Infonium PH Zug 2/2021 Mathematisches Denken und Lernen
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Editorial Inhalt Editorial2 Kompetenzzentrum Mathematisches Denken und Lernen: Interview mit Kurt Hess 3–4 Ausbildungsschwerpunkte entlang fachdidaktischer Prinzipien 5 Herausforderungen für Lernende mit auffälligen Matheleistungen und Lernverhaltensweisen 6–7 Herausforderungen für Lernende mit grossem mathematischem Potenzial 8–9 Mathematik fordert heraus und kann begeistern 10–11 Esther Kamm Zahlbeziehungen nutzen – flexibel rechnen: Bachelorarbeit12 Formative Feedbacks zum mathematischen Argumentieren aus fachdidaktischer Sicht 13 Das Einmaleins intelligent lehren und lernen 14-15 Crisis Driven Innovation: Antriebskraft schulischer Innovation jetzt nutzen 16–17 «Let’s talk!» – Forschung und Praxis im Dialog 18–19 Wie kann Dankbarkeit bei Primarschulkindern gefördert werden? Bachelorarbeit 20–21 Gründe für (k)ein Gastsemester: Bachelorarbeit 22–23 Kulturvermittlung: Braucht der Kanton Zug Kulturverantwortliche in Schulen? Bachelorarbeit 24–25 Das kann ich! – Selbstwirksamkeit als Thema der Kinder- und Jugendliteratur: Bachelorarbeit 26 Die Quereinsteigenden – ein Mehrwert für PHs und die Klassenzimmer: Studierendenkolumne 27 Veranstaltungen28 Die PH Zug hat in ihrer Strategie 2019–2026 festgehalten, dass analysiert in ihrer Dissertation, wie Lehrpersonen die Schüler*in- sie ihr Profil weiter stärkt, indem sie thematische Schwerpunkte nen im Lernprozess zum mathematischen Argumentieren unter- setzt. Mit dem neuen Kompetenzzentrum Mathematisches stützen (S. 13). Und Barbara Hohl-Krähenbühl untersucht in ihrer Denken und Lernen (MaDeL) bietet die PH Zug individuelle Dissertation, wie das Einmaleins auf der Primarstufe unterrichtet Dienstleistungen, Beratungen sowie Weiter- und Zusatzausbildun- werden soll (S. 14–15). gen zum mathematischen Denken und Lernen, zur Planung und Gestaltung des Mathematikunterrichts oder spezifischer Lernset- Es freut mich, dass im zweiten «Infonium»-Teil unsere Studieren- tings an. Geleitet wird das Kompetenzzentrum von Kurt Hess. den zu Wort kommen. Vier spannende Bachelorarbeiten (S. 20– Im Interview erzählt er, welche Absichten hinter dem neuen An- 26) und die Studierendenkolumne zum Thema «Die Quereinstei- gebot stecken (S. 3–4). genden – ein Mehrwert für PHs und die Klassenzimmer» (S. 27) warten auf Sie. Gemäss der Fachschaft Mathematik der PH Zug orientiert sich guter Unterricht an zehn fachdidaktischen Prinzipien (S. 5). Kin- Das «Infonium» erscheint zum letzten Mal unter der Verantwor- der verfügen über sehr unterschiedliche mathematische Kompe- tung von Luc Ulmer, Leiter Kommunikation & Marketing. Er ver- tenzen. Der Unterricht muss so gestaltet werden, dass sowohl lässt nach über elf Jahren und 34 «Infonium»-Ausgaben die PH Lernende mit auffälligen Matheleistungen und Lernverhaltenswei- Zug, um eine neue berufliche Herausforderung anzunehmen. Ich sen (S. 6–7) als auch Lernende mit einem grossen mathemati- danke ihm für seine engagierte Arbeit und wünsche ihm alles schen Potenzial (S. 8–9) eigene Herausforderungen annehmen, Gute für die Zukunft. bewältigen und Erfolge erleben können. Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich eine anregende Im Interview erzählen Primarlehrerin Selma Surbeck und Heilpäd- Lektüre. agogin Linda van Holten, wie sie das mathematische Denken und Lernen ihrer Schüler*innen fördern (S. 10–11). Für ihre Bachelor- arbeit hat Miriam Frick Kindern über die Schulter geschaut und Prof. Dr. Esther Kamm versucht, ihre Rechenwege nachzuvollziehen (S. 12). Heidi Dober Rektorin 2
Kompetenzzentrum Mathematisches Denken und Lernen Das Kompetenzzentrum MaDeL unterstützt solchen Negativspiralen erklärt sich das Kind, Schüler*innen mit auffälligem Lernverhalten und dass es keine Rolle spiele, ob es sich einsetze, Leistungsvermögen, es berät Lehrpersonen, es «kann Mathe ohnehin nicht» (vgl. Beitrag bietet Weiterbildungen und Dienstleistungen an. S. 6–7). Gezielte Lerneinheiten mit erreichba- ren Zielen können aus dieser Spirale herausfüh- Sie sind Initiator und Leiter des Kompetenz ren, weil sie mit Erfolgserlebnissen und Freuden zentrums. Welche Absichten und Angebote sowie mit der Steigerung des Selbstwertgefühls stehen dahinter? und der Selbstwirksamkeit verbunden sind. In Ich möchte vorausschicken, dass das Kompe- der Variante Standard plus erfolgt eine – von tenzzentrum zwar von mir geleitet, aber von der Studierenden angebotene und durch Dozieren- gesamten Fachschaft Mathematik getragen de begleitete – Fördereinheit mit Kindern und wird. Unser Fachteam bietet diagnostische Ab- Jugendlichen sowie eine Beratung bezüglich Kurt Hess, Leiter Kompetenzzentrum Mathematisches Denken und Lernen. klärungen von Kindern und Jugendlichen mit Fortschritten, Potenzialen und motivationalen besonderen Schwierigkeiten an sowie daran Belangen. Anstelle der individuellen Förderein- anschliessende Fördereinheiten und Beratun- heiten können auch Unterrichtsbesuche und gen. Wir erarbeiten auch Differenzierungsvor- Differenzierungsvorschläge zielführend sein. schläge für den Mathematikunterricht, allenfalls im Nachgang an eine schulpsychologische Ab- Bis anhin werden Schüler*innen mit mathemati- klärung. In unserem Team hat es ehemalige Pri- schen Lernschwierigkeiten von Schulischen Heil- marlehrpersonen und einen Schulischen Heil- pädagog*innen unterstützt. Bauen Sie ein Kon- pädagogen (SHP). Mit unserem theoretischen kurrenzangebot auf? Wissen und den praktischen Erfahrungen fühlen Unser Angebot ist nicht als Konkurrenz zu ver- wir uns gut gerüstet, um gemeinsam mit Lehr- stehen, sondern als Ergänzung. Ich habe selbst personen oder SHP nach konstruktiven Lösun- einige Jahre als SHP gearbeitet und weiss, dass gen zu suchen. Die von uns gewonnenen Er- dieser Aufgabenkatalog sehr breit gefächert ist. kenntnisse fliessen in Weiterbildungs- und Für differenzierte Abklärungen und die Umset- Beratungsangebote ein, die sich den unter- zung von Fördereinheiten fehlt die Zeit oder die richtspraktischen Bedingungen und Möglichkei- nötige Distanz zum Unterricht und zu den Lern- ten stellen. prozessen der Kinder. Eine etwas neutralere Wie können Lehrpersonen und Schulen von den Angeboten profitieren? Lehrpersonen, SHP, IF-Lehrpersonen oder Dys- Lernen kalkulie-Therapeut*innen können sich über adaptiv unterstützen madel.phzg.ch informieren und Kinder und Ju- Beziehungen, Kompetenz- Regelmässig- gendliche nach Absprache und Einwilligung der orientiert keiten Eltern über madel@phzg.ch anmelden. Sie ge- beurteilen thematisieren ben an, ob sie «lediglich» eine diagnostische 4 Abklärung und Beratung – Variante Standard – 3 oder zusätzlich eine Fördereinheit bzw. Diffe- Differenzierte renzierungsvorschläge für den Mathematikun- Übungs- 1 Relevante Konzepte terricht erwarten – Variante Standard plus. anlässe 2 Gute fokussieren initiieren Lernanlässe Wie sehen diese Angebote konkret aus? initiieren In der Variante Standard erfolgt eine kompe- tenzorientierte Abklärung entlang fachdidakti- scher Kriterien und es werden Kompetenzprofile Aufbau mentaler Aktives erstellt. Die Beratung enthält fachliche und mo- Vorstellungen Lernen und unterstützen Anwenden tivationale Aspekte. Letztere sind wichtig, weil ermöglichen viele Kinder schon einen langen Leidensweg hinter sich haben, bis sie bezüglich Lernverhal- Mathemati- sieren und Lernen im ten und Leistungsvermögen auffällig werden. Dialog Darstellen Damit sind häufig Unlust, Demotivation, Ängste, initiieren ermöglichen ein geringes Selbstwertgefühl und ein geringer Glaube an die Selbstwirksamkeit verbunden. In Abb. 1: Fachdidaktische Prinzipien, die zum erfolgreichen Lernen beitragen. 3
Aussensicht kann neue Massnahmen. Andererseits orientiert sich die Perspektiven öffnen und Forschung an Kindern mit auffälligem Lernver- den Kindern die Chance halten und Leistungsvermögen sowie an Fragen bieten, mitverantwortlich zur Differenzierung und Motivation. zu lernen. Die Fachschaft Mathematik hat zudem zehn fachdidaktische Prinzipien erarbeitet, an wel- Weshalb fallen Schüler*in- chen sich die Aus- und Weiterbildung, Bera- nen mit mathematischen tungsangebote und Entwicklungsarbeiten sowie Schwierigkeiten auf? die Forschung orientieren (siehe Abb. 1 und Gewisse Kinder verfügen Artikel S. 5). am Ende des Kindergar- tens noch nicht über jene Welche F&E-Projekte laufen derzeit? Wie gelan- Voraussetzungen, die der gen die Erkenntnisse dieser Projekte in die Aus- Einstieg in die Grundope- und Weiterbildung der PH Zug und somit zu den rationen und in höhere Studierenden und Lehrpersonen? Zahlenräume bedingen Im Zentrum unserer Forschungstätigkeit stehen würde. Andere fühlen sich momentan zwei SNF-Projekte. Die erste SNF-In- Mathematisches Denken in der Sackgasse? unterfordert bis gelang- terventionsstudie «Formatives Feedback zum weilt von den schulischen mathematischen Argumentieren – FEMAR» Lernangeboten. Wird dieser Heterogenität nicht realisiert die PH Zug gemeinsam mit der PH entsprochen, bleibt das mathematische Lernen St. Gallen (vgl. Beitrag S. 13). Sie untersucht die in einer Sackgasse stecken. Es ist also wichtig, Auswirkungen von Feedbacks, die Lehrpersonen die Nichtverfügbarkeit dieser Basis – als ein den Lernenden entlang eines Rubrics (Beurtei- zentrales Kriterium für Dyskalkulie – möglichst lungsraster) geben, und zwar hinsichtlich Leis- früh zu erkennen, damit der Zug nicht einfach tungsentwicklungen, Selbstregulationskompe- davonfährt. tenzen und Selbstwirksamkeit. Beim Feedback handelt es sich um lernfördernde formative Erkennt man schon im Kindergarten, wer mathe- Rückmeldungen der Lehrperson gegenüber den matisch begabt ist und wer wohl Schwierigkeiten Schüler*innen. Wir klären momentan ab, wie wir haben wird? das Thema «formatives Feedback» ab Frühling Die frühe Sicht ist auf Motivationen und zentra- 2022 in Weiterbildungen, Dienstleistungen und le mathematische Voraussetzungen gerichtet. Publikationen aufgreifen können. Prädiktoren zum Zählen und zum Mengenver- ständnis zeigen bereits ausgangs des Kinder- Und das zweite SNF-Projekt? gartens eine grosse Verlässlichkeit bezüglich In einer zweiten SNF-Interventionsstudie na- späterer Lernschwierigkeiten. Eigentlich para- mens QUEST kooperieren Nikolina Stanic vom dox: Die Diagnose kann vor Schulbeginn ge- Institut für internationale Zusammenarbeit in stellt werden, obschon eine Dyskalkulie über Bildungsfragen (IZB) und ich mit dem Departe- die Unfähigkeit, schulisch aufzubauende Grund- ment Volkswirtschaftslehre der Universität operationen zu lösen, definiert wird. Die Konse- Bern. Die Studie wird von Prof. Dr. Aymo Bru- quenzen sind in Richtung «Mathe treiben im netti mit dem Ziel geleitet, Erkenntnisse zum Kindergarten» (publikationen.phzg.ch > Mit- Design effektiver Weiterbildungsprogramme für arbeitenden-Broschürenreihe) oder unter dem Mathematiklehrpersonen zu generieren. Es soll grossen Schlagwort Prävention zu ziehen. ermittelt werden, welche von drei Interventions- einheiten – Fachwissen Mathematik, Fachdi- Sie leiten auch die Professur zum mathemati- daktik Mathematik und allgemeine Didaktik – schen Denken und Lernen (MaDeL). Wie ist die- bei den Schüler*innen die grössten se mit dem Kompetenzzentrum sowie mit Aus- Lernfortschritte bewirken. Die Ergebnisse der und Weiterbildungen verknüpft? Studie können durchaus zu Fragen in der hiesi- Die Professur ist auf eine evidenzorientierte gen Aus- und Weiterbildung führen. Beispiels- Forschung und Entwicklung ausgerichtet. Deren weise, wie viele oder welche allgemein didakti- Ergebnisse sollen in Aus- und Weiterbildungen, schen und fachlichen Inhalte in einer in Beratungen und auch in Publikationen ein- fachdidaktischen Weiterbildung eine möglichst fliessen. Inhaltlich werden die Studien insbe- grosse Wirkung zeigen. sondere das mathematische Denken und Ler- nen junger Kinder fokussieren. Daraus erwarte Die Fragen stellte Luc Ulmer, ich relevante Beiträge in Richtung präventiver Leiter Kommunikation & Marketing 4
Ausbildungsschwerpunkte entlang fachdidaktischer Prinzipien Erfolgreiches mathematisches Lernen hängt von Insofern lässt sich das fachdidaktische Prinzip verschiedenen Aspekten ab. Die Fachschaft Ma- der Differenzierung nicht losgelöst vom ersten – thematik stellt diese mit zehn fachdidaktischen der guten bzw. reichhaltigen Aufgabe – realisie- Prinzipien dar und orientiert das Curriculum sowie ren. die zu erwerbenden Lehrkompetenzen an diesen. 3 Die Lehrperson fordert mit mathematischen Ein guter Mathematikunterricht orientiert sich Beziehungen und Regelmässigkeiten heraus am Zusammenspiel von zehn Prinzipien (vgl. Die reichhaltigen Aufgaben und die Differenzie- Abb. 1 auf Seite 3). Beispielsweise tragen gute rung bedürfen der Ergänzung mit zentralen ma- Aufgaben (1), differenzierte Erwartungen (2), thematischen Kompetenzen. Die Schüler*innen das Erforschen und Argumentieren hinsichtlich werden entlang der curricularen Handlungsas- mathematischer Beziehungen (3) oder eine indi- pekte Operieren, Benennen, Erforschen, Be- viduelle Lernbegleitung (4) zum Gelingen bei. gründen, Mathematisieren und Darstellen von Bei den vier genannten Prinzipien kommt zum mathematischen Beziehungen und Regelmäs- Ausdruck, dass sich dieselbe Lern- oder Unter- sigkeiten herausgefordert. Solche Auseinander- richtssituation unter verschiedenen Perspekti- setzungen müssen breit angelegt sein, weil sie ven – bzw. im Zusammenspiel der Prinzipien ein erfolgreiches Weiterlernen in zunehmend – planen, realisieren und auswerten lässt. Die komplexeren und abstrakteren Zusammenhän- Prinzipien orientieren sich an der Systematik gen sichern und zu effizienten (vorteilhaften) des Faches, an den Zusammenhängen und Be- Strategien führen. Beziehungen spiegeln rele- sonderheiten der Lerninhalte, an den Voraus- vante Konzepte bzw. sind für das kumulative setzungen der Lernenden und an den curricula- Weiterlernen bedeutsam (vgl. Prinzip «Relevante ren Kompetenzansprüchen. Sie geben den Konzepte fokussieren»). fachdidaktischen Studieninhalten einen Rah- men und eine Ausrichtung. 4 Die Lehrperson unterstützt das Lernen adaptiv 1 Die Lehrperson inszeniert gute Lernanlässe Gute Aufgaben, differenzierte Herausforderun- In der Fachdidaktik erhalten mathematische gen und Übungsabsichten genügen dem einzel- Lernanlässe das Prädikat gut bzw. reichhaltig, nen Kind vielleicht noch nicht, um erfolgreich wenn sie individuelle Zugänge und Herausforde- zu lernen. Deshalb braucht es die Lehrperson rungen bieten. Dies drückt sich durch unter- als Anlaufstelle, um auftauchende Fragen zu schiedliche Lösungswege, Strategien, Abstrak- klären oder Blockaden zu lösen. Die Lehrperson tionsgrade oder Darstellungsmittel aus. Alle kann individuelle Lernprozesse unterstützen, Schüler*innen sollen eigene Herausforderun- indem sie Aufgaben, Lern- und Sozialformen, gen annehmen, bewältigen und Erfolge erleben Darstellungsmittel und förderorientierte Feed- können. backs adaptiv einsetzt. Die Unterstützung ist dann gewinnbringend, wenn die Lehrperson 2 Die Lehrperson initiiert differenzierte allen Schüler*innen – für das kumulative Wei- Übungsanlässe terlernen – relevante mathematische Einsichten Beim Üben müssen verschiedene Übungsab- ermöglicht. Auch dieser Anspruch verweist auf sichten differenziert werden, die wiederum un- das Prinzip «Relevante Konzepte fokussieren». terschiedliche Komplexitäten und Abstraktionen annehmen können: Fazit – Beim produktiven Üben werden mathemati- Kompetenzorientiertes Lernen ist eine komple- sche Beziehungen erforscht, genutzt und er- xe Angelegenheit. Mit den fachdidaktischen weitert (konzeptuelles und prozedurales Wis- Prinzipien versucht die Fachschaft Mathematik, sen). diese Komplexität sicht- und fassbar zu ma- – Das Üben von Verfahren und Strategien ver- chen. Diese sollen dem Mathematikunterricht mittelt Sicherheiten, Geläufigkeiten und Rou- und den fachdidaktischen Studieninhalten ei- tinen (prozedurales Wissen). nen Rahmen und eine Ausrichtung geben. – Das Automatisieren führt zu Routinen und geläufig abrufbaren Wissensinhalten und Priska Fischer Portmann, Fachschaftsleite- mentalen Vorstellungen (deklaratives Wis- rin Fachdidaktik Mathematik, und Kurt Hess, sen). Leiter Kompetenzzentrum MaDeL 5
Herausforderungen für Lernende mit auffälligen Matheleistungen und Lernverhaltensweisen Kinder verfügen über sehr unterschiedliche ma- ser). Einige Kinder strecken auf und teilen ihre thematische Kompetenzen. Sie müssen reich- Entdeckungen mit. haltige Aufgaben erhalten, damit sie individuell herausgefordert werden, eigene Ziele erreichen Die erste Zahl wird immer und motiviert bleiben. um eins kleiner! Das gemeinsame Fazit aus unzähligen Studien zum mathematischen Anfangsunterricht betrifft die grosse Heterogenität im mathematischen Ja, aber die zweite Zahl Leistungsvermögen. Die Unterschiede pro Jahr- wird dafür um eins gangsklasse betragen je nach Studie drei bis vier grösser. Wie ändert sich Entwicklungsjahre. Die einen Kinder verfügen also das Ergebnis? eingangs der 1. Klasse über gute bis sehr gute Gar nicht. Zählkompetenzen, ein elaboriertes Mengenver- ständnis und bereits weit fortgeschrittene opera- tive Kompetenzen, während anderen minimale Ich weiss, wie die nächste Grundvorstellungen fehlen. Der schulische An- Aufgabe heisst: 7 + 8. fangsunterricht nimmt sich dieser Heterogenität mit verschiedenen, u. a. auch mit natürlichen Differenzierungen an (vgl. Artikel S. 5). Die Zählkompetenzen und das Mengenverständ- Das Ergebnis bleibt immer nis werden im Lehrplan 21 explizit aufgeführt, gleich, weil … weil sie jenen Grundvorstellungen entsprechen, die über das erfolgreiche Weiterlernen bestim- men. Kinder mit mangelnden Voraussetzungen Frau Braun lässt die genannten Beziehungen mit oder mit sehr weit fortgeschrittenen Kompeten- Farben und Pfeilen an die Wandtafel zeichnen zen werden oft ab Beginn der 1. Klasse in ihrem und freut sich über die engagierte Mitarbeit eini- Lernverhalten und Leistungsvermögen auffällig. ger Kinder. Sie bestätigt, lobt und fragt nach. In Sie erleben wiederkehrend, dass sie mit Aufga- der nächsten Unterrichtsphase dürfen die Kinder ben herausgefordert werden, deren Sinn sie weitere schöne Päckchen erforschen, weiterfüh- Kompetenzzentrum nicht verstehen oder die sie langweilen. In der ren und Regelmässigkeiten begründen. Leider Mathematisches Denken Folge verlieren sie sich in blossen Beschäftigun- sind einige Kinder von solchen – an sich wertvol- und Lernen (MaDeL) gen, die sie nach Anweisung durchführen, oder len – Auseinandersetzungen ausgeschlossen, Das Kompetenzzentrum MaDeL in Kompensationshandlungen ausserhalb der weil sie (noch) nicht verstehen, was mit einer rückt Kinder mit auffälligem Lern Mathematik. Das gemeinsame Lernen «läuft an Summe passiert, wenn einer der Summanden um verhalten und Leistungsvermögen – am unteren und oberen Rand der ihnen vorbei». Gelangweilt, frustriert und demoti- 1 verkleinert oder vergrössert wird, und ebenso Normalverteilung – in den Fokus. viert ziehen sie sich zurück, werden albern oder wenig, dass eine Summe aus verschiedenen und Die diagnostische Erfassung und stören das unterrichtliche Geschehen (vgl. Inter- verschieden vielen Summanden besteht. die natürliche Differenzierung orien- view mit Kurt Hess, S. 3–4). tieren sich an Phänomenen, Ursa- chen und unterrichtlichen Bedingun- Pia sucht während des Klassengesprächs die gen. Das Ziel besteht darin, dass Weshalb zeigt Pia ein ungünstiges Toilette auf und lässt sich dort viel Zeit. Sie sagt, die einbezogenen Kinder nach einer Lernverhalten? sie möge Mathe nicht, weil diese zu schwierig Abklärung, Beratung und/oder Frau Braun ist Erstklasslehrerin. Sie schreibt ein oder sie zu dumm sei. In der Zwischenzeit erfor- Fördereinheit wieder möglichst optimal von den Lernangeboten im sogenanntes schönes Päckchen an die Wand schen andere Kinder schöne Päckchen, stellen regulären Unterricht profitieren. tafel: sie dar und begründen. Pia setzt sich an ihr Pult Dabei muss sorgfältig zwischen und spitzt ihren Bleistift. Die Lehrerin ermahnt auffälligem Lernverhalten – dessen 10 + 5 sie, nun endlich mit den Aufgaben zu beginnen. fachlichen und sozio-emotionalen Ursachen – und dem Leistungsver- 9+6 Das Mädchen drückt seine fehlende Motivation mögen unterschieden werden. Je 8+7 und den geringen Glauben an seine Fähigkeiten nach Fragestellung kann es sinnvoll mit Kompensationshandlungen aus: Es spielt sein, die unterrichtlichen Bedingun- In einem schönen Päckchen stehen die Aufga- keine Rolle, ob oder wie sie sich einsetzt, es ist gen vor Ort auszuloten und in deren Rahmen nach Lösungen zu ben in einer bestimmten Abfolge bzw. in einer ohnehin kein Erfolg in Sicht. Die Negativspirale suchen. operativen Beziehungsstruktur, hier mit gegen- – mit dem ungünstigen Lernverhalten, den nega- Mehr Infos: madel.phzg.ch sinnigen Veränderungen (der erste Summand tiven Einstellungen und den fehlenden Leistungs- wird um je 1 kleiner und der zweite um je 1 grös- fortschritten – liesse sich durchbrechen, wenn 6
sich Pia an Erfolgshoffnungen orientieren könnte rativ-strukturierten Päckchen tragen dazu bei, CAS Mathematisches und zu Leistungen anspornen liesse, die mit so- dass Pia die Invarianz einer Menge erkennt. Bei- Lernen in der Sackgasse zialer Anerkennung verbunden sind. spiele für andere operative Strukturen: (MaLe) Ein sehr weit fortgeschrittenes, mathematisch – immer 1 mehr (9 + 1, 9 + 2, 9 + 3, …, 9 + 10) Das CAS qualifiziert u. a. Lehrperso- hochbegabtes Kind kann vergleichbare Perfor- – immer 10 (9 + 1, 8 + 2, 7 + 3, …, 1 + 9) nen und Schulische Heilpädagog*in- manzen zeigen: Passivität, Rückzug, zunehmend – verdoppeln (1 + 1, 2 + 2, 3 + 3, …, 10 + 10) nen hinsichtlich Diagnose und För- ungenügende Leistungen und ein auffälliges – immer 2 mehr (6 + 4, 7 + 5, 8 + 6, …, 11 + 9) derung von Kindern mit erheblichen mathematischen Lernschwierigkei- Lernverhalten. Solche sogenannte Minderleister ten. Mehr Infos: male.phzg.ch zeigen ähnliche Symptome wie ein Kind mit feh- Die Einsichten können sich beim Lernen mit ge- lenden Grundvorstellungen. meinsamen Lerninhalten, aber unterschiedli- chen Absichten oder Zielsetzungen einstellen. Differenzieren mit Legen, Zeichnen, Kinder geraten gerne in ein Abarbeiten – insbe- Beschreiben und Begründen sondere diejenigen, die schöne Päckchen ohne Kinder wollen an Aufgaben arbeiten, die für sie Anschauungsmittel lösen – und schreiben die herausfordernd, aber auch lösbar sind. In hetero- Summen mechanisch z. B. «immer 1 mehr» ein. genen Klassen müssen diese natürlich differen- Dies, sobald sie die Regelmässigkeit nach zwei ziert werden, sodass jedes Kind seine eigenen oder drei Aufgaben erkennen. Sogenannte Herausforderungen, Wege und Lösungen finden Strukturbrüche vermögen derartige Gepflogen- kann. Bei Pia wäre es naheliegend, heiten zu durchkreuzen und ebenso das Darstel- – die Aufgaben in den schönen Päckchen mit len der Operationen. Letztere können Kindern Steinen zu legen oder zu zeichnen. helfen, zu begründen, warum eine Struktur an – die Summanden auszuzählen und nach den einer Stelle nicht mehr funktioniert (z. B. 9 + 1, Veränderungen zu vergleichen. 9 + 2, 9 + 3, 3 + 9, 9 + 5, …, 9 + 10). Im Beispiel – zu überlegen, mit welchem geringsten Auf- beruht die Beziehung zwischen der 3. und 4. wand die Rechnungen gelegt werden können. Aufgabe auf dem Tauschgesetz, es werden ledig- – ihr Tun und die Erkenntnisse sprachlich aus- lich die Summanden getauscht, folglich sind zudrücken, allenfalls handlungsbegleitend. diese beiden Summen (ausnahmsweise) gleich. 3 + 9 müsste durch 9 + 4 ersetzt werden, damit Vielleicht erkennt Pia, dass sie jeweils zur nächs- die Strukturrealisierung einheitlich mit «1 mehr» ten Rechnung gelangt, wenn sie einen Stein vom ausfällt. Die gleichen schönen Päckchen könn- ersten in den zweiten Summanden verschiebt, ten sehr weit fortgeschrittene Kinder mit kom- z. B. von 10 + 6 zu 9 + 7. Allenfalls erkennt sie plexeren Strukturen, mit Begründungen, Darstel- (noch) nicht, dass es bei den Verschiebungen lungen, erweiterten Zahlenräumen oder lediglich um eine andere Anordnung derselben Eigenproduktionen herausfordern. Letzteres Steine geht und sich deshalb auch die Summe meint, dass die Kinder selber schöne Päckchen nicht ändert. Ein mögliches Argument zur soge- erfinden und andere diese lösen und Regelmäs- nannten Invarianz einer Menge könnte lauten: sigkeiten begründen. «Kein Stein wurde hinzugefügt oder weggenom- Aufgaben müssen so gestellt men, deshalb sind es weiterhin gleich viele.» Sol- Anne Tester, Dozentin Fachdidaktik werden, dass alle Schüler*innen che und andere konkrete (handelnde, bildliche Mathematik, und Kurt Hess, eigene Herausforderungen und sprachliche) Auseinandersetzungen mit ope- Leiter Kompetenzzentrum MaDeL annehmen, bewältigen und Erfolge erleben können. 7
Herausforderungen für Lernende mit grossem mathematischem Potenzial Einige Kinder fallen im Mathematikunterricht (vgl. Abb. 1). Ein anderes Kind erkennt in soge- Weiterbildungen zum auf, weil sie sehr schnell lernen, Beziehungen nannten schönen Päckchen umgehend operati- Thema Begabungs- und Begabtenförderung zwischen Zahlen scheinbar spontan nutzen und ve Muster, was es mit der ungewöhnlichen No- manchmal ganz ungewöhnliche Lösungswege tation sichtbar macht (vgl. Abb. 2). Etwas CAS Integrative Begabungs- und Begabtenförderung, PH Luzern. suchen. Ihren besonderen Lernbedürfnissen grundsätzlicher gilt: Lernende mit einem gros- Mehr Infos: www.phlu.ch > CAS kann und soll mit reichhaltigen Lernangeboten sen mathematischen Potenzial sind fasziniert IBBF und einer gezielten Lernbegleitung entsprochen von mathematischen Strukturen und Mustern, CAS oder MAS Integrative Bega- werden. sie suchen und nutzen Regelmässigkeiten bzw. bungs- und Begabtenförderung, wenden ihr Beziehungswissen flexibel an, fallen PH FHNW. Mehr Infos: In jeder Schulklasse befinden sich nicht nur durch originelle, unerwartete und spontane Vor- www.phfhnw.ch > Weiterbildung > CAS oder MAS IBBF Schüler*innen mit erheblichen Lernschwierig- gehensweisen auf und langweilen sich bei Wie- keiten, sondern auch solche, die über ein gros- derholungen und redundanten Übungen (vgl. ses oder sogar sehr grosses mathematisches Käpnick & Benölken, 2020). Solche Schüler*in- Potenzial verfügen. Letzteres kann sich in unter- nen brauchen mathematische Herausforderun- schiedlichen Unterrichtssituationen bemerkbar gen im Sinne reichhaltiger Aufgaben und Lehr- machen. Grundsätzlich gilt: Begabte Schü- personen, die ihnen Mut machen, eigene Wege ler*innen lernen sehr schnell, speichern ihr zu gehen. Wissen «intelligent» ab, verstehen grundlegende Konzepte und stiften kreative, originelle und Herausfordern mit reichhaltigen Aufgaben originale Beziehungen (vgl. Weinert, 2000). Die Es wird deutlich: Besonders vielversprechend folgenden Beispiele (Abb. 1 und 2) zeigen auf, für den Umgang mit einer Lern- und Leistungs- wie sich solche Kinder bemerkbar machen kön- heterogenität sind reichhaltige Aufgaben, die nen. allen Kindern und so auch den begabten Ler- Ein Erstklässler löst Additionen und Subtraktio- nenden ihre Herausforderungen bieten. Ein Bei- nen bis 20 richtig, ebenso wie auch andere Kin- spiel ist die Aufgabe «Immer 1089» (Wittmann & der in der Klasse. Erst bei einer reichhaltigen Müller, 1994, S. 40): Aufgabe wie «Erfinde eigene Zahlenmauern» – Bilde aus drei unterschiedlichen Ziffern eine kann er seine überaus fortgeschrittenen opera- Zahl wie z. B. 674. Spiegle nun diese dreistel- tiven Kompetenzen im Tausenderraum zeigen lige Zahl an der mittleren Ziffer (476). Sub trahiere die kleinere von der grösseren Zahl 674 – 476 = 198. Spiegle nun auch diese Lösungszahl (891). Addiere nun diese beiden Zahlen 198 + 891 = 1089. Wiederhole dies mit verschiedenen dreistelligen Zahlen. Was fällt dir auf? Die Lernenden üben mit der Aufgabe «Immer 1089» z. B. die schriftliche Addition und Sub- traktion. Sie erforschen auch Regelmässigkei- ten und versuchen, zu begründen und darzu- Abb. 1: Knabe, 1. Klasse. Quelle: Katarina Farkas, PH Zug. stellen, warum diese entstehen. Die Aufgabe wird im Unterricht idealerweise in vier Phasen bearbeitet: – Lehrperson initiiert die Aufgabe im Klassen- verband. – Schüler*innen lösen mehrere Beispiele, die Lehrperson beobachtet und unterstützt. – Austausch und Diskussion in Kleingruppen, eventuell weiteres Forschen in dieser Grup- pe. – Ergebnissicherung mit der ganzen Klasse (sammeln, ordnen, vergleichen, diskutieren der Entdeckungen und Erkenntnisse). Die Lernspuren aller Kinder werden gesammelt Abb. 2: Kind, 1. Klasse. Quelle: Marianne Ettlin, Lehrerin, Hünenberg. (vgl. Abb. 3). 8
Literatur Käpnick, F. (2010). Mathematik plus. Unter sc Mathe für kleine Asse. 3./4. Klasse hied 2 910 312 darum 2x 613 824 823 921 (Band 1). Berlin: Cornelsen. 99 –019 –213 –316 –428 –328 –129 099 412 297 396 792 891 Käpnick, F. & Benölken, R. (2020). 495 –214 198 Mathematiklernen in der Grundschu- Uns fällt auf: 453 956 · Bei der Subtraktion gibt es die folgenden Resultate le. Berlin: Springer Spektrum. 312 Untersc hied 2 –659 613 915 921 910 –354 darum 2x 583 824 (Differenzen): –213 99 –31629 –428 –519 823 –129 –019 099099 –385 7 –328 99, 198, 297, 396, 792 497, 594, 693, 891 792, 891 Leuders, T. & Prediger, S. (2016). 412 297 396 396 495 –214 198 · Es gibt 9 verschiedene Resultate (Differenzen). Flexibel differenzieren und fokussiert 198 95662 3 Uns fällt auf: · Es sind alles Vielfache der Zahl 99. 72453 6 915 · Bei der Subtraktion gibt es die folgenden Resultate fördern im Mathematikunterricht. –62–354 –659–326 · In den Differenzen verändern sich die Ziffern nach 7 583 634 –519 (Differenzen): 099099 –385 297 297 396 einem 99, 198, 297, 396, Muster: 497, 594, Hunderter 693, 792, 891 werden um 1 grösser, Einer Berlin: Cornelsen. –43 1986 werden · Es gibt 9 verschiedene 1 kleiner. Resultate (Differenzen). 726 198 623 · Es sind alles Vielfache der Zahl 99. Weinert, F. E. (2000). Lernen als –326 · In den Differenzen verändern sich die Ziffern nach –627 634 Wenn7 sich die Ziffern der Hunderter undMuster: einem Einer Hunderter um 1 werden 312 um 1 grösser, Einer 099 29 Brücke zwischen hoher Begabung –436 unterscheiden, dann bekomme ichwerden 1 kleiner. –213 eiter: 745 die Lösung 099. chen w 198 Wir fors dies so? und exzellenter Leistung. Vortrag –547 Wenn sie sich um 2 unterschieden, dann… 099 m ist Wenn sich die Ziffern der Hunderter und Einer um 1312 Waru anlässlich der zweiten internationa- 195 8 74 unterscheiden, dann bekomme ich die Lösung 099. –213 chen w eiter: Wir fors dies so? –547 Wenn sie sich um 2 unterschieden, dann… 099 Warum ist len Salzburger Konferenz zu Bega- 198 198 Bei den Additionen werden immer zwei der Lösungen der bungsfragen und Begabungsförde- 891 Subtraktionen 198 Bei+den Additionen zusammengezählt. 0 8 9 Dannwerden stecktimmer zwei der Lösungen der in der Summe (1089) immer 11 mal 99. rung, gehalten am 3. Oktober 2000 + 891 1 Subtraktionen zusammengezählt. 1089 Dann steckt in der Summe (1089) immer 11 mal 99. in Salzburg. Wittmann, E. Ch. & Müller, G. M. Abb. 3: Gesammelte Lernspuren der Kinder zur Aufgabe «Immer 1089». (1994). Handbuch produktiver Re- chenübungen. Vom halbschriftlichen zum schriftlichen Rechnen. Band 2. 423 – 324 = 99 423 – 324 = 99 Stuttgart, Düsseldorf, Berlin, Leip- zig: Klett-Schulbuchverlag. H Z E H Z E +1 Lehrmittel mit reichhaltigen – 100 Abb. 4: Die Aufgaben – 100 + 1 = – 99 Differenzen sind Hengartner, E., Hirt, U. & Wälti, B. – 100 +1 99er-Zahlen. (2010). Lernumgebungen für Re- chenschwache bis Hochbegabte. – 100 + 1 = – 99 Natürliche Differenzierung im Mathe- Schüler*innen begleiten und Legeplättchen kann weiterführend aufge- matikunterricht. Zug: Klett und Balmer. (Zyklus 1 und 2) Während die Lernenden die Aufgabe bearbei- zeigt werden, wie der Unterschied «99» (oder ein ten, begleitet die Lehrperson mit gezielten Im- Vielfaches davon) entsteht (vgl. Abb. 4). Von der Hirt, U. & Wälti, B. (2008). Lern- pulsen: Zahl 423 zur Zahl 324 wird ein Plättchen von der umgebungen im Mathematikunter- richt. Natürliche Differenzierung für – Rechne mehrere Aufgaben. Notiere sie auf Hunderterstelle in die Einerstelle verschoben. Rechenschwache bis Hochbegabte. A5-Karten. Ordne diese nach den Zwischen- Das bedeutet: –100 + 1 = –99. Seelze-Velber: Kallmeyer. (Zyklus resultaten (Differenzen). Was entdeckst du? Die Förderung (hoch)begabter Kinder sollte in 1 und 2) Zeige, färbe, erkläre! der Regel gemeinsam mit anderen Kindern der Waasmaier, S. (2013). Mathematik – Welche Zwischenresultate (Differenzen) sind Lerngruppe erfolgen. Denn auch sie brauchen in eigenen Worten. Lernumgebungen möglich? Warum weisst du, ob du alle gefunden den fachlichen Austausch im regulären Sozial- für die Sekundarstufe I. Mit Schüler- beispielen und Kopiervorlagen. Baar: hast? Begründe! verband und üben dabei, ihre Gedanken und Klett und Balmer. – Welche Ausgangszahlen ergeben die gleichen Ideen für andere nachvollziehbar zu formulieren Wälti, B., Schütte, M. & Friesen, R. Zwischenresultate (Differenzen)? Beachte und darzustellen. «Heterogenität wird zur Chan- A. (2020). Mathematik kooperativ besonders die Einer- und Hunderterziffer. ce, wenn beim Lernen am gemeinsamen Gegen- spielen, üben, begreifen: Lernumge- – Die Zahl 99 spielt eine besondere Rolle. Verglei- stand und dem Austausch darüber unterschied- bungen für heterogene Gruppen. che und überlege! Achte insbesondere auf die liche Anspruchsniveaus und Bearbeitungswege Band 1: 3.–5. Schuljahr, Band 2: 5.–7. Schuljahr. Hannover: Kall- Zwischenresultate (Differenzen). verglichen werden» (Leuders & Prediger, 2016). meyer. – Kannst du erklären, warum es immer 1089 gibt? In diesem Sinne sollte der Erhalt und die Freude Wittmann, E. Ch., Müller, G. M. Hinweis: Untersuche jeweils die beiden Sum- am Umgang mit Zahlen, Formen und Strukturen (2017). Handbuch produktiver Re- manden der letzten Addition und vergleiche die- sowie die Stärkung der Persönlichkeitsentwick- chenübungen. Band 1. Stuttgart: se mit den Differenzen. lung aller Kinder im unterrichtlichen Zentrum Klett/Kallmeyer. (Zyklus 1, z.T. stehen (vgl. Käpnick, 2010). Denn es müsste auch Zyklus 2) Solche Impulse ermöglichen eine vertiefte Aus- eigentlich eine unterrichtliche Pflicht sein, allen Wittmann, E. Ch., Müller, G. M. einandersetzung mit der Aufgabenstellung und Lernenden eine solche Ausrichtung zu bieten. (2018). Handbuch produktiver Re- fordern alle Lernenden «passend» heraus, wobei chenübungen. Band 2. Stuttgart: Klett/Kallmeyer. (Zyklus 2, z.T. die kursiv gesetzten Impulse «erweiterten Anfor- Priska Fischer Portmann, Fachschafts auch Zyklus 1) derungen» entsprechen. Mithilfe der Stellentafel leiterin Fachdidaktik Mathematik 9
Mathematik fordert heraus und kann begeistern Selma Surbeck arbeitet als Lehrerin auf der Begriffe sind zentral, um über das mathemati- 1/2. Primarstufe in Steinhausen und Linda van sche Denken zu sprechen. Das Mathematisie- Holten als Heilpädagogin in Unterägeri. Im ren erfordert für diese Kinder besonders enge «Infonium»-Interview äussern sie sich dazu, wie Begleitung. Da bereits vor dem Schuleintritt das sie das mathematische Denken und Lernen Fundament für das mathematische Denken und ihrer Schüler*innen fördern. Lernen gelegt wird, würde ich es sehr begrüs- sen, wenn der Austausch zwischen Kindergar- Selma Surbeck, was macht für Sie guten Mathe- ten- und Unterstufenlehrpersonen noch intensi- matikunterricht aus? ver wäre. Selma Surbeck: Für mich ist guter Unterricht, Auch die überfachlichen Kompetenzen spielen wenn alle Kinder möglichst viele Lernfortschrit- in der Mathematik eine wichtige Rolle. Bei- Selma Surbeck te erzielen. Der Unterricht ist strukturiert, die spielsweise stossen die Kinder bei Knobelauf- Lernatmosphäre konstruktiv und der Umgang gaben an ihre Grenzen. Sie müssen es «aushal- miteinander wertschätzend. Ich als Lehrerin bin ten» können, dass sie etwas nicht im ersten Vorbild und selber Lernende: Ich zeige Freude Versuch schaffen, es immer wieder versuchen am Problemlösen und gebe nicht schnell auf, müssen, bis sie eine Lösung finden. mache Fehler, beziehe die Strategien der Schü- ler*innen ein und mache deutlich, dass es viele Linda van Holten, Sie unterstützen als Heilpäda- Lösungswege gibt. Im Mathematikunterricht gogin Schüler*innen der 3. bis 6. Primarklasse. finde ich darum gute Aufgaben besonders zen Bei welchen Mathematikaufgaben stehen die tral. Diese sollen so offen sein, dass jedes Kind Kinder an? angemessen gefordert und gleichzeitig ein Ler- Linda van Holten: Oftmals sind die Grundlagen nen voneinander möglich wird. wie das Einmaleins oder flexibles Kopfrechnen zu wenig gefestigt. Die Schüler*innen brauchen Und wie schaffen Sie es, Ihren Unterricht so zu zu viel Zeit und Energie, um sich auf die nötigen gestalten, dass er allen Schüler*innen gerecht weiterführenden Gedankenschritte einer Aufga- wird? be konzentrieren zu können. Ich versuche dann, Selma Surbeck: Solche Aufgaben zu finden, ist kleinschrittig zu arbeiten. Je nach Kind hilft es, für uns Lehrpersonen eine Herausforderung. die Aufgabe zu visualisieren, eine Zeichnung zu Für eine möglichst gute Passung bin ich auf die machen oder etwas zu legen. Wichtig ist mir Zusammenarbeit mit der Heilpädagogin ange- auch, dass die Kinder erklären können, was sie wiesen. Das Spannende am Unterrichten ist, sich bei ihrem Lösungsweg überlegt haben. Die- dass derselbe Input bei den Schüler*innen eine sen zu erklären, bedarf der Sprache. Dies ist andere Wirkung erzeugt. Dies bedeutet für mich aber ein weiterer Stolperstein. Am meisten als Lehrerin, mich immer wieder auf neue Situa- Schwierigkeiten entstehen erfahrungsgemäss tionen einzustellen und Neues auszuprobieren. bei Textaufgaben. Solche kann man nur lösen, Zentral finde ich zudem, dass wir überprüfen, wenn man den Text versteht. Und Probleme ob die Schüler*innen auch wirklich verstehen, können auch auftauchen, wenn im Unterricht zu wie ihr Resultat zustande gekommen ist. Es gibt schnell verschiedene Themen behandelt wer- Kinder, die das Einmaleins auswendig aufsagen den. So kann es passieren, dass einige Schü- können, ohne das Prinzip der Multiplikation be- ler*innen Inhalte miteinander vermischen, was griffen zu haben. Durch handelndes, entdecken- zu einem «Gedankenchaos» führt. des Lernen sollen die Kinder Zusammenhänge erkennen und selbst Strategien erarbeiten, wie Mathematik gilt als «schwieriges» Fach. Weshalb Mathematikaufgaben gelöst werden können. eigentlich? Begreifen und Üben müssen dazu in ein passen- Linda van Holten: Erstens glaube ich, dass dies des Gleichgewicht gebracht werden. gesellschaftlich bedingt ist und die Kinder z. T. schon zu Hause vermittelt bekommen, dass Sie unterrichten auf der 1./2. Primarstufe. Auf Mathematik anspruchsvoll sei. Dies kann dazu welche Herausforderungen treffen Sie in Ihrem führen, dass Schüler*innen nicht gleichermas- Unterricht? sen mutig und unbeschwert auf Aufgaben zuge- Selma Surbeck: Wenn den Kindern zentrale hen wie in anderen Fächern. Ein weiterer Grund Begriffe wie «mehr, weniger, dazu, weg» unbe- kann sein, dass ein Resultat entweder richtig kannt sind oder deren Bedeutung unklar ist, oder falsch ist und somit eine Bewertung sofort stellt dies eine grosse Herausforderung dar. möglich ist. Dadurch können sich die Schü- 10
ler*innen untereinander relativ einfach verglei- fen können. Für die Kooperation mit anderen chen. Wenn die Kinder sehen, dass andere Lehrpersonen bedeutet dies, dass wir nicht ein- schneller und besser sind, kann das dazu füh- fach so Lernmaterialien weitergeben können, ren, dass sie resignieren und kein Selbstver- sondern wir uns auch über die dahinterstecken- trauen mehr haben. den Überlegungen austauschen müssen. Und wie kann das Selbstwertgefühl solcher Linda van Holten, wie läuft die Zusammenarbeit Schüler*innen wieder gestärkt werden? bei Ihnen in Unterägeri? Linda van Holten: Wichtig ist, dass alle Kinder Linda van Holten: Wir tauschen uns ebenfalls Erfolgserlebnisse haben und dass sie nicht per- wöchentlich aus, besprechen die kommenden manent überfordert sind. Es muss Druck her- Themen und allfällige Stolpersteine und formu- ausgenommen werden und Vergleiche mit leis- lieren die zentralen Denkschritte zusammen Linda van Holten tungsstarken Schüler*innen müssen vermieden aus. Dies hilft uns, besser und effizienter auf werden. Ich versuche jeweils zu vermitteln, Schwierigkeiten der Schüler*innen zu reagie- dass Mathematik auch lustig sein kann. Mir ist ren. Wichtig finde ich auch, dass wir als «Grup- es wichtig, dass die Kinder wissen, dass sie pe um das Kind» dieselben Begriffe verwenden Fehler machen dürfen und es für mich kein Pro- und ein möglichst weitgehend gemeinsames blem ist, eine Aufgabe auch fünfmal zu erklä- Verständnis von Mathematiklehren und -lernen ren. Eine grosse Rolle spielt auch das Zwischen- entwickeln. Ein professionell gestalteter, päda- menschliche: Wenn die Schüler*innen sich gogischer Austausch ist zwingende Vorausset- geborgen und verstanden fühlen, lernen sie zung dafür und eine langjährige Zusammen- besser. arbeit kann deshalb von Vorteil sein. Selma Surbeck, Sie arbeiten in Steinhausen mit Sie haben sich für das CAS Mathematisches Ler- einer Schulischen Heilpädagogin zusammen. nen in der Sackgasse (MaLe) der PH Zug ange- Welche Erfahrungen haben Sie gesammelt? meldet. Was ist Ihre Motivation, dieses CAS zu Selma Surbeck: Unser Unterrichtsteam, be- absolvieren? stehend aus zwei Lehrpersonen und einer Heil- Linda van Holten: Ich möchte mir ein grösseres pädagogin, arbeitet sehr eng zusammen. Wir methodisches Repertoire aneignen, damit ich machen jeweils von Ferien zu Ferien gemein- möglichst viele unterschiedliche Möglichkeiten sam die Grobplanung. In unseren wöchentli- kenne, wie ich die Schüler*innen bei auftau- chen Sitzungen tauschen die SHP und ich unse- chenden Lernschwierigkeiten unterstützen re Beobachtungen aus, setzen Schwerpunkte kann. Ebenfalls erhoffe ich mir einen fruchtba- und machen die Feinplanung. Wir sind bestrebt, ren Austausch mit Kindergarten- und Primar- bei unseren Überlegungen alle Kinder zu be- lehrpersonen und anderen Schulischen Heilpä- rücksichtigen, und planen sowohl Settings für dagog*innen. Ich finde es wichtig zu wissen, Kinder mit Defiziten als auch für jene mit hohen was in den anderen Stufen läuft, damit ich den Fähigkeiten in der Mathematik. Je länger ich als Bogen über das grosse Ganze spannen kann. Lehrerin arbeite, desto wichtiger finde ich eine theoriegeleitete Auseinandersetzung, damit wir Die Fragen stellte Luc Ulmer, Leiter fachdidaktisch begründete Entscheidungen tref- Kommunikation & Marketing. 11
Zahlbeziehungen nutzen – flexibel rechnen Miriam Frick hat für ihre Bachelorarbeit Kindern deten für alle Aufgaben dieselbe Strategie, an- über die Schulter geschaut und versucht, ihre dere gingen auf Aufgabenmerkmale ein und Rechenwege nachzuvollziehen. setzten je nach Aufgabe unterschiedliche Re- chenwege ein. «Kinder rechnen anders. […] anders, als wir es selbst rechnen, als wir es vermuten, als andere Interessanterweise kamen Lernende mit guten Kinder und als eben noch bei ‹derselben› Auf- bis sehr guten Mathematiknoten zwar auf eine gabe» (Selter & Spiegel, 1997, S. 10). Wer ver- geringere Fehlerquote als Lernende mit genü- sucht, die «flexiblen» Rechenwege von Kindern genden Noten, doch rechneten sie nicht unbe- nachzuvollziehen, erhält Einblicke in eine span- dingt flexibler. Im Unterricht sollten daher Re- nende Gedankenwelt. Doch was wird unter fle- chenstrategien und das Erkennen von Zahl- und xiblem Rechnen überhaupt verstanden? Flexible Aufgabenmerkmalen auch mit den stärkeren Rechner*innen verwenden nicht blind ihre ge- Lernenden geübt werden. Nicht überraschend wohnte Strategie, sondern passen ihren Re- hingegen ist, dass bei Lernenden mit ungenü- chenweg den Zahl- und Aufgabenmerkmalen genden Mathematiknoten kaum flexible Re- an. Der Rechenweg von Nino kann beispielswei- chenwege erkannt werden konnten. Vielmehr se als flexibel bezeichnet werden, weil klar wird, wurde hier z. T. eine fehlende Grundvorstellung dass er ein spezifisches Aufgabenmerkmal er- der Subtraktion festgestellt. Bei Milena wird kannt hat (Nähe zum Hunderter) und dies ge- dies durch die mehrmalige Verdrehung von Sub- schickt ausnutzt (Abb. 1). trahenden und Minuenden sichtbar (Abb. 2). Aus dem breit gefassten Gebiet «flexibles Rech- nen» kristallisierten sich für die Bachelorarbeit «Zahlbeziehungen nutzen – flexibel rechnen. Eine empirische Arbeit zur Strategienutzung beim halbschriftlichen Subtrahieren» folgende Frage- stellungen heraus: Welche Strategien nutzen Schüler*innen der 6. Klasse bei Subtraktionsauf- gaben im 1000er-Raum? Wie unterscheidet sich Abb. 1: Den die Strategiewahl von schwächeren und stärke- Rechenweg den ren Schüler*innen? Konsequenzen für den Un- Abb. 2: Verdrehung von Subtrahenden und Minuenden. Zahl- und Auf- gabenmerkma- terricht: Wie können Lernende darin unterstützt len anpassen. werden, flexibel zu rechnen? Die Voraussetzung für flexibles Rechnen ist ein gesichertes Zahl- und Operationsverständnis. Schüler*innen sollen genug Raum haben, selbstständig Rechenwege auszuprobieren, die- se mit anderen Lernenden zu vergleichen und zu diskutieren und andere Rechenwege nachzu- vollziehen. Eine gesunde Fehlerkultur und ein echtes Interesse der Lehrperson nicht nur für das Resultat, sondern vor allem auch für den Viele Wege führen zum richtigen Resultat Rechenweg und die Überlegungen der Kinder Ein Test und einzelne Interviews in einer sind hilfreich. Alles mit dem Ziel, die Lernenden 6. Klasse gaben Aufschluss zu den genannten auf ihrem Weg zu flexiblen Rechner*innen zu Fragestellungen. Die Auswertung ergab folgen- begleiten. de Ergebnisse: Zur selben Subtraktionsaufgabe wurden von Miriam Frick den Lernenden jeweils verschiedene Rechen- wege gewählt. Vielfach konnten «geschickte» Die Autorin hat ihr Studium an der PH Zug im Literatur Rechenwege erkannt werden (Hilfsaufgabe, Ver- Sommer 2021 erfolgreich abgeschlossen. Ihre Selter, C. & Spiegel, H. (1997). einfachen, Ergänzen). Bachelorarbeit wurde von Priska Fischer Port- Wie Kinder rechnen. Leipzig: Klett Verlag. Die Schüler*innen haben auch unterschiedlich mann, Fachschaftsleiterin Fachdidaktik Mathe- flexibel gerechnet. Gewisse Lernende verwen- matik, betreut. 12
Formative Feedbacks zum mathematischen Argumentieren aus fachdidaktischer Sicht Im Rahmen der SNF-Studie FEMAR wurden nen sind 15-mal mehr als 2 Personen, also Übungslektionen zum mathematischen Argumen- brauchen sie auch 15-mal mehr, nämlich tieren in 5. und 6. Klassen videografiert. Die Ana- 2 kg 625 g. lyse soll aufzeigen, wie Lehrpersonen die Schü- Strategie 2: Nein, das stimmt nicht! Für ler*innen im Lernprozess zum mathematischen 4 Personen braucht es 350 g Nüsse, also Argumentieren unterstützen. braucht es für 40 Personen 3 kg 500 g. Dies ist weniger als 10 kg. Für 30 Personen Beispiel: Kuchenaufgabe braucht es noch weniger. Gemäss einem Kuchenrezept für 4 Personen Andere, hier nicht angeführte Lösungsstrate- braucht es 350 g gemahlene Nüsse. Für 30 Per- gien würden zu weiteren Argumenten führen. sonen bräuchte man 10 kg Nüsse, um die Ku- – Bereich 4: Bilder, Beispiele, Tabellen und an- chen zu backen. Stimmt das? Begründe. dere Anschauungsmittel: Zur Darstellung der Proportionalität wurde in den Beispielen eine Der mathematische Argumentationsprozess Tabelle gewählt. fordert die Schüler*innen in allen Handlungs- aspekten des Fachbereichslehrplans Mathema- Das Argumentieren stellt für die Schüler*innen tik heraus (vgl. Lehrplan 21): Die Sachsituation eine grosse Herausforderung dar. Insbesondere «Kuchen backen» soll in ein mathematisches die anspruchsvolle Spracharbeit ist einfacher Modell (z. B. in die Proportionalität) überführt zu leisten, wenn sie sich z. B. auf eine Tabelle bzw. mit mathematischen Begriffen und Symbo- beziehen können. Bilder, Beispiele oder Tabel- len beschrieben, sinnvoll dargestellt, erforscht len erleichtern auch der Lehrperson die Unter- und berechnet werden. Das mathematische Tun stützung des Argumentationsprozesses. führt zu Erkenntnissen, welche die Schüler*in- nen zum Argumentieren nutzen. Letztere lassen Warum-Frage steht im Zentrum sich kombinieren mit verschiedenen Darstel- Die Videoanalyse wird Aufschluss darüber ge- lungsmitteln wie Tabellen, Pfeilen, Farben und ben, in welchem der vier Bereiche des Argu- Kurzkommentaren. mentationsprozesses die Schüler*innen von den Lehrpersonen unterstützt werden, wie die Die Analyse der formativen Feedbacks der Lehr- Feedbacks formuliert sind und ob diese Auswir- person zu den Argumentationsprozessen be- kungen auf die Leistung der Lernenden haben. zieht sich auf vier Teilbereiche: Das Ziel der Analysen – Bereich 1: Aufgaben- und Fragestellung ver- besteht darin, die Unter- stehen und in Operationen zur Sachsituation scheidung zwischen übersetzen. Das bedeutet in der Kuchenauf- Feedbacks aufzuzeigen, gabe: Proportionalität zwischen der Anzahl die sich auf das Finden Personen und den gemahlenen Nüssen her- der Operation (Be- stellen. reich 1) und das Operie- – Bereich 2: Operieren und Benennen ren (Bereich 2) bezie- Strategie 1: hen, und solchen, die in Nüsse 175 g 350 g 2625 g Verbindung mit dem ei- gentlichen Argumentie- Personen 2 4 30 ren (Bereich 3) stehen. Operation 350 g : 2 175 g × 15 Der Bereich 1 kann als Strategie 2: wichtige Voraussetzung 350 g oder Vorleistung gesehen werden und der Be- Nüsse 3500 g FEMAR reich 4 als hilfreiches Instrument. Es wird ver- Personen 4 40 Das Projekt FEMAR – Formatives mutet, dass viel Feedback zum ersten und zwei- Operation 350 g × 10 Feedback zum mathematischen ten Bereich gegeben wird. Künftig soll im Argumentieren – ist ein Koopera- Es wären noch andere Lösungsstrategien Unterricht zum mathematischen Argumentieren tionsprojekt der PH Zug und der möglich. die Warum-Frage bzw. das Denken und Verste- PH St. Gallen. Die vom Schweizeri- schen Nationalfonds (SNF) unter- hen der Schüler*innen (Bereich 3) im Zentrum stützte Studie hat eine Laufzeit – Bereich 3: mathematisches Argumentieren stehen. von August 2018 bis April 2022. Strategie 1: Nein, das stimmt nicht! Für Mehr Infos: madel.phzg.ch > 4 Personen braucht es 350 g Nüsse, also Heidi Dober, Wissenschaftliche Professur Madel > FEMAR braucht es für 2 Personen 175 g. 30 Perso- Mitarbeiterin Projekt FEMAR 13
Das Einmaleins intelligent lehren und lernen Barbara Hohl-Krähenbühl ist Dozentin Fachdidak- einfach mit Verdoppeln von 2 × 7 hergeleitet Dissertationsstudie tik Mathematik an der PH Zug sowie Doktorandin werden kann, ja, dass eigentlich alle 4mal-Auf- zum Einmaleins an der ETH Zürich. In ihrer Dissertation unter- gaben mit der entsprechenden 2mal-Aufgabe Barbara Hohl-Krähenbühl geht in sucht sie, wie das Einmaleins auf der Primarstufe verwandt sind. Somit müssen Kinder nicht jede ihrer Dissertation am Lehrstuhl für Lehr- und Lernforschung von Prof. unterrichtet werden soll. Einmaleinsaufgabe einzeln in ihrem Kopf ab- Dr. Elsbeth Stern an der ETH Zürich speichern oder mühsam durch wiederholtes der Frage nach, wie der Aufbau von Das Einmaleins zählt weltweit zum zentralen Addieren (6 + 6 + 6 + 6 für 4 × 6) berechnen, intelligentem Wissen im Einmaleins Bestandteil des Mathematikunterrichts an Pri- sondern können diese schnell mit Hilfe der er- unterstützt werden kann. Das Dis- sertationsprojekt wird vom Rekto- marschulen. Dennoch weiss man aus empiri- kannten Verwandtschaften herleiten. ratsfonds der PH Zug und der Aebli- scher Sicht noch sehr wenig darüber, wie das Drittens ist intelligentes Wissen in Teilen proze- Näf-Stiftung unterstützt. Einmaleins genau gelehrt und gelernt werden duralisiert resp. automatisiert (vgl. ebd.). Bezo- Das Projekt wurde in der Vorstudie sollte. Klar ist heute, dass der Aufbau von intel- gen auf das Einmaleins heisst das, dass zentra- mit 11 Schulklassen und in der ligentem respektive tragfähigem Wissen im Fo- le Aufgaben (z. B. 5mal-Aufgaben) und Hauptstudie mit 15 Schulklassen kus stehen muss (vgl. Stern, 2011; Stern & Lösungswege (12mal mit der jeweiligen 10mal- durchgeführt. Lehrer*innen von Schumacher, 2004). Doch wie kann der Aufbau Aufgabe herleiten) irgendwann ohne grosse An- folgenden Primarschulen haben das Projekt mit ihrer Teilnahme unter- von intelligentem Wissen im Einmaleins genau strengung abgerufen werden können. stützt: Affoltern a. A., Auw, Berikon, unterstützt werden? Und viertens ist intelligentes Wissen vernetzt Bünzen, Jonen, Lenzburg, Meren- und umfasst zentrale Begriffe und Konzepte schwand, Muri/Kloster, Muri/Röss- Wann ist Wissen im Einmaleins intelligent? (vgl. ebd.). Kinder sollten also Beziehungen zwi- limatt, Niederwil, Oberentfelden, Sarmenstorf, Seon, Sins, Steinhau- Grundsätzlich ist Wissen intelligent, wenn Ler- schen den Malaufgaben herstellen können, wie sen, Tägerig, Wohlen/Junkholz und nende es erstens zur Bewältigung von Aufgaben beispielsweise in der Lernumgebung «Netze Wohlen/Halde. heranziehen können, zu deren Lösung sie bisher knüpfen» von Keller & Noelle (2006) angeregt Herzlichen Dank! kein Rezept von aussen erhalten haben. Wenn (vgl. Abb. 1). ein Kind 9 × 7 schnell abrufen kann, es sich je- Zentrale Konzepte des Einmaleins, in welche die doch überhaupt nicht vorstellen kann, dass Kinder Einsicht erhalten sollten, umfassen das 10 × 7 eine benachbarte Aufgabe ist, dann hat Kommutativgesetz, das Distributivgesetz oder es wohl eher träges und unflexibles Wissen er- das Assoziativgesetz. Es ist jedoch keinesfalls worben. Ziel im Unterricht zum Einmaleins darf gemeint, dass Primarschulkinder unverstande- darum nicht das Lernen von reinen Assoziatio- ne Formeln pauken sollen wie z. B. 9 × 8 + 1 × 8 nen sein (9 × 7 = 63, 8 × 7 = 56 etc.), viel eher = (9+1) × 8 oder Begriffe wie «Distributivgesetz» müssen die Kinder und Jugendlichen bei ihrer nutzen müssen. Vielmehr wird ein verstehens eigenen (Re-)Konstruktion von intelligentem orientiertes und kindgemässes Lernen fokus- Wissen unterstützt werden (vgl. Stern, 2021. S. siert, das den nachhaltigen Wissensaufbau un- Abb. 1: Inner- halb der Lern- 24 ff.). terstützt. umgebung «Net- Ein solches Wissen ist so organisiert, dass zwei- ze knüpfen» tens damit Informationen gezielt gebündelt wer- Verstehendes Lernen des Distributivgesetzes erkennen Kinder den können (Chunking). Dies hilft den Kindern, bereits mit Zweitklässlern? verschiedene Beziehungen schneller zu denken (vgl. ebd.). Im Einmaleins Ein bisschen salopp gesagt, haben Kinder der im Einmaleins. sollten Kinder also erkennen, dass 4 × 7 ganz Primarschulstufe Einsichten in das Distributiv- gesetz, wenn sie beispielsweise wissen, dass man Malaufgaben additiv zerlegen kann (10 × 8 kann ich in 9 × 8 und 1 × 8 zerlegen). Hinter vie- len Rechenstrategien im Einmaleins steckt das Distributivgesetz. In einer Vorstudie (F&E-Projekt «Mathematische Muster» mit lokalen Schulpartnern der PH Zug) kam zum Vorschein, dass einige Kinder wenig Kenntnisse vom Distributivgesetz hatten – selbst, wenn sie bereits zentrale Rechenstrate- gien im Einmaleins nutzten (z. B. 9 × 8 rechne ich mithilfe von 10 × 8. Also 80 – 8 = 72). Diese Erkenntnis zeigt sich auch bei Steinweg (2013, S. 142 ff.). Aus diesem Grunde wurde auf Basis aktueller Erkenntnisse zum lernwirksamen Un- terricht eine Intervention entwickelt, die noch 14
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