PIETRO MASCAGNI IRIS - BERTELSMANN SE & CO. KGAA

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Pietro Mascagni
Iris
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Pietro Mascagni: Iris

Ein Blick ins Archivio Storico Ricordi
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                                       Grußwort

In diesem Heft möchten wir Ihnen die Ent-           Archivio Ricordi in neuer Form zu präsentieren
stehungsgeschichte von Pietro Mascagnis             und für alle zugänglich zu machen; sei es im
Oper Iris erzählen. Der Komponist gelangte im       Rahmen von internationalen Ausstellungen,
späten 19. Jahrhundert zu einiger Berühmt-          in Form von Publikationen oder per digitaler
heit, und der Musikverleger Giulio Ricordi – eine   Erfassung der Exponate. Seit einigen Jahren
der treibenden Kräfte hinter Mega-Stars wie         engagieren wir uns zudem in weiteren kultur-
Giacomo Puccini und dem späten Giuseppe             historischen Bereichen. So hat Bertelsmann
Verdi – bemühte sich, Mascagni seinem il-           die digitale Restaurierung der Stummfilmklas-
lustren Ensemble hinzuzufügen. Als der Ver-         siker „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (Robert
tragsabschluss mit Mascagni endlich glückte,        Wiene), „Der müde Tod“ (Fritz Lang) und „Der
waren dem zwei Jahre komplizierter Ver-             Geiger von Florenz“ (Paul Czinner) maßgeb-
handlungen vorausgegangen. Die Arbeit hat           lich gefördert und setzt auch mit seinem in-
sich für Ricordi gelohnt: Obwohl die Oper in-       ternational erfolgreichen Stummfilmfestival
zwischen selten gespielt wird, kann sie jedoch      „UFA Filmnächte“ ein Zeichen für den Erhalt
als großer zeitgenössischer Erfolg angesehen        des Filmerbes im digitalen Zeitalter.
werden. Iris blieb Mascagnis einziges Werk für           Genau wie seinerzeit die Casa Ricordi
Ricordi. Bis heute liegen die autografe Partitur    profitiert ein internationales Medienunter-
und viele weitere Originaldokumente im zu           nehmen wie Bertelsmann auch heute davon,
Bertelsmann gehörenden Ricordi-Archiv.              sich für seine Künstlerinnen und Künstler ein-
     Das Archivio Storico Ricordi, das den          zusetzen und sie zu unterstützen, denn ihre
Aufstieg des Musikverlags Casa Ricordi nahe-        Ideen und Kreativität bilden das Herz unserer
zu lückenlos dokumentiert und uns heute             Wertschöpfung. Sie sind es, die jeden Tag
einzigartige Einblicke in die Welt der Oper         aufs Neue Geschichten erzählen, die infor-
erlaubt, gilt als die bedeutendste Musik-           mieren, unterhalten und inspirieren. Nicht
sammlung in privater Hand. Bertelsmann              zuletzt durch sie werden wir die Zukunft der
hatte Casa Ricordi 1994 erworben, sich später       Medien mitgestalten. Parallel werden wir
aber wieder weitgehend von dem Unterneh-            weiter daran arbeiten, die Geschichte der
men getrennt. Das zugehörige Archiv verblieb        Medien für künftige Generationen zu erhalten
indes bewusst im Konzern. Der außergewöhn-          und sie möglichst vielen Menschen zugäng-
liche Umfang der Sammlung und ihre heraus-          lich zu machen. In diesem Sinne freue ich
ragende Bedeutung für die Geschichte der            mich sehr über Ihr Interesse und wünsche
italienischen Oper waren für uns mehr als           Ihnen viel Spaß bei der Lektüre!
Grund genug, die vielen Tausend Partituren,
Libretti, Briefe und Fotografien zu sichern und
für die Nachwelt zu bewahren. Es ist uns ein        Thomas Rabe
besonderes Anliegen, die Dokumente aus dem          Vorstandsvorsitzender von Bertelsmann
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                                   Pietro Mascagni
                                         Iris
                                            Michael Horst

    Am Anfang der Oper Iris von Pietro Mascagni        übernehmen. Während sein Ex-Kommilitone
    steht ein Deal zwischen zwei Musikverlegern.       Puccini erste Erfolge feiern kann, schreibt
    Der eine: Giulio Ricordi, Chef des renom-          Mascagni insgeheim an seinem geliebten
    mierten Mailänder Verlagshauses, in dem            Ratcliff – nach Heinrich Heines Drama – weiter.
    seit den Zeiten von Rossini und Bellini die        Die Wende in seinem Leben bringt die Idee,
    Crème de la crème der italienischen Opern-         sich an Sonzognos Wettbewerb zu beteiligen;
    komponisten ihr Zuhause hatte. Der andere:         das Libretto zu Cavalleria rusticana, nach
    Edoardo Sonzogno, Gründer des gleichna-            einer Novelle des Sizilianers Giovanni Verga,
    migen Konkurrenzunternehmens vor Ort, das          vertont Mascagni in nicht einmal sechs Mona-
    seine Erfolge besonders den jungen franzö-         ten. Unter 73 eingereichten Opern wird sein
    sischen Komponisten wie Georges Bizet und          Beitrag von der Jury zum Sieger erklärt, und
    Jules Massenet verdankte. Zwischen beiden:         der Publikumserfolg der römischen Urauf-
    Pietro Mascagni, ein aufstrebender Kompo-          führung vom 17. Mai 1890 bestätigt das Ur-
    nist, der zu großen Hoffnungen berechtigt.         teil. Mit einem Schlag ist Mascagni berühmt.
    Denn gerade hat er mit seinem Einakter
    Cavalleria rusticana Sonzognos Opernwett-
    bewerb gewonnen und stürmt in Windeseile
    die nationalen und internationalen Bühnen,
    als er – im September 1890 – mit Ricordi einen
    weiteren Vertrag, über seinen unveröffent-
    lichten Erstling Guglielmo Ratcliff, abschließt.
    Auch wenn der 27-Jährige zuvor noch einmal
    zwei Novitäten für Sonzogno zu komponieren
    gedenkt: Mascagni hat damit ein weiteres
    „Aufführungs-Eisen“ im Feuer. Und mit dem
    Verlag Ricordi nun auch Macht und Prestige
    des traditionsreichen Verlagshauses auf
    seiner Seite.
         Das hätte sich der Mann aus Livorno vor
    fünf Jahren noch nicht träumen lassen. Als         1 —  Titel: Iris, 1. Akt.
    Student am Mailänder Konservatorium ge-                  Kostümentwurf von Adolf
                                                             Hohenstein für
    scheitert, zieht er mit reisenden Operetten-             die Welturaufführung,
    orchestern durch die Lande, schreibt hier ein            Rom, 1898
    Arrangement für Orchester und dort ein             2 —  Erste Seite des
    paar Gesangsstücke, um schließlich das An-              Klavierauszugs
                                                            mit handschriftlichen
    gebot anzunehmen, im apulischen Cerignola               Anweisungen zur
    die Leitung eines drittklassigen Orchesters zu          Bühnenbeleuchtung, 1898
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                                                                          Doch im Herbst 1894 – Mascagni hat inzwi-          meiner Dickköpfigkeit eine Sache abschließen
                                                                          schen mit L’amico Fritz und I Rantzau die          konnte, an der ich seit zwei Jahren geackert
                                                                          zwei verabredeten Opern abgeliefert – wer-         habe – vorwärts Vulkan, Ätna, Phusi-yama...“
                                                                          den die Verträge modifiziert. Der Komponist              Dieser Luigi Illica, aus Castell’Arquato
                                                                          unterschreibt nun einen Exklusivvertrag bei        nahe Piacenza stammend, gilt in den
                                                                          Sanzogno, wonach seine vierte Oper Silvano,        1890er-Jahren als angesehenster Librettist
                                                                          als Doppelpremiere kombiniert mit Guglielmo        der jüngeren Generation. Er hat schon ver-
                                                                          Ratcliff, im Frühjahr 1895 an der Mailänder        schiedensten Opernkomponisten durch seine
                                                                          Scala uraufgeführt werden soll. Ricordi wird       klug gebauten, szenisch punktgenau gestal-
                                                                          für den Verzicht auf Ratcliff mit einer neuen      teten Textbücher zum Erfolg verholfen: von
                                                                          Mascagni-Oper für die Karnevalssaison              Alfredo Catalani (La Wally, 1892) über Um-
                                                                  3   4   1896/97 entschädigt, erst danach erhält            berto Giordano (Andrea Chénier, 1896) bis zu
                                                                          Sonzogno zwei weiteren Opern – eine delikate       Alberto Franchetti (Cristoforo Colombo, 1892).
                                                                          Konstruktion, die im Laufe der nächsten Jahre      Illicas jüngstes Meisterstück – gemeinsam mit
                                                                          für anhaltende Querelen sorgen wird. Und zur       Giuseppe Giacosa – war das Libretto zu Pucci-
                                                                          Folge hat, dass Iris die einzige Mascagni-Oper     nis La bohème, das gerade erst, am 1. Februar
                                                                          für Ricordi bleiben wird...                        1896, seine Uraufführung in Turin erlebt hat.
                                                                               Vorerst jedoch sieht Giulio Ricordi seinen    Illica, zuvor bereits als Dramatiker mit zahl-
                                                                          ehrgeizigen Plan erfüllt, auch Mascagni in         reichen Theaterstücken mäßig erfolgreich,
                                                                          sein illustres „Ensemble“ aufnehmen zu kön-        besitzt einen untrüglichen Riecher für die
                                                                          nen. Geködert hat er den Komponisten mit           Bühne. Der Feinschliff der Verse dagegen ist
                                                                          der Aussicht auf eine Zusammenarbeit mit           seine Sache nicht: „Ich werde in jedem Li-
                                                                          seinem Hauslibrettisten Luigi Illica. In einem     bretto ausschließlich auf die Behandlung der
                                                                          Brief vom 6. März 1896, kurz nach der Urauf-       Charaktere Wert legen“, so Illicas freimütige
                                                                          führung von Mascagnis jüngstem Opus, dem           Äußerung gegenüber Puccini, „auf den Schnitt
                                                                          Einakter Zanetto, macht Ricordi dem Kom-           der Szenen, auf die Wahrscheinlichkeit der
                                                                          ponisten reichlich Komplimente und spricht         Dialoge, der Leidenschaften und Situationen.“
                                                                          zugleich bereits die neue Oper an: „Bei an-
                                                                          derer Gelegenheit sagte ich Ihnen ja schon,
                                                                          dass ich einen neuen, ausgefallenen Stoff
                                                                          habe, der Ihnen gefallen könnte...“
                                                                               In einem Brief an Illica vom 23. März,
3 — Pietro Mascagni,           5 —  Giulio Ricordi, Fotografie          ebenfalls aufbewahrt im Archivio Storico
     Fotografie von                   von Varischi & Artico,
                                                                          Ricordi in Mailand, hält der Verleger mit seiner
     Guigoni & Bossi, Mailand         Mailand
                                                                          Genugtuung über den geglückten Vertrags-
4 — Luigi Illica, Fotografie   6 —  B rief von Giulio Ricordi
     von Guigoni & Bossi,             an Pietro Mascagni,
                                                                          abschluss nicht hinter dem Berg: „Ein großer
    Mailand                           6. März 1896, Mailand           5   Sieg – ich bin überglücklich, weil ich dank
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Mitte der 1890er-Jahre befindet sich Illica auf    Wohlgemerkt: Auch Mascagni geht es – anders
der Suche nach neuen ästhetischen Formen           als etwa Puccini bei seiner Madama Butterfly
und Inhalten, um die abgenutzten Wege des          einige Jahre später – nicht um authentische
italienischen Melodramma hinter sich zu las-       musikalische Motive, Skalen und Rhythmen
sen. Großes Vorbild ist ihm dabei die franzö-      aus Japan, sondern vor allem um harmoni-
sischsprachige Literatur eines Maurice Mae-        sche Abfolgen, die das gewünschte exotische
terlinck (Pelléas et Mélisande) oder Joris-Karl    Kolorit suggerieren.
Huysmans (A rebours), deren symbolistische               Anfang August ist er bereits intensiv mit
Anmutung er auf das italienische Operntext-        der Komposition beschäftigt: „Was die ,Giap-
buch übertragen möchte. Mit Neid sieht er          ponese’ betrifft“, schreibt er an Illica, „kann
auf die Nachbarländer, in denen – auch im          ich Dich beruhigen. Gestern und heute bin ich                                                                       7
Gefolge der spektakulären Weltausstellun-          um 5 Uhr aufgestanden, um zu arbeiten, und
gen – längst der Ferne Osten Einzug auf der        jeden Tag sehe ich gute Fortschritte...“ Bald
Musikbühne gehalten hat: in England mit der        darauf reist der Dichter zu einem persönli-
umjubelten Operette The Mikado (1885) von          chen Treffen nach Pesaro an der Adriaküste
Gilbert & Sullivan oder in Frankreich mit          (wo Mascagni seit Anfang des Jahres Leiter
André Messagers Madame Chrysanthème                des Konservatoriums ist), und die gemeinsa-
(1893). Auch Illica hat sich bereits einen japa-   me Arbeit kommt gut voran, wie einem Brief
nischen Stoff zurechtgelegt – es fehlt nur         Illicas an Ricordi zu entnehmen ist: „Gestern
noch der Komponist, nachdem Alberto                hat mir Mascagni große Teile aus dem 1. und
Franchetti, durch seinen Cristoforo Colombo        2. Akt vorgespielt... In jedem Fall schafft er
von 1892 als weitere große Zukunftshoffnung        etwas wirklich Neues und Schönes.“
der italienischen Oper gefeiert, Illicas Sujet           Später im Herbst zieht sich Mascagni in
bereits abgelehnt hat.                             die Ruhe seines Häuschens im apulischen
     Auch Mascagni ist auf der Suche nach          Süden zurück, um an den beiden ersten Ak-
einem Stoff, der möglichst weit weg von dem        ten weiter zu komponieren. Wie sehr der Ent-
Eifersuchtsdrama der Cavalleria und der Idylle     husiasmus bei dem Komponisten in einen
des Amico Fritz führt und ihm neue kompo-          rauschhaften Zustand übergeht, zeigt ein
sitorische Möglichkeiten eröffnen soll. Das        Brief an Illica vom 27. Oktober: „(...) ich esse
von Illica und Ricordi vorgeschlagene exoti-       nicht, ich schlafe nicht, und wenn ich schlafe
sche Sujet findet sofort sein Interesse, auch      oder esse, habe ich immer das Gefühl, allein
das skizzierte Libretto Illicas: Bereits im Juni   zu sein, und denke nur an meine musikali-
1896 schreibt er an den Dichter: „Ich bin kom-     schen Einfälle“. Einen noch tieferen Eindruck
                                                                                                                                                                       8
plett japanisiert [ingiapponesato], das ja-        in sein Seelenleben gibt eine andere Stelle:       7 —  Iris’ fröhliches Häuschen   8 —  Eine Deponie außerhalb
                                                                                                            und ihr Garten, Bühnen-          der Stadt, Bühnen-
panische Mädchen kommt voran: ich habe             „(...) manchmal trägt mich die Fantasie
                                                                                                            bildentwurf von Adolf            bildentwurf von Adolf
diese Art von Musik ausgiebig studiert, und        förmlich jenseits des menschlichen Geistes;              Hohenstein für die Welt-         Hohenstein, 1898
ich glaube, ich habe ihren Geist verstanden.“      ich weiß nicht, ob so etwas möglich ist, aber            uraufführung, Rom, 1898
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                                                                                                                  das Libretto zu Iris

es ist eine Tatsache, dass ich mich wie ein        bekommen hat. Der 1. Akt ist somit fertig,
anderer Mensch, dass ich mich nicht mehr           der 2. auch. Aber... was ist mit dem 3. Akt? ...
sterblich fühle und meine, eine so schöne          von Illica habe ich keinerlei Nachricht.“ Inzwi-
Musik zu komponieren, wie man sie noch nie         schen ist wohl auch der Uraufführungstermin
gehört hat.“ Diese rauschhaften Zustände           in der Karnevalssaison 1897/98 nicht mehr zu
dauern nicht ewig, im alltäglichen Leben ge-       halten...
hören dagegen Temperamentsausbrüche                     Außerdem ziehen dunkle Wolken am
und Sprunghaftigkeit zu Mascagnis Charak-          Himmel auf, da der Verleger Sonzogno nach-
ter. Giulio Ricordi bringt es in einem Brief an    drücklich auf seine vertraglich verabredete
Illica vom April 1897 voller Witz auf den Punkt:   neue Oper pocht. Im Herbst 1896 hatten ihn
„An Mascagni überrascht mich nichts! Ich           Mascagni und Illica noch mit der Skizze zu
halte ihn zwar nicht für bösartig, ganz im         einer „Commedia“ im Stile Rossinis – die spä-
Gegenteil: aber er ist wie eine noch nicht fer-    tere Oper Le Maschere – beruhigen können,
tige Batterie, bei der man immer mit Strom-        doch inzwischen scheint Sonzogno mit seiner
schlägen, Funken, Knallern und sonstigen           Geduld am Ende. Jener habe ihm, schreibt
verrückten Überraschungen rechnen muss.“           Mascagni im Oktober 1897 empört an Ricordi,
      Zu jenem Zeitpunkt ist bereits klar, dass    tatsächlich seine monatlichen Tantiemen von
                                                                                                                                                                                                        9
die geplante Oper Iris in keinem Fall mehr in      1500 Franken gestrichen, wodurch sein finan-
der laufenden Saison 1896/97 ihre Urauffüh-        zielles Gleichgewicht schwer in Unordnung          Vergleicht man das Textbuch zu Iris mit an-         Vermischung von Art nouveau und Symbolis-
rung erleben wird. Großer Streitpunkt bleibt       gekommen sei: „Aber ich werde das wie ein          deren zeitgenössischen Opern in Italien, fällt      mus im Sinne eines Rimbaud oder Mallarmé.
der 3. Akt: Illica beharrt auf seinem Vor-         Philosoph ertragen!“ Der Streit geht auch          nicht nur der ungewohnte Schauplatz auf.            Der amerikanische Musikautor Alan Mallach
schlag, nur eine Art Epilog anzuhängen, da         im neuen Jahr weiter; erst im April einigen        Alles ist auf typisierende Generalisierung – wie    kommt in seiner Mascagni-Biografie von
alles Wesentliche gesagt sei; Mascagni dage-       sich beide Parteien auf eine Verlängerung          in einem japanischen Holzschnitt – ausge-           2002 sogar zu dem Urteil, Iris sei „die äußerste
gen möchte noch einmal die verschiedenen           der Deadline für Le Maschere bis Herbst            richtet. Illica hat ein imaginiertes Japan vor      Form von Art nouveau auf der Opernbühne,
Gefühle – vor allem die der Protagonistin – zum    1898 – eigentlich ein unrealistisches Datum.       Augen und keineswegs die Absicht, ein reales        vermutlich die einzige italienische Art-nou-
Klingen bringen. Die Diskussion zieht sich         Zu einer erneuten unvorhergesehenen Ver-           japanisches Interieur zu schaffen; nicht zu-        veau-Oper überhaupt.“
über den ganzen Sommer 1897 hin, da Illica         schärfung des Konflikts kommt es durch die         fällig tragen daher die männlichen Haupt-                Des weiteren nimmt sich der Librettist die
noch auf einer anderen „Baustelle” – Puccinis      Ankündigung Ricordis, dass Iris nun tatsäch-       personen schlicht die Namen der japanischen         Freiheit, den jeweiligen Akten empathische
Tosca – in ständige Diskussionen mit dem           lich zur gleichen Zeit in Rom herauskommen         Städte Kyoto und Osaka, während der Vater           Szenenbeschreibungen voranzustellen, die –
Komponisten verwickelt ist. Im Oktober 1897        soll. Sonzogno bringt Mascagni wegen Ver-          nur als „Il Cieco” (Der Blinde) vorgestellt wird.   bisweilen durchaus nahe am Kitsch – auf das
schickt Mascagni aus Livorno eine Reihe von        tragsverletzung vor Gericht, und erst Ende         Allein die Titelfigur erhält den Blumennamen        Kommende einstimmen sollen: „(...) Jetzt stei-
Briefen an den Verleger, die alle ebenfalls im     1898 – nach der Iris-Premiere – gibt es endlich    Iris – Inbegriff der floralen Idealisierung von     gen die Sonnenstrahlen herab; zuerst schwach,
Archivio Ricordi aufbewahrt werden. Sie            eine einvernehmliche Lösung: 1900 als neue         Linie und Form, wie sie im Art nouveau zum          dann rosafarben, warm, lebendig... Das ist
schwanken zwischen Optimismus und Ratlo-           Deadline für Le Maschere.                          Markenzeichen geworden ist. Gleichzeitig            der Tag! Die Morgenröte triumphiert!“ Immer-
sigkeit: „Iris kommt unter vollen Segeln vor-                                                         zeigt Illicas thematische Vorliebe für den          hin lässt sich Mascagni durch diese Worte zu
an! Ich habe die Theaterszene fertiggestellt,                                                         Kontrast von Licht und Dunkel, für Blumen           einer grandiosen Eröffnungsszene inspirieren,
die jetzt ein unvorhergesehenes Gewicht                                                               und Vampire, Blut und Tränen eine deutliche         die als „Inno al Sole“ (Hymne an die Sonne)
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nicht zufällig zum Inbegriff der Oper Iris ge-    Frau der Allgemeinheit in einem Fenster zur
worden ist. Aus der instrumentalen Tiefe der      Schau zu stellen. Dort entdeckt sie der zorn-
Nacht steigt – zuerst mit sonoren Celli, dann     entbrannte Vater, der sie mit Schlamm be-
mit flirrenden Violinen, zuletzt mit einem        wirft, worauf sich Iris verzweifelt aus dem
markanten Motiv im Horn – die Morgenröte          Fenster stürzt.
herauf. Der hymnische Text des Chores trägt            Musikalisch bietet diese kontrastreiche
nicht wenig zum Glanz dieser Szene bei:           Handlung Mascagni interessante Möglich-
„Son Io la Vita! Son la Beltà infinita, la Luce   keiten, seine melodische wie klangliche Fan-
e il Calor!“ (Ich bin das Leben! Ich bin die      tasie auszuprobieren. Nach dem plakativen
unendliche Schönheit, das Licht und die           Eingangschor zeigt die erste Szene der Iris, in
Wärme!). Und sicher war es eine geniale           der sie den traurigen Traum von ihrer gemar-
Idee, mit dieser Hymne an die Sonne – nach        terten Puppe schildert („Ho fatto un triste
der sich immer stärker verdüsternden              sogno pauroso“) die ganze Bandbreite ihrer
Handlung – nicht nur einen lichtdurchflute-       (unschuldigen) Gefühle, während der an-
ten Schlusspunkt der Oper zu setzen, son-         schließende Chor der Wäscherinnen ein Bild
dern auch die innere musikalische Einheit zu      dörflicher Heiterkeit verströmt. Dann nimmt
unterstreichen.                                   das von Osaka und Kyoto inszenierte Pup-
     Ansonsten darf man der Handlung von          penspiel seinen Anfang, für das Mascagni
Iris ohne Zweifel reichlich kolportagehafte       wiederum einen ganz anderen, luftig-komö-
Züge unterstellen. Letztlich geht es um die ge-   diantischen Tonfall findet. Dem Disput zwi-
scheiterte Verführung einer jungen Frau, in die   schen der jungen Geisha und ihrem Vater
sich ein junger, blasierter Mann aus der großen   folgt die Serenade des Sonnensohns „Apri la
Stadt verliebt hat. Dieser Osaka weiß genau,      tua finestra! Ior son io che vengo al tuo chi-
dass er Iris auf „normale“ Weise kaum erobern     amar, povera Dhia“ (Öffne dein Fenster! Ich
wird, deshalb geht er, gemeinsam mit seinem       bin Ior, der auf deinen Ruf zu dir kommt, arme
skrupellosen Freund Kyoto, den indirekten         Dhia) – als Szene in der Szene eigentlich eine
Weg, indem er die amouröse Szenerie auf ei-       Arie „in Anführungsstrichen“, die trotzdem
ner Puppenbühne nachstellt – er selbst verklei-   schnell zum Tenor-Hit der Oper avancierte.
det als Ior, Sohn der Sonne. Am Ende wird Iris    Danach setzt Illica eine dramaturgische Fer-
kurzerhand entführt und aus ihrem kleinen         mate – mit dem Auftritt von drei tanzenden
Dorf in das Vergnügungsviertel Yoshiwara von      Geishas, die den Figuren „La Bellezza“, „La
Edo, dem heutigen Tokyo, gebracht. Doch           Morte“ und „Il Vampiro“ im Walzertakt (!) Aus-
auch hier bleiben alle Verführungskünste, alle    druck verleihen. Währenddessen wird Iris ent-
Versprechungen von Schmuck und schönen            führt, und dem blinden Vater bleibt nur die
Kleidern, umsonst – Iris will zurück zu ihrem     Verwünschung der Tochter übrig – für die
Vater! Entnervt geben schließlich die beiden      Mascagni dann doch alle bewährten Register
Männer auf und beschließen, die schöne junge      des italienischen Melodramma zieht.                10
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                                                                        Stimmungsvoll wird der 2. Akt mit dem Ge-              Schmeicheleien antwortet sie mit verlege-
                                                                        sang von Geishas eingeleitet, doch Kyoto,              nem Lachen – solche Komplimente hat ihr
                                                                        Herr des Hauses im Vergnügungsviertel, ver-            noch nie jemand gemacht! Osaka versucht
                                                                        scheucht sie ungnädig. Osaka erscheint, und            es nun mit einem radikalen Schwenk, indem
                                                                        beide Männer tauschen genießerisch ihre                er sich als Mensch von Fleisch und Blut of-
                                                                   11
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                                                                        Schönheit aus: Voller Emphase schildert                Lust). Doch erschreckende Erinnerungen
                                                                        Osaka, welches Verlangen die Erinnerung an             werden mit diesem Wort in Iris wach; ein
                                                                        diese Frau in ihm geweckt habe, während                Bonze erzählte einst im Tempel die Ge-
                                                                        Kyoto ihm den praktischen Rat gibt, sie mit            schichte eines Mädchen, das am blutroten
                                                                        Geschenken, mit Blumen und Kleidung („Mi               Strand von einer Krake umzingelt wurde und
                                                                        comprendi?“ – Du verstehst mich?) für sich zu          unter gewaltigen Zuckungen starb: „Quella
                                                                        gewinnen. Nach ihrer Entführung erwacht Iris           piovra è il Piacere, quella piovra è la Morte“
                                                                        in der ihr völlig fremden Umgebung – und               (Diese Krake ist die Lust, diese Krake ist der
                                                                        wähnt sich bereits im Paradies. In der an-             Tod!). Symbolistischer lässt sich die Assozia-
                                                                        schließenden großen Szene, die sich später             tionskette kaum knüpfen!
                                                                        zum Duett mit Osaka erweitert, beweist                       Damit ist jeder weitere Annäherungs-
                                                                        Mascagni ebenso großes Gespür in der span-             versuch zum Scheitern verurteilt, und Osaka
                                                                        nungsvollen Steigerung der Emotionen wie im            gibt entnervt auf: „È una puppattola!“ (Sie
                                                                        musikalischen Detail, wobei ausgiebige in-             ist ein Püppchen!) Doch Kyoto hat neue Plä-
                                                                        strumentale Zwischenspiele das Gesungene               ne; er will Iris, verführerisch ausstaffiert, vor
                                                                        zusätzlich ausmalen und vertiefen.                     potentiellen Käufern zur Schau stellen. Als sie
                                                                              Plötzlich kommt die Erinnerung an das            zu fliehen versucht, droht er mit dem Vampir,
                                                                   12
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                                                                        Iris bricht in Tränen aus, und ihr wird bewusst,       schenkt er ihr die Puppe des Ior – gerührt
                                                                        dass sie nicht im Paradies sein kann, „weil es,        stimmt Iris seine Serenade aus dem Puppen-
                                                                        so sagt man, im Paradies keine Tränen gibt“.           spiel an. Die gaffende Menge stimmt in Jubel
                                                                        Diese Iris ist – in ihrer absoluten Naivität – alles   über die neue unbekannte Schöne im Fenster
                                                                        andere als eine realistisch gezeichnete Frau.          ein. Noch einmal taucht Osaka auf und be-
                                                                        Der große Mascagni-Dirigent Gianandrea                 schwört Iris mit wachsender Verzweiflung:
                                                                        Gavazzeni hat die Figur so umrissen: „Sie ist          „Dammi l’immenso ciel di tue carezze!“ (Gib
                                                                        der Widerschein von einer Idee, ein verpupptes         mir den unendlichen Himmel deiner Umar-
 9 — Iris, Umschlag des Libret-   11 — Japanische Marionetten.        Bildnis, eine andeutungsvolle Fata Morgana.“           mungen!) Doch am Ende des 2. Aktes wieder-
     tos, Illustration von              Requisitenentwurf von
                                                                              Das Erscheinen Osakas verwirrt Iris noch         holt sich quasi die Szenerie des 1. Aktes, wenn
     Adolf Hohenstein, 1898             Adolf Hohenstein, 1898
                                                                        mehr: An seiner Stimme erkennt sie ihn als             Iris von ihrem alten Vater wütend attackiert
10 — H andschriftliches           12 — Puppentheater. Requisi-
      Libretto von Luigi Illica          tenentwurf von Adolf
                                                                        Ior, den Sohn der Sonne, aus der Puppen-               wird – und sich verzweifelt aus dem Fenster in
                                         Hohenstein, 1898               theaterszene, und seinen immer stärkeren               den Abgrund stürzt.
18                                                                                                       19

             Mehr als Unmengen von
        blühenden Blumen: das Ringen um
                   den 3. Akt
Damit hätte Iris eigentlich enden können. Die    drei Männer (Osaka, Kyoto, der Vater), drei
Titelheldin springt in den Tod – das wird zwei   Versionen von Liebe, die sich jedoch um das
Jahre später auch das dramatische Ende der       Wohl der Frau herzlich wenig kümmern, son-
Floria Tosca sein! Aber Illica will das Drama    dern allein ihr eigenes Schicksal reflektieren.
mit Hilfe seines Epilogs im 3. Akt auf die       Iris in ihrer Trostlosigkeit sehnt sich nach ih-
un-dramatische Ebene zurückführen: Die           rem kleinen Garten zurück. Doch ein blen-
halbtote Iris wird von Lumpensammlern ins        dendes A-Dur – wie zu Anfang der Oper – kün-
Visier genommen, bevor sie stirbt. Über-         det von der Sonne, die ihre Tochter Iris nicht
strahlt wird ihr Tod von der Sonne – und einer   vergessen hat: „Auf deinen Strahlen will ich
Metamorphose zu einer wirklichen Blume!          ausruhen, in deinem Licht! Lüfte voll Gesang,
Mascagni hat prinzipiell nichts gegen die Lö-    Himmel voller Blumen!“ Und mit der mysti-
sung, wie er Mitte Dezember 1897 an Ricordi      schen Verwandlung der Sterbenden in einen
schreibt, aber er habe Angst vor einem so        Sonnenstrahl, umkränzt von einem (singen-
einsamen Tod auf der Bühne, vor allem aber       den) Blütenmeer, lässt Mascagni das Orches-
vor der Unmenge an Blumen, die dann auf          ter noch einmal in einem Klangrausch auf-
der Bühne wachsen und blühen würden: „Bei        blühen und im fünffachen Fortissimo enden.
allen Inszenierungen in den größten Theatern
Europas haben solche Szenen immer einen
lächerlichen Eindruck auf mich gemacht.“
Sein Gegenvorschlag, ein pompöses Tem-
pel-Finale mit enormem Aufwand an Chor
und Orchester mit japanischen Instrumen-
ten, wird von Illica kühl zurückgewiesen und
findet auch bei Ricordi keinen Beifall.
     Schließlich einigt man sich nach langem
Hin und Her auf einen Kompromiss, der bei-
den Parteien entgegenkommt: Von gewag-
tem harmonischen Reiz ist besonders das
Vorspiel, das die Nacht mit ihren düsteren
Geheimnissen „beschreibt“; ihm folgt der
groteske Auftritt der Lumpensammler. Auf
ihrer Suche nach wertvollen Habseligkeiten
stoßen sie auf die sich bewegende Iris und
stürzen erschrocken davon. Deren zweifache
Frage „Perchè?“ (Warum?) wird – ein überra-
schender Verfremdungseffekt – mit Stimmen
der „Egoismen“ aus dem Off beantwortet:

                                                                                                    14
20                                                                                                                                                                          21

  Ein gesellschaftliches Ereignis von Rang:
       die Iris-Uraufführung in Rom

Die endlich in greifbare Nähe gerückte Urauf-     vermag den Gesamterfolg der Premiere si-             aus seiner Begeisterung für den Duce Musso-
führung wird für den 19. November 1898 am         cherzustellen. Anschließend sind die Meinun-         lini keinen Hehl macht und dafür großzügig
Teatro Costanzi in Rom, dem heutigen Teatro       gen geteilt – im Publikum wie in der Presse.         belohnt wird.
dell’Opera, festgesetzt. Doch Mascagni hat        Bemerkenswert ist allemal die gewaltige in-                Als der Komponist 1927 nach Berlin ein-
schon vorher gegenüber Ricordi deutlich sei-      ternationale Resonanz, wie sie kurz darauf im        geladen wird, um hier mit dem Orchester der
nen Unmut über die Wahl von Edoardo Ma-           „Pressespiegel“ der Gazzetta musicale di             Staatsoper eine größere Zahl von Operntiteln
scheroni als Dirigenten der Premiere zum          Milano, der Musikzeitschrift aus dem Hause           auf Schelllackplatte aufzunehmen, sind
Ausdruck gebracht, und auch während der           Ricordi, veröffentlicht wird. Da findet sich – ne-   selbstverständlich Nummern aus Iris dabei,
Proben lässt er nichts unversucht, um Stim-       ben unzähligen Beiträgen aus London und              allen voran der „Inno al Sole“. Erst im Ab-
mung gegen ihn zu machen – bis Mascheroni         Paris, aus Madrid, Brüssel und Wien – auch die       stand der Jahrzehnte scheint auch in der
entnervt aufgibt und Mascagni selbst das          Meinung des Berliner „Börsen-Courier“ vom            Wissenschaft die Modernität von Mascagnis
Podium besteigt. Währenddessen läuft die          30. November 1898: Mascagni sei es gelungen,         Musiksprache, wie sie in dieser Oper zum                              15
PR-Maschine des Verlags Ricordi auf Hochtou-      seine Idee einer neuen Opernform erfolgreich         Ausdruck kommt, Anerkennung gefunden zu
ren; es gibt Sonderdrucke und „Gadgets“ mit       umzusetzen, und er habe damit das römi-              haben. Alan Mallach fasste es 2002 so zu-
dem Konterfei des Komponisten zu kaufen.          sche Publikum erobert, das ihn schon seit            sammen: „Von all den weniger bekannten
Die gesamte Ausstattung, von der Gestal-          langem als „gloria italiana“ feiere.                 Opern Mascagnis hat keine eine Wiederbele-
tung des Klavierauszugs über die Kostüme bis          Anschließend verbreitet sich Iris schnell        bung mehr verdient als Iris: wegen der bloßen
zur Inszenierung – hat selbstverständlich         auf den europäischen und US-amerikani-               Qualität der Musik und – trotz seiner Schwä-
Adolf Hohenstein, der Chefdesigner des            schen Bühnen. Zu einer weiteren Zusammen-            chen – wegen seiner besonderen, zwingenden
Verlags, übernommen. Die Uraufführung             arbeit Mascagnis mit dem Verlag Ricordi              Kraft als ein Werk des Musiktheaters.“
selbst – schließlich auf den 22. November ver-    kommt es in späteren Jahren nicht mehr,
schoben – ist ein gesellschaftlich-kulturelles    trotz aller Bemühungen von beiden Seiten.            Über den Autor:
                                                                                                       Michael Horst schreibt als freier Kulturjournalist aus
Ereignis von allererstem Rang. Die Kompo-         1912 stirbt Giulio Ricordi, und unter seinem
                                                                                                       Berlin für Zeitungen, Radio und Fachmagazine. Außerdem
nistenkollegen Puccini, Franchetti, Sgambati      Sohn Tito nimmt das Verlagsinteresse an              publizierte er Opernführer über Puccinis Tosca sowie
und Boito geben sich ebenso die Ehre wie die      Mascagni-Novitäten deutlich ab. 1919 stirbt          Turandot und übersetzte Musikbücher von Riccardo Muti
                                                                                                       und Riccardo Chailly aus dem Italienischen.
Dichterfürsten Giosuè Carducci und Gabriele       auch Illica, der andere Verbündete. Mascagni
D’Annunzio, dazu der römische Hochadel, Mi-       gelingt es nie mehr, an seine früheren Erfolge
nister und kirchliche Würdenträger. Um 20.30      anzuknüpfen, weder mit seiner D’Annun-
                                                                                                       13 — Landschaft mit                17 — D er kostümierte Kyoto,
Uhr erscheint Königin Margherita in ihrer Loge,   zio-Oper Parisina (1913) noch mit dem heiß-               Schwertlilien (Iris).                1. Akt. Kostümentwurf
der Königsmarsch erklingt – dann entführt der     blütigen Revolutionsdrama Il piccolo Marat                Bühnenbildentwurf von                von Adolf Hohenstein,
                                                                                                            Adolf Hohenstein, 1898               1898
Sonnenaufgang das Publikum ins ferne Japan.       (1921). Iris dagegen macht dem Verlag Ricordi
     Die beiden ersten Akte finden wärmsten       wie auch dem Komponisten weiter viel Freu-           14 — Iris. Autograf der Partitur   18 — Iris, 2. Akt. Kostüm-
                                                                                                             von Pietro Mascagni                 entwurf von Adolf
Anklang; nach dem 2. Akt muss Mascagni            de, denn es bleibt ein zugkräftiges Werk – mit                                                 Hohenstein, 1898
                                                                                                       15 — Requisitenentwurf von
zehnmal vor den Vorhang treten. Mit der           nahezu 800 Aufführungen, wie der Mascagni-                 Adolf Hohenstein, 1898        19 —  Innenbereich des grünen
Tristesse des 3. Akts kühlt sich die Atmo-        Kenner Fulvio Venturi errechnet hat. Dabei                                                     Hauses (Yoshiwara),
                                                                                                       16 — Eine Geisha, 1. und 2.              Bühnenbildentwurf von
sphäre jedoch abrupt ab, es wird getuschelt       beschränkt sich das Interesse durchaus nicht               Akt. Kostümentwurf von              Adolf Hohenstein, 1898
und gehustet, und erst der hymnische Schluss      nur auf das faschistische Italien, wo Mascagni             Adolf Hohenstein, 1898                                          16
22        23

     17    18
24
26

              Das Archivio Storico Ricordi –
                Ein Bertelsmann-Projekt

Im Jahr 1808 gründet Giovanni Ricordi in Mai-       schaft, sondern einem breiteren Publikum
land einen Musikverlag, der die Kulturge-           zugänglich zu machen.
schichte Italiens und Europas im 19. und                 Bertelsmann ist sich der großen Verant-
20. Jahrhundert maßgeblich prägen wird:             wortung bewusst, die der Besitz dieses ein-
Casa Ricordi, den Verlag, in dem die Werke der      zigartigen Kulturgutes mit sich bringt, und
„großen fünf“ Komponisten der italienischen         pflegt die mit dem Namen Ricordi verbundene
Oper – Rossini, Donizetti, Bellini, Verdi und       Tradition weiter.
Puccini – erscheinen. Von Beginn an werden          Bertelsmann ist ein Medien-, Dienstleis-
alle Unternehmensdokumente akribisch archi-         tungs- und Bildungsunternehmen, das in
viert. Inzwischen ist das ehemalige Unterneh-       rund 50 Ländern der Welt aktiv ist. Zum
mensarchiv des Ricordi-Verlags, der 1994 von        Konzernverbund gehören die Fernsehgruppe
Bertelsmann übernommen wurde, zu einem              RTL Group, die Buchverlagsgruppe Penguin
historischen Archiv geworden: dem Archivio          Random House, der Zeitschriftenverlag Gru-        Impressum
Storico Ricordi, das sich heute in der Biblioteca   ner + Jahr, das Musikunternehmen BMG, der
                                                                                                      Herausgeber:
Nazionale Braidense in Mailand befindet.            Dienstleister Arvato, die Bertelsmann Prin-
                                                                                                      Bertelsmann SE & Co. KGaA
     Die hier liegenden Originalpartituren von      ting Group, die Bertelsmann Education
                                                                                                      Unternehmenskommunikation
zahlreichen Opern des 19. und frühen 20. Jahr-      Group sowie das internationale Fonds-Netz-
                                                                                                      Carl-Bertelsmann-Straße 270
hunderts sowie viele weitere Kompositionen          werk Bertelsmann Investments. Mit 117.000
                                                                                                      33311 Gütersloh
gehören zu den Highlights der europäischen          Mitarbeitern erzielte das Unternehmen im
Musikgeschichte.                                    Geschäftsjahr 2018 einen Umsatz von 17,7          Gestaltung: Stan Hema, Berlin
     2006 veräußerte Bertelsmann sein da-           Milliarden Euro. Bertelsmann steht für Unter-     Druck: medialis Offsetdruck GmbH, Berlin
maliges Musikrechtegeschäft an Universal.           nehmergeist und Kreativität. Diese Kombina-
                                                                                                      Copyright: Bertelsmann SE & Co. KGaA, 2020
Alle Rechte an der Marke Ricordi sowie das          tion ermöglicht erstklassige Medienangebote
berühmte Verlagsarchiv verblieben jedoch im         und innovative Servicelösungen, die Kunden        Bildnachweis:
Besitz von Bertelsmann.                             in aller Welt begeistern.                         Alle Bilder © Archivio Storico Ricordi
     Seit 2011 entwickeln eine Projektgruppe             Bertelsmann engagiert sich auf vielfältige
von Bertelsmann und das Ricordi-Team in             Weise im kulturellen Bereich, national wie in-
Mailand ein nachhaltiges Konzept zur Er-            ternational. Die „Culture@Bertelsmann”-Initi-
schließung und langfristigen Sicherung der          ativen umfassen Ausstellungen, Lesungen
                                                                                                      www.bertelsmann.de
Archivalien. Sie arbeiten gemeinsam an der          und Konzerte, das Literaturformat „Das
                                                                                                      www.bertelsmann.de/kultur
kontinuierlichen Restaurierung und Digitali-        Blaue Sofa” sowie den Einsatz für den Erhalt
                                                                                                      www.archivioricordi.com
sierung der Bestände. Ziel ist es, das Archivio     des europäischen Kulturerbes. Neben den
sowohl national als auch international zu ei-       Aktivitäten für das Archivio Ricordi enga-        Die Bilder- und Briefsammlung
nem „Best-Practice-Case“ im Hinblick auf            giert sich Bertelsmann als Unternehmen mit        des Ricordi-Archivs ist einsehbar unter
die Vermittlung kulturhistorischer Archivbe-        langer eigener Filmgeschichte für die Res-        www.digitalarchivioricordi.com
stände im digitalen Zeitalter zu entwickeln         taurierung, Digitalisierung und Aufführung
und die Ressourcen nicht nur der Wissen-            bedeutsamer Stummfilme.
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