Burnout-Syndrom: Zur professionellen Therapie einer neuen klinischen Herausforderung
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569-573 Heim 229.qxp 24.7.2008 15:29 Uhr Seite 569 PRAXIS Schweiz Med Forum 2008;8(32):569–573 569 Burnout-Syndrom: Zur professionellen Therapie einer neuen klinischen Herausforderung Rolf Heima, Beate Schulzeb a Institut für Arbeitsmedizin, Baden, b Psychiatrische Universitätsklinik, Zürich Einleitung Quintessenz 쎲 Das Burnout-Syndrom ist zu einem der populärsten Beschwerdebilder in Gibt es heute noch «gesunde» Arbeitsplätze, oder unserem Kulturraum geworden. Aktuell bestehen keine einheitliche Definition stellen vielmehr die Arbeitsbedingungen in einer der Krankheit und keine eindeutigen diagnostischen Kriterien im ICD-10. globalisierten Welt ganz neue Anforderungen an unsere Gesundheit? Das Klima auf dem Arbeits- 쎲 In der Bevölkerung weitgehend akzeptiert, ist das Burnout-Syndrom im markt ist in allen Branchen rauer geworden. Arbeitsumfeld nach wie vor ein Tabu-Thema: Ausgebrannt zu sein steht als Indiz Wachstum auf einem dicht umkämpften Markt für mangelnde Belastbarkeit. erfordert Kostenoptimierung, knappere Ressour- 쎲 Der für eine erfolgreiche Therapie so wichtige Konsens zwischen Arzt und cen der öffentlichen Hand führen zu Sparmass- Patient ist unter diesen Umständen oft schwierig zu erreichen. nahmen im Gesundheitswesen und im sozialen Bereich. Für Mitarbeitende heisst das oft, mit 쎲 Die Erhaltung oder Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit ist ab Beginn der dünnerer Personaldecke in kürzerer Zeit die Therapie ein zentrales Thema. gleichen oder gar wachsenden Aufgaben zu be- 쎲 Eine allfällige Krankschreibung muss durch weitere Interventionen begleitet wältigen [1]. Gleichzeitig lässt sich die berufliche sein; es geht darum, dass der Patient effizient und zielgerichtet an seiner psy- Zukunft kaum mehr planen: Arbeitsstellen sind chischen und körperlichen Regeneration arbeitet. projektgebunden und damit zeitlich begrenzt; Organisationen werden häufig umstrukturiert 쎲 Dafür braucht es sorgfältige Abklärungen, die im Rahmen einer umfassenden oder gar «feindlich übernommen», während die Anamnese erhoben werden. Neben somatischen und psychischen Beschwerden Unternehmensziele zunehmend von den Prio- werden auch soziale Aspekte beachtet. ritäten der Finanzmärkte geprägt sind. Die Wirt- 쎲 Der Patient wird über das geplante Procedere informiert und hat eine grobe schaft richtet sich immer mehr kurzfristig aus [2]. Ahnung, wo er im Verlauf seiner Genesung steht. Neue Technologien ermöglichen und verpflichten gleichsam zu ständiger Verfügbarkeit, Qualifika- 쎲 Eine wirksame Therapie umfasst neben individuellen (Patient) Interventionen auch strukturelle (Betrieb). Für letztere sind Gespräche mit dem Vorgesetzten und tionsanforderungen steigen, besonders bezüg- evtl. der Personalabteilung wichtig. lich Team- und Kommunikationsfähigkeit. Para- doxerweise kommt es gleichzeitig zu einer stärkeren Individualisierung und Konkurrenz Summary unter den Mitarbeitenden – als «Stresspuffer» Burnout syndrome: professional therapy wirkende soziale Unterstützung wird somit im- for a new clinical challenge mer seltener. Auch auf Mitarbeiterseite heisst der Trend «schneller, höher, weiter!»: Wir verfü- 쎲 Burnout has become one of the most popular health concerns in the Western gen heute über die bestausgebildete Generation world. To date the syndrome has not been officially defined as an illness in von Arbeitnehmenden aller Zeiten – entsprechend ICD-10, and thus lacks consistent diagnostic criteria. wachsen unsere Erwartungen an die Arbeit be- 쎲 While largely accepted among the general public, burnout still has a significant züglich persönlicher Bedeutsamkeit, Aufstiegs- stigma attached to it in the workplace. Being “burnt out” is considered a personal chancen, Entscheidungsspielraum sowie respekt- failure indicative of a lack of toughness and inability to work under pressure. voller und fairer Behandlung [1, 3]. Beruflicher Erfolg, Wohlstand und ein exklusiver Lebens- 쎲 This stigma creates barriers to insight and thus negatively affects coope- stil sind gesellschaftliche Leitwerte und persön- ration on treatment, as problem definitions may differ between doctor and pa- licher Antriebsmotor zugleich. Die «klassische» tient. Karriere also, aber höher hinaus, mit doppelter 쎲 From the start, maintaining or restoring patients’ capacity to work is a Geschwindigkeit und zugleich nachhaltiger. Doch central concern in the treatment of burnout. wie steht es in der heutigen Arbeitswelt um die Möglichkeiten, diese Ziele zu erreichen? CME zu diesem Artikel finden Sie auf S. I oder im Internet unter www.smf-cme.ch.
569-573 Heim 229.qxp 24.7.2008 15:29 Uhr Seite 570 PRAXIS Schweiz Med Forum 2008;8(32):569–573 570 tätsspital platzte aus allen Nähten, über hundert 쎲 Sick-leave must be accompanied by additional interventions. It is essential Interessenten musste im Vorfeld abgesagt that patients cooperate actively and purposefully in their psychological and werden. Dieser Beitrag möchte die begonnene physical recovery. Diskussion aufgreifen und Eckpunkte einer 쎲 Targeting these interventions necessitates thorough diagnosis. A compre- adäquaten Burnout-Therapie einer breiten Leser- hensive history takes into account not only somatic and psychological symp- schaft erschliessen. toms but also social aspects. Definition und Symptomatik 쎲 Patients are briefed on the treatment plan and procedures, and are regularly Zur Erfassung des Burnout-Syndroms im kli- updated on the stage reached in their recovery. nischen Alltag eignen sich etablierte arbeits- 쎲 Effective treatment comprises both individual (patient) and structural (com- psychologische Tests. Am besten validiert ist das pany) interventions. The latter involves consultation with the patient’s superiors Maslach Burnout Inventory (MBI) [7, 8], das Bur- and/or the human resources department. nout als anhaltende Stressreaktion auf chronische Arbeitsbelastungen mit drei Kernsymptomen ver- steht: – Erschöpfung bezieht sich auf das Gefühl, so- Hintergründe wohl emotional als auch körperlich entkräftet zu sein. Hohe quantitative Anforderungen am Arbeits- – Zynismus beschreibt eine distanzierte, gleich- platz, gepaart mit geringem Gestaltungsfreiraum gültige Einstellung gegenüber der Arbeit. und fehlender Unterstützung durch Vorgesetzte – Ineffektivität beschreibt das Gefühl beruf- und Kollegen erhöht das Risiko, bei der Arbeit lichen Versagens sowie den Verlust des Ver- «auszubrennen». Im Durchschnitt leiden etwa trauens in die eigenen Fähigkeiten. 30% der Bevölkerung unter dem Burnout-Syn- Entscheidend für die Einstufung des Burnout- drom [4, 5], und das branchenunabhängig. Risikos ist nicht allein das Vorhandensein von Das Burnout-Syndrom rüttelt an den Grundfe- Anzeichen wie Schlaflosigkeit, Energiemangel sten der westlichen Wirtschaft: Kann sich die oder Mangel an Freude an der Arbeit, sondern Spirale so weiter drehen? Gnadenlos und erschüt- die Häufigkeit bzw. Dauer der Symptomatik. ternd zeigt sich, dass wir als Menschen begrenzt, Damit lassen sich Schweregrade definieren und nicht perfekt, nicht omnipotent sind, sondern Ge- Anhaltspunkte für die Therapie ableiten. fühle und Schwächen haben. Gerade Letzteres Darüber hinaus gibt es zwei weitere Kriterien [4]: macht den Betroffenen, deren Umgebung (insbe- – Burnout ist generell arbeitsbezogen. sondere deren Vorgesetzten) und manchmal – Unangemessene Erwartungen und hohe emo- auch den Vertretern der medizinisch-therapeu- tionale Anforderungen spielen eine wichtige tischen Seite oft Mühe [6]. Rolle. Therapeuten und Mediziner sind meist nicht gut Dies lässt eine Abgrenzung gegenüber Depres- genug auf die Behandlung von Burnout-Patienten sion zu: Eine Erschöpfungssymptomatik ist nur vorbereitet. Das Thema Burnout hat derzeit Kon- so lange als Burnout zu betrachten, wie sie aus- junktur. Im Klima der verstärkten öffentlichen schliesslich den Arbeitskontext betrifft. Diskussion zu beruflichen Stressbelastungen und Entscheidend für die Diagnostik des Burnout- einer gleichzeitigen «Heroisierung» des Burnout- Syndroms ist zudem sein progressiver Verlauf Begriffs als eine Art ungenügender Leistungs- [9]. Den Anfang nimmt ein Burnout, wenn Men- ausweis sprechen immer mehr Patienten von schen auf berufliche Stresssituationen mit einem «Ausbrennen», wenn sie sich bei ihrem Arzt vor- gesteigerten Engagement reagieren. Bekannte stellen. Bei einer Burnout-Diagnose sind viele Bewältigungsstrategien werden aktiviert, auch Mediziner erstmal ratlos, da es sich nicht um eine wenn deren Anwendung in der Vergangenheit offizielle Diagnose in DSM-IV oder ICD-10 der die Betroffenen bereits an ihre Belastungs- WHO handelt. In Letzterem wird es lediglich un- grenzen geführt hat. Erweisen sich diese als ter den Z-Diagnosen im Anhang als «Ausge- ineffektiv, besteht die Gefahr, dass Symptome wie branntsein» und «Zustand der totalen Erschöp- negative emotionale Reaktionen und Antriebs- fung» (Z73.0) erfasst. störungen sich schrittweise vom Arbeitskontext So stellen sich im klinischen Alltag immer wieder auf weitere Lebensbereiche ausweiten und letzt- Fragen bezüglich der ärztlichen Handlungs- lich im Vollbild einer klinischen Depression mün- optionen. Welche Behandlungsmethoden sind den [10]. angezeigt? Gibt es Evidenz bezüglich ihrer Wirk- samkeit? Genau zu diesen Fragen organisierte die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich ge- Fallstricke im klinischen Management meinsam mit der Dialog-Plattform «Swiss Bur- nout» im Herbst 2006 ein Symposium. Allein die Während Burnout in der öffentlichen Diskussion Nachfrage nach diesem Fortbildungsangebot zunehmend als «schickes Leiden» firmiert, ist es lässt auf einen grossen Informationsbedarf im Arbeitsumfeld nach wie vor tabu: Ausge- schliessen: Der Hörsaal am Zürcher Universi- brannt zu sein wird als Indiz für mangelnde Be-
569-573 Heim 229.qxp 24.7.2008 15:29 Uhr Seite 571 PRAXIS Schweiz Med Forum 2008;8(32):569–573 571 lastbarkeit oder gar berufliches Versagen ver- auf, im Sinne von: «Nun siehe endlich, wie standen. Daher ist Verdrängung die meist ver- schlecht es mir geht und hilf mir, schone mich.» breitete Reaktion auf Symptome, die dem Betrof- Diese offensichtliche Forderungshaltung trifft fenen seine Grenzen aufzeigen. Dies hat wichtige bei uns Ärzten entweder den «Helfernerv» («die- Auswirkungen auf die Arzt-Patienten-Kommu- sem armen Menschen muss man helfen») oder nikation, hängen doch Behandlungserfolge aber, er führt zu einer Distanzierung und harten wesentlich von der Qualität der therapeutischen Führung («der soll nicht so schwach tun, schliess- Beziehung ab. Demnach ist die Therapie beson- lich sind wir alle unter Druck») [11]. Natürlich ders wirksam, wenn die subjektiven Krankheits- beruht solches Vorgehen nicht auf Böswilligkeit modelle des Patienten mit denen des Arztes weit- oder mangelndem Verständnis. Im praktischen gehend übereinstimmen. Ein Konsens zwischen Alltag fallen uns dafür drei mögliche Ursachen Arzt und Patient wird vor allem erschwert, wenn gehäuft auf: die Krankheit mit einem Stigma behaftet ist. Be- – Ärzte sind über arbeitsassoziierte psychoso- sonders psychische Erkrankungen werden nach matische Krankheiten und deren spezifische wie vor überwiegend mit negativen Eigenschaf- Therapie zu wenig informiert (beispielsweise ten wie Unberechenbarkeit, mangelnde Willens- Mobbing, Burnout). kraft oder Faulheit verbunden. – Ärzte stehen selbst unter hohem Druck, leiden In einer solchen Situation kommt es zum ersten gehäuft sogar selbst unter Burnout (20–30% Flaschenhals: Der Patient möchte sich keine [12]), was es ihnen erschwert, den Patienten Blösse geben und dissimuliert. Der Arzt möchte geduldig und empathisch zu betreuen. ihm nicht zu nahe treten, unterlässt eine Kon- – Patienten möchten nicht einsehen, dass sie frontation und entspricht den Anliegen des Er- mit der bisher angewandten Lebens- und steren nach einer raschen Symptomlinderung. Arbeitsweise nicht weiter kommen. Und ihre Der Griff zum Rezeptblock ist kurz, Antidepres- Ärzte wollen ihnen diese Konfrontation er- siva und Hypnotika sind rasch verschrieben. Die sparen. Folge davon: Beide sind zufrieden, und an der Situation ändert sich nichts Grundlegendes. Dafür werden ernstzunehmende Symptome ab- Professionelle Therapieansätze geschwächt, der Patient vertröstet. Wertvolle Zeit geht verloren, bis der Betroffene Bleibt eine adäquate, die Ursachen verändernde merkt, dass er sich kräftemässig immer noch im Therapie aus, verstärkt sich das Leiden der Be- Ungleichgewicht befindet. Möglicherweise wird troffenen und die Leidenszeit verlängert sich. Das er für diese Zeit auch krank geschrieben, was an dem Problem zugrunde liegende Verhalten wird und für sich ja nicht falsch ist. Jedoch sollte bei weiter aufrecht erhalten und verstärkt, ganz der Behandlung die berufliche Rehabilitation von nach dem Gesetz von Watzlawick: «mehr dessel- Anfang an ein Thema sein. Allem voran geht es ben». Ungeduld und Unverständnis wachsen, To- um einen schrittweisen Wiedereinstieg. So kön- leranz sinkt – sowohl beim Betroffenen als auch nen die Betroffenen lernen, im Alltag direkt für bei seiner Umgebung. Somit kommen neue Pro- Entlastung zu sorgen, z.B. indem sie regelmässige bleme hinzu, die Symptome können sich steigern Pausen zur Erholung einplanen, Unterstützung bis zur schweren Depression. Im schlimmsten bei der Erledigung von Aufgaben suchen und Fall treffen die Betroffenen Kurzschluss-Ent- keine exzessiven Überstunden leisten [9]. scheidungen oder es wird ihnen wegen man- Nur rechnet der Arbeitgeber nach zwei bis vier gelnder Leistung und Effizienz gekündigt [10]. Wochen mit der vollen Leistungsfähigkeit und Um solches zu verhindern, braucht es so früh wie wird ungeduldiger. Wie auch der Patient und möglich eine spezifische Therapie. Diese zeich- seine Angehörigen, die weder den Verlauf des net sich aus durch eine klare Strukturierung und Burnouts kennen, noch über die für die Genesung eine nachhaltige Begleitung des Patienten. Am nötigen Schritte informiert sind. Gerade pflicht- Anfang steht eine sorgfältige Abklärung der ak- bewusste Mitarbeiter (und das sind die meisten tuellen Umstände [9]: Burnout-Patienten) laufen Gefahr, in eine «Schul- – eine genaue Anamnese der Beschwerden denspirale» zu geraten: Sie sind nicht arbeits- – körperliche und laborchemische Untersuchun- fähig 3 der innere Leistungsdruck steigt 3 die gen, um somatische Ursachen auszuschliessen Effizienz sinkt, der Heilungsprozess wird verzö- – eine umfassende Analyse der beruflichen, gert 3 der innere Leistungsdruck nimmt weiter privaten und persönlichen Situation. Das sind zu usw. [10]. vor allem Informationen über: Die relative Unschärfe des Syndroms hat weitere – Arbeitsstil (vgl. u.a. Perfektionismus), Identi- Folgen: Während diejenigen, die schon auf dem fikation und Engagement bei der Arbeit Zahnfleisch laufen, sich jeder Krankheitseinsicht – Arbeitsklima, soziale Unterstützung und Wert- verwehren, diagnostizieren andere, die sich gerne schätzung seitens des Vorgesetzten; Organi- etwas Ruhe und Verständnis verschaffen, ihre sation von Arbeits-Abläufen Krankheit gleich selbst. Letztere treten ihrem – Distanzierungs- und Entspannungsfähigkeit; Umfeld gegenüber vorwurfsvoll und fordernd Bereitschaft zu Erholung und Genuss
569-573 Heim 229.qxp 24.7.2008 15:29 Uhr Seite 572 PRAXIS Schweiz Med Forum 2008;8(32):569–573 572 – soziales Netz, Familie und Entspannungsfähigkeit geachtet. Viele – gesellschaftliches Engagement: Vereine, poli- Betroffene zeigen in beiden Kategorien er- tische Tätigkeit hebliche Defizite. Einerseits laden sie sich zu – Coping-Strategien bei Beschwerden oder Miss- viel Verantwortung und praktische Arbeit auf, erfolgen; z.B. Konsum von Medikamenten, verzeichnen Mühe beim Delegieren und Zu- Alkohol und Drogen rückweisen von Arbeit («nicht nein sagen kön- – bisherige Massnahmen, Therapien nen»). Andererseits halten sie Entspannung – Einschränkungen bei der Arbeit und privat für Zeitverschwenden und sehen den prakti- Als nächstes folgt die Klärung der Behandlungs- schen Nutzen, ja die unabdingbare Notwen- strategie. Je nach Schweregrad und vorhande- digkeit nicht ein. nen Ressourcen beinhaltet diese unterschied- – Im Verlauf werden weitere fehlende oder liche Ansätze [4]: unterentwickelte Fähigkeiten eruiert und ge- – Schonung quantitativer und qualitativer Art. zielt auftrainiert. Als Beispiele genannt seien Beispielsweise soll eine vollständige Krank- Wahrnehmung von Selbstkompetenz, offene schreibung sorgfältig abgewogen werden, da Kommunikation, Konfliktfähigkeit, Sensibi- sie Spuren im Team und im eigenen Arbeits- lität den eigenen Bedürfnissen gegenüber. Ar- fluss hinterlässt. Anderseits ist eine Erholung beitsplatzspezifische Fähigkeiten können in bei «schweren Fällen» nur in kompletter Ab- Weiterbildungen angeeignet werden. schottung (stationäre Therapie) möglich. Im – Manchmal ist es nötig, allfällige Trauerpro- Weiteren müssen das Freizeitverhalten und zesse abzuschliessen und grössere Frustra- die Tagesstruktur überprüft und gegebenen- tionserlebnisse zu verarbeiten. Dies können falls verändert werden. Die dadurch gewon- eine verpasste Kündigung sein, eine Scheidung nen Ressourcen müssen für die Regeneration oder auch traumatisierende Kindheitserleb- verwendet werden (s.u.). nisse. – Besprechung mit dem Vorgesetzten zur Pla- nung des Arbeitseinsatzes, mögliche organi- satorische Umstellungen und Entlastungen Schlussfolgerung des Patienten. Immer wieder werden beim Ausfall eines Mitarbeitenden Mängel im Be- Eine spezifische Therapie bei arbeitsassoziierten trieb deutlich – beispielsweise komplizierte, psychosomatischen Beschwerden folgt somit ei- energiefressende Abläufe, unklare Kommuni- nem klaren Leitfaden. Dabei wird dem Verhalten kation, schlechte Verteilung der Aufgaben. und den Denkmustern der Betroffenen sowie der Persönlich haben wir schon einige Firmen Situation am Arbeitsplatz eine zentrale Rolle zu- gesehen, die durch das Burnout eines Mitar- geschrieben. Soll die Arbeitsfähigkeit langfristig beitenden sensibilisiert wurden, längst not- erhalten bleiben, müssen auf diesen Ebenen wendige Veränderungen anzugehen, wie: Veränderungen erfolgen. Die Therapie beinhaltet neue Verteilung von Kompetenzen und Arbeits- somit auch Coaching und Vermittlung zwischen inhalten oder die Schaffung neuer Arbeits- dem betroffenen Mitarbeiter und dem Arbeit- plätze. geber. Die Sitzungen sollen regelmässig stattfinden, – Eventuell Gespräche mit der Partnerin. Je je nach Schweregrad von zweimal wöchentlich nach Situation bestehen auch hier Ansprüche bis zweimal monatlich. Falls nötig werden Medi- und Erwartungen (Familienplanung, Arbeit kamente eingesetzt (meist Antidepressiva und am Eigenheim usw.). Verständnis auf dieser Hypnotika), allerdings nur supportiv und nicht Ebene ist für die Erholung wichtig. kurativ. – Im Rahmen einer verhaltensorientierten The- Mit einer Einstellungs- und Verhaltensänderung rapie folgt eine Analyse des bisherigen Ver- lassen sich erfahrungsgemäss mittelfristig sehr haltens, das zur aktuellen Situation geführt befriedigende Resultate erreichen. Wenn ein Pa- hat. Hier werden auch Wertsysteme und Mo- tient den Willen dazu und die nötige Geduld auf- tivationsaspekte besprochen. Dabei geht es bringt, darf man ihm zu recht gute Hoffnungen nicht um eine tiefenpsychologische Analyse, auf einen erfolgreichen Therapieverlauf machen. sondern um eine rasche Veränderung des Abschliessend stehen die Chancen für einen erfolg- einseitigen und somit krankheitsfördernden reichen Umgang mit Burnout am besten, wenn Verhaltens. eine entsprechende Belastungsreaktion früh er- – Darauf folgt sinnvollerweise die Suche nach kannt wird, Betroffene niederschwellig spezifi- Alternativen, die einen Ausgleich von Ener- sche psychotherapeutische Angebote nutzen kön- gieverbrauch und Regeneration gewährlei- nen und im betrieblichen Umfeld Unterstützung sten. Im Besonderen wird auf Distanzierungs- erhalten.
569-573 Heim 229.qxp 24.7.2008 15:29 Uhr Seite 573 PRAXIS Schweiz Med Forum 2008;8(32):569–573 573 Literatur 1 Burke RJ, Cooper CL. The new world of work and organi- 7 Maslach C, Jackson SE. The Maslach Burnout Inventory. zations: Implications for human resource management. Manual. (2 ed.) Palo Alto, CA: Consulting Psychologists Press, Human Resource Management Review 2006. 1986. 2 Sennett R. Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapi- 8 Maslach C, Schaufeli WB, Leiter MP. Job Burnout. Ann Rev talismus. Berlin: Berlin-Verlag; 1998. Psychol. 2001;52(1):397–422. 3 Siegrist J, Starke D, Chandola T, Godin I, Marmot M, Nied- 9 Schulze B, Rössler W. Burnout-Syndrom: Diagnose und The- hammer I, et al. The measurement of effort-reward imba- rapie in der klinischen Praxis. Leading Opinions Neurologie lance at work: European comparisons. Soc Sci Med. 2004; und Psychiatrie 2006;6(4):23–5. 58(8):1483–99. 10 Burisch M. Das Burnout-Syndrom. Theorie der inneren 4 Schaufeli W, Enzmann D. The burnout companion to study Erschöpfung. 3 ed. Berlin und Heidelberg: Springer; 2005. and practice. A critical analysis. 1 ed. London, Philadelphia: 11 Schmidbauer W. Helfersyndrom und Burnout-Gefahr. 1 ed. Korrespondenz: Taylor and Francis; 1998. München, Jena: Urban & Fischer; 2002. Dr. med. Rolf Victor Heim 5 Ahola, K, Honkonen T, Isometsö E, Kalimo R, Nykyri E, 12 Bovier P, Bouvier Gallacchi M, Goehring C, Künzi B. Santé Koskinen S, et al. Burnout in the general population. Soc des médecins de premier recours en Suisse. Résultats Institut für Arbeitsmedizin Psychiatry Psychiatr Epidemiol. 2006;41:11–7. de la première enquête nationale. Primary Care. 2004;4: Kreuzweg 3 6 Schulze B, Rossler W. Early recognition and help-seeking in 941–7. CH-5400 Baden burnout: Are psychiatrists any wiser? Eur Psychiatry. 2007;22 rolf.heim@arbeitsmedizin.ch (suppl.1):3.
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