OKTOBER BIS 26. NOVEMBER 2020 RECYCLED CINEMA - LEBEN IN BILDERN 20 Jahre dok.at Duisburger Filmwoche zu Gast - Österreichisches ...
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22. OKTOBER BIS 26. NOVEMBER 2020 RECYCLED CINEMA LEBEN IN BILDERN 20 Jahre dok.at ANSPRUCH EINSPRUCH Duisburger Filmwoche zu Gast www.filmmuseum.at
Willkommen im Österreichischen Filmmuseum Das Österreichische Filmmuseum widmet sich seit 1964 der Samm- lung, Bewahrung, Erforschung und Vermittlung des Mediums Film in all seinen Aspekten. Das beinhaltet ganz zentral die Ausstellung und Vermittlung von Film – als Kunstform, Kulturtechnik und Zeitdokument – in unserem Kinosaal, dem »Unsichtbaren Kino« in der Albertina. Wir zeigen Werke aus der Geschichte des Films grundsätzlich im jeweiligen Originalformat und in den weltweit bestmöglich erhalte- nen Filmkopien (35mm bzw. 16mm). Werke, die ursprünglich auf Video bzw. digital hergestellt oder präsentiert wurden, werden digi- tal projiziert. In seltenen Fällen präsentieren wir auf Film hergestellte Werke digital: Dies geschieht jeweils aus kuratorischen oder konser- vatorischen Gründen und wird speziell ausgewiesen. Filme werden bei uns grundsätzlich in ihrer originalen Sprach- fassung gezeigt und gegebenenfalls untertitelt. Für unsere inter- nationalen Gäste weisen wir Vorführungen in englischer Sprache bzw. Untertitelfassung gesondert aus. Screenings in English or with English subtitles are marked with this symbol ★ INHALT Allgemeine Informationen 2 Recycled Cinema 3 Viennale im Filmmuseum 29 Anspruch Einspruch. Duisburger Filmwoche im Filmmuseum 43 Den Wortschatz des Widerstands entwickeln. Symposium und Filme 45 Leben in Bildern. Kinoreal Spezial: 20 Jahre dok.at 46 Meine Reisen durch den Film. Buchpräsentation und Vortrag Harry Tomicek 51 Zyklisches Programm. Was ist Film 15–21 52 Schule im Kino 55 Spielplan. Alle Filme von 22. Oktober bis 26. November 2020 56 Informationen. Viennale im Filmmuseum 61 Dank/Impressum 62 Innerhalb eines Themas sind die Filme in der Reihenfolge ihrer Programmierung geordnet.
ALLGEMEINE INFORMATIONEN Häufig gestellte Fragen zu den Corona-Maßnahmen finden Sie hier: www.filmmuseum.at/besuch/covid-19_massnahmen_faq SPIELORT/VEREINSSITZ 1010 Wien, Augustinerstraße 1 TICKETS Kassaöffnungszeiten: Montag bis Freitag ab 15 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen geöffnet ab einer Stunde vor Beginn der ersten Vorführung. Bei großem Andrang werden ab 30 Minuten vor Beginn nur mehr Karten für die unmittelbar bevorstehende Vorführung verkauft. Einzelkarte für Mitglieder sowie Kinder und Jugendliche bis 18: 6 Euro Ermäßigung für Studierende mit Mitgliedschaft: 5 Euro bzw. 3 Euro für regelmäßige Programme (Was ist Film, Treibgut, Kinoreal) Zehnerblock (für Mitglieder): 45 Euro Einzelkarte inklusive Gastmitgliedschaft: 10,50 Euro Herbstmitgliedschaft: 8,50 Euro Herbstpartnermitgliedschaft: 14,00 Euro Informationen zur Fördernden Mitgliedschaft auf Seite 62 und auf unserer Website www.filmmuseum.at RESERVIERUNGEN T +43/1/533 70 54 oder www.filmmuseum.at. Reservierte Karten müssen spätestens 30 Minuten vor Beginn der jeweiligen Vorstellung abgeholt werden. BÜRO/BIBLIOTHEK 1010 Wien, Hanuschgasse 3, Stiege 2, 1. Stock Bibliothek: Benutzung nur mit Voranmeldung: e.streit@filmmuseum.at; Katalog online unter: https://www.filmmuseum.at/bibliothek/online-recherche Büro: Mo bis Do 10–18 Uhr, Fr 10–13 Uhr, T 01/533 70 54, E-Mail office@filmmuseum.at SAMMLUNGEN 1190 Wien, Heiligenstädter Straße 175 (Hof), T 01/533 70 54 -232 FILMBAR IM FILMMUSEUM Täglich von 12 bis 23 Uhr ABKÜRZUNGEN R Regie B Drehbuch K Kamera S Schnitt M Musik D Darsteller E Erzählstimmen UT Untertitel ZT Zwischentitel OF Originalfassung OmeU Originalfassung mit englischen UT Omspan/eU Originalfassung mit spanischen und englischen UT • Veranstaltungen mit Gästen oder Einführungen ★ Screenings in English or with English subtitles TEXTE VON Alejandro Bachmann, Brigitta Burger-Utzer, Stefan Grissemann, Eve Heller, Christoph Huber, Jurij Meden, Olaf Möller, Drehli Robnik; Patrick Holzapfel, Barbara Kronsfoth, Maria Marchetta, Thomas Mießgang, Lars Penning, Claus Philipp, Bert Rebhandl, Barbara Schweizerhof, Alexandra Seitz, Robert Weixlbaumer OKTOBER/NOVEMBER 2020 2
23. OKTOBER BIS 26. NOVEMBER 2020 Recycled Cinema Die Beziehung zwischen Found-Footage-Filmen – also Werken, Velikiy put die bereits existierendes Filmmaterial wiederverwenden – und der (1927, Esfir Shub) Idee der Erhaltung des Filmerbes, wie sie von Filmmuseen und Film- archiven praktiziert wird, ist eine spezielle. Denn im Gegensatz zu an- deren Formen des Filmemachens, die »aus sich selbst« entstanden sind und dann von Filmarchiven erhalten wurden, entstand eine Tra- dition der Found-Footage-Arbeit erst, nachdem Archive genügend Filmmaterial gesammelt hatten, sodass die Neugier der Künstler*in- nen geweckt werden konnte. Wohl deshalb sind viele der frühen Found-Footage-Filme vom offensichtlichen Bestreben gekennzeichnet, das Material bestimmter Filmsammlungen zu organisieren, zu verdichten oder zu interpretie- ren. Drei der ältesten Filme in unserer Retrospektive sind Musterbei- OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 3
spiele dafür: Crossing the Great Sagrada (Adrian Brunel, 1924) ver- sucht sich bereits an einer parodistischen Draufgabe, in Velikiy put (Esfir Shub, 1927) entspricht die (Um-)Strukturierung von Archivma- terial der (Re-)Konstruktion von nationaler Geschichte, und Le cinéma au service de l’histoire (Germaine Dulac, 1935) spiegelt mittels gefun- denem Material die Vielschichtigkeit einer Epoche. Found-Footage-Filmemachen lässt sich auch in eine ökologische Traditionslinie von Kunst und Ethik einordnen. Recycled Cinema ist also mehr als eine poetische Zuschreibung. Found-Footage-Filme- macher*innen hauchen bereits existierendem Bildmaterial neues Leben ein statt unsere Welt mit weiteren selbstgemachten Bildern zu übersäen. In diesem ungewöhnlich maßvollen Bereich der Kinemato- grafie sei eine Unterkategorie hervorgehoben: Filmemacher*innen, die buchstäblich zu arm und nicht entsprechend ausgestattet waren, um sich ihre eigenen Bilder leisten zu können (paradigmatisch reprä- sentiert vom kubanischen Meister Santiago Álvarez) und ihre Kreati- vität (oder politische Wut) nur durch die Bearbeitung von Fremd- material ausdrücken konnten – ein überzeugendes Argument für die Kunst des Found-Footage-Filmemachens als Arte povera. Die große Zahl von Künstler*innen, die ihre ganze Laufbahn dem Found-Footage-Film gewidmet haben, zeugt von der Vielfalt des Genres, seinem dauerhaften Einfluss und der bleibenden Wirkung. Zu den prägenden Aspekten zählen nicht nur die oben angeführten ethischen und politischen Impulse der Arbeit mit gefundenem Mate- rial, um Diskurse umzudeuten, Identitäten herauszuforden und Ge- schichte neu zu schreiben, wie es etwa beispielhaft in den Arbeiten von Philippe Mora (Swastika, 1973), Harun Farocki und Andrej Ujică (Videogramme einer Revolution, 1992) oder Johan Grimonprez (Dial H-I-S-T-O-R-Y, 1997) geschieht. Zudem gibt es das Versprechen einer allgemein zugänglichen und demokratischen Kunstform, die unab- hängiges Filmemachen unterstützt. Und nicht zuletzt bietet die Found-Footage-Praxis ein Universum ästhetischer Möglichkeiten: eine Poetik, durch die der Utilitarismus und die Banalität eines indus- triellen Mediums transformiert werden. Aus Abfall wird Kunst: das Markenzeichen von so unterschiedlichen Filmemacher*innen wie Peter Tscherkassky, Peggy Ahwesh, Cécile Fontaine oder Bruce Conner. Zwei Grundprinzipien dienten als Basis für den kuratorischen Zu- gang dieser Retrospektive: einerseits durch eine attraktive und zum Nachdenken anregende Auswahl einige Schlüsselpositionen dieses OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 4
reichen Felds abzustecken und andererseits unterschiedliche Aus- DIAL H-I-S-T-O-R-Y © JOHAN GRIMONPREZ COURTESY ARGOS, CENTRE FOR AUDIOVISUAL ARTS, BRUSSELS Dial prägungen dieser Praxis vorurteilslos zusammenzubringen – kom- H-I-S-T-O-R-Y (1997, Johan merzielle Produkte und Undergroundkino, Populäres und Obskures, Grimonprez), Industrie und Kunst, Lang- und Kurzfilme, Fiktion und Dokument. Swastika Found Footage haben wir dabei als Oberbegriff verstanden, der (1973, Philippe Mora) andere Bezeichnungen für dieselbe Vorgangsweise inkludiert (wie Collage- oder Kompilationsfilm). Außerdem haben wir Werke ausge- wählt, die starke künstlerische Impulse setzen – sei es in Bezug auf konventionelles Erzählen, auf die Unterhaltungsindustrie, die Darstel- lung von Diskriminerung, die Brutalität der politischen Macht, den Rhythmus und die Schönheit von ephemeren Filmen sowie von Werbung und Wochenschauen: Man könnte es auch angewandte Film- und Medienkritik nennen. In dieser Hinsicht ist Found-Footage-Filmemachen zugleich eine höchst individuelle und ganz allgemeine Methode. Es ist zutiefst in den Grundelementen des Filmmediums als reproduktive Kunst ver- wurzelt: dem Filmstreifen selbst und dem, was Annette Michelson »die berauschenden Freuden des Schneidetisches« genannt hat. Die große Umwälzung vom analogen, fotochemischen zum digitalen Filmemachen hat seine Kraft und Faszination nicht beeinträchtigt, die kontinuierliche Weiterentwicklung mit digitalen Methoden wird durch die schiere Menge an Arbeiten aus den letzten beiden Deka- den belegt. Nichtsdestotrotz leben wir in einer Ära der dauernden Stö- rung(en): eigentlich ideal für die Found-Footage-Vorgangsweise, wo Filmkünstler*innen gewohnte Zusammenhänge und Plausibilitäten im Namen der künstlerischen Aneignung attackieren und ausein- andernehmen. Inmitten einer globalen Pandemie, die weltweit zur OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 5
Unterbrechung der Filmproduktion geführt und demonstriert hat, wie sehr unsere Gesellschaft nach frischen Waren und neuen Produk- ten giert (und von ihnen abhängig ist), mag eine Retrospektive Trost spenden, die sich dem Recycling von Filmen widmet – aus der Fülle von filmischem Abfall, der in Archiven, Rumpelkammern oder den Weiten des World Wide Web zu finden ist. Wenn es aus der COVID-Krise noch etwas zu lernen gibt, dann Spaced Oddities über die komplexen Beziehungen zwischen dem Globalen und dem (2004, Cécile Lokalen. Das gilt auch für die heurige Retrospektive von Viennale und Fontaine) Filmmuseum: Sie feiert sowohl den globa- len Charakter der Found-Footage-Tradition wie auch ihre starke lokale Verankerung in der Wiener Kunst- und Filmszene. Gefeiert wird damit auch die herausragende kurato- rische und unternehmerische Leistung des heimischen Filmverleihs sixpackfilm, der vor dreißig Jahren aus einer Filmschau ge- boren wurde, die sich exakt demselben Thema widmete: Found-Footage-Kino. (Brigitta Burger-Utzer, Michael Loeben- stein, Jurij Meden) Eine gemeinsame Retrospektive der Viennale und des Österreichischen Filmmuseums in Zusammenarbeit mit sixpackfilm. Während der Viennale im Filmmuseum von 23. Oktober bis 1. November gelten gesonderte Ticketregelungen (siehe Seite 61). LIGHT CONE OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 6
HyperNormalisation Ein Film von Adam Curtis. GB, 2016, DCP, Farbe, 166 min. Englisch ★ Das Magnum Opus des britischen Filmessayisten und Agitators Adam FREITAG Curtis. Ihm geht es um das Offenlegen geheimer Machtstrukturen, 23.10. / 11.00 indem er intelligente, manchmal sogar unerhörte Verbindungen zwi- schen audiovisuellen Beweisstücken herstellt. Für HyperNormalisa- SONNTAG tion greift Curtis auf die Theorien des Anthropologen Alexei Yurchak 15.11. / 21.00 zurück, der mit dem titelgebenden Begriff das Leben in der Sowjet- union beschrieb: als eine Gesellschaft, die um ihr Scheitern wusste, aber die Illusion aufrecht erhielt, dass alles funktionierte. Curtis über- trägt diese Selbsttäuschung auf die westliche Hemisphäre und das kapitalistische System: Sein bestürzendes Porträt einer sedierten Gesellschaft lässt sowohl The Matrix als auch Debords La Société du spectacle unverhältnismäßig optimistisch aussehen. (J.M.) »A PERFECT BODY IS AN EMBARRASSING BODY« Do we need to have an accident? Sabine Marte. AT, 2011, DCP, Farbe, 3 min (Abb. →) Something Else Kevin Jerome Everson. US, 2007, DCP, Farbe, 2 min Lezzieflick Nana Swiczinsky. AT, 2008, DCP, Farbe, 7 min The Giverny Document (Single Channel) Ja’Tovia Gary. US/FR, 2019, DCP, Farbe und sw, 40 min Swallow Elisabeth Subrin. US, 1995, DCP, sw, 28 min Cause of Death Jyoti Mistry. ZA/AT, 2020, DCP, Farbe und sw, 20 min Found Footage und die Repräsentation des weiblichen Körpers. Der FREITAG Programmtitel verdankt sich einem Zitat von Jean-Luc Nancy aus 23.10. / 18.30 Sabine Martes Re-Montage von Hollywoodfilmen zu surrealen Erzäh- lungen. Andere Zugänge verfolgen Kevin Jerome Everson (ein Origi- MITTWOCH nalinterview spricht für sich), Nana Swiczinsky (die Morphing-Dekon- 18.11. / 18.30 struktion simulierter lesbischer Erotik aus Heteropornos), Ja’Tovia Gary (eine Reflexion über schwarze Frauenkörper in öffentlichen Räumen und auf Bühnen), Elisabeth Subrin (Essstörungen und Zu- sammenbruch) sowie Jyoti Mistry (die Gewalt gegen Frauen mit einer Sprach-Performance Napo Masheanes anklagt). (B.B.U.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 7
FILME VON PHIL SOLOMON Remains to Be Seen US, 1989/1994, 16mm, Farbe, 17 min Twilight Psalm II: Walking Distance US, 1999, 16mm, Farbe, 23 min The Emblazoned Apparitions US, 2013, DCP, Farbe, 6 min Rehearsals for Retirement US, 2007, DCP, Farbe, 12 min Last Days In a Lonely Place US, 2008, DCP, sw, 22 min Twilight Psalm IV: Valley of the Shadow US, 2013, DCP, Farbe, 8 min Der zu früh verstorbene Filmkünstler Phil Solomon (1952–2019) be- SAMSTAG zeichnete sich selbst als »inversiven Archäologen«, der – jiddisch – 24.10. / 11.00 Schmutz auf gefundene Filmartefakte werfe, um ihnen ihr Vertrautes • Einführung zu rauben und eine Balance zwischen Figuration und Abstraktion zu von Eve Heller erzeugen. Remains To Be Seen verschmilzt chemisch behandeltes Super 8 und medizinische Filme, um einen fragilen Bewusstseinszu- FREITAG stand zu evozieren. Mit Rehearsals for Retirement und Last Days In a 13.11. / 18.30 Lonely Place betrat Solomon die digitale Bildwelt, indem er ein melan- cholisches Simulacrum des Computerspiels Grand Theft Auto schuf, das die apokalyptische Gestimmtheit unserer Zeit einfängt. (E.H.) Ascent Ein Film von Fiona Tan S: Nathalie Alonso Casale M: Leo Anemaet E: Hiroki Hasegawa, Fiona Tan. NL/JP, 2016, DCP, Farbe, 80 min. Englisch und Japanisch mit engl. UT ★ Kaum ein Naturdenkmal wurde öfter gemalt und fotografiert als SAMSTAG Japans heiliger Berg, der Fuji. Fiona Tan hat über 600 Fotografien dieses 24.10. / 21.00 Vulkans als visuelles Material für ihren Essayfilm ausgesucht und eine fiktionale Erzählung darübergelegt. Die englische Schriftstellerin und MONTAG Übersetzerin Mary erhält ein Paket mit Fotos und Notizbüchern des 23.11. / 18.30 einige Jahre davor verstorbenen japanischen Fotografen Hiroshi. Die- ser beschreibt seinen beschwerlichen Fuji-Aufstieg gemeinsam mit einer endlos wirkenden Schlange anderer Pilger*innen. Neben priva- ten Gedanken über den fernen Tod des Geliebten breitet sich ein Mosaik von Reflexionen aus: über den Fuji als mystisches Symbol; über die Bedeutung der Kirschblüte; über das Erinnern und Trauern und über das Verhältnis von Fotografie und Film. Behutsam bringt uns Fiona Tan die fremde Kultur der Japaner*innen und ihrer öst- lichen Weisheiten näher: »Falling is the essence of a flower.« (B.B.U.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 8
Ascent Swastika Ein Film von Philippe Mora D: Philippe Mora, Lutz Becker S: Andrew Patterson. GB, 1973, 35mm, Farbe und sw, 93 min. Deutsch In den 1970ern stolperte der australische Regisseur Philippe Mora SONNTAG über eine Entdeckung: Eva Brauns Home Movies mit ihrem geliebten 25.10. / 11.00 Adolf, auf 16mm-Farbfilmmaterial gedreht, waren von der US-Armee konfisziert worden und lagen seit einem Vierteljahrhundert unbe- MONTAG merkt im Pentagon. Mora kombinierte dieses Material mit deutschen 9.11. / 21.00 Wochenschauen und Propagandafilmen der 1930er und 1940er, um einen konzeptuellen Kompilationsfilm über den Nationalsozialismus Courtesy of zu erstellen, wobei er auf Off-Kommentar verzichtete, aber seine Mon- Imperial War Museum tagefolgen mit bombastischem Wagner und lieblichem Beethoven unterlegte. Die Cannes-Premiere des Films endete in einem Tumult: Indem er Hitler nicht als das personifizierte Böse zeigte, sondern durch »Alltagsbilder« entzauberte, sorgte Mora für einen Tabubruch – Swastika war seiner Zeit voraus. In Deutschland konnte der Film erst 2009 gezeigt werden. (J.M.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 9
FILME VON CÉCILE FONTAINE Home Movie FR, 1986, 16mm, Farbe, 5 min Overeating FR, 1984, 16mm, Farbe, 3 min Almaba FR, 1988, 16mm, Farbe, 8 min Cruises FR, 1989, 16mm, Farbe, 10 min (Abb. →) Japon Series FR, 1991, 16mm, Farbe, 7 min La pêche miraculeuse (Der wunderbare Fischfang) FR, 1995, 16mm, Farbe, 10 min Spaced Oddities FR, 2004, 16mm, sw, 4 min LIGHT CONE Silver Rush FR, 1998, 16mm, Farbe, 8 min The Last Lost Shot FR, 1999, 16mm, Farbe, 7 min Cross World FR, 2006, 16mm, Farbe, 15 min Cécile Fontaine macht seit den 1980ern handmade films im wahrsten SONNTAG Wortsinn, indem sie das Ausgangsmaterial an dessen Grenzen bringt: 25.10. / 18.30 durch chemische Bäder, Ablösen von Farbschichten, Abfilmen im • In Anwesen- selbstgemachten optischen Kopierer, zusätzliches Färben und Cut- heit von Cécile Fontaine Ups. Im Meisterstück Cruises erscheinen die Menschen – eingebettet in herrliche Farben und stellenweise ausgelöscht – wie Geister oder Wiedergänger*innen. (B.B.U.) De Maalstroom: Een Familiekroniek (Der Mahlstrom: Eine Familienchronik) Ein Film von Péter Forgács. S: Kati Juhász M: Tibor Szemző. NL, 1997, DCP, Farbe und sw, 60 min. Englische ZT ★ Der ungarische Regisseur Péter Forgács hat sich auf Found-Footage- MONTAG Arbeiten spezialisiert, in denen er Geschichte reinszeniert und rekon- 26.10. / 11.00 struiert. De Maalstroom ist eine dokumentarische Filmvariante des Tagebuchs der Anne Frank. Forgács greift auf außerordentliches Material zurück: die Home Movies einer holländischen, jüdischen Familie zwischen 1938 und 1942, bis sie nach Auschwitz deportiert wurde. Die Alltagsbilder werden vom sich abzeichnenden Holocaust überschattet. Die Familie Peereboom ist anfangs völlig ahnungslos und vermag auch später ihr schreckliches Schicksal nicht zu begrei- fen: Am Vorabend ihrer Abreise ins »Arbeitslager« packen sie fröhlich ihre Sachen. Die Home-Movies erlauben einen Blick in die Historie, wie sie die offizielle Geschichtsschreibung nie erfassen kann. Forgács führt das Publikum geschickt mit Untertiteln und zeitgenössischen Tonaufnahmen durch diese nur scheinbar friedliche Chronik. (J.M.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 10
© ALEXANDER MAR- KOV COURTESY STEREOTYPIEN DES WESTENS ★ Crossing the Great Sagrada Adrian Brunel. GB, 1924, 16mm, sw, 15 min. Englische ZT Muqaddimah Li-Nihayat Jidal / Introduction to the End of an Argument Jayce Salloum, Elia Suleiman. CA, 1990, DCP, Farbe und sw, 41 min. Englisch Our Africa Alexander Markov. RU, 2018, DCP, Farbe, 45 min. Englisch (Abb. ↓) Adrian Brunels Bearbeitung von Reisefilm-Outtakes demaskiert durch MONTAG kommentierende Untertitel das kolonialistische Bild der Fremde. 26.10. / 21.00 Introduction to the End of an Argument beschäftigt sich mit dem verzerrten westlichen Bild der arabischen Kultur im Allgemeinen und MONTAG der Intifada im Besonderen. Fragmente von Spielfilmen, Dokumenta- 23.11. / 21.00 tionen und Nachrichten werden entlarvend mit Material kombiniert, das Co-Regisseur Jayce Salloum im Gazastreifen und dem Westjordan- land gedreht hat. Alexander Markov über Our Africa: »Ein wirbel- sturmartiger Überblick der Ansichten, Leidenschaften und Strate- gien, die in der systematischen Arbeit sowjetischer Filmteams in Afrika von 1960 bis 1990 sichtbar werden (…) wobei ich die Propa- ganda noch propagandistischer gemacht habe, um sie bloßzu- stellen.« (B.B.U.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 11
Decasia Ein Film von Bill Morrison M: Michael Gordon. US, 2002, 35mm, sw, 67 min DAVOR: The Film of Her Bill Morrison M: Bill Frisell, Henryk Górecki. US, 1996, 35mm, sw, 12 min Der US-Independent-Regisseur Bill Morrison arbeitet fast ausschließ- DIENSTAG lich mit Found Footage. Dabei interessiert er sich nicht einfach nur für 27.10. / 11.00 Bilder der Vergangenheit, die andere gedreht haben, sondern er lässt sich von den frühesten Laufbildern der Menschheitsgeschichte inspi- rieren, begeistert davon, wie er es selbst formulierte, »wie die Zeit den Film verwüstet«. Analoger Film ist (oder war) nichts als fragile, verderbliche, organische Materie, doch Morrison stimmt kein Klage- lied über die Vergänglichkeit an, sondern feiert die unerwarteten und vielfältigen Auswirkungen, die das Aussehen eines Stücks Film verän- dern. Decasia kombiniert schon im Titel poetisch Zerfall (»decay«) und Fantasie (»fantasia«) und ist der hypnotischste und delirierend- ste Ausdruck von Morrisons Faszination für die Auflösung von Nitrat- film und deren abstrakter Schönheit. Zur prächtigen Musik von Michael Gordon wird aus dem Strudel chemischen Zerfalls ein packendes Drama. (J.M.) POESIE DES ABFALLS L’operatore perforato (Der perforierte Projektionist) Paolo Gioli. IT, 1979, 16mm, sw, 9 min Engram of Returning Daïchi Saïto. CA, 2015, 35mm, Farbe, 19 min Rohfilm Wilhelm & Birgit Hein. BRD, 1968, 16mm, sw, 20 min* Berlin Horse Malcolm Le Grice. GB, 1970, 16mm, Farbe, 8 min Her Glacial Speed Eve Heller. US, 2001, 16mm, sw, 4 min Mirror Mechanics Siegfried A. Fruhauf. AT, 2005, 35mm, sw, 7 min Sleepy Haven Matthias Müller. DE, 1993, 16mm, Farbe, 15 min Der Abfall der Filmproduktion findet sich auf Flohmärkten und in DIENSTAG Archiven und birgt kraftvolle Bilder und spektakuläre Szenen. Dieses 27.10. / 18.30 Programm versammelt Filme, in denen nicht Dekonstruktion und Medienkritik im Vordergrund stehen, sondern eine spielerische Trans- SONNTAG formation und eine hohe Anerkennung für das Ursprungsmaterial. So 22.11. / 18.30 wie Lyriker*innen auf den Rhythmus der Sprache achten, zählen bei den Poet*innen des Recycling-Films der zyklische Ablauf, prächtige *Courtesy of und/oder zur Abstraktion getriebene Bilder und die Verstärkung des Arsenal emotionalen Gehalts. Wilhelm und Birgit Hein erreichen in ihren Ma- terialfilmen eine Plastizität, wie sie nur im Kino erlebbar ist. (B.B.U.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 12
LIGHT CONE L’operatore perforato (1979, Paolo Gioli) Pays barbare (Barbarisches Land) Ein Film von Angela Ricci Lucchi und Yervant Gianikian M: Giovanna Marini, Keith Ullrich. FR/IT, 2013, DCP, Farbe und sw, 65 min. Französisch mit engl. UT ★ Pays barbare versammelt Aufnahmen aus den Jahren 1926 bis 1937 MITTWOCH und dokumentiert fast ausschließlich Szenen aus dem Zweiten Italie- 28.10. / 11.00 nisch-Libyschen Krieg und dem Abessinienkrieg. Diktator Mussolini lässt sich hoch zu Ross von den Kolonialprofiteuren auf dem Weg nach Tripolis feiern, die schwarze Bevölkerung gibt dazu den folklo- ristischen Aufputz, sie darf in ihrer Tracht marschieren und trommeln. Gianikian und Ricci Lucchi waren vom kolonialen (Eroberer-)Blick im Originalmaterial wohl derart empört, dass sie ihren wütendsten Film machten. Das barbarische Land ist nicht ein Teil Afrikas – wie die Bild- unterschriften suggerierten –, sondern Italien mit seinen brutalen Faschisten. Deshalb stellt das Regieduo an den Anfang die schaulus- tige Menge in Mailand 1945, die sich den makabren Anblick des hin- gerichteten Duce und seiner Geliebten nicht entgehen lassen will. Auch dabei sind die Kameras mit im Bild. (B.B.U.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 13
PORNOGRAPHIE DEKONSTRUIEREN The Color of Love Peggy Ahwesh. US, 1994, 16mm, Farbe, 10 min On Eye Rape Iimura Takahiko. JP, 1962, 16mm, Farbe, 10 min Pression Ljubomir Šimunić. YU, 1975, DCP (von 8mm), Farbe, 15min* Kalkito 2 Dietmar Brehm. AT, 2002, 16mm, sw, 7 min The Shadow of Your Smile Alexei Dmitriev. RU, 2014, DCP, Farbe, 3 min (Abb. →) Sodom Luther Price. US, 1989, DCP (von Super 8), Farbe, 17 min Removed Naomi Uman. US, 1999, 16mm, Farbe, 7 min Mayhem Abigail Child. US, 1987, DCP (von 16mm), sw, 17 min Herkömmliche Pornos verfolgen den vorrangigen Zweck, eine (ver- MITTWOCH meintlich) gute Wichsvorlage zu sein und bilden naturgemäß die 28.10. / 21.00 Machtverhältnisse der Gesellschaft ab: Das Vergnügen von Frauen und Lesbierinnen wird oft unglaubwürdig dargestellt. Diese sozialen SONNTAG Ordnungen gilt es zu hinterfragen (wie bei Ahwesh, Uman, Child), 15.11. / 18.30 ebenso wie Tabus. Die Ängste, die aus Verboten der Homosexualität resultieren, hat der kürzlich viel zu früh verstorbene Luther Price mit *Courtesy of seinem Film Sodom alptraumhaft visualisiert. (B.B.U.) Academic Film Center Belgrade Dial H-I-S-T-O-R-Y Ein Film von Johan Grimonprez M: David Shea. BE/FR, 1997, DCP, Farbe, 68 min. Englisch ★ DAVOR: It Felt Like a Kiss Ein Film von Adam Curtis. GB, 2009, DCP, Farbe und sw, 54 min. Englisch ★ Der so bestechende wie beunruhigende Essay Dial H-I-S-T-O-R-Y be- DONNERSTAG schäftigt sich unter Rückgriff auf Passagen aus Don De Lillos Roma- 29.10. / 11.00 nen mit dem Phänomen von Flugzeugentführungen als politischer Waffe sowie ihrer Darstellung in den Medien. Dabei wird klar, wie FREITAG diese ungefähr Anfang der 1980er dazu übergingen, eine Realität zu 13.11. / 21.00 konstruieren statt über die Wirklichkeit zu berichten – die Frage nach dem Warum einer Tat wird durch leeres Spektakel ersetzt (»So hat es sich angefühlt.«). Mit It Felt Like a Kiss hat Adam Curtis ein vergleich- bar ambitioniertes und großartiges Found-Footage-Werk vorgelegt: über den Aufstieg der USA zur führenden Weltmacht des 20. Jahrhun- derts durch militärische und popkulturelle Dominanz. (J.M.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 14
FOUND FOOTAGE IST INTERVENTION Two Times in One Space Ivan Ladislav Galeta. YU, 1976, 35mm, sw, 12 min* Passagen Lisl Ponger. AT, 1996, 35mm, Farbe, 12 min Facing Forward Fiona Tan. NL, 1999, DCP, Farbe, 10 min Der Fater Christine Noll Brinckmann. BRD, 1986, 16mm, Farbe und sw, 26 min** Watching for the Queen David Rimmer. CA, 1973, 16mm, sw, 11 min The Devil Jean-Gabriel Périot. FR, 2012, DCP, sw, 8 min Ein struktureller Eingriff am ursprünglichen Material kann präziseres DONNERSTAG Sehen ermöglichen: In Two Times in One Space wird ein Ausschnitt 29.10. / 18.30 aus einer Komödie zeitversetzt noch einmal darauf projiziert, in Watching for the Queen werden durch Mehrfachbelichtung einzelner MITTWOCH Kader Individuen in einer Menschenmenge erkennbar. Andere Arbei- 25.11. / 18.30 ten transformieren das Quellenmaterial durch Verrückung des Zusammenhangs: Lisl Ponger unterlegt farbenprächtige Reisefilme *Courtesy of von Amateur*innen mit Fluchtgeschichten, Fiona Tan verändert Croatian Film Association die Perspektive ethnografischer Filme durch akzentuierenden Ton. **Courtesy of (B.B.U.) Arsenal REFRAMING DREAM FACTORY Home Stories Matthias Müller. DE 1990, 16mm, Farbe, 6 min Western Sunburn Karl Lemieux. CA, 2007, DCP (von 16mm), Farbe und sw, 10 min passage à l’acte Martin Arnold. AT, 1993, 16mm, sw, 12 min Gerdi, zločesta vještica (Gerdi, die böse Hexe) Ljubomir Šimunić. YU, 1973–76, DCP (von 8mm), Farbe, 10 min* Rose Hobart Joseph Cornell. US, 1936, 16mm, Farbe, 20 min Papillon d’amour Nicolas Provost. BE, 2003, DCP, sw, 4 min Last Tango in Paris Miodrag Milošević. YU, 1983, DCP (von 16mm), Farbe, 21 min* Dichtung und Wahrheit Peter Kubelka. AT, 2003, 35mm, Farbe, 13 min la petite illusion Michaela Schwentner. AT, 2006, DCP, Farbe, 4 min Klassische Spielfilme folgen meist vertrauten Bahnen, die Found- FREITAG Footage-Avantgarde begehrt gegen die Konventionalität auf, indem 30.10. / 11.00 sie den Kontext der Bilder und Töne verschiebt. Die Bearbeitung einer einzigen Einstellung kann das Künstliche der Figuren und ihre *Courtesy of soziale Determiniertheit sichtbar machen (Arnold, Provost), die Academic Film Center Belgrade Stereotypen der Melodramen werden dekonstruiert (Müller, Cornell) oder die malerischen und abstrakten Eigenschaften des Materials betont (Lemieux, Milošević und Schwentner). (B.B.U.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 15
Film ist. 1–6 Ein Film von Gustav Deutsch. AT, 1998, 16mm, Farbe und sw, 60 min Film ist. 7–12 Ein Film von Gustav Deutsch MITARBEIT: Hanna Schimek M: Werner Dafeldecker, Christian Fennesz, Martin Siewert, Burkhard Stangl. AT, 2002, 35mm, Farbe und sw, 90 min Das groteske, melodramatische und pikante Material für Film ist., ein FREITAG vielteiliges work in progress, sein Langzeitprojekt und Hauptwerk, 30.10. / 21.00 fand Gustav Deutsch in Filmarchivbeständen, aber auch in privaten Sammlungen. Die ersten sechs Teile der Serie sind auf den wissen- MITTWOCH schaftlichen Film konzentriert: auf abgründige Laborexperimente an 25.11. / 21.00 Menschen, Tieren und Dingen. Mit dem Jahrmarkt, der zweiten »Ge- burtsstätte des Films«, sind die Kapitel 7–12 befasst. Eine Art »Buch der Träume« hat der Early Cinema-Spezialist Tom Gunning in Film ist. erkannt; hinter der scheinwissenschaftlichen Struktur gibt sich das Montagewerk als Akt der Kunst und der freien Assoziation zu erken- nen. (S.G.) FILME VON ARTHUR LIPSETT Very Nice, Very Nice CA, 1961, 16mm, sw, 7 min (Abb. →) 21–87 CA, 1964, 16mm, sw, 9 min Free Fall CA, 1964, 16mm, sw, 9 min A Trip Down Memory Lane CA, 1965, DCP (von 16mm), sw, 13 min Fluxes CA, 1968, DCP (von 16mm), sw, 24 min Nachdem der Kunststudent Arthur Lipsett beim National Film Board of Canada engagiert wurde, bastelte er aus Wegwerfmaterial Soundcollagen. Als er den Ton mit Bildern kom- SAMSTAG binierte, entstand sein Oscar-nominiertes Debüt Very Nice, Very Nice, 31.10. / 11.00 das u.a. von Stanley Kubrick für seinen Einfallsreichtum gepriesen wurde. In der nächsten Dekade folgte eine Handvoll ähnlich inten- MITTWOCH siver Werke, während sich Lipsetts geistige Gesundheit rapide ver- 18.11. / 21.00 schlechterte. Sein explosives Werk kann als dramatisches Exposé des verkommenen Innenlebens der westlichen Welt gesehen werden Courtesy oder als ebenso dramatischer Blick in den sich auflösenden Geist National Film Board of Canada eines Künstlers. So oder so ist es verstörend und unschätzbar. (J.M.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 16
FILME VON PETER TSCHERKASSKY Manufraktur AT, 1985, 35mm, sw, 3 min Happy-End AT, 1996, 35mm, Farbe und sw, 11 min Shot-Countershot AT, 1987, 16mm, sw, 22 sek Coming Attractions AT, 2010, 35mm, sw, 25 min (Abb. ↓) The Exquisite Corpus AT, 2015, 35mm, sw, 19 min Instructions for a Light and Sound Machine AT, 2005, 35mm, sw, 17 min Outer Space AT, 1999, 35mm, sw, 10 min Mit den in seiner Dunkelkammer »handgemachten« Found-Footage- SAMSTAG Filmen hat der Österreicher Peter Tscherkassky weltweit für Furore 31.10. / 21.00 gesorgt. Diese Auswahl demonstriert die Vielschichtigkeit und Vielfalt • In Anwesen- seines mitreißenden Schaffens, von der Raserei auf der Optischen heit von Peter Tscherkassky Bank im Frühwerk Manufraktur bis zu den gefeierten Genre-Exege- sen, die das Wesen des Kinos auf unterschiedlichste Weise de- und rekonstruieren: ob als tänzerisch-geisterhafter Amateur-Home-Movie (Happy End), als psychoanalytischer Horror-Trip (Outer Space) oder als Essay-Gewitter über den »Tod des Kinos« (und das ewige Leben von Eli Wallach) frei nach Sergio Leone (Instructions for a Light and Sound Machine). (C.H.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 17
Nash vek (Unser Jahrhundert) Ein Film von Artavazd Peleshyan. SU, 1983, 35mm, sw, 50 min Gemäß seinem Credo »Der Mensch ist größer als die Sprache« hat SONNTAG Artavazd Peleshyan eine einzigartige, wortlose Methode entwickelt, 1.11. / 11.00 die er »Distanzmontage« nennt. Im Westen bekannt wurde dieser Poet und Philosoph des Kinos, als Serge Daney angesichts von Peleshyans SAMSTAG Rearrangement von Archivmaterial um Worte rang: »Wie soll man 14.11. / 18.30 über diese Filmen sprechen? Vom Bild, das wie ein zackiges Elektro- kardiogramm ausschlägt? Und über den Ton, ein echtes Geräusch aus dem Weltraum? In dieser schmerz- haften Kosmogonie glaube ich einen Vertov aus der Zeit Michael Snows zu sehen, einen mit Godard, Wiseman oder van der Keuken versetzten Dovzhenko.« Godard selbst teilte Daneys Enthusiasmus und erklärte Peleshyan zum wahren Erben »der Ge- heimnisse des Kinos« nicht nur von Vertov und Dovzhenko, sondern auch von Barnet und Eisenstein. (J.M.) FILM IM DIENST DER GESCHICHTE Le cinéma au service de l’histoire (Das Kino im Dienst der Geschichte) Germaine Dulac. FR, 1935, DCP (von 35mm), sw, 52 min. Französisch mit dt. UT Arbeiter verlassen die Fabrik Harun Farocki. DE, 1995, DCP, Farbe und sw, 36 min. Deutsch Germaine Dulac gründete 1932 die Nachrichtengesellschaft France- SONNTAG Actualités-Gaumont, für die sie zahlreiche Reportagen, so über den 1.11. / 18.30 aufkommenden Faschismus, realisierte. Aufgrund ihrer Erfahrungen bei der Agentur und ihrer Reflexion über Film als nationalistischen, MONTAG tendenziösen Berichterstatter und Geschichtsschreiber, kompri- 16.11. / 21.00 mierte sie aus Wochenschaumaterial von den Anfängen des Films bis ins Jahr 1935 ihren ersten Tonfilm Le cinéma au service de l’histoire. Harun Farocki widmet sich in Arbeiter verlassen die Fabrik jenem Film der Brüder Lumière, in welchem deren Arbeiter*innen durch das Werkstor ihre Fabrik verlassen, und nachfolgenden Beispielen des- selben Sujets. Schon damals handelte es sich nicht um eine Doku- mentation der Ereignisse, sondern eine genau geplante Inszenie- rung. (B.B.U.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 18
Dead Men Don’t Wear Plaid R: Carl Reiner B: Carl Reiner, George Gipe, Steve Martin K: Michael Chapman S: Bud Molin M: Miklós Rózsa D: Steve Martin, Rachel Ward, Reni Santoni, Carl Reiner E: Steve Martin. US, 1982, 35mm, sw, 88 min. Englisch ★ Steve Martin als Privatdetektiv, der den dubiosen Tod eines Wissen- MONTAG schaftlers (und Käse-Magnaten) untersucht und dabei einer unglaub- 2.11. / 18.30 lichen Verschwörung auf die Spur kommt … eine Spur, die unzählige Hollwood-Legenden von Humphrey Bogart bis Ingrid Bergman kreu- SAMSTAG zen! Für diesen liebevollen Komödien-Tribut an den Film noir sichte- 14.11. / 21.00 ten Carl Reiner und Co-Autor George Gipe zahllose Filmklassiker, um Szenen und Dialoge zu finden, mit denen ihr Star interagieren konnte. Die solcherart mit Hollywood-Found-Footage und absurden Spitzen (unvergesslich: der Einsatz der Reinemachefrau) angereicherte Krimi-Handlung ist dabei nur Vorwand für komischen Einfallsreich- tum, der sich gelegentlich zum puren Surrealismus steigert: »Here’s a list of names. I found it in a bowl of soup. Don’t ask me to explain.« Eine meisterhafte Verbindung von Entertainment und Experiment, nebenbei ein technisches Virtuosenstück: Alte und neue Szenen sind bis in die Ausleuchtung perfekt aufeinander abgestimmt. (C.H.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 19
FILME VON BRUCE CONNER Cosmic Ray US, 1961, 16mm, sw, 4 min Report US, 1963–67, 16mm, sw, 13 min America Is Waiting US, 1981, 16mm, sw, 4 min Crossroads US, 1976, 35mm, sw, 36 min Valse Triste US, 1977, 16mm, sw, 5 min Take the 5:10 to Dreamland US, 1976, 16mm, Farbe, 5 min Mongoloid US, 1978, 16mm, Farbe, 4 min (Abb. →) A Movie US, 1957, 16mm, sw, 12 min Bruce Conner war eine der Schlüsselfiguren der US-Avantgarde im Allgemeinen und des Found- Footage-Films im Besonderen. Mit seinem lapidar- genial betitelten und bahnbrechenden Debüt A Movie eröffnete er der Collage von unterschied- lichem Filmmaterial neue Dimensionen und prägte Generationen bis in die Musikvideo-Ära (zu der Conner selbst etwa mit Mongoloid für Devo bei- trug). Cosmic Ray treibt die Methode hochrasant auf die Spitze, während Report (Kennedy-Attentat) und das (schreckens-) MONTAG meditative Meisterwerk Crossroads (Atombombentest) andere 2.11. / 21.00 Aspekte seiner Kunst demonstrieren. (C.H.) Velikiy put (Der große Weg) Ein Film von Esfir Shub K: N. Sokolova. SU, 1927, 35mm, sw, 114 min (16 B/sek) »Es ist unglaublich, auf wie viele unerwartete Lösungen man stößt, MITTWOCH wenn man Filmmaterial in den Händen hält. Es ist wie mit Buch- 4.11. / 18.30 staben: Sie werden an der Spitze des Stifts geboren«, beschrieb Am Klavier: Esfir Shub einmal ihre Methode. Diese Found-Footage-Pionierin be- Elaine Loebenstein gann als Schnittmeisterin bei der staatlichen Firma Goskino und beeinflusste Größen wie Eisenstein und Vertov maßgeblich. 1927 be- gann sie, die rezente Geschichte des Landes in Kompilationsfilmen aufzuarbeiten, wofür sie Wochenschaumaterial aus aller Welt zu- sammentrug. Ihr Meisterwerk ist Velikiy put, eine Chronik der Jahre 1917 bis 1927, für die sie auch selber Material drehte, weil sie feststel- len musste, dass die offizielle sowjetische Dokumentation der Ära so sehr mit der Repräsentation beschäftigt war, »dass es fast keine visuellen Aufzeichnungen darüber gab, wie wir das Land politsch und wirtschaftlich verändert hatten.« (C.H.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 20
SHRED, SCRATCH, SYNC blowfeld Rainer Gamsjäger. AT, 2004, DCP, Farbe, 4 min LOSSLESS #5 & #3 Rebecca Baron, Doug Goodwin. US, 2008, DCP, sw, 3 & 10 min cityscapes Michaela Grill & Martin Siewert. AT, 2007, 35mm, sw, 16 min Twelve Tales Told Johann Lurf. AT, 2014, DCP, Farbe, 4 min (Abb. ←) Freude Thomas Draschan. AT, 2009, 35mm, Farbe und sw, 2 min She Puppet Peggy Ahwesh. US, 2001, DCP, Farbe, 15 min A Movie by Jen Proctor Jennifer Proctor, US, 2010–12, DCP, Farbe, 12 min Technology Transformation: Wonder Woman Dara Birnbaum. US, 1978–79, DCP, Farbe, 6 min Kopierwerk Stefanie Weberhofer. AT, 2020, 35mm, Farbe und sw, 7 min Die Kunst der Bearbeitung von Found Footage ist mit der Einführung MITTWOCH der Digitaltechnologie und ihrer Werkzeuge für Bildmanipulation in 4.11. / 21.00 bis dahin unvorstellbaren Dimensionen explodiert. Dieses Programm untersucht die Auswirkungen dieses neuen Vokabulars für Spezial- effekte – ein unübersetzbares, visionäres Kauderwelsch: channel combiner, curves, fill, exposure, linear wipe, noise, triton, set matte, venetian blinds, limiter effect, minimax, fractal noise, digital glitch, chromatic aberration, blur, de-noise, plane to sphere, motion blur, bicubic sampling, fast box blur, invert, gaussian blur, 3D channel extract, depth matte, ID matte, EXtractoR, IDentifier, bilateral blur, reduce interlace flicker, compound blur, directional blur, smart blur, remove color matting, broadcast colors, 4-color gradient, check- board, eyedropper, paint bucket, matte choker, mocha shape, add grain, threshold, block load, burn, burn, burn… (J.M.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 21
LIGHT CONE DIE UNSCHULD DES FRÜHEN Gloria! Hollis Frampton. US, 1979, 16mm, Farbe, 10 min Eureka Ernie Gehr. US, 1972, 16mm, sw, 30 min KIPHO Julius Pinschewer, Guido Seeber. DE, 1925, 16mm, sw, 6 min Mosaik Mécanique Norbert Pfaffenbichler. AT, 2008, 35mm, sw, 10 min (Abb. ↓) Rhythm Len Lye. GB, 1957, 35mm, sw, 1 min Den experimentellen Film verbindet eine Verwandtschaft mit dem DONNERSTAG frühen Kino – dem »Kino der Attraktionen«, wie Tom Gunning es 5.11. / 18.30 nennt. Wegen seiner starken Wirkung und Expressivität greifen Film- künstler*innen auf das frühe Kino zurück und bearbeiten es mit zeit- genössischen Tricks: Um die Vergangenheit der Großmutter wieder aufleben zu lassen (Frampton) oder die bewegte Ansicht einer Straße im Detail beobachten zu können (Gehr), um die zeitliche Dimension einer Slapstick-Komödie in eine räumliche zu bringen (Pfaffen- bichler) oder mit den Fremdmaterialien ein Feuerwerk der Montage zu entzünden (Pinschewer und Seeber, Lye). (B.B.U.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 22
Imitations of Life R, B: Mike Hoolboom S: Dennis Day, Robert Kennedy, Ross Turnbull, Mark Karbusicky M: Earle Peach. CA, 2003, DCP, Farbe und sw, 71 min. Englisch ★ Schon am Anfang seines beeindruckenden Essayfilms prophezeit DONNERSTAG Mike Hoolboom »in the future each moment will be photographed / 5.11. / 21.00 doubled / our bodies will grow transparent …«. Während der (wie immer bei Hoolboom) literarische Text ein Ende der unmittelbaren SONNTAG Erfahrung herbeiruft, verführt die visuelle Ebene mit Filmzitaten aus 22.11. / 21.00 dem klassischen Hollywoodkino. In zehn Kapiteln geht Imitations of Life der Frage nach, was die Bilderproduktion für uns bedeutet: Beschneidet sie unsere Emotionen oder bereichert sie unsere Suche nach Erkenntnis? Die Vielzahl der filmischen Quellen unterstreicht die Ambivalenz des Themas. Analytische Intelligenz trifft auf pracht- volle, magische bewegte Bilder. Als wollte er das wirkliche Leben nicht draußen lassen, filmt Hoolboom über mehrere Jahre mit einer Super-8-Kamera seinen Neffen Jack und reflektiert dessen und seine eigene Kindheit – immer in Verbindung zu den vorhandenen Auf - nahmen. (B.B.U.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 23
Now, L.B.J., Hasta la victoria siempre, 79 primaveras (v.l.o. im Uhr- zeigersinn) FILME VON SANTIAGO ÁLVAREZ Now CU, 1965, 35mm, sw, 6 min Hasta la victoria siempre CU, 1967, 35mm, sw, 19 min L.B.J. CU, 1968, 35mm, Farbe und sw, 19 min 79 primaveras CU, 1969, 35mm, sw, 24 min Vier Filme vom größten aller kubanischen Kinomeister. Zu Beginn FREITAG Bilder vor allem von US-amerikanischen Polizeigewalttaten, dazu 6.11. / 18.30 Lena Hornes seinerzeit in den USA verbotenes »Hava Nagila«-Cover »Now«. Ähnlich getrieben und mit ebenso mageren Mitteln realisiert, ist die Kino-Parte für Che Guevara, Hasta la victoria siempre, in weni- ger als 48 Stunden gestaltet für die offizielle Gedenkfeier. An ganz an- dere Größen erinnert L.B.J.: Martin Luther King, Robert »Bobby« sowie John F. Kennedy, die berühmtesten Attentatsopfer der US-60er. L.B.J. steht auch für Lyndon B. Johnson, dessen Biografie in diesem subversiv-satirischen Pop-up-Buch über die Macht und ihren Preis er- zählt wird. 79 primaveras – ein Nekrolog auf Bác H`ô (H`ô Chí Minh) – kennt in seiner genuin materialistischen Sinnlichkeit und Bildgewalt wenig Vergleichbares im Kino. (O.M.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 24
Videogramme einer Revolution Ein Film von Harun Farocki und Andrei Ujică S: Egon Bunne. DE/RO, 1992, 16mm, Farbe, 107 min. Deutsch und Rumänisch mit dt. UT Umsturz in Rumänien: 21. bis 25. Dezember 1989, von Nicolae FREITAG Ceauşescus letzter öffentlicher Ansprache bis zur Übertragung seiner 6.11. / 21.00 Hinrichtung, geschildert durch Fremdmaterial. Offizielle Staats-TV- Sendungen ebenso wie Szenen, die den »Anweisungen für unvorher- MONTAG gesehene Ereignisse« folgen. Letztere blieben freilich ungesendet – 16.11. / 18.30 the revolution will not be televised. Vor allem aber unzählige Amateur- videos: Als das Regime fällt, »gehen die Kameras auf die Straße«, eine wortwörtliche Mobilisierung des Blicks. Ein mitreißender Essay über die Konstruktion von »Wirklichkeit« und Gegenwartsgeschichte in der Mediengesellschaft: Der Kampf um den Staatssender wird logischer- weise zum Schlüsselereignis; mit seiner Eroberung werden die alten Machthaber endgültig gestürzt. Aber die Fernseh-Konventionen blei- ben: television will not be revolutionized. (C.H.) SUBVERSIVE RACHE Schmeerguntz Gunvor Nelson, Dorothy Wiley. US, 1966, 16mm, sw, 15 min Tribulation 99: Alien Anomalies Under America Craig Baldwin. US, 1991, 16mm, Farbe und sw, 48 min Bulletin Craig Baldwin. US, 2015, DCP, sw, 6 min Gunvor Nelsons und Dorothy Wileys Schmeerguntz ist eine selbst SONNTAG heute noch drastisch wirkende Gegenüberstellung medial vermittelter 8.11. / 18.30 Bilder vom Frausein mit der Realität junger Mütter. Found-Footage- Koryphäe Craig Baldwin attackiert ironisch die Lateinamerikapolitik DONNERSTAG der USA und meint auch die ideologischen Hintergründe und wirt- 26.11. / 21.00 schaftlichen Vorteile, die bis heute Beweggrund für kriegerische Interventionen, Seilschaften oder Sanktionen sind. Tribulation 99 be- nützt eine Vielzahl von Quellen: Dokumentationen, Wochenschauen, Lehrfilme, Werbung, B-Pictures und Science-Fiction. Der Schnitt ist rasend, die Erzählung atemlos und trashig, dennoch sind viele Fakten eingestreut. Aliens bedrohen die Welt und werden wiederum durch die US-Atomwaffentests bedroht. Sie versetzen die USA und ihre fanatischen Patrioten in panische Angst vor dem Weltuntergang. Auch vor dem Bild- und Soundgewitter Baldwins kann man sich nur durch Lachen retten. (B.B.U.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 25
»FEIND FOOTAGE«: BILDER ALS BEUTE Germany Calling (The Lambeth Walk) Charles Ridley. GB, 1941, 35mm, sw, 2 min Herr Roosevelt plaudert Deutsche Wochenschau. DE, 1943, 35mm, sw, 13 min Ein drittes Reich Alfred Kaiser. AT, 1975, 16mm, sw, 28 min Your Job in Germany Frank Capra. US, 1945, 16mm, sw, 15 min Porträt einer Bewährung Alexander Kluge. BRD, 1965, 35mm, sw, 13 min* 20/68 Schatzi Kurt Kren. AT, 1968, 16mm, sw, 2 min (Abb. ↓) der graue star 2 – die wehrmacht maschek. AT, 2001, DCP, Farbe, 8 min Bilder lassen sich umwenden, wechseln die Front, stellen ihre Her- SONNTAG kunft bloß. Found beziehungsweise Feind Footage im oder beim 8.11. / 21.00 Rückblick auf den Zweiten Weltkrieg: die Montage des Nazi-Goose- *Herzlichen Step zum Swing-Zwang; rassistische Tiraden zum NS-Zerrbild von Dank an Peter Kapitalmacht und Kulturverfall in Amerika; Alfred Kaisers kontrapunk- Hörmanseder, tische Collage von NS-Propaganda; Deutschlandbilder als Panorama der im Rahmen des Projekts einer suspekten Nation von Frank Capra und Theodore Geisel (aka »Filmpaten- Dr. Seuss); Alexander Kluges Genealogie regimeübergreifender auto- schaft« den ritärer Haltung in Uniform; das Auftauchen eines Nazi-Massaker- Erwerb dieses Bildes bei Kurt Kren; unbeirrt unschuldige Vernichtungskriegsnostal- Films für die Sammlung des gie über Flohmarkt-Super 8 zum Totlachen bei maschek. (D.R.) Filmmuseums ermöglicht hat. OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 26
GESCHICHTE ERINNERN History and Memory Rea Tajiri. US, 1991, DCP, Farbe, 32 min Tito-Material Elke Groen. AT, 1998, 16mm, Farbe, 5 min (Abb. ↓) Lilli Marlen Peter Mihálik. ČSSR, 1970, 35mm, sw, 5 min* Privát történelem (Private Geschichte) Gábor Bódy. HU, 1978. 35mm, sw, 25 min. Ungarisch mit engl. UT ** ★ History and Memory schildert mit Fragmenten aus Hollywoodfilmen MONTAG und Wochenschauen wie die US-Regierung nach Pearl Harbor weit 9.11. / 18.30 über 100.000 japanischstämmige Amerikaner*innen in Internierungs- *Courtesy of lager steckte. Tito-Material analysiert zugleich die Vergänglichkeit Slovak Film Archive von Filmmaterial und des Tito-Personenkults. Lilli Marlen zeigt Viet- **Courtesy of namkriegs-Bombenangriffe nicht als schockierende Anomalie, son- National Film dern als Markenzeichen der US-Außenpolitik. Privát történelem ist ein Institute Hungary originelles Experiment: Ein Sprachtherapeut rekonstruierte anhand – Film Archive der Lippenbewegungen, was in stummen Amateur-Aufnahmen aus Ungarn im Zweiten Weltkrieg gesprochen wurde. Es offenbart sich ein schrecklicher Kontrast zwischen fröhlichem Geplapper und Bil- dern von marschierenden Juden auf dem Weg ins Ungewisse. (J.M.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 27
30 JAHRE SIXPACKFILM Hidden Treasures and Leftovers Farbversuchsprogramm Stefanie Weberhofer. AT, 2020, 35mm (work in progress), Farbe und sw, 5 min Sound Suppression Johann Lurf. AT, 2012, DCP, Farbe, 1 min Comparing Local Spectres (Version Originale 1/2) Constanze Ruhm, Emilien Awada. AT, 2015, DCP, sw, 18 min dot dot dot Rainer Kohlberger. AT, 2017, DCP, Farbe und sw, 6 min Besucher einer mir vertrauten Vergangenheit Gabriel Tempea. AT, 2020, DCP, Farbe, 6 min Ulyssesschnitzel Dieter Kovačič. AT, 2005, DCP, 6 min Food Speculations Ralo Mayer. AT, 2019, DCP, Farbe, 25 min I DEAL, YOU DEAL, WE ALL DEAL WITH THE nEU NEW DEAL. (Kurz) Borjana Ventzislavova. AT, 2020, DCP, Farbe, 8 min (Abb. ←) Hotel Room Movie Klub Zwei [Simone Bader, Jo Schmeiser]. AT, 1995, Video, sw, 25 min edge of doom Michaela Grill. AT, 2020, DCP, sw, 3 min Double Elvis Henry Hills. AT, 2020, DCP, sw, 2 min Der Verein sixpackfilm wurde 1990 gegründet, um eine umfas- sende Found-Footage-Filmschau im Stadtkino zu veranstalten. Nach deren großen Erfolg be- gannen wir mit dem Aufbau einer Vertriebsorganisation für den österreichischen künstleri- schen Film aller Stilrichtungen. 30 Jahre später ist sixpackfilm ein international etablierter Welt- vertrieb und Verleih, der jährlich rund 40 neue Filme an Festivals DONNERSTAG weltweit vermittelt. Das Konzipieren von Veranstaltungen ist noch 26.11. / 18.00 immer ein wichtiger Bestandteil unserer Öffentlichkeitsarbeit für • In Anwesen- den innovativen Film. Anlässlich des Jubiläums haben wir die Film- heit der Filme- macher*innen künstler*innen von sixpackfilm aufgerufen, ihre Hidden Treasures and Leftovers zu schicken, denn immer mehr Filmemacher*innen entdecken seit den 1990er Jahren die Schönheit und Aussagekraft fremder Bilder, die nicht nur Geschichte(n) transportieren, sondern oft auch Geschichte sind. (B.B.U.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Recycled Cinema 28
22. OKTOBER BIS 1. NOVEMBER 2020 Viennale im Filmmuseum Während der Viennale im Filmmuseum gelten gesonderte Ticketregelungen (siehe Seite 61). Miss Marx R: Susanna Nicchiarelli MIT: Romola Garai, Patrick Kennedy, Felicity Montagu. IT/BE, 2020, 107 min. (Abb. ↓) Englisch mit dt. UT ★ DAVOR: Viennale-Trailer 2020: Ad una mela Alice Rohrwacher. IT/AT, 2020, 2 min. OF Was bedeutet das, seiner Zeit voraus zu sein? Eleanor Marx tritt nach DONNERSTAG dem Tod ihres Vaters Karl ein schweres Erbe an: Einerseits soll sie 22.10. / 23.00 dessen Werk bewahren, andererseits hat sie eigene Ambitionen. • In Anwesen- Nicchiarelli zeigt in ihrem Biopic eine Frau, die den Widersprüchen heit von Susanna Nicchiarelli ihrer Epoche lange standhält, und dann doch daran zerbricht. Mit und Alessio scharfem Blick geißelt Eleanor die systemische Benachteiligung der Lazzareschi Frauen, aber keine noch so klare theoretische Einsicht bewahrt sie vor (Produzent) dem Scheitern im Privatleben. Führt eine Linie von Eleanor zu den Punk-Rebellinnen? Eine Frage, die der Score von Miss Marx sugge- riert, und ein kleiner, aus der Zeit fallender Tanzauftritt gen Ende. (B.S.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Viennale im Filmmuseum 29
KURZFILMPROGRAMM 1: SOMEWHERE IN THIS WORLD FREITAG Oceano mare Antoinette Zwirchmayr. AT/IT, 2020, 6 min. Stumm 23.10. / 16.00 Sacrificio per la sirena Friedl vom Gröller. • In Anwesen- AT/IT , 2020, 4 min. Stumm heit von Figure Minus Fact Mary Helena Clark. US, 2020, 13 min. OF Antoinette Zwirchmayr und Clebs Halima Ouardiri. CA/MA, 2019, 18 min. Arabisch mit engl. UT Friedl vom Look Then Below Ben Rivers. GB, 2020, 22 min. OF Gröller Einen ausführlichen Hinweis zu diesem Programm finden Sie in den Viennale-Publikationen und auf www.viennale.at Her Name Was Europa R: Anja Dornieden, Juan David González Monroy. DE, 2020, 76 min. OmeU ★ Der Stier, der seinerzeit Europa entführte, war vermutlich ein Auer- FREITAG ochse. Es gibt Bemühungen, diese seit 1627 ausgestorbene, wilde 23.10. / 21.00 Urform des Hausrindes – man(n) stellt sie sich gern mit mächtigem • In Anwesen- Gehörn vor – durch Rückzüchtung wiederzuerwecken. Bemühungen, heit von Anja Dornieden und die in diesem klugen, schwarzweißen Essayfilm nicht ohne Ironie Juan David dem zunächst erstaunten, sodann erhellten Publikum dargelegt wer- González Monroy den. Wenn nicht gerade der Blick (ab)schweift, beispielsweise auf Styropor-Tiere, die in Indoor-Resorts für tropisches Flair sorgen. Da- zwischen geschoben die mehr oder weniger ingrimmigen Charakter- gesichter einzelner Vertreter vom Aussterben bedrohter Tierarten, die zu fragen scheinen: Geht’s noch?! (A.S.) Rani radovi (Early Works) R: Želimir Žilnik MIT: Milja Vujanović, Bogdan Tirnanić, Čedomir Radović. YU, 1969, 87 min. OmeU ★ Unter den Filmen, die nach dem Mai 1968 das Scheitern der Neuen SAMSTAG Linken resümierten, ist Rani radovi einer der irrwitzigsten und zu- 24.10. / 13.30 gleich bittersten. Die hysterische Energie, mit der in dieser Allegorie rund um die Studentin »Jugoslava« (Milja Vujanović) ein Quartett Infernal die Peripherie zum Sturm aufs Zentrum mobilisieren möchte, verpufft wie die Explosionen ihrer Molotov-Cocktails. Das Kollektiv liefert sich selbst Omnipotenz-Fantasien und ottomühlartigen Orgien aus, experimentiert mit freier Liebe, freiem Scheißen und freier Marx-Lektüre. Aber die bäuerliche Klasse sieht ratlos zu, und als sie doch agiert, trifft die Gewalt nur die Revolutionäre selbst. (R.W.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Viennale im Filmmuseum 30
Oceano mare (2020, Antoinette Zwirchmayr), Pirmais tilts (2020, Laila Pakalniņa) KURZFILMPROGRAMM 2: THE FUTURE WILL TELL SAMSTAG Leonardo Friedl vom Gröller. AT/IT, 2020, 3 min. Stumm 24.10. / 16.00 Pirmais tilts Laila Pakalniņa. LV, 2020, 12 min. Englische ZT • In Anwesen- Omelia contadina J.R., Alice Rohrwacher. IT/FR, 2020, 9 min. OmeU heit von Friedl L’Avenir le dira Pierre Creton. FR, 2020, 26 min. Kein Dialog vom Gröller und Michael Heindl Mikrokazeta – najmanja kazeta koju sam ikad vidio Igor Bezinović, Ivana Pipal. HR/RS, 2020, 19 min. OmeU Spring Will Not Be Televised Michael Heindl. AT, 2020, 7 min. Kein Dialog Einen ausführlichen Hinweis zu diesem Programm finden Sie in den Viennale-Publikationen und auf www.viennale.at The Lobby R: Heinz Emigholz MIT: John Erdman. AR/DE, 2020, 76 min. Englisch ★ Als im Abspann apostrophierter »Old White Male« sitzt Emigholz’ SAMSTAG Lieblingsdarsteller, der Performancekünstler John Erdman, in ver- 24.10. / 18.30 schiedenen holzgetäfelten und marmornen Lobbys in Buenos Aires • In Anwesen- und hält einen sarkastischen und angriffslustigen Monolog: über den heit von Heinz Emigholz Tod, das Kino, Sex, Krieg, Religion, das Universum und andere The- men, die der Regisseur zuvor schon in Streetscapes [Dialogue] und Die letzte Stadt ansatzweise erkundete. Die filmischen Mittel entspre- chen dabei den aus Emigholz‘ Architektur-Essays vertrauten: schnelle Folgen starrer, oftmals leicht verkanteter Einstellungen, die sich der Hauptfigur und den Räumen annähern. (L.P.) OKTOBER/NOVEMBER 2020 Viennale im Filmmuseum 31
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