Aviso - Hans-Bredow-Institut

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Aviso - Hans-Bredow-Institut
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Informationsdienst der Deutschen Gesellschaft
für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft
                                                                         av/71      09/2020

Geschichten über absolute Gewissenheiten?
Verschwörungstheorien als Thema der
Kommunikationswissenschaft.
Eine Debatte mit Beiträgen von Michael Butter, Florian Gallwitz, Thorsten Quandt,
Jens Seiffert-Brockmann und Jens Soentgen.

Inhalte:
Nr. 71 Herbstavisiert
             2020     (2) Debatte
                             aviso(3-11) Aus den Fachgesellschaften (12-14) Neues Netz-1
werk (15) Sonderthema Corona (16-22) Notabene (22-23) Tagungen (24-25)
60 Semester Aviso (26-27) Neu Erschienen (28-29) Nachrichten und Personalien
(29) Fragebogen (30-31) Leserbrief (31)
Aviso - Hans-Bredow-Institut
DEBATTE: "VERSCHWÖRUNGSTHEORIE"

          avisiert.
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                                                      wie aus unseren Partnergesellschaften
                                                      ÖGK und SGKM erwarten Sie. Dazu
                                                      kommen Berichte von Tagungen un-
                                                                                                              Von Weltverschwörern und
          Marlis Prinzing und Saskia Sell
            Verschwörungstheorien sind nichts
                                                      serer Fachgruppen, die noch offline
                                                      stattfinden konnten, sowie die Rubrik
                                                                                                              "Public Intellectuals"
          Neues, aber die gegenwärtige Pan-           „Neu erschienen“. Das Netzwerk Qua-
                                                                                                               Die Pandemie-Krise machte Verschwörungstheorien zu einer zunehmend Raum greifenden Her-
          demie-Krise machte sie zu einer             litative Methoden (NQM) stellt sich
                                                                                                               ausforderung im öffentlichen Diskurs. Die Kommunikationswissenschaft ist mehrfach betroffen.
          im öffentlichen Diskurs zunehmend           vor. Und wir feiern mit einem Beitrag
                                                                                                               Im Fadenkreuz von Verschwörungstheoretikern sind die Forschenden selbst – als Teil einer Wis-
          raumgreifenden Herausforderung. Die         von Walter Hömberg zu „60 Semestern
                                                                                                               senschaftselite; zudem ist der Journalismus, einer ihrer Objektbereiche, zur Zielscheibe gewor-
          Kommunikationswissenschaft ist da-          Aviso“ das 30-Jahre-Jubiläum des Infor-
                                                                                                               den. Grund genug für (auch interdisziplinäre) Reflexion und Debatte.
          durch mehrfach betroffen: z.B., weil        mationsdienstes unserer Fachgesell-
          einer ihrer Objektbereiche, der Journa-     schaft. Dazu kommt ein Interview mit
          lismus, Zielscheibe geworden ist, aber
          auch, weil sie als Teil einer Wissen-
                                                      Julia Metag über ihre Perspektive auf
                                                      das Fach und ihre Ziele als neuberufene
                                                                                                              Alles ist geplant, nichts so wie es scheint,
          schaftselite selbst ins Fadenkreuz von
          Verschwörungstheoretikern geraten
                                                      Professorin für Kommunikationswis-
                                                      senschaft in Münster.
                                                                                                              alles hängt mit allem zusammen.
          ist. Der Debattenschwerpunkt dieser           Viel Spaß beim Lesen wünschen Ihnen                   Ein Interview mit Michael Butter .
          Aviso-Ausgabe umfasst Standpunkte           und Euch Marlis Prinzing (Köln), Saskia
          aus dem Fach bezogen auf Kommuni-           Sell (Berlin) und Stefan Weinacht (Gel-                 Wie definieren Sie Verschwörungstheorien?            Die Q-Anon-Theorien in den USA sind in obsku-
          kation, Medienkritik, Wissenschafts-        senkirchen).                                                                                                 ren Internetforen entstanden, bei 4chan, dann
          kritik und Forschungskritik, aber auch                                                              Michael Butter: Sie nehmen erstens an, dass          8chan; solche Theorien funktionieren oft gerade
          interdisziplinäre Perspektiven, die u.a.                                                            nichts durch Zufall geschieht, also alles geplant    dann besonders gut, wenn sie eine rohe Authen-
          die Frage adressieren, ob wir uns –          Impressum                                              wurde. Sie behaupten zweitens, dass nichts so ist    tizität transportieren und nicht so poliert wirken.    Michael Butter ist seit 2014
          nicht nur bei diesem Thema – öfter als                                                              wie es scheint, man also immer hinter die Kulis-     Erst wenn es um die Breitenwirkung geht, wird          Professor für Amerikanische
                                                       Herausgeber:                                                                                                                                                       Literatur- und Kulturge-
          „public intellectuals“ verstehen sollten.    Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Publizistik-   sen schauen muss, um zu erkennen, was wirklich       wichtig, dass Seiten wie „Breitbart“ das Thema
                                                                                                                                                                                                                          schichte an der Universität
          Der Debattenschwerpunkt wird auch            und Kommunikationswissenschaft e.V. (DGPuK)            vor sich geht. Und dann erkenne man drittens,        aufgreifen oder auch Donald Trump. Professio-          Tübingen. Gemeinsam mit
          auf der Website unserer Fachgesell-          Layout und Gestaltung:                                 dass alles zusammenhängt, es also Verbindun-         nalität hilft, ist aber nicht alles. Kernaspekt ist,   Peter Knight (Uni Manches-
          schaft veröffentlicht. Dort besteht wei-     Marlis Prinzing & Saskia Sell                          gen gibt zwischen Ereignissen, Personen und Ins-     eine großartige Geschichte zu erzählen. Eine           ter) stieß er die COST Action
                                                                                                                                                                                                                          an. Butter ist Principal
          terhin die Möglichkeit zu kommentie-         Lara Jack (Coverzeichnung)                             titutionen, die man vorher niemals gesehen hat:      Geschichte, die absolute Sicherheit und Klarheit       Investigator des ERC-geför-
          ren.                                                                                                Jetzt bei Corona z.B. das Virus, die 5-G-Technolo-   bietet und den Zufall auslässt. Anders als es in der   derten Fünf-Jahres-Projekts
                                                       Erscheinungsweise:
            Diese Aviso-Ausgabe widmet sich            Zweimal jährlich                                       gie, die Bill-Gates-Stiftung und Wuhan.              offiziellen Version desselben Themas möglich ist,      „Populism and Conspiracy
                                                                                                                                                                                                                          Theory”, das im April 2020
          außerdem einem Sonderthema. Wir                                                                                                                          wo – z.B. bei Corona – Medien und Wissenschaft-
                                                       Redaktion:                                                                                                                                                         an den Start ging. (https://
          reflektieren, quasi in einem „Extra-         Marlis Prinzing & Saskia Sell                          Unter den Verschwörungstheoretikern sind             ler immer wieder auch die Positionen ändern,           cordis.europa.eu/project/
          blatt“, über das kommunikationswis-          (beide verantwortlich)                                 Kommunikationsprofis wie Eva Herman (früher          wenn man wieder andere Erkenntnisse hat.               id/865202/de).
                                                       m.prinzing@macromedia.de
          senschaftliche Arbeiten unter Coro-          saskia.sell@fu-berlin.de
                                                                                                              Nachrichtensprecherin) und Ken Jebsen (Ex-
          na-Bedingungen. Dazu haben wir               Lars Rinsdorf (Vorstand)                               Rundfunkmoderator) Wie wichtig ist dies für Verschwörungstheorien sind nicht neu. Worin
                                                       Stefan Weinacht (Neu Erschienen)
          Perspektiven aus der Forschung – kon-                                                               die Wirkung einer Verschwörungstheorie?     besteht der Hauptunterschied zu heute?
          kret zum virtuellen Start eines neuen        Anzeigenakquise:
                                                       Stefan Weinacht
          Forschungsprojekts – und Erfahrungen                                                                MB: Diese ehemaligen Journalisten können zwar        MB: Lange Zeit wurden sie von den Mächtigen als
          aus der Lehre sowie aus dem interna-         Anschrift der Redaktion:                               professionell kommunizieren und Inhalte tech-        normal angesehen und verbreitet, sie richteten
          tionalen Konferenzbusiness eingeholt.        Hochschule Macromedia                                                                                       sich in der Regel gegen Außenseiter und Schwa-
                                                                                                              nisch perfekt aufbereiten; noch wichtiger aber
                                                       University of Applied Sciences
          Auch hier ist uns daran gelegen, den         Lehrstuhl Kommunikationswissenschaft                   ist, dass sie die Rolle eines „Renegades“ spielen,   che. Heute hingegen richten sich Verschwörungs-
          Austausch im Fach voranzubringen,            und Journalistik                                       eines Abtrünnigen. Diese Figur gibt es seit Jahr-    theorien meistens gegen die Eliten selber.
                                                       Prof. Dr. Marlis Prinzing
          denn dieser für uns alle neue Arbeits-       Brüderstrasse 17, 50667 Köln                           hunderten: Leute, die Mitglieder der „Verschwö-
          modus wird uns weiterhin begleiten –                                                                rung“ waren, dann die Seiten wechselten und als      Verschwörungstheorien berühren öffentliche
                                                       Druck:
          mindestens noch ins kommende Win-            Griebsch & Rochol Druck, Hamm (Auflage: 1250)          Insider z.B. berichten können, wie es zugeht in      Diskursstrukturen und andere kommunikati-
          tersemester.                                 ISSN 2193-0341 [Print], ISSN 2193-035X [Internet]      den Redaktionen. Es bedarf aber nicht unbedingt      onswissenschaftliche Themen. Sie haben ge-
            Berichte aus unserem Vorstand so-                                                                 einer professionellen Kommunikationsstrategie.       meinsam mit Ihrem Fachkollegen Peter Knight

2									                                                aviso                        Nr. 71 Herbst 2020     Nr. 71 Herbst 2020                   aviso                                                                                             3
DEBATTE: "VERSCHWÖRUNGSTHEORIE"                                                                                                                                                                DEBATTE: "VERSCHWÖRUNGSTHEORIE"
                                                                                                                                                                                                                                  Anzeige
            das interdisziplinäre Forschungsnetzwerk                eine englische Uni unser Podcast viel wichtiger       anhängen? Das änderte sich mit der Krimkrise.
            „Comparative Analysis of Conspiracy Theory“             für den Impact, den man so für das Department         In deren Kontext wurden Journalisten als Teil der
            angestoßen. Welche Rolle spielte da die Kom-            generiert, als drei weitere Journal-Beiträge. Peter   „Lügenpresse“, der „Nato-Medien“ beschimpft,
            munikationswissenschaft?                                Knight, mit dem ich das Netzwerk angestoßen           was für sie schwer zu schlucken war. Anfang 2015
                                                                    habe, hat diese Transferleistung immer gepusht.       haben Peter Knight und ich den COST-Action-An-
            MB: Eine Mitarbeiterin von mir hat z.B. bei acade-      In Deutschland ist das schwierig abzuschätzen.        trag unter Hochdruck geschrieben. Wir wollten
            mia.edu recherchiert, wer zu Verschwörungsthe-          Ich weiß nicht, ob ich es so extrem machen wür-       unbedingt die Deadline im März schaffen und
            orien arbeitet; wer auf uns aufmerksam wurde,           de, wenn ich keine Professur hätte, weil man nie      dachten, das Thema sei gerade en vogue, bald
            konnte sich auch selbst melden. Aber tatsächlich:       weiß, wenn man vorsingt, ob man eine Kommis-          aber interessiere es keinen mehr. Doch dann ka-
            Es waren sehr wenige Kommunikationswissen-              sion hat, die das toll findet, oder eine, die das     men Flüchtlingssommer, Brexit, Trump, AfD, Pe-
            schaftler dabei; mir ist das bis jetzt nicht speziell   nicht so toll findet. In der Qualifizierungsphase     gida, jetzt Corona – das Thema blieb. Dieses Jahr
            aufgefallen.                                            kann es schwierig sein, viel populäre Veröffentli-    war es extrem wie nie; im Mai erhielt ich 160 An-
                                                                    chungen zu machen. Es kommt auch auf die Uni          fragen für Interviews. Da kam ich mit dem Absa-
            Sie haben das Thema nicht nur wissenschaft-             an und auf das Fach. An der Uni Tübingen findet       gen kaum mehr nach.
            lich aufgearbeitet, sondern auch populär.               man es toll, wenn Wissenschaftler oft in der Öf-
            Welche Rolle spielte der Transfer in die Öffent-        fentlichkeit auftreten und sich z.B. Geisteswis-      Hinzu kommen direkte Reaktionen der Men-
            lichkeit?                                               senschaftler, die etwas zu Corona zu sagen ha-        schen. Wie teilen sich diese bei Ihnen auf?
                                                                    ben, zu Wort melden. Das wird hier sehr positiv
            MB: Er war uns von Anfang an wichtig und er ist in      gesehen, auch wenn es nicht irgendwie zusätz-         MB: Etwa 60 Prozent der Mails zum Thema sind
            der Projektausschreibung breit angelegt. Es war         lich honoriert wird. Hinzu kommt: Unser Rektor        Fragen von Journalisten; 20 Prozent umfassen

av[Debatte]
            klar, dass wir ein Handbuch und damit eine große        ist, wie ich auch, Amerikanist; in unserem Fach       positives Feedback von Leuten, die in einem
            wissenschaftliche Publikation machen wollten.           zählt die die angloamerikanischen Diskurse prä-       Webinar oder einem Vortrag von mir waren und
            Aber wir hatten schon zu Beginn des Netzwerks           gende Einstellung, dass sich Forscher eher dem        z.B. Rat suchen, weil der Vater plötzlich Ver-
            im Januar 2017 einen Stakeholder-Workshop in            Ideal als „public intellectuals“ nahe sehen und es    schwörungstheorien gut finde. Und 20 Prozent
            Brüssel, zu dem wir uns Leute von der EU-Kom-           gut finden, wenn sie in der Öffentlichkeit gese-      der Schreiben kommen von Leuten, die mich
            mission geholt haben, aus dem journalistischen          hen und gehört werden.                                wüst beschimpfen. Aber das nimmt ab, weil sie
            Bereich, von NGOs, dem Bildungsbereich und                                                                    mittlerweile eher im Netz ablästern, teilweise in
            hören wollten: Was macht Ihr bereits? Und was Forschung zu Verschwörungstheorien ist Ihr                      90minütigen Videos; Ausschnitte daraus nehme
            braucht Ihr? Darauf haben wir uns auch ausge- Kernthema geworden. Wie kam das?                                ich gerne als Einstieg in einen Vortrag.
            richtet – und einen Praxisleitfaden gemacht und
            dann noch einen Podcast.                           MB: Bei meiner Doktorarbeit zur Darstellung von            Sie schauen sich an, was Verschwörungstheore-
                                                               Adolf Hitler in der amerikanischen Literatur stieß         tiker über Sie verbreiten?
            In der deutschen Forschungsgemeinschaft,           ich auf Verschwörungsszenarien wie z.B., dass
            auch in der Kommunikationswissenschaft, gibt Hitlers Tochter amerikanische Präsidentin wer-                   MB: Zum Teil ja, weil ich wissen will, wie sie ar-
            es für solche Transfers wenig Incentivierung.      den wolle und ein CIA-Agent sie stoppen solle. Ich         gumentieren. Diesen Sommer haben Verschwö-
            Es wird befürchtet, dass sie einer Karriere auch habe zu solchen Szenarien ein Seminar gemacht,               rungstheoretiker unser COST-Netzwerk entdeckt;
            schaden können. Wie war das im Netzwerk?           dann zum Thema habilitiert und bin dabeige-                jetzt schreiben sie, da seien ja genau die Leute
                                                               blieben.                                                   dabei, die in einer Sendung von „Quarks und Co.“
            MB: Allen, die dort zusammenkamen, waren die                                                                  (28.6.2016) befragt wurden und das zeige, welche
            wissenschaftliche Seite und der Transfer in die ... und mittlerweile einer der bedeutendsten                  geheimen Netzwerke es hier gebe. Doch in der
                                                                                                                                                                               Das Forschungsnetzwerk „Comparative Analysis
            Öffentlichkeit wichtig. Wir sind dort geprägt von Experten in diesem Feld. Wie hat sich Ihrer                 Sendung wird ja gesagt, dass man beim Treffen        of Conspiracy Theory“ wurde von der Initiative
            der britischen Kultur; in Großbritannien ist die Wahrnehmung nach das Interesse am Thema                      unseres Netzwerks die Interviews gemacht hat,        European Cooperation in Science and Techno-
            Verschwörungstheorieforschung sehr stark. Für entwickelt?                                                     außerdem stehen wir im Internet; es ist also si-     logy (COST) gefördert. An der COST Action von
                                                                                                                                                                               2016-2020 wirkten rund 60 Wissenschaftler aus
            die Bewertungen, die alle fünf Jahre an den briti-                                                            cher keine Rechercheleistung, herauszufinden,
                                                                                                                                                                               über 30 Ländern mit, überwiegend aus Fächern
            schen Hochschulen gemacht werden, ist Impact MB: Seit 2014 stieg es kontinuierlich. Vorher ka-                dass wir im Netzwerk zusammenarbeiten.               wie Geschichtswissenschaft, Politik, Soziologie,
            wichtig. Das heißt dort nicht nur: wo hat man men zwei Mal im Jahr dazu Anfragen – immer                                                                           Anthropologie, Kulturwissenschaften und
                                                                                                                                                                               Psychologie.
            publiziert und wieviel, sondern auch: wie trägt mit der Richtung, warum die Amerikaner (impli-
                                                                                                                                                                               Netzwerk: https://conspiracytheories.eu/
            man es in die Öffentlichkeit? Zum Beispiel ist für zit: anders als die Deutschen) solchen Theorien            Das Interview führte Marlis Prinzing.

4									                                                                       aviso              Nr. 71 Herbst 2020    Nr. 71 Herbst 2020                 aviso                                                                     5
DEBATTE: "VERSCHWÖRUNGSTHEORIE"                                                                                                                                                            DEBATTE: "VERSCHWÖRUNGSTHEORIE"

            Verschwörungstheorien – (k)ein Thema                                                                        sind implizit oder explizit Teil weltanschauli-
                                                                                                                        cher und politischer Auseinandersetzungen in
                                                                                                                                                                              sind: Der Begriff der „Systemmedien“, der inzwi-
                                                                                                                                                                              schen Journalist*innen von wütenden Demons-

            für die Kommunikationswissenschaft?                                                                         der Gesellschaft. Es geht um Sinnsuche, Angst
                                                                                                                        vor fremder Kontrolle sowie fehlender Selbstbe-
                                                                                                                                                                              trierenden entgegen geschmettert wird, basiert
                                                                                                                                                                              auf eben jener Idee einer sinistren Verschwörung
                                                                                                                        stimmung in einer komplexen Welt – letztlich          der Machteliten, zu denen etablierte Medien en
            Standpunkt:
                                                                                                                        also um Fragen der Macht. Selbst die wirrsten         bloc gehören.
            Thorsten Quandt (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)

           S
                                                                                                                        Verschwörungstheorien stehen für den Versuch,           Damit kommt der Kommunikationswissen-
                    pätestens seit der Corona-Krise kennen        te zu etablieren, um den Unterschied zur Vorge-       alternative Erklärungen jenseits eines als domi-      schaft eine zentrale Rolle bei der Erforschung von
                    wir wohl alle ein paar sogenannte „Ver-       hensweise im System Wissenschaft deutlich zu          nant angesehenen ‚Mainstreams‘ zu finden, zu          Verschwörungstheorien zu, denn sie kann wie
                    schwörungstheorien“, die den Weg aus          machen. Das hilft zwar bei der Differenzierung        dem in der Sicht ihrer Anhänger neben Politik         kein anderes Fach eben diese Aspekte empirisch
                    dubiosen Ecken des Internets in die öf-       – und vielleicht auch ein klein wenig der Selbst-     und etablierter Wissenschaft auch die Medien          wie theoretisch adressieren. Insofern sollte sich
            fentliche Diskussion gefunden haben. Das Virus        vergewisserung der Wissenschaft –, doch wird          gehören. Insofern ist es kein Zufall, dass Medien     unsere Disziplin nicht nur mit dem Thema ausei-
            stamme eigentlich aus einem Biowaffenlabor.           man dem Phänomen und seiner Bedeutung in              selbst Gegenstand von Verschwörungstheorien           nandersetzen – sie muss es sogar!
            Bill Gates habe Corona entwickeln lassen, um          der Gesellschaft allein mit Definitionslyrik oder
            Impfungen der Bevölkerungen zu erzwingen. Die         dem eiligen Verschieben ins Reich der Blöden
            Bundesregierung sei Mitwisser eines langfristi-
            gen Plans, Corona in der Welt zu streuen – ver-
                                                                  nicht gerecht.
                                                                    Denn unter den Verschwörungstheorien gibt es        „Lügenpresse“ als „Medienkritik“ –
            mutlich mit dem Ziel, die Macht der Eliten zu fes-
            tigen oder bestimmte Bevölkerungsgruppen zu
                                                                  hartnäckige „Klassiker“, die immer wieder aktua-
                                                                  lisiert werden: Das Schicksal des vermuteten Aus-     Eine Einordnung
            vernichten. Und Angela Merkel sei entführt und        tauschs teilt Angela Merkel beispielsweise mit Sir
                                                                                                                        Standpunkt:

av[Debatte]
            irgendwo nach Südamerika verbracht worden.            Paul McCartney, der angeblich im Jahr 1966 durch
                                                                                                                        Jens Seiffert-Brockmann (Wirtschafts-Universität Wien)

                                                                                                                        A
            Die aktuelle Merkel: nur eine Doppelgängerin.         einen Doppelgänger ersetzt wurde. Auch diverse
              Von vielen anfangs belächelt, werden solche         andere Personen der Zeitgeschichte wurden an-                   ls sich der Komet Hale-Bopp im Früh-        wurde der Begriff von den Nazis massentauglich
            Ideen inzwischen auf sogenannten „Hygienede-          geblich ausgetauscht, geklont oder warten nur                   jahr 1997 der Sonne näherte, begaben        gemacht, um Hass gegen jüdische Mitmenschen
            mos“ oder in „Alternativmedien“ breit gestreut        im Exil auf ihre Rückkehr: Dass Adolf Hitler und                sich die Anhänger der Sekte Heaven‘s        und Andersdenkende zu schüren. Die Konse-
            – und sie finden nicht nur bei Esoteriker*innen       führende Nazis sich mit Reichsflugscheiben auf                  Gate in ein Fachgeschäft, um ein Te-        quenzen sind bekannt.
            und Verwirrten Anklang, sondern inzwischen            die Rückseite des Mondes zurückgezogen haben,         leskop zu kaufen. Mit dem Teleskop wollten sie          Man muss sich die Begriffshistorie immer wie-
            bei vielen, die Zweifel an der aktuellen Corona-      um bei richtiger Gelegenheit wieder zu kommen,        im Schweif des Kometen ein Raumschiff beob-           der vor Augen halten, um die als „Medienkri-
            Politik haben. Von dieser in mehrfacher Hinsicht      ist inzwischen Teil der Popkultur und wird sogar      achten, von dem sie glaubten, es sei gekommen,        tik“ getarnte Schmähung einordnen zu können.
            ‚virulenten‘ Debatte leicht genervte Kolleg*innen     in Computerspielen oder Kinofilmen themati-           um ihre Seelen von ihrem irdischen Dasein zu er-      Schon während des Erstarkens von Pegida war
            werden sich vermutlich fragen: Soll sich dann         siert.                                                lösen und auf eine höhere Entwicklungsstufe zu        die erste, verständliche Reaktion eine introspek-
            auch noch die Kommunikationswissenschaft                Jedoch hört hier das Amüsante im Populären          bringen. Auf der Erde blieb ihnen das verwehrt,       tive: Ausgewogene, transparente und selbstre-
            (und der Aviso!) mit so etwas auseinandersetzen,      auch schnell wieder auf: Denn die Nazis selbst        da böse Aliens konspirierten um die Entwick-          flexive Berichterstattung, die Fehler offenlegt,
            oder läuft man hier einem aktuellen Modethema         sind nicht nur Gegenstand von Verschwörungs-          lung der Menschheit aufzuhalten. Der Verkäufer        so sie passiert sind. Vermutlich wird ein solcher
            hinterher, das wieder verschwinden wird und ei-       theorien, sie haben sie selbst für politische Zwe-    staunte nicht schlecht, als die Kunden wenige         Journalismus langfristig das seit Jahrzehnten
            gentlich nichts mit dem Fach zu tun hat?              cke instrumentalisiert, mit bekannten Folgen.         Tage später wiederkamen und ihr Geld zurück-          erodierende Vertrauen in die Medien stabilisie-
              Tatsächlich hat sich unsere Disziplin in der Ver-   Dolchstoßlegende und jüdische Weltverschwö-           verlangten, mit der Begründung, das Gerät sei         ren oder steigern. Doch kurzfristig ist sogar Was-
            gangenheit nur stiefmütterlich um Verschwö-           rung waren wirkmächtige Bausteine der Ideo-           kaputt. Den Kometen hätten sie zwar sehen kön-        ser auf die Mühlen derjenigen, die ihren kruden
            rungstheorien gekümmert – wie übrigens die            logie, die letztlich in die größte Tragödie des 20.   nen, nicht aber das Schiff in seinem Schweif. Folg-   Verschwörungsglauben popularisieren und zu
            Wissenschaft insgesamt. Dies mag einerseits           Jahrhunderts geführt hat. Nicht alle Verschwö-        lich müsse das Fernrohr defekt sein.                  Geld machen wollen. Denn die Proponenten
            daran liegen, dass man vieles sehr schnell als        rungstheorien sind also harmlose und schnell-           Das vermeintlich defekte Teleskop der Ver-          der „Lügenpresse“ deuten Selbstkritik meist als
            witzigen, jedoch irrelevanten Unsinn abtun            lebige Spinnerei, sondern sie folgen mitunter         schwörungsgläubigen im Jahr 2020 sind die so-         Schwäche und instrumentalisieren sie, um die
            konnte, andererseits an der eher irreführenden        einem gefährlichen politischen Kalkül. Diese          genannten Mainstreammedien. Seit der Grün-            Spirale der Empörung weiterzudrehen. Digitale
            Bezeichnung als „Theorie“. Letzteres hat jüngst       Historie ließe sich übrigens von der Antike bis ins   dung von Pegida 2014 ist es wieder in Mode            Plattformen belohnen diese in Clicks übersetzte
            zu geradezu reflexhaften Abwehrreaktionen bei         Heute nachverfolgen.                                  gekommen, für diese Medien das Mem „Lügen-            öffentliche Aufmerksamkeit oft noch, indem sie
            Akademiker*innen und dem Versuch geführt,               Verschwörungstheorien sind damit ganz grund-        presse“ zu verwenden. Wie viele zweifelhafte          Werbeeinnahmen mit den Kanalbetreibern tei-
            andere Begriffe wie „Verschwörungsmythen“             legend Medien- und Kommunikationsthemen:              „Innovationen“ ist auch die „Lügenpresse“ ein         len oder Crowdfunding ermöglichen.
            oder „Verschwörungserzählungen“ in der Debat-         Mit ihnen wird Öffentlichkeit gesucht, und sie        Kind des Krieges. Ersonnen im Ersten Weltkrieg,         „Lügenpresse“ ist ein Kampfbegriff und sollte

6									                                                                     aviso              Nr. 71 Herbst 2020    Nr. 71 Herbst 2020                   aviso                                                                 7
DEBATTE: "VERSCHWÖRUNGSTHEORIE"                                                                                                                                                          DEBATTE: "VERSCHWÖRUNGSTHEORIE"

            als solcher verstanden werden. Die Behauptung,         den all dies verbergen helfen und decken.            al Bots“ schon auf eindeutig menschliche Nut-      Wahrzeichens verkündet (“BONG BONG BONG”),
            man wolle „Medienkritik“ betreiben, ist lediglich         „Lügenpresse“ als Hilfshypothese von Ver-         zer gestoßen, die in einer einzigen Stunde 200     als menschlich bewertet wird.
            eine strategische Camouflage, deren Funktion           schwörungstheoretikern bedroht die freie Gesell-     Tweets abgesetzt haben. Unzählige teils promi-       Wäre das Botometer nur eine amüsante Jahr-
            darin besteht, Zweifel zu säen. In der modernen        schaft und muss strategisch bekämpft werden.         nente Twitternutzer gelten nach Howards Krite-     marktattraktion, könnte man es belächeln oder
            Informationsgesellschaft fällt dieser Zweifel          Die Anhänger von Heaven’s Gate, die von Dritten      rium als Bots.                                     ignorieren. Tatsächlich fußt aber ein Großteil der
            leicht auf fruchtbaren Boden. Denn scheinbare          immer als freundlich im Auftritt beschrieben           Einen anderen Ansatz, den hypothetischen Mei-    wissenschaftlichen Literatur über „Social Bots“, in
            „Belege“ für die Richtigkeit eines Verschwörungs-      wurden, haben mit ihrem Glauben letztlich vor        nungsrobotern vollautomatisch auf die Schliche     denen oft von zehntausenden Social-Bot-Funden
            glaubens lassen sich im Internet schnell finden        allem sich selbst geschadet. Bei den Coronaleug-     zu kommen, verfolgte der amerikanische Botfor-     berichtet wird, auf der Prämisse, dass dem Boto-
            und in sozialen Medien ebenso schnell verbrei-         nern ist dies anders. In der aktuellen Pandemie      scher Emilio Ferrara. Wenn Computer mittels ma-    meter vollständig zu vertrauen sei. Deshalb sind
            ten. Allein die Theorien rund um Corona sind           geht es nicht mehr nur um diejenigen, die sich       schineller Lernverfahren in der Lage sind, Hunde   diese Veröffentlichungen das Papier nicht wert,
            bereits jetzt erschreckend verbreitet, wie eine        in massenmedialen Diskursen nicht mehr reprä-        von Katzen zu unterscheiden, warum dann nicht      auf dem sie gedruckt sind. Und das ist den Auto-
            jüngste Repräsentativstudie von Marketagent in         sentiert sehen, sich von Abstieg bedroht fühlen      auch Menschen von „Social Bots“? Dumm nur,         ren durchaus bewusst. Fragt man diese nämlich
            Österreich zeigt: elf Prozent der Befragten glau-      und daher Zuflucht im Verschwörungsglauben           dass man hierfür repräsentative Stichproben        nach nur einem einzigen konkreten Beispiel für
            ben, dass Bill Gates mit Mikrochips in Impfstof-       suchen. Es geht um die Gesundheit aller und da-      beider Klassen benötigen würde. In Ermange-        einen „Social Bot“, so stehen sie stets, peinlich be-
            fen Menschen kontrollieren will. 13,6% vermu-          rum, in unsicheren Zeiten wertvolles Vertrauen       lung von „Social Bots“ entschied er sich, eine     rührt, mit leeren Händen da.
            ten, ein Impfstoff ist bereits entwickelt, wird aber   in Medien zu erhalten. Die Kommunikations-           Stichprobe von kommerziellen Spam-Accounts           Jeder einzelne angebliche Fund eines „Soci-
            zurückgehalten und 14% sind der Überzeugung,           wissenschaft kann nichts zur Erforschung eines       aus den Pionierjahren von Twitter unauffällig in   al Bots“, über den in der „Social-Bot-Literatur“
            dass Geheimgesellschaften die Krise nutzen, um         Impfstoffes beitragen. Aber sie kann die Fakten      „Social Bots“ umzudeklarieren und damit sein       und in Zeitungsartikeln berichtet wird, lässt sich
            die Errichtung einer autoritären Weltordnung vo-       liefern, um die Öffentlichkeit gegen die nicht       „Botometer“ zu trainieren. Das Ergebnis ist eine   durch diese und andere methodische Fehler und
            ranzutreiben. Und die „Mainstreammedien“ wür-          minder gefährliche Infodemie zu inokulieren.         algorithmische Wünschelrute, die ohne erkenn-      Taschenspielertricks erklären. Das Problem ist
                                                                                                                        bares System Bewertungen zwischen 0 (Mensch)       den einschlägigen Forschern längst bekannt. Es
                                                                                                                        und 5 (Bot) vergibt. Zahlreiche Journalisten,      ist an der Zeit, dass in diesem aus dem Ruder

            Wie Wissenschaftler den                                                                                     Abgeordnete und Nobelpreisträger werden als
                                                                                                                        Bots eingestuft, während etwa der automatisier-
                                                                                                                                                                           gelaufenen Forschungsgebiet die Selbstkor-
                                                                                                                                                                           rekturmechanismen der Wissenschaft in Gang

            Social-Bot-Aberglauben kreierten                                                                            te Account @big_ben_clock, der seit zehn Jah-
                                                                                                                        ren stündlich die Glockenschläge des Londoner
                                                                                                                                                                           kommen.

            Standpunkt:
            Florian Gallwitz (Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm)

            V
                       erschwörungstheorien und „Fake              den Gegenstand ihrer Forschung finden? Das Be-       Verschwörungstheorie als
                       News“ sollen sie verbreiten, ja eine
                       Bedrohung für die Demokratie seien
                                                                   trachten einzelner Twitter-Accounts ist zeitrau-
                                                                   bend. Schlimmer noch, die Illusion vermeintli-       Wissenschaftskritik
                       sie. Forscher warnen seit Jahren vor ge-    cher Botfunde wird dadurch regelmäßig zerstört.
                                                                                                                        Standpunkt:
            heimnisvollen „Social Bots“, als menschliche Nut-      Ambitionierte Botforscher suchten deshalb nach
                                                                                                                        Jens Soentgen (Universität Augsburg)

av[Debatte]                                                                                                             V
            zer getarnten automatisierten „Meinungsrobo-           Kriterien, anhand derer sich Bots automatisch
            tern”. Diese sollen auf Twitter zu Abertausenden       aus großen Datensätzen extrahieren ließen. Los-                erschwörungstheorie: das Wort stammt     teleuropa. Diese Verschwörungstheorien waren
            unterwegs sein und, programmiert von finsteren         gelöst von lästigen konkreten Einzelfällen konnte              aus der Philosophie, geprägt wurde       eine naheliegende Ergänzung der Klimaskepsis.
            Hintermännern, politische Diskussionen mani-           die Diskussion so unmittelbar auf eine quantita-               es vom Wissenschafts- und Sozialphi-     Denn wenn jemand die wissenschaftliche Lehr-
            pulieren. Doch der Glaube an Social-Bot-Armeen         tive Ebene gehoben werden.                                     losophen Karl Popper. Leider aber hat    meinung bezweifelt, dass der Klimawandel 1)
            ist selbst eine ebenso abwegige wie toxische Ver-        Eine radikal einfache Idee zur zeitsparenden       sich die Wissenschaftsphilosophie anschließend     überwiegend durch die gesellschaftliche Emissi-
            schwörungstheorie, die Benutzer von Sozialen           Identifikation von Bots kam dem Soziologen Phi-      kaum mehr mit dem Phänomen befasst. In der         on von Kohlendioxid und weitere Treibhausgase
            Medien entmenschlicht und legitime politische          lip Howard. Ein Twitter-Account sei dann ein Bot,    Corona-Krise nun tauchen auf breiter Front Ver-    verursacht ist; 2) bereits jetzt messbar ist, 3) sich
            Meinungsäußerungen diskreditiert.                      wenn er mehr als 50 Tweets pro Tag aussende.         schwörungstheorien auf, auch solche, die sich um   künftig, wenn keine wirksamen Gegenmaßnah-
              Vor allem Forscher aus den Sozial-, Politik- und     Howard lässt freilich offen, warum er die Schwel-    Wissenschaftler drehen, und werden von Perso-      men ergriffen werden, weiter entfalten wird und
            Kommunikationswissenschaften, weitgehend               le nicht etwa bei 20 oder bei 500 angesetzt hat.     nen aller Bildungsniveaus gestreut.                4) überwiegend negative Auswirkungen hat,
            unbelastet von technischem Sachverstand, wit-          Der Autor dieser Zeilen ist bei seiner seit 18 Mo-     Auch im Kontext des Klimathemas sind Ver-        dann war eine Erklärung erforderlich, weshalb
            terten vor wenigen Jahren in der Erforschung von       naten andauernden vergeblichen Suche nach            schwörungstheorien gestreut worden, insbeson-      denn dann die ganz überwiegende Mehrheit der
            „Social Bots“ ihre Chance. Bloß, wie sollten sie       auch nur einem einzigen Exemplar eines „Soci-        dere in den USA, jedoch auch in Ost- und Mit-      Wissenschaftler genau dies behauptete.

8									                                                                     aviso              Nr. 71 Herbst 2020    Nr. 71 Herbst 2020                 aviso                                                                   9
DEBATTE: "VERSCHWÖRUNGSTHEORIE"                                                                                                                                                DEBATTE: "VERSCHWÖRUNGSTHEORIE"
                                                                                                                                                                                                          Anzeige
              Wie kommt es, dass diese Klimaforscher etwas        chen, bietet dies nur allzuleicht ein Aha-Moment.     bundesamtes nachweisen kann. Wenn nun ein
            lehren, das nach Auffassung der Klimaskeptiker          Die Wissenschaft, die sich, meist mit gutem         Nichtwissenschaftler sagt, dass die Umwandlung
            in wesentlichen Teilen falsch ist? Die Antwort lie-   Grund, in die Rolle des Anklägers begibt, des         eines freifließenden Flusses in ein CO2-neutrales
            fert die Verschwörungstheorie.                        Anklägers etwa ökologisch problematischer For-        Wasserkraftwerk Umweltzerstörung und nicht
              In einer gemeinsam mit Helena Bilandzic             men der Energieerzeugung, findet sich nunmehr         Umweltschutz sei, können wir daraus, wenn wir
            durchgeführten gründlichen Untersuchung der           selbst auf der Anklagebank. Dies ist historisch       diesen Kritiker nicht gleich als Kohlelobbyisten
            klimaskeptischen Literatur konnten wir zeigen,        keineswegs eine einmalige Situation. Die mo-          abtun, immerhin lernen, dass die stillschwei-
            dass sehr viele Klimaskeptiker zugleich Ver-          dernen Formen der Verschwörungstheorien, die          gende Gleichsetzung von Umwelt mit Klima eine
            schwörungstheoretiker sind. Sie glauben z.B.,         sich um geheime, hochgebildete und emotions-          problematische Verengung darstellt. Die Wis-
            dass unter dem Vorwand des Klimaschutzes eine         los, mit Pokerface handelnde Akteure drehen,          senschaft sollte lernen, in einen symmetrischen
            ganz andere Agenda durchgesetzt werden soll,          werden erstmals in der Epoche der Aufklärung          und für beide Seiten produktiven Dialog mit ih-
            etwa ein radikaler gesellschaftlicher Umbau.          fassbar. Gleichwohl ist nach Jahrzehnten eines        ren dialogfähigen und dialogbereiten Kritikern
            „Green is the new red“ ist ein in der US-amerika-     dominant wissenschaftsfreundlichen Klimas, je-        einzutreten.
            nischen klimaskeptischen Literatur bedeutsames        denfalls in Mitteleuropa, nun erstmals ein Bruch        Klimakrise und Coronakrise machen deutlich
            Schlagwort hierfür. Und sie wollen eine Wirklich-     unverkennbar.                                         wie nie zuvor, dass wir nicht nur die eigene Spe-
            keit hinter den Dingen herausfinden, zu der nur         Die Reaktion von Seiten der Wissenschaft ist        zialdisziplin zum Nabel der Welt machen soll-
            Indizien und indirekte Schlussfolgerungen füh-        meist aggressiv. Es macht aber wenig Sinn, nun        ten, sondern durch kontinuierliche interdiszip-
            ren, der Begriff impliziert also eine Wertung.        umgekehrt Verschwörungstheorien zu bemühen,           linäre Kooperationen den berühmten Blick über
              Entscheidend ist, dass Verschwörungstheori-         also z.B. zu verallgemeinern, dass Wissenschafts-     den Tellerrand kultivieren müssen. Uns ist die

av[Debatte]
            en im Kern als Erzählungen funktionieren. Der         kritiker von der Kohle- und Erdölindustrie unter-     Fähigkeit abhanden gekommen, aufs Ganze zu
            Theologe Thomas Hausmanninger hat dies in             stützt würden, oder jedem Kritiker der Maßnah-        blicken. Dies liegt besonders an dem drastisch
            einer sehr guten, leider kaum rezipierten Studie      men gegen die Coronapandemie ein Aluhütchen           gewachsenen Graben zwischen den Sozial- und
            schon vor mehreren Jahren zeigen können. Be-          aufzusetzen und ihn als Verschwörungstheore-          Geisteswissenschaften auf der einen und den Na-
            zieht man seine Ergebnisse auf die Gegenwart,         tiker abzuqualifizieren. Auch der Hinweise, dass      turwissenschaften auf der anderen Seite. Die Fä-
            dann bedeutet dies: Eine sehr komplexe wissen-        die Wissenschaftskritiker ja keine hinreichenden      higkeit zur disziplinären Mehrsprachigkeit müss-
            schaftliche Lageanalyse aus mithilfe von Hoch-        Fachkenntnisse hätten ist wenig hilfreich.            te viel mehr gepflegt werden: Stattdessen setzt
            leistungsrechnern berechneten Szenarien wird            Zielführend könnte jedoch sein, sich die Art der    aber z.B. die DFG trotz mancher interdisziplinä-
            ersetzt durch eine soziale Erklärung. Ein Ver-        vorgetragenen Kritik genauer anzuschauen.             rer Kosmetik fast ausschließlich auf disziplinäre
            schwörungstheoretiker spricht nicht von abstrak-        In der Wissenschaftskritik, gerade auch in der      Spezialisierung, selbst in eigentlich integrativen
            ten und unsichtbaren, oft schwer begreifbaren         Kritik von Nichtfachleuten, steckt oft ein zutref-    Fächern wie der Geographie. Wir müssen aber
            Objekten wie Reproduktionszahl, Kohlendioxid,         fender Kern, die Diskussion über Transdizipli-        nicht nur immer präziser analysieren, sondern
            Klima oder globaler Durchschnittstemperatur,          narität hat immer wieder darauf hingewiesen.          auch in der Lage sein, unterschiedliche Aspekte
            sondern führt als Erklärung eine kleine, heimlich     Wenn Kritik der Motor der Wissenschaft ist, dann      in eine wissenschaftlich fundierte Gesamtsicht
            operierende Gruppe von Menschen ein, die Macht        muss dies nicht nur die Kritik aus dem Fachkol-       zu integrieren. Erst wo dies gelingt, kann ein sinn-
            oder Geld will. Mit dieser Erzählung schafft er ein   legium sein. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass       voller Dialog begonnen werden.
            Feindbild, bietet emotionale Entlastung und er-       Nichtfachleute Verfahren zur Messung des atmo-
            möglicht allen, die ihm folgen können, eine Art       sphärischen Kohlendioxids verbessern; Metho-
            von sozialem ‚Aufstieg‘ oder Rollenwechsel. Man       den werden immer eine innerwissenschaftliche
            ist Befunden der Wissenschaft und einer wissen-       Domäne bleiben. Aber bezogen zum Beispiel              Debatte – online
            schaftsgeleiteten Politik nicht mehr ausgeliefert,
            sondern wird vom Ermahnten zum Mahner, vom
                                                                  auf die grundlegenden Begriffe kann nichtfach-
                                                                  liche Kritik sehr wohl auf verengte Auffassungen
                                                                                                                         und diskursoffen
            Adressaten wohlmeinender wissenschaftlicher           und auf unbefragte Prioritäten hinweisen. Ein          Auch dieser Debattenschwerpunkt wird auf
            Aufklärungsbemühungen zum ‚Aufklärer‘.                erheblicher Teil der Kritik an der Klimapolitik ist    der DGPuK-Webseite wieder online gestellt
              Zugleich wird auch jemand präsentiert, der an       z.B. darauf zurückzuführen, dass der Umweltbe-         und Mitglieder der DGPuK können sich am
            der ganzen ambivalenten und stressreichen Si-         griff seit etwa dreißig Jahren systematisch mit        Gespräch beteiligen; selbstverständlich ent-
            tuation schuld ist. Für Menschen, die nun einmal      Klima gleichgesetzt wird, bzw. dass das Klima          lang von Netiquette und von gängigen Regeln
            soziale, manche sagen sogar ultrasoziale Wesen        zum wichtigsten Umweltthema avancierte, wie            der Fairness. Auf den produktiven Austausch!
            sind, die immer und überall nach Akteuren su-         man etwa an den Jahresberichten des Umwelt-

10									                                                                    aviso              Nr. 71 Herbst 2020    Nr. 71 Herbst 2020                   aviso                                           11
AUS DEN
DEBATTE: WISSENSCHAFT ALS BERUF                                                                                                                                                                            AUS DEN FACHGESELLSCHAFTEN

                                                                                                                                                                                                 bedingungen und entsprechende Lösungsmöglichkeiten

FACHGESELLSCHAFTEN
                                                                                                                                                                                                 fehlen in Österreich immer noch weitgehend. Umso bedeu-
                                                                                                                                                                                                 tender sind die Initiativen unserer deutschen Kolleg*innen;
                                                                                                                                                                                                 im Fach vor allem vorangetrieben durch die DGPuK-
                                                                                                                                                                                                 Nachwuchssprecher*innen.
                                                                                                                                                                                                  Die Auswirkungen von Covid-19 haben die Situation im
                                                                                                                                                                                                 Wissenschaftsbetrieb nur noch verschärft. Auch in Öster-

                                                                                                                                 L
                                                                 die Kommunikationswissenschaft hinaus von Bedeutung                                                                             reich haben daher Jungwissenschaftler*innen zusammen
                                                                 sind. So sind wir mit der DVPW, mit der zusammen wir eine             iebe Kolleg*innen, die „Roaring Twenties“ haben begon-    mit anderen Universitätsangehörigen auf die nun teils exis-

C
                                                                 Wahl-Allianz gebildet hatten, im engen Austausch über In-             nen! Wir hoffen, dass Sie und Ihre Familien gesund und    tenzbedrohenden Entwicklungen öffentlich aufmerksam
          OVID19 beeinträchtigt nach wie vor den wissen-         itiativen im RatSWD. Des Weiteren haben wir zusammen                  munter sind und starten als ÖGK in die zweite Hälfte      gemacht. Ein Vorschlag, zumindest die durch die Pandemie
          schaftlichen Austausch in unserem Fach, zunächst       mit Vertreter*innen anderer Fachgesellschaften intensive              dieses eigentlich dem wissenschaftlichen Nachwuchs        entstandenen Nachteile für das Erreichen von Qualifikati-
          bei unseren Fachgruppen, deren Tagungen in die-        Gespräche darüber geführt, wie wir gemeinsam an Themen          gewidmete Jahr mit einer entsprechenden Reflexion unse-         onsvereinbarungen durch ein „neutrales Semester“ abzufe-
          sem Jahr verschoben oder auf Online-Formate            arbeiten können, die die Arbeitsbedingungen und Zukunfts-       res Nachwuchssprechers Roland Holzinger. Darüber hinaus         dern, liegt bisher noch ohne Entscheid im österreichischen
umgestellt wurden. So sehr wir den persönlichen Austausch        perspektiven von Wissenschaftler*innen im Mittelbau be-         möchten wir den „öffentlichen Auftrag“ der Medien- und          Wissenschaftsministerium.
vermissen, so klar ist aber auch die Notwendigkeit, das Infek-   treffen. Auf große Resonanz ist ein Papier zur Wissenschafts-   Kommunikationswissenschaften gerade in den Zeiten beto-          So sind es also vor allem Diskussionsinitiativen, die auch für
tionsgeschehen zu kontrollieren. Gleichzeitig gehen die Fach-    kommunikation gestoßen, das wir zusammen mit der DGS            nen, in denen eine „pandemic“ zu einer „infodemic“ wird, wie    den kommunikationswissenschaftlichen Mittelbau in Öster-
gruppen sehr kreativ mit der Situation um und testen neue        initiiert haben. Dem Positionspapier, das in wesentlichen       es die WHO labelt. Dementsprechend freuen wir uns, einen        reich den Fokus über die individuelle Betroffenheit hinaus
Online-Formate. Wir sehen es als wichtige Aufgabe des Vor-       Teilen von Mitgliedern der Fachgruppe Wissenschaftskom-         kleinen Einblick in ein von dem Institut für Höhere Studien     auf die strukturellen Rahmenbedingungen lenken sollen. Ein
stands an, diese Erfahrungen zusammenzutragen, um beson-         munikation entwickelt wurde, haben sich bereits 13 Fachge-      (IHS) initiiertes und von der ÖGK mitgetragenes und mitge-      Auftakt hierfür hätten die kommunikations- und medienwis-
ders erfolgreiche Ansätze für künftige Tagungen übernehmen       sellschaften angeschlossen.                                     staltetes öffentliches Forum zu geben, das den Titel „Leben     senschaftlichen Tage (KMWT) 2020 in Salzburg sein können,
zu können.                                                         Auch ein weiteres fachpolitisches Thema wollen wir weiter     mit Corona“ trug. Wir wünschen einen sonnendurchflute-          die gemeinsame sogenannte Nachwuchstagung von DGPuK,
  Auch die gemeinsame Jahrestagung von SGKM, ÖGK und             begleiten: Die Ergebnisse der AG Forschungsverbünde sind        ten, fröhlichen Sommer, Franzisca Weder, Corinna Peil und       SGKM und ÖGK, die erstmals in Österreich stattfindet. Doch
DGPuK im April 2021 in Zürich wird als Online-First-Tagung       inzwischen sowohl auf der DGPuK-Website als auch in der         Matthias Wieser (für den Vorstand)                              auch hier hat Covid-19 den Auftakt eines längst überfälligen
stattfinden Die frühe Festlegung des Veranstaltendenteams        Publizistik veröffentlicht. Im Nachgang zur Mitgliederver-                                                                      Austausches unter den Betroffenen aus Deutschland, der
eröffnet Optionen, die Tagung von vornherein an die virtu-       sammlung in München hat die AG in einer virtuellen Sitzung      Ein Jahr ÖGK-Nachwuchsarbeit – was für ein Jahr!                Schweiz und Österreich zumindest für dieses Jahr vereitelt.
elle Umgebung anzupassen und dabei Erfahrungen einzu-            Ideen dazu entwickelt, wie die DGPuK den Knowhow-Trans-                                                                         Umso mehr freue ich mich daher auf die KMWT 2021, die
bringen, die wir auf Online-Konferenzen gemacht haben            fer innerhalb der Kommunikationswissenschaft fördern            Turbulent! So könnte das Resümee des ersten Jahres insti-       wieder nach Salzburg einladen, um dort vor allem im per-
und machen werden. Mit den Veranstaltenden teilen wir die        könnte, um die Erfolgschancen von Verbundanträgen mit           tutionalisierter ÖGK-Nachwuchsarbeit lauten. 2019 gab die       sönlichen Miteinander auch die Lage des wissenschaftli-
Hoffnung, vielleicht noch ein paar hybride Elemente realisie-    kommunikationswissenschaftlicher Beteiligung zu steigern.       ÖGK ihren Bemühungen zur Förderung neuer Generatio-             chen Mittelbaus zu diskutieren und erste Lösungsansätze
ren zu können, die den Austausch zwischen den drei Fachge-       Von Seiten des Vorstands scheint es uns hier besonders er-      nen von Kommunikationswissenschaftler*innen erstmals            auszuloten.			                              Roland Holzinger
sellschaften vor Ort besonders betonen.                          strebenswert, junge Wissenschaftler*innen früh in DFG-          in Form eines Nachwuchssprechers eine Anlaufstelle und
                                                                 Anträge einzubinden. Ebenso würden wir Initiativen unter-       (m)ein Gesicht  und sie tat gut daran! Denn die Verärge-       Leben mit Corona – ein interaktives, interdisziplinäres
Digitale Mitgliederversammlung                                   stützen, die Daten zum Antragsgeschehen auch weiterhin          rung und Enttäuschung über die Arbeitsbedingungen des           Symposium
                                                                 systematisch erheben und auswerten.                             wissenschaftlichen Mittelbaus, die in Deutschland wenig
  Im kommenden Jahr werden wir auch die Mitgliederver-             Im Bereich Kommunikation haben wir die Website der DG-        später nach der Wahl des ÖGK-Nachwuchssprechers durch           Mit diesem Thema beschäftigte sich eine interdisziplinäre
sammlung auf eine digitale Plattform verlegen, da es nur         PuK um weitere Angebote ergänzt: Erstmalig war es möglich,      die „Bayreuther Erklärung“ offen zutage getreten sind, sind     Konferenz am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien vom
mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich wäre,               die Aviso-Debatte online weiter zu führen. Ebenso haben wir     auch in Österreich vorhanden und spürbar. Auch hierzulande      29.6.-1.7.2020. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftsge-
eine physische Mitgliederversammlung unten den aktuellen         ein Diskussionsforum geschaffen, um sich zu allen Punkten       ist ein Leben im wissenschaftlichen Mittelbau ein vor allem     sellschaften beteiligte sich die ÖGK im Programmboard an
Rahmenbedingungen zu organisieren. An geeigneten tech-           rund um das Thema COVID19 auszutauschen. Sehr gut ent-          prekäres, in welchem mangelnde Zukunftsaussichten nur           dieser Veranstaltung, in deren Rahmen unterschiedliche
nischen Plattformen wird eine Online-Mitgliederversamm-          wickeln sich zudem die DGPuK-Proceedings, in denen über         durch viel Motivation ausgeglichen werden können. Immer         Fragen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie dis-
lung nicht scheitern. Wir hoffen alle sehr, dass wir 2022 in     die DGPuK-Website digital und open access Tagungsbeiträge       wieder führen paradoxe Situationen, in denen hoch qualifi-      kutiert wurden. Zentrale Themen waren Veränderungen des
Hannover wieder in Präsenz tagen können, aber wir sind uns       publiziert werden können. Nach dem Pilotprojekt zur Jahres-     zierte Forscher*innen nach Jahren erfolgreicher Tätigkeit aus   gesellschaftlichen und privaten Lebens im politisch-institu-
sicher, notfalls auch eine Vorstandswahl online sauber um-       tagung 2019 in Münster hat mit der Fachgruppe Medienöko-        der Wissenschaft ausgeschlossen werden, zu Betroffenheit        tionellen Gefüge, in der Arbeitswelt und im kulturellen Le-
setzen zu können.                                                nomie auch die erste Fachgruppe ihre Tagungsergebnisse          in der Fachgemeinschaft. Und doch wird das Problem letzt-       ben ebenso wie in der Familie und im Freundeskreis. Unter
  Wie bereits auf der Mitgliederversammlung angekündigt,         dort publiziert. Für drei weitere Fachgruppen sind bereits      lich noch weitgehend individualisiert behandelt.                anderem wurden in diesem Rahmen die Zukunft demokra-
haben wir die Zusammenarbeit mit anderen Fachgesell-             Projekte eingerichtet. 			                      Lars Rinsdorf     Die breite – auch öffentlich – geführte Diskussion über die   tischer Gesellschaften in Zeiten disruptiver Krisen sowie das
schaften bei fachpolitischen Themen intensiviert, die über                                                                       strukturellen Ursachen der prekären Arbeits- und Lebens-        Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit erörtert.

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AUS DEN FACHGESELLSCHAFTEN                                                                                                                                                                                                  VORSTELLUNG: NQM

 Der Konferenz war es insbesondere ein Anliegen,
Vertreter*innen der Wissenschaftscommunity mit
                                                                 schiedlicher Weise brisanten Thema gesetzt werden. Aus
                                                                 ÖGK-Perspektive hervorzuheben sind die Beiträge von Josef
                                                                                                                                Netzwerk Qualitative Methoden:
Vertreter*innen der politischen bzw. öffentlichen Institutio-
nen und der Zivilgesellschaft in einen Dialog zu bringen. Zu-
                                                                 Seethaler, Christine Nöstlinger und Alexander Bogner.
                                                                  Das Programm und die Live-Streams zu den einzelnen Pa-
                                                                                                                                Gemeinsam qualitative Forschung stärken
dem sollte mit dieser Initiative ein Startschuss für vermehrte   nels sind online dokumentiert unter: https://www.ihs.ac.at/
Kooperationen zwischen den unterschiedlichen Disziplinen         events/events-storage/leben-mit-corona/                        Koordination des Netzwerks: Thomas Wiedemann (LMU
zu einem gesellschaftlich derzeit aktuellen und in unter-         				                                  Thomas Steinmaurer      München) und Christine Lohmeier (Universität Salzburg)

                                                                                                                                I
                                                                                                                                   m Frühjahr 2016 haben wir mit Unterstützung von 21 etab-
                                                                                                                                   lierten Kommunikationswissenschaftler*innen das Netz-
                                                                                                                                   werk Qualitative Methoden (NQM) ins Leben gerufen. 190
                                                                                                                                   Forscher*innen sind dem Aufruf mittlerweile gefolgt und

D
                                                                                                                                haben sich entschlossen, den Austausch in Sachen qualitati-
           ie Corona/Covid-Welle verlangte von ForscherIn-         Forderungen nach einem „Nicht-“ oder „Un-„Semester“ gab      ve Methoden voranzutreiben. Höchste Zeit also, unser Netz-
           nen und Studierenden Flexibilität. Die DGPuK-         es unseres Wissens nach keine – ganz im Gegenteil: Viele       werk der Fach-Community offiziell vorzustellen.                Auf beide Tagungen folgte – dem Wunsch der Teilnehmen-
           Jahrestagung in München war auch für manche           Studierende besonders in höheren Semestern befürchteten,         Das NQM richtet sich an alle Kolleg*innen aus der Kommu-     den entsprechend – eine Publikation. 2019 er-schien bei
           SGKM-Mitglieder die letzte Konferenz vor dem          dass sich ihr Studium verzögert oder gar der Abschluss be-     nikationswissenschaft wie aus den Nachbardisziplinen im        Springer VS der Tagungsband Diskursanalyse für die Kom-
„Lockdown“. Die SGKM-Jahrestagung zum Thema „Media               droht war. Diese Befürchtungen stellten sich als unnötig he-   deutschsprachigen Raum. Es möchte die Position qualitati-      munikationswissenschaft, der eine Bestandsaufnahme zur
Literacy“ im April musste abgesagt werden. Dem Organisati-       raus: Alle Hochschulen und die Bildungsdirektionen waren       ver For-schungszugänge stärken – auch und gerade in Zeiten,    Diskursanalyse in der sozialwissenschaftlichen Medienfor-
onsteam des iam/zhaw Winterthur ist es zu verdanken, dass        sich einig, dass die Studienleistungen wie geplant erbracht    in denen Big Data in der Kommunikationswissenschaft Kon-       schung liefert. Eine ähnliche Aufbereitung der Salzburger
sie auf den November unter Anpas-sung des Tagungsfor-            werden sollten.                                                junktur hat. Absicht ist nicht die Gründung einer weiteren     Tagung (ebenfalls bei Springer VS) folgt nächstes Jahr. Vom
mats von zwei auf einen Tag verschoben werden kann (inkl.          Dafür wurden die Prüfungsformen angepasst: Prüfungen         Fachgruppe in der DGPuK. Das Netzwerk hat einen interdis-      30. März bis 1. April 2021 findet auf Einladung von Maria
Vorbereitung eines Plan B zur virtuellen Durchführung).          wurden zumeist über E-Learning-Plattformen synchron und        ziplinären Charakter, sein gemeinsamer Nenner ist methodi-     Löblich die 3. Netzwerk-Tagung statt und widmet sich dem
  Damit unsere Fachgesellschaft weiterhin vereinsdemo-           als Open-Book-Tests oder mündlich über Videokonferenz-         scher Natur und es will sich dementsprechend in bestehende     Stellenwert von Theorie in qualitativen Forschungsprojek-
kratisch legitimiert tätig sein konnte, wurde die Generalver-    tools durchgeführt. Um der besonderen Situation Rechnung       Fachgruppen einbringen.                                        ten (ob, wie ursprünglich geplant, als Präsenz-Veranstaltung
sammlung elektronisch durchgeführt: Alle Informationen           zu tragen, erhielten die Studierenden an verschiedenen Uni-      Das NQM versteht sich als Forum für Information, Diskussi-   an der FU Berlin, wird noch entschieden). Die interessierten
wurden den Mitgliedern per E-Mail zugestellt; Wahlen und         versitäten (z.B. Fribourg und Bern) die Möglichkeit, ungenü-   on und Zusammenarbeit und hat sich folgende Ziele gesetzt:     Leser*innen sind an dieser Stelle herzlich eingeladen, auf
Abstimmungen fanden über ein Online-Befragungstool               gende Prüfungsergebnisse annullieren zu lassen, zusätzli-        ‫ ܚ‬Steigerung des Wissens über die Forschung der Mitglie-     den Call (zu erreichen über den Web-Auftritt des Netzwerks
statt. In den Ersatzwahlen wurden mit überwältigendem            che Nachprüfungen zu absolvieren (z. B. FH Graubünden)               der sowie den State of the Art qualitativer Methoden     unter http://www.netzwerkqualitativemethoden.de/) mit ei-
Mehr Nathalie Wappler, SRF-Direktorin; Florence van Hove         oder Masterarbeiten später einzureichen (z. B. Uni Basel).           (kritische Reflexion, Weiterentwicklung und Innovati-    nem Beitragsvorschlag zu antworten oder sich auch nur den
und Sarah Marschlich (beide Uni Fribourg) gewählt. Daniel          Insgesamt waren die Rückmeldungen der Studierenden                 on);                                                     Termin vorzumerken und unserer Tagung beizuwohnen.
Süss löste als Präsident der Ethikkommission Roger Blum ab.      auf den digitalen Fernunterricht zumeist positiv und das         ‫ ܚ‬Anregen von Kooperationen (für Forschungsprojekte,
Er trat nach Aufbau und mehrjähriger Tätigkeit auf eigenen       Verständnis für die besonderen Umstände groß. Gewisse                Tagungsbeiträge, Panel-Einreichungen), Organisation
Wunsch zurück. Heinz Bonfadelli wurde neu in die Kommis-         Schwierigkeiten traten dort auf, wo Laboreinrichtungen oder          von Tagungen (alle zwei Jahre) und Publikationen sowie
sion gewählt.                                                    Produktionsmaterial wie Kameras etc. benötigt wurde. Die-        ‫ ܚ‬Verbesserung der Sichtbarkeit qualitativer Methoden
  Während für die Verlegung der Vereinsgeschäfte in die vir-     se Probleme konnten über Anpassungen bei den Lehrplänen              bzw. nicht standardisierter Verfah-ren in der Kommuni-
tuelle Welt genügend Zeit zur Verfügung stand, war in der        und die Teilöffnung von Laboren gegen Ende des Semesters             kationswissenschaft.
Hochschullehre das Gegenteil der Fall. Weil in der Schweiz       entschärft werden.                                               Dass unsere Initiative auf fruchtbaren Boden fiel, belegt
das Semester seit Mitte Februar lief, musste von einer Woche       Gesamthaft bot die Krise die Chance, neue digitale Formen    nicht nur die Mitgliederzahl des Netzwerks. Ebenso bli-         Wer sich für eine (kostenlose) Mitgliedschaft interessiert,
auf die andere vollständig auf e-Learning umgestellt werden.     des Arbeitens und Lehrens auszuprobieren. Davon möchten        cken wir inzwischen auf zwei Tagungen mit jeweils über          nutzt bitte das Kontaktformular auf unserer Web-Präsenz
Dies funktionierte nach kleineren Startschwierigkeiten er-       Kolleginnen und Kollegen an unterschiedlichen Instituten       40 Teilnehmer*innen zurück. Die Gründungstagung fand            oder wendet sich per E-Mail an info@netzwerkqualitati-
staunlich gut. Die vorhandenen e-Learning-Plattformen wie        das eine und andere beibehalten. Dazu gehören u.a. die         im April 2017 zum Thema „Diskursanalyse in der Kommu-           vemethoden.de).
moodle oder olat wurden intensiver eingesetzt. In den ers-       Durchführung von Institutssitzungen und von Einzel- bzw.       nikationswissenschaft und Medienforschung“ an der LMU           Vorschläge für künftige Tagungsorte sowie für Tagungs-
ten Wochen wurden oft Podcasts aufgenommen und z.T. Jitsi        Gruppenbesprechungen mit Studierenden über Videokon-           München statt. Im April 2019 trafen wir uns zur 2. Netzwerk-    themen sind ebenso willkommen wie darüberhinausge-
eingesetzt. Manche Hochschulen boten von Anfang an auch          ferenztools. Ebenfalls dürfte der Anteil des Blended Lear-     Tagung an der Universität Salzburg und diskutierten aus-        hende Aktivitäten und Kooperationsideen.
„zoom“, „MS Teams“ oder „Webex“ an, alle anderen führten         nings am Gesamtunterricht steigen, da gewisse Formen von       gehend von 21 Fachvorträgen über „Datenvielfalt“ sowie die      Informationen zum NQM: http://www.netzwerkqualitati-
diese Tools nach kurzer Zeit ebenfalls ein, um das Kapazitäts-   E-Learning von Studierenden und Dozierenden durchaus ge-       damit verbundenen Potenziale und Herausforderungen in           vemethoden.de/
problem bei großen Veranstaltungen zu lösen.                     schätzt wurden. 			                       Matthias Künzler     kommunikationswissenschaftlichen Forschungskontexten.

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