Oper von Giacomo Puccini - Landestheater Niederbayern
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MADAMA BUTTERFLY Oper von Giacomo Puccini Text von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica Mit Gedichten von Rainer Maria Rilke aus dem Stunden-Buch MUSIKALISCHE LEITUNG Basil H. E. Coleman INSZENIERUNG & CHOREOGRAFIE Amir Hosseinpour & Jonathan Lunn BÜHNE & KOSTÜME Andrea Hölzl DRAMATURGIE Swantje Schmidt-Bundschuh PREMIEREN LANDSHUT 09.10.2021 PASSAU 22.10.2021 STRAUBING 25.01.2022 Vorstellungsdauer ca. 2 Stunden 20 Minuten Eine Pause nach dem ersten Akt 2
BESETZUNG Cio-Cio-San, genannt Butterfly Yitian Luan „Dolore“, ihr Sohn Uli Kirsch Suzuki, ihre Dienerin Reinhild Buchmayer B. F. Pinkerton, Marineoffizier Jeffrey Nardone Sharpless, Konsul der USA in Nagasaki Kyung Chun Kim Goro, Makler Daniel Preis Onkel Bonze Heeyun Choi / Miroslav Stričević* Stimme des Kommissars Philipp Mehr Niederbayerische Philharmonie *Die Besetzung entnehmen Sie bitte dem Abendaushang Spielleitung Margit Gilch Inspizienz Matthias Dressel Regieassistenz Alma Mora Regie- hospitanz Elisabeth Schiestl Technische Leitung Michael Rütz Beleuchtungsmeister Egidius Nigl Veranstaltungsmeister Alexander Kriegler Leitung Schneiderei Heidi Höller Maske Maria Hirblinger Requisite Regina Stemplinger Kostüme und Bühnenbild Werkstätten des Landes- theaters Niederbayern Uraufführung: 17. Februar 1904, Teatro alla Scala, Mailand; 28. Mai 1904 Teatro Grande, Brescia (überarbeitete Fassung) 3
IN KÜRZE GIACOMO PUCCINI Giacomo Puccini (1858-1924) entstammte einer Musikerfamilie in Lucca. Zum Studium ging er ans Konservatorium nach Mailand. Nach seinem Durchbruch mit Manon Lescaut (1893) ließ er sich in Torre del Lago nieder. Die Trias seiner berühmtesten Werke kam im Abstand von jeweils vier Jah- ren heraus: La Boheme (1896, Turin), Tosca (1900, Rom), Madama Butterfly (1904, Mailand). 1910 erfolgte sein Debüt an der Metropolitan Opera in New York mit La fanciulla del West. 1924 starb der Kettenraucher Puccini an Kehlkopfkrebs in einer Brüsseler Spezialklinik, wo er sich einer neuartigen Radium-Behandlung unterzogen hatte. 1926 wurde posthum Turandot in unvollendeter Fassung durch Arturo Toscanini aufgeführt. PUCCINIS PASSIONEN Neben der Oper galt Puccinis Leidenschaft dem Reisen, dem Rauchen, der Jagd, schnellen Autos und schönen Frauen. Seit 1886 lebte er mit Elvira Gemignani zusammen, die seinetwegen ihren Ehemann verlassen und ihm den Sohn Antonio geboren hatte – in der katholisch-konservativen Gesellschaft Italiens ein Skandal. Die Arbeit an Madama Butterfly wurde durch einen schweren Autounfall im Februar 1903 unterbrochen, bei dem der Komponist einen komplizierten Beinbruch erlitt. Der Unfall beendete auch jäh eine langjährige Affäre Puccinis. Die körperlichen Einschränkungen und psychischen Belastungen machten ihm in dieser Zeit schwer zu schaffen; er erholte sich nur langsam, während er dennoch, wann immer es ihm möglich war, an Madama Butterfly weiterarbeitete. Wenige Jahre später kam es zu einem Skandal, als Elvira ihren Mann öffentlich beschuldigte, eine Affäre mit dem Dienstmädchen Doria Manfredi zu haben – vermutlich zu Unrecht. Die junge Frau nahm sich kurz darauf das Leben. PUCCINI UND DIE FRAUEN Puccini war ein genuiner Opernkomponist. Er verband – sehr verkürzt gesagt – italienischen Belcanto mit einer an Wagner orientierten orchestralen Schreibweise. Seine Opern haben einen unverwechsel- baren Klang, bei aller musikalischen Entwicklung im Laufe seiner Karriere war sein Personalstil sehr ausgeprägt. Kaum ein Komponist stellte die Frau als empfindsames und starkes Wesen ins Zentrum seiner Opern wie Puccini: Manon, Mimì, Tosca, Butterfly, Minnie, Turandot. Mit Suor Angelica schrieb er sogar eine Oper ausschließlich für Frauen. Ein Thema bewegte ihn immer wieder, wie der Biograph Dieter Schickling schreibt: „Die unschuldige und mit aller Kraft liebende Frau, die an der nur kurze Zeit anhaltenden Liebe des Mannes verzweifelt. Das kannte er gut genug von der anderen Seite her, und deshalb hat der Künstler Puccini in Madama Butterfly den Mann Puccini bereitwillig kritisiert: Wie immer er in seinem Verhältnis zu Frauen sich wirklich benahm, wusste er doch, dass es ein falsches Verhalten war und dass das Versagen auf der Seite der Männer lag.“ 5
INHALT New York, um 1950 erklärt Butterfly offiziell als von der Familie „Dolore“, der gemeinsame Sohn von Cio-Cio-San verstoßen und verflucht, weil sie heimlich zum und Pinkerton betreibt eine Bar in Manhatten, die Protestantismus übergetreten sei. Die Worte „Butterfly“-Bar, benannt nach seiner Mutter. Als des Bonzen klingen noch lange in Butterflys Kleinkind war er von seinem Vater Pinkerton und Ohren nach. dessen zweiter Ehefrau Kate aus seiner japani- Butterfly lässt sich von Suzuki für die Nacht her- schen Heimat in die USA gebracht worden, wo er richten. Unterm Sternenhimmel finden Pinkerton aufwuchs. Aus Briefen und Erinnerungsstücken, und Butterfly zueinander. die Suzuki ihm zukommen ließ, rekonstruiert der Sohn die Ereignisse, die einst zum Tod seiner ZWEITER AKT Mutter führten, und lässt sie vor seinem inneren Drei Jahre sind vergangen, seit Pinkerton in seine Auge lebendig werden. Heimat abgereist ist und Butterfly in Nagasaki zurückgelassen hat. Bei seinem Abschied gab ERSTER AKT er ihr das Versprechen, bald wieder bei ihr zu Nagasaki, um 1900 sein. Obgleich sie seitdem nichts mehr von ihm Der amerikanische Marineoffizier Benjamin gehört hat, klammert sie sich an diese Hoffnung Franklin Pinkerton hat sich vom Makler Goro eine und wartet Tag für Tag auf seine Rückkehr. In Ehefrau samt dazugehörigem Haus vermitteln Gedanken sieht sie, wie sein Schiff in den Hafen lassen. Es handelt sich um eine landestypische einläuft. Suzuki ist da realistischer. Sie weiß, „Ehe auf Zeit“, was bedeutet, dass Pinkerton dass das Geld knapp ist und es das Beste für jederzeit von allen Verträgen zurücktreten kann. Butterfly wäre, bald wieder zu heiraten. Der amerikanische Konsul in Japan, Sharpless, Als Sharpless mit einem Brief Pinkertons an- gibt zu bedenken, dass Butterfly die Eheschlie- kommt, ist Butterfly so aufgeregt, dass sie den ßung sehr ernst nehme, Pinkerton aber macht Konsul kaum zu Wort kommen lässt. Er bringt deutlich, dass diese Verbindung für ihn eher spie- es seinerseits nicht fertig, ihr die Wahrheit zu lerischen und vorübergehenden Charakter hat. sagen: Dass Pinkerton zwar auf dem Weg nach Wenn die Zeit komme, werde er natürlich eine Nagasaki sei, er aber nicht die Absicht habe, richtige, sprich amerikanische, Frau heiraten. Butterfly zu besuchen. Butterfly und Pinkerton begegnen sich zum ersten Da präsentiert Butterfly plötzlich einen kleinen Mal. Die Braut erzählt von ihrer Familie, die adlig, Jungen: Ihr und Pinkertons gemeinsames Kind! aber verarmt sei. Ihr Vater habe auf Befehl des Die Mutter fleht Sharpless an, dem Vater von Mikado Selbstmord begangen, sie selbst als seinem Sohn zu erzählen. Dann werde Pinkerton Geisha gearbeitet, wofür sie sich nicht schäme. bestimmt zu ihr zurückkehren. Sharpless ver- Die Hochzeitszeremonie wird durch einen spricht es ihr. Goro höhnt, dass niemand wisse, unschönen Zwischenfall gestört: Onkel Bonze wer der Vater des Kindes sei. 6
Als Butterfly die Ankunft von Pinkertons Schiff Suzuki, dass sie das Kind mit nach Amerika am Hafen beobachtet, jubelt sie vor Freude. Um nehmen wollen. ihn gebührend willkommen zu heißen, schmüc- Pinkerton wird von Erinnerungen überwältigt. ken Butterfly und Suzuki das Haus mit Blumen. Für ihn ist das alles zu viel – er flüchtet und über- Dann beginnt die lange Nacht des Wartens. lässt es Kate, Butterfly um das Kind zu bitten. In dem Moment, als Butterfly die fremde Frau DRITTER AKT sieht, ist all ihre Hoffnung schlagartig dahin. Auch am nächsten Morgen ist Pinkerton Die Situation begreifend, macht sie zur Bedin- noch nicht da. Als Butterfly eingeschlafen ist, gung, dass Pinkerton seinen Sohn in einer hal- erscheinen Sharpless und Pinkerton, gefolgt ben Stunde selbst abholen komme. Dann nimmt von dessen neuer Ehefrau Kate. Sie erklären sie Abschied – von ihrem Kind und vom Leben. IMPRESSUM Bildnachweise Titelbild & Probenfotos Peter Litvai Bildlegende S 4: Daniel Preis (Goro), Uli Kirsch (Dolore), Jeffrey Nardone (Pinkerton); S.8 : Uli Kirsch (Dolore), Jeffrey Nardone (Pinkerton), S.11 oben: Yitian Luan (Butterfly), Uli Kirsch (Dolore), Jeffrey Nardone (Pinkerton); S.11 unten: Yitian Luan (Butterfly), Uli Kirsch (Dolore), Reinhild Buchmayer (Suzuki), S.14: Yitian Luan (Butterfly), Reinhild Buchmayer (Suzuki), S.19 oben: Jeffrey Nardone (Pinkerton), Reinhild Buchmayer (Suzuki), S.19 unten: Uli Kirsch (Dolore), Yitian Luan (Butterfly); Rückseite: Yitian Luan (Butterfly) Textnachweise Alle Texte bis auf die Rilke-Gedichte, die Briefstellen und die Novelle von John Luther Long sind Originalbeiträge von der Redaktion. Quellen: Dieter Schickling, Puccini. Biografie, Stuttgart 2007. Michael Klonovsky, Der Schmerz der Schönheit. Über Giacomo Puccini, Berlin 2008. Kurt Pahlen, Giacomo Puccini. Madame Butterfly, Mainz 1984. Christine Liew, Geschichte Japans, Stuttgart 2012. Spielzeit 2020/2021 Herausgeber Landestheater Niederbayern Landshut Passau Straubing Niedermayerstr. 101, 84036 Landshut, Telefon: 0871 / 922 08 0 Intendant Stefan Tilch Redaktion Swantje Schmidt-Bundschuh Gestaltung Swantje Schmidt-Bundschuh Layout Peter Litvai Das Landestheater Niederbayern wird durch den Freistaat Bayern gefördert. 7
JAPAN IM 19. JAHRHUNDERT Aufstieg zur Weltmacht aus der Isolation Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte Japan Als die US-Marine nun also die Öffnung der Hä- eine beispiellose gesellschaftliche, ökonomi- fen für den internationalen Handel zu erwirken sche und politische Umwälzung. Innerhalb we- suchte, war relativ klar, dass dies nicht nur eine niger Jahrzehnte wandelte sich der Inselstaat höfliche Bitte darstellte. Die militärische Unterle- von einem rückständigen Land, dessen Bewoh- genheit des Inselreiches war allzu offensichtlich, ner traditionelle Kleidung und deren Samurai und Japan daher ratlos, wie es auf die Macht- Schwerter trugen, in eine industrialisierte Welt- demonstration reagieren sollte. Nach fast einem macht samt hochgerüsteter Kriegsmaschinerie. Jahr Bedenkzeit stimmte das Shogunat Verhand- Als sich im Zuge der Kolonialisierung und Glo- lungen zu und unterzeichnete schließlich einen balisierung die Welt langsam in einen großen „Freundschaftsvertrag“ mit Washington. Dieses Absatzmarkt verwandelte, rückte verstärkt Ost- Eingeständnis der Schwäche führte in der Folge- asien für die europäischen Imperialisten in den zeit zu Rebellionen innerhalb des Landes. Fokus. 1853 legte der Kapitän Matthew Perry Das Auftreten der Amerikaner wurde von den mit seiner Flotte vor Japans Küste an. Im Auf- Einheimischen als überheblich und ausbeute- trag der Vereinigten Staaten sollte er das Land risch wahrgenommen. Als extrem ungerecht endlich für den ausländischen Handel öffnen. empfand man die Tatsache, dass den Amerika- Denn Japan hatte es bis dahin fast 250 Jahre nern einseitige Konzessionen eingeräumt wur- lang geschafft, sich vollkommen von der Außen- den: Sie mussten kaum Zölle zahlen und waren welt abzuschotten. nicht der japanischen, sondern der amerikani- schen Gerichtsbarkeit unterworfen. (Pinkertons Mit dem Ende der Tenno-Herrschaft, also der ja- Arroganz und seine Konditionen beim Kauf von panischen Kaiserzeit, war das Land 1639 in die Butterfly sind vor diesem Hintergrund zu sehen.) selbstgewählte Isolation gegangen – aus Furcht Als offensichtlich wurde, dass die Einmischung vor christlicher Missionierung und westlicher westlicher Mächte nicht mehr zu verhindern bzw. Fremdherrschaft. Die Politik des geschlossenen rückgängig zu machen war, ging im Jahr 1868 Landes verfügte, dass fremde Schiffe gewaltsam das Shogunat unter. Der regierende Militärherr- von den Küsten Japans fernzuhalten waren. Nur scher übertrug die Staatsgeschäfte wieder dem den Niederländern (denen man es hoch anrech- Kaiser, der alte Kriegeradel wurde entmachtet nete, dass sie nicht missionierten) war es unter und das Land von Reformpolitikern auf einen strengen Auflagen erlaubt, über den Stützpunkt beispiellosen Modernisierungskurs getrimmt. Nagasaki Handel zu treiben. Niemand durfte ins Kaiser Mutsuhito erneuerte die Macht des Tenno Land hinein, niemand hinaus. Den Kaiser gab es und regierte als Kaiser Meji („Meji“ – aufgeklär- zwar noch, doch war er de facto von den Staats- te Herrschaft). Er benannte die Hauptstadt Edo geschäften ausgeschlossen, statt seiner regierte in Tokio um. Bis zu seinem Tod 1912 erneuerte der Shogun, ein Militärherrscher. er das Land nach westlichem Vorbild und indus- 9
trialisierte es in rasendem Tempo. 1889 bekam neue Stilrichtungen wie der Impressionismus Japan eine Verfassung. Das Land gewann so und der Jugendstil wurden von der japanischen schnell an Macht, dass es bald selbst koloniale Kunst beeinflusst. Die Poesie der Kirschblüten im Ambitionen hegte. 1894 erklärte es dem Kaiser- Frühling, des heiligen, schneebedeckten Berges reich China den Krieg und gewann diesen ein Fujiyama, der Teehäuser und der grazilen, pup- Jahr später. Zehn Jahre darauf provozierte Japan penhaften Frauen weckte das abendländische einen Krieg gegen Russland, aus dem es eben- Interesse am fernen Osten. falls als Sieger hervorging. Seit Jahrhunderten Das Japanfieber befiel auch Puccini. Nachdem hatte kein asiatisches Land mehr über eine euro- er sich für Butterfly als Stoff entschieden hatte, päische Großmacht gesiegt. Japan war auf ein- setzte er sich mit den kulturellen Bräuchen und mal von einem erstarrten Feudalstaat zu einem musikalischen Idiomen des Landes auseinander. ambitionierten Akteur auf der Weltbühne auf- An seinem Wohnsitz in Torre del Lago ließ er gestiegen. Während der Meji-Zeit verdoppelte sich von der Gattin des japanischen Gesandten sich auch die Bevölkerung; zu Beginn des Ersten Volkslieder vorsingen. Sie versorgte ihn auch mit Weltkriegs lebten bereits mehr als 50 Millionen Schallplatten japanischer Musik und Büchern Menschen in Japan. über Architektur, Religion und Riten des Landes. Mit der Öffnung des Inselstaates wuchs in Eu- 1902 traf Puccini in Mailand mit der japanischen ropa das Interesse an der japanischen Kultur. Schauspielerin Kawakami Sadayakko zusam- Dieser noch unerforschte Flecken Erde war men, die sich gerade auf Tournee mit dem En- plötzlich zum Sehnsuchtsort geworden; deutlich semble des kaiserlichen Hoftheaters befand. Sie wurde dies auch an der Aufmerksamkeit, die machte den Komponisten mit der Klangästhetik dem Land bei den beiden Pariser Weltausstel- der japanischen Sprache vertraut. Puccini erfand lungen von 1867 und 1873 zuteil wurde. Japa- schließlich für Butterfly seine ganz eigene, den nische Farbholzschnitte kamen in Mode und japanischen Melodien nachempfundene Musik. 10
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Rainer Maria Rilke WENN ICH GEWACHSEN WÄRE IRGENDWO Wenn ich gewachsen wäre irgendwo, Gemalt hätt ich dich: nicht an die Wand, wo leichtere Tage sind und schlanke Stunden, an den Himmel selber von Rand zu Rand, ich hätte dir ein großes Fest erfunden, und hätt dich gebildet, wie ein Gigant und meine Hände hielten dich nicht so, dich bilden würde: als Berg, als Brand, wie sie dich manchmal halten, bang und hart. als Samum, wachsend aus Wüstensand - Dort hätte ich gewagt, dich zu vergeuden, oder du grenzenlose Gegenwart. es kann auch sein: ich fand Wie einen Ball dich einmal... hätt ich dich in alle wogenden Freuden Meine Freunde sind weit, hineingeschleudert, dass einer dich finge und deinem Fall ich höre kaum noch ihr Lachen schallen; mit hohen Händen entgegenspringe, und du: du bist aus dem Nest gefallen, du Ding der Dinge. bist ein junger Vogel mit gelben Krallen und großen Augen und tust mir leid. Ich hätte dich wie eine Klinge (Meine Hand ist dir viel zu breit.) blitzen lassen. Und ich heb mit dem Finger vom Quell einen Vom goldensten Ringe Tropfen ließ ich dein Feuer umfassen, und lausche, ob du ihn lechzend langst, und er müsste mirs halten und ich fühle dein Herz und meines klopfen über die weißeste Hand. und beide aus Angst. 12
Rainer Maria Rilke LÖSCH MIR DIE AUGEN AUS Lösch mir die Augen aus: ich kann dich sehn, wirf mir die Ohren zu: ich kann dich hören, und ohne Füße kann ich zu dir gehn, und ohne Mund noch kann ich dich beschwören. Brich mir die Arme ab, ich fasse dich mit meinem Herzen wie mit einer Hand, halt mir das Herz zu, und mein Hirn wird schlagen, und wirfst du in mein Hirn den Brand, so werd ich dich auf meinem Blute tragen. Rainer Maria Rilke DU BIST DIE ZUKUNFT, GROSSES MORGENROT Du bist die Zukunft, großes Morgenrot über den Ebenen der Ewigkeit. Du bist der Hahnschrei nach der Nacht der Zeit, der Tau, die Morgenmette und die Maid, der fremde Mann, die Mutter und der Tod. Du bist die sich verwandelnde Gestalt, die immer einsam aus dem Schicksal ragt, die unbejubelt bleibt und unbeklagt und unbeschrieben wie ein wilder Wald. Du bist der Dinge tiefer Inbegriff, der seines Wesens letztes Wort verschweigt und sich den Andern immer anders zeigt: dem Schiff als Küste und dem Land als Schiff. 13 15
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MADAMA BUTTERFLY Rund um Puccinis Oper Nach den beiden Welterfolgen La Boheme und begonnen. In Lotis Schilderung hatte die Bezie- Tosca suchte Puccini um die Jahrhundertwende hung für beide Parteien einen eher unverbindli- nach einem neuen Opernstoff. Auf einer Reise chen Charakter. Spätere Adaptionen dachten die nach London, wo er sich für die englische Erst- Geschichte weiter bezüglich der tragischen Kon- aufführung von Tosca aufhielt, empfing er die sequenzen für die Geisha, welche die Scheinhei- entscheidende Anregung bei einem Theaterbe- rat als echte Ehe interpretiert. such: Das Drama Madame Butterfly von David Belasco, einem amerikanischen Regisseur und Durch die Heirat mit einem Amerikaner und die Dramatiker (er schrieb auch die Vorlage zu La Konvertierung zum protestantischen Glauben hat fanciulla del West), handelte von einer unver- sich Butterfly jeden Weg zurück in ihr altes Leben schuldet ins Unglück gestoßenen Japanerin, die verbaut. Wenn sie nicht in Schande und Armut ihre Hingabe an einen westlichen Mann teuer weiterleben will, bleibt ihr als „ehrenhafter“ bezahlt. Puccinis Englisch war nicht das Beste Ausweg nur der Selbstmord, gemäß dem alten und so verstand er wenig vom Text, doch die Samurai-Spruch „Ehrenvoll sterbe, wer nicht län- Handlung packte und fesselte den Komponisten ger leben kann in Ehre.“ auf einer emotionalen Ebene. Belasco ließ sein Stück mit der Selbsttötung en- den, und auch Puccinis Heroine musste wie ihre Die Tragödie ging auf eine Prosaerzählung des Vorgängerinnen Mimì und Tosca den Operntod Amerikaners John Luther Long zurück, die sich sterben – noch dazu in der schrecklichen Varian- wiederum auf den Reiseroman Madame Chrys- te des japanischen Harakiri, während der Sohn anthème des französischen Schriftstellers Pierre (mit Namen „Dolore“ – Schmerz, Leid) mit ver- Loti (1887) stützte. Von diesem damals äußerst bundenen Augen danebensitzt. populären Roman gab es sogar schon eine fran- Butterfly tötet sich mit dem Dolch ihres Vaters, zösische Opernadaption von André Messagers. der einst auf Befehl des Mikado ebenfalls die Die Geschichte hatte einen autobiografischen rituelle Selbsttötung vollzogen hatte. (Männer Hintergrund, war allerdings im echten Leben schlitzen sich dabei in Dreiecksform den Bauch weniger dramatisch verlaufen. Loti, ein ehemals auf, Frauen durchtrennen die Halsschlagader). französischer Marineoffizier, war in Japan eine Beziehung mit einer Geisha eingegangen, hatte Im Frühjahr 1901 hatte sich Puccinis Verleger die junge Frau jedoch bereits nach wenigen Mo- Ricordi die Rechte an dem Stoff gesichert. Das naten verlassen. Das war kein ungewöhnlicher Libretto schrieben, wie schon für die beiden er- Vorgang, sondern entsprach dem Brauch einer folgreichen Vorgänger-Werke, Giuseppe Giacosa „Heirat auf Zeit“. Nach der erzwungenen Öff- (Verse) und Luigi Illica (Szenenführung). Die Li- nung Japans gegenüber der Außenwelt hatte in brettisten gingen von der traditionellen Teilung den Hafenstädten auch der erotische Tourismus in drei Opernakte aus, doch Puccini lag daran, 15
die Geschichte in einem Atemzug und an einem Ricordi war der Überzeugung, dass zur zweiten Schauplatz, nämlich ausschließlich in Butter- Aufführung ein kleines Theater taktisch besser flys Haus zu entwickeln, und plädierte für eine geeignet sei als ein großes, zum einen, da die zweiaktige Version. Der Fokus lag ganz auf der kammermusikalischen Feinheiten der Partitur Hauptfigur. hier besser zur Wirkung gelangten, zum anderen, da sich eine kleinere Zuhörerschar besser kont- Der „Prolog“ (erster Akt) mit der Heiratszeremo- rollieren ließ. Hier würde man „Verschwörer“ nie und dem großen Liebesduett geht auf Loti leichter erkennen. zurück. Der zweite Akt hat Belascos Drama zur In neuer (jetzt doch dreiaktiger) Form kam das Vorlage und schildert Butterflys banges War- Werk bereits im Mai in Brescia heraus. Der ten. Bei der Premiere dauerte der Akt fast 90 lange zweite Akt wurde geteilt, was zur Folge Minuten, und während Butterflys Nachtwache hatte, dass der Vorhang mitten in Butterflys war 15 Minuten nichts zu hören als ein unsicht- nächtlichem Warten geschlossen wurde. Die barer Summ-Chor. Die beiden Teile des zweiten herablassenden Äußerungen Pinkertons, der Aktes wurden durch ein Orchesterintermezzo sich über die japanische Verwandtschaft offen verbunden, das bei offenem Vorhang gespielt abfällig und rassistisch geäußert hatte, waren wurde. Dem Publikum missfiel dies, es fühlte geglättet und der amerikanische Leutnant ins- sich um seine Pause betrogen. In der Tragödie gesamt in ein besseres Licht gerückt. In einem Belascos hatte diese Stelle für besonders ein- neu hinzukomponierten Arioso im dritten Akt drucksvolle Effekte gesorgt, als der Übergang („Addio, fiorito asil“) zeigt Pinkerton nun An- von der Nacht zum Tag ohne Worte, dafür von sätze von Reue. Gestrafft wurde dagegen das spektakulären Licht- und Farbwechseln beglei- lange Finale, das geradewegs auf das Ende tet worden war. Butterflys zusteuert. Die zweite Aufführung war ein großer Erfolg. Trotzdem überarbeitete Die Uraufführung war ein Fiasko, die Oper fiel Puccini die Partitur in den kommenden Jahren durch, was allerdings kaum an der Qualität ge- erneut. Erst 1907 wurde eine verbindliche Ver- legen habe dürfte. Vielmehr schien das Publikum sion gedruckt. von Anfang an gegen die Oper eingenommen zu sein: Es schrie, pfiff und johlte. Beobachter spra- Der amerikanische Leutnant Pinkerton, dessen chen von einer organisierten Verschwörung, ei- Schiff „Lincoln“ im Hafen von Nagasaki liegt, nem „fracasso“ (ital. fracassare – zerschmettern) engagiert den Makler Goro, der ihm die Geisha von Puccinis Gegnern. Sänger und Orchester Cio-Cio-San und ein Häuschen vermittelt. Von hielten tapfer dagegen, das Debakel war jedoch beiden Verträgen kann der Mann nach Belieben nicht abzuwenden. zurücktreten – das Widerrufsrecht ist über 14 Der empfindlich getroffene Komponist zog die Tage hinaus ins Unendliche verlängert, nämlich Oper zurück und erstattete der Scala die Kosten, auf 999 Jahre. Das in diesem Zusammenhang ließ sich aber nicht einschüchtern. Er war von der erklingende Motiv („per novecentonovantanove Oper überzeugt: „Meine Butterfly bleibt, was sie anni“) kehrt mehrfach im Stück wieder und ver- ist. Die empfindungsreichste Oper, die ich je ge- weist auf Pinkertons nüchterne Sicht der Bezie- schrieben habe. Ich werde noch gewinnen!“ hung – Butterfly ist sein Eigentum. 16
Ausgehend von einer überirdisch schönen Lie- less nimmt die Musik einen Konversationston besnacht am Ende des ersten Aktes (das eroti- an, und die Musik wird „westlicher“. sche Knistern und die gegenseitige Verführung Pinkertons Partie wird von den typischen Puc- taucht Puccini in ein atemberaubendes Klang- cini-Lyrismen getragen. Seine Jovialität äußert meer), wird diese Beziehung von beiden Par- sich in selbstbewussten Dur-Klängen und breit teien ganz unterschiedlich interpretiert – das ausladendem Dreivierteltakt, während sich die ist das brutal Neue an einer Gattung, welche Japaner vornehmlich im eiligen Zweivierteltakt die romantische Liebe zumeist als absolutes, bewegen; das Staccato scheint ihr Trippeln höchstes Glück stilisiert. Pinkerton fühlt sich von nachzuahmen, auch Vorschlagnoten sind den Butterflys kindlicher Natur angezogen, dennoch Einheimischen zugeordnet. hat das Ganze für ihn eher den Charakter eines Grundiert von englischen Wendungen wie Abenteuers zum Zeitvertreib. Für Butterfly dage- „punsh“ oder „whisky“ und den Klängen der gen bedeutet die Beziehung alles – sie vertraut Nationalhymne prahlt Pinkerton in dem ariosen ihm und verliebt sich hoffnungslos. Selbstportrait „Dovunque al mondo“, dass ihm, Zwar warnt Sharpless seinen Landsmann, dass dem Yankee, die Welt offenstehe. Es ist bezeich- Butterfly die Sache ernst nehme und an die Gül- nend, dass Pinkerton in seiner Arie keinen Toast tigkeit der zwischen ihnen geschlossenen Ehe auf die anstehende Hochzeit ausbringt, sondern glaube, doch Pinkerton geht kaum darauf ein. auf seine Heimat anstößt („America forever“). Reue (und eine ordentliche Portion Selbstmit- Erst im Jahr 1931 wurde die hier anklingende leid) zeigt er erst am Schluss. Für ihn bleibt die Melodie übrigens zur US-amerikanischen Hym- Erfahrung eine Episode, während sie für Butter- ne, der „Star-Spangled Banner“. Sodann trinkt fly über Leben und Tod entscheidet. Pinkerton auf den Tag, an dem er sich „ernst- haft“ vermählen werde. Madama Butterfly ist ein heterogenes Stück, pendelnd zwischen weitem Melos, hektischer Die Verarbeitung der Volkslieder erfolgte im Betriebsamkeit und genrehafter Koloristik. Doch Rahmen von Puccinis eigener Tonsprache. Von trotz Puccinis „Musik der kleinen Dinge“, wie den fernöstlichen Originalmelodien, die er sich er selbst einmal den mosaikartigen Charakter besorgt hatte, verwendete der Komponist meist seiner Tonsprache beschrieb, entsteht doch der nur wenige Takte oder bettete sie in seine ei- Eindruck einer geschlossenen Großform. genen Melodien ein. Typisch sind die pentato- Puccini faszinierte an Belascos Stück das exo- nischen Passagen, jene fünftönigen Tonleitern. tische Ambiente, das er in die musikalische Flimmernde Klänge aus hingetupften Quintpa- Gestaltung überführte. Der Zusammenstoß zwi- rallelen, Sext- und Ganztonakkorden erzeugen schen westlicher und östlicher Kultur wird auch den Effekt impressionistischer Klangmalerei. auf musikalischer Ebene sinnfällig gemacht. So Puccini besaß die Gabe, in Menschen hineinzu- beginnt die Oper mit der Exposition der alteu- horchen und sich auf eine musikalisch-sinnliche ropäischen Form einer vierstimmigen Fuge in Weise in ihre Sehnsüchte und Schmerzen einzu- c-Moll, welche sich im Dialog zwischen Pinker- fühlen. Butterflys Liebeskummer wird maximal ton und dem herumwuselnden Goro verliert. Mit potenziert durch die Begleitumstände (der ohne dem Auftritt des amerikanischen Konsul Sharp- Vater aufwachsende Sohn, die lange Dauer ihres 17
Wartens, die vollkommene Ungewissheit, ob und nischen Tradition sowie bedingungslose Liebe wann der Ehemann zurückkommt, ihre finanziell und Hingabe im ersten Akt, die Visualisierung und gesellschaftlich prekäre Situation). Die jun- der Rückkehr Pinkertons („Un bel dì“), eine re- ge Japanerin hat sich komplett von dem fremden alistische Sicht auf ihre Situation in der von Mann abhängig gemacht. Von ihrer Familie ver- einem Trauermarsch grundierten Arie „Che stoßen, bekommt sie weder emotionalen noch tua madre“, in der eine Bitterkeit spürbar wird, finanziellen Rückhalt. Sie hat Pinkerton beim die auf ihren Freitod vorausdeutet. Kalt und Wort genommen, als er zum Abschied vollmun- böse dagegen, wie sie den Fürsten Yamadori dig versprach, er werde zu ihr zurückkommen. und Goro beschimpft, vollkommen übermütig Wie hätte sie auch ahnen sollen, dass dies Ver- in der Briefszene mit Sharpless (die Szene, sprechen nur leere Worte waren? Immerzu hört in der sie ihn ständig unterbricht und partout sie das Zwitschern der Rotkehlchen, das die Zeit alles missverstehen will, hat fast schon komö- seiner Rückkehr ankündigt. Intensiv verdeutlicht diantischen Charakter). Wenn sie dem Konsul wird Butterflys Zustand zwischen Sehnsucht und dann aber mit einem Paukenschlag das Kind Enttäuschung, Liebe und Verzweiflung in der be- präsentiert („e questo?“), und quasi ihren letz- rühmten Arie „Un bel dì, vedremo“, in der Cio- ten Trumpf ausspielt, läuft es einem kalt den Cio-San sich in den schönsten Farben die Rück- Rücken herunter. Alle Höhen und Tiefen erlebt kehr Pinkertons ausmalt, während Suzuki (und Butterfly an einem einzigen Tag. Aus Freude mit ihr der Zuschauer) schon ahnt, dass diese über die Einfahrt von Pinkertons Schiff in den Hoffnung bitter enttäuscht werden wird. Hafen will sie das Haus mit Blumen schmü- „Un bel dì, vedremo“ ist oft als Ikone des Puc- cken. Ihr Lachen und Weinen bringen sie an cini-Melos bezeichnet worden. Butterfly schaut den Rand der Hysterie. Berührend wiederum aufs Meer und imaginiert die Ankunft des Schif- das Blumenduett, wo sich am Ende die Stim- fes. Das Farbenspiel der ruhig im Sonnenlicht men der beiden Frauen in einer volksliedhaften schillernden See kommt in den sich beständig Melodie verbinden. Zärtlich das Wiegenlied verändernden Klängen zum Ausdruck. Die ei- der Mutter für den Sohn zu Beginn des dritten nem Traumbild gleichende Arie offenbart ihre Aktes („dormi, amor mio“). Verwandtschaft zu Pinkertons „Dovunque al Den stärksten Eindruck aber hinterlässt Butter- mondo“, das gleichfalls im Dreivierteltakt und flys gewaltsamer Abschied von der Welt („Con in Ges-Dur steht. In zartester Tongebung kehrt onor muore“). Er ist als freier Monolog mehr das Liebesthema aus dem Duett wieder. But- denn als klassische Arie gestaltet. Nach großer terflys Zuversicht steigert sich zum jubelnden anfänglicher Erregung schickt sie mit gebroche- Höhepunkt („tutto questo avrá“). So und nicht ner Stimme das Kind zum Spielen. Einen Effekt, anders wird es geschehen. Womit sie recht be- der schon in La Boheme eindrucksvolle Ver- halten wird – wenngleich unter ganz anderen wendung gefunden hatte (Rodolfos „Mimì!“), Vorzeichen als erhofft. verfehlt auch diesmal nicht seine Wirkung. But- Puccini fügt seiner Titelheldin immer neue terfly stirbt in h-Moll, wozu die dramatischen Facetten hinzu: Ihre Verwurzelung in der japa- „Butterfly“-Rufe Pinkertons erschallen. 18
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DIE GEISHA Unterhalterin und Gastgeberin Eine weit verbreitete Nationallegende Japans die für das Wohl und die Unterhaltung der Gäs- handelt von Okichi von Shimoda, einer Geisha, te sorgt. Eine Geisha ist immer auch von einer die 1857 dem ersten amerikanischen Konsul, geheimnisvollen Aura umflort. Kaum jemand Townsend Harris, für die Dauer seines Aufent- vermag hinter ihre kunstvoll errichtete Fassade halts zur Haushaltsführung zur Verfügung gestellt zu blicken. wurde. Der Konsul und die Geisha verliebten sich Die Geisha ist keine Prostituierte, gleichwohl die ineinander, doch als Harris in sein Heimatland zu- Grenzen fließend waren. Als im 17. Jahrhundert rückkehrte, war Okichi gesellschaftlich geächtet die ersten Frauen begannen, den Beruf auszu- und ertränkte sich. In den 1920er Jahren wurde üben (vorher waren Männer in der Funktion des sie zur tragischen Heldin stilisiert, die sich zum Unterhalters tätig), befürchteten die Kurtisanen Wohl des Landes geopfert hatte. Konkurrenz, weshalb den Geishas allzu auffälli- ge Kleidung verboten wurde. Ihre Blütezeit war Bei einer Geisha handelt es sich um eine Un- dann im 18. und 19. Jahrhundert. terhaltungskünstlerin, die in den traditionellen Die traditionelle Berufskleidung sind seidene japanischen Künsten bewandert ist. Ausgebildet Kimonos und spezielle Holzsandalen. Die Frisur in Gesang, Tanz und Pantomime, betreibt sie besteht aus einem schlichten Haarknoten, zu be- kunstvoll Konversation und gilt als Bewahrerin sonderen Gelegenheiten werden auch kunstvoll der alten Teezeremonie. Denn die Geisha gehörte geschlungene, schwarze Perücken getragen. Zu oftmals zu einem Teehaus, lebte in Gemeinschaft offiziellen Anlässen oder Aufträgen schminkt die mit anderen Frauen und durchlief eine strenge Geisha ihr Gesicht mit einer weißen Paste. Das Lehrzeit. Eine Geisha muss Anmut, Charme und Weiß soll das Licht reflektieren und das Gesicht Geist besitzen, die Regeln der Etikette einwand- der Geisha im Kerzenschein betonen – es wirkt frei beherrschen und in jeder Situation Haltung wie eine Maske und verwehrt dem Betrachter bewahren. Sie muss eine gute Gastgeberin sein, einen allzu direkten Blick. 20
„DIE AUSDRUCKSVOLLSTE OPER, DIE ICH JE GESCHRIEBEN HABE“ Briefe Puccinis Je mehr ich an die Butterfly denke, desto mehr Ich habe jetzt Besuch gehabt von Frau Ohyama, begeistere ich mich für sie. Ach, wenn ich sie nur der Gattin des japanischen Gesandten. Sie hat schon hier hätte, um sie für mich zu bearbeiten! mir viele interessante Dinge gesagt und Lieder Ich denke, man könnte aus dem ersten Akt zwei aus ihrer Heimat vorgesungen. Sie versprach, schöne von entsprechender Länge machen. Der mir Noten von der Musik ihres Heimatlandes erste in Nordamerika, der zweite in Japan. Illica schicken zu lassen. Die Frau des Gesandten ist in würde dann die nötigen romanhaften Zutaten ge- Viareggio, und ich werde hinfahren, um mir das, wiss schon zu finden wissen. was sie mir vorsingt, zu notieren. Puccini an seinen Verleger Giulio Ricordi, [Etwas später schreibt er:] Die Frau des japani- 20. November 1900 schen Gesandten ist noch mehrere Male zu mir gekommen. Sie hat nach Tokio geschrieben, um Hast Du an Herrn Giulio [Ricordi] geschrieben? Volkslieder zu bekommen, aber das dauert drei Wenn Du wirklich glaubst, dass man aus die- Monate, bis sie hier sind. sem Vorwurf eine höchst originelle Oper ableiten Puccini an Ricordi, September 1902 könnte, dann schreib ihm doch bitte, denn er ver- hielt sich gegenüber Butterfly ein wenig kühl. Mit traurigem, aber unerschüttertem Gemüt Die Firma Ricordi wird dann versuchen, mit Belas- teile ich dir mit, dass ich gelyncht wurde! Diese co und dem Autor der Erzählung zu einer Überein- Kannibalen hörten sich keine einzige Note an. kunft zu kommen. Aber ich glaube, dass es nötig Welch eine schreckliche, hasstrunkene Orgie des sein wird, auch ein Exemplar des Schauspiels zu Wahnsinns! Aber meine Butterfly bleibt, was sie bekommen; dort gibt es einige sehr gute Sachen. ist: die gefühlteste, ausdrucksvollste Oper, die Puccini an Luigi Illica, 11. März 1901 ich je geschrieben habe. Puccini an Canullo Bondi, einen befreundeten Mit Butterfly haben Sie tausendfach recht, und Industriellen, kurz nach der Uraufführung die Szene mit den Blumen muss „blumiger“ werden. Eine gute Idee, das Kind mit Blumen Du wirst über die niedrigen Worte der neidischen zu schmücken. Ich arbeite mit Genugtuung am Presse bestürzt gewesen sein. Keine Furcht! Die ersten Akt und komme gut vorwärts. Ich habe Butterfly lebt und wird bald, sehr bald auferste- Butterflys Auftritt gemacht und bin damit zufrie- hen. Ich sage es und halte mit unverbrüchlicher den. Abgesehen davon, dass er ein wenig „ita- Überzeugung daran fest. Du wirst es sehen und lienisch“ ist, ist er von großer Wirkung, sowohl binnen weniger Monate, wenn ich auch jetzt hinsichtlich der Musik wie auch dank der szeni- noch nicht weiß, wo. schen Anordnung, die ich mir ausgedacht habe. Puccini an den Priester Don Pietro Panichelli, Puccini an Ricordi, 3. Mai 1902 18. Februar 1904 21
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