OST EUROPA - Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

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OST EUROPA - Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft
OST                                           Informationen

EUROPA
In Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsmagazin OstContact | 3/4 - 2019

Special Russland: Eine neue Agenda für die Zusammenarbeit mit Russland

Zentralasien                       Osthandel 2018                      Mittelosteuropa
Turkmenistan sucht                 Wachstumsmotor für                  Innovation statt
neue Impulse                       den deutschen Handel                Werkbank
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Praxisorientiert
  Zielgerichtet
  Erfolgreich

Seite an Seite mit unseren   Ihr Ansprechpartner:
Experten für
    Steuern                  Alex Stolarsky
    Import                   Rechtsanwalt, Direktor für Recht,
    IT                       Steuern und Compliance
    Financial Management     StolarskyA@schneider-group.com
    Interim Management       +7 / 495 / 956 55 57
    Internal Control         +49 / 30 / 615 089 10
OST EUROPA - Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft
Vorwort/ Inhalt

Liebe Leserinnen und Leser,                                                              Special
                                                                                         Russland
das östliche Europa gehört weiterhin zu den wichtigsten Wachstumsmotoren des deut-       Editorial                        9
schen Außenhandels. Im Vorjahr stieg der deutsche Handel mit den 29 Ländern der
OAOEV-Region, die von Tschechien bis an die russische Pazifikküste reicht, erneut        Analyse: Russlands              10
kräftiger als der deutsche Handel insgesamt (S. 18f). Unter den wichtigsten deutschen    Selbstbewusstsein wächst
Außenhandelspartnern liegt Polen beim Handelsumsatz mit 118 Milliarden Euro inzwi-       MSC: Frühstück mit Ministern    12
schen auf Platz sieben und dürfte in Kürze Großbritannien auf Platz sechs übertreffen.
Nach Polen ist Tschechien der wichtigste Handelspartner in unserer Region (92 Milliar-   Positionspapier:                13
den Euro Umsatz) gefolgt von Russland (62 Milliarden). Tschechien hat zehn Millionen     Neue Russland-Agenda
Einwohner, Russland 140 Millionen. Dies zeigt deutlich, dass das Potenzial des russi-
schen Marktes bei Weitem nicht ausgeschöpft werden kann. Im Gegenteil: Die deut-
                                                                                         Arbeitsmarkt:                   14
schen Exporte nach Russland haben im Vorjahr nahezu stagniert, die Zahl der deutschen    Schockstarre überwunden
Unternehmen im Land ist seit vier Jahren rückläufig.                                     Interview: „Es ist wichtig, dass 15
                                                                                         Unternehmen ihre Risiken kennen“
Kein Zweifel: Die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen befinden sich in unruhi-
gem Fahrwasser. Die nunmehr seit fünf Jahren bestehenden westlichen Sanktionen, ins-
besondere drohende neue US-Sanktionen gegen den russischen Energie- und Finanz-

                                                                                                                               Foto: C. Himmighoffen
sektor, aber auch die russischen Gegensanktionen machen vielen deutschen
Unternehmen zu schaffen. In jedem Fall erhöhen sie die Transaktionskosten im Handel
mit Russland. Zum Gegenwind in den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen gehört auch
der Widerstand in Brüssel und Washington gegen die Pipeline Nord Stream 2, die oft
fälschlicherweise als deutsch-russisches Sonderprojekt betrachtet wird, obwohl Unter-
nehmen aus insgesamt fünf EU-Ländern zu den Finanziers gehören und 670 europä-
ische Zulieferunternehmen am Bau beteiligt sind. Immerhin konnte auf EU-Ebene im         Editorial/Inhalt                 3
Februar in letzter Minute ein deutsch-französischer Kompromiss gefunden werden, der
das Thema hoffentlich befriedet.
                                                                                         Mitglieder-News                  4
                                                                                         Länder-News                      5
Damit aber Nord Stream 2 nicht das letzte europäisch-russische Leuchtturmprojekt
bleibt, sind neue Impulse für die europäisch-russische Zusammenarbeit notwendig. Der     Neujahrsempfang:                 6
OAOEV hat im Frühjahr eine neue Agenda mit 15 gemeinsamen Themenfeldern vorge-           Außenminister Maas kontert
legt, auf denen eine enge Zusammenarbeit große Chancen für alle bietet. Mehr dazu und    Kritik an Nord Stream 2
weiteren Themen erfahren Sie in dieser Schwerpunktausgabe zu Russland.
                                                                                         Zentralasien: Turkmenistan       8
                                                                                         sucht neue Impulse
Das Positionspapier (S.13) war auch Thema beim traditionellen deutsch-russischen Un-
ternehmerfrühstück mit den beiden Außenministern auf der Münchener Sicherheits-          Armenien: Neuer Schwung         17
konferenz, über das wir auf S. 12 berichten. Der OAOEV-Mittelstandsexperte Jens Böhl-    nach den Parlamentswahlen
mann informiert Sie ab S. 10f über die wichtigsten Wirtschaftstrends in Russland, auf
S. 14 beleuchten wir die Entwicklung auf dem russischen Arbeitsmarkt. Zudem greifen      Osthandel 2018:                 18
wir das Thema Sanktionen in einem ausführlichen Interview auf, in dem Experten Tipps     Wachstumsmotor für den
geben, wie Unternehmen sich gegen Sanktionsverstöße wappnen können (S. 15f).             deutschen Handel
                                                                                         Mittelosteuropa:                20
Aber auch andere Regionen und Märkte des OAOEV spielen in dieser Ausgabe eine
                                                                                         Innovation statt Werkbank
wichtige Rolle: Wir berichten über das Deutsch-Turkmenische Wirtschaftsforum in
Berlin (S. 8), den Besuch einer OAOEV-Delegation in Armenien, wo eine neue, reform-      Baltikum: Lettland setzt auf    21
orientierte Regierung neuen Schwung ins Land bringt (S. 17), über das Wirtschaftsfo-     digitale Innovationen
rum Lettland in Hamburg, bei dem sich lettische Start-Ups präsentierten (S. 21), und
über die jüngsten Sitzungen der OAOEV-Arbeitskreise Mittelosteuropa und Südost-          Südosteuropa: Ermutigendes 22
europa (S. 20 + 22). Außerdem blicken wir auf den traditionellen Neujahrsempfang         Signal an Investoren
des OAOEV mit Bundesaußenminister Heiko Maas zurück, auf dem eine „neue eu-              OAOEV in Kürze                  23
ropäische Ostpolitik“ im Mittelpunkt der Reden stand.
                                                                                         Vorstellung neuer               24
Wir wünschen Ihnen eine gewinnbringende Lektüre!                                         Mitglieder
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                                                                                         Quelle: pixabay                  3
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News

MITGLIEDERNEWS
Deutsche Lufthansa AG                          historischen Igumnov-Villa in Moskau,             Volkswagen AG
                                               der Residenz der französischen Botschaft in
Mit dem Erwerb eines Grundstücks in der        Russland. Das Igumnov-Haus wurde 1883             Die Volkswagentochter Audi und der Ener-
ungarischen Stadt Miskolc hat die Lufthansa    bis 1893 nach dem Entwurf des Architekten         giekonzern EON planen in gemeinsamer
Technik AG im Februar den Aufbau eines         Nikolay Pozdeyev gebaut.                          Kooperation einen 160.000 Quadratmeter
neuen Standorts für die Reparatur und                                                            großen Solarpark auf dem Dach des Be-
Überholung von Triebwerksteilen einge-                                                           triebsgeländes von Audi im ungarischen
leitet. Bis 2022 soll an diesem Standort das   Schaeffler Technologies AG                         Györ. Es wäre die größte Solaranlage in Eu-
neue Unternehmen Lufthansa Technik Mis-        & Co. KG                                          ropa, die je auf einem Dach installiert wurde.
kolc den Betrieb aufnehmen.
                                               Die Schaeffler AG hat im Januar an ihrem
                                               ungarischen Standort Debrecen die Einwei-         Falls Sie Ihre Meldungen auch gerne in
GEA Germany GmbH                               hung einer neuen Produktionshalle und             den OEI veröffentlichen möchten, sen-
                                               das 20-jährige Jubiläum von Schaeffler            den Sie uns eine Mail an:
Die deutsche GEA Group und das russische       Debrecen gefeiert. An der Eröffnungszere-         C.Himmighoffen@bdi.eu
Chemieunternehmen Metafrax haben auf           monie nahmen neben Kunden und Mitar-
dem Investitionsforum in Sotschi im Februar    beitern hochrangige Gäste aus Wirtschaft
eine Vereinbarung zur Entwicklung einer        und Politik teil, darunter Ungarns Außen-
Paraformaldehyd-Produktion im Metafrax-        minister Péter Szijjártó. Der Automobil-
Werk in Gubacha im Gebiet Perm unterzeich-     und Industriezulieferer investierte rund 80
net. GEA wird die entsprechende Technolo-      Millionen Euro in das moderne Gebäude,
gie für das Werk liefern, das im zweiten       in dem Kegelrollenlager für Automotive-
Halbjahr 2021 eröffnet werden soll.            Anwendungen produziert werden. Nach
                                               knapp zwei Jahren Bauzeit wird durch die
                                               Inbetriebnahme der zusätzlichen Fläche das         Mercedes-Bereichsvorstand Markus Schäfer (li.)
Knauf Gips KG                                  Produktionsvolumen um 50 Prozent erhöht.           und Polens Premier Mateusz Morawiecki kündigten
                                               Künftig wird Schaeffler in Debrecen fast           den Bau der Batteriefabrik in Jawor an.
Der deutsche Baustoffhersteller Knauf hat      2.000 Mitarbeiter beschäftigen.
ein neues Marketing- und Vertriebsbüro in                                                        Daimler AG
der Stadt Krasnogorsk im Gebiet Moskau
eröffnet. Knauf betreibt auch ein Gipswerk                                                       Im Zuge der Elektrooffensive baut Merce-
in Krasnogorsk und beschäftigt dort mehr als                                                     des-Benz Cars eine Batteriefabrik im pol-
550 Mitarbeiter.                                                                                 nischen Jawor und erweitert damit seinen
                                                                                                 globalen Batterie-Produktionsverbund
                                                                                                 auf neun Fabriken. Die Batteriefabrik ist
Knorr-Bremse AG                                                                                  das zweite große Investment an dem
                                                                                                 neuen Mercedes-Benz Standort. In Ja-
Das Unternehmen Knorr-Bremse 1520,                                                               wor, rund 100 Kilometer von der Grenze
eine Tochtergesellschaft der deutschen                                                           zu Deutschland entfernt, entsteht derzeit
Knorr-Bremse Group, verlagert seine Pro-       Symbolischer Produktionsstart in Debrecen mit     eine moderne Motorenfabrik, in der Vier-
duktion von St. Petersburg ins Leningrader     Ungarns Außenminister Peter Szijjártó (3.v.re.)   zylinder-Motoren für Hybridfahrzeuge
Gebiet. Die Errichtung eines neuen Werks                                                         und konventionell angetriebene Pkw her-
hat bereits im August 2018 begonnen und soll                                                     gestellt werden sollen. Die erste Produkti-
2020 abgeschlossen werden. Geplant ist die     Siemens AG                                        onsstätte von Mercedes-Benz Cars in
Herstellung von Bremssystemen für Schie-                                                         Polen wird über 1.000 Mitarbeiter be-
nenfahrzeuge sowie die Bereitstellung von      Der russische Staatsfonds RDIF will Siemens       schäftigen. Die Motorenproduktion in
Wartungs- und Reparaturdienstleistungen.       als Technologiepartner für eine 200 Kilo-         Jawor wird in diesem Jahr anlaufen, ver-
                                                                                                 sorgt werden die Pkw-Werke von Merce-
                                                                                                                                                    Fotos: Schaeffler; Daimler AG

                                               meter lange Hochgeschwindigkeits-Zug-
                                               verbindung zwischen den Städten Tschelja-         des-Benz Cars in Europa und der gan-
Remmers Gruppe AG                              binsk und Jekaterinburg ins Boot holen. Eine      zen Welt. Mit der Erweiterung um eine
                                               entsprechende Absichtserklärung wurde am          Batteriefabrik entstehen dort rund 300
Der niedersächsische Baustoffhersteller        Rande der Münchner Sicherheitskonferenz           zusätzliche neue Arbeitsplätze. Die Seri-
Remmers lieferte Spezialprodukte und           im Februar unterzeichnet. Siemens soll dafür      enproduktion von Batterien soll Anfang
Know-how für die Restaurierung der             die Signaltechnik liefern.                        der nächsten Dekade starten.

4 osteuropa informationen 3/4 - 2019
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LÄNDERNEWS
Albanien/Kasachstan/                            Beschlüsse der Pariser Klimakonferenz          Usbekistan
Usbekistan                                      von 2015 umsetzen will. Mit dem Vorha-
                                                ben „Low Carbon Ukraine“ unterstützt           Die Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsmi-
In ihrer Sitzung Ende Januar haben die Ex-      Deutschland die ukrainische Regierung          nisterium Claudia Dörr-Voß und der stellver-
perten der OECD turnusmäßig die Länder-         bei der Erreichung dieser Ziele. Das Projekt   tretende usbekische Ministerpräsident Suk-
risiken von 40 Staaten aus den Regionen Eu-     soll in den nächsten drei Jahren Analysen      hrob Kholmuradov unterzeichneten im
ropa/GUS und MENA neu bewertet. Von den         und politische Vorschläge zur Umsetzung        Februar zwei gemeinsame Erklärungen über
osteuropäischen Staaten wurden Albanien,        einer emissionsarmen Politik zur Verfügung     eine wirtschaftspolitische Regierungsberatung
Kasachstan und Usbekistan von der Risi-         stellen. Das deutsch-ukrainische Beratungs-    für Usbekistan und die Fortsetzung der Zu-
koklasse 6 in Kategorie 5 heraufgestuft.        vorhaben wird im Rahmen der Internatio-        sammenarbeit im Rahmen des Managerfort-
Die neuen Ländereinstufungen gelten seit        nalen Klimaschutzinitiative (IKI) des BMU      bildungsprogramms. Für die Beratung hat das
dem 11. Februar. Die Länderklassifizierung      finanziert und von der Berlin Economics        BMWi ein Expertenteam beauftragt, das unter
ist ein Parameter bei der Berechnung des Ent-   GmbH durchgeführt.                             dem Namen „German Economic Team Uzbe-
gelts für Exportkreditversicherungen.                                                          kistan“ tätig sein wird. Deutsche Staatsbürger
                                                                                               können seit dem 15. Januar für Aufenthalte
                                                Maschinenbauer steigern                        von bis zu 30 Tagen visafrei nach Usbekis-
Estland                                         Exporte deutlich                               tan reisen. Der usbekische Präsident Shav-
                                                                                               kat Mirziyoyev hatte am 3. Januar einen ent-
Seit Jahresanfang kann bei der Gründung einer   Die Maschinenbauer in Deutschland ha-          sprechenden Erlass über die Abschaffung
GmbH in Estland ein Bankkonto bei einem         ben trotz vieler Verunsicherungen auf dem      der Visapflicht für deutsche Staatsangehöri-
Kreditinstitut im Europäischen Wirtschafts-     Weltmarkt ihre Exporte 2018 deutlich ge-       ge unterzeichnet. Für Aufenthalte von mehr
raum genutzt werden. Für die Firmengrün-        steigert. Insgesamt wurden im vergange-        als 30 Tagen müssen weiterhin entsprechen-
dung aus dem Ausland ist somit kein estni-      nen Jahr nach Angaben des Branchenver-         de Visa beantragt werden.
sches Konto für die Einbringung des             bands VDMA Maschinen und Anlagen für
Stammkapitals von 2.500 Euro mehr nötig.        177,8 Milliarden Euro ausgeführt - ein Plus
Die Firmengründung aus dem Ausland ist seit     von 5,3 Prozent zum Vorjahr. Größte Ab-
2014 möglich. Durch die digitale ID-Karte       satzregion blieb Europa. Starkes Wachs-
„e-Residency“ wird man dabei zum „digitalen     tum zeigte dabei der Handel mit Polen. Die
Einwohner Estlands“ und ist berechtigt, ein     Exporte in das östliche Nachbarland leg-
Unternehmen zu gründen. (GTAI)                  ten besonders kräftig um 17 Prozent auf
                                                7,2 Milliarden Euro zu. Polen rückte im
                                                                                                Usbekistan will mehr Touristen zu seinen
                                                Ranking damit um einen Platz vor auf Rang
                                                                                                Sehenswürdigkeiten locken. Im Bild: Samarkand.
Nordmazedonien                                  sieben und überholte Österreich. Zu einer
                                                insgesamt stärkeren Bedeutung Ost- und
Die bisherige Republik Mazedonien heißt         Mitteleuropas passt, dass Tschechien in
jetzt Nordmazedonien. Die Namensände-           der Exportrangliste auf Platz neun noch        Ungarn
rung wurde Mitte Februar offiziell vollzo-       vor Russland liegt (Rang zehn).
gen. Der neue Name ist Teil der Umsetzung                                                      Seit Anfang des Jahres gelten in Ungarn
eines Abkommens mit Griechenland vom            Rg.     Land           Exporte      gg. Vj     neue Regelungen für Auslandsinvestitio-
Sommer 2018. Entsprechende Verfassungs-                              (Mrd. EUR)      in %      nen. Das Gesetz von 2018 über die Über-
änderungen hatte das Parlament in Skopje im     1.      USA                19,2        +7,1    wachung ausländischer Investitionen, die
Januar gebilligt. Das griechische Parlament     2.      China              19,1       +9,6     die Sicherheitsinteressen Ungarns verlet-
hatte im Februar das entsprechende Protokoll                                                   zen, gilt für natürliche und juristische Per-
                                                3.      Frankreich         11,6       +4,6
ratifiziert. Damit ist auch der Weg für den                                                    sonen, die außerhalb der EU, des Europäi-
NATO-Beitritt des Balkan-Staats im kom-         4.      Italien             8,3       +9,5     schen Wirtschaftsraumes und der Schweiz
menden Jahr frei.                               5.      Großbritannien      7,7        +5,1    ansässig sind oder mehrheitlich aus Dritt-
                                                6.      Niederlande         7,4       +8,2     ländern kontrolliert werden. Bei Investitio-
                                                                                               nen, die mehr als 25 Prozent (bei AGs zehn
                                                7.      Polen               7,2       +17,0
Ukraine                                                                                        Prozent) der Beteiligung an einem Unter-
                                                8.      Österreich          7,0       +3,8     nehmen ausmachen, muss der Innenminis-
Der Ausbau der erneuerbaren Energien und        9.      Tschechien          5,5       +5,2     ter zustimmen, sofern das Unternehmen
                                                                                                                                                     Foto: A. Metz

die Halbierung des Energieverbrauchs sind       10.     Russland            5,4       +2,7     sensible Güter herstellt oder Dienstleistun-
einige der Ziele, mit denen die Ukraine im                                                     gen erbringt.
Rahmen ihrer „Energiestrategie 2035“ die        Quelle: VDMA

                                                                                                                                                 5
OST EUROPA - Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft
OAOEV intern > Veranstaltung

Außenminister Maas kontert Kritik
an Nord Stream 2
Rund 250 Gäste aus Wirtschaft, Politik und Diplomatischem Corps konnte der Ost-Ausschuss
– Osteuropaverein im Januar zu seinem traditionellen Neujahrsempfang in der Berliner Kalk-
scheune begrüßen, darunter Bundesaußenminister Heiko Maas als Keynote-Speaker.

                                                                                                    Beziehungen“. Grundzüge dieser „Neuen
                                                                                                    Agenda“ beschreibt der OAOEV in einem
                                                                                                    neuen Russland-Positionspapier (s. S. 13).

                                                                                                    In seiner Vorstellung des Bundesaußenmi-
                                                                                                    nisters griff Büchele dessen Vorschlag einer
                                                                                                    „europäischen Ostpolitik“ auf. „Für mich
                                                                                                    persönlich bedeutet dies, unseren osteuro-
                                                                                                    päischen EU-Partnern und Russland stärker
                                                                                                    zu vermitteln, warum es sich lohnt, an der
                                                                                                    Überwindung historischer Feindschaften zu
                                                                                                    arbeiten. Nur so bringen wir Europa insge-
                                                                                                    samt voran und schaffen Sicherheit auf un-
                                                                                                    serem Kontinent.“

                                                                                                    Kritik übte Büchele an den Versuchen aus
                                                                                                    den USA, die Wirtschafts- und Energiepoli-
                                                                                                    tik in Europa mit Drohungen von Sanktio-
                                                                                                    nen und Strafzöllen zu beeinflussen. „Damit
  Der OAOEV-Vorsitzende warb für eine neue Agenda mit Russland.
                                                                                                    werden demokratisch gewählte Regierun-
                                                                                                    gen geschwächt und tiefsitzende antiameri-
In seiner Begrüßungsrede richtete der Vor-          len dagegen neben einem zunehmenden             kanische Klischees bedient“, kritisierte Bü-
sitzende des Ost-Ausschuss – Osteuropave-           Fachkräftemangel und Konflikten einiger         chele. „Hier steht inzwischen mehr auf dem
reins Wolfgang Büchele den Blick auf das            EU-Ländern mit Brüssel vor allem der un-        Spiel als ein Wirtschaftsprojekt wie Nord
neue Jahr. Mit dem 30. Jahrestag des Mau-           gelöste Konflikt zwischen Russland und der      Stream 2 oder wirtschaftliche Beziehungen
erfalls und des Beginns des Transformati-           Ukraine. Dringend benötigte Fortschritte im     mit dem Iran. Es geht um unsere Selbstach-
onsprozesses wird 2019 ein zentrales Ereig-         Minsker Friedensprozess würden durch            tung und unsere Souveränität.“
nis für die Entwicklung in den 29 Ländern           Vorfälle wie im Asowschen Meer und die
des OAOEV gefeiert. „Die Europa-Wahlen              Gefangennahme ukrainischer Matrosen             Maas wirbt für europäische
im Mai könnten EU-Gegner in großer Zahl             ausgebremst, kritisierte Büchele. „Diese        Ostpolitik
ins Parlament bringen. Welchen Beitrag wir          Soldaten müssen schnellstens freigelassen
dazu leisten können, die EU zu stärken, da-         und der freie Zugang zu den ukrainischen        Bundesaußenminister Heiko Maas nutzte
rüber müssen wir 30 Jahre nach Beginn der           Häfen garantiert werden.“                       seine Keynote, um ausführlich die Ziele der
Transformation besonders nachdenken“,                                                               deutschen Außenpolitik zu erläutern. Ihm
sagte Büchele und griff in diesem Zusam-            Neue Agenda für Russland                        geht es um ein Gegengewicht gegen die
menhang ein Zitat von Bundesaußenminis-                                                             „America First“-Politik des US-Präsiden-
ter Heiko Maas auf: „Mut zu Europa – Eu-            Büchele betonte, dass trotz der gravieren-      ten. Maas warb für eine neue „europäische
rope United“.                                       den Konflikte langfristig kein Weg an einer     Ostpolitik“ jenseits des Minimalkonsenses
                                                    engen Partnerschaft zwischen der EU und         in der EU. Ein „Kernbestandteil“ müsse das
Büchele zählte eine Reihe von erfreulichen          Russland vorbeiführe. „Wir sind in diesem       Verhältnis zu Russland sein. Ohne Russland
Entwicklungen im zurückliegenden Jahr               Jahrhundert, das nach Lage der Dinge kein       sei die Lösung vieler internationaler Kon-
auf und lobte hier insbesondere die Reform-         europäisches, sondern ein asiatisches sein      flikte nicht möglich. Maas, dem häufig eine
                                                                                                                                                   Fotos: © Amélie Losier

fortschritte in Mazedonien und Usbekistan.          wird, mehr denn je aufeinander angewie-         kritische Haltung zu Russland attestiert
Der deutsche Handel mit Osteuropa sei er-           sen“, betonte der OAOEV-Vorsitzende.            wird, wies auf seine intensiven Kontakte
neut stärker gewachsen als der deutsche             „Um die Zukunft gemeinsam zu gestalten,         und häufigen Gespräche mit seinem russi-
Handel insgesamt. Zu den großen Sorgen              brauchen wir jetzt eine echte Strategie, eine   schen Amtskollegen Sergej Lawrow hin,
der deutschen Wirtschaft in Osteuropa zäh-          neue Agenda für die europäisch-russischen       mit dem er regelmäßig im Gespräch sei.

6 osteuropa informationen 3/4 - 2019
OST EUROPA - Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft
OAOEV intern > Veranstaltung

Seit seinem Amtsantritt im März 2018 seien          Nord Stream 2 auch im                              sich gegen Bestrebungen der USA, die Ost-
bereits eine Reihe von ausgesetzten Ge-             ukrainischen Interesse                             seepipeline mit Sanktionen zu belegen.
sprächsformaten mit Russland reaktiviert
worden. Maas betonte hier insbesondere die          Mit klaren Worten verteidigte Maas das Pi-         Maas würdigte zudem die Arbeit des
Notwendigkeit eines Dialogs mit Russland            pelineprojekt Nord Stream 2 gegen interna-         OAOEV und seiner Mitglieder und wies
in Sicherheitsfragen. Der INF-Vertrag über          tionale Kritik. Das Projekt sei „kein              auf die Bedeutung Osteuropas für die deut-
atomare Rüstungsbegrenzung zwischen                 deutsch-russischer Sonderweg“, wie Kriti-          sche Wirtschaft hin. Der deutsche Handel
Russland und den USA müsse erhalten blei-           ker fälschlich behaupteten. Im Hinblick auf        mit der Region sei größer als der deutsche
ben. Dafür wolle sich Deutschland auch mit          die Ukraine und deren Sorge bezüglich sin-         Außenhandel mit den USA und China zu-
Hilfe des zum 1. Januar übernommenen Sit-           kender Einnahmen aus dem Transit russi-            sammengenommen.
zes im UN-Sicherheitsrat engagieren.                schen Gases betonte Maas, dass Berlin die
                                                    ukrainischen Interessen in den Gesprächen          Während des anschließenden Empfangs im
Der Außenminister betonte vor allem die             mit Russland mit vertreten würde. Würden           Lounge-Bereich der Kalkscheune nahm sich
Bedeutung eines geschlossenen Auftretens            dagegen aufgrund von Sanktionen deutsche           der Bundesaußenminister noch Zeit, um Mit-
der EU und einer regelbasierten internatio-         und europäische Unternehmen aus dem                glieder und Partner des OAOEV kennenzu-
nalen Ordnung. Im Rahmen der „Drei-Mee-             Projekt Nord Stream 2 verdrängt, werde es          lernen und mit den Vertretern der Botschaf-
res-Initiative“ östlicher EU-Länder wolle           niemanden mehr geben, der auf den Erhalt           ten zu netzwerken. Unter den 250 Gästen des
Deutschland die Rolle eines Bindegliedes            des russischen Gastransits durch die Ukraine       Empfangs wurden in diesem Jahr Vertreter
zu Brüssel und den westeuropäischen                 drängen könne.                                     von über 20 Botschaften gezählt.
EU-Ländern übernehmen. Die neue europä-
ische Ostpolitik müsse zudem die Ukraine,           Unmissverständlich wies Maas den Druck
Belarus, den Kaukasus und Südosteuropa              von Seiten der USA gegen das Projekt zu-
einbeziehen.                                        rück: „Fragen der europäischen Energiepoli-        Andreas Metz, Christian Himmighoffen
                                                    tik“ müssten in Europa entschieden werden,         Abteilung Presse und Kommunikation
                                                    „nicht in den USA“, sagte Maas und wandte          im OAOEV

   Der OAOEV-Vorsitzende Büchele (re.) begrüßte Außenminister Maas zum
   Neujahrsempfang.                                                            Außenminister Maas plädierte für eine europäische Ostpolitik.

                                                                                                                                                7
OST EUROPA - Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft
OAOEV intern > Zentralasien

Turkmenistan sucht neue Impulse
Turkmenistan will seine Energieexporte und seine Wirtschaft diversifizieren. Wie deutsche
Unternehmen dabei helfen können, war Thema auf einem Deutsch-Turkmenischen Wirtschafts-
forum in Berlin.

Turkmenistan steht in wirtschaftlicher Hin-
sicht im Schatten seiner Nachbarn Kasachs-
tan und Usbekistan. Der deutsch-turkmeni-
sche Güteraustausch bewegt sich mit einem
Volumen von 150 Millionen Euro auf über-
schaubarem Niveau. Der Wüstenstaat am
Kaspischen Meer mit seinen sechs Millionen
Einwohnern weckt vor allem durch seine um-
fangreichen Öl- und Gasvorräte das Interesse
ausländischer Investoren. Neue Impulse
sucht das Land durch den Ausbau der Ver-
kehrsinfrastruktur im Zusammenhang mit der
chinesischen Belt & Road-Initiative (BRI)
                                                     Vizepremier Gylydzhov (li.) mit OAOEV-Geschäftsführer Harms (3.v.re.) bei der Präsentation
sowie durch die Diversifizierung seiner Wirt-        turkmenischer Produkte.
schaft jenseits des Öl- und Gassektors.

Der Energiesektor gehörte zu den Branchen,        „Win-Win-Situation“, denn deutsche Unter-        Regierung zur Diversifizierung der Wirt-
die beim Deutsch-Turkmenischen Wirt-              nehmen könnten mit ihrem Know-how und            schaftsstruktur Beteiligungsmöglichkeiten
schaftsforum im Mittelpunkt standen, das          ihren Technologien einen entscheidenden          für deutsche Unternehmen. Damit könne die
Mitte Februar in der Repräsentanz der Deut-       Beitrag leisten, um die Wertschöpfung in In-     „derzeitige Durststrecke im bilateralen Han-
schen Bank in Berlin stattfand. Daneben wur-      dustrie und Landwirtschaft nachhaltig zu er-     del“ überwunden werden. Im Jahr 2018 war
den aber auch die Perspektiven des Landes in      höhen, und Turkmenistan könne zu einer Di-       der bilaterale Warenaustausch um fast 60
der Chemieindustrie, in Transport und Logis-      versifizierung der Energieimporte der EU         Prozent zurückgegangen.
tik sowie in der Agrar- und Ernährungswirt-       beitragen. Die Einigung auf den wirtschaftli-
schaft diskutiert. Über 150 Vertreter aus Poli-   chen Status des Kaspischen Meeres, die die       Der Energie- und Chemiesektor stand im Fo-
tik und Wirtschaft, darunter eine große           Anrainerstaaten im August 2018 erzielt hat-      kus der anschließenden Diskussionsrunde,
turkmenische Delegation unter Leitung von         ten, bezeichnete Harms als „Meilenstein für      die von OAOEV-Regionaldirektor Eduard
Vize-Premier Chary Gylydzhov und Präsi-           die Region“. Vizepremier Gylydzhov gab ei-       Kinsbruner moderiert wurde. Turkmenische
dentensohn Serdar Berdimuhammedow, dem            nen Überblick über die wirtschaftliche Ent-      Branchenvertreter stellten wichtige Projekte
stellvertretenden Gouverneur der Region           wicklung seines Landes, für das Deutschland      in der Öl- und Gasförderung vor. In einer wei-
Ahal, nahmen an dem bilateralen Wirt-             ein „aussichtsreicher Partner“ sei. Er verwies   teren Diskussionsrunde drehte sich alles um
schaftsforum teil, das der OAOEV zusam-           auf die Bemühungen Turkmenistans den Öl-         Transport und Logistik. In der abschließen-
men mit der Delegation der Deutschen Wirt-        und Gasexport zu diversifizieren, etwa durch     den Panel-Diskussion stand dann die Land-
schaft in Zentralasien und turkmenischen          die TAPI-Pipeline, die über Afghanistan und      wirtschaft im Fokus. Praktischen Anschau-
Partnern organisierte.                            Pakistan nach Indien führen soll. Zudem wird     ungsmöglichkeiten über die Produkte der
                                                  die petrochemische Industrie ausgebaut. „Wir     turkmenischen Landwirtschaft und Industrie
Region in Aufbruchstimmung                        laden deutsche Unternehmen ein, sich an          bot die begleitende Ausstellung im Stil eines
                                                  Großprojekten zu beteiligen“, sagte der Vize-    Basars, auf der die Teilnehmer getrocknete
„Die Region Zentralasien ist in einer Auf-        Premier.                                         Früchte, Gemüse und Tee kosten, aber auch
bruchstimmung,“ sagte OAOEV-Geschäfts-                                                             Erzeugnisse der Pharmaindustrie begutach-
führer Michael Harms zur Eröffnung: „Es           Auch Alexander Schönfelder, Beauftragter         ten konnten. Die Ausstellung belegte, dass
passiert derzeit sehr viel, unter anderem an-     für Technologiepolitik, Handels-, Finanz-,       die Diversifizierung der turkmenischen Wirt-
gestoßen durch das chinesische Projekt der        und Sanktionspolitik im Auswärtigen Amt,         schaft zumindest in einzelnen Branchen be-
‚Neuen Seidenstraße‘ und durch reiche Roh-        unterstrich die Chancen, die eine Pipeline       reits in vollem Gange ist.
                                                                                                                                                    Foto: A. Metz

stoffvorkommen, die auf Förderung und Wei-        durch das Kaspische Meer für die Diversifi-
terverarbeitung vor Ort warten.“ Die Öl- und      zierung der europäischen Energieversorgung       Christian Himmighoffen
Gasvorkommen schüfen die Basis für eine           biete. Zudem eröffneten die Maßnahmen der        Referent für Presse und Kommunikation

8 osteuropa informationen 3/4 - 2019
OST EUROPA - Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft
Special > Russland

Eine neue Agenda für die
Zusammenarbeit mit Russland
In diesem Frühjahr jährt sich die Einführung erster Sanktionen des Westens gegen Russland
zum fünften Mal. Vor allem in den ersten drei Jahren 2014 bis 2016 haben die EU-Sanktio-
nen und die russischen Gegenmaßnahmen zu erheblichen Einschränkungen der Wirtschaft
geführt. In einer ausführlichen Analyse berechneten wir 2017 die aufgelaufenen Sanktions-
schäden auf etwa 100 Milliarden Euro für Russland und die EU. Eine Analyse des Wiener
Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), die gerade im Februar erschien,
geht nun von 130 Milliarden Euro aus. Das Institut beziffert dabei die allein von Deutschland
in den Jahren 2014 bis 2016 erlittenen Handelsverluste auf 14 Milliarden Euro.

Seit zwei Jahren nimmt der Handel zwischen Deutschland, der EU und Russland wieder zu. Die
Zahlen liegen aber aktuell immer noch rund 20 Prozent unter den Werten des Jahres 2013.
Hingegen hat sich der deutsche Handel mit den meisten anderen Ländern des östlichen Europa
in den vergangenen fünf Jahren schwunghaft weiterentwickelt, mit dem Ergebnis, dass beispiels-
weise der Handelsumsatz mit Polen – 2013 noch gleichauf mit Russland –nunmehr das Zweifa-
che des russischen Wertes erreicht.
                                                                                                     Dr. Wolfgang Büchele
Zur wirtschaftlichen Bilanz von fünf Jahren Sanktionen gehört, dass gleichzeitig Länder wie          Vorsitzender des Ost-Ausschuss –
China und die Türkei ihre Handelsanteile in Russland deutlich ausbauen konnten. Auch wenn            Osteuropavereins der Deutschen Wirtschaft e.V.
die Unternehmen gelernt haben, mit dem EU-Sanktionen zu leben, sie bleiben ein Wachstums-
hemmnis für die bilateralen Beziehungen und vor allem für die russische Wirtschaft. Dennoch ist
die EU als Ganzes gesehen mit 43 Prozent immer noch mit weitem Abstand Russlands wichtigs-
ter Handelspartner vor China (16 Prozent).

Was die Sanktionen politisch bewirkt haben, müssen andere beurteilen. Fürsprecher verwei-
sen auf ihre Alternativlosigkeit und schreiben den relativen militärischen Stillstand im Osten der
Ukraine als positiven Effekt den Sanktionen zu. Kritiker wiederum nehmen diesen Stillstand als
Beleg dafür, dass die Sanktionen echten Fortschritten im Wege stehen.

Wir sind und bleiben Realisten: Solange sich an den politischen Umständen nichts ändert, und
hier müsste sich auch Russland kooperativer verhalten, werden die Sanktionen nicht verschwin-
den. Ja, es wäre bereits ein Erfolg, wenn angesichts wachsender Spannungen zwischen den
USA und Russland neue US-Sanktionen, die zu Lasten der europäischen Wirtschaft gehen, ver-
hindert werden könnten.

Die weitere Umsetzung des Projekts Nord Stream 2 ist aktuell ein Lichtblick in schwierigen Zeiten.
Damit aber die europäisch-russischen Beziehungen in Sanktionszeiten nicht noch weiter hin-
ter andere Märkte zurückfallen, brauchen wir mehr solcher Lichtblicke. Die Voraussetzungen
dafür sind weiter gegeben: Russland braucht uns Europäer als Investoren, Produzenten, An-
bieter innovativer Technik und Abnehmer von Rohstoffen. Und für uns ist Russland nicht nur als
Garant für die europäische Energiesicherheit, sondern auch als Innovationspartner interessant.
Deshalb hat der Ost-Ausschuss – Osteuropaverein im Januar eine „Neue Agenda für die eu-
ropäisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen“ vorgelegt, mit der wir 15 große Themenfelder in
den Blick rücken, auf denen eine intensivierte Zusammenarbeit mit Russland trotz Sanktionen
bereits stattfindet und großes Potenzial für alle Europäer verspricht. Dazu gehören Maßnahmen
zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur Digitalisierung der Wirtschaft, die Aufarbeitung
atomarer Abfälle, die Verbindung von Agrarwirtschaft und Klimaschutz, die Erforschung des
Weltraums, Energie- und Rohstoffsicherheit, E-Medizin und Mobilität.

Diese neue Agenda soll den Blick über die tagespolitischen Blockaden hinaus öffnen und zei-
gen, was uns verbindet und gemeinsam erfolgreich machen kann. Vielleicht wächst darüber
                                                                                                                                                      Foto: Exyte

neues Vertrauen, Verständnis und neue Wertschätzung. Und am Ende der Wille, den Sanktions-
knoten endlich zu durchschlagen.

                                                                                                                                                  9
OST EUROPA - Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft
Special > Russland

Russlands Selbstbewusstsein wächst
Angesichts eines gestiegenen Lebensstandards sind die Russen zufriedener mit ihrem Leben
als früher. Für ein stärkeres Wachstum und mehr ausländische Investitionen sind allerdings
politische Konfliktlösungen und wirtschaftliche Reformen unabdingbar.

                                                                                                  Dass die Regelung – abgeschwächt – trotz-
                                                                                                  dem in Kraft tritt, ist einfach eine wirt-
                                                                                                  schaftliche Notwendigkeit. Dem Arbeits-
                                                                                                  markt gehen in den nächsten zwei bis drei
                                                                                                  Jahrzehnten je nach Berechnung zwischen
                                                                                                  20 und 30 Millionen Arbeitskräfte verloren.
                                                                                                  Der Fachkräftemangel ist schon heute eine
                                                                                                  der größten Herausforderungen für die
                                                                                                  Wirtschaft. Dazu kommt der Geburten-
                                                                                                  rückgang in den Neunziger Jahren des vori-
                                                                                                  gen Jahrhunderts. Apropos Neunziger:
                                                                                                  Dass die Russen trotz aller Alltagsprobleme
                                                                                                  vergleichsweise zufrieden sind, mag seine
                                                                                                  Ursache auch darin haben, dass sie diese
   Im Winter verwandelt sich Moskaus Innenstadt in eine Märchenlandschaft.                        Zeit als extrem chaotisch, unsicher und
                                                                                                  wirtschaftlich desaströs empfunden haben,
Seit zwei bis drei Jahren verwandelt sich        je, die Staus sind endlos, die Hektik der Be-    und seit dem Amtsantritt von Präsident Pu-
Moskaus Innenstadt im Winter in eine Mär-        wohner grenzenlos. Vom zur Schau gestell-        tin Stabilität eingekehrt ist. Es geht der rus-
chenlandschaft. Überall glitzert und funkelt     ten Luxus in allen nur denkbaren Varianten       sischen Bevölkerung einfach deutlich bes-
es. Entlang der Moskwa erleuchten illumi-        ganz zu schweigen. Ist das alles nur Fassa-      ser als vor 20 Jahren. Die medizinische
nierte Bäume die Nacht, aus profanen Stra-       de, oder ist Russland wirklich auf dem Weg,      Versorgung ist zwar nicht gut, aber besser
ßenlaternen werden tanzende Lichtspiele,         eine erfolgreiche Volkswirtschaft mit den        geworden, die Säuglingssterblichkeit rück-
und vor dem Roten Platz entsteht ein ganzer      dazugehörigen Segnungen für seine Bevöl-         läufig, und die Bevölkerung wird älter.
künstlicher Winterwald. Alles wirkt so, als      kerung zu werden? Die Frage ist nicht ganz
hätte ein Riese Weihnachtsschmuck gleich-        leicht zu beantworten, denn es ist gleichzei-    Was bedeutet das alles für die Wirtschaft
mäßig über der Stadt verteilt. Wer ein wenig     tig beides richtig.                              und die wirtschaftliche Entwicklung Russ-
Kitsch nicht gänzlich abgeneigt ist, dem ge-                                                      lands? Die deutschen Unternehmen sehen
fällt diese Verwandlung der Stadt, und sie ist   20 Millionen leben unterhalb der                 die Chancen in Russland zwar verhaltener
ja auch in erster Linie für ihre Bewohner und    Armutsgrenze                                     als in den Vorjahren, aber schaut man sich
Besucher gedacht. Sie ist aber auch Ausdruck                                                      die Zahlen für das je eigene Unternehmen
eines veränderten Stadtkonzepts, in dem im       Die staatliche Statistikbehörde zählte 2017      an, dann haben laut der jüngsten Geschäfts-
Sommer großflächige Fußgängerzonen mit           knapp 20 Millionen Russen, die unterhalb         klimaumfrage von OAOEV und AHK
unzähligen Restaurants und Cafés zum Ver-        der Armutsgrenze lebten, mit steigender Ten-     Russland 41 Prozent im vergangenen Jahr
weilen einladen. In den gut gepflegten Stadt-    denz. Vor sechs Jahren waren es noch 15          ein gutes oder sehr gutes Ergebnis erzielt,
parks tummeln sich die Moskauer bei allerlei     Millionen. 20 Millionen, das sind fast so vie-   und über die Hälfte der Firmen konnte ih-
Vergnügungen, und das kulturelle Angebot         le Menschen wie in Dänemark, Norwegen            ren Umsatz steigern – teilweise erheblich.
der Hauptstadt sucht ohnehin seinesgleichen.     und Schweden zusammengenommen leben,             Und das russische BIP wächst. 2018 um
                                                 fast 15 Prozent der Bevölkerung oder jeder       erstaunliche 2,3 Prozent, auch wenn der
Dass aus einer Megacity über die Jahre so        siebte Russe. Das Existenzminimum lag im         spontane Zuwachs gegenüber den Progno-
auch eine lebenswerte Großstadt geworden         zweiten Quartal 2018 bei umgerechnet 140         sen nicht ganz leicht zu erklären ist. Im lau-
                                                                                                                                                    Fotos: Volkswagen AG; A. Metz

ist, soll auch die Botschaft vermitteln: Die     Euro. Und trotzdem sind die meisten Russen       fenden Jahr wird die Dynamik aller Wahr-
wirtschaftliche Krise ist überstanden! Und       nicht wütend wie die Gelbwesten in Frank-        scheinlichkeit nach geringer ausfallen. Für
das zeigt die Stadt selbstbewusst. In der Tat    reich. Sie streiken nicht für üppige Lohner-     eine bessere Voraussage sind die Unsicher-
spürt man in Moskau - und anderen russi-         höhungen wie in Deutschland, und sie haben       heiten auf dem Binnenmarkt und in Bezug
schen Städten - nicht wirklich viel von öko-     nur einmal in großer Zahl wirklich ihrem         auf die drohenden amerikanischen, und
nomischen Zwängen und politischem                Unmut Luft gemacht, als der Präsident das        vielleicht auch europäischen Sanktionen
Druck. Die Stadt ist geschäftig wie eh und       Rentenalter anheben wollte.                      einfach zu groß. Die weltweite Konjunktur

10 osteuropa informationen 3/4 -2019
Special > Russland

schwächt sich ab. Noch gänzlich unabseh-           Murmeltier“, in dem Bill Murray in einer      Positive Nachrichten für
bar sind die Auswirkungen des chine-               Zeitschleife den gleichen Tag wieder und      Unternehmen
sisch-amerikanischen Handelsstreits.               wieder erlebt: wirtschaftliche und wirt-
                                                   schaftspolitische Reformen sind immer         Das Ministerium für wirtschaftliche Entwick-
Reformen sind immer noch                           noch und absolut unabdingbar, sie sind not-   lung hat sich gegen den Vorschlag gestellt, der
notwendig                                          wendiger denn je.                             Automobilindustrie vorzuschreiben, welche
                                                                                                 Komponenten oder Verarbeitungsschritte in
Nichtsdestotrotz hat die russische Finanz-         Entweder-Oder-Entscheidung                    Russland lokalisiert werden müssen, und be-
und Wirtschaftspolitik auch in den Rezessi-                                                      vorzugt stattdessen Verhandlungen darüber,
onsjahren eine gute Performance geliefert.         Für ein deutsches Unternehmen läuft die       welche Produktionsschritte realistischerweise
Der Haushalt ist ausgeglichen, und die In-         Situation auf eine Entweder-Oder-Ent-         lokalisiert werden können. Sollte dieser Vor-
flation - im Vergleich mit sehr vielen ande-       scheidung hinaus. Wer nicht über ein Pro-     schlag Gesetz werden, wäre das ein großer
ren Emerging Markets - gering. Die Lokali-         dukt oder eine Dienstleistung verfügt, die    Schritt in Richtung einer betriebswirtschaftli-
sierungspolitik hat in einigen Branchen            absolut einzigartig oder technologisch un-    chen Entscheidung für eine tiefere Verarbei-
etwa in der Landwirtschaft, der IT, und in         ersetzbar ist, wird sich mit der Lokalisie-   tung in Russland und hätte gleichzeitig Sig-
Teilen der chemischen Industrie, tatsächlich       rungs- und Importsubstitutionspolitik der     nalwirkung auch für andere Branchen. Vor
den Markt und die Investitionen beflügelt.         Russen arrangieren müssen. Denn auf lan-      allem für die Zulieferindustrie, die schon heu-
                                                   ge Sicht werden nur die Unternehmen am        te über ein zu geringes Marktvolumen klagt,
Zwei wesentliche Faktoren verhindern au-           Markt erfolgreich sein, die wenigstens ei-    würde sich damit die Situation entschärfen.
genblicklich ein besseres Wachstum. Einer-         nen Teil ihrer Liefer- und Wertschöpfungs-
seits hält die ungeklärte Situation im Osten       kette in Russland etablieren. Für Mittel-     Ähnliches gilt für die seit August 2018 gelten-
der Ukraine und die damit verbundenen              ständler ist eine solche Entscheidung         de „Utilization Fee“ für Elektrofahrzeuge, die
politischen Verwerfungen viele Firmen              naturgemäß schwieriger. Hier könnte sich      direkt bei der Verzollung erhoben wird und so
von einem verstärkten Engagement - be-             im Laufe des Jahres eine Änderung der ge-     die Produkte für den russischen Endkunden
dauerlicherweise in beiden Ländern – ab.           setzlichen Vorgaben ergeben, die es auch      teilweise erheblich teurer werden lässt. Ein
Eine konstruktive, baldige und dauerhaft           kleineren Firmen möglich macht, eher nach     neuer Gesetzentwurf liegt bei Industrieminis-
friedliche Lösung wäre im ureigensten In-          Russland zu gehen oder wenigstens eine        ter Denis Manturov, der Ausnahmen für Gerä-
teresse Russlands, sie wäre geradezu ein           Kooperation zu schließen. Anfang März         te mit geringer Leistung vorsieht. Auch hier
Befreiungsschlag. Der zweite Grund er-             wurde diesbezüglich eine interessante Ent-    gilt: Sollte dieser Entwurf Gesetzeskraft er-
innert an den Film „Und täglich grüßt das          scheidung bekannt.                            langen, wäre das eine deutliche Erleichterung
                                                                                                 für die betroffenen Firmen und würde den
                                                                                                 russischen Steuerzahler entlasten. Ganz ne-
                                                                                                 benbei wäre das nach den wirtschaftspoliti-
                                                                                                 schen Entscheidungen, deren direkten Nutzen
                                                                                                 für die Wirtschaft man lange suchen muss, ein
                                                                                                 deutliches Signal an potenzielle Investoren
                                                                                                 und ausländische Firmen, die in Russland ak-
                                                                                                 tiv sind. Insgesamt gilt für Russland, was seit
                                                                                                 vielen Jahren gilt: Der Markt ist groß, die Ver-
                                                                                                 braucher sind kauffreudig, der technologische
                                                                                                 Bedarf ist riesig. Vieles wird davon abhängen,
                                                                                                 ob die Entscheidungsträger nach volkswirt-
                                                                                                 schaftlichen oder weiter nach geostrate-
                                                                                                 gisch-politischen Kriterien handeln.

   Die Autoindustrie könnte von neuen Lokalisierungsregeln profi tieren.
   Im Bild: Produktion bei VW in Kaluga
                                                                                                 Jens Böhlmann
                                                                                                 Leiter der Kontaktstelle Mittelstand im OAOEV

                                                                                                                                             11
Special > Russland

Frühstück mit Ministern
Seit nunmehr fünf Jahren gehört das vom Ost-Ausschuss – Osteuropaverein (OAOEV) organi-
sierte deutsch-russische Unternehmerfrühstück mit den Außenministern beider Länder zu den
traditionellen Terminen auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC).

Auch in diesem Jahr trafen sich Mitte Febru-        Auch der russische Außenminister Lawrow           treter wurde erneut auf das Positionspapier
ar auf der MSC rund 30 Unternehmensver-             nahm direkt Bezug auf das Positionspapier und     des OAOEV Bezug genommen. Als beson-
treter aus den Branchen Energie, Technolo-          lobte vor allem die Idee einer Effizienzpart-     ders wichtig wurden neben der Effizienzpart-
gie, Automobilindustrie, Gesundheits- und           nerschaft zwischen Deutschland und Russland       nerschaft auch die Bereiche Energie und Kli-
Finanzwirtschaft zum Arbeitsfrühstück               mit dem Ziel, die Produktivität der russischen    ma sowie die Zusammenarbeit zwischen der
mit den Außenministern Deutschlands und             Industrie zu erhöhen. Große Bedeutung misst       EU und der EAWU erachtet. Alexej Mordas-
Russlands, Heiko Maas und Sergej Lawrow.            Lawrow auch der bilateralen Zusammenar-           chow, Chef der russischen Severstal-Gruppe,
Thema waren strategische Felder der bila-           beit bei der Digitalisierung bei. Für die Wirt-   sprach sich für eine Reaktivierung der Busi-
teralen wirtschaftlichen Zusammenarbeit,            schaft interessante Initiativen gebe es auch im   ness Roundtables zwischen der EU und Russ-
wie sie der OAOEV in seinem kürzlich                Rahmen des „Deutsch-Russischen Jahres der         land unter Beteiligung der Industrieverbände
vorgelegten Positionspapier zu den euro-            Hochschulkooperationen und Wissenschaft“,         Deutschlands (Bundesverband der Deutschen
päisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen            das von 2018 bis 2020 läuft. Der russische        Industrie, BDI), Frankreichs (Medef) und Ita-
abgesteckt hat (s. S. 13).                          Außenminister wies auf die Bedeutung der          liens (Confindustria) aus.
                                                    Deutsch-Russischen Strategischen Arbeits-
Konnektivität von EU und EAWU                       gruppe für die bilaterale wirtschaftliche Zu-     Milliarden für „Nationale
                                                    sammenarbeit hin. Was die geopolitische Welt-     Projekte“
„Wirtschaftlich ist wieder Schwung in unsere        lage anging, forderte Lawrow Europa dazu auf,
deutsch-russischen Beziehungen gekommen“,           außenpolitisch selbständiger zu werden.           Große Chancen für die bilaterale Zusam-
sagte der OAOEV-Vorsitzende Wolfgang Bü-                                                              menarbeit bietet die Gesundheitswirtschaft.
chele in seiner Begrüßung. Als zentrale Punkte      Bundesaußenminister Maas hob hervor, dass         Für diese und andere sogenannte Nationale
einer deutsch-russischen Agenda, wie sie in         die Bundesregierung den deutsch-russischen        Projekte stellt die russische Regierung in
dem Positionspapier skizziert wird, bezeich-        Beziehungen viel Aufmerksamkeit widme.            den nächsten Jahren umgerechnet 80 Milli-
nete er die Zusammenarbeit in Bildung und           Als wichtiges Beispiel für die bilaterale Zu-     arden US-Dollar zur Verfügung. Erhebliche
Wissenschaft sowie eine stärkere Konnektivi-        sammenarbeit nannte Maas die Wiederein-           Investitionen stehen in den nächsten acht bis
tät von EU und Eurasischer Wirtschaftsunion         richtung der gemeinsamen Arbeitsgemein-           zehn Jahren auch im russischen Stromsektor
(EAWU). „Es geht uns dabei um eine Verbes-          schaft Sicherheitspolitik. Auch Maas ging auf     an. Herausforderung und Chance zugleich
serung der Konnektivität in allen Bereichen,        das deutsch-russische Wissenschaftsjahr ein,      für deutsche Unternehmen ist die Lokali-
angefangen mit Normen, Standards und Zer-           in dessen Rahmen das Thema Digitalisierung        sierungsstrategie in Russland, die die Wert-
tifizierungsprozessen bis hin zu digitaler Ver-     und die Zusammenarbeit auf dem Feld der           schöpfung in der russischen Industrie durch
netzung, einer abgestimmten Infrastruktur für       Künstlichen Intelligenz weiter verfolgt wer-      Local-Content-Anforderungen erhöhen soll.
Energie, Verkehr und Logistik bis hin zu Visa-      den sollten. In der anschließenden Diskussion     Die deutschen Unternehmensvertreter zeigten
Erleichterungen“, sagte Büchele.                    deutscher und russischer Unternehmensver-         sich mit der Neufassung des Sonderinvestiti-
                                                                                                      onsvertrags zufrieden, die besonders günstige
                                                                                                      Konditionen für Technologieprojekte vorsehe.

                                                                                                      Nicht ausgespart werden konnte das Thema
                                                                                                      der westlichen Sanktionen und russischen
                                                                                                      Gegensanktionen, die nunmehr seit rund
                                                                                                      fünf Jahre die bilaterale Wirtschaftszusam-
                                                                                                      menarbeit beeinträchtigen. Die Sanktionen
                                                                                                      seien insbesondere für Finanzierungen und
                                                                                                      den Bankensektor kritisch. Russische Banken
                                                                                                      in der EU müssten sich auf „nicht-politische
                                                                                                      Projekte“ konzentrieren.
                                                                                                                                                      Foto: MSC

                                                                                                      Michael Harms
    Großes Medieninteresse beim Businessfrühstück des OAOEV auf der MSC
                                                                                                      Vorsitzender der Geschäftsführung des OAOEV

12 osteuropa informationen 3/4 -2019
Special > Russland

Neue Russland-Agenda
Von Agrarwirtschaft bis Weltraumforschung: Ein Positionspapier des OAOEV schlägt
intensive Wirtschaftskooperationen zwischen der europäischen und russischen Wirtschaft
auf 15 Zukunftsfeldern vor.

Der Ost-Ausschuss – Osteuropaverein
(OAOEV) schlägt eine „Neue Agenda“ für
die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwi-
schen Deutschland, der EU und Russland vor.
„Wir leben in einem Jahrhundert, das kein
europäisches, sondern ein asiatisches sein
wird. Umso mehr sind wir darauf angewie-
sen, dass wir als Europäer enger miteinander
kooperieren. Russland ist hier ein unverzicht-
barer Partner”, sagte der OAOEV-Vorsitzen-
de Wolfgang Büchele bei der Vorstellung               Die Zusammenarbeit im Weltraum gehört zu den vielversprechenden Kooperationsfeldern.
eines 30-seitigen Positionspapiers in Berlin,
zu dem viele Mitgliedsunternehmen des             Europas. Das Land hat Internet-Konzerne,             wir klimaresiliente Pflanzen entwickeln, um
OAOEV Vorschläge eingereicht hatten. Es           die auf Augenhöhe mit amerikanischen und             die Ernteerträge zu steigern und die Folgen
trägt den Titel „Gemeinsame Interessen de-        chinesischen Anbietern agieren. Hier soll-           des Klimawandels zu begrenzen”, erläuterte
finieren – gemeinsame Projekte umsetzen:          ten wir die Zusammenarbeit stärken”. Zu              Büchele. Ebenso notwendig und aussichts-
Eine neue Agenda für die europäisch-russi-        den vielversprechenden Arbeitsfeldern ge-            reich seien gemeinsame Projekte zur Entsor-
schen Wirtschaftsbeziehungen“.                    hörten hier etwa die Themen autonomes                gung atomarer Abfälle, zur Sicherung der
                                                  Fahren und E-Medizin. In einem Flächen-              Rohstoffversorgung der Zukunft und zur
Es gehe darum, über die gravierenden ta-          land wie Russland, mit riesigen Entfernun-           Weiterentwicklung der Bildungssysteme. Be-
gespolitischen Konflikte hinaus den Blick         gen zwischen einzelnen Städten und bis               reits hervorragend laufe die Zusammenarbeit
auf gemeinsame Ziele zu öffnen und wieder         zum nächsten Arzt, gebe es dafür einen               in der Weltraumforschung: „Alexander Gerst
eine positive Zukunftsvision zu entwickeln.       enormen Bedarf.                                      wäre ohne russische Technologie nicht zur
„Um die Zukunft gemeinsam zu gestalten,                                                                ISS gekommen”, erinnerte Büchele. „Eines
brauchen wir eine gemeinsame Strategie, so        Mit der 2017 gestarteten Deutsch-Russi-              Tages wird Ressourcenförderung im Welt-
Büchele.                                          schen Digitalisierungsinitiative GRID hat            raum Realität werden. Im Verbund mit Russ-
                                                  der OAOEV zusammen mit deutschen und                 land können wir da sehr viel für Europa errei-
15 Themenfelder mit                               russischen Partnern bereits eine gemeinsame          chen”, so Büchele.
Kooperationsmöglichkeiten                         Plattform aufgebaut. In den vergangenen
                                                  Monaten neu begonnen wurde zudem eine                „Unsere Vorschläge fügen sich ein in aktuelle
Das Positionspapier erläutert 15 große The-       gemeinsame Initiative zur Harmonisierung             Anstrengungen der Bundesregierung, den
menfelder, auf denen eine Zusammenarbeit          der technischen Reglements. „Zusammen                Dialog mit Russland gerade über die Themen
mit Russland bereits stattfindet und großes       mit dem russischen Unternehmerverband ar-            Forschung, Entwicklung, Wissenschaft zu in-
Potenzial verspricht. Dazu gehören Maßnah-        beiten wir daran, die technischen Regle-             tensivieren”, sagte Büchele. Von 2018 bis
men zur Steigerung der Arbeitsproduktivität,      ments beider Länder anzunähern. Jeder klei-          2020 findet das „Deutsch-Russische Jahr der
zur Digitalisierung der Wirtschaft, Agrarwirt-    ne Schritt nach vorne hilft hier russischen          Hochschulkooperationen und Wissenschaft“
schaft und Klimaschutz, die Erforschung des       und europäischen Unternehmen noch erfolg-            statt, das durch das Auswärtige Amt koordi-
Weltraums, Energie- und Rohstoffsicherheit,       reicher zu werden”, erläuterte Büchele.              niert wird. Ende 2018 wurde zudem von den
Medizin und Mobilität. „In allen genannten                                                             Forschungsministerien beider Länder eine
Feldern können innovative Unternehmen aus         Von Agrarsektor bis                                  ambitionierte „Deutsch-Russische Roadmap
der EU und Russland gemeinsam an Lösun-           Weltraumforschung                                    für die Zusammenarbeit in Bildung, Wissen-
gen arbeiten. Und zum Teil tun sie dies bereits                                                        schaft, Forschung und Innovation“ für die
heute sehr erfolgreich”, betonte Büchele.         Ein riesiges, gemeinsames Arbeitsfeld sei            nächsten zehn Jahre vereinbart.
                                                  auch der Agrar- und Ernährungssektor:
                                                                                                                                                        Foto: pixabay

Ein gutes Beispiel sei das Thema Digitali-        „Russland ist der wichtigste Getreideprodu-
sierung. „Russland ist mit rund 90 Millio-        zent in Europa und spielt eine enorme Rolle          Andreas Metz
nen Nutzern der größte E-Commerce-Markt           für die Welternährung. Gemeinsam können              Leiter Presse und Kommunikation im OAOEV

                                                                                                                                                 13
Special > Russland

Schockstarre überwunden
Sanktionen, Importsubstitution und Rubelabwertung – diese drei großen Trends haben die
wirtschaftliche Entwicklung in Russland seit 2014 geprägt und auch auf dem Arbeitsmarkt
tiefe Spuren hinterlassen.

                                                                                                      Nur ein Teil unserer Mandate steht deshalb
                                                                                                      im Zusammenhang mit der geschäftlichen
                                                                                                      Expansion unserer Kunden. Bei der Mehr-
                                                                                                      zahl handelt es sich um Nachbesetzungen
                                                                                                      aufgrund von Abgängen oder von den Un-
                                                                                                      ternehmenszentralen gewünschten Perso-
                                                                                                      nalwechseln. Insgesamt hat sich die Nach-
                                                                                                      frage im Führungskräftebereich im
                                                                                                      Vergleich zu 2014/2015 konsolidiert.

    Die Nachfrage nach Personal hat wieder angezogen.                                                 Keine Rückkehr zum Expatriate

In den Jahren 2014 und 2015 waren die rus-          zeitig habe die Zahl der online hinterlegten      Bei den Expatriates ist keine Rückkehr zum
sischen Medien voll von Meldungen über              Lebensläufe um 19 Prozent zugenommen.             „klassischen“ Entsendemodell erkennbar,
Massenentlassungen, Kurzarbeit und groß-                                                              wie es vor allem in den 1990er und frühen
flächigen Personalabbau. Betroffen waren            Deutlich gestiegene Nachfrage                     2000er Jahren verbreitet war. Während der
produzierende Unternehmen, aber auch der                                                              Krisenjahre hat ein großer Teil der amerika-
Bankensektor. Bei einer Inflationsrate von          Die vielen Vakanzen dokumentieren eine            nischen und europäischen Expatriates Russ-
rund zwölf Prozent sanken die Realein-              deutlich gestiegene Nachfrage nach Personal.      land verlassen, darunter auch viele Deut-
kommen.                                             Die höhere Zahl der online hinterlegten CVs       sche. Der Grund lag vor allem in
                                                    lässt darauf schließen, dass die Kandidaten       Bestrebungen der Unternehmen, Kosten
Arbeitslosenquote nahezu                            wieder mehr Vertrauen in die Konjunktur ge-       einzusparen. Somit wurden Expats entwe-
unverändert                                         fasst haben. Während der Krisenjahre waren        der abgezogen oder gedrängt, aufgrund lo-
                                                    Beschäftigte kaum an einem Wechsel interes-       kaler Rubelverträge tätig zu werden – für
Angesichts der gut dokumentierten Entlas-           siert, weil sie die damit verbundenen Risiken     viele Arbeitnehmer angesichts der damals
sungswelle 2014 und 2015 verwundert, dass           gescheut und stabile Arbeitsverhältnisse be-      enormen Wechselkursschwankungen nicht
die amtliche Arbeitslosenquote seinerzeit           vorzugt haben. Die Angaben von Headhun-           annehmbar.
praktisch unverändert geblieben ist. Sie ist        tern decken sich im Wesentlichen mit unseren
auch in Zeiten der Rezession nur minimal            Beobachtungen im Führungskräftebereich.           Heute setzen die meisten ausländischen Un-
von 5,5 Prozent (2013) auf 5,8 Prozent                                                                ternehmen auf russische Kandidaten zur
(2015) gestiegen. Auch hier spiegelt die            Die in Russland aktiven Firmen haben die          Besetzung ihrer Führungspositionen. Eine
Statistik wohl nur einen Teil der realen Ent-       Schockstarre der Krisenjahre überwunden und       gefragte Alternative sind allerdings auch
wicklung wider – aufgrund der geringen              richten ihre Geschäftsmodelle gemäß den neu-      „lokale Expatriates“ – Ausländer, die per-
Arbeitslosenunterstützung in Russland mel-          en Rahmenbedingungen aus. Vor allem die           manent in Russland leben und bereit sind,
det sich nur ein Teil der Arbeitssuchenden          Rubelabwertung und die Importsubstitutions-       auf Grundlage von Rubelverträgen tätig zu
beim Arbeitsamt.                                    politik der russischen Regierung zwingen die      werden. Ausländische Kandidaten verdie-
                                                    Unternehmen dazu, ihre Aufstellung zu über-       nen im Schnitt etwa 30 Prozent mehr als
In jedem Fall sprechen die verfügbaren Da-          denken. In vielen Branchen stellt sich die Fra-   russische Führungskräfte. Unternehmen in-
ten dafür, dass sich die Lage auf dem Ar-           ge nach einer möglichen (Teil-)Lokalisierung      vestieren das Geld dann, weil sie im Expat-
beitsmarkt inzwischen stabilisiert hat: Die         der Produktion, etwa im Maschinenbau oder         riate eine „interkulturelle Brücke“ zwischen
Einkommen sind im vergangenen Jahr bei              der Pharmaindustrie. Verhältnismäßig wenige       dem russischen Markt und dem europäi-
einer Inflationsrate von nur noch 4,3 Prozent       Unternehmen haben sich aber für die Errich-       schen Hauptquartier sehen.
um acht Prozent gestiegen. Die führende rus-        tung eines Werks auf der „grünen Wiese“ ent-
sische Online-Stellenbörse Headhunter mel-          schieden. Die meisten bevorzugen Kooperati-
                                                                                                                                                     Foto: pixabay

dete jüngst, dass die Zahl der dort veröffent-      onsmodelle mit russischen Produzenten oder
lichten Vakanzen 2018 gegenüber dem                 versuchen, die weiterhin zugänglichen Markt-      Christian Tegethoff
Vorjahr um 42 Prozent gestiegen sei. Gleich-        segmente über Exporte abzudecken.                 Geschäftsführer CT Executive Search, Moskau

14 osteuropa informationen 3/4 -2019
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