No 17 Discussion Paper - Generationenübergreifendes bürgerschaftliches Engagement für Zukunftsthemen in Kommunen - Serviceagentur Demografischer ...
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Population and Policy Discussion Paper No 17 Januar 2023 Autorin Generationenübergreifendes Claudia Neu bürgerschaftliches Engagement für Zukunftsthemen in Kommunen Potenziale der verschiedenen Altersgruppen im Blick
Impressum Population Europe Secretariat ISSN Markgrafenstraße 37 2512-6172 10117 Berlin, Germany Autorin Fon +49 30 2061383-30 Claudia Neu E-Mail office@population-europe.eu Web www.population-europe.eu Layout Twitter @PopulationEU The Brettinghams GmbH, Berlin, Germany Karen Olze / Judith Miller © 2023 Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. im Namen des Netzwerks „Popu- Satz lation Europe‟. Namentlich gekennzeichnete Beiträge Karen Olze geben nicht notwendigerweise die Meinung der Her- ausgeber*innen oder der Redaktion wieder. Der Ab- Fotonachweise druck von Artikeln, Auszügen und Grafiken ist nur für Cover: Projekt „Alte Bäume” © Barbara König nicht kommerzielle Zwecke erlaubt. Um Zusendung S. 8: Projekt „Alte Bäume” © Barbara König von Belegexemplaren wird gebeten. S. 15: Projekt „DEIN PARK” © DEIN PARK S. 16: Projekt „DEIN PARK” © DEIN PARK Gefördert vom S. 19: Begegnungsstätte Balow © Tobias Bringmann S. 22: Adventszauber © solaris FZU S. 26: Projekt „Digitales Morgen” © Sabine Meigel S. 36: Portrait Prof. Dr. Neu © Anna Tiessen Discussion Paper | Januar 2023
No 17 / Januar 2023 Claudia Neu Generationenübergreifendes bürgerschaftliches Engagement für Zukunftsthemen in Kommunen Potenziale der verschiedenen Altersgruppen im Blick population-europe.eu
Inhalt Zusammenfassung4 Einleitung4 Generationenbegriffe und -diskurse 5 Generationenverhältnisse5 Generationenbeziehungen6 Von Generationenkonflikten keine Spur? 7 Bostelwiebeck – Spiel der Generationen 8 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen für intergenerationelles Engagement 10 Mitten im demografischen Wandel 10 Pluralisierung von Lebensformen 10 Vereinzelung und Vereinsamung? 12 Wandel des Engagements 13 Neuruppin – wie ein verwilderter Stadtpark wieder Menschen zusammenbringt15 Kontextbedingungen generationsübergreifendes Engagement 18 Balow – ein Dorf für alle 19 Discussion Paper | Januar 2023
Transformation wird vor Ort konkret 21 Mehrgenerationenhäuser 21 Chemnitz – Demokratieförderung als Zukunftsthema 22 Multifunktionshäuser24 Erprobungsräume 24 Neulandgewinner24 Soziale Orte 25 Ulm – ein offenes Haus für Digitalisierung 26 Wo Generationen sich begegnen 28 Bilanz der Untersuchung 28 Chancen für Begegnung erhöhen – Ansatzpunkte für intergenerationelles Engagement in Kommunen 30 Methodische Anmerkungen 32 Fußnoten, Quellen und weiterführende Links 33 Die Autorin 36 population-europe.eu
Zusammenfassung Demografischer Wandel, Pandemie und Klimakrise Intergeneratives Miteinander ist insofern ein Erfolg stellen die Frage nach Generationensolidarität und beziehungsweise hat Zukunftspotenzial, wenn die gesellschaftlichem Zusammenhalt wieder mit Nach- Interessen und Bedarfe verschiedener Generationen druck. Welchen Beitrag kann hier generationen- gleichberechtigt verfolgt werden. Dazu gehört insbe- übergreifendes Engagement leisten? Wo kommen sondere, dass die Wünsche der jüngeren Generation Menschen verschiedener Generationen zusammen, nach Gestaltung, Ausprobieren und Selbsterfahrung welche Themen beschäftigen sie und was treibt sie berücksichtigt werden. Jugendliche sind hier als Part- an? ner*innen und nicht allein als Unterstützer*innen für die Älteren zu sehen. Gesellschaftliche Herausforde- Generationenübergreifendes Engagement findet in rungen wie demografischer Wandel und Klimakrise den unterschiedlichsten Kontexten statt: Eher „unge- werden nur durch Kooperation von Zivilgesellschaft, plant” und beiläufig in Vereinen, freien Gruppen oder Verwaltung und Unternehmen zu bewältigen sein. lokalen Initiativen; gezielt initiiert in Begegnungsstät- ten, Mehrgenerationen- oder Multifunktionshäusern. Generationsübergreifendes Engagement ist auf Ge- In der Mehrzahl der Aktivitäten stehen Begegnung legenheitsstrukturen und „Soziale Orte” angewiesen, und Freizeitgestaltung im Vordergrund, initiierte in- die Begegnung, Mitmachen und Gestalten ermögli- tergenerative Projekte richten sich überwiegend an chen. Dafür braucht es Ressourcen (Menschen, Zeit, den Kommunikations- und Unterstützungsbedarfen Geld, Erfahrung). Kurzfristige Projektförderung ist der älteren Generation aus. An Lösungen für Zu- hier kontraproduktiv, auf lange Sicht bedarf es einer kunftsthemen wie Digitalisierung, Stadtentwicklung Förderung von Prozessen, die intergenerative Akti- und Demokratie arbeiten hingegen eher intergenera- vitäten anregt und nachhaltig macht und so gesell- tive Netzwerke aus lokalen Akteur*innen. schaftlichen Zusammenhalt stiftet. Einleitung Angesichts der zunehmenden demografischen, sozia- Fürsorge für ältere und pflegebedürftige Menschen len und räumlichen Bevölkerungsdiversität kommt zum Ziel setzen. der Förderung gesellschaftlichen Engagements und intergenerationeller Solidarität eine immer wichti- Ältere und jüngere Menschen finden sich dabei häu- gere Rolle bei der Stärkung des sozialen Zusam- fig in jeweils altersgruppenspezifischen Lebenswel- menhalts zu, insbesondere in strukturschwachen ten wieder, obwohl viele aktuelle gesellschaftspoli- Räumen mit großer Bevölkerungsfluktuation be- tische Herausforderungen, wie Umweltschutz und ziehungsweise -abwanderung und daraus resul- Klimaanpassung, die Bewältigung der Folgen der tierender demografischer Alterung. Träger solcher Pandemie oder die seit dem Ukraine-Krieg drohen- Aktivitäten sind neben den zivilgesellschaftlichen de Wirtschaftskrise, ein stärkeres intergenerationel- Organisationen (Parteien, Freizeit- und Sportverei- les Miteinander eigentlich sinnvoll erscheinen ließen. ne, Kirchen, Sozialträger usw.), in denen sich Men- Während der COVID-19-Pandemie haben Isolation schen engagieren können, auch eine Vielzahl von und Vereinsamung sowie mentale Probleme sogar spontan entstehenden Gruppen- und Einzelinitiati- noch weiter zugenommen. Diese generationenty- ven, die sich beispielsweise konkrete Veränderun- pische Segmentation ist insofern überraschend, als gen in einer Kommune oder einem Stadtviertel, ein Jung und Alt sich bei derartigen Aktivitäten mit den besseres nachbarschaftliches Miteinander oder die jeweilig zur Verfügung stehenden zeitlichen oder fi- 4 Discussion Paper | Januar 2023
nanziellen Ressourcen beziehungsweise unterschied- Der vorliegende Bericht bietet nach der Einleitung lichen Erfahrungshorizonten und Aktivitätsformen zunächst einen kurzen Überblick über die verschie- eigentlich ergänzen könnten. denen Generationenbegriffe und -konzepte. Welche Rahmenbedingungen generationenübergreifendes Wie können wir jüngere und ältere Menschen wieder Engagement beeinflussen, wird im anschließenden stärker in gemeinsamen Initiativen zusammenbrin- Kapitel erläutert, um danach einen vertiefenden gen und „Soziale Orte” schaffen, an denen ein solches Blick auf innovatives Gestaltungsengagement unter Miteinander der Generationen gelingen kann? Diese Generationenperspektive zu werfen. Es folgen die Frage ist nicht nur für das gesellschaftspolitisch zen- Ergebnisse der Studie, Handlungsempfehlungen und trale Thema „Gesellschaftlicher Zusammenhalt” von abschließend Anmerkungen zur Methodik. großer Bedeutung, sondern auch für die Förderung der vom Grundgesetz geforderten „Gleichwertigkeit der Basis der vorliegenden Studie sind neben Literatur- Lebensverhältnisse”. Denn die Gestaltung eines le- analyse und Expert*innengesprächen fünf Fallbei- benswerten Lebensumfelds wird gerade im ländlichen spiele, die auf ihre je eigene Art intergeneratives En- Raum neben den familiären und interfamiliären Bezie- gagement in Kommunen gestalten. Diese fünf Fall- hungsnetzwerken immer noch in wesentlichen Teilen beispiele – aus den Dörfern Bostelwiebeck und Balow von zivilgesellschaftlichen Aktivitäten und dem Vorhan- sowie den Städten Chemnitz, Neuruppin und Ulm – densein Sozialer Orte im lokalen Kontext geprägt. finden sich eingestreut in den Text. Generationenbegriffe und -diskurse Demografische Veränderungen, der Wandel der Le- jahrgänge oder der Gebrauch eines mobilen Endge- bensformen und letztlich auch die Corona-Pandemie räts ab Kleinkindalter? Der Soziologe Karl Mannheim stellen die Generationenfrage für unser familiales (1928/2017) deutete Generation nicht allein als das und gesellschaftliches Miteinander mit neuer Dring- Aufeinanderfolgen von Geburtsjahrgängen (Altersko- lichkeit. Generationen sind dabei in zweifacher Hin- horten), sondern er ging davon aus, dass vielmehr sicht von Bedeutung: Einerseits auf gesellschaftlicher die Möglichkeit der Teilhabe an „verbindenden Ereig- Ebene, verstanden als Verhältnisse zwischen den Ge- nissen oder Erlebnisgehalten” eine gemeinsame Ge- nerationen in der Zeitabfolge, und andererseits auf nerationenlagerung entstehen lassen würden. Deut- der individuellen Ebene der eigenen Familie. Hier ist lich spiegeln sich in Mannheims Generationenbegriff wiederum zwischen inner- und außerfamiliären Be- die unmittelbaren Erfahrungen des ersten Weltkriegs, ziehungen zu unterscheiden. Intergenerative (syno- aber auch die stilgebenden Elemente der bürgerlichen nym: intergenerationelle, generationsübergreifende) beziehungsweise bündischen Jugendbewegung zu An- Begegnungen stehen demnach stets im Spannungs- fang des 20. Jahrhunderts. So erfolgt seiner Ansicht verhältnis zwischen Generationenverhältnissen und nach diese tiefe Prägung vor allem in der Jugendphase: -beziehungen. „Die ersten Eindrücke haben die Tendenz sich als natürliches Weltbild festzusetzen. Infolgedessen Generationenverhältnisse orientiert sich jede spätere Erfahrung an dieser Gruppe von Erlebnissen, mag sie als Bestätigung […] oder als deren Negation und Antithese emp- Flakhelfer-Generation, Babyboomer, Generation- funden werden.” (Mannheim, 2017, S. 99) Golf, neuerdings die Generation Z oder die Generation der Digital-Natives: An Generations-Etiketten ist kein Einen Generationszusammenhang bildet eine Ju- Mangel. Doch was genau macht eine Generation gendkohorte aber erst dann, wenn aus der Mög- aus? Die Teilnahme an einem Weltkrieg, die Geburts- lichkeit einer Teilhabe an gemeinsamen Erlebnissen population-europe.eu 5
tatsächliches Erleben wird – wie etwa die Erfahrung Generationenbeziehungen von Krieg und Vertreibung, sie also eine Schicksalsge- meinschaft bildet. Reagieren Menschen beziehungs- weise Institutionen in einheitlicher Weise auf das Verschiedene Generationen treffen überwiegend im Erlebte, zeigen sich dabei ähnliche Handlungs- und familiären Zusammenhang aufeinander – im Alltag, Bearbeitungsmuster oder „schwingen” verschiedene bei Festen und Urlauben. Auch wenn diese familiären Gruppen innerhalb eines Generationszusammen- Beziehungen nicht frei wählbar sind, so werden sie hangs in ähnlicher Weise mit, dann ist für Mannheim doch überwiegend von den Betroffenen als wichtig eine Generationseinheit gegeben. und eng beschrieben. Die große Mehrheit der Groß- eltern empfindet ihre Rolle als (sehr) erfüllend. Nach Mannheims Generationenbegriffe sind noch nach Angaben des Alterssurveys 2014, sagte ein knappes mehr als neunzig Jahren von großer Eindringlichkeit, Drittel der Großmütter und -väter, dass sie Enkelkin- müssen aber an verschiedenen Stellen ergänzt wer- der betreuen. Auch in den späteren Lebensjahren den. Mannheims Blick auf die Generationen spiegelt bleibt das Verhältnis zwischen den Großeltern zu den vor allem die Situation der männlichen bürgerlichen nun schon meist erwachsenen Enkelkindern (sehr) Jugend nach dem 1. Weltkrieg wider, dabei vernach- eng (Mahne & Klaus, 2017). Die 18. Shell Jugend- lässigt er soziale Ungleichheiten ebenso wie die Ge- studie (Albert et al., 2019) belegt ebenfalls, dass sich schlechterperspektive. Zudem ist angesichts der die allermeisten Jugendlichen (92 %) gut mit ihren heutigen Langlebigkeit fraglich, ob Generationslage- Eltern verstehen, die große Mehrheit (72 %) sieht sie rungen tatsächlich vor allem in der Jugend geprägt sogar als Erziehungsvorbild an. werden oder ob nicht verschiedene Alterskohorten ebenfalls später gemachte prägende Erlebnisse tei- Außerfamiliäre Kontakte folgen eher dem Prinzip len; und ob – analog zur Pluralisierung von Lebens- der Sozial- und Altershomogenität, gerade bei en- formen – nicht besser von einer Generationenplurali- gen Freundschaften (Höpflinger, 2010). So zeigt die tät zu sprechen sei (Findening, 2017, S. 46). Shell-Studie, dass bei den 12 - 25-Jährigen gute Be- ziehungen zu Freund*innen (97 %) und eine vertrau- Generation kann also nicht ohne Weiteres als Schick- ensvolle Partnerschaft (94 %) noch vor dem Wunsch salsgemeinschaft verstanden werden, deren Zu- nach einer guten Beziehung zu den Eltern rangieren. sammenhalt auf gemeinsamen Erfahrungen in der Auch in der zweiten Lebenshälfte gewinnen Freund- Jugend beruht. Vielmehr kann Generation auch als schaften an Bedeutung. Die 40 - 85-Jährigen hatten Selbstbeschreibung, Inszenierung oder Identitäts- 2014 größere soziale Netzwerke als gut zwanzig Jah- konstruktion (bestimmter) Altersgruppen oder Ge- re (1996) zuvor (Böger et al., 2017). meinschaften verstanden werden (Ziemann, 2020) – denken wir nur an Florian Illies „Generation Golf” Unklar muss an dieser Stelle bleiben, ob die Ver- (2000), die das Lebensgefühl der wohlbehüteten mutung fehlenden sozialen Kontakts zwischen den Spätbabyboomer der Geburtsjahrgänge 1965 - 1975 Generationen (außerhalb der Familie) denn tatsäch- beschreibt, die ihren Generationszusammenhang am lich zutrifft – und ob mehr außerfamiliärer Kontakt ehesten aus gemeinsamem Konsumerleben begrün- zwischen den Generationen überhaupt gewünscht deten. Generationenlabels sind daher auch eine Mög- ist und wenn ja, von wem. Vorsicht ist zudem ge- lichkeit, bestimmte Alterskohorten abzugrenzen und boten, wenn eine idealisierende Vorstellung von in- gesellschaftlich identifizierbar zu machen. nerfamiliärer Solidarität auf intergenerative Projek- te übertragen wird. Ohne Zweifel können Kontakte Darüber hinaus dient diese Generationenkonstruk- zwischen den Generationen wertvoll sein, doch al- tion der sozialen Integration, denn sie ermöglicht dem ters- und sozialhomogene Beziehungen bleiben die Individuum sich einer Alterskohorte oder Gemein- zentralen außerfamiliären Kontakte. Außerdem ist schaft zuzuordnen und das eigene Schicksal im Lichte ein Merkmal außerfamiliärer Beziehungen zwischen der Generationenabfolge zu (re-)interpretieren (Zie- Jung und Alt, dass sie „gerade nicht gemäß familia- mann, 2020). Wie sehr die Corona-Pandemie eine ler Beziehungsmuster funktionieren (sollen)” (Höpf- ganze Generation oder besser verschiedene Genera- linger, 2010, S. 3). tionen geprägt hat, bleibt aktuell noch abzuwarten. 6 Discussion Paper | Januar 2023
Von Generationenkonflikten jungen Menschen den Politiker*innen nicht wichtig keine Spur? ist (Albert et al., 2019; Andresen et al., 2022). So entsteht ein seltsames Paradoxon, dass die persön- lichen intergenerativen Beziehungen in der Mehr- Generationenverhältnisse und -beziehungen sind heit als erfüllend und wichtig erlebt werden, aber im stark vom gegenseitigen Austausch von Ressour- Hinblick auf die gesellschaftlichen Generationenver- cen (materiell, emotional) und damit der Gewäh- hältnisse deutlich pessimistischer eingestuft werden rung von Lebenschancen geprägt. Wird die gegen- (Höpflinger, 2010, S. 3). seitige Reziprozitätserwartung nicht eingelöst, dann entstehen Spannungen. Scheint im Nahraum die Der kleine Exkurs in die Soziologie der Generationen Norm der intergenerativen Solidarität in Familie, deutet bereits an, dass eine Definition beziehungs- Freundeskreis und Nachbarschaft (Unterstützung weise Abgrenzung von Generationen nicht leicht zu im Bedarfsfall) weitgehend zu funktionieren, so ge- bewerkstelligen ist – und in der Praxis auch häufig rät der sogenannte „Generationenvertrag”, wie seit vermieden wird. Stattdessen wird etwa eine Politik einigen Jahren beklagt wird, ins Wanken. In den „für alle Generationen” oder „für Jung und Alt” ge- 2000er Jahren gab es sogar einen Diskurs um den fordert – ohne genauer zu bestimmen, wer damit vermeintlich drohenden „Krieg” der Generationen, eigentlich gemeint sei. getrieben von der Sorge um demografieinduzierte Verwerfungen im Sozialsystem (etwa Schirrmacher, Generationenverhältnisse und -beziehungen existie- 2004). Ist die Rente sicher? Wer kommt für die ex- ren nie unabhängig voneinander, sie beeinflussen sich plodierenden Gesundheitskosten auf? Auch wenn immer wieder gegenseitig (Findening, 2017, S. 63). diese Fragen sicher nicht zufriedenstellend oder Bei außerfamiliären intergenerativen Begegnungen, abschließend geklärt sind, so verschiebt sich der um die es hier schwerpunktmäßig geht, müssen bei- Generationendiskurs heute mehr in Richtung Kli- de Perspektiven (Generationenzusammenhang und mawandel und -gerechtigkeit. „Fridays for Future” -beziehung) stets mitgedacht werden. Anders als bei und die „Letzte Generation” versuchen mit ihren Findening (2017, S. 111) werden in der vorliegenden Aktionen Gehör bei den älteren Generationen für Untersuchung nicht nur „bewusste [sic!], begleitete, die Wahrung ihrer Lebenschancen zu finden. An- initiierte, kontinuierliche […] Interaktionen zwischen lass zu Sorge bereitet auch die Beobachtung, dass zwei verschiedenen außerfamiliären Generationen die Mehrheit der Jugendlichen mit der Demokratie für eine gemeinsame Sache” als intergeneratives En- zwar grundsätzlich zufrieden ist, doch hat das Ver- gagement verstanden, sondern generationsübergrei- trauen in Politiker*innen insbesondere im Zuge der fende Aktivitäten, die freiwillig, nicht-monetär und Corona-Krise stark gelitten. Jugendliche glauben in im öffentlichen Raum (für eine gemeinsame Sache) der Mehrheit, dass sie nur wenig politischen Ein- geschehen, unabhängig davon, ob sie bewusst initi- fluss haben beziehungsweise dass die Situation von iert und kuratiert sind. population-europe.eu 7
Bostelwiebeck – Spiel der Generationen Familiäre wie außerfamiliäre Generationenbeziehun- zifischen Vorstellungen. Werden traditionelle Verei- gen sind nicht immer ganz konfliktfrei. Gerade dann ne wie etwa Bläserensemble oder Feuerwehren noch wenn es um lange Traditionen der intergenerationel- immer überwiegend von (älteren) Herren geleitet, len Weitergabe geht – wie etwa bei Bauernfamilien so haben Jugendliche und wohl auch die mittlere und landwirtschaftlichen Betrieben. Das Mehrgene- Generation bereits andere Erwartungen an das En- rationen-Wohnen, das viele bäuerliche Familien noch gagement (Nikolic, 2022). Wie aber kommen diese immer leben, bietet hier nicht nur Unterstützung auf Themen, die ja nicht selten latent im Untergrund dem Feld und im Haushalt, sondern viel Konfliktpo- schwelen, auf die Tagesordnung, wie werden sie tenzial, wenn es um die Hofübergabe oder die Pfle- sichtbar und damit auch „verhandelbar”? ge der Altenteiler geht. Traditionelle Werthaltungen, Geschlechterstereotype und Rollenmuster treffen auf An dieser Stelle setzt das „Collaborative Village Play” die Wünsche der jüngeren Generation, etwa nach an, ein internationales künstlerisches Projekt, dessen mehr Selbständigkeit, Entscheidungsfreiheit oder ei- Mitglieder zwischen europäischen Dörfern reisen und nem eigenen Rückzugsort (Pieper, 2022). Aber auch dort jeweils spezifische lokale Aufführungsformen die Gestaltung des Engagements und Ehrenamts in finden. Die Künstlerin Antje Schiffers hat gemeinsam ländlichen Räumen ist nicht frei von generationsspe- mit der Dramaturgin und Kuratorin Katalin Erdödi das 8 Discussion Paper | Januar 2023
Village Play initiiert und in den vergangenen Jahren dagegen einen anderen Ansatz: Themen und Auf- mit verschiedenen Partnern realisiert – im südlichen führungsform werden mit den Mitwirkenden erar- Ungarn 2021 (Water Melone Republic) und 2022 an beitet. In regelmäßigen Gesprächsrunden mit dem der galizischen Atlantikküste im Nordwesten Spani- sogenannten Findungskomitee und in verschiedenen ens (Das Lied des Fischauktionärs, 2022). Einzelinterviews mit Dorfbewohner*innen und Künst- ler*innen kristallisierten sich zwei Themen – Genera- „An jedem Ort erfinden wir das Village Play mit tionswechsel und Garten – heraus, die im Zentrum neuen Mitwirkenden: Bauern, Landarbeitern, des zu entwerfenden Theaterstücks stehen sollten. Pendlerinnen, Großhändlerinnen, Fischern, Auk- „Was ist gerecht, wie viel Abstand braucht man, wo tionären, Netzflickerinnen, Alteingesessenen und hält man besser den Mund, was verdankt man ein- Neuangekommenen, Lehrern, Studentinnen, lo- ander, welche Modelle gibt es, wenn Höfe übergeben kalen Musik- und Theatergruppen, politisch Invol- werden, oder allgemeiner im Umgang der Generati- vierten und interessierten Nachbarn. Wir begin- onen miteinander? Und der Garten: als Ort der Ent- nen jedes Mal mit einem leeren Blatt, bei null, mit spannung, der Sorge, der Gestaltung, der Arbeit, des dem, was wir vor Ort finden, mit Alltagskultur und Feierns”, rekapituliert Antje Schiffers noch einmal die dem, was den Mitwirkenden wichtig ist.” (Antje zentralen Fragen. Von März bis Anfang September Schiffers, villageplay.net) 2022 erarbeiteten rund fünfzig Menschen aus der Re- gion gemeinsam mit Antje Schiffers, Katalin Erdödi In dem kleinen niedersächsischen Dorf Bostelwiebeck vom Village Play sowie Anja Imig, Thomas Matschoss (Gemeinde Altmeding, Landkreis Uelzen) machte und India Roth vom Jahrmarkttheater an ihrem Vil- das „Dorftheater” im Sommer 2022 Station. Die- lage Play „Alte Bäume werfen Schatten”. „Hier ha- se Standortwahl war nicht zufällig, denn seit 2013 ben plötzlich Menschen zusammengespielt und Din- bietet in dem winzigen 45 Seelen-Dorf das „Jahr- ge besprochen, die vorher vor anderen kaum sagbar markttheater”, eine professionelle freie Theatertrup- gewesen wären. Aber von allein ging das nicht, auf pe, Aufführungen für und mit den Bewohner*innen einen Zeitungsaufruf hat sich keiner gemeldet, aber der ländlichen Region. Die Aufführungen haben ei- über Ansprache funktioniert das schon”, berichtet nen festen Standort, sind im Sommer aber nicht Anja Imig vom Jahrmarkttheater. selten Open-Air-Veranstaltungen, die einen ganzen Hof miteinbeziehen können. Die Theaterstücke tra- Am 3. September war es dann soweit: Trecker-Korso gen so klingende Namen wie „Unser Lied für Torf- und Fahrradkonvoi läuteten den Festtag ein. Die Mit- borstel”, „Trecker kommt mit”, „Dorfgedanken” oder wirkenden der Findungskommission brachten eine „Schwundregion 300”. Wie erfolgreich die Organisa- Open-Air-Veranstaltung im Garten des Jahrmarkt- tor*innen dies tun, zeigt sich auch daran, dass 2021 theaters zur Aufführung. Ein besonderer Höhepunkt das Jahrmarkttheater mit dem Theaterpreis des für die zahllosen Zuschauer*innen war die Erstauf- Bundes ausgezeichnet wurde. führung eines eigens von Thomas Matschoss für den Posaunenchor komponierten Lieds. Für internationa- „In Bostelwiebeck entsteht 2013 ein Theater. les Flair sorgten Gäste aus Ungarn mit einer „Was- Ohne Klapphocker, dafür mit Tribüne und Her- sermelonen-Choreographie”. Das Fest war ein voller berts Eck. Oma Sanne taucht zum ersten Mal auf Erfolg und dauerte bis spät in die Nacht. und es geht wieder und wieder um die Frage: Wie wollen wir leben? Was soll aus uns werden? Jahrmarkttheater und Village Play schufen so inter- Natürlich haben wir keine endgültigen Antwor- generative Gelegenheitsstrukturen für Mitarbeit, Be- ten, aber wir machen uns Dorfgedanken: Zum gegnung und Erfahrung in einer ländlichen Region, Beispiel über Demokratie, den Wald und das in der auch der demografische Wandel seine Spuren Anderssein. Schnacken mit Ihnen, unserem Pu- hinterlässt – in Bostelwiebeck selbst lebt nur noch blikum.” (Anja Imig & Thomas Matschoss, Jahr- ein Kind. Deutlich wird, dass Kunst und Kultur sich in markttheater.de) besonderem Maße als Impulsgeber für Engagement eignen und damit für die Verhandlung von gesell- Bisher arbeitet das Jahrmarkttheater mit professio- schaftlich relevanten Themen wie Generationenbe- nellen Theaterschaffenden. Das Village Play verfolgt ziehungen, Klima oder Demokratie. population-europe.eu 9
Gesellschaftliche Rahmenbedingungen für intergenerationelles Engagement Die deutsche Gesellschaft hat in den vergangenen 35-Jährige die größte Altersgruppe. Die „Boomer” Jahrzehnten tiefgreifende Veränderungen erfahren. bleiben auch weiterhin die größte Alterskohorte, ge- Nicht nur wirkt der demografische Wandel in der hen aber nun dem Ende ihres Erwerbslebens entge- Familien- und Gesellschaftsstruktur nach, sondern gen (Statistisches Bundesamt, 2023). „Ab Mitte der auch Lebensformen pluralisieren sich, die Bevölke- 2030er Jahre rücken die Babyboomer-Jahrgänge rung altert, Generationenverhältnisse verschieben in die Altersgruppe der ab 80-Jährigen auf. In den sich. Klimakrise, Ukrainekrieg und nicht zuletzt die 2050er und 2060er Jahren werden dann zwischen 7 andauernde Corona-Pandemie stellen zudem große und 10 Millionen hochaltrige Menschen in Deutsch- Herausforderungen unserer Zeit dar. Gefühle gesell- land leben”, führte Karsten Lummer vom Statisti- schaftlicher Unverbundenheit und der Einsamkeit schen Bundesamt am 2. Dezember 2022 in der Pres- sowie des bröckelnden sozialen Zusammenhalts stel- sekonferenz zur 15. Bevölkerungsvorausberechnung len sich bei vielen Menschen ein. Bürgerschaftliches in Berlin aus (Statistisches Bundesamt, 2022). Diese Engagement bleibt von diesen Entwicklungen nicht Entwicklung geht voraussichtlich mit einer sinkenden unbeeinflusst. Zahl von Menschen im Erwerbsalter einher: in den kommenden 15 Jahren wird die Zahl der Erwerbstä- tigen um 1,6 bis 4,8 Millionen Menschen sinken (Sta- Mitten im demografischen Wandel tisches Bundesamt, 2022). Diese Entwicklungen lassen nicht nur Fragen nach Der demografische Wandel hat Deutschland seit vie- wohlfahrtsstaatlichen Bewältigungsstrategien auf- len Jahren fest im Griff. Die sinkende Zahl der jün- kommen (Generationenvertrag), sondern auch nach geren bei gleichzeitig steigender Zahl älterer Men- den konkreten Generationenbeziehungen. schen verschieben den demografischen Aufbau der Gesellschaft in bisher nicht gekannter Art und Weise. In Deutschland ist aktuell jede zweite Person älter Pluralisierung von Lebensformen als 45 und jede fünfte Person älter als 66 Jahre. Al- lerdings hat sich die Bevölkerung im vergangenen Jahrzehnt durch einen positiven Einwanderungssal- In engem Zusammenhang mit dem Ausbau des do und leicht steigende Geburtenzahlen "verjüngt", Wohlfahrtsstaates nach dem 2. Weltkrieg steht der wenn auch in bescheidenem Umfang. Erfreulicher- soziale Wandel und die Pluralisierung der Lebensfor- weise kamen in den Jahren 2012 bis 2021 insgesamt men. Emanzipation, Wertewandel und Individuali- 656.000 Kinder mehr zur Welt als im Jahrzehnt zu- sierung haben seit den ausgehenden 1960er Jahren vor. Gleichwohl bleibt die zusammengefasste Gebur- Menschen zunehmend aus ihren traditionellen famili- tenziffer 1 mit 1,58 Kinder pro Frau auf niedrigem Ni- alen, regionalen und religiösen Bindungen freigesetzt veau (Statistisches Bundesamt, 2023). Die Alterung (Klages, 2001; Beck, 1986). Scheidung, Alleinleben, der Gesellschaft wird daher auch zukünftig rasant Partnerschaften ohne Kind, Wohngemeinschaften voranschreiten. oder homosexuelle Beziehungen wurden möglich und werden auch gelebt. Diese Vervielfältigung der Wie sehr der demografische Wandel bereits unseren Lebensformen schaffte ungeahnte neue Beziehungs- Altersaufbau verändert hat, zeigt ein Vergleich des kombinationen, die auch sukzessive im Lebenslauf Jahres 2021 mit dem Jahr der deutschen Vereini- auftreten können: erst die Wohngemeinschaft im gung 1990 (Abbildung 1). Die sogenannte Babyboo- Studium, dann Living-apart-together (ein Paar sein, mer-Generation, also die stark besetzten Jahrgänge aber keine gemeinsame Wohnung haben) in einer von 1955 bis 1970, bildeten im Jahr 1990 als 20- bis ersten Beziehung, um später eine*n andere*n Part- 10 Discussion Paper | Januar 2023
Abbildung 1: Altersaufbau der Bevölkerung 2021 im Vergleich zu 1990 2021 Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis), 2022 1990 Alter in Jahren Männlich 90 Weiblich 80 70 60 50 40 30 20 10 0 800 600 400 200 0 0 200 400 600 800 Tausend Personen Tausend Personen ner*in zu heiraten; und das vielleicht nicht nur ein- Dies bleibt nicht ohne Folgen für den Aufbau und die mal im Leben. Die Ehe hat ihren alleinigen Geltungs- Abfolge der Generationen: Haushalte und Familien anspruch zur Legitimation von Lebenspartnerschaft werden kleiner. Bei insgesamt 40,7 Millionen Privat- und Kindern verloren, Frauen haben nun das Recht haushalten machen die Ein- und Zweipersonenhaus- auf ein „eigenes Leben” (Beck-Gernsheim, 1983). halte gut Dreiviertel aller Haushalte aus, in ledig- Geheiratet wird immer später, wenn überhaupt: Bei lich noch 3,5 % der Haushalte leben fünf und mehr Frauen liegt das durchschnittliche Heiratsalter bei 32 Menschen. In 11,6 Millionen Familien gibt es Kinder, und bei Männern bei 35 Jahren, und das erste Kind allerdings wachsen lediglich 1,4 Millionen Kinder kommt im Durchschnitt mit 30,5 Jahren (Statisti- mit zwei und mehr Geschwistern auf (Statistisches sches Bundesamt, 2023). Bundesamt, 2023). Verwandte und Enkelkinder wer- population-europe.eu 11
den „knapp”. Dabei wächst im gleichen Moment die sind, sondern am Abend die Fußballjugend trainieren Ur- und Großelterngeneration, so dass nun deutlich oder den örtlichen Gesangsverein verstärken. Nar- mehr Generationen gleichzeitig leben. rative von Verlust und „Abgehängtsein” verstärken sich. Der gesellschaftliche Zusammenhalt scheint Lange standen die Auswirkungen sinkender Gebur- vielen gefährdet (Kersten et al., 2022). ten und der stark gestiegenen Lebenserwartung auf die sozialen Sicherungssysteme im Zentrum Dieses Gefühl des bedrohten Zusammenhalts mag der wissenschaftlichen und politischen Betrachtung, auch damit zusammenhängen, dass nach einer lan- mittlerweile erfährt auch die demografiebedingte so- gen Phase der „Entfamilialisierung”, der Übertragung zialräumliche Polarisierung deutlich mehr Aufmerk- von familialen Fürsorgeleistungen an den Staat, wie- samkeit. In den vergangenen dreißig Jahren litten der eine verstärkte Rückverlagerung der Verantwort- insbesondere die peripheren ländlichen Räume unter lichkeiten bei sozialen Risiken wie Krankheit oder anhaltendem Bevölkerungsschwund, wohingegen bis Pflege in die Familie zu beobachten ist. Verschär- Ende der 2010er Jahre großstädtische Agglomerati- fend wirkt diese Re-Familialisierung auch dadurch, onen wuchsen. Der Boom der Großstädte ist aktuell dass Familien eben jenem Idealtypus der modernen jedoch deutlich abgeflacht, wenn nicht sogar zum Klein- oder Kernfamilie (insbesondere auf der Basis Stehen gekommen. Denn einerseits ziehen vor allem einer lebenslangen Ehe mit Kindern) nicht mehr ent- junge Familien infolge der in die Höhe schnellenden sprechen und neue Beziehungskonstellationen ent- Miet- und Bodenpreise in Städten wie Stuttgart und stehen, die anderen Mustern und Verbindlichkeiten München, aber auch Göttingen und Oldenburg, ins folgen. Anhaltend und unüberhörbar erschallt daher günstigere Umland. Andererseits haben die Corona- der politische Ruf nach persönlicher Verantwortungs- Pandemie sowie neue digitale Arbeitsmodelle eine übernahme, Generationensolidarität und bürger- neue „Landlust” entstehen lassen, die ländliche Räu- schaftlichem Engagement, um die Folgekosten redu- me wieder attraktiver – auch für Berufspendler*in- zierter wohlfahrtsstaatlicher Leistungen – persönlich nen – erscheinen lässt. Von einem „Comeback” des und auf lokaler Ebene – auszugleichen (Böhnke et ländlichen Raumes zu sprechen wäre allerdings ver- al., 2015). früht, denn weiterhin werden viele (periphere) Regio- nen schrumpfen. Zudem bedeutet der Zuzug junger Familien nicht, dass die Alterung „neutralisiert” wird, Vereinzelung und Vereinsamung? vielmehr schreitet die Alterung in Stadt und Land weiter voran (Sixtus et al., 2022). Die demografischen Veränderungen und die Plurali- Die demografische und sozialräumliche Polarisierung sierung der Lebensformen, die zu kleineren Haushal- stellt die Frage nach der Gewährleistung der „Gleich- ten und weniger Familien mit Kindern führten, haben wertigkeit der Lebensverhältnisse” mit neuer Dring- aber keineswegs zu der oft beschworenen „Einsam- lichkeit. Anhaltende wissenschaftliche und politische keitsepidemie” geführt. Denn für die Zeit vor Corona Diskussionen ringen darum, wie die wohnortnahe lässt sich allenfalls von einer leichten Zunahme der Grundversorgung mit Gütern und Dienstleistungen Einsamkeit über die vergangenen Jahrzehnte hin- der Daseinsvorsorge, die Mobilität und Freizeitan- weg sprechen (Luhmann et al., 2023). Weltweit hat gebote für alle Regionen zu gestalten sind. Lange jedoch die Corona-Pandemie die Prävalenz von Ein- wurde übersehen, dass der Rückbau der daseinsvor- samkeit ansteigen lassen (Ernst et al., 2022). Fühl- sorgenden Infrastruktur (ÖPNV, Schulen, Gesund- ten sich in den 2010er Jahren 14 % der Bevölkerung heitsversorgung) in den vom demografischen Wandel „manchmal einsam” (erhoben 2013 und 2017 mittels besonders betroffenen Regionen auch sozialstruktu- des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP)), so stieg relle und politische Verwerfungen mit sich bringt. bereits im ersten Lockdown die Zahl der Menschen, Denn mit diesem Rückzug öffentlicher Einrichtungen die sich „manchmal einsam” fühlten, sprunghaft auf schwindet nicht nur die Möglichkeit zur Begegnung rund 40 Prozent an (ebenfalls mit dem SOEP erho- und Mitwirkung, sondern auch die lokale Mitte – die ben). Im zweiten Lockdown änderte sich das Ein- beruflich Qualifizierten, die nicht nur tagsüber als samkeitserleben im Vergleich zum ersten Lockdown Lehrkraft oder Verwaltungsmitarbeiter*innen aktiv kaum noch (42 % „manchmal einsam”). Die höchsten 12 Discussion Paper | Januar 2023
Einsamkeitswerte zeigte die Generation der unter Demokratie aus. Denn einsame Menschen verlieren 30-Jährigen, fast die Hälfte (48 %) sagte, während nicht nur ihr Vertrauen in Mitmenschen, sondern Corona „manchmal einsam” gewesen zu sein (Entrin- auch in Institutionen (Überblick bei Schobin, 2022). ger, 2022, S. 20). Dies mag überraschen, wird doch Sie gehen seltener zur Wahl (Langenkamp, 2021), Einsamkeit vor allem mit dem Alter in Verbindung neigen häufiger zur Unterstützung populistischer gebracht. Luhmann und Hawkley (2016) konnten Kandidaten (Bender, 2021; Cox, 2020) und hängen ebenfalls auf der Basis der SOEP-Daten zeigen, dass Verschwörungserzählungen an (Neu et al., 2023). Einsamkeit im Lebensverlauf nicht linear, sondern in Einsamkeit macht nicht nur einsam, sondern kann Wellen auftritt. So erleben besonders Menschen im auch eine Dynamik in Gang setzen, die den sozialen jungen Erwachsenenalter, in den späteren mittleren Zusammenhalt gefährdet. und in den letzten Lebensjahren (80+) besonders häufig Gefühle der Einsamkeit. Im Hinblick auf inter- generative Beziehungen und Einsamkeitsprävention Wandel des Engagements erfordern junge Menschen offensichtlich zukünftig eine stärkere Beachtung als bisher. Engagement und Ehrenamt schaffen soziale Kontakte Aber was genau ist Einsamkeit? Einsamkeit ist das und Anerkennung, stiften Freundschaften und schüt- subjektive Gefühl, zu wenig Kontakte zu haben, kei- zen so auch vor sozialer Isolation und Einsamkeit. ne Nähe zu anderen Menschen zu spüren (Hawkley & Die veränderten Haushalts- und Familienformen oder Cacioppo, 2010). Das subjektive Einsamkeitserleben Arbeitsmodelle haben ebenso wie der Trend zur In- ist jedoch losgelöst von faktischem Alleinsein. Kann dividualisierung und Selbstentfaltung Einfluss auf die Alleinsein durchaus selbstgewählt sein, als Erholung Verfasstheit des bürgerschaftlichen Engagements. erlebt oder als bewusste Abgrenzung zu andern ge- staltet werden (Claussen & Lilie, 2022), so haftet Für sehr viele Menschen gehört die Mitgliedschaft in der Einsamkeit das Stigma der Unfreiwilligkeit, des einem Verein oder die Übernahme eines Ehrenam- Selbstverschuldeten und damit auch der Scham an tes ganz selbstverständlich zum Leben dazu: Im Jahr (Bohn, 2008). Soziale Isolation beschreibt, anders 2019 übten nach Angaben des Freiwilligen-Surveys als Einsamkeit, kein subjektives Gefühl, sondern 39,7 % der über 14-Jährigen mindestens eine freiwil- den objektiven Mangel an sozialen Kontakten und lige Tätigkeit aus. Dies entspricht rund 29 Millionen Beziehungen (Hawkley & Cacioppo, 2010). Soziale Menschen. Bürgerschaftliches Engagement wird hier Isolation meint somit den Zustand geringsten sozi- verstanden als Aktivitäten, die „freiwillig und gemein- alen Kontaktes beziehungsweise größter Distanz zu schaftsbezogen ausgeführt werden, im öffentlichen Mitmenschen. Soziale Isolation und Einsamkeit sind Raum stattfinden und nicht auf materiellen Gewinn also nicht deckungsgleich, haben aber eine große gerichtet sind” (Simonson et al., 2022). Zwischen Schnittmenge. 1999 und 2019 ist der Anteil freiwillig Engagierter gestiegen, wobei er 2019 im Vergleich zu 2014 stag- Erst in jüngster Zeit werden neben den individuel- niert (ebenda). Die aktive Zivilgesellschaft zeigt sich len Faktoren (geringes Haushaltseinkommen, nied- auch darin, dass sich gut 17,5 Millionen Menschen rige Bildung, Gesundheit, Behinderung, Migrati- freiwillig in mehr als 600.000 Vereinen, allen voran in onshintergrund), die Einsamkeit auslösen können, den knapp 88.300 Sportvereinen, engagieren (Prie- auch sozial- und raumstrukturelle Faktoren in der mer et al., 2019). Einsamkeitsforschung verstärkt in den Blick ge- nommen (Neu, 2022). So können ganze Regionen Allerdings ist bürgerschaftliches Engagement nicht zu „Einsamkeitshotspots” werden (Bücker, 2021) sozial gleichverteilt, vor allem die gut gebildete mitt- oder der Mangel an Stadtgrün oder Freizeitangebo- lere Generation ist öffentlich aktiv. Die 30- bis 49-Jäh- ten Einsamkeit auslösen (Bücker et al., 2020; Lyu & rigen üben mit 45 % mindestens eine freiwillige Tätig- Forsyth, 2022). Einsamkeit kann nicht nur gesund- keit aus, bei den 14- bis 29-Jährigen liegt der Anteil heitliche Folgen (Depression, Angst) haben, sondern der Engagierten bei 42 %. Ist die öffentliche Mitwir- wirkt sich möglicherweise auch negativ auf das ge- kung auch in allen Altersgruppen seit 1999 angestie- sellschaftliche Miteinander und auf die Haltung zur gen, so verzeichnet die Gruppe ab 65-Jahren einen population-europe.eu 13
besonderen Anstieg: die Engagementquote ist hier zu tun: einerseits steigt der Anteil der Engagierten von 18 % im Jahr 1999 auf 31 % in 2019 gestiegen. in frei organisierten Gruppen an, andererseits bleibt Ebenso hat sich die Engagementquote von Männern organisiertes Engagement weiterhin wichtig. und Frauen, Ost- und Westdeutschland im Zeitver- gleich angeglichen. Weiter geöffnet hat sich aller- Wertewandel und Individualisierung, aber auch das dings die Schere im Hinblick auf den Bildungsgrad Verschwinden von öffentlichen Räumen und Frei- der Engagierten: Menschen mit hoher Schulbildung zeitangeboten haben ihre Spuren in der Engagement- engagieren sich mit 51 %, mit mittlerer zu 37 % und landschaft hinterlassen. Vermutet wird, dass weniger mit niedriger Bildung nur zu 26 %. Ein gutes Viertel verpflichtende Engagementformen bevorzugt wer- der Menschen mit Migrationshintergrund (27 %) ist den, die eher projekthaft und biografisch passgenau öffentlich aktiv (Simonson et al., 2022). Trotz der sind (etwa Blühdorn, 2013, S. 167 - 171). Zudem se- steigenden Zahl Engagierter in den vergangenen hen ganze Gruppen und einzelne Akteur*innen ihre zwanzig Jahren deutet vieles darauf hin, dass wir Interessen in den klassischen Institutionen der Zi- es mit einem Form- und Funktionswandel des bür- vilgesellschaft (wie Verbänden oder Vereinen) nicht gerschaftlichen Engagements zu tun haben: indivi- (mehr) abgedeckt (Rückert-John, 2005, S. 28) und duell organisiertes, nicht-institutionalisiertes, unab- suchen eigene, auch neue organisatorische Wege, hängiges Engagement gewinnt stetig an Bedeutung. um Selbstwirksamkeit innerhalb der Zivilgesellschaft Machte „ungebundenes” Engagement 1999 lediglich zu erleben und ihr Lebenswelt mitzugestalten. Neben 10 % aus, so entfielen 2019 bereits 17 % auf die- den „klassischen” Engagements- und Ehrenamtsfor- se Engagementform (Simonson et al., 2022). Die- men, wie wir sie in Vereinen und Religionsgemein- se Veränderung lässt sich als „Strukturwandel der schaften vorfinden, und den eher ungebundenen organisierten Zivilgesellschaft” beschreiben (Krim- Gruppen und Initiativen scheint sich eine weitere mer 2018). Denn die „klassischen” Vereine und Form der öffentlichen Mitwirkung herauszubilden, die Verbände, Kirchen und kommunalen Einrichtungen Andreas Willisch (2021, 2022) „Gestaltungsengage- bekommen zunehmend Konkurrenz durch „individu- ment” nennt. Menschen finden sich für ein konkretes ell organisierte” Gruppen, wie Grillclubs, Laufgrup- Anliegen zusammen, suchen nach lokalen Lösungen pen oder urbanes Gärtnern. Denn obwohl im Jahr und stellen gemeinsam etwas auf die Beine, im bes- 2019 noch immer rund die Hälfte der Engagierten in ten Fall entsteht etwas ganz Neues. Den Akteur*innen Vereinen oder Verbänden organisiert waren, zeigte geht es um sozialräumliche Veränderung, sie machen sich im Zeitverlauf, dass der Anteil dieser Engage- sich auf, die anstehenden Transformationsprozesse mentform mit einem Verlust von 5,5 % seit 1999 am (Klimawandel, Stärkung der Demokratie, Digitalisie- stärksten schrumpft. Fast jeder vierte Verein – ge- rung) vor Ort anzugehen. Sie schaffen Orte der Be- rade in Dörfern und kleinen Gemeinden – beklagt gegnung und Kommunikation und leisten damit einen rückläufige Engagiertenzahlen (Gilroy et al., 2018, Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Priemer et al., 2019). 15.547 Vereine haben sich im vergangenen Jahrzehnt aufgelöst, zugleich verlang- Im Kapitel „Transformation wird vor Ort konkret” – ab samte sich auch die Zahl der insgesamt jährlich neu Seite 21 – werden unterschiedliche Initiativen und gegründeten Vereine in den letzten zwanzig Jahren Konzepte vorgestellt, die Antworten auf die großen (Gilroy et al., 2018). Somit haben wir es bei genau- Herausforderungen unserer Zeit im Lokalen suchen erer Betrachtung mit einer parallelen Entwicklung und finden. 14 Discussion Paper | Januar 2023
Neuruppin – wie ein verwilderter Stadtpark wieder Menschen zusammenbringt Nähert man sich dem einst prachtvollen Stadtpark Den Ausschlag für die aktuellen Entwicklungen im Neuruppins, dessen früherer Glanz von jahrzehnte- Stadtpark gaben allerdings Schüler*innen der Evan- langer Verwahrlosung verdeckt wird, von der parallel gelischen Schule Neuruppin (EVI). Im Laufe eines zur nach Alt-Ruppin führenden Allee durch den Park- Schulprojektes stellten die Schüler*innen 2018 fest, rand geschlagenen Bundesstraße B 167, so eröffnet dass es ihnen an einem öffentlichen Raum mangelt, sich den Besucher*innen schon die elegant, dem den sie für sich und ihre Interessen (Sport, Bewe- leicht abschüssigen Gelände angepasste Sichtachse gung, Aktivitäten) nutzen können. Hier kam der ver- zum Ruppiner See, an den der Stadtpark unmittel- waiste Stadtpark als möglicher Gestaltungsraum ins bar im Osten angrenzt. Diese Sichtachse verweist Spiel. Wirklich in Fahrt kam die Idee, den Stadtpark einer Handschrift gleich auf den Gestalter dieses um nicht nur zu einem Begegnungs- und Bewegungsort 1835 errichteten kulturellen Naturdenkmals Peter zu machen, sondern zu einem Ausgangspunkt für die Joseph Lenné (1789-1866). Die Idee für den Stadt- zukünftige Stadtentwicklung, 2020 mit der Bewer- park selbst geht allerdings auf Freiherrn Alexander bung Neuruppins für die Förderung zur innovativen von Wulffen (1784-1861) zurück, der 1835 einen „Post-Corona-Stadt”. Neben 17 anderen Städten er- Verschönerungsverein zur Gestaltung von Stadt und hielt Neuruppin den Zuschlag und wird bis 2023 vom Natur gründete. Eine Wiederbelebung erfuhr dieser Bundesministerium des Innern und für Heimat geför- Verein im Jahr 2005 durch Neuruppiner Bürger*in- dert. Michael Landeck, Projektleiter und Lehrer am nen, die sich nun wieder um den Stadtpark bemühen. EVI, berichtet: „Corona war eine Zäsur. Wir mussten population-europe.eu 15
„Bürgerschaftliches Engagement ist etwas sehr Wertvolles. Und ein wichtiger Standortfaktor.” Michael Landeck, Projektleiter und Lehrer 16 Discussion Paper | Januar 2023
uns fragen: ‚Was ist wichtig? Wie können wir Her- Lennés Ansatz vom Flanieren an der frischen Luft ins ausforderungen gemeinsam meistern?‘ Da lag der 21. Jahrhundert transportieren können und der Park verwaiste Stadtpark wie ein Schatz vor der Haus- zu einem kreativen öffentlichen Ort wird. Dabei war tür.” Im Sommer 2021 fiel der Startschuss für das DEIN PARK nur der Zündfunke für viele Aktivitäten Projekt DEIN PARK. Zu den Unterstützer*innen und außerhalb des Parks und in der Stadt”, sagt Michael Beteiligten gehören neben den Initiatoren der Evan- Landeck. Diese Aufgaben könne aber nur in Koopera- gelischen Schule und der Verwaltung Vertreter*in- tion mit starken zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, nen von Sportvereinen, Unternehmen, der Verschö- Verwaltung, Unternehmen und der Stadtgesellschaft nerungsverein und viele andere. „Nun kooperieren gelingen. Auf diesem Weg werden neue kooperative die verschiedensten Akteure aus Verwaltung, Schule analoge und digitale Lösungsansätzen unter anderem und Stadtgesellschaft. Das wäre vor drei Jahren noch in den Bereichen Bildung, Bewegung und Gesundheit nicht denkbar gewesen. DEIN PARK ist hier auch nur sowie Klima- und Artenschutz erprobt. Dies spiegelt der Anfang für einen gemeinsam getragenen Stadt- sich auch im „Leitbild DEIN PARK" wider, das festhält: entwicklungsprozess”, so Michael Landeck. Mittler- weile werden Wege gerichtet, erläuternde Schilder zu • DEIN PARK ist ein grüner Freiraum für Kreativi- den alten Bäumen erneuert und Bänke aufgestellt. tät, Bewegung, Naturverbindung und Persönlich- Sogar die Stadtwerke Neuruppin haben inmitten des keitsentwicklung. Waldes einen Trinkwasserbrunnen errichtet, damit Jogger und Freizeitsportler genauso wie Spazier- • Es ist ein OFFENER ORT, der interaktive Angebo- gänger sich hier kostenlos erfrischen können. Der te für ALLE ermöglicht. lange sich selbst überlassene Goldfischteich wurde gesichert, der Blick auf eine dahinterliegende Brücke • Ein nachhaltiger Umgang mit dem Naturraum wieder freigelegt und so die Fläche an der Kreuzung und ein ausgeglichenes SCHENKEN UND EMP- dreier Sichtachsen mit einer Grillstelle wiederbelebt. FANGEN sind hier lebendig. DEIN PARK verfolgt jedoch nicht nur den Ansatz, den schon Peter Joseph Lenné vor fast zweihundert Jah- • Die Basis für eine kooperative Parkentwicklung ren vorschwebte, den Park wieder zu einem attrakti- bildet ein STARKES NETZWERK aus stadtweiten ven Ort für Erholung und Begegnung für alle Genera- Akteuren. tionen zu machen: Regelmäßige Netzwerktreffen helfen, die Akteur*in- „Überall war es bei vorliegendem Projekt mein nen zusammenzubringen und neue Ideen zu entwi- Bemühen, die Verteilung des gegebenen Raumes ckeln. Die Schüler*innen des EVI spielen auch wei- so zu leiten, dass neben dem Nutzen, welcher der terhin eine wichtige Rolle als Mittler und Initiatoren Gemein[d]e aus den neuen Anlagen geschaffen von generationenübergreifenden Aktivitäten rund werden soll, auch dem Vergnügen der Einwoh- um den Stadtpark: Apps entwickeln, Laubharken mit ner sein Recht widerfahre. Denn je weiter ein dem Verschönerungsverein, Aktionen beim „World Volk in seiner Kultur und in seinem Wohlstande Cleanup Day” oder Stadtparklauf. Daneben finden fortschreitet, desto mannigfaltiger werden auch sich weiter Angebote für alle Altersgruppen wie seine sinnlichen und geistigen Bedürfnisse. Da- Waldbaden, Film- und Fotoworkshops, Kunstprojek- hin gehören dann auch die öffentlichen Spazier- te, Naturerlebnistage oder auch Reha- und Fitness- wege, deren Anlage und Vervielfältigung in einer angebote. Auch kleinere AGs, wie zur Erhebung von großen Stadt nicht allein des Vergnügens wegen, Wetterdaten, bilden sich im Zusammenhang mit dem sondern auch aus Rücksicht auf die Gesundheit Stadtpark. So wird der Park zum Erlebnisraum und dringend empfohlen werden muss.” (Peter Joseph außerschulischen Lernort. Lehrer und Projektleiter Lenné, zitiert bei Günther, 1985, S. 187 ) Michael Landeck ist sich sicher, dass „Schülerinnen und Schüler beim Engagement am Ball bleiben, wenn Das Projekt geht weit darüber hinaus. Denn Ziel ist es für sie etwas gibt, was für sie von Wert ist.” DEIN es, Neuruppin gemeinsam resilienter für die Heraus- PARK wird so zu einem relevanten Baustein für eine forderungen des Klimawandels und der Folgen der Co- resiliente Stadtgesellschaft, die für alle Generationen rona-Pandemie zu machen. „Ich wünsche mir, dass wir in Neuruppin von Bedeutung ist. population-europe.eu 17
Kontextbedingungen generations- Solidarität mit den Ältesten bewiesen. Das zuneh- übergreifenden Engagements mende Ungleichgewicht zwischen den Generationen zeigt jedoch schon Wirkung: Jugendliche empfinden sich häufig als politisch einflusslos und ungehört Lebens- und Engagementformen wandeln sich un- (Andresen et al., 2022) – wohl auch angesichts ihrer ter den demografischen, ökonomischen und sozialen zahlenmäßigen Unterlegenheit, die sich in der abseh- Bedingungen. Doch weder kann von einer „Einsam- baren Zukunft noch verschärfen wird. keitsepedemie” die Rede sein, noch von einer zuneh- menden Entfremdung zwischen Jungen und Alten. An dieser Stelle lässt sich stichpunktartig zusam- Auch von einer brüchiger werdenden Generationen- menfassen in welchem Kontext intergenerationelles solidarität ist nichts zu spüren, haben doch die Kin- Engagement aktuell zu betrachten ist: der und Jugendlichen während der Pandemie große • Der demografische Wandel beeinflusst unmittelbar die Generationengröße und abfolge. Wenige Enkel stehen vielen (Ur-)Großeltern gegenüber. Zudem hat die Langlebigkeit dazu geführt, dass sich auch die Senior*innen-Generation differenziert („Junge Alte”, Hochbe- tagte etc.). • Emanzipation, Wertewandel und Individualisierung haben zu einer Auflösung traditi- oneller Bindungen geführt. Leben und Beziehungen werden wähl- und gestaltbar. Familiäre Bindungen bleiben wichtig, aber werden durch eine Bedeutungsaufwertung nicht-familiärer Netzwerke ergänzt. • Mitgliedschaft in einem Verein bedeutet heute keine lebenslange Verpflichtung mehr. Engagement muss biografisch passgenau sein. „Klassisches” Ehrenamt und En- gagement in Sportvereinen, Chören und Landfrauenverbänden bekommt zunehmend Konkur- renz von freien Gruppen, die sich eher zwanglos und ohne institutionelle Anbindung treffen (Laufgruppen, Grillverein). Zudem treten innovative Akteurskonstellationen (aus Zivilgesell- schaft, Verwaltung, Unternehmen) auf den Plan, die auf Bedarfe vor Ort reagieren, konkrete Anliegen verfolgen und Gesellschaft stärker selbst gestalten wollen (Gestaltungsengagement). Die Schwächung von Pflicht- und Akzeptanzwerten, die mit einer Stärkung der Selbstentfal- tungswerten (Klages, 2001) einherging, hat seit einigen Jahrzehnten auch zu einer deutlich eingeforderten und gelebten Mitbestimmungskultur in Betrieb und Privatleben geführt. So ist der Wunsch nach Partizipation, Mitbestimmung und Gestaltung auch bei den Akteur*innen der Zivilgesellschaft deutlich angestiegen. • Die Corona-Pandemie hat Gefühle der Einsamkeit bei vielen Menschen ausgelöst. Einsamkeit ist jedoch kein Thema allein der älteren Generation. Gerade junge Menschen ken- nen das Gefühl der gesellschaftlichen Unverbundenheit. Einsamkeit kann nicht nur traurig und krank machen, sondern das Vertrauen in Mitmenschen und demokratische Institutionen schwächen und stellt so eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt dar. 18 Discussion Paper | Januar 2023
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