Oper von Giacomo Puccini - Landestheater Niederbayern

Die Seite wird erstellt Henrietta-Louise Philipp
 
WEITER LESEN
Oper von Giacomo Puccini - Landestheater Niederbayern
ER A
        Y
      FL
  TT AM
BU AD

         Oper von Giacomo Puccini
 M

     1
Oper von Giacomo Puccini - Landestheater Niederbayern
MADAMA BUTTERFLY
                   Oper von Giacomo Puccini

            Text von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica

              Mit Gedichten von Rainer Maria Rilke
                    aus dem Stunden-Buch

                 MUSIKALISCHE LEITUNG
                     Basil H. E. Coleman
             INSZENIERUNG & CHOREOGRAFIE
              Amir Hosseinpour & Jonathan Lunn
                    BÜHNE & KOSTÜME
                        Andrea Hölzl
                      DRAMATURGIE
                 Swantje Schmidt-Bundschuh

                       PREMIEREN
LANDSHUT 09.10.2021 PASSAU 22.10.2021 STRAUBING 25.01.2022

                       Vorstellungsdauer
                   ca. 2 Stunden 20 Minuten
                Eine Pause nach dem ersten Akt

                                2
Oper von Giacomo Puccini - Landestheater Niederbayern
BESETZUNG

           Cio-Cio-San, genannt Butterfly                 Yitian Luan
           „Dolore“, ihr Sohn			                          Uli Kirsch
           Suzuki, ihre Dienerin			                       Reinhild Buchmayer
           B. F. Pinkerton, Marineoffizier			             Jeffrey Nardone
           Sharpless, Konsul der USA in Nagasaki          Kyung Chun Kim
           Goro, Makler			                                Daniel Preis
           Onkel Bonze			                                 Heeyun Choi /
                                                          Miroslav Stričević*
           Stimme des Kommissars			                       Philipp Mehr

           Niederbayerische Philharmonie

           *Die Besetzung entnehmen Sie bitte dem Abendaushang

Spielleitung Margit Gilch Inspizienz Matthias Dressel Regieassistenz Alma Mora Regie-
hospitanz Elisabeth Schiestl Technische Leitung Michael Rütz Beleuchtungsmeister Egidius
Nigl Veranstaltungsmeister Alexander Kriegler Leitung Schneiderei Heidi Höller Maske Maria
Hirblinger Requisite Regina Stemplinger Kostüme und Bühnenbild Werkstätten des Landes-
theaters Niederbayern

Uraufführung: 17. Februar 1904, Teatro alla Scala, Mailand;
              28. Mai 1904 Teatro Grande, Brescia (überarbeitete Fassung)

                                            3
Oper von Giacomo Puccini - Landestheater Niederbayern
4
Oper von Giacomo Puccini - Landestheater Niederbayern
IN KÜRZE

GIACOMO PUCCINI
Giacomo Puccini (1858-1924) entstammte einer Musikerfamilie in Lucca. Zum Studium ging er ans
Konservatorium nach Mailand. Nach seinem Durchbruch mit Manon Lescaut (1893) ließ er sich in
Torre del Lago nieder. Die Trias seiner berühmtesten Werke kam im Abstand von jeweils vier Jah-
ren heraus: La Boheme (1896, Turin), Tosca (1900, Rom), Madama Butterfly (1904, Mailand). 1910
erfolgte sein Debüt an der Metropolitan Opera in New York mit La fanciulla del West. 1924 starb der
Kettenraucher Puccini an Kehlkopfkrebs in einer Brüsseler Spezialklinik, wo er sich einer neuartigen
Radium-Behandlung unterzogen hatte. 1926 wurde posthum Turandot in unvollendeter Fassung durch
Arturo Toscanini aufgeführt.

PUCCINIS PASSIONEN
Neben der Oper galt Puccinis Leidenschaft dem Reisen, dem Rauchen, der Jagd, schnellen Autos und
schönen Frauen. Seit 1886 lebte er mit Elvira Gemignani zusammen, die seinetwegen ihren Ehemann
verlassen und ihm den Sohn Antonio geboren hatte – in der katholisch-konservativen Gesellschaft
Italiens ein Skandal. Die Arbeit an Madama Butterfly wurde durch einen schweren Autounfall im
Februar 1903 unterbrochen, bei dem der Komponist einen komplizierten Beinbruch erlitt. Der Unfall
beendete auch jäh eine langjährige Affäre Puccinis. Die körperlichen Einschränkungen und psychischen
Belastungen machten ihm in dieser Zeit schwer zu schaffen; er erholte sich nur langsam, während er
dennoch, wann immer es ihm möglich war, an Madama Butterfly weiterarbeitete.
Wenige Jahre später kam es zu einem Skandal, als Elvira ihren Mann öffentlich beschuldigte, eine
Affäre mit dem Dienstmädchen Doria Manfredi zu haben – vermutlich zu Unrecht. Die junge Frau nahm
sich kurz darauf das Leben.

PUCCINI UND DIE FRAUEN
Puccini war ein genuiner Opernkomponist. Er verband – sehr verkürzt gesagt – italienischen Belcanto
mit einer an Wagner orientierten orchestralen Schreibweise. Seine Opern haben einen unverwechsel-
baren Klang, bei aller musikalischen Entwicklung im Laufe seiner Karriere war sein Personalstil sehr
ausgeprägt. Kaum ein Komponist stellte die Frau als empfindsames und starkes Wesen ins Zentrum
seiner Opern wie Puccini: Manon, Mimì, Tosca, Butterfly, Minnie, Turandot. Mit Suor Angelica schrieb
er sogar eine Oper ausschließlich für Frauen. Ein Thema bewegte ihn immer wieder, wie der Biograph
Dieter Schickling schreibt: „Die unschuldige und mit aller Kraft liebende Frau, die an der nur kurze Zeit
anhaltenden Liebe des Mannes verzweifelt. Das kannte er gut genug von der anderen Seite her, und
deshalb hat der Künstler Puccini in Madama Butterfly den Mann Puccini bereitwillig kritisiert: Wie
immer er in seinem Verhältnis zu Frauen sich wirklich benahm, wusste er doch, dass es ein falsches
Verhalten war und dass das Versagen auf der Seite der Männer lag.“

                                                   5
Oper von Giacomo Puccini - Landestheater Niederbayern
INHALT

New York, um 1950                                          erklärt Butterfly offiziell als von der Familie
„Dolore“, der gemeinsame Sohn von Cio-Cio-San              verstoßen und verflucht, weil sie heimlich zum
und Pinkerton betreibt eine Bar in Manhatten, die          Protestantismus übergetreten sei. Die Worte
„Butterfly“-Bar, benannt nach seiner Mutter. Als           des Bonzen klingen noch lange in Butterflys
Kleinkind war er von seinem Vater Pinkerton und            Ohren nach.
dessen zweiter Ehefrau Kate aus seiner japani-             Butterfly lässt sich von Suzuki für die Nacht her-
schen Heimat in die USA gebracht worden, wo er             richten. Unterm Sternenhimmel finden Pinkerton
aufwuchs. Aus Briefen und Erinnerungsstücken,              und Butterfly zueinander.
die Suzuki ihm zukommen ließ, rekonstruiert der
Sohn die Ereignisse, die einst zum Tod seiner              ZWEITER AKT
Mutter führten, und lässt sie vor seinem inneren           Drei Jahre sind vergangen, seit Pinkerton in seine
Auge lebendig werden.                                      Heimat abgereist ist und Butterfly in Nagasaki
                                                           zurückgelassen hat. Bei seinem Abschied gab
ERSTER AKT                                                 er ihr das Versprechen, bald wieder bei ihr zu
Nagasaki, um 1900                                          sein. Obgleich sie seitdem nichts mehr von ihm
Der amerikanische Marineoffizier Benjamin                  gehört hat, klammert sie sich an diese Hoffnung
Franklin Pinkerton hat sich vom Makler Goro eine           und wartet Tag für Tag auf seine Rückkehr. In
Ehefrau samt dazugehörigem Haus vermitteln                 Gedanken sieht sie, wie sein Schiff in den Hafen
lassen. Es handelt sich um eine landestypische             einläuft. Suzuki ist da realistischer. Sie weiß,
„Ehe auf Zeit“, was bedeutet, dass Pinkerton               dass das Geld knapp ist und es das Beste für
jederzeit von allen Verträgen zurücktreten kann.           Butterfly wäre, bald wieder zu heiraten.
Der amerikanische Konsul in Japan, Sharpless,              Als Sharpless mit einem Brief Pinkertons an-
gibt zu bedenken, dass Butterfly die Eheschlie-            kommt, ist Butterfly so aufgeregt, dass sie den
ßung sehr ernst nehme, Pinkerton aber macht                Konsul kaum zu Wort kommen lässt. Er bringt
deutlich, dass diese Verbindung für ihn eher spie-         es seinerseits nicht fertig, ihr die Wahrheit zu
lerischen und vorübergehenden Charakter hat.               sagen: Dass Pinkerton zwar auf dem Weg nach
Wenn die Zeit komme, werde er natürlich eine               Nagasaki sei, er aber nicht die Absicht habe,
richtige, sprich amerikanische, Frau heiraten.             Butterfly zu besuchen.
Butterfly und Pinkerton begegnen sich zum ersten           Da präsentiert Butterfly plötzlich einen kleinen
Mal. Die Braut erzählt von ihrer Familie, die adlig,       Jungen: Ihr und Pinkertons gemeinsames Kind!
aber verarmt sei. Ihr Vater habe auf Befehl des            Die Mutter fleht Sharpless an, dem Vater von
Mikado Selbstmord begangen, sie selbst als                 seinem Sohn zu erzählen. Dann werde Pinkerton
Geisha gearbeitet, wofür sie sich nicht schäme.            bestimmt zu ihr zurückkehren. Sharpless ver-
Die Hochzeitszeremonie wird durch einen                    spricht es ihr. Goro höhnt, dass niemand wisse,
unschönen Zwischenfall gestört: Onkel Bonze                wer der Vater des Kindes sei.

                                                       6
Oper von Giacomo Puccini - Landestheater Niederbayern
Als Butterfly die Ankunft von Pinkertons Schiff                               Suzuki, dass sie das Kind mit nach Amerika
am Hafen beobachtet, jubelt sie vor Freude. Um                                nehmen wollen.
ihn gebührend willkommen zu heißen, schmüc-                                   Pinkerton wird von Erinnerungen überwältigt.
ken Butterfly und Suzuki das Haus mit Blumen.                                 Für ihn ist das alles zu viel – er flüchtet und über-
Dann beginnt die lange Nacht des Wartens.                                     lässt es Kate, Butterfly um das Kind zu bitten.
                                                                              In dem Moment, als Butterfly die fremde Frau
DRITTER AKT                                                                   sieht, ist all ihre Hoffnung schlagartig dahin.
Auch am nächsten Morgen ist Pinkerton                                         Die Situation begreifend, macht sie zur Bedin-
noch nicht da. Als Butterfly eingeschlafen ist,                               gung, dass Pinkerton seinen Sohn in einer hal-
erscheinen Sharpless und Pinkerton, gefolgt                                   ben Stunde selbst abholen komme. Dann nimmt
von dessen neuer Ehefrau Kate. Sie erklären                                   sie Abschied – von ihrem Kind und vom Leben.

                                                            IMPRESSUM

Bildnachweise Titelbild & Probenfotos Peter Litvai

Bildlegende        S 4: Daniel Preis (Goro), Uli Kirsch (Dolore), Jeffrey Nardone (Pinkerton); S.8 : Uli Kirsch (Dolore), Jeffrey Nardone (Pinkerton),
                   S.11 oben: Yitian Luan (Butterfly), Uli Kirsch (Dolore), Jeffrey Nardone (Pinkerton); S.11 unten: Yitian Luan (Butterfly), Uli Kirsch
                   (Dolore), Reinhild Buchmayer (Suzuki), S.14: Yitian Luan (Butterfly), Reinhild Buchmayer (Suzuki), S.19 oben: Jeffrey Nardone
                   (Pinkerton), Reinhild Buchmayer (Suzuki), S.19 unten: Uli Kirsch (Dolore), Yitian Luan (Butterfly); Rückseite: Yitian Luan (Butterfly)

Textnachweise Alle Texte bis auf die Rilke-Gedichte, die Briefstellen und die Novelle von John Luther Long sind Originalbeiträge von der
              Redaktion. Quellen: Dieter Schickling, Puccini. Biografie, Stuttgart 2007. Michael Klonovsky, Der Schmerz der Schönheit.
              Über Giacomo Puccini, Berlin 2008. Kurt Pahlen, Giacomo Puccini. Madame Butterfly, Mainz 1984. Christine Liew, Geschichte
              Japans, Stuttgart 2012.

Spielzeit          2020/2021
Herausgeber        Landestheater Niederbayern Landshut Passau Straubing
                   Niedermayerstr. 101, 84036 Landshut, Telefon: 0871 / 922 08 0
Intendant          Stefan Tilch
Redaktion          Swantje Schmidt-Bundschuh
Gestaltung         Swantje Schmidt-Bundschuh
Layout             Peter Litvai

                   Das Landestheater Niederbayern wird durch den Freistaat Bayern gefördert.

                                                                          7
Oper von Giacomo Puccini - Landestheater Niederbayern
8
JAPAN IM 19. JAHRHUNDERT
                               Aufstieg zur Weltmacht aus der Isolation

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte Japan             Als die US-Marine nun also die Öffnung der Hä-
eine beispiellose gesellschaftliche, ökonomi-           fen für den internationalen Handel zu erwirken
sche und politische Umwälzung. Innerhalb we-            suchte, war relativ klar, dass dies nicht nur eine
niger Jahrzehnte wandelte sich der Inselstaat           höfliche Bitte darstellte. Die militärische Unterle-
von einem rückständigen Land, dessen Bewoh-             genheit des Inselreiches war allzu offensichtlich,
ner traditionelle Kleidung und deren Samurai            und Japan daher ratlos, wie es auf die Macht-
Schwerter trugen, in eine industrialisierte Welt-       demonstration reagieren sollte. Nach fast einem
macht samt hochgerüsteter Kriegsmaschinerie.            Jahr Bedenkzeit stimmte das Shogunat Verhand-
Als sich im Zuge der Kolonialisierung und Glo-          lungen zu und unterzeichnete schließlich einen
balisierung die Welt langsam in einen großen            „Freundschaftsvertrag“ mit Washington. Dieses
Absatzmarkt verwandelte, rückte verstärkt Ost-          Eingeständnis der Schwäche führte in der Folge-
asien für die europäischen Imperialisten in den         zeit zu Rebellionen innerhalb des Landes.
Fokus. 1853 legte der Kapitän Matthew Perry             Das Auftreten der Amerikaner wurde von den
mit seiner Flotte vor Japans Küste an. Im Auf-          Einheimischen als überheblich und ausbeute-
trag der Vereinigten Staaten sollte er das Land         risch wahrgenommen. Als extrem ungerecht
endlich für den ausländischen Handel öffnen.            empfand man die Tatsache, dass den Amerika-
Denn Japan hatte es bis dahin fast 250 Jahre            nern einseitige Konzessionen eingeräumt wur-
lang geschafft, sich vollkommen von der Außen-          den: Sie mussten kaum Zölle zahlen und waren
welt abzuschotten.                                      nicht der japanischen, sondern der amerikani-
                                                        schen Gerichtsbarkeit unterworfen. (Pinkertons
Mit dem Ende der Tenno-Herrschaft, also der ja-         Arroganz und seine Konditionen beim Kauf von
panischen Kaiserzeit, war das Land 1639 in die          Butterfly sind vor diesem Hintergrund zu sehen.)
selbstgewählte Isolation gegangen – aus Furcht          Als offensichtlich wurde, dass die Einmischung
vor christlicher Missionierung und westlicher           westlicher Mächte nicht mehr zu verhindern bzw.
Fremdherrschaft. Die Politik des geschlossenen          rückgängig zu machen war, ging im Jahr 1868
Landes verfügte, dass fremde Schiffe gewaltsam          das Shogunat unter. Der regierende Militärherr-
von den Küsten Japans fernzuhalten waren. Nur           scher übertrug die Staatsgeschäfte wieder dem
den Niederländern (denen man es hoch anrech-            Kaiser, der alte Kriegeradel wurde entmachtet
nete, dass sie nicht missionierten) war es unter        und das Land von Reformpolitikern auf einen
strengen Auflagen erlaubt, über den Stützpunkt          beispiellosen Modernisierungskurs getrimmt.
Nagasaki Handel zu treiben. Niemand durfte ins          Kaiser Mutsuhito erneuerte die Macht des Tenno
Land hinein, niemand hinaus. Den Kaiser gab es          und regierte als Kaiser Meji („Meji“ – aufgeklär-
zwar noch, doch war er de facto von den Staats-         te Herrschaft). Er benannte die Hauptstadt Edo
geschäften ausgeschlossen, statt seiner regierte        in Tokio um. Bis zu seinem Tod 1912 erneuerte
der Shogun, ein Militärherrscher.                       er das Land nach westlichem Vorbild und indus-

                                                    9
trialisierte es in rasendem Tempo. 1889 bekam           neue Stilrichtungen wie der Impressionismus
Japan eine Verfassung. Das Land gewann so               und der Jugendstil wurden von der japanischen
schnell an Macht, dass es bald selbst koloniale         Kunst beeinflusst. Die Poesie der Kirschblüten im
Ambitionen hegte. 1894 erklärte es dem Kaiser-          Frühling, des heiligen, schneebedeckten Berges
reich China den Krieg und gewann diesen ein             Fujiyama, der Teehäuser und der grazilen, pup-
Jahr später. Zehn Jahre darauf provozierte Japan        penhaften Frauen weckte das abendländische
einen Krieg gegen Russland, aus dem es eben-            Interesse am fernen Osten.
falls als Sieger hervorging. Seit Jahrhunderten         Das Japanfieber befiel auch Puccini. Nachdem
hatte kein asiatisches Land mehr über eine euro-        er sich für Butterfly als Stoff entschieden hatte,
päische Großmacht gesiegt. Japan war auf ein-           setzte er sich mit den kulturellen Bräuchen und
mal von einem erstarrten Feudalstaat zu einem           musikalischen Idiomen des Landes auseinander.
ambitionierten Akteur auf der Weltbühne auf-            An seinem Wohnsitz in Torre del Lago ließ er
gestiegen. Während der Meji-Zeit verdoppelte            sich von der Gattin des japanischen Gesandten
sich auch die Bevölkerung; zu Beginn des Ersten         Volkslieder vorsingen. Sie versorgte ihn auch mit
Weltkriegs lebten bereits mehr als 50 Millionen         Schallplatten japanischer Musik und Büchern
Menschen in Japan.                                      über Architektur, Religion und Riten des Landes.

Mit der Öffnung des Inselstaates wuchs in Eu-           1902 traf Puccini in Mailand mit der japanischen
ropa das Interesse an der japanischen Kultur.           Schauspielerin Kawakami Sadayakko zusam-
Dieser noch unerforschte Flecken Erde war               men, die sich gerade auf Tournee mit dem En-
plötzlich zum Sehnsuchtsort geworden; deutlich          semble des kaiserlichen Hoftheaters befand. Sie
wurde dies auch an der Aufmerksamkeit, die              machte den Komponisten mit der Klangästhetik
dem Land bei den beiden Pariser Weltausstel-            der japanischen Sprache vertraut. Puccini erfand
lungen von 1867 und 1873 zuteil wurde. Japa-            schließlich für Butterfly seine ganz eigene, den
nische Farbholzschnitte kamen in Mode und               japanischen Melodien nachempfundene Musik.

                                                   10
11
Rainer Maria Rilke
               WENN ICH GEWACHSEN WÄRE IRGENDWO

Wenn ich gewachsen wäre irgendwo,                       Gemalt hätt ich dich: nicht an die Wand,
wo leichtere Tage sind und schlanke Stunden,            an den Himmel selber von Rand zu Rand,
ich hätte dir ein großes Fest erfunden,                 und hätt dich gebildet, wie ein Gigant
und meine Hände hielten dich nicht so,                  dich bilden würde: als Berg, als Brand,
wie sie dich manchmal halten, bang und hart.            als Samum, wachsend aus Wüstensand -

Dort hätte ich gewagt, dich zu vergeuden,               oder
du grenzenlose Gegenwart.                               es kann auch sein: ich fand
Wie einen Ball                                          dich einmal...
hätt ich dich in alle wogenden Freuden                      Meine Freunde sind weit,
hineingeschleudert, dass einer dich finge
und deinem Fall                                         ich höre kaum noch ihr Lachen schallen;
mit hohen Händen entgegenspringe,                       und du: du bist aus dem Nest gefallen,
du Ding der Dinge.                                      bist ein junger Vogel mit gelben Krallen
                                                        und großen Augen und tust mir leid.
Ich hätte dich wie eine Klinge                          (Meine Hand ist dir viel zu breit.)
blitzen lassen.                                         Und ich heb mit dem Finger vom Quell einen
Vom goldensten Ringe                                    Tropfen
ließ ich dein Feuer umfassen,                           und lausche, ob du ihn lechzend langst,

und er müsste mirs halten                               und ich fühle dein Herz und meines klopfen
über die weißeste Hand.                                 und beide aus Angst.

                                                   12
Rainer Maria Rilke
       LÖSCH MIR DIE AUGEN AUS

        Lösch mir die Augen aus: ich kann dich sehn,
          wirf mir die Ohren zu: ich kann dich hören,
             und ohne Füße kann ich zu dir gehn,
       und ohne Mund noch kann ich dich beschwören.
             Brich mir die Arme ab, ich fasse dich
           mit meinem Herzen wie mit einer Hand,
      halt mir das Herz zu, und mein Hirn wird schlagen,
            und wirfst du in mein Hirn den Brand,
          so werd ich dich auf meinem Blute tragen.

                      Rainer Maria Rilke
DU BIST DIE ZUKUNFT, GROSSES MORGENROT

           Du bist die Zukunft, großes Morgenrot
                über den Ebenen der Ewigkeit.
       Du bist der Hahnschrei nach der Nacht der Zeit,
          der Tau, die Morgenmette und die Maid,
         der fremde Mann, die Mutter und der Tod.

           Du bist die sich verwandelnde Gestalt,
         die immer einsam aus dem Schicksal ragt,
             die unbejubelt bleibt und unbeklagt
          und unbeschrieben wie ein wilder Wald.

              Du bist der Dinge tiefer Inbegriff,
        der seines Wesens letztes Wort verschweigt
          und sich den Andern immer anders zeigt:
        dem Schiff als Küste und dem Land als Schiff.

                             13

                                                           15
14
MADAMA BUTTERFLY
                                       Rund um Puccinis Oper

Nach den beiden Welterfolgen La Boheme und              begonnen. In Lotis Schilderung hatte die Bezie-
Tosca suchte Puccini um die Jahrhundertwende            hung für beide Parteien einen eher unverbindli-
nach einem neuen Opernstoff. Auf einer Reise            chen Charakter. Spätere Adaptionen dachten die
nach London, wo er sich für die englische Erst-         Geschichte weiter bezüglich der tragischen Kon-
aufführung von Tosca aufhielt, empfing er die           sequenzen für die Geisha, welche die Scheinhei-
entscheidende Anregung bei einem Theaterbe-             rat als echte Ehe interpretiert.
such: Das Drama Madame Butterfly von David
Belasco, einem amerikanischen Regisseur und             Durch die Heirat mit einem Amerikaner und die
Dramatiker (er schrieb auch die Vorlage zu La           Konvertierung zum protestantischen Glauben hat
fanciulla del West), handelte von einer unver-          sich Butterfly jeden Weg zurück in ihr altes Leben
schuldet ins Unglück gestoßenen Japanerin, die          verbaut. Wenn sie nicht in Schande und Armut
ihre Hingabe an einen westlichen Mann teuer             weiterleben will, bleibt ihr als „ehrenhafter“
bezahlt. Puccinis Englisch war nicht das Beste          Ausweg nur der Selbstmord, gemäß dem alten
und so verstand er wenig vom Text, doch die             Samurai-Spruch „Ehrenvoll sterbe, wer nicht län-
Handlung packte und fesselte den Komponisten            ger leben kann in Ehre.“
auf einer emotionalen Ebene.                            Belasco ließ sein Stück mit der Selbsttötung en-
                                                        den, und auch Puccinis Heroine musste wie ihre
Die Tragödie ging auf eine Prosaerzählung des           Vorgängerinnen Mimì und Tosca den Operntod
Amerikaners John Luther Long zurück, die sich           sterben – noch dazu in der schrecklichen Varian-
wiederum auf den Reiseroman Madame Chrys-               te des japanischen Harakiri, während der Sohn
anthème des französischen Schriftstellers Pierre        (mit Namen „Dolore“ – Schmerz, Leid) mit ver-
Loti (1887) stützte. Von diesem damals äußerst          bundenen Augen danebensitzt.
populären Roman gab es sogar schon eine fran-           Butterfly tötet sich mit dem Dolch ihres Vaters,
zösische Opernadaption von André Messagers.             der einst auf Befehl des Mikado ebenfalls die
Die Geschichte hatte einen autobiografischen            rituelle Selbsttötung vollzogen hatte. (Männer
Hintergrund, war allerdings im echten Leben             schlitzen sich dabei in Dreiecksform den Bauch
weniger dramatisch verlaufen. Loti, ein ehemals         auf, Frauen durchtrennen die Halsschlagader).
französischer Marineoffizier, war in Japan eine
Beziehung mit einer Geisha eingegangen, hatte           Im Frühjahr 1901 hatte sich Puccinis Verleger
die junge Frau jedoch bereits nach wenigen Mo-          Ricordi die Rechte an dem Stoff gesichert. Das
naten verlassen. Das war kein ungewöhnlicher            Libretto schrieben, wie schon für die beiden er-
Vorgang, sondern entsprach dem Brauch einer             folgreichen Vorgänger-Werke, Giuseppe Giacosa
„Heirat auf Zeit“. Nach der erzwungenen Öff-            (Verse) und Luigi Illica (Szenenführung). Die Li-
nung Japans gegenüber der Außenwelt hatte in            brettisten gingen von der traditionellen Teilung
den Hafenstädten auch der erotische Tourismus           in drei Opernakte aus, doch Puccini lag daran,

                                                   15
die Geschichte in einem Atemzug und an einem               Ricordi war der Überzeugung, dass zur zweiten
Schauplatz, nämlich ausschließlich in Butter-              Aufführung ein kleines Theater taktisch besser
flys Haus zu entwickeln, und plädierte für eine            geeignet sei als ein großes, zum einen, da die
zweiaktige Version. Der Fokus lag ganz auf der             kammermusikalischen Feinheiten der Partitur
Hauptfigur.                                                hier besser zur Wirkung gelangten, zum anderen,
                                                           da sich eine kleinere Zuhörerschar besser kont-
Der „Prolog“ (erster Akt) mit der Heiratszeremo-           rollieren ließ. Hier würde man „Verschwörer“
nie und dem großen Liebesduett geht auf Loti               leichter erkennen.
zurück. Der zweite Akt hat Belascos Drama zur              In neuer (jetzt doch dreiaktiger) Form kam das
Vorlage und schildert Butterflys banges War-               Werk bereits im Mai in Brescia heraus. Der
ten. Bei der Premiere dauerte der Akt fast 90              lange zweite Akt wurde geteilt, was zur Folge
Minuten, und während Butterflys Nachtwache                 hatte, dass der Vorhang mitten in Butterflys
war 15 Minuten nichts zu hören als ein unsicht-            nächtlichem Warten geschlossen wurde. Die
barer Summ-Chor. Die beiden Teile des zweiten              herablassenden Äußerungen Pinkertons, der
Aktes wurden durch ein Orchesterintermezzo                 sich über die japanische Verwandtschaft offen
verbunden, das bei offenem Vorhang gespielt                abfällig und rassistisch geäußert hatte, waren
wurde. Dem Publikum missfiel dies, es fühlte               geglättet und der amerikanische Leutnant ins-
sich um seine Pause betrogen. In der Tragödie              gesamt in ein besseres Licht gerückt. In einem
Belascos hatte diese Stelle für besonders ein-             neu hinzukomponierten Arioso im dritten Akt
drucksvolle Effekte gesorgt, als der Übergang              („Addio, fiorito asil“) zeigt Pinkerton nun An-
von der Nacht zum Tag ohne Worte, dafür von                sätze von Reue. Gestrafft wurde dagegen das
spektakulären Licht- und Farbwechseln beglei-              lange Finale, das geradewegs auf das Ende
tet worden war.                                            Butterflys zusteuert. Die zweite Aufführung
                                                           war ein großer Erfolg. Trotzdem überarbeitete
Die Uraufführung war ein Fiasko, die Oper fiel             Puccini die Partitur in den kommenden Jahren
durch, was allerdings kaum an der Qualität ge-             erneut. Erst 1907 wurde eine verbindliche Ver-
legen habe dürfte. Vielmehr schien das Publikum            sion gedruckt.
von Anfang an gegen die Oper eingenommen zu
sein: Es schrie, pfiff und johlte. Beobachter spra-        Der amerikanische Leutnant Pinkerton, dessen
chen von einer organisierten Verschwörung, ei-             Schiff „Lincoln“ im Hafen von Nagasaki liegt,
nem „fracasso“ (ital. fracassare – zerschmettern)          engagiert den Makler Goro, der ihm die Geisha
von Puccinis Gegnern. Sänger und Orchester                 Cio-Cio-San und ein Häuschen vermittelt. Von
hielten tapfer dagegen, das Debakel war jedoch             beiden Verträgen kann der Mann nach Belieben
nicht abzuwenden.                                          zurücktreten – das Widerrufsrecht ist über 14
Der empfindlich getroffene Komponist zog die               Tage hinaus ins Unendliche verlängert, nämlich
Oper zurück und erstattete der Scala die Kosten,           auf 999 Jahre. Das in diesem Zusammenhang
ließ sich aber nicht einschüchtern. Er war von der         erklingende Motiv („per novecentonovantanove
Oper überzeugt: „Meine Butterfly bleibt, was sie           anni“) kehrt mehrfach im Stück wieder und ver-
ist. Die empfindungsreichste Oper, die ich je ge-          weist auf Pinkertons nüchterne Sicht der Bezie-
schrieben habe. Ich werde noch gewinnen!“                  hung – Butterfly ist sein Eigentum.

                                                      16
Ausgehend von einer überirdisch schönen Lie-               less nimmt die Musik einen Konversationston
besnacht am Ende des ersten Aktes (das eroti-              an, und die Musik wird „westlicher“.
sche Knistern und die gegenseitige Verführung              Pinkertons Partie wird von den typischen Puc-
taucht Puccini in ein atemberaubendes Klang-               cini-Lyrismen getragen. Seine Jovialität äußert
meer), wird diese Beziehung von beiden Par-                sich in selbstbewussten Dur-Klängen und breit
teien ganz unterschiedlich interpretiert – das             ausladendem Dreivierteltakt, während sich die
ist das brutal Neue an einer Gattung, welche               Japaner vornehmlich im eiligen Zweivierteltakt
die romantische Liebe zumeist als absolutes,               bewegen; das Staccato scheint ihr Trippeln
höchstes Glück stilisiert. Pinkerton fühlt sich von        nachzuahmen, auch Vorschlagnoten sind den
Butterflys kindlicher Natur angezogen, dennoch             Einheimischen zugeordnet.
hat das Ganze für ihn eher den Charakter eines             Grundiert von englischen Wendungen wie
Abenteuers zum Zeitvertreib. Für Butterfly dage-           „punsh“ oder „whisky“ und den Klängen der
gen bedeutet die Beziehung alles – sie vertraut            Nationalhymne prahlt Pinkerton in dem ariosen
ihm und verliebt sich hoffnungslos.                        Selbstportrait „Dovunque al mondo“, dass ihm,
Zwar warnt Sharpless seinen Landsmann, dass                dem Yankee, die Welt offenstehe. Es ist bezeich-
Butterfly die Sache ernst nehme und an die Gül-            nend, dass Pinkerton in seiner Arie keinen Toast
tigkeit der zwischen ihnen geschlossenen Ehe               auf die anstehende Hochzeit ausbringt, sondern
glaube, doch Pinkerton geht kaum darauf ein.               auf seine Heimat anstößt („America forever“).
Reue (und eine ordentliche Portion Selbstmit-              Erst im Jahr 1931 wurde die hier anklingende
leid) zeigt er erst am Schluss. Für ihn bleibt die         Melodie übrigens zur US-amerikanischen Hym-
Erfahrung eine Episode, während sie für Butter-            ne, der „Star-Spangled Banner“. Sodann trinkt
fly über Leben und Tod entscheidet.                        Pinkerton auf den Tag, an dem er sich „ernst-
                                                           haft“ vermählen werde.
Madama Butterfly ist ein heterogenes Stück,
pendelnd zwischen weitem Melos, hektischer                 Die Verarbeitung der Volkslieder erfolgte im
Betriebsamkeit und genrehafter Koloristik. Doch            Rahmen von Puccinis eigener Tonsprache. Von
trotz Puccinis „Musik der kleinen Dinge“, wie              den fernöstlichen Originalmelodien, die er sich
er selbst einmal den mosaikartigen Charakter               besorgt hatte, verwendete der Komponist meist
seiner Tonsprache beschrieb, entsteht doch der             nur wenige Takte oder bettete sie in seine ei-
Eindruck einer geschlossenen Großform.                     genen Melodien ein. Typisch sind die pentato-
Puccini faszinierte an Belascos Stück das exo-             nischen Passagen, jene fünftönigen Tonleitern.
tische Ambiente, das er in die musikalische                Flimmernde Klänge aus hingetupften Quintpa-
Gestaltung überführte. Der Zusammenstoß zwi-               rallelen, Sext- und Ganztonakkorden erzeugen
schen westlicher und östlicher Kultur wird auch            den Effekt impressionistischer Klangmalerei.
auf musikalischer Ebene sinnfällig gemacht. So             Puccini besaß die Gabe, in Menschen hineinzu-
beginnt die Oper mit der Exposition der alteu-             horchen und sich auf eine musikalisch-sinnliche
ropäischen Form einer vierstimmigen Fuge in                Weise in ihre Sehnsüchte und Schmerzen einzu-
c-Moll, welche sich im Dialog zwischen Pinker-             fühlen. Butterflys Liebeskummer wird maximal
ton und dem herumwuselnden Goro verliert. Mit              potenziert durch die Begleitumstände (der ohne
dem Auftritt des amerikanischen Konsul Sharp-              Vater aufwachsende Sohn, die lange Dauer ihres

                                                      17
Wartens, die vollkommene Ungewissheit, ob und            nischen Tradition sowie bedingungslose Liebe
wann der Ehemann zurückkommt, ihre finanziell            und Hingabe im ersten Akt, die Visualisierung
und gesellschaftlich prekäre Situation). Die jun-        der Rückkehr Pinkertons („Un bel dì“), eine re-
ge Japanerin hat sich komplett von dem fremden           alistische Sicht auf ihre Situation in der von
Mann abhängig gemacht. Von ihrer Familie ver-            einem Trauermarsch grundierten Arie „Che
stoßen, bekommt sie weder emotionalen noch               tua madre“, in der eine Bitterkeit spürbar wird,
finanziellen Rückhalt. Sie hat Pinkerton beim            die auf ihren Freitod vorausdeutet. Kalt und
Wort genommen, als er zum Abschied vollmun-              böse dagegen, wie sie den Fürsten Yamadori
dig versprach, er werde zu ihr zurückkommen.             und Goro beschimpft, vollkommen übermütig
Wie hätte sie auch ahnen sollen, dass dies Ver-          in der Briefszene mit Sharpless (die Szene,
sprechen nur leere Worte waren? Immerzu hört             in der sie ihn ständig unterbricht und partout
sie das Zwitschern der Rotkehlchen, das die Zeit         alles missverstehen will, hat fast schon komö-
seiner Rückkehr ankündigt. Intensiv verdeutlicht         diantischen Charakter). Wenn sie dem Konsul
wird Butterflys Zustand zwischen Sehnsucht und           dann aber mit einem Paukenschlag das Kind
Enttäuschung, Liebe und Verzweiflung in der be-          präsentiert („e questo?“), und quasi ihren letz-
rühmten Arie „Un bel dì, vedremo“, in der Cio-           ten Trumpf ausspielt, läuft es einem kalt den
Cio-San sich in den schönsten Farben die Rück-           Rücken herunter. Alle Höhen und Tiefen erlebt
kehr Pinkertons ausmalt, während Suzuki (und             Butterfly an einem einzigen Tag. Aus Freude
mit ihr der Zuschauer) schon ahnt, dass diese            über die Einfahrt von Pinkertons Schiff in den
Hoffnung bitter enttäuscht werden wird.                  Hafen will sie das Haus mit Blumen schmü-
„Un bel dì, vedremo“ ist oft als Ikone des Puc-          cken. Ihr Lachen und Weinen bringen sie an
cini-Melos bezeichnet worden. Butterfly schaut           den Rand der Hysterie. Berührend wiederum
aufs Meer und imaginiert die Ankunft des Schif-          das Blumenduett, wo sich am Ende die Stim-
fes. Das Farbenspiel der ruhig im Sonnenlicht            men der beiden Frauen in einer volksliedhaften
schillernden See kommt in den sich beständig             Melodie verbinden. Zärtlich das Wiegenlied
verändernden Klängen zum Ausdruck. Die ei-               der Mutter für den Sohn zu Beginn des dritten
nem Traumbild gleichende Arie offenbart ihre             Aktes („dormi, amor mio“).
Verwandtschaft zu Pinkertons „Dovunque al                Den stärksten Eindruck aber hinterlässt Butter-
mondo“, das gleichfalls im Dreivierteltakt und           flys gewaltsamer Abschied von der Welt („Con
in Ges-Dur steht. In zartester Tongebung kehrt           onor muore“). Er ist als freier Monolog mehr
das Liebesthema aus dem Duett wieder. But-               denn als klassische Arie gestaltet. Nach großer
terflys Zuversicht steigert sich zum jubelnden           anfänglicher Erregung schickt sie mit gebroche-
Höhepunkt („tutto questo avrá“). So und nicht            ner Stimme das Kind zum Spielen. Einen Effekt,
anders wird es geschehen. Womit sie recht be-            der schon in La Boheme eindrucksvolle Ver-
halten wird – wenngleich unter ganz anderen              wendung gefunden hatte (Rodolfos „Mimì!“),
Vorzeichen als erhofft.                                  verfehlt auch diesmal nicht seine Wirkung. But-
Puccini fügt seiner Titelheldin immer neue               terfly stirbt in h-Moll, wozu die dramatischen
Facetten hinzu: Ihre Verwurzelung in der japa-           „Butterfly“-Rufe Pinkertons erschallen.

                                                    18
19
DIE GEISHA
                                     Unterhalterin und Gastgeberin

Eine weit verbreitete Nationallegende Japans              die für das Wohl und die Unterhaltung der Gäs-
handelt von Okichi von Shimoda, einer Geisha,             te sorgt. Eine Geisha ist immer auch von einer
die 1857 dem ersten amerikanischen Konsul,                geheimnisvollen Aura umflort. Kaum jemand
Townsend Harris, für die Dauer seines Aufent-             vermag hinter ihre kunstvoll errichtete Fassade
halts zur Haushaltsführung zur Verfügung gestellt         zu blicken.
wurde. Der Konsul und die Geisha verliebten sich          Die Geisha ist keine Prostituierte, gleichwohl die
ineinander, doch als Harris in sein Heimatland zu-        Grenzen fließend waren. Als im 17. Jahrhundert
rückkehrte, war Okichi gesellschaftlich geächtet          die ersten Frauen begannen, den Beruf auszu-
und ertränkte sich. In den 1920er Jahren wurde            üben (vorher waren Männer in der Funktion des
sie zur tragischen Heldin stilisiert, die sich zum        Unterhalters tätig), befürchteten die Kurtisanen
Wohl des Landes geopfert hatte.                           Konkurrenz, weshalb den Geishas allzu auffälli-
                                                          ge Kleidung verboten wurde. Ihre Blütezeit war
Bei einer Geisha handelt es sich um eine Un-              dann im 18. und 19. Jahrhundert.
terhaltungskünstlerin, die in den traditionellen          Die traditionelle Berufskleidung sind seidene
japanischen Künsten bewandert ist. Ausgebildet            Kimonos und spezielle Holzsandalen. Die Frisur
in Gesang, Tanz und Pantomime, betreibt sie               besteht aus einem schlichten Haarknoten, zu be-
kunstvoll Konversation und gilt als Bewahrerin            sonderen Gelegenheiten werden auch kunstvoll
der alten Teezeremonie. Denn die Geisha gehörte           geschlungene, schwarze Perücken getragen. Zu
oftmals zu einem Teehaus, lebte in Gemeinschaft           offiziellen Anlässen oder Aufträgen schminkt die
mit anderen Frauen und durchlief eine strenge             Geisha ihr Gesicht mit einer weißen Paste. Das
Lehrzeit. Eine Geisha muss Anmut, Charme und              Weiß soll das Licht reflektieren und das Gesicht
Geist besitzen, die Regeln der Etikette einwand-          der Geisha im Kerzenschein betonen – es wirkt
frei beherrschen und in jeder Situation Haltung           wie eine Maske und verwehrt dem Betrachter
bewahren. Sie muss eine gute Gastgeberin sein,            einen allzu direkten Blick.

                                                     20
„DIE AUSDRUCKSVOLLSTE OPER, DIE ICH
                       JE GESCHRIEBEN HABE“
                                             Briefe Puccinis

Je mehr ich an die Butterfly denke, desto mehr             Ich habe jetzt Besuch gehabt von Frau Ohyama,
begeistere ich mich für sie. Ach, wenn ich sie nur         der Gattin des japanischen Gesandten. Sie hat
schon hier hätte, um sie für mich zu bearbeiten!           mir viele interessante Dinge gesagt und Lieder
Ich denke, man könnte aus dem ersten Akt zwei              aus ihrer Heimat vorgesungen. Sie versprach,
schöne von entsprechender Länge machen. Der                mir Noten von der Musik ihres Heimatlandes
erste in Nordamerika, der zweite in Japan. Illica          schicken zu lassen. Die Frau des Gesandten ist in
würde dann die nötigen romanhaften Zutaten ge-             Viareggio, und ich werde hinfahren, um mir das,
wiss schon zu finden wissen.                               was sie mir vorsingt, zu notieren.
        Puccini an seinen Verleger Giulio Ricordi,         [Etwas später schreibt er:] Die Frau des japani-
                              20. November 1900            schen Gesandten ist noch mehrere Male zu mir
                                                           gekommen. Sie hat nach Tokio geschrieben, um
Hast Du an Herrn Giulio [Ricordi] geschrieben?             Volkslieder zu bekommen, aber das dauert drei
Wenn Du wirklich glaubst, dass man aus die-                Monate, bis sie hier sind.
sem Vorwurf eine höchst originelle Oper ableiten                         Puccini an Ricordi, September 1902
könnte, dann schreib ihm doch bitte, denn er ver-
hielt sich gegenüber Butterfly ein wenig kühl.             Mit traurigem, aber unerschüttertem Gemüt
Die Firma Ricordi wird dann versuchen, mit Belas-          teile ich dir mit, dass ich gelyncht wurde! Diese
co und dem Autor der Erzählung zu einer Überein-           Kannibalen hörten sich keine einzige Note an.
kunft zu kommen. Aber ich glaube, dass es nötig            Welch eine schreckliche, hasstrunkene Orgie des
sein wird, auch ein Exemplar des Schauspiels zu            Wahnsinns! Aber meine Butterfly bleibt, was sie
bekommen; dort gibt es einige sehr gute Sachen.            ist: die gefühlteste, ausdrucksvollste Oper, die
             Puccini an Luigi Illica, 11. März 1901        ich je geschrieben habe.
                                                               Puccini an Canullo Bondi, einen befreundeten
Mit Butterfly haben Sie tausendfach recht, und                      Industriellen, kurz nach der Uraufführung
die Szene mit den Blumen muss „blumiger“
werden. Eine gute Idee, das Kind mit Blumen                Du wirst über die niedrigen Worte der neidischen
zu schmücken. Ich arbeite mit Genugtuung am                Presse bestürzt gewesen sein. Keine Furcht! Die
ersten Akt und komme gut vorwärts. Ich habe                Butterfly lebt und wird bald, sehr bald auferste-
Butterflys Auftritt gemacht und bin damit zufrie-          hen. Ich sage es und halte mit unverbrüchlicher
den. Abgesehen davon, dass er ein wenig „ita-              Überzeugung daran fest. Du wirst es sehen und
lienisch“ ist, ist er von großer Wirkung, sowohl           binnen weniger Monate, wenn ich auch jetzt
hinsichtlich der Musik wie auch dank der szeni-            noch nicht weiß, wo.
schen Anordnung, die ich mir ausgedacht habe.                  Puccini an den Priester Don Pietro Panichelli,
                    Puccini an Ricordi, 3. Mai 1902                                        18. Februar 1904

                                                      21
22
WWW.LANDESTHEATER-NIEDERBAYERN.DE
Sie können auch lesen