OST EUROPA - Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft
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OST Informationen EUROPA In Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsmagazin OstContact | 3/4 - 2019 Special Russland: Eine neue Agenda für die Zusammenarbeit mit Russland Zentralasien Osthandel 2018 Mittelosteuropa Turkmenistan sucht Wachstumsmotor für Innovation statt neue Impulse den deutschen Handel Werkbank
Praxisorientiert Zielgerichtet Erfolgreich Seite an Seite mit unseren Ihr Ansprechpartner: Experten für Steuern Alex Stolarsky Import Rechtsanwalt, Direktor für Recht, IT Steuern und Compliance Financial Management StolarskyA@schneider-group.com Interim Management +7 / 495 / 956 55 57 Internal Control +49 / 30 / 615 089 10
Vorwort/ Inhalt Liebe Leserinnen und Leser, Special Russland das östliche Europa gehört weiterhin zu den wichtigsten Wachstumsmotoren des deut- Editorial 9 schen Außenhandels. Im Vorjahr stieg der deutsche Handel mit den 29 Ländern der OAOEV-Region, die von Tschechien bis an die russische Pazifikküste reicht, erneut Analyse: Russlands 10 kräftiger als der deutsche Handel insgesamt (S. 18f). Unter den wichtigsten deutschen Selbstbewusstsein wächst Außenhandelspartnern liegt Polen beim Handelsumsatz mit 118 Milliarden Euro inzwi- MSC: Frühstück mit Ministern 12 schen auf Platz sieben und dürfte in Kürze Großbritannien auf Platz sechs übertreffen. Nach Polen ist Tschechien der wichtigste Handelspartner in unserer Region (92 Milliar- Positionspapier: 13 den Euro Umsatz) gefolgt von Russland (62 Milliarden). Tschechien hat zehn Millionen Neue Russland-Agenda Einwohner, Russland 140 Millionen. Dies zeigt deutlich, dass das Potenzial des russi- schen Marktes bei Weitem nicht ausgeschöpft werden kann. Im Gegenteil: Die deut- Arbeitsmarkt: 14 schen Exporte nach Russland haben im Vorjahr nahezu stagniert, die Zahl der deutschen Schockstarre überwunden Unternehmen im Land ist seit vier Jahren rückläufig. Interview: „Es ist wichtig, dass 15 Unternehmen ihre Risiken kennen“ Kein Zweifel: Die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen befinden sich in unruhi- gem Fahrwasser. Die nunmehr seit fünf Jahren bestehenden westlichen Sanktionen, ins- besondere drohende neue US-Sanktionen gegen den russischen Energie- und Finanz- Foto: C. Himmighoffen sektor, aber auch die russischen Gegensanktionen machen vielen deutschen Unternehmen zu schaffen. In jedem Fall erhöhen sie die Transaktionskosten im Handel mit Russland. Zum Gegenwind in den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen gehört auch der Widerstand in Brüssel und Washington gegen die Pipeline Nord Stream 2, die oft fälschlicherweise als deutsch-russisches Sonderprojekt betrachtet wird, obwohl Unter- nehmen aus insgesamt fünf EU-Ländern zu den Finanziers gehören und 670 europä- ische Zulieferunternehmen am Bau beteiligt sind. Immerhin konnte auf EU-Ebene im Editorial/Inhalt 3 Februar in letzter Minute ein deutsch-französischer Kompromiss gefunden werden, der das Thema hoffentlich befriedet. Mitglieder-News 4 Länder-News 5 Damit aber Nord Stream 2 nicht das letzte europäisch-russische Leuchtturmprojekt bleibt, sind neue Impulse für die europäisch-russische Zusammenarbeit notwendig. Der Neujahrsempfang: 6 OAOEV hat im Frühjahr eine neue Agenda mit 15 gemeinsamen Themenfeldern vorge- Außenminister Maas kontert legt, auf denen eine enge Zusammenarbeit große Chancen für alle bietet. Mehr dazu und Kritik an Nord Stream 2 weiteren Themen erfahren Sie in dieser Schwerpunktausgabe zu Russland. Zentralasien: Turkmenistan 8 sucht neue Impulse Das Positionspapier (S.13) war auch Thema beim traditionellen deutsch-russischen Un- ternehmerfrühstück mit den beiden Außenministern auf der Münchener Sicherheits- Armenien: Neuer Schwung 17 konferenz, über das wir auf S. 12 berichten. Der OAOEV-Mittelstandsexperte Jens Böhl- nach den Parlamentswahlen mann informiert Sie ab S. 10f über die wichtigsten Wirtschaftstrends in Russland, auf S. 14 beleuchten wir die Entwicklung auf dem russischen Arbeitsmarkt. Zudem greifen Osthandel 2018: 18 wir das Thema Sanktionen in einem ausführlichen Interview auf, in dem Experten Tipps Wachstumsmotor für den geben, wie Unternehmen sich gegen Sanktionsverstöße wappnen können (S. 15f). deutschen Handel Mittelosteuropa: 20 Aber auch andere Regionen und Märkte des OAOEV spielen in dieser Ausgabe eine Innovation statt Werkbank wichtige Rolle: Wir berichten über das Deutsch-Turkmenische Wirtschaftsforum in Berlin (S. 8), den Besuch einer OAOEV-Delegation in Armenien, wo eine neue, reform- Baltikum: Lettland setzt auf 21 orientierte Regierung neuen Schwung ins Land bringt (S. 17), über das Wirtschaftsfo- digitale Innovationen rum Lettland in Hamburg, bei dem sich lettische Start-Ups präsentierten (S. 21), und über die jüngsten Sitzungen der OAOEV-Arbeitskreise Mittelosteuropa und Südost- Südosteuropa: Ermutigendes 22 europa (S. 20 + 22). Außerdem blicken wir auf den traditionellen Neujahrsempfang Signal an Investoren des OAOEV mit Bundesaußenminister Heiko Maas zurück, auf dem eine „neue eu- OAOEV in Kürze 23 ropäische Ostpolitik“ im Mittelpunkt der Reden stand. Vorstellung neuer 24 Wir wünschen Ihnen eine gewinnbringende Lektüre! Mitglieder Termine/Kooperationen 25 Ihre Redaktion Publikationen 26 Titelfoto: Moscow City Quelle: pixabay 3
News MITGLIEDERNEWS Deutsche Lufthansa AG historischen Igumnov-Villa in Moskau, Volkswagen AG der Residenz der französischen Botschaft in Mit dem Erwerb eines Grundstücks in der Russland. Das Igumnov-Haus wurde 1883 Die Volkswagentochter Audi und der Ener- ungarischen Stadt Miskolc hat die Lufthansa bis 1893 nach dem Entwurf des Architekten giekonzern EON planen in gemeinsamer Technik AG im Februar den Aufbau eines Nikolay Pozdeyev gebaut. Kooperation einen 160.000 Quadratmeter neuen Standorts für die Reparatur und großen Solarpark auf dem Dach des Be- Überholung von Triebwerksteilen einge- triebsgeländes von Audi im ungarischen leitet. Bis 2022 soll an diesem Standort das Schaeffler Technologies AG Györ. Es wäre die größte Solaranlage in Eu- neue Unternehmen Lufthansa Technik Mis- & Co. KG ropa, die je auf einem Dach installiert wurde. kolc den Betrieb aufnehmen. Die Schaeffler AG hat im Januar an ihrem ungarischen Standort Debrecen die Einwei- Falls Sie Ihre Meldungen auch gerne in GEA Germany GmbH hung einer neuen Produktionshalle und den OEI veröffentlichen möchten, sen- das 20-jährige Jubiläum von Schaeffler den Sie uns eine Mail an: Die deutsche GEA Group und das russische Debrecen gefeiert. An der Eröffnungszere- C.Himmighoffen@bdi.eu Chemieunternehmen Metafrax haben auf monie nahmen neben Kunden und Mitar- dem Investitionsforum in Sotschi im Februar beitern hochrangige Gäste aus Wirtschaft eine Vereinbarung zur Entwicklung einer und Politik teil, darunter Ungarns Außen- Paraformaldehyd-Produktion im Metafrax- minister Péter Szijjártó. Der Automobil- Werk in Gubacha im Gebiet Perm unterzeich- und Industriezulieferer investierte rund 80 net. GEA wird die entsprechende Technolo- Millionen Euro in das moderne Gebäude, gie für das Werk liefern, das im zweiten in dem Kegelrollenlager für Automotive- Halbjahr 2021 eröffnet werden soll. Anwendungen produziert werden. Nach knapp zwei Jahren Bauzeit wird durch die Inbetriebnahme der zusätzlichen Fläche das Mercedes-Bereichsvorstand Markus Schäfer (li.) Knauf Gips KG Produktionsvolumen um 50 Prozent erhöht. und Polens Premier Mateusz Morawiecki kündigten Künftig wird Schaeffler in Debrecen fast den Bau der Batteriefabrik in Jawor an. Der deutsche Baustoffhersteller Knauf hat 2.000 Mitarbeiter beschäftigen. ein neues Marketing- und Vertriebsbüro in Daimler AG der Stadt Krasnogorsk im Gebiet Moskau eröffnet. Knauf betreibt auch ein Gipswerk Im Zuge der Elektrooffensive baut Merce- in Krasnogorsk und beschäftigt dort mehr als des-Benz Cars eine Batteriefabrik im pol- 550 Mitarbeiter. nischen Jawor und erweitert damit seinen globalen Batterie-Produktionsverbund auf neun Fabriken. Die Batteriefabrik ist Knorr-Bremse AG das zweite große Investment an dem neuen Mercedes-Benz Standort. In Ja- Das Unternehmen Knorr-Bremse 1520, wor, rund 100 Kilometer von der Grenze eine Tochtergesellschaft der deutschen zu Deutschland entfernt, entsteht derzeit Knorr-Bremse Group, verlagert seine Pro- Symbolischer Produktionsstart in Debrecen mit eine moderne Motorenfabrik, in der Vier- duktion von St. Petersburg ins Leningrader Ungarns Außenminister Peter Szijjártó (3.v.re.) zylinder-Motoren für Hybridfahrzeuge Gebiet. Die Errichtung eines neuen Werks und konventionell angetriebene Pkw her- hat bereits im August 2018 begonnen und soll gestellt werden sollen. Die erste Produkti- 2020 abgeschlossen werden. Geplant ist die Siemens AG onsstätte von Mercedes-Benz Cars in Herstellung von Bremssystemen für Schie- Polen wird über 1.000 Mitarbeiter be- nenfahrzeuge sowie die Bereitstellung von Der russische Staatsfonds RDIF will Siemens schäftigen. Die Motorenproduktion in Wartungs- und Reparaturdienstleistungen. als Technologiepartner für eine 200 Kilo- Jawor wird in diesem Jahr anlaufen, ver- sorgt werden die Pkw-Werke von Merce- Fotos: Schaeffler; Daimler AG meter lange Hochgeschwindigkeits-Zug- verbindung zwischen den Städten Tschelja- des-Benz Cars in Europa und der gan- Remmers Gruppe AG binsk und Jekaterinburg ins Boot holen. Eine zen Welt. Mit der Erweiterung um eine entsprechende Absichtserklärung wurde am Batteriefabrik entstehen dort rund 300 Der niedersächsische Baustoffhersteller Rande der Münchner Sicherheitskonferenz zusätzliche neue Arbeitsplätze. Die Seri- Remmers lieferte Spezialprodukte und im Februar unterzeichnet. Siemens soll dafür enproduktion von Batterien soll Anfang Know-how für die Restaurierung der die Signaltechnik liefern. der nächsten Dekade starten. 4 osteuropa informationen 3/4 - 2019
News LÄNDERNEWS Albanien/Kasachstan/ Beschlüsse der Pariser Klimakonferenz Usbekistan Usbekistan von 2015 umsetzen will. Mit dem Vorha- ben „Low Carbon Ukraine“ unterstützt Die Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsmi- In ihrer Sitzung Ende Januar haben die Ex- Deutschland die ukrainische Regierung nisterium Claudia Dörr-Voß und der stellver- perten der OECD turnusmäßig die Länder- bei der Erreichung dieser Ziele. Das Projekt tretende usbekische Ministerpräsident Suk- risiken von 40 Staaten aus den Regionen Eu- soll in den nächsten drei Jahren Analysen hrob Kholmuradov unterzeichneten im ropa/GUS und MENA neu bewertet. Von den und politische Vorschläge zur Umsetzung Februar zwei gemeinsame Erklärungen über osteuropäischen Staaten wurden Albanien, einer emissionsarmen Politik zur Verfügung eine wirtschaftspolitische Regierungsberatung Kasachstan und Usbekistan von der Risi- stellen. Das deutsch-ukrainische Beratungs- für Usbekistan und die Fortsetzung der Zu- koklasse 6 in Kategorie 5 heraufgestuft. vorhaben wird im Rahmen der Internatio- sammenarbeit im Rahmen des Managerfort- Die neuen Ländereinstufungen gelten seit nalen Klimaschutzinitiative (IKI) des BMU bildungsprogramms. Für die Beratung hat das dem 11. Februar. Die Länderklassifizierung finanziert und von der Berlin Economics BMWi ein Expertenteam beauftragt, das unter ist ein Parameter bei der Berechnung des Ent- GmbH durchgeführt. dem Namen „German Economic Team Uzbe- gelts für Exportkreditversicherungen. kistan“ tätig sein wird. Deutsche Staatsbürger können seit dem 15. Januar für Aufenthalte Maschinenbauer steigern von bis zu 30 Tagen visafrei nach Usbekis- Estland Exporte deutlich tan reisen. Der usbekische Präsident Shav- kat Mirziyoyev hatte am 3. Januar einen ent- Seit Jahresanfang kann bei der Gründung einer Die Maschinenbauer in Deutschland ha- sprechenden Erlass über die Abschaffung GmbH in Estland ein Bankkonto bei einem ben trotz vieler Verunsicherungen auf dem der Visapflicht für deutsche Staatsangehöri- Kreditinstitut im Europäischen Wirtschafts- Weltmarkt ihre Exporte 2018 deutlich ge- ge unterzeichnet. Für Aufenthalte von mehr raum genutzt werden. Für die Firmengrün- steigert. Insgesamt wurden im vergange- als 30 Tagen müssen weiterhin entsprechen- dung aus dem Ausland ist somit kein estni- nen Jahr nach Angaben des Branchenver- de Visa beantragt werden. sches Konto für die Einbringung des bands VDMA Maschinen und Anlagen für Stammkapitals von 2.500 Euro mehr nötig. 177,8 Milliarden Euro ausgeführt - ein Plus Die Firmengründung aus dem Ausland ist seit von 5,3 Prozent zum Vorjahr. Größte Ab- 2014 möglich. Durch die digitale ID-Karte satzregion blieb Europa. Starkes Wachs- „e-Residency“ wird man dabei zum „digitalen tum zeigte dabei der Handel mit Polen. Die Einwohner Estlands“ und ist berechtigt, ein Exporte in das östliche Nachbarland leg- Unternehmen zu gründen. (GTAI) ten besonders kräftig um 17 Prozent auf 7,2 Milliarden Euro zu. Polen rückte im Usbekistan will mehr Touristen zu seinen Ranking damit um einen Platz vor auf Rang Sehenswürdigkeiten locken. Im Bild: Samarkand. Nordmazedonien sieben und überholte Österreich. Zu einer insgesamt stärkeren Bedeutung Ost- und Die bisherige Republik Mazedonien heißt Mitteleuropas passt, dass Tschechien in jetzt Nordmazedonien. Die Namensände- der Exportrangliste auf Platz neun noch Ungarn rung wurde Mitte Februar offiziell vollzo- vor Russland liegt (Rang zehn). gen. Der neue Name ist Teil der Umsetzung Seit Anfang des Jahres gelten in Ungarn eines Abkommens mit Griechenland vom Rg. Land Exporte gg. Vj neue Regelungen für Auslandsinvestitio- Sommer 2018. Entsprechende Verfassungs- (Mrd. EUR) in % nen. Das Gesetz von 2018 über die Über- änderungen hatte das Parlament in Skopje im 1. USA 19,2 +7,1 wachung ausländischer Investitionen, die Januar gebilligt. Das griechische Parlament 2. China 19,1 +9,6 die Sicherheitsinteressen Ungarns verlet- hatte im Februar das entsprechende Protokoll zen, gilt für natürliche und juristische Per- 3. Frankreich 11,6 +4,6 ratifiziert. Damit ist auch der Weg für den sonen, die außerhalb der EU, des Europäi- NATO-Beitritt des Balkan-Staats im kom- 4. Italien 8,3 +9,5 schen Wirtschaftsraumes und der Schweiz menden Jahr frei. 5. Großbritannien 7,7 +5,1 ansässig sind oder mehrheitlich aus Dritt- 6. Niederlande 7,4 +8,2 ländern kontrolliert werden. Bei Investitio- nen, die mehr als 25 Prozent (bei AGs zehn 7. Polen 7,2 +17,0 Ukraine Prozent) der Beteiligung an einem Unter- 8. Österreich 7,0 +3,8 nehmen ausmachen, muss der Innenminis- Der Ausbau der erneuerbaren Energien und 9. Tschechien 5,5 +5,2 ter zustimmen, sofern das Unternehmen Foto: A. Metz die Halbierung des Energieverbrauchs sind 10. Russland 5,4 +2,7 sensible Güter herstellt oder Dienstleistun- einige der Ziele, mit denen die Ukraine im gen erbringt. Rahmen ihrer „Energiestrategie 2035“ die Quelle: VDMA 5
OAOEV intern > Veranstaltung Außenminister Maas kontert Kritik an Nord Stream 2 Rund 250 Gäste aus Wirtschaft, Politik und Diplomatischem Corps konnte der Ost-Ausschuss – Osteuropaverein im Januar zu seinem traditionellen Neujahrsempfang in der Berliner Kalk- scheune begrüßen, darunter Bundesaußenminister Heiko Maas als Keynote-Speaker. Beziehungen“. Grundzüge dieser „Neuen Agenda“ beschreibt der OAOEV in einem neuen Russland-Positionspapier (s. S. 13). In seiner Vorstellung des Bundesaußenmi- nisters griff Büchele dessen Vorschlag einer „europäischen Ostpolitik“ auf. „Für mich persönlich bedeutet dies, unseren osteuro- päischen EU-Partnern und Russland stärker zu vermitteln, warum es sich lohnt, an der Überwindung historischer Feindschaften zu arbeiten. Nur so bringen wir Europa insge- samt voran und schaffen Sicherheit auf un- serem Kontinent.“ Kritik übte Büchele an den Versuchen aus den USA, die Wirtschafts- und Energiepoli- tik in Europa mit Drohungen von Sanktio- nen und Strafzöllen zu beeinflussen. „Damit Der OAOEV-Vorsitzende warb für eine neue Agenda mit Russland. werden demokratisch gewählte Regierun- gen geschwächt und tiefsitzende antiameri- In seiner Begrüßungsrede richtete der Vor- len dagegen neben einem zunehmenden kanische Klischees bedient“, kritisierte Bü- sitzende des Ost-Ausschuss – Osteuropave- Fachkräftemangel und Konflikten einiger chele. „Hier steht inzwischen mehr auf dem reins Wolfgang Büchele den Blick auf das EU-Ländern mit Brüssel vor allem der un- Spiel als ein Wirtschaftsprojekt wie Nord neue Jahr. Mit dem 30. Jahrestag des Mau- gelöste Konflikt zwischen Russland und der Stream 2 oder wirtschaftliche Beziehungen erfalls und des Beginns des Transformati- Ukraine. Dringend benötigte Fortschritte im mit dem Iran. Es geht um unsere Selbstach- onsprozesses wird 2019 ein zentrales Ereig- Minsker Friedensprozess würden durch tung und unsere Souveränität.“ nis für die Entwicklung in den 29 Ländern Vorfälle wie im Asowschen Meer und die des OAOEV gefeiert. „Die Europa-Wahlen Gefangennahme ukrainischer Matrosen Maas wirbt für europäische im Mai könnten EU-Gegner in großer Zahl ausgebremst, kritisierte Büchele. „Diese Ostpolitik ins Parlament bringen. Welchen Beitrag wir Soldaten müssen schnellstens freigelassen dazu leisten können, die EU zu stärken, da- und der freie Zugang zu den ukrainischen Bundesaußenminister Heiko Maas nutzte rüber müssen wir 30 Jahre nach Beginn der Häfen garantiert werden.“ seine Keynote, um ausführlich die Ziele der Transformation besonders nachdenken“, deutschen Außenpolitik zu erläutern. Ihm sagte Büchele und griff in diesem Zusam- Neue Agenda für Russland geht es um ein Gegengewicht gegen die menhang ein Zitat von Bundesaußenminis- „America First“-Politik des US-Präsiden- ter Heiko Maas auf: „Mut zu Europa – Eu- Büchele betonte, dass trotz der gravieren- ten. Maas warb für eine neue „europäische rope United“. den Konflikte langfristig kein Weg an einer Ostpolitik“ jenseits des Minimalkonsenses engen Partnerschaft zwischen der EU und in der EU. Ein „Kernbestandteil“ müsse das Büchele zählte eine Reihe von erfreulichen Russland vorbeiführe. „Wir sind in diesem Verhältnis zu Russland sein. Ohne Russland Entwicklungen im zurückliegenden Jahr Jahrhundert, das nach Lage der Dinge kein sei die Lösung vieler internationaler Kon- auf und lobte hier insbesondere die Reform- europäisches, sondern ein asiatisches sein flikte nicht möglich. Maas, dem häufig eine Fotos: © Amélie Losier fortschritte in Mazedonien und Usbekistan. wird, mehr denn je aufeinander angewie- kritische Haltung zu Russland attestiert Der deutsche Handel mit Osteuropa sei er- sen“, betonte der OAOEV-Vorsitzende. wird, wies auf seine intensiven Kontakte neut stärker gewachsen als der deutsche „Um die Zukunft gemeinsam zu gestalten, und häufigen Gespräche mit seinem russi- Handel insgesamt. Zu den großen Sorgen brauchen wir jetzt eine echte Strategie, eine schen Amtskollegen Sergej Lawrow hin, der deutschen Wirtschaft in Osteuropa zäh- neue Agenda für die europäisch-russischen mit dem er regelmäßig im Gespräch sei. 6 osteuropa informationen 3/4 - 2019
OAOEV intern > Veranstaltung Seit seinem Amtsantritt im März 2018 seien Nord Stream 2 auch im sich gegen Bestrebungen der USA, die Ost- bereits eine Reihe von ausgesetzten Ge- ukrainischen Interesse seepipeline mit Sanktionen zu belegen. sprächsformaten mit Russland reaktiviert worden. Maas betonte hier insbesondere die Mit klaren Worten verteidigte Maas das Pi- Maas würdigte zudem die Arbeit des Notwendigkeit eines Dialogs mit Russland pelineprojekt Nord Stream 2 gegen interna- OAOEV und seiner Mitglieder und wies in Sicherheitsfragen. Der INF-Vertrag über tionale Kritik. Das Projekt sei „kein auf die Bedeutung Osteuropas für die deut- atomare Rüstungsbegrenzung zwischen deutsch-russischer Sonderweg“, wie Kriti- sche Wirtschaft hin. Der deutsche Handel Russland und den USA müsse erhalten blei- ker fälschlich behaupteten. Im Hinblick auf mit der Region sei größer als der deutsche ben. Dafür wolle sich Deutschland auch mit die Ukraine und deren Sorge bezüglich sin- Außenhandel mit den USA und China zu- Hilfe des zum 1. Januar übernommenen Sit- kender Einnahmen aus dem Transit russi- sammengenommen. zes im UN-Sicherheitsrat engagieren. schen Gases betonte Maas, dass Berlin die ukrainischen Interessen in den Gesprächen Während des anschließenden Empfangs im Der Außenminister betonte vor allem die mit Russland mit vertreten würde. Würden Lounge-Bereich der Kalkscheune nahm sich Bedeutung eines geschlossenen Auftretens dagegen aufgrund von Sanktionen deutsche der Bundesaußenminister noch Zeit, um Mit- der EU und einer regelbasierten internatio- und europäische Unternehmen aus dem glieder und Partner des OAOEV kennenzu- nalen Ordnung. Im Rahmen der „Drei-Mee- Projekt Nord Stream 2 verdrängt, werde es lernen und mit den Vertretern der Botschaf- res-Initiative“ östlicher EU-Länder wolle niemanden mehr geben, der auf den Erhalt ten zu netzwerken. Unter den 250 Gästen des Deutschland die Rolle eines Bindegliedes des russischen Gastransits durch die Ukraine Empfangs wurden in diesem Jahr Vertreter zu Brüssel und den westeuropäischen drängen könne. von über 20 Botschaften gezählt. EU-Ländern übernehmen. Die neue europä- ische Ostpolitik müsse zudem die Ukraine, Unmissverständlich wies Maas den Druck Belarus, den Kaukasus und Südosteuropa von Seiten der USA gegen das Projekt zu- einbeziehen. rück: „Fragen der europäischen Energiepoli- Andreas Metz, Christian Himmighoffen tik“ müssten in Europa entschieden werden, Abteilung Presse und Kommunikation „nicht in den USA“, sagte Maas und wandte im OAOEV Der OAOEV-Vorsitzende Büchele (re.) begrüßte Außenminister Maas zum Neujahrsempfang. Außenminister Maas plädierte für eine europäische Ostpolitik. 7
OAOEV intern > Zentralasien Turkmenistan sucht neue Impulse Turkmenistan will seine Energieexporte und seine Wirtschaft diversifizieren. Wie deutsche Unternehmen dabei helfen können, war Thema auf einem Deutsch-Turkmenischen Wirtschafts- forum in Berlin. Turkmenistan steht in wirtschaftlicher Hin- sicht im Schatten seiner Nachbarn Kasachs- tan und Usbekistan. Der deutsch-turkmeni- sche Güteraustausch bewegt sich mit einem Volumen von 150 Millionen Euro auf über- schaubarem Niveau. Der Wüstenstaat am Kaspischen Meer mit seinen sechs Millionen Einwohnern weckt vor allem durch seine um- fangreichen Öl- und Gasvorräte das Interesse ausländischer Investoren. Neue Impulse sucht das Land durch den Ausbau der Ver- kehrsinfrastruktur im Zusammenhang mit der chinesischen Belt & Road-Initiative (BRI) Vizepremier Gylydzhov (li.) mit OAOEV-Geschäftsführer Harms (3.v.re.) bei der Präsentation sowie durch die Diversifizierung seiner Wirt- turkmenischer Produkte. schaft jenseits des Öl- und Gassektors. Der Energiesektor gehörte zu den Branchen, „Win-Win-Situation“, denn deutsche Unter- Regierung zur Diversifizierung der Wirt- die beim Deutsch-Turkmenischen Wirt- nehmen könnten mit ihrem Know-how und schaftsstruktur Beteiligungsmöglichkeiten schaftsforum im Mittelpunkt standen, das ihren Technologien einen entscheidenden für deutsche Unternehmen. Damit könne die Mitte Februar in der Repräsentanz der Deut- Beitrag leisten, um die Wertschöpfung in In- „derzeitige Durststrecke im bilateralen Han- schen Bank in Berlin stattfand. Daneben wur- dustrie und Landwirtschaft nachhaltig zu er- del“ überwunden werden. Im Jahr 2018 war den aber auch die Perspektiven des Landes in höhen, und Turkmenistan könne zu einer Di- der bilaterale Warenaustausch um fast 60 der Chemieindustrie, in Transport und Logis- versifizierung der Energieimporte der EU Prozent zurückgegangen. tik sowie in der Agrar- und Ernährungswirt- beitragen. Die Einigung auf den wirtschaftli- schaft diskutiert. Über 150 Vertreter aus Poli- chen Status des Kaspischen Meeres, die die Der Energie- und Chemiesektor stand im Fo- tik und Wirtschaft, darunter eine große Anrainerstaaten im August 2018 erzielt hat- kus der anschließenden Diskussionsrunde, turkmenische Delegation unter Leitung von ten, bezeichnete Harms als „Meilenstein für die von OAOEV-Regionaldirektor Eduard Vize-Premier Chary Gylydzhov und Präsi- die Region“. Vizepremier Gylydzhov gab ei- Kinsbruner moderiert wurde. Turkmenische dentensohn Serdar Berdimuhammedow, dem nen Überblick über die wirtschaftliche Ent- Branchenvertreter stellten wichtige Projekte stellvertretenden Gouverneur der Region wicklung seines Landes, für das Deutschland in der Öl- und Gasförderung vor. In einer wei- Ahal, nahmen an dem bilateralen Wirt- ein „aussichtsreicher Partner“ sei. Er verwies teren Diskussionsrunde drehte sich alles um schaftsforum teil, das der OAOEV zusam- auf die Bemühungen Turkmenistans den Öl- Transport und Logistik. In der abschließen- men mit der Delegation der Deutschen Wirt- und Gasexport zu diversifizieren, etwa durch den Panel-Diskussion stand dann die Land- schaft in Zentralasien und turkmenischen die TAPI-Pipeline, die über Afghanistan und wirtschaft im Fokus. Praktischen Anschau- Partnern organisierte. Pakistan nach Indien führen soll. Zudem wird ungsmöglichkeiten über die Produkte der die petrochemische Industrie ausgebaut. „Wir turkmenischen Landwirtschaft und Industrie Region in Aufbruchstimmung laden deutsche Unternehmen ein, sich an bot die begleitende Ausstellung im Stil eines Großprojekten zu beteiligen“, sagte der Vize- Basars, auf der die Teilnehmer getrocknete „Die Region Zentralasien ist in einer Auf- Premier. Früchte, Gemüse und Tee kosten, aber auch bruchstimmung,“ sagte OAOEV-Geschäfts- Erzeugnisse der Pharmaindustrie begutach- führer Michael Harms zur Eröffnung: „Es Auch Alexander Schönfelder, Beauftragter ten konnten. Die Ausstellung belegte, dass passiert derzeit sehr viel, unter anderem an- für Technologiepolitik, Handels-, Finanz-, die Diversifizierung der turkmenischen Wirt- gestoßen durch das chinesische Projekt der und Sanktionspolitik im Auswärtigen Amt, schaft zumindest in einzelnen Branchen be- ‚Neuen Seidenstraße‘ und durch reiche Roh- unterstrich die Chancen, die eine Pipeline reits in vollem Gange ist. Foto: A. Metz stoffvorkommen, die auf Förderung und Wei- durch das Kaspische Meer für die Diversifi- terverarbeitung vor Ort warten.“ Die Öl- und zierung der europäischen Energieversorgung Christian Himmighoffen Gasvorkommen schüfen die Basis für eine biete. Zudem eröffneten die Maßnahmen der Referent für Presse und Kommunikation 8 osteuropa informationen 3/4 - 2019
Special > Russland Eine neue Agenda für die Zusammenarbeit mit Russland In diesem Frühjahr jährt sich die Einführung erster Sanktionen des Westens gegen Russland zum fünften Mal. Vor allem in den ersten drei Jahren 2014 bis 2016 haben die EU-Sanktio- nen und die russischen Gegenmaßnahmen zu erheblichen Einschränkungen der Wirtschaft geführt. In einer ausführlichen Analyse berechneten wir 2017 die aufgelaufenen Sanktions- schäden auf etwa 100 Milliarden Euro für Russland und die EU. Eine Analyse des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), die gerade im Februar erschien, geht nun von 130 Milliarden Euro aus. Das Institut beziffert dabei die allein von Deutschland in den Jahren 2014 bis 2016 erlittenen Handelsverluste auf 14 Milliarden Euro. Seit zwei Jahren nimmt der Handel zwischen Deutschland, der EU und Russland wieder zu. Die Zahlen liegen aber aktuell immer noch rund 20 Prozent unter den Werten des Jahres 2013. Hingegen hat sich der deutsche Handel mit den meisten anderen Ländern des östlichen Europa in den vergangenen fünf Jahren schwunghaft weiterentwickelt, mit dem Ergebnis, dass beispiels- weise der Handelsumsatz mit Polen – 2013 noch gleichauf mit Russland –nunmehr das Zweifa- che des russischen Wertes erreicht. Dr. Wolfgang Büchele Zur wirtschaftlichen Bilanz von fünf Jahren Sanktionen gehört, dass gleichzeitig Länder wie Vorsitzender des Ost-Ausschuss – China und die Türkei ihre Handelsanteile in Russland deutlich ausbauen konnten. Auch wenn Osteuropavereins der Deutschen Wirtschaft e.V. die Unternehmen gelernt haben, mit dem EU-Sanktionen zu leben, sie bleiben ein Wachstums- hemmnis für die bilateralen Beziehungen und vor allem für die russische Wirtschaft. Dennoch ist die EU als Ganzes gesehen mit 43 Prozent immer noch mit weitem Abstand Russlands wichtigs- ter Handelspartner vor China (16 Prozent). Was die Sanktionen politisch bewirkt haben, müssen andere beurteilen. Fürsprecher verwei- sen auf ihre Alternativlosigkeit und schreiben den relativen militärischen Stillstand im Osten der Ukraine als positiven Effekt den Sanktionen zu. Kritiker wiederum nehmen diesen Stillstand als Beleg dafür, dass die Sanktionen echten Fortschritten im Wege stehen. Wir sind und bleiben Realisten: Solange sich an den politischen Umständen nichts ändert, und hier müsste sich auch Russland kooperativer verhalten, werden die Sanktionen nicht verschwin- den. Ja, es wäre bereits ein Erfolg, wenn angesichts wachsender Spannungen zwischen den USA und Russland neue US-Sanktionen, die zu Lasten der europäischen Wirtschaft gehen, ver- hindert werden könnten. Die weitere Umsetzung des Projekts Nord Stream 2 ist aktuell ein Lichtblick in schwierigen Zeiten. Damit aber die europäisch-russischen Beziehungen in Sanktionszeiten nicht noch weiter hin- ter andere Märkte zurückfallen, brauchen wir mehr solcher Lichtblicke. Die Voraussetzungen dafür sind weiter gegeben: Russland braucht uns Europäer als Investoren, Produzenten, An- bieter innovativer Technik und Abnehmer von Rohstoffen. Und für uns ist Russland nicht nur als Garant für die europäische Energiesicherheit, sondern auch als Innovationspartner interessant. Deshalb hat der Ost-Ausschuss – Osteuropaverein im Januar eine „Neue Agenda für die eu- ropäisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen“ vorgelegt, mit der wir 15 große Themenfelder in den Blick rücken, auf denen eine intensivierte Zusammenarbeit mit Russland trotz Sanktionen bereits stattfindet und großes Potenzial für alle Europäer verspricht. Dazu gehören Maßnahmen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur Digitalisierung der Wirtschaft, die Aufarbeitung atomarer Abfälle, die Verbindung von Agrarwirtschaft und Klimaschutz, die Erforschung des Weltraums, Energie- und Rohstoffsicherheit, E-Medizin und Mobilität. Diese neue Agenda soll den Blick über die tagespolitischen Blockaden hinaus öffnen und zei- gen, was uns verbindet und gemeinsam erfolgreich machen kann. Vielleicht wächst darüber Foto: Exyte neues Vertrauen, Verständnis und neue Wertschätzung. Und am Ende der Wille, den Sanktions- knoten endlich zu durchschlagen. 9
Special > Russland Russlands Selbstbewusstsein wächst Angesichts eines gestiegenen Lebensstandards sind die Russen zufriedener mit ihrem Leben als früher. Für ein stärkeres Wachstum und mehr ausländische Investitionen sind allerdings politische Konfliktlösungen und wirtschaftliche Reformen unabdingbar. Dass die Regelung – abgeschwächt – trotz- dem in Kraft tritt, ist einfach eine wirt- schaftliche Notwendigkeit. Dem Arbeits- markt gehen in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten je nach Berechnung zwischen 20 und 30 Millionen Arbeitskräfte verloren. Der Fachkräftemangel ist schon heute eine der größten Herausforderungen für die Wirtschaft. Dazu kommt der Geburten- rückgang in den Neunziger Jahren des vori- gen Jahrhunderts. Apropos Neunziger: Dass die Russen trotz aller Alltagsprobleme vergleichsweise zufrieden sind, mag seine Ursache auch darin haben, dass sie diese Im Winter verwandelt sich Moskaus Innenstadt in eine Märchenlandschaft. Zeit als extrem chaotisch, unsicher und wirtschaftlich desaströs empfunden haben, Seit zwei bis drei Jahren verwandelt sich je, die Staus sind endlos, die Hektik der Be- und seit dem Amtsantritt von Präsident Pu- Moskaus Innenstadt im Winter in eine Mär- wohner grenzenlos. Vom zur Schau gestell- tin Stabilität eingekehrt ist. Es geht der rus- chenlandschaft. Überall glitzert und funkelt ten Luxus in allen nur denkbaren Varianten sischen Bevölkerung einfach deutlich bes- es. Entlang der Moskwa erleuchten illumi- ganz zu schweigen. Ist das alles nur Fassa- ser als vor 20 Jahren. Die medizinische nierte Bäume die Nacht, aus profanen Stra- de, oder ist Russland wirklich auf dem Weg, Versorgung ist zwar nicht gut, aber besser ßenlaternen werden tanzende Lichtspiele, eine erfolgreiche Volkswirtschaft mit den geworden, die Säuglingssterblichkeit rück- und vor dem Roten Platz entsteht ein ganzer dazugehörigen Segnungen für seine Bevöl- läufig, und die Bevölkerung wird älter. künstlicher Winterwald. Alles wirkt so, als kerung zu werden? Die Frage ist nicht ganz hätte ein Riese Weihnachtsschmuck gleich- leicht zu beantworten, denn es ist gleichzei- Was bedeutet das alles für die Wirtschaft mäßig über der Stadt verteilt. Wer ein wenig tig beides richtig. und die wirtschaftliche Entwicklung Russ- Kitsch nicht gänzlich abgeneigt ist, dem ge- lands? Die deutschen Unternehmen sehen fällt diese Verwandlung der Stadt, und sie ist 20 Millionen leben unterhalb der die Chancen in Russland zwar verhaltener ja auch in erster Linie für ihre Bewohner und Armutsgrenze als in den Vorjahren, aber schaut man sich Besucher gedacht. Sie ist aber auch Ausdruck die Zahlen für das je eigene Unternehmen eines veränderten Stadtkonzepts, in dem im Die staatliche Statistikbehörde zählte 2017 an, dann haben laut der jüngsten Geschäfts- Sommer großflächige Fußgängerzonen mit knapp 20 Millionen Russen, die unterhalb klimaumfrage von OAOEV und AHK unzähligen Restaurants und Cafés zum Ver- der Armutsgrenze lebten, mit steigender Ten- Russland 41 Prozent im vergangenen Jahr weilen einladen. In den gut gepflegten Stadt- denz. Vor sechs Jahren waren es noch 15 ein gutes oder sehr gutes Ergebnis erzielt, parks tummeln sich die Moskauer bei allerlei Millionen. 20 Millionen, das sind fast so vie- und über die Hälfte der Firmen konnte ih- Vergnügungen, und das kulturelle Angebot le Menschen wie in Dänemark, Norwegen ren Umsatz steigern – teilweise erheblich. der Hauptstadt sucht ohnehin seinesgleichen. und Schweden zusammengenommen leben, Und das russische BIP wächst. 2018 um fast 15 Prozent der Bevölkerung oder jeder erstaunliche 2,3 Prozent, auch wenn der Dass aus einer Megacity über die Jahre so siebte Russe. Das Existenzminimum lag im spontane Zuwachs gegenüber den Progno- auch eine lebenswerte Großstadt geworden zweiten Quartal 2018 bei umgerechnet 140 sen nicht ganz leicht zu erklären ist. Im lau- Fotos: Volkswagen AG; A. Metz ist, soll auch die Botschaft vermitteln: Die Euro. Und trotzdem sind die meisten Russen fenden Jahr wird die Dynamik aller Wahr- wirtschaftliche Krise ist überstanden! Und nicht wütend wie die Gelbwesten in Frank- scheinlichkeit nach geringer ausfallen. Für das zeigt die Stadt selbstbewusst. In der Tat reich. Sie streiken nicht für üppige Lohner- eine bessere Voraussage sind die Unsicher- spürt man in Moskau - und anderen russi- höhungen wie in Deutschland, und sie haben heiten auf dem Binnenmarkt und in Bezug schen Städten - nicht wirklich viel von öko- nur einmal in großer Zahl wirklich ihrem auf die drohenden amerikanischen, und nomischen Zwängen und politischem Unmut Luft gemacht, als der Präsident das vielleicht auch europäischen Sanktionen Druck. Die Stadt ist geschäftig wie eh und Rentenalter anheben wollte. einfach zu groß. Die weltweite Konjunktur 10 osteuropa informationen 3/4 -2019
Special > Russland schwächt sich ab. Noch gänzlich unabseh- Murmeltier“, in dem Bill Murray in einer Positive Nachrichten für bar sind die Auswirkungen des chine- Zeitschleife den gleichen Tag wieder und Unternehmen sisch-amerikanischen Handelsstreits. wieder erlebt: wirtschaftliche und wirt- schaftspolitische Reformen sind immer Das Ministerium für wirtschaftliche Entwick- Reformen sind immer noch noch und absolut unabdingbar, sie sind not- lung hat sich gegen den Vorschlag gestellt, der notwendig wendiger denn je. Automobilindustrie vorzuschreiben, welche Komponenten oder Verarbeitungsschritte in Nichtsdestotrotz hat die russische Finanz- Entweder-Oder-Entscheidung Russland lokalisiert werden müssen, und be- und Wirtschaftspolitik auch in den Rezessi- vorzugt stattdessen Verhandlungen darüber, onsjahren eine gute Performance geliefert. Für ein deutsches Unternehmen läuft die welche Produktionsschritte realistischerweise Der Haushalt ist ausgeglichen, und die In- Situation auf eine Entweder-Oder-Ent- lokalisiert werden können. Sollte dieser Vor- flation - im Vergleich mit sehr vielen ande- scheidung hinaus. Wer nicht über ein Pro- schlag Gesetz werden, wäre das ein großer ren Emerging Markets - gering. Die Lokali- dukt oder eine Dienstleistung verfügt, die Schritt in Richtung einer betriebswirtschaftli- sierungspolitik hat in einigen Branchen absolut einzigartig oder technologisch un- chen Entscheidung für eine tiefere Verarbei- etwa in der Landwirtschaft, der IT, und in ersetzbar ist, wird sich mit der Lokalisie- tung in Russland und hätte gleichzeitig Sig- Teilen der chemischen Industrie, tatsächlich rungs- und Importsubstitutionspolitik der nalwirkung auch für andere Branchen. Vor den Markt und die Investitionen beflügelt. Russen arrangieren müssen. Denn auf lan- allem für die Zulieferindustrie, die schon heu- ge Sicht werden nur die Unternehmen am te über ein zu geringes Marktvolumen klagt, Zwei wesentliche Faktoren verhindern au- Markt erfolgreich sein, die wenigstens ei- würde sich damit die Situation entschärfen. genblicklich ein besseres Wachstum. Einer- nen Teil ihrer Liefer- und Wertschöpfungs- seits hält die ungeklärte Situation im Osten kette in Russland etablieren. Für Mittel- Ähnliches gilt für die seit August 2018 gelten- der Ukraine und die damit verbundenen ständler ist eine solche Entscheidung de „Utilization Fee“ für Elektrofahrzeuge, die politischen Verwerfungen viele Firmen naturgemäß schwieriger. Hier könnte sich direkt bei der Verzollung erhoben wird und so von einem verstärkten Engagement - be- im Laufe des Jahres eine Änderung der ge- die Produkte für den russischen Endkunden dauerlicherweise in beiden Ländern – ab. setzlichen Vorgaben ergeben, die es auch teilweise erheblich teurer werden lässt. Ein Eine konstruktive, baldige und dauerhaft kleineren Firmen möglich macht, eher nach neuer Gesetzentwurf liegt bei Industrieminis- friedliche Lösung wäre im ureigensten In- Russland zu gehen oder wenigstens eine ter Denis Manturov, der Ausnahmen für Gerä- teresse Russlands, sie wäre geradezu ein Kooperation zu schließen. Anfang März te mit geringer Leistung vorsieht. Auch hier Befreiungsschlag. Der zweite Grund er- wurde diesbezüglich eine interessante Ent- gilt: Sollte dieser Entwurf Gesetzeskraft er- innert an den Film „Und täglich grüßt das scheidung bekannt. langen, wäre das eine deutliche Erleichterung für die betroffenen Firmen und würde den russischen Steuerzahler entlasten. Ganz ne- benbei wäre das nach den wirtschaftspoliti- schen Entscheidungen, deren direkten Nutzen für die Wirtschaft man lange suchen muss, ein deutliches Signal an potenzielle Investoren und ausländische Firmen, die in Russland ak- tiv sind. Insgesamt gilt für Russland, was seit vielen Jahren gilt: Der Markt ist groß, die Ver- braucher sind kauffreudig, der technologische Bedarf ist riesig. Vieles wird davon abhängen, ob die Entscheidungsträger nach volkswirt- schaftlichen oder weiter nach geostrate- gisch-politischen Kriterien handeln. Die Autoindustrie könnte von neuen Lokalisierungsregeln profi tieren. Im Bild: Produktion bei VW in Kaluga Jens Böhlmann Leiter der Kontaktstelle Mittelstand im OAOEV 11
Special > Russland Frühstück mit Ministern Seit nunmehr fünf Jahren gehört das vom Ost-Ausschuss – Osteuropaverein (OAOEV) organi- sierte deutsch-russische Unternehmerfrühstück mit den Außenministern beider Länder zu den traditionellen Terminen auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Auch in diesem Jahr trafen sich Mitte Febru- Auch der russische Außenminister Lawrow treter wurde erneut auf das Positionspapier ar auf der MSC rund 30 Unternehmensver- nahm direkt Bezug auf das Positionspapier und des OAOEV Bezug genommen. Als beson- treter aus den Branchen Energie, Technolo- lobte vor allem die Idee einer Effizienzpart- ders wichtig wurden neben der Effizienzpart- gie, Automobilindustrie, Gesundheits- und nerschaft zwischen Deutschland und Russland nerschaft auch die Bereiche Energie und Kli- Finanzwirtschaft zum Arbeitsfrühstück mit dem Ziel, die Produktivität der russischen ma sowie die Zusammenarbeit zwischen der mit den Außenministern Deutschlands und Industrie zu erhöhen. Große Bedeutung misst EU und der EAWU erachtet. Alexej Mordas- Russlands, Heiko Maas und Sergej Lawrow. Lawrow auch der bilateralen Zusammenar- chow, Chef der russischen Severstal-Gruppe, Thema waren strategische Felder der bila- beit bei der Digitalisierung bei. Für die Wirt- sprach sich für eine Reaktivierung der Busi- teralen wirtschaftlichen Zusammenarbeit, schaft interessante Initiativen gebe es auch im ness Roundtables zwischen der EU und Russ- wie sie der OAOEV in seinem kürzlich Rahmen des „Deutsch-Russischen Jahres der land unter Beteiligung der Industrieverbände vorgelegten Positionspapier zu den euro- Hochschulkooperationen und Wissenschaft“, Deutschlands (Bundesverband der Deutschen päisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen das von 2018 bis 2020 läuft. Der russische Industrie, BDI), Frankreichs (Medef) und Ita- abgesteckt hat (s. S. 13). Außenminister wies auf die Bedeutung der liens (Confindustria) aus. Deutsch-Russischen Strategischen Arbeits- Konnektivität von EU und EAWU gruppe für die bilaterale wirtschaftliche Zu- Milliarden für „Nationale sammenarbeit hin. Was die geopolitische Welt- Projekte“ „Wirtschaftlich ist wieder Schwung in unsere lage anging, forderte Lawrow Europa dazu auf, deutsch-russischen Beziehungen gekommen“, außenpolitisch selbständiger zu werden. Große Chancen für die bilaterale Zusam- sagte der OAOEV-Vorsitzende Wolfgang Bü- menarbeit bietet die Gesundheitswirtschaft. chele in seiner Begrüßung. Als zentrale Punkte Bundesaußenminister Maas hob hervor, dass Für diese und andere sogenannte Nationale einer deutsch-russischen Agenda, wie sie in die Bundesregierung den deutsch-russischen Projekte stellt die russische Regierung in dem Positionspapier skizziert wird, bezeich- Beziehungen viel Aufmerksamkeit widme. den nächsten Jahren umgerechnet 80 Milli- nete er die Zusammenarbeit in Bildung und Als wichtiges Beispiel für die bilaterale Zu- arden US-Dollar zur Verfügung. Erhebliche Wissenschaft sowie eine stärkere Konnektivi- sammenarbeit nannte Maas die Wiederein- Investitionen stehen in den nächsten acht bis tät von EU und Eurasischer Wirtschaftsunion richtung der gemeinsamen Arbeitsgemein- zehn Jahren auch im russischen Stromsektor (EAWU). „Es geht uns dabei um eine Verbes- schaft Sicherheitspolitik. Auch Maas ging auf an. Herausforderung und Chance zugleich serung der Konnektivität in allen Bereichen, das deutsch-russische Wissenschaftsjahr ein, für deutsche Unternehmen ist die Lokali- angefangen mit Normen, Standards und Zer- in dessen Rahmen das Thema Digitalisierung sierungsstrategie in Russland, die die Wert- tifizierungsprozessen bis hin zu digitaler Ver- und die Zusammenarbeit auf dem Feld der schöpfung in der russischen Industrie durch netzung, einer abgestimmten Infrastruktur für Künstlichen Intelligenz weiter verfolgt wer- Local-Content-Anforderungen erhöhen soll. Energie, Verkehr und Logistik bis hin zu Visa- den sollten. In der anschließenden Diskussion Die deutschen Unternehmensvertreter zeigten Erleichterungen“, sagte Büchele. deutscher und russischer Unternehmensver- sich mit der Neufassung des Sonderinvestiti- onsvertrags zufrieden, die besonders günstige Konditionen für Technologieprojekte vorsehe. Nicht ausgespart werden konnte das Thema der westlichen Sanktionen und russischen Gegensanktionen, die nunmehr seit rund fünf Jahre die bilaterale Wirtschaftszusam- menarbeit beeinträchtigen. Die Sanktionen seien insbesondere für Finanzierungen und den Bankensektor kritisch. Russische Banken in der EU müssten sich auf „nicht-politische Projekte“ konzentrieren. Foto: MSC Michael Harms Großes Medieninteresse beim Businessfrühstück des OAOEV auf der MSC Vorsitzender der Geschäftsführung des OAOEV 12 osteuropa informationen 3/4 -2019
Special > Russland Neue Russland-Agenda Von Agrarwirtschaft bis Weltraumforschung: Ein Positionspapier des OAOEV schlägt intensive Wirtschaftskooperationen zwischen der europäischen und russischen Wirtschaft auf 15 Zukunftsfeldern vor. Der Ost-Ausschuss – Osteuropaverein (OAOEV) schlägt eine „Neue Agenda“ für die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwi- schen Deutschland, der EU und Russland vor. „Wir leben in einem Jahrhundert, das kein europäisches, sondern ein asiatisches sein wird. Umso mehr sind wir darauf angewie- sen, dass wir als Europäer enger miteinander kooperieren. Russland ist hier ein unverzicht- barer Partner”, sagte der OAOEV-Vorsitzen- de Wolfgang Büchele bei der Vorstellung Die Zusammenarbeit im Weltraum gehört zu den vielversprechenden Kooperationsfeldern. eines 30-seitigen Positionspapiers in Berlin, zu dem viele Mitgliedsunternehmen des Europas. Das Land hat Internet-Konzerne, wir klimaresiliente Pflanzen entwickeln, um OAOEV Vorschläge eingereicht hatten. Es die auf Augenhöhe mit amerikanischen und die Ernteerträge zu steigern und die Folgen trägt den Titel „Gemeinsame Interessen de- chinesischen Anbietern agieren. Hier soll- des Klimawandels zu begrenzen”, erläuterte finieren – gemeinsame Projekte umsetzen: ten wir die Zusammenarbeit stärken”. Zu Büchele. Ebenso notwendig und aussichts- Eine neue Agenda für die europäisch-russi- den vielversprechenden Arbeitsfeldern ge- reich seien gemeinsame Projekte zur Entsor- schen Wirtschaftsbeziehungen“. hörten hier etwa die Themen autonomes gung atomarer Abfälle, zur Sicherung der Fahren und E-Medizin. In einem Flächen- Rohstoffversorgung der Zukunft und zur Es gehe darum, über die gravierenden ta- land wie Russland, mit riesigen Entfernun- Weiterentwicklung der Bildungssysteme. Be- gespolitischen Konflikte hinaus den Blick gen zwischen einzelnen Städten und bis reits hervorragend laufe die Zusammenarbeit auf gemeinsame Ziele zu öffnen und wieder zum nächsten Arzt, gebe es dafür einen in der Weltraumforschung: „Alexander Gerst eine positive Zukunftsvision zu entwickeln. enormen Bedarf. wäre ohne russische Technologie nicht zur „Um die Zukunft gemeinsam zu gestalten, ISS gekommen”, erinnerte Büchele. „Eines brauchen wir eine gemeinsame Strategie, so Mit der 2017 gestarteten Deutsch-Russi- Tages wird Ressourcenförderung im Welt- Büchele. schen Digitalisierungsinitiative GRID hat raum Realität werden. Im Verbund mit Russ- der OAOEV zusammen mit deutschen und land können wir da sehr viel für Europa errei- 15 Themenfelder mit russischen Partnern bereits eine gemeinsame chen”, so Büchele. Kooperationsmöglichkeiten Plattform aufgebaut. In den vergangenen Monaten neu begonnen wurde zudem eine „Unsere Vorschläge fügen sich ein in aktuelle Das Positionspapier erläutert 15 große The- gemeinsame Initiative zur Harmonisierung Anstrengungen der Bundesregierung, den menfelder, auf denen eine Zusammenarbeit der technischen Reglements. „Zusammen Dialog mit Russland gerade über die Themen mit Russland bereits stattfindet und großes mit dem russischen Unternehmerverband ar- Forschung, Entwicklung, Wissenschaft zu in- Potenzial verspricht. Dazu gehören Maßnah- beiten wir daran, die technischen Regle- tensivieren”, sagte Büchele. Von 2018 bis men zur Steigerung der Arbeitsproduktivität, ments beider Länder anzunähern. Jeder klei- 2020 findet das „Deutsch-Russische Jahr der zur Digitalisierung der Wirtschaft, Agrarwirt- ne Schritt nach vorne hilft hier russischen Hochschulkooperationen und Wissenschaft“ schaft und Klimaschutz, die Erforschung des und europäischen Unternehmen noch erfolg- statt, das durch das Auswärtige Amt koordi- Weltraums, Energie- und Rohstoffsicherheit, reicher zu werden”, erläuterte Büchele. niert wird. Ende 2018 wurde zudem von den Medizin und Mobilität. „In allen genannten Forschungsministerien beider Länder eine Feldern können innovative Unternehmen aus Von Agrarsektor bis ambitionierte „Deutsch-Russische Roadmap der EU und Russland gemeinsam an Lösun- Weltraumforschung für die Zusammenarbeit in Bildung, Wissen- gen arbeiten. Und zum Teil tun sie dies bereits schaft, Forschung und Innovation“ für die heute sehr erfolgreich”, betonte Büchele. Ein riesiges, gemeinsames Arbeitsfeld sei nächsten zehn Jahre vereinbart. auch der Agrar- und Ernährungssektor: Foto: pixabay Ein gutes Beispiel sei das Thema Digitali- „Russland ist der wichtigste Getreideprodu- sierung. „Russland ist mit rund 90 Millio- zent in Europa und spielt eine enorme Rolle Andreas Metz nen Nutzern der größte E-Commerce-Markt für die Welternährung. Gemeinsam können Leiter Presse und Kommunikation im OAOEV 13
Special > Russland Schockstarre überwunden Sanktionen, Importsubstitution und Rubelabwertung – diese drei großen Trends haben die wirtschaftliche Entwicklung in Russland seit 2014 geprägt und auch auf dem Arbeitsmarkt tiefe Spuren hinterlassen. Nur ein Teil unserer Mandate steht deshalb im Zusammenhang mit der geschäftlichen Expansion unserer Kunden. Bei der Mehr- zahl handelt es sich um Nachbesetzungen aufgrund von Abgängen oder von den Un- ternehmenszentralen gewünschten Perso- nalwechseln. Insgesamt hat sich die Nach- frage im Führungskräftebereich im Vergleich zu 2014/2015 konsolidiert. Die Nachfrage nach Personal hat wieder angezogen. Keine Rückkehr zum Expatriate In den Jahren 2014 und 2015 waren die rus- zeitig habe die Zahl der online hinterlegten Bei den Expatriates ist keine Rückkehr zum sischen Medien voll von Meldungen über Lebensläufe um 19 Prozent zugenommen. „klassischen“ Entsendemodell erkennbar, Massenentlassungen, Kurzarbeit und groß- wie es vor allem in den 1990er und frühen flächigen Personalabbau. Betroffen waren Deutlich gestiegene Nachfrage 2000er Jahren verbreitet war. Während der produzierende Unternehmen, aber auch der Krisenjahre hat ein großer Teil der amerika- Bankensektor. Bei einer Inflationsrate von Die vielen Vakanzen dokumentieren eine nischen und europäischen Expatriates Russ- rund zwölf Prozent sanken die Realein- deutlich gestiegene Nachfrage nach Personal. land verlassen, darunter auch viele Deut- kommen. Die höhere Zahl der online hinterlegten CVs sche. Der Grund lag vor allem in lässt darauf schließen, dass die Kandidaten Bestrebungen der Unternehmen, Kosten Arbeitslosenquote nahezu wieder mehr Vertrauen in die Konjunktur ge- einzusparen. Somit wurden Expats entwe- unverändert fasst haben. Während der Krisenjahre waren der abgezogen oder gedrängt, aufgrund lo- Beschäftigte kaum an einem Wechsel interes- kaler Rubelverträge tätig zu werden – für Angesichts der gut dokumentierten Entlas- siert, weil sie die damit verbundenen Risiken viele Arbeitnehmer angesichts der damals sungswelle 2014 und 2015 verwundert, dass gescheut und stabile Arbeitsverhältnisse be- enormen Wechselkursschwankungen nicht die amtliche Arbeitslosenquote seinerzeit vorzugt haben. Die Angaben von Headhun- annehmbar. praktisch unverändert geblieben ist. Sie ist tern decken sich im Wesentlichen mit unseren auch in Zeiten der Rezession nur minimal Beobachtungen im Führungskräftebereich. Heute setzen die meisten ausländischen Un- von 5,5 Prozent (2013) auf 5,8 Prozent ternehmen auf russische Kandidaten zur (2015) gestiegen. Auch hier spiegelt die Die in Russland aktiven Firmen haben die Besetzung ihrer Führungspositionen. Eine Statistik wohl nur einen Teil der realen Ent- Schockstarre der Krisenjahre überwunden und gefragte Alternative sind allerdings auch wicklung wider – aufgrund der geringen richten ihre Geschäftsmodelle gemäß den neu- „lokale Expatriates“ – Ausländer, die per- Arbeitslosenunterstützung in Russland mel- en Rahmenbedingungen aus. Vor allem die manent in Russland leben und bereit sind, det sich nur ein Teil der Arbeitssuchenden Rubelabwertung und die Importsubstitutions- auf Grundlage von Rubelverträgen tätig zu beim Arbeitsamt. politik der russischen Regierung zwingen die werden. Ausländische Kandidaten verdie- Unternehmen dazu, ihre Aufstellung zu über- nen im Schnitt etwa 30 Prozent mehr als In jedem Fall sprechen die verfügbaren Da- denken. In vielen Branchen stellt sich die Fra- russische Führungskräfte. Unternehmen in- ten dafür, dass sich die Lage auf dem Ar- ge nach einer möglichen (Teil-)Lokalisierung vestieren das Geld dann, weil sie im Expat- beitsmarkt inzwischen stabilisiert hat: Die der Produktion, etwa im Maschinenbau oder riate eine „interkulturelle Brücke“ zwischen Einkommen sind im vergangenen Jahr bei der Pharmaindustrie. Verhältnismäßig wenige dem russischen Markt und dem europäi- einer Inflationsrate von nur noch 4,3 Prozent Unternehmen haben sich aber für die Errich- schen Hauptquartier sehen. um acht Prozent gestiegen. Die führende rus- tung eines Werks auf der „grünen Wiese“ ent- sische Online-Stellenbörse Headhunter mel- schieden. Die meisten bevorzugen Kooperati- Foto: pixabay dete jüngst, dass die Zahl der dort veröffent- onsmodelle mit russischen Produzenten oder lichten Vakanzen 2018 gegenüber dem versuchen, die weiterhin zugänglichen Markt- Christian Tegethoff Vorjahr um 42 Prozent gestiegen sei. Gleich- segmente über Exporte abzudecken. Geschäftsführer CT Executive Search, Moskau 14 osteuropa informationen 3/4 -2019
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