diese Fragen zu liefern, ist die Aufgabe des an publizierten Resultaten des ersten Erhebungs- der Forschungs- und Dokumentationsstelle zyklus auf und referiert Ergebnisse einer neuen zur Analyse politischer und religiöser Extre- repräsentativen Erhebung. In ihrer methodi- mismen in Niedersachsen (FoDEx) angesie- schen Anlage entspricht sie weitestgehend dem delten und in Kooperation mit dem Metho- NDM 2019, dennoch wurden infolge verschie- denzentrum Sozialwissenschaften (MZS) der dener Einsichten der qualitativen Vertiefungs- Georg-August-Universität Göttingen erstell- studie Änderungen an der Item-Batterie vor- ten Niedersächsischen Demokratie-Monitors genommen. Neben Umformulierungen betrifft (NDM), der ersten Längsschnitt-Studie dieser das vor allem die Ergänzung einzelner Items Art in einem westdeutschen Bundesland. Das zur politischen und ideologischen Verortung, Ziel des NDM ist, die politische Mehrheitskultur zum Institutionenvertrauen sowie zum Ver- Niedersachsens zu erschließen, zentrale Men- schwörungsglauben,1 ferner die Fortlassung ei- talitätsströme zu identifizieren, und in Zukunft niger Detailfragen zum Demokratiebegriff (Zu- auch zu fundierten Aussagen über Längs- ordnung von Kernelementen der Demokratie, schnittentwicklungen zu gelangen. Der NDM Vorteile und Nachteile dieser Regierungsform) veröffentlicht in Zwei-Jahres-Zyklen einer- – einerseits, weil die 2019 dokumentierten Un- seits statistisch repräsentative, andererseits qualitativ vertiefende Daten. Diese multime- thodische Verklammerung erlaubt es, Wahr- 1 Hier gab der in den Fokusgruppendiskussionen von 2020 auffällige Orientierungsanker von Lobbys und nehmungsmuster und Beurteilungsmaßstäbe Lobbyisten als Inbegriff der Manipulation politischer vertiefend auszuleuchten und den Fragebogen Prozesse durch mächtige Wirtschaftsinteressen den für darauffolgende repräsentative Umfragen entscheidenden Hinweis, ein entsprechendes Item anzupassen. Bisher sind erschienen: aufzunehmen (s. u.). FoDEx-Studie | Politische Kultur 3
Niedersächsischer Demokratie-Monitor 2021 terschiede im Demokratieverständnis durch die demie und wirft einen Blick auf die Frage nach in der qualitativen Vertiefung von 2020 her- den Auswirkungen dieser Krisensituation auf ausgearbeiteten politisch-sozialen Deutungs- das Institutionen- und Demokratievertrauen im muster aufgelöst werden konnten; anderer- zweitgrößten Flächenland der Bundesrepublik. seits, um Platz für ein Monitoring der aktuellen Ein grundsätzliches Interesse von FoDEx liegt Gesundheitskrise zu schaffen. Ein neuer The- in der regionalen Verteilung von Einstellungs- menschwerpunkt widmet sich nun der Sicht- mustern. Im Kontext der NDM-Studien aber weise der niedersächsischen Bevölkerung auf legte die qualitative Vertiefungsstudie von die Herausforderungen der seit über andert- 2020 nahe, dass hinsichtlich der grundlegen- halb Jahren andauernden SARS-CoV-2-Pan- den politisch-sozialen Deutungsmuster (Ver- ■■ Ziel 1: Messung der Einstellungen zu Politik, 1. Niedersächsischer Demokratie und Gesellschaft Demokratie-Monitor (NDM) 2019 ■■ Ziel 2: Dokumentation von Längsschnitt- (Pilotstudie) Entwicklungen ■■ Standardisierte Befragung ■■ CATI-Modell (Telefoninterviews, 70 % Fest- netz, 30 % Mobiltelefon) ■■ Ziel 1: Gezielte Vertiefung ausgewählter 1. Qualitative Vertiefungsstudie 2020 Fragestellungen auf Grundlage der voran- („Die ungeschriebene Verfassung der Niedersachsen“) gegangenen Studie ■■ Ziel 2: Überarbeitung und Spezifikation der NDM-Item-Batterie ■■ Qualitativ-interpretative Methodik (nichtstandardisierte Erhebungsmetho- den) 2020: Fokusgruppenstudie ■■ Ziele und Methodik: wie 1. NDM 2019 2. Niedersächsischer ■■ Spezifizierung und Ergänzungen der Demokratie-Monitor (NDM) 2021 Item-Batterie ■■ Implementierung eines Themenschwer- punkts zur Corona-Krise ■■ Ergänzung und Umformulierung einzelner Items ■■ Ziele und Methodik: wie 1. Qualitative Ver- 2. Qualitative Vertiefungsstudie tiefungsstudie 2020 (geplant 2022) ■■ Konkretes Erkenntnisinteresse wird derzeit noch entwickelt ■■ Fokusgruppenstudie und / oder halbstan- dardisierte Einzelinterviews und /oder Se- kundärauswertung 4 FoDEx-Studie | Politische Kultur
Vorbemerkung: Zum Forschungszyklus hältnis zu politischen Vorgängen, Demokratie- Grundprinzipien der Unterstützung der reprä- verständnis, Gerechtigkeitsauffassungen) eine sentativen Demokratie noch einmal nach re- ausgeprägte Übereinstimmung zwischen den gionalen Unterschieden gesucht und sind fün- Niedersachsen besteht, während sich regionale dig geworden: der Raum Braunschweig sowie Differenzen zwischen den Großregionen We- die Region um Göttingen herum weisen deut- ser-Ems (Oldenburg/Osnabrück, relativ schwa- lich geringe Werte auf als dies im Bereich Lüne- che AfD-Wahlergebnisse) und Raum Braun- burgs der Fall ist. schweig (Braunschweig/Salzgitter, relativ starke AfD-Wahlergebnisse) nur gering ausgeprägt sind. Wir haben dieses Jahr in Bezug auf die Strukturdaten der NDM-Studien im Vergleich NDM 2019 NDM 2020 NDM 2021 ■■ Standardisierte Befragung ■■ Qualitative Fokusgruppen- ■■ Standardisierte Befragung studie ■■ Repräsentative Stichprobe ■■ Repräsentative Stichprobe der niedersächsischen, ■■ Maximal kontrastiver Ver- der niedersächsischen, deutschsprachigen Wohn gleich zwischen den Groß- deutschsprachigen Wohn- bevölkerung regionen Weser-Ems und bevölkerung Raum Braunschweig ■■ 1.001 Befragte ■■ 1.001 Befragte ■■ Zufällige Stichprobe aus ■■ CATI-Erhebung mit ■■ CATI-Erhebung mit Einwohner*innen der vier Dual-Frame-Ansatz (70 % Dual-Frame Ansatz (70 % Städte Oldenburg, Osna- Festnetz, 30 % Mobilfunk) Festnetz, 30 % Mobilfunk) brück, Braunschweig und ■■ Durchschnittliche Inter Salzgitter ■■ Durchschnittliche viewdauer: 26,1 Minuten Interviewdauer: ■■ Acht ca. zweistündige Fo- 25,6 Minuten ■■ Gewichtung nach Maßgabe kusgruppen mit jeweils der amtlichen Bevölke- sechs bis neun Personen ■■ Gewichtung nach Maßgabe rungsstatistik (insgesamt 60 Personen) der amtlichen Bevölke- rungsstatistik ■■ Erhebungszeitraum: ■■ 16,5 Stunden Gesprächs- 09.11.2018–04.12.2018 material, 632 Seiten ■■ Erhebungszeitraum: Transkript 30.04.2021–13.06.2021 ■■ Erhebungszeitraum: November 2019 – Februar 2020 FoDEx-Studie | Politische Kultur 5
Niedersächsischer Demokratie-Monitor 2021 6 FoDEx-Studie | Politische Kultur
1 Wie sind wir vorgegangen? (Stammdaten) 1 Wie sind wir vorgegangen? (Stammdaten) D ie Auswahlgesamtheit der vor- lativen Häufigkeiten der Kombinationen von Al- liegenden Studie beruht auf der ter, Geschlecht und Schulbildungsabschluss mit deutschsprachigen Wohnbevöl- den entsprechenden Anteilen in der Population kerung des Bundeslandes Nieder- übereinstimmen. sachsen ab 16 Jahren in Privat- Die Interviews wurden zwischen dem 30. Ap- haushalten (am Ort der Hauptwohnung), unab- ril und dem 13. Juni 2021 durchgeführt und dauer- hängig von der jeweiligen Nationalität. Ange- ten im Schnitt ca. 25,6 Minuten.2 Die Auswertung strebt wurde eine für Niedersachsen repräsen- der Daten erfolgte von Julian Schenke in Zusam- tative Stichprobe mit 1.000 Fällen (realisiert: menarbeit mit Annemieke Munderloh und unter 1.001) aus der deutschsprachigen Wohnbevöl- wissenschaftlicher Leitung von Simon T. Franz- kerung; die Befragung erfolgte mithilfe compu- mann (Direktor des Instituts für Demokratiefor- tergestützter, standardisierter, deutschsprachi- schung der Georg-August Universität Göttingen) ger Telefoninterviews (CATI) in einem Dual-Fra- sowie Steffen Kühnel (Emeritierter Leiter des Me- me-Ansatz (70 Prozent der Stichprobe über thodenzentrums Sozialwissenschaften an der Festnetz, 30 Prozent über Mobilfunk). Für die Er- Georg-August Universität Göttingen). hebung wurde die BIK ASCHPURWIS + BEHRENS GmbH beauftragt. Als Auswahlgrundlage diente die ADM-Telefonauswahlgrundlage 2020. Um die unterschiedliche Teilnahmebereitschaft und 2 Ein möglicher Einfluss der Entwicklungen innerhalb Verweigerungsneigung von Personen bestimm- des Befragungszeitraums auf manche der hier vor- ter demographischer Merkmalsgruppen auszu- gestellten Ergebnisse ist nicht auszuschließen. In die gleichen, wurden auf Basis der Verteilung von Phase zwischen dem 30. April (Beginn der Befragung) Alter, Geschlecht und Bildung im Mikrozensus und dem 13. Juni 2021 (Ende der Befragung) fallen sowohl sinkende Inzidenzwerte und sukzessive Locke- 2019 entsprechende Gewichtungen gesetzt. rungen als auch ein spürbarer Fortschritt der Impf- Wie bei Telefonumfragen üblich, zeigen sich kampagne, insgesamt zeigt sich eine deutliche Ent- aufgrund unterschiedlicher Erreichbarkeit und spannungstendenz nach etwa 7 Monaten des Lock- Teilnahmebereitschaft Abweichungen der Stich- downs. Wie das COSMO COVID-19 Snapshot Monito- probe gegenüber der amtlichen Statistik (basie- ring belegt (vgl. Universität Erfurt: COSMO – COVID-19 rend auf Hochrechnungen des Mikrozensus 2021) Snapshot Monitoring. Akzeptanz aktueller Maßnah- men, 16.07.2021, URL: https://projekte.uni-erfurt.de/ vor allem bei der Bildungsverteilung und in ge- cosmo2020/web/topic/politik/20-akzeptanz/ [ein- ringerem Maße auch bei Alter und Geschlecht. gesehen am 30.08.2021]), variiert die Akzeptanz der Die Gewichte sind so gebildet, dass nach der Ge- Eindämmungsmaßnahmen je nach Infektionszahlen wichtung die in der Stichprobe beobachteten re- und Risikowahrnehmung. FoDEx-Studie | Politische Kultur 7
Niedersächsischer Demokratie-Monitor 2021 8 FoDEx-Studie | Politische Kultur
2 Soziodemographische Merkmale der Befragten 2 Soziodemographische Merkmale der Befragten D ie dieser Studie zugrundelie- gende Stichprobe von 1.001 zu- Höchster erreichter fällig ausgewählten Personen aus Schulabschluss der deutschsprachigen Wohnbe- völkerung Niedersachsens wurde 3% nach Maßgabe der amtlichen Statistik des Mi- 17 % krozensus 2019 hinsichtlich Alter, Geschlecht3 und Bildungsstand gewichtet (Abweichungen sind stets gekennzeichnet). Gewichtungen sind in quantitativen Untersuchungen gängige Mit- 46 % tel, um Unterschiede zwischen den erreichten, befragten Personen und der tatsächlichen Be- völkerungsverteilung auszugleichen, sodass re- präsentative Aussagen getroffen werden kön- 35 % nen. Unter- beziehungsweise überrepräsen- tierte Gruppen werden dabei stärker respektive schwächer gewichtet, um unverzerrte Schät- zungen zu erhalten. Ungewichtet sind die Be- kein Abschluss fragten unseres Samples tendenziell älter, häu- ungewichtete Volks-/ Hauptschulabschluss Angaben von mittl. Reife/ Realschulabschl. figer weiblich und gebildeter als der aktuelle er- 997 Befragten (Fach-) Hochschulreife/ Abitur rechnete Durchschnitt.4 Wenn die Fallzahlen zwischen den einzel- Abbildung 1: Höchster erreichter Schulabschluss nen Angaben und Grafiken voneinander abwei- chen, liegt das daran, dass manche der Befragten Alter der Befragten nicht jede Frage beantwortet haben oder bei be- stimmten Variablen und Visualisierungen nicht 23 % 24 % 21 % jede Antwortkategorie in die Analyse eingegan- 14 % 9% 8% 3 Den Befragten wurden die Auswahlmöglichkeiten männlich, weiblich und divers vorgegeben. Keine*r der 16-29 30-39 40-49 50-59 60-69 70+ Befragten wählte divers. ungewichtete Angaben von 996 Befragten 4 Vgl. Statistisches Bundesamt: Bevölkerung und Abbildung 2: Alter der Befragten Erwerbstätigkeit. Haushalte und Familien. Ergeb- nisse des Mikrozensus 2019. Fachserie 1, Reihe 3, 2020, S. 60 f. FoDEx-Studie | Politische Kultur 9
Niedersächsischer Demokratie-Monitor 2021 Berufsausbildung (Fach-) Abitur+abg. Berufsausb.+Studium 16 % (Fach-) Abitur+abg. Studium 22 % (Fach-) Abitur+Berufsausb. (ohne Studium) 8% (Fach-) Abitur ohne Berufsausb./Studium 1% mittl. Reife+Berufsausb. ohne Studium 35 % Hauptschulab.+Berufsausb. (ohne Stud.) 14 % Hauptschulab. ohne Berufsausb. 3% Berufsausb. ohne Abschluss 1% kein Abschluss 1% 0% 5% 10 % 15 % 20 % 25 % 30 % 35 % ungewichtete Angaben von 996 Befragten Abbildung 3: Berufsausbildung Netto-Haushaltseinkommen der Befragten 5.500 € und mehr 17 % 5.000 € bis 5.499 € 11 % 4.500 bis 4.999 € 4% 4.000 bis 4.499 € 11 % 3.500 bis 3.999 € 8% 3.000 € bis 3.499 € 12 % 2.500 € bis 2.999 € 10 % 2.000 € bis 2.499 € 11 % 1.500 € bis 1.999 € 8% 1.000 € bis 1.499 € 5% unter 1.000 € 3% 0% 2% 4% 6% 8% 10 % 12 % 14 % 16 % ungewichtete Angaben von 735 Befragten Abbildung 4: Netto-Haushaltseinkommen der Befragten gen ist – so wurden Personen, die auf eine Frage haben eine Berufsausbildung abgeschlossen, „weiß nicht“ geantwortet haben, in der Regel 38 Prozent – mehr als ein Drittel – ein Studium nicht mit einbezogen. 46 Prozent der Interview- oder beides absolviert. In Übereinstimmung mit ten, beinahe die Hälfte, verfügt über eine allge- den Hochrechnungen des Mikrozensus 20195 sind meine oder fachgebundene Hochschulreife, wei- tere 35 Prozent über einen Realschulabschluss bzw. die mittlere Reife; 57 Prozent der Befragten 5 Vgl. ebd., S. 60. 10 FoDEx-Studie | Politische Kultur
2 Soziodemographische Merkmale der Befragten mit 56 Prozent etwas mehr als die Hälfte unse- res Samples in Vollzeit (39 Prozent) oder Teilzeit Wie viele Mitglieder des (17 Prozent) erwerbstätig, die große Mehrheit von Haushalts tragen zum ihnen (68 Prozent der Erwerbstätigen) im An- Einkommen bei? gestelltenverhältnis, 17 Prozent Selbstständige 53 % oder Freiberufler*innen, 7 Prozent Beamt*innen und 7 Prozent Arbeiter*innen. Unter den Nicht- erwerbstätigen finden sich etwa 71 Prozent Rent- 38 % ner*innen; zu je 4 bis 5 Prozent vertreten sind Studierende, Schüler*innen, Hausfrauen bzw. Hausmänner. 93 Prozent der Befragten sind in Deutschland geboren. 8% 2% Auch das Netto-Haushaltseinkommen un- 1 2 3 4 seres Samples liegt über dem im Mikrozensus gewichtete Angaben von 1.001 Befragten angegebenen Durchschnitt: Während dort etwa 17 Prozent der Haushalte monatlich über 4.500 € Abbildung 5: Netto-Einkommen Haushaltsmitglieder und mehr verfügen,6 sind es hier 32 Prozent. Zwar sind diese Zahlen mit Zurückhaltung zu interpre- Wie viele dieser Mitglieder mussten tieren, da insgesamt 266 Personen, etwas mehr seit Beginn der Corona-Pandemie in als ein Viertel, die Angabe gänzlich verweigert haben; für die Situation der Menschen während Kurzarbeit? der SARS-CoV-2-Pandemie ist jedoch relevant, dass in 91 Prozent der Haushalte der Befragten 3% eine oder zwei Personen zu diesem Einkommen 17 % beitragen und in immerhin 20 Prozent von ihnen seit Beginn der Krise Einbußen durch Kurzarbeit hingenommen werden mussten bzw. müssen. Unverkennbar ist die noch immer sichtbare protestantische Prägung der niedersächsischen Bevölkerung: Mit 44 Prozent bilden die Angehö- rigen der evangelisch-lutherischen Konfession (ergänzt durch 3 Prozent Freikirchler*innen) die 81 % größte Gruppe im Sample, gefolgt von 31 Pro- zent Konfessionslosen und 17 Prozent Angehö- rigen der römisch-katholischen Kirche. 2 Pro- gewichtete Angaben niemand zent gehören anderen christlichen Religions- von 1.001 Befragten eine Person gemeinschaften an, 3 Prozent einer der nicht- zwei Personen christlichen Religionsgemeinschaften. Angehöri- Abbildung 6: Haushaltsmitglieder Kurzarbeit gen nicht-christlicher Glaubensgemeinschaften misstrauen die Befragten tendenziell stark (mehr dazu weiter unten), jedoch folgt an dritter Stelle ihr. Auch wenn das größte Misstrauen den christ- direkt starkes Misstrauen auch christlichen Reli- lichen Religionsgemeinschaften gegenüber von gionsgemeinschaften gegenüber. Welche Rolle der Gruppe der Konfessionslosen ausgeht, hält die Religion im privaten Alltag der Menschen die Selbstzuordnung zur evangelischen oder ka- spielt, erscheint allerdings fraglich: 77 Prozent tholischen Kirche unsere Befragten nicht davon derjenigen, die einer Glaubensgemeinschaft an- ab, ebenfalls Misstrauen diesen gegenüber zu gehören, engagieren sich nicht oder nur selten in äußern. 48 Prozent derer, die sich selbst als evan- gelisch oder katholisch bezeichneten, misstrauen den christlichen Religionsgemeinschaften eher 6 Vgl. ebd., S. 34. oder stark. Es scheint also nach wie vor eine klare FoDEx-Studie | Politische Kultur 11
Niedersächsischer Demokratie-Monitor 2021 Vertrauen in Kirchen und Religionsgemeinschaften gewichtete Angaben 70 % 71 % 60 % 50 % 58 % 56 % 40 % 30 % 40 % 20 % 27 % 27 % 10 % 17 % 2% 2% 0% Den christlichen Den anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften Religionsgemeinschaften Religionsgemeinschaften insg. (n=981) (n=967) (n=965) vertraue eher nicht / vertraue überhaupt nicht teils/teils vertraue stark / vertraue eher Abbildung 7: Vertrauen in Kirchen und Religionsgemeinschaften Distinktion zwischen der persönlichen Religio- sität und der Einstellung religiöser Institutionen Konfessionszugehörigkeit gegenüber zu geben, was womöglich auch das geringe Engagement innerhalb ihrer Gemeinden erklärt. Die Sicht der Niedersachsen auf die Re- levanz der jüdisch-christlichen Tradition für die Kultur in Deutschland ist ebenso durchwachsen, 31 % wobei immerhin 43 Prozent der Befragten sie 44 % für wichtig bis sehr wichtig halten. Die bereits im NDM 2019 geäußerte Vermutung, dass sich die wahrgenommenen religiösen Traditionen eher 3% aus einer säkularen Perspektive kultureller Iden- tifikation als aus tatsächlicher Frömmigkeit spei- 2% 17 % sen,7 scheint sich zu bestätigen. Auch abseits der Kirchen und Glaubensge- 3% meinschaften ist ein großer Teil unserer Be- fragten zivilgesellschaftlich eingebunden, da- evangelisch gewichtete Angaben ev. Freikirche von 993 Befragten bei oft mit einem deutlich höheren Engagement. katholisch 50 Prozent von ihnen gehören einem Kultur- andere chr. Religionsgemeinschaft oder Sportverein an, 21 Prozent einer Gewerk- andere nicht-chr. Religionsgemeinschaft konfessionslos schaft und 6 Prozent einer politischen Partei. Von den Vereinsmitgliedern bezeichnen sich 54 Pro- Abbildung 8: Konfessionszugehörigkeit zent als aktive Mitglieder, von den (wenigen) Par- teimitgliedern 47 Prozent; demgegenüber brin- gen sich nur 18 Prozent aktiv in ihrer Gewerk- schaft ein. 7 Vgl. Marg, Stine/Finkbeiner, Florian/Kühnel, Steffen/ Dermitzaki, Efpraxia: Niedersächsischer-Demokratie- Monitor. NDM 2019. FoDEx-Studie Politische Kultur Nr. 2, Göttingen 2019, S. 10. 12 FoDEx-Studie | Politische Kultur
2 Soziodemographische Merkmale der Befragten Wichtigkeit der christlich-jüdischen Tradition für die Kultur in Deutschland 30 % 26 % 18 % 17 % 8% sehr unwichtig eher unwichtig teils/teils eher wichtig sehr wichtig gewichtete Angaben von 962 Befragten Abbildung 9: Jüdisch-christliche Tradition Mitglied in... (Mehrfachauswahl) Kirche oder Religionsgemeinschaft 66 % Kultur- oder Sportverein 50 % Gewerkschaft 21 % politischer Partei 6% 0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % gewichtete Angaben von 992 bis 1.001 Befragten Abbildung 10: Mitgliedschaften Aktive Mitglieder Verein (499 Befragte) 54 % politische Partei (61 Befragte) 47 % Glaubensgemeinschaft (687 Befragte) 23 % Gewerkschaft (210 Befragte) 18 % 0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % gewichtete Angaben Abbildung 11: Zivilgesellschaftliches Engagement FoDEx-Studie | Politische Kultur 13
Niedersächsischer Demokratie-Monitor 2021 14 FoDEx-Studie | Politische Kultur
3 Ergebnisse 3.1 Politisches Interesse, ressierte)11. Die Niedersachsen verfolgen poli- Problemwahrnehmung und tische Themen und Vorgänge also unverändert A Bewertung der Politik mit großem Interesse. Angesichts der geringen Zahl parteipolitisch organisierter Personen wird nders als im NDM 20198 bekun- man den Grund für dieses insgesamt mehrheit- den nur noch 41 Prozent (vor- lich ausgeprägte Interesse zumindest in Nieder- mals 48 Prozent) ein starkes und sachsen allerdings nicht primär an die Vorstel- sehr starkes, weitere 41 Prozent lung bestimmter weltanschaulicher Bindungen ein mittleres Interesse an Poli- an spezifische politische Fraktionen knüpfen tik – gegenüber 12 wenig und 6 Prozent über- dürfen. Vielmehr legt unsere qualitative Vertie- haupt nicht Interessierten (vormals 8 und 3 Pro- fungsstudie von 2020 nahe, dass es in Nieder- zent). Nichtsdestotrotz spiegeln die von uns Be- sachsen vielerorts zum guten Ton gehört, als fragten damit nahezu exakt den im historischen demokratische*r Bürger*in tagespolitisch zu- Verlauf zurzeit relativ hohen Durchschnittswert mindest grundlegend informiert zu sein und das politisch Interessierter der ALLBUS-Zahlen für (welt-)politische Geschehen mit einer gewissen Westdeutschland wider;9 zudem steht die wei- terhin geringe Zahl politisch Desinteressierter Interesse an Politik in markantem Kontrast zum vergleichsweise großen Anteil in manchen ostdeutschen Län- dern, etwa in Sachsen (59 Prozent Desinteres- 41 % sierte)10 und Brandenburg (44 Prozent Desinte- 30 % 8 Vgl. Marg et al.: NDM 2019, S. 15. 12 % 11 % 6% 9 Vgl. Weßels, Bernhard: Politisches Interesse und poli- gar nicht wenig mittel stark sehr stark tische Partizipation, in: bpb.de, 10.03.21, URL: https:// www.bpb.de/nachschlagen/datenreport-2021/poli- gewichtete Angaben von 1.000 Befragten tische-und-gesellschaftliche-partizipation/330210/ Abbildung 12: Interesse an Politik politisches-interesse-und-politische-partizipation [eingesehen am 20.08.2021]. 10 Vgl. dimap Institut für Markt- und Politikforschung: 11 Vgl. Müller-Hilmer, Rita: Brandenburg-Monitor 2020. Sachsen-Monitor 2018. Ergebnisbericht, Bonn 2018, Studie im Auftrag der Staatskanzlei des Landes Bran- S. 27. denburg, 2020, Frage 14/15. FoDEx-Studie | Politische Kultur 15
Niedersächsischer Demokratie-Monitor 2021 Vertrauen in Medien 50 % 52 % 52 % 48 % 40 % 39 % 30 % 36 % 20 % 23 % 17 % 10 % 6% 6% 8% 7% 1% 0% den öffentlich-rechtlichen Medien den Zeitungen (Print und Internet) den sozialen Medien (n= 944) (n= 980) (n= 958) gewichtete vertraue überhaupt nicht vertraue eher nicht vertraue eher vertraue stark Angaben Abbildung 13: Vertrauen in Medien Was ist zur Zeit das wichtigste Problem in Deutschland? Corona-Krise insgesamt 65 % Umweltschutz, Klimawandel, Energiewende 7% Sorge um gesellschaftlichen Zusammenhalt allgemein 6% Politiker- und Parteienverdruss 5% Soziale Gerechtigkeit, soziale Ungleichheit 5% Migration und Integration, Ingroup/Outgroup-Denken 4% Wirtschaftslage 3% Bildung und Ausbildung, Digitalisierung 3% keine Angabe 2% Gesundheitswesen, Pflege 1% 0% 20 % 40 % 60 % ungewichtete Angaben von 1.001 Befragten Abbildung 14: Wichtigstes Problem in Deutschland Aufmerksamkeit zu verfolgen.12 Dementspre- politischer Informationskanäle Zeugnis abge- chend wird auch in unserem aktuellen Sample legt: 81 Prozent der Befragten geben an, regel- von einem regen Gebrauch verschiedenster mäßig persönliche Gespräche über politische Themen zu führen, 86 Prozent informieren sich über das Fernsehen, 75 Prozent über das Radio, 12 Vgl. Schenke, Julian/Trittel, Katharina/Neumann, 59 Prozent über Zeitungsmedien (Print und On- Amelie: Die ungeschriebene Verfassung der Nieder- sachsen. 1. Qualitative Vertiefungsstudie des Nieder- line), 34 Prozent über die sozialen Medien. Dass sächsischen Demokratie-Monitors (NDM). FoDEx- mehr als ein Drittel der Befragten angeben, sich Studie Politische Kultur Nr. 5, Göttingen 2020, S. 32 f. über soziale Medien zu politischen Themen in- 16 FoDEx-Studie | Politische Kultur
3 Ergebnisse Was ist zur Zeit das zweitwichtigste Problem in Deutschland? keine Angabe 28 % Stabilität des politischen Systems, Zusammenhalt 20 % Migration und Integration, Ingroup/Outgroup-Denken 18 % Soziale Gerechtigkeit, soziale Ungleichheit 14 % Corona-Krise insgesamt 5,5 % Wirtschaftslage 5,4 % Gesundheitswesen, Pflege 4,9 % Umweltschutz, Klimawandel, Energiewende 2% Politiker- und Parteienverdruss 1% Lobbyismus 0,5 % 0% 10 % 20 % 30 % ungewichtete Angaben von 1.001 Befragten Abbildung 15: Zweitwichtigstes Problem in Deutschland formieren, ist besonders vor dem Hintergrund noch die Wahrnehmung sozialer Ungerechtig- interessant, dass ebendiese unangefochten keit (22 Prozent), der Migrationspolitik (18 Pro- an der Spitze der Misstrauensskala stehen (s. zent) sowie die Sorge um den gesellschaftlichen dazu auch Abbildung 21). Über die Hälfte der Zusammenhalt (9 Prozent) den Blick,13 macht sich Befragten (52 Prozent) geben an, dass sie so- nun unverkennbar die Erfahrung der monate- zialen Medien eher misstrauen, 39 Prozent gar langen thematischen Präsenz der Corona-Pan- stark. Im Vergleich zu den anderen Institutio- demie in Alltag und Medien geltend. Eine deutli- nen, die wir im Zuge dessen abgefragt haben, ist che Mehrheit von 65 Prozent der Befragten sieht der Abstand zu den Nächstplatzierten (andere, den größten politischen Handlungsbedarf in der nicht-christliche Religionsgemeinschaften, de- Bewältigung der Corona-Krise, d. h. in der Ein- nen 22 Prozent der Befragten stark misstrauen) dämmung der Infektionen, dem Aufrechterhal- mit über 17 Prozent groß. Den öffentlich-recht- ten eines kontinuierlichen Impffortschritts oder lichen Medien vertrauen über zwei Drittel der in der baldigen Rückkehr zu einem restriktions- Befragten stark und eher (im Vergleich zur Er- freieren Alltagsleben. Wir werden später im Ka- hebung von vor zwei Jahren ein Zugewinn von pitel zu den Sorgen bezüglich der Corona-Pan- 12 Prozentpunkten), Print- und Onlinezeitungen demie sehen, dass die Frage des gesellschaftli- hingegen wird mit 59 Prozent der Befragten, die chen Zusammenhalts dort dominiert – was ein ihnen eher oder stark vertrauen, deutlich weni- Hinweis darauf ist, dass sich unter der Oberfläche ger Vertrauen entgegengebracht. der Corona-Pandemie noch zum Teil die altbe- Wie in der ersten Erhebung des NDM 2019 und kannten Probleme verbergen. Die Bewältigung in der qualitativen Vertiefungsstudie von 2020 des Klimawandels halten nur 7 Prozent für das baten wir die Niedersachsen auch diesmal um wichtigste Problem, 6 Prozent befürchten zuneh- eine Einschätzung der derzeit drängendsten po- litischen Problemlagen in Deutschland. Die Ant- worten des NDM 2021 weichen in ihrer Relevan- 13 Vgl. Marg et al.: NDM 2019, S. 20–23 und Schenke et al.: zordnung erwartungsgemäß von der vergange- Die ungeschriebene Verfassung der Niedersachsen, nen Erhebung ab: Bestimmten 2019 und 2020 S. 34 ff. FoDEx-Studie | Politische Kultur 17
Niedersächsischer Demokratie-Monitor 2021 mende gesellschaftliche Desintegrationstenden- sibel wäre es durchaus gewesen, dass dieser Wert zen, 5 Prozent äußern sich angesichts der partei- niedriger ausfällt, da ja die Probleme jenseits der politischen Personalauswahl (insbesondere der Pandemie nicht weniger werden. Hier scheint ein Kanzlerkandidat*innen) verdrossen. Demgegen- umgekehrter Effekt vorzuliegen: Bei den Befrag- über werden die Kernthemen von 2019 explizit ten scheint die Bewältigung der Corona-Pande- nur selten genannt: 5 Prozent der Befragten se- mie dermaßen viel Kraft und Aufmerksamkeit zu hen den primären Handlungsbedarf im Feld so- absorbieren, dass im Telefoninterview keine wei- zialer Ungleichheit bzw. Gerechtigkeit, 4 Pro- teren Probleme einfallen. zent in der Migrations- und Integrationspolitik sowie verstärktem Ingroup/Outgroup-Denken14, Politische das Ausgrenzung und Diskriminierung von (ver- Problemwahrnehmung durch meintlich) nicht-Deutschstämmigen zur Folge hat. Daraufhin nach dem zweitwichtigsten Prob- die Politik lem in Deutschland befragt (s. Abbildung 15), zei- 62 % gen sich folgende Werte: 20 Prozent fürchten um den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie die Stabilität des politischen Systems der Bundes- 36 % republik, 18 Prozent der Befragten sehen vor al- lem die Migrations- und Integrationspolitik so- 3% wie Ingroup/Outgroup-Denken als unbewältigte Herausforderung an, 14 Prozent sprechen The- ignoriert sie nimmt sie wahr weiß nicht, k. A. men sozialer Gerechtigkeit und Ungleichheit an, 5 Prozent die Wirtschaftslage. Die Klimakrise ist gewichtete Angaben von 1.001 Befragten hier mit 2 Prozent (gegenüber 11 Prozent beim Abbildung 16: Politische Problemwahrnehmung durch NDM 2019) weit abgeschlagen. Anscheinend den- Politik ken die Befragten größtenteils entweder direkt als erstes an die Bewältigung der Klimakrise oder Politische Lösungskompetenz sehen diese als ein nicht vordringlich zu lösendes der Politik Problem an. Interessanterweise ist 2021 der Wert derjenigen, die kein zweites Problem angeben, 73 % noch höher als 2019: damals waren es 20 Pro- zent der Befragten, nun sind es 28 Prozent. Plau- 14 Mit den Begriffen Ingroup und Outgroup (dt.: Eigen- 25 % und Fremdgruppe) werden Gruppenzugehörigkeiten 3% von Menschen auf verschiedenen Ebenen unterschie- den. Während sich von der Outgroup (bewusst oder Nein Ja weiß nicht, k. A. unbewusst) abgegrenzt wird, ist die Ingroup stets jene Gruppe, mit der sich Personen identifizieren und auf gewichtete Angaben von 1.001 Befragten Basis verschiedenster Merkmale ein „Wir-Gefühl“ entwickeln, das die Gruppenkohäsion stärkt und zur Abbildung 17: Politische Problemlösungskompetenz seitens Aufwertung des individuellen oder kollektiven Selbst- Politik wert-Gefühls durch Gruppenzugehörigkeit beiträgt. Daraus resultierende Ingroup-Bevorzugungen haben Für die Frage nach der Sicht der Niedersach- jedoch schnell Stereotypisierung und Diskriminierung sen auf die Politik im Allgemeinen ist das von von Personen der Outgroup(s) zur Folge, insbesondere großer Relevanz. Schließlich fragten wir auch dann, wenn die Ingroup-Identifikation hoch ausfällt. diesmal – wie im NDM 2019 – nach der Problem- Eine mögliche Folge davon ist Rassismus bzw. rassisti- wahrnehmung und der Problemlösungskompe- sche Verhaltensweisen, wenn sich Personen etwa stark mit ihrer Nationalität, Hautfarbe und/oder (vermeint- tenz „dieser [zuvor genannten] Probleme“ der lich) homogenen Landeskultur identifizieren und auf Politik. Wir müssen die Antworten als thema- Basis dessen zugewanderte Personen ablehnen. tisch stark fokussiert verstehen – mindestens 18 FoDEx-Studie | Politische Kultur
3 Ergebnisse Vertrauen und Misstrauen in politische Entscheidungsträger*innen Gemeinderat oder 78 % Stadtrat 20 % niedersächsisches 80 % Landesparlament 19 % niedersächsische 82 % Landesregierung 17 % 69 % Bundesregierung 31 % Politiker in 60 % Deutschland allgemein 37 % 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% vertraue stark / vertraue eher vertraue eher nicht / vertraue überhaupt nicht gewichtete Angaben von 1.000 Befragten Abbildung 18: Vertrauen und Misstrauen in politische Entscheidungsträger*innen zwei Drittel werden bei ihren Antworten haupt- sächsischen Landesparlament (19 Prozent nicht), sächlich über die Fähigkeit der Politik urteilen, 82 Prozent der niedersächsischen Landesre- die durch die Corona-Krise verursachten Prob- gierung (17 Prozent nicht) und, wenn auch deut- lemlagen adäquat zu identifizieren und zu be- lich abgeschlagen, eine Mehrheit von 69 Prozent heben. Und hier wiederum ist das Vertrauen in der amtierenden Bundesregierung (31 Prozent die politische Führung ungebrochen: Zwei Drit- nicht). Die niedrigen Misstrauenswerte zwischen tel (62 Prozent) der Befragten sind der Überzeu- 17 Prozent und 31 Prozent entsprechen ungefähr gung, dass die Politik die zurzeit drängendsten dem, was durchschnittlich in Deutschland diesen Probleme wahrnimmt, und drei Viertel von ih- staatlichen Ebenen entgegengebracht wird, wo- nen (73 Prozent) trauen ihr zu, diese Probleme bei hier auch den Kommunen eher vertraut wird auch tatsächlich zu lösen. Allerdings bezweifelt als dem Bund und die niedersächsischen Werte mit 36 Prozent immerhin ein Drittel die Wahr- durchgängig ein leicht höheres Vertrauensniveau nehmungs-, ein Viertel (25 Prozent) die Lösungs- aufzeigen.16 Dass der Blick auf die Gruppe der fähigkeit. Trotzdem: Im Vergleich zum NDM 2019 Politiker*innen insgesamt deutlich skeptischer fallen die Zahlen etwas optimistischer aus. Da- ausfällt (60 Prozent Vertrauen, 37 Prozent Miss- mals zweifelten ganze 42 Prozent der Befragten trauen), fällt kaum ins Gewicht – dieser Wert ist an der Problemwahrnehmung durch die politi- im bundesweiten Vergleich überraschend hoch. schen Entscheidungsträger*innen.15 Häufig dominiert das Misstrauen gegenüber Poli- Unterstrichen wird dieser Eindruck durch die tiker*innen in Deutschland. Im ALLBUS 2018 ten- durchweg guten Vertrauenswerte für die maß- dieren 48,5 Prozent eher zum Misstrauen denn geblichen politischen Entscheidungsgremien auf zum Vertrauen. Lediglich 21,7 Prozent der Be- den verschiedenen Regierungsebenen: 78 Pro- zent vertrauen ihrem Gemeinde- oder Stadt- 16 Eigene Auswertung auf Basis des ALLBUS 2018, vgl. rat (20 Prozent nicht), 80 Prozent dem nieder- GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften: Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissen- schaften ALLBUS 2018. GESIS Datenarchiv, Köln 2019, 15 Vgl. Marg et al.: NDM 2019, S. 23. https://doi.org/10.4232/1.13250. FoDEx-Studie | Politische Kultur 19
Niedersächsischer Demokratie-Monitor 2021 fragten in Deutschland äußerten damals, dass Dass die Niedersachsen der politischen Füh- sie den deutschen Politiker*innen eher oder rung des Bundes, der Länder und der Kommunen stark vertrauen.17 Selbst für Niedersachsen ist der also unter dem Strich ein gutes Zeugnis ausspre- 2021-Wert bemerkenswert: Der Wert liegt vergli- chen, setzt sicherlich auch das Bedürfnis nach chen mit 2019 um 29 Prozentpunkte höher. Wir persönlicher politischer Beteiligung herab. Denn gehen davon aus, dass dieser Vergleich in abso- dass die Niedersachsen politisch interessiert sind luten Zahlen mit Vorsicht zu genießen ist, weil in und an vielen thematischen Nervenpunkten im- der aktuellen Umfrage bei dieser Frage um eine mensen Handlungsbedarf sehen, schließt für sie klare Verortung für eine positive oder negative nicht notwendigerweise den Wunsch nach tat- Haltung gebeten wurde. Nur bei tatsächlicher sächlicher praktischer Partizipation ein. Aus un- Unentschlossenheit sollte die teils/teils-Kate- serer qualitativen Vertiefungsstudie ging hervor, gorie gewählt werden. In der früheren Umfrage dass viele Niedersachsen zwar die Distanz der war die teils/teils-Kategorie sehr stark besetzt, politischen Funktionsträger*innen von ihrer pri- was als eine Art Standardantwort erschien. Es vaten Lebenswelt bemängeln, die Hürden par- war auch 2019 ebenfalls nur ein geringer An- teipolitischer Karrieren als zu hoch ansehen und teil der Befragten, der den Politiker*innen allge- aus diesem Grund über persönliche politische mein misstraut. Und es sind 2021 5 Prozent mehr, Ohnmacht jenseits des Wahlakts klagen, zugleich die die höchste Vertrauenskategorie wählen. Wir jedoch die Rolle des*der distanzierten Kritiker*in können daher auf Basis unserer Befragung fest- insgesamt favorisieren.18 Gleichwohl haben viele halten, dass die niedersächsische Bevölkerung von ihnen schon einmal außerparlamentarische im bundesdeutschen Vergleich ein hohes Ver- Möglichkeiten der politischen Einflussnahme ge- trauen in die Politik und ihre handelnden Ak- nutzt, insbesondere an Unterschriftensamm- teur*innen setzt. lungen und Volksbegehren partizipiert (71 und Welche Möglichkeiten der politischen Einflussnahme wurden bisher genutzt? Unterschriftensammlung 71 % Teilnahme an Volksbegehren o. Ä. 42 % Boykott 37 % Kontakt zu Politikern 37 % Demonstration 37 % Diskussion im Internet 22 % Bürgerinitiative o. Ä. 22 % Blockade politischer Gegner 9% 0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % gewichtete Angaben von 997-1.001 Befragten Abbildung 19: Politische Einflussnahme 18 Vgl. Schenke et al.: Die ungeschriebene Verfassung der 17 Eigene Auswertung auf Basis des ALLBUS 2018. Niedersachsen, S. 60–65. 20 FoDEx-Studie | Politische Kultur
3 Ergebnisse Vertrauen und Misstrauen in Parteien 96 % AfD 4% 73 % Die Linke 26 % 64 % FDP 35 % Bündnis 90 / 48 % Die Grünen 51 % 47 % SPD 52 % 47 % CDU/CSU 52 % 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% vertraue eher nicht / vertraue überhaupt nicht vertraue stark / vertraue eher gewichtete Angaben von 975-981 Befragten Abbildung 20: Vertrauen und Misstrauen in Parteien 47 Prozent), an Demonstrationen und Boykot- Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung noch ten teilgenommen (jeweils 37 Prozent) oder sich größere Schnittmengen zu rechtsextremen Po- an einer Bürger*inneninitiative beteiligt (22 Pro- sitionen aufweist. Schließlich hängt die Wahlab- zent) – keine irregulären Werte, wie der Vergleich sicht häufig von taktischen Koalitionsüberlegun- mit den recht ähnlichen Zahlen des NDM 2019 gen ab, die sich vor dem Wahltag noch mehrfach belegt.19 ändern können. In der niedersächsischen wie in Schließlich haben wir auch wieder nach der der bundesdeutschen Bevölkerung gibt es viele Wahlabsicht bei der nächsten Landtagswahl ge- Personen, die zwischen SPD und Grüne schwan- fragt. Die Befragung fand von April bis Juni 2021 ken und im Befragungszeitraum in ihrer Wahl- statt – eine Phase, in der die Grünen ihr Stim- absicht (noch) den Grünen zuneigten; ähnliches mungshoch hatten. Dies schlägt sich auch in un- konnten wir zwischen FDP und CDU beobachten. serer Befragung nieder: 31 Prozent der Befragten Deswegen fragten wir diesmal auch nach dem gaben an, die Grünen wählen zu wollen, 29 Pro- generellen Vertrauen, das die Befragten den je- zent die CDU, 20 Prozent die SPD, 9 Prozent die weiligen Parteien entgegenbringen. FDP, und schließlich gaben 2 Prozent der Be- Das Bild bestätigt im Wesentlichen das, was fragten an, die AfD wählen zu wollen. Wie in den sich bei der Kommunal- und Bundestagswahl in Sonntagsfragen in den Monaten vor der Bundes- Niedersachsen an der Wahlurne zeigte. Die AfD tagswahl sind auch diese Werte mit großer Vor- weist mit 4 Prozent einen sehr niedrigen Ver- sicht zu genießen: Diese Werte geben lediglich trauenswert auf – was immer noch ein Hinweis Stimmungen an und prognostizieren nicht die auf ein „Unterberichten“ der AfD-Neigung in der Entscheidung bei der kommenden Landtagswahl. niedersächsischen Bevölkerung sein könnte. Al- Zudem spielt hier auch ein hohes Maß an sozial lerdings kam die AfD bei der Kommunalwahl im erwünschtem Antwortverhalten mit: Es ist anzu- September 2021 auch nur auf 4,6 Prozent – was nehmen, dass sich viele Befragte mit AfD-Präfe- fast exakt auf der Höhe unseres ermittelten Ver- renz nicht trauen, diese bei der Telefonbefragung trauenswertes liegt.20 Die von Philip Manow 2020 zu äußern, zumal diese noch anders als vor vier 19 Unterschriftensammlung: 77 Prozent; Volksbegehren o. Ä.: 47 Prozent; Demonstration: 41 Prozent; Boykott: 20 Bei der Bundestagswahl waren es dann etwas mehr 38 Prozent; Bürger*inneninitiative o. Ä.: 18 Prozent. Vgl. – nämlich an Zweitstimmen 7,4 Prozent für die AfD in Marg et al.: NDM 2019, S. 17 f. Niedersachsen. FoDEx-Studie | Politische Kultur 21
Niedersächsischer Demokratie-Monitor 2021 gelieferte „Momentaufnahme“21 zur sinkenden punkte) und die Politiker*innen in Deutschland Konjunktur populistischer Parteien in Europa (+ 5 Prozentpunkte) bei der niedersächsischen wirkt sich also zunächst auch im hier untersuch- Bevölkerung an Vertrauen gewinnen. ten Bundesland aus. Dass „die Stunde der Popu- Ein solcher Vertrauensgewinn während der listen erst noch schlagen wird“22, etwa mit Blick Corona-Pandemie wurde auch in anderen Bun- auf die langfristigen Auswirkungen der Pande- desländern festgestellt, allerdings auf niedri- mie, ist dadurch freilich keineswegs widerlegt, gerem Niveau.23 Ein Vertrauensverlust (− 1 Pro- doch scheint sie in Niedersachsen zumindest zentpunkt) ist nur in Bezug auf Kirchen und Re- noch ein Stückchen weiter in die Ferne gerückt. ligionsgemeinschaften zu verzeichnen, wobei Anders als bei der allgemeinen Wahlabsichts- die Niedersachsen zwischen den christlichen und frage liegen die Grünen beim Vertrauen nicht vor nicht-christlichen Religionsgemeinschaften dif- CDU und SPD, sondern – immerhin – auf Augen- ferenzieren. Ersteren wird insgesamt ein etwas höhe. Hier weisen die alten Volksparteien quasi größeres Vertrauen entgegengebracht (6 Pro- identische Werte auf: 52 Prozent vertrauen ihnen, zent) als den nicht-christlichen (3 Prozent). Tat- 47 Prozent nicht, während die Grünen einen Pro- sächlich geben 22 Prozent der Befragten an, dass zentpunkt schwächer eingestuft werden. Das ist sie den Kirchen und Religionsgemeinschaften so wenig, dass dies statistisch nicht aussagekräf- generell stark misstrauen (zum Vergleich: bei der tig ist. Bislang ist den Grünen in Niedersachsen letzten Erhebungsrunde waren es noch 14 Pro- wie im Bund nicht gelungen, dieses Wähler*in- zent), dabei ist der Anteil derer, die nicht-christ- nenpotenzial auszuschöpfen und auch bei den lichen Religionsgemeinschaften überhaupt kein Wahlergebnissen auf Augenhöhe mit SPD und Vertrauen entgegenbringen, mit 22 Prozent ge- Union zu sein. Umgekehrt demonstrieren die genüber 16 Prozent größer. Es ist zudem die Ten- Zahlen auch, dass die phasenweise sehr niedri- denz zu erkennen, dass Personen mit einem hö- gen Umfragewerte für die SPD und nun die CDU heren Bildungsabschluss Religionsgemeinschaf- auch in Niedersachsen stärker von Stimmungen ten eher vertrauen. Das kann mit einem prinzipi- als von langfristiger Überzeugung geprägt waren. ell höheren Institutionenvertrauen zusammen- hängen. Insbesondere jene, die keinen Abschluss haben, misstrauen Kirchen und Religionsge- meinschaften (unabhängig davon, ob sie christ- 3.2 Institutionenvertrauen lich oder nicht-christlich sind) eher bis stark und weisen auch im Vergleich mit dem Gesamt- Die Niedersachsen vertrauen ihren staatlichen, sample höhere Misstrauenswerte auf. Beson- politischen und zivilgesellschaftlichen Instituti- ders stark sind die Abweichungen bezüglich der onen nach wie vor. Bemerkenswert ist, dass hier Landesregierung, des Landesparlaments, der öf- durchgängig ein Anstieg des Vertrauens festzu- fentlich-rechtlichen Medien, Print- und Online- stellen ist. Corona hat weniger zur Erosion ge- zeitungen sowie deutscher Politiker*innen und führt, sondern zu einer Stabilisierung. Im Ver- Unternehmen. Diese Gruppe ist fast ausschließ- gleich zur letzten Erhebungsrunde konnten ins- lich deutschstämmig, kaum bis gar nicht in Ver- besondere Institutionen wie der Verfassungs- einen, Gewerkschaften und Parteien verankert, schutz (+ 10 Prozentpunkte), Gewerkschaften zu 60 Prozent entweder nicht oder lediglich in (+ 8 Prozentpunkte), das Bundesverfassungsge- einem Minijob erwerbstätig und über die Hälfte richt (+ 7 Prozentpunkte), deutsche Unterneh- hat ein Nettohaushalteinkommen von weniger men (+ 7 Prozentpunkte), die Polizei (+ 5 Pro- als 2000 Euro. Es kann vermutet werden, dass zentpunkte), das EU-Parlament (+ 5 Prozent- sich innerhalb dieser Gruppe Effekte sozialer De- 21 Manow, Philip: COVID-19, Europa und der Populismus, 23 So z. B. in Thüringen, vgl. Reiser, Marion/Hebenstreit, in: Geschichte und Gesellschaft, H. 46/2020, S. 536– Jörg/Salheiser, Axel/Vogel, Lars: Politische Kultur im 549, hier S. 549. Freistaat Thüringen. Die Corona-Pandemie in Thürin- gen. Ergebnisse des Thüringen-Monitors 2020, Jena 22 Ebd. 2020. 22 FoDEx-Studie | Politische Kultur
3 Ergebnisse Ich vertraue stark... - Vergleich NDM 2019 und NDM 2021 Dem Bundesverfassungsgericht 46 % Der Polizei 42 % 23 % Dem Verfassungsschutz 18 % Der Landesregierung in Niedersachsen Den öffentlich-rechtlichen Medien 17 % Der Bundesregierung 13 % Den Unternehmen in Deutschland 12 % Dem EU-Parlament 11 % Den Zeitungen (Print und Internet) 8% Den Politikern in Deutschland 6% Den Kirchen/Religionsgem. 4% Sozialen Medien im Internet 1% 0% 0% 10 % 20 % 30 % 40 % 2021 2019 ungewichtete Angaben von 1.000 Befragten Abbildung 21: Vertrauen in Institutionen privation bemerkbar machen, aufgrund erlebter zu misstrauen, jeweils 8 Prozent misstrauen ih- Enttäuschungen durch deutsche Institutionen nen eher. Wie bereits in der vorangegangenen bringen sie ihnen wie auch religiösen Einrichtun- Erhebungsrunde bestätigen sich hier die Befun- gen größere Skepsis entgegen als Personen, die de,25 dass vor allem das höchste deutsche Ge- besseren sozioökonomischen Verhältnissen zu- richt, aber auch unsere Exekutive ein ungebro- geordnet werden können.24 chen hohes Vertrauen unter der Bevölkerung Betrachtet man nur die Werte bezüglich der genießen. Die vor allem im Jahre 2020 mit der Institutionen, denen die Befragten stark, also voll Ermordung des Schwarzen26 US-Amerikaners und ganz vertrauen, stechen unverändert ins- besondere das Bundesverfassungsgericht mit 46 Prozent Zustimmung sowie die Polizei, der 25 Vgl. Marg et al.: NDM 2019, S. 38; Holtmann, Everhard/ immerhin 42 Prozent stark vertrauen, hervor. Im Jaeck, Tobias/Völkl, Kerstin: Sachsen-Anhalt-Monitor Gegenzug geben nur 2 respektive 1 Prozent der 2018. Polarisierung und Zusammenhalt, Halle 2018, Befragten an, diesen beiden Institutionen stark S. 45. 26 „Schwarz“ wird hier auch als Adjektiv großgeschrie- ben, um den Konstruktionscharakter zu verdeutli- 24 Dennoch muss auch hier betont werden, dass es sich chen und zu betonen, dass damit weder biologische mit 25 Personen um eine zu kleine Gruppe handelt, um „Rassen“ beschrieben werden, noch eine tatsäch- mehr als nur Tendenzen unterstellen zu können. liche Farbe gemeint ist (vgl. Amnesty International FoDEx-Studie | Politische Kultur 23
Niedersächsischer Demokratie-Monitor 2021 George Floyds auch in Deutschland diskutierte Problematik unangemessener Polizeigewalt so- Vertrauen in die Polizei nach wie immer mehr ans Licht gekommene Vorwürfe politischer Selbstverortung rechtsextremer Tendenzen innerhalb der deut- schen Polizei (seien sie nun die Mantra-artig be- rechts 13% 87% tonten „Einzelfälle“ oder doch Symptome eines größeren, strukturellen Problems) scheinen ih- rem Ansehen zumindest unter der niedersächsi- mitte 6% 92% schen Bevölkerung nicht geschadet zu haben. Im Gegenteil: Der Vertrauenszuwachs um 5 Prozent- links 10% 89% punkte bei der Gruppe derer, die ihr voll und ganz 0% 50% 100% trauen, sowie gleichbleibende 48 Prozent, die ihr gewichtete eher vertrauen, lassen auf das Gegenteil schlie- vertraue nicht (stark und eher) Angaben von 960 ßen. Auf der anderen Seite muss mit einbezogen vertraue (stark und eher) Befragten werden, dass insbesondere die Unterstützung Abbildung 22: Vertrauen in die Pdolizei nach politischer für die Black-Lives-Matter-Proteste in Deutsch- Selbstverortung land bereits im Sommer 2020 ihren Höhepunkt erreichte, bis zum Erhebungszeitpunkt also über Vertrauen in den ein Dreivierteljahr verging. Zwar deutlich hinter Bundesverfassungs- Verfassungsschutz nach gericht und Polizei, jedoch immerhin den drit- politischer Selbstverortung ten Platz nimmt der Verfassungsschutz ein. Der rechts 18% 82% Aufstieg im Vergleich zur Erhebung 2019, als er noch den fünften Platz einnahm (mit 13 Prozent mitte 22% 76% der Befragten), ist dennoch erheblich. 23 Prozent vertrauen ihm nun stark. Dieser Vertrauenszuge- links 25% 74% winn um rund 10 Prozentpunkte ist beträchtlich, keiner anderen der abgefragten deutschen Ins- 0% 50% 100% titutionen gelingt eine vergleichbare Verbesse- gewichtete vertraue nicht (stark und eher) rung. Zwar sagt mit 23 Prozent fast jede*r Vierte, Angaben von 949 vertraue (stark und eher) Befragten dass sie*er dem Verfassungsschutz insgesamt misstraue, doch davon geben nur 3 Prozent der Abbildung 23: Vertrauen in den Verfassungsschutz nach Befragten an, ihm stark zu misstrauen. Zum Ver- politischer Selbstverortung gleich: 2019 waren dies noch 7 Prozent. Selbst die Personen, die angaben, bei der nächsten Land- den NDM 2019 gaben noch jeweils etwas mehr als tagswahl die AfD wählen zu wollen, verteilen sich ein Drittel der AfD-Wähler*innen an, dem Verfas- trotz Einstufung der gesamten Partei als rechts- sungsschutz eher oder stark zu misstrauen bzw. extremistischer Verdachtsfall auf Bundesebene ihm weder zu trauen noch ihm zu misstrauen, und der Beobachtung des offiziell aufgelösten, nur rund 26 Prozent vertrauten der Behörde eher völkisch-nationalistischen „Flügels“ durch die bis stark.27 Schauen wir statt der Wahlabsicht auf niedersächsische Behörde überraschend über das Vertrauen, klärt sich das Bild ein wenig auf: das gesamte Antwortspektrum. 31 Prozent äu- ßerten sich stark bis eher misstrauend, 69 Pro- zent schilderten ein eher bis stark ausgeprägtes 27 Allerdings kann diese Beobachtung nur sehr vorsich- Vertrauen. Zum Vergleich: Bei der Erhebung für tig interpretiert werden, da insgesamt nur 17 Perso- nen des NDM 2021-Samples angaben, bei der Land- tagswahl 2022 die AfD wählen zu wollen oder sie bei (Hrsg.): Glossar für diskriminierungssensible Sprache, der Landtagswahl 2017 gewählt zu haben und nur 16 28.02.2017, URL: https://www.amnesty.de/2017/3/1/ davon die Frage nach dem Verfassungsschutz beant- glossar-fuer-diskriminierungssensible-sprache [ein- worteten; beim NDM 2019 waren es immerhin 55 gesehen am 11.05.2021]). Personen, die die AfD wählen wollen oder gewählt 24 FoDEx-Studie | Politische Kultur
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