Patientenperspektiven 2018 - Qualitative Studie zur Digitalisierung im Gesundheitswesen aus Sicht von Patientinnen und Patienten in Deutschland ...

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          Patientenperspektiven 2018
               Qualitative Studie zur Digitalisierung im
            Gesundheitswesen aus Sicht von Patientinnen
                   und Patienten in Deutschland

                         Berlin, August 2018

                       Dr. Sebastian Schmidt-Kaehler
                           Patientenprojekte GmbH

Für die
  	
  
  	
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Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie
	
  
                                                    © Patientenprojekte GmbH
                                                    Laerstr. 55 | 33775 Versmold
                                                       Tel.: 0800 / 5678 123
                                         E-Mail: schmidt-kaehler@patientenprojekte.de
                                                   www.patientenprojekte.de

                                                           August 2018

                                                            Für die
                                              Kassenärztliche Bundesvereinigung

                                       Schmidt-Kaehler, S. (2018): Patientenperspektiven.
                                    Qualitative Studie zur Digitalisierung im Gesundheitswesen
                                    aus Sicht von Patientinnen und Patienten in Deutschland.
                                            Berlin: Kassenärztliche Bundesvereinigung.

       	
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Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie
	
  
In aller Kürze
Der vorliegende Bericht gibt einen Überblick          sprachen sich für digitale Arbeitsunfähigkeitsbe-
über die Ergebnisse einer qualitativen Studie         scheinigungen aus und konnten sich häufig auch
zur Digitalisierung im Gesundheitswesen aus           eine Nutzung von Videosprechstunden vorstellen.
Sicht von Patientinnen und Patienten in               Mehr noch: Einige forderten die Einführung einer
Deutschland. Gegenstand von vier Gruppendis-          digitalen Patientenakte offensiv ein und wünsch-
kussionen waren Informationen aus dem Inter-          ten sich, dass Ärztinnen und Ärzte künstliche
net, Gesundheits-Apps, Videosprechstunde, die         Intelligenz in ihre Entscheidungen einbeziehen
elektronische Patientenakte und künstliche            würden.
Intelligenz in der Medizin.
Um Bedürfnisse, Motive und Handlungsmuster aus        Niemals sicher
der Patienten- bzw. Versichertenperspektive zu er-    Getrübt wurde der Optimismus von kritischen
schließen, wurden Fokusgruppen in Hamburg,            Stimmen, deren größte Sorge sich auf die Sicher-
Münster, Stuttgart und Leipzig durchgeführt. Die      heit und den Schutz personenbezogener Ge-
Gruppendiskussionen wurden mittels eines Leitfa-      sundheitsdaten richtete. Derartige Bedenken
dens im Sinne eines teilstandardisierten Interviews   lagen wie ein ‚Damokles-Schwert’ über den unter-
strukturiert, aufgezeichnet, transkribiert und mit-   schiedlichen Themengebieten. Im Spannungsfeld
tels einer deskriptiv-reduktiven Inhaltsanalyse       zwischen den Potentialen digitaler Technologien
ausgewertet.                                          und einer möglichen Gefährdung der informatio-
                                                      nellen Selbstbestimmung entwickelten sich ange-
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden
                                                      regte Diskussionen, deren Ambivalenz auch im Ge-
über Testpersonen-Panel regionaler Marktfor-
                                                      sprächsverlauf nicht aufzulösen war.
schungsinstitute rekrutiert und unterschieden sich
in zentralen Merkmalen wie Alter, Wohnort,
Geschlecht, aber auch in Hinblick auf das Vorliegen
                                                      ‚Dr. Google’ hat das
einer chronischen Erkrankung. Alle hatten schon       letzte Wort
mindestens ein Mal nach gesundheitsrelevanten         In Bezug auf die Informationsrecherche im Netz
Informationen im Internet gesucht.                    stützen die Beiträge aus den Fokusgruppen die Hy-
                                                      pothese, dass Patientinnen und Patienten auf der
Digitalisierung willkommen                            Basis von Gesundheitsinformationen aus dem Netz
Die Beiträge aus den diesjährigen Gruppendiskus-      auch Therapien abbrechen oder verordnete Arz-
sionen machen deutlich, dass die Digitalisierung      neimittel nicht einnehmen. Trifft diese Hypo-
bei den Patientinnen und Patienten angekommen         these zu, bleibt das Arzt-Patienten-Verhältnis von
ist. ‚Dr. Google’ ist weit verbreitete Realität und   den Informationen aus dem Netz keinesfalls unbe-
auch mobile Gesundheitsanwendungen sind viel-         rührt. Nichtsdestotrotz wurde in den Fokusgruppen
fach im Einsatz. Patientinnen und Patienten rüs-      immer wieder betont, dass Gesundheitsinformati-
ten sich mit Informationen auf, vermessen sich        onen aus dem Netz das Vertrauensverhältnis eher
selbst, überprüfen, kontrollieren und hinter-         stärken, da sie eine Rückversicherung ermöglich-
fragen.                                               ten.

Insgesamt zeigten sich die Teilnehmerinnen und        Bei der Bewertung von Gesundheitsinformationen
Teilnehmer gegenüber der Digitalisierung im Ge-       zeigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
sundheitswesen sehr aufgeschlossen: Sie nutzten       der Fokusgruppen eher selbstbewusst und trauten
das Internet regelmäßig für Gesundheitsfragen,        sich meist zu, die Qualität dieser Informationen
wünschten sich Gesundheits-Apps auf Rezept,           einzuordnen. Auf die Frage nach den dahinterlie-
                                                      genden Bewertungsstrategien spielten Studien

       	
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Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie
	
  
und die methodische Güte der Informationen             tungsübergreifender Informationsaustausch kei-
jedoch keine Rolle. Stattdessen reichten eine          nesfalls immer erwünscht ist. So dürfte die Akzep-
ärztliche Qualifikation des Herausgebers, eine be-     tanz digitaler Anwendungen nicht zuletzt auch von
kannte Marke oder der Abgleich mehrerer Quellen,       dem Ausmaß abhängen, in dem Patientinnen und
um das Vertrauen zu gewinnen. Die Pläne für ein        Patienten die Prozesse, Inhalte und den Zugang
Nationales Gesundheitsportal wurden in diesem          zu diesen Inhalten beeinflussen und kontrol-
Zusammenhang sehr begrüßt.                             lieren können.

Digitale Interaktion                                   Verlust menschlicher Zuwendung
mit dem Arzt                                           Bei aller Offenheit und auch Begeisterung, die die
Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fokus-        Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fokusgrup-
gruppen glaubten, dass es der behandelnden Ärz-        pen für das Thema Digitalisierung mitbrachten,
tin oder dem Arzt nicht recht ist, wenn Patientin-     waren die Diskussionen auch von vielen Ängsten
nen und Patienten sich im Netz informieren oder        und der Befürchtung geprägt, digitale Technolo-
Gesundheits-Apps nutzen. Gleichzeitig äußerten         gien könnten den Zugang zu menschlicher Zu-
sie aber den Wunsch, digitale Informationen            wendung erschweren und den Menschen lang-
und Anwendungen in die Arzt-Patienten-                 fristig verdrängen. Hier bestand in allen vier
Interaktion stärker einzubinden: So wünschten          Gruppen Einigkeit darüber, dass Mensch und
sie sich von ihren Ärztinnen und Ärzten zum Bei-       Maschine als Team zusammenarbeiten sollten, ein
spiel Empfehlungen qualitätsgeprüfter Websites         Computer aber niemals allein die Regie überneh-
und Gesundheits-Apps.                                  men darf.

Viele konnten sich auch vorstellen, die auf dem        Ärztinnen und Ärzte spielten in den Beiträgen eine
Smartphone gesammelten Gesundheitsdaten mit            wichtige Rolle als Bewertungsinstanz, die nach
ihrer Ärztin oder ihrem Arzt zu teilen und auf diese   Möglichkeit auch in Zukunft die Verantwortung
Weise professionell bewerten zu lassen. In diesem      für die medizinische Behandlung tragen sollte. So
Zusammenhang war es vielen Teilnehmerinnen             wandten sich viele Teilnehmerinnen und Teilneh-
und Teilnehmern sehr wichtig, dass Ärztinnen und       mer gegen eine mögliche Automatisierung ärztli-
Ärzte sich mit digitalen Anwendungen und Infor-        cher Tätigkeiten, gegen computergestützte Diagno-
mationsangeboten vertraut machen und auf ver-          sen auf dem Smartphone und gegen eine Verlage-
lässliche Qualitätsinformationen zurückgreifen         rung der Gesundheitsversorgung in den privatwirt-
können.                                                schaftlichen IT-Sektor.
                                                       Viele Diskussionen über die fortschreitende Digitali-
Wer hat die Macht?                                     sierung mündeten in engagierte Plädoyers für
Die insgesamt hohe Akzeptanz gegenüber digitalen       den Faktor Mensch und eine zuwendungsbezo-
Anwendungen traf in den Gruppendiskussionen            gene Medizin. Sie machten deutlich, dass ärztli-
immer dann an ihre Grenzen, wenn die Teilneh-          ches Handeln keineswegs nur aus Diagnostik sowie
merinnen und Teilnehmer fürchteten, die Kon-           der Auswahl und Durchführung geeigneter Thera-
trolle über Datenflüsse zu verlieren oder in ih-       pien besteht. Stattdessen richteten die Teilnehme-
rer Selbstbestimmung eingeschränkt zu wer-             rinnen und Teilnehmer die Aufmerksamkeit auf
den.                                                   Aspekte wie Empathie, Trost oder die Vermitt-
                                                       lung von Zuversicht:
Vielen war es beispielsweise sehr wichtig, anstelle
einer Videosprechstunde immer auch ein persönli-       "Der persönliche Kontakt ist das A und O. Der Arzt
ches Gespräch von Angesicht zu Angesicht führen        nimmt den Patienten ja auch die Angst. Das schafft
zu können. Die Diskussionen zur elektronischen         keine Maschine. [...] Die streichelt Dir nicht über
Patientenakte sprechen dafür, dass ein einrich-        die Hand und sagt: Das kriegen wir schon hin."

       	
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Inhalt

       01 Zu diesem Bericht                            6

       02 Methodik                                      7

           02.1 Fokusgruppen                            7

           02.2 Inhalte                                 7

           02.3 Auswertung und Ergebnisdokumentation   8

       03 Teilnehmerinnen und Teilnehmer               10

       04 Ergebnisse                                   12

           04.1 Digitale Patienteninformationen        12

            04.1.1 Informationsrecherche               12

            04.1.2 Arzt-Patienten-Beziehung            16

           04.2 Gesundheits-Apps                       21

           04.3 Videosprechstunde                      26

           04.4 Elektronische Patientenakte            31

           04.5 Künstliche Intelligenz                 35

       05 Literatur                                    39

	
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Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie
	
  
01
Zu diesem Bericht
Um die Gesundheitsversorgung patientenorientiert       im Gesundheitswesen: Im Mittelpunkt standen
weiterentwickeln zu können, ist es notwendig, die      dabei weniger die Vor- und Nachteile der unter-
Perspektive der Patientinnen und Patienten zu          schiedlichen Anwendungen als vielmehr die damit
kennen und deren Wünsche, Befürchtungen und            einhergehenden Auswirkungen auf das Arzt-
Erfahrungen zu berücksichtigen. Ergänzend zur          Patienten-Verhältnis.
regelmäßig stattfindenden repräsentativen Versi-
                                                       Die Patientenprojekte GmbH dankt allen Teilneh-
chertenbefragung führt die Kassenärztliche Bun-
                                                       merinnen und Teilnehmern der Fokusgruppen, die
desvereinigung daher schon seit einigen Jahren
                                                       mehrere Stunden ihrer Zeit eingesetzt haben, um
auch qualitative Untersuchungen durch, um die
                                                       ihre Erfahrungen mit der gesundheitlichen Versor-
Sichtweisen und Erfahrungen der Patientinnen
                                                       gung in Deutschland zu teilen. Ihre Schilderungen
und Patienten zu erkunden. Der Bericht ‚Patien-
                                                       leisten einen Beitrag zur Gewinnung neuen Wis-
tenperspektiven 2018’ fasst die Ergebnisse der dies-
                                                       sens und helfen den professionellen Akteuren des
jährigen Untersuchung zusammen.
                                                       Gesundheitssystems, die Versorgung an den Be-
Im Rahmen der qualitativen Untersuchung wurden         dürfnissen der Patientinnen und Patienten auszu-
in vier deutschen Städten Fokusgruppen durchge-        richten.
führt. Inhaltlich ging es dabei um unterschiedliche
Aspekte der Digitalisierung im Gesundheitswesen.
Ziel der Untersuchung war es hierzu, Erfahrungen,
Einstellungen, Befürchtungen und Argumente von            HINWEIS
(potenziellen) Nutzerinnen und Nutzern der ge-
                                                          Bezüglich der hier vorgestellten qualitativen
sundheitlichen Versorgung zu sammeln und zu
                                                          Aussagen und Befunde wird keine Reprä-
analysieren. Nach einer Beschreibung der metho-
                                                          sentativität für die Bevölkerung in Deutsch-
dischen Vorgehensweise und des Teilnehmerkreises
                                                          land beansprucht. Ziel qualitativer Untersu-
werden die Ergebnisse im vorliegenden Bericht dif-
                                                          chungen ist nicht die Generierung bevölke-
ferenziert vorgestellt.
                                                          rungsrepräsentativer Aussagen, sondern die
Schon zum dritten Mal in Folge hat die Kassenärzt-        Gewinnung von Informationen zur Ablei-
liche Bundesvereinigung die Patientenprojekte             tung explorativer Hypothesen, Erklärungs-
GmbH mit der Durchführung der qualitativen Stu-           muster und Interpretationsansätze. Um Ar-
die beauftragt, so dass das Berichtswesen schon           gumentationslinien, Meinungsbilder und
bereits auf eine kleine Tradition zurückblickt (vgl.      Einstellungen möglichst umfassend und
Schmidt-Kaehler 2016, Schmidt-Kaehler 2017). In           vollständig beschreiben zu können, werden
diesem Jahr wurden einige Anpassungen vorge-              auch die Positionen und Ansichten einzel-
nommen, etwa bei der Visualisierung der Aussagen          ner Teilnehmerinnen und Teilnehmer be-
und Argumente.                                            rücksichtigt.
Im Unterschied zu den Berichten der Vorjahre setzt
der diesjährige Bericht ‚Patientenperspektiven
2018’ außerdem einen thematischen Schwerpunkt
und konzentriert sich ganz auf die Digitalisierung

       	
                                                                                                 6
	
  
	
  
Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie
	
  
02
Methodik
02.1                                                   Die Moderation der jeweils achtköpfigen Gruppen
                                                       erfolgte in allen Fällen durch eine Moderatorin und
Fokusgruppen                                           einen Co-Moderator. Ihre Aufgabe war es, das Ge-
                                                       spräch mittels Moderations- und Gesprächsfüh-
Um mittels qualitativer Verfahren vertiefende In-      rungstechnik auf ein vorgegebenes Thema zu
formationen zu ausgewählten Themenkomplexen            fokussieren und auf die (individuellen) Erfahrun-
zu ermitteln, wurden für diese Studie Fokusgrup-       gen und Sichtweisen der Teilnehmerinnen und
pen (Stewart & Shamdasani 1990, Bortz & Döring         Teilnehmer zu richten. Die dabei zur Anwendung
2005) eingesetzt. Diese Methode eignet sich gut,       kommende Methodik folgte den für Fokusgruppen
um Erfahrungen und Bedürfnisse, Motive, Einstel-       typischen Regeln nach Flick (2006) und Bohnsack
lungen und Handlungsmuster von (potenziellen)          (2005), das heißt, die Teilnehmerinnen und Teil-
Nutzerinnen und Nutzern der gesundheitlichen           nehmer wurden gebeten, ihre Sichtweisen und
Versorgung zu erschließen.                             Erfahrungen zu den vorgegebenen Themenberei-
                                                       chen darzulegen und miteinander zu diskutieren.
Die gegenseitige Stimulation von Antworten durch
die Teilnehmenden weckt Erinnerungen und pro-          Die jeweils 90-minütigen Fokusgruppen wurden
duziert unterschiedliche Sichtweisen auf ein           mit Einverständnis aller Teilnehmerinnen und Teil-
Thema. Zudem erweitert sich im kommunikativen          nehmer auf Video aufgezeichnet und anschließend
Austausch der Reflexionsrahmen, so dass sich im        transkribiert.
Ergebnis ein breites Meinungsspektrum herausar-
beiten lässt.

Anders als bei quantitativen Verfahren lassen sich     02.2
auf diesem Wege keine für die Bevölkerung bzw.
die Patientinnen und Patienten in Deutschland re-
                                                       Inhalte
präsentativen Aussagen ableiten. Stattdessen
                                                       Die Inhalte der Gruppendiskussionen orientierten
schafft der offene Charakter der Fokusgruppe aber
                                                       sich an einem einheitlichen Gesprächsleitfaden mit
Transparenz über die Gedanken- und Erlebniswelt
                                                       vorgegebenen Themen. Innerhalb dieser Themen-
der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und erlaubt
                                                       blöcke hatten die Moderatoren die Möglichkeit,
die Ableitung explorativer Hypothesen, Erklärungs-
                                                       den Diskussionsverlauf flexibel zu gestalten. Die
muster und Interpretationsansätze. Die Untersu-
                                                       Festlegung der Themen erfolgte im Vorfeld der Teil-
chung ist somit als komplementäres Element der in
                                                       nehmerrekrutierung in Abstimmung mit der Kas-
diesem Jahr durchgeführten, quantitativen Versi-
                                                       senärztlichen Bundesvereinigung.
chertenbefragung zu verstehen.
                                                       Konkret wurden fünf Themenblöcke vorgegeben,
Die Durchführung der insgesamt vier Fokusgruppen
                                                       die unterschiedliche Bereiche der Digitalisierung im
erfolgte im Mai 2018 in den Städten Hamburg,
                                                       Gesundheitswesen betreffen:
Münster, Leipzig und Stuttgart. Insgesamt beteilig-
ten sich 32 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an              •     Digitale Patienteninformationen
den Diskussionen, die mittels eines Leitfadens im          •     Gesundheits-Apps
Sinne eines teilstandardisierten Interviews struktu-       •     Videosprechstunde
riert wurden.                                              •     Elektronische Patientenakte
                                                           •     Künstliche Intelligenz

       	
                                                                                                 7
	
  
	
  
Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie
	
  
Jede Fokusgruppe begann mit der Begrüßung der         und kodiert. Dabei kam eine Kombination aus in-
Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie mit einer        duktiver und deduktiver Kodierung zum Einsatz.
Einführung in den organisatorischen Rahmen und        Das Ergebnis wurde im nächsten Schritt anhand
den Hintergrund der Untersuchung. Nach einer          sogenannter Diskussionskarten visualisiert.
Aufklärung über Datenschutz und Videoaufzeich-
                                                      Vorbild für die Visualisierung bildete die aus dem
nung wurden Diskussionsregeln vorgestellt, die
                                                      angelsächsischen Bildungssystem entliehene
sich vor allem auf einen vertraulichen und res-
                                                      Methode des ‚Argument Mapping’ (Harrel 2010) zur
pektvollen Umgang der Gruppenmitglieder unter-
                                                      grafischen Abbildung von Debatten und Offenle-
einander bezogen. Zum Einstieg wurden alle gebe-
                                                      gung von Argumentationslinien. Die geäußerten
ten, Anwendungsbeispiele zur Internetnutzung im
                                                      Argumente werden dabei ähnlich den Hierarchien
Kontext der eigenen Gesundheit zu beschreiben.
                                                      eines Organigramms mit farbigen Kästen und Ver-
Im Anschluss wurden die einzelnen Themenblöcke
                                                      bindungslinien grafisch dargestellt.
diskutiert.
                                                      Wie in Abbildung 1 auf der folgenden Seite illus-
                                                      triert, bildet jeweils ein Thema bzw. eine Kategorie
                                                      (schwarz) den Kern jeder Diskussionskarte. Jede
02.3                                                  einzelne Kategorie der Gruppendiskussionen
Auswertung und                                        wurde in alphabetischer Reihenfolge mit einem
                                                      Buchstaben (A-Z) kodiert. Jeder Kategorie wurden
Ergebnisdokumentation                                 dann die von den Teilnehmerinnen und Teilneh-
                                                      mern getroffenen Aussagen zugeordnet, die wie-
Die vier Fokusgruppen wurden auf Basis der Video-     derum einen Code erhielten, der sich aus dem
aufzeichnungen vollständig transkribiert. Dabei       Buchstaben der Kategorie und der laufenden
kam das vereinfachte Transkriptionssystem nach        Nummerierung der Aussage zusammensetzt (X.1,
Dresing und Pehl (2013) zur Anwendung. Um ho-         X.2, X.3).
hen Ansprüchen an Datenschutz und Datenspar-
samkeit gerecht zu werden, wurden die Videoauf-       Neben den eigentlichen Aussagen (1. Ordnung)
nahmen im Anschluss an die Transkription ge-          wurden von den Teilnehmerinnen und Teilneh-
löscht. Die Auswertung der pseudonymisierten          mern weitere Aspekte ins Feld geführt, die auf die
Transkripte erfolgte anschließend gemäß der the-      ursprünglich vorgetragene Aussage Bezug nehmen.
menspezifischen Analyse nach Krueger und Casey        Diese Argumente und Aussagen der 2. Ordnung
(2009). Die hierzu erstellte, deskriptiv-reduktive    wurden den Hauptaussagen wie in einem Organi-
Inhaltsanalyse reduziert die Fülle des Datenmateri-   gramm nachgeordnet und entsprechend durch-
als und führt so zum Informationsgewinn.              nummeriert (X.1.1, X.1.2, X.1.3). Zum Teil wurden
                                                      auch Argumente der 3. Ordnung identifiziert und
Im Rahmen der Analyse wurden die geäußerten           entsprechend kodiert (X.1.1.1).
Positionen, Argumente und Meinungen systema-
tisch herausgearbeitet, verdichtet und miteinander    Mittels dieses Verfahrens wurde jedes Argument
in Beziehung gesetzt. Im Interesse einer möglichst    mit einem Code versehen, über den es sich später
multiperspektivischen Analyse wurde die vom Co-       eindeutig identifizieren lässt. Der Code gibt außer-
Moderator durchgeführte Auswertung in einem           dem Aufschluss zur Einordnung des Arguments in-
Review-Verfahren durch eine weitere Person über-      nerhalb einer Argumentationslinie und gibt an, auf
prüft.                                                welches Thema sich ein Argument bezieht. Mit den
                                                      Diskussionskarten entsteht zudem ein visuelles Ab-
Im Rahmen der Analyse wurden insgesamt 81 Aus-        bild von Inhalt und Struktur der Gruppendiskussi-
sagen, Argumente und Positionen identifiziert. Sie    onen.
wurden den Themenblöcken inhaltlich zugeord-
net, in ein hierarchisches Ordnungssystem gebracht
	
  
       	
                                                                                               8
	
  
	
  
Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie
	
  
Abbildung 1: Schematische Darstellung einer Diskussionskarte

Um den Informationsgehalt der Diskussionskarten
noch zu steigern, wurden die von den Teilnehme-                ZUR INTERPRETATION DER
rinnen und Teilnehmern getroffenen Aussagen                    DISKUSSIONSKARTEN
durch den Autor inhaltlich qualifiziert, unter-
                                                               Die Diskussionskarten dienen der Illustra-
schiedlichen Typen zugeordnet und farblich ge-
                                                               tion und Visualisierung von Argumentati-
kennzeichnet:
                                                               onssträngen zu einem Thema. Sie schaffen
              Zustimmung, Wertschätzung, posi-                 einen schnellen Überblick über die Inhalte
              tive Aussagen (grün)                             und die im Diskussionsverlauf vorgebrach-
                                                               ten Argumente.

              Ablehnung, Widerspruch, negative                 Im Interesse einer möglichst breiten Abbil-
              Aussage (rot)                                    dung der unterschiedlichen Positionen und
                                                               Einstellungen finden auch die Positionen
                                                               kleiner Gruppen Berücksichtigung in den
              Bedingung, Forderung, wichtiger
                                                               Diskussionskarten. Die Anzahl von Argu-
              Hinweis (gelb)
                                                               menten für oder gegen ein Thema lässt da-
                                                               her keine Rückschlüsse auf die Mehrheits-
              Information, Auskunft, neutrale                  verhältnisse innerhalb der Fokusgruppen
              Aussage (blau)                                   zu.

       	
                                                                                                    9
	
  
	
  
Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie

03
Teilnehmerinnen und Teilnehmer
Um möglichst viele unterschiedliche Meinungen            wohnten nur 16 der insgesamt 32 Gesprächsteil-
und Einstellungen ermitteln zu können, wurden            nehmerinnen und -teilnehmer in einer dieser
die Diskussionsgruppen mittels ‚deviant sampling’        Städte, während die andere Hälfte aus einer länd-
zusammengestellt: Die Teilnehmerinnen und Teil-          lichen Region bzw. einem Wohnort mit weniger als
nehmer sollten sich in zentralen Merkmalen wie           25.000 Einwohnern stammte.
Alter, Wohnort, Geschlecht, aber auch in Hinblick
                                                         Das Durchschnittsalter der Teilnehmerinnen und
auf das Vorliegen einer chronischen Erkrankung
                                                         Teilnehmer betrug 46,5 Jahre und rangierte zwi-
unterscheiden. Dabei wurde berücksichtigt, dass
                                                         schen 23 und 67 Jahren (Median 48). Auch in Bezug
Erfahrungen und Bedürfnisse in Abhängigkeit von
                                                         auf die Geschlechterverteilung war das Verhältnis
diesen Merkmalen stark variieren können.
                                                         aus Männern (16) und Frauen (16) ausgeglichen.
Auf dem Wege vorab definierter Unterscheidungs-          Gleiches gilt für das Vorliegen einer chronischen
kriterien konnten durch die so herbeigeführte He-        Erkrankung. Hier berichteten 16 der insgesamt 32
terogenität der Gruppen Meinungsbilder breit er-         Teilnehmerinnen und Teilnehmer von einer sol-
fasst werden. Die Diskussionsteilnehmerinnen und         chen Diagnose.
-teilnehmer wurden über Testpersonen-Panels re-
gionaler Marktforschungsinstitute rekrutiert. Die        Sozialstatus
vorgelagerte Abfrage zentraler Hintergrundvariab-
                                                         22 Diskussionsteilnehmerinnen und –teilnehmer
len ermöglichte dabei die gezielte Zusammenstel-
                                                         waren teilweise oder voll erwerbstätig, eine Person
lung der Gruppen nach vorgegebenen Merkmalen
                                                         war im Haushalt tätig, drei waren Schüler oder
(vgl. Abb. 2 auf der folgenden Seite).
                                                         Studenten, weitere zwei waren arbeitslos bzw.
Namen und Kontaktdaten verblieben beim Testla-           arbeitssuchend und vier bezogen eine Rente.
bor und wurden dem Studienteam im Interesse des
                                                         14 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten Abitur,
Datenschutzes nicht bekannt gegeben. Um einer
                                                         zwölf hatten mittlere Reife oder einen vergleichba-
spezifischen Selbstselektion entgegenzuwirken,
                                                         ren Schulabschluss. Fünf hatten einen Hauptschul-
wurden die Mitglieder der Diskussionsgruppen
                                                         oder Volksschulabschluss und eine Teilnehmerin
über das Gesprächsthema vorab nicht informiert.
                                                         hatte keinen Schulabschluss. Vier Teilnehmerinnen
Über die regionalen Testinstitute erhielten alle Teil-
                                                         und Teilnehmer waren privat krankenversichert,
nehmerinnen und Teilnehmer eine Aufwandsent-
                                                         die übrigen 28 waren Mitglied der Gesetzlichen
schädigung in Höhe von 45 Euro (Stadt) bzw. 65
                                                         Krankenversicherung.
Euro (Land).

Alter und Wohnort                                        Internetnutzung
Eine ausgewogene Zusammenstellung in Hinblick            Im Unterschied zu den qualitativen Untersuchun-
auf Geschlecht, Alter, Wohnort (Stadt vs. Land) und      gen der Vorjahre wurde angesichts des diesjährigen
Gesundheitsstatus wurde in allen vier Gruppen            Themenschwerpunkts die Internetnutzung als Teil-
sichergestellt. Aus Datenschutzgründen werden            nahmekriterium vorgegeben. Alle Teilnehmerinnen
hier jedoch nur die aggregierten Daten genannt:          und Teilnehmer hatten zuvor schon einmal im
Die Gruppendiskussionen wurden in Hamburg,               Internet nach Gesundheitsinformationen gesucht
Münster, Leipzig und Stuttgart durchgeführt. Dabei       oder nutzten eine Gesundheits-App auf dem
                                                         Smartphone.

	
                                                                                                       10
Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie

Abbildung 2: Beschreibung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fokusgruppen

	
                                                                              11
Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie
	
  
04
Ergebnisse
04.1                                                 Neben der klassischen Information über Erkran-
                                                     kungen und Behandlungsmethoden spielten bei
Digitale                                             vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch
                                                     Arzt- und Klinikbewertungsportale eine wichtige
Patienteninformationen                               Rolle. Aber auch Arzneimittelinformationen oder
                                                     digitale Angebote der Krankenkassen wurden häu-
Den thematischen Einstieg in die Gruppendiskussi-
                                                     fig erwähnt.
onen bildete die klassische Recherche nach ge-
sundheitsrelevanten Informationen im Inter-
net. Einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stif-
tung zufolge, informiert sich die Hälfte der deut-   04.1.1
schen Onliner mindestens einmal im Monat über        Informationsrecherche
Gesundheitsthemen im Netz (Haschke et al. 2018).
Auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fo-      Eine kleinere Gruppe der Gesprächspartner zeigte
kusgruppen nutzten die Angebote von ‚Dr. Google      sich über den grenzenlosen Informationszugang
& Co.’, um sich unter anderem über Symptome,         eher besorgt als erfreut. Sie beschrieben, dass sie
Therapien und Versorgungsstrukturen der gesund-      zwar regelmäßig im Internet nach gesundheitsre-
heitlichen Versorgung, aber auch über einen ge-      levanten Informationen suchten, im Ergebnis aber
sunden Lebensstil zu informieren.                    häufig verunsichert seien (A.2.2):

                                                     "Man weiß ja immer nicht, ob das so alles stimmt,
                                                     was da im Internet steht. Da bin ich dann immer
                                                     verunsichert. Das war ich früher nicht."
       Leitfragen zu diesem Thema
                                                     "Wenn man dann bei Google sucht, hat man am
       •      Wie finden Sie die passende Infor-     Ende ja immer alles Mögliche. Das bringt Unruhe
              mation und woran merken Sie, dass      in die Beziehung zu meinem Arzt."
              Sie einer Information aus dem Netz     Eine größere Gruppe schien sich zwar bewusst zu
              vertrauen können?                      sein, dass Informationen aus dem Netz nicht im-
                                                     mer seriös und vertrauenswürdig sein müssen
       •      Verändern Gesundheitsinformatio-
                                                     (A.2), traute sich aber zu, diese zu identifizieren
              nen aus dem Internet das Arzt-
                                                     und sich eine eigene Meinung zu bilden (A.2.1).
              Patienten-Verhältnis?
                                                     "Ich nutze das Internet sehr oft - wohlwissend,
       •      Wünschen Sie sich Unterstützung
                                                     dass man da auch auf unterschiedliche Meinun-
              von Ihrem Arzt bei der Suche nach
                                                     gen trifft. Aber ich nutze die Informationen für
              Gesundheitsinformationen?
                                                     meine persönliche Meinungsbildung. Und wenn
       •   Wie denken Sie über ein nationales        ich drei Ärzte frage, kriege ich ja auch drei unter-
              Gesundheitsportal?                     schiedliche Meinungen."

       	
                                                                                                   12
Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie
	
  
Bewertungsstrategien                                   Stattdessen bildete der inhaltliche Abgleich meh-
                                                       rerer Quellen neben der Bewertung der Informati-
Vor dem Hintergrund der möglichen Tragweite fal-
                                                       onsanbieter die offenbar dominierende Strategie
scher oder irreführender Gesundheitsinformatio-
                                                       zur Prüfung der Informationsqualität (A.2.1.3):
nen brachten die Moderatoren die große Flut ver-
fügbarer Angebote zur Sprache und fragten die          "Also ich gebe das bei Google ein und dann lese
Teilnehmerinnen und Teilnehmer, in welchem Fall        ich mir die verschiedensten Seiten durch. Man liest
sie eine Information denn als vertrauenswürdig         sich in das Thema ein und sucht weiter und weiter.
einstufen würden. Diese zeigten sich wiederum          Und so ergibt sich dann ein Gesamtbild, auf das
eher selbstsicher und beschrieben eine Reihe von       man sich verlassen kann."
Strategien, um die Qualität der angebotenen
Informationen zu überprüfen (vgl. auch                 Konsequenzen
Schmidt-Kaehler 2017). Ein wichtiger Faktor war        Im Gesprächsverlauf zeigte sich, dass Informatio-
dabei die medizinische Qualifikation der Autoren       nen aus dem Internet das Gesundheitsverhalten
und Herausgeber (A.2.1.1).                             aber auch die Therapietreue sowie die Inan-
„Die Seiten müssen schon von Fachärzten geschrie-      spruchnahme der ärztlichen Versorgung durch-
ben werden, das ist ganz wichtig. Sonst kann da        aus beeinflussen können. So räumten mehrere
ja jeder was behaupten. Ärzteorganisationen oder       Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein, schon ein-
Krankenhäuser sind meistens verlässlich.“              mal eine Therapie abgebrochen oder ein verordne-
                                                       tes Medikament nicht eingenommen zu haben,
Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer nannten
                                                       nachdem sie sich im Internet informiert hatten
darüber hinaus den Bekanntheitsgrad der Infor-
                                                       (A.1):
mationsanbieter als wichtigen Faktor bei der Be-
wertung der Informationsqualität (A.2.1.2). ‚Net-      "Mein Arzt hat mal gesagt, dass ich am Auge ope-
doktor’, die ‚Apotheken Umschau’ und ‚Wikipedia’       riert werden müsste. Da habe ich dann im Internet
wurden dabei besonders häufig erwähnt:                 noch mal nachgelesen, was das eigentlich bringt
                                                       und was alles schiefgehen kann. Da habe ich mir
"Mit Netdoktor habe ich auch schon sehr gute Er-
                                                       dann einfach keinen OP-Termin geholt."
fahrungen gemacht. Also es sollten schon be-
kannte Namen sein, die dahinterstehen."                "Bei meiner Mutter wurden Depressionen diagnos-
                                                       tiziert und dann hat sie Psychopharmaka bekom-
"Ich vertraue der Apothekenumschau. Die hole ich
                                                       men. Und dann hat sie sich im Internet über die
mir auch regelmäßig aus der Apotheke. Das ist
                                                       Nebenwirkungen informiert und hat die Tabletten
auch einfach und verständlich erklärt und nicht so
                                                       am Ende nicht genommen, weil es ihr einfach zu
ein Medizinerdeutsch."
                                                       riskant war.“
"Wikipedia ist ja wohl der seriöseste Anbieter, weil
                                                       Auf Nachfrage der Moderatoren führten die Teil-
sich die Leute, die was schreiben, gegenseitig kon-
                                                       nehmerinnen und Teilnehmer meist aus, dass sie
trollieren. Außerdem gibt es da keine Werbung,
                                                       ihren Arzt über diese Entscheidungen nicht infor-
das ist für mich das Entscheidende."
                                                       miert und ihre Internetrecherchen verschwiegen
In Einzelfällen wurden auch Behörden und öffent-       hätten.
liche Einrichtungen als seriöse Quelle genannt.
Auffällig war jedoch, dass die Absicherung der In-
formationen durch wissenschaftliche Studien und
empirische Evidenz in keiner der vier Diskussi-
onsgruppen als Qualitätskriterium überhaupt
erwähnt wurden. So spielte die methodische Güte
des angebotenen Wissens praktisch keine Rolle.

       	
                                                                                                  13
Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie
	
  
Abbildung 3: Diskussionskarte zur Informationsrecherche im Internet (A)

       	
                                                                 14
Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie
	
  
Nationales Gesundheitsportal                           „Das ist an sich eine schöne Idee. Ich werde aber
                                                       immer misstrauisch, wenn Regierungen Informati-
Trotz der beschriebenen Strategien zur Bewertung
                                                       onsportale machen. Dahinter steht natürlich auch
gesundheitsrelevanter Informationen räumten die
                                                       immer die Absicht, zu steuern.“
Teilnehmerinnen und Teilnehmer immer wieder
auch ein, dass sie die Fülle der verfügbaren In-       „Irgendwie stellt sich mir die Frage: Woraus ergibt
formationsangebote vor Probleme stellt.                sich die Notwendigkeit für ein solches Portal? Das
                                                       kommt ja vom Gesundheitsministerium. Die den-
"Wenn ich bei Google suche, dann lande ich am
                                                       ken sich ja was dabei. Ob es ihnen darum geht,
Ende immer in den Foren und man hat alles Mög-
                                                       den Patienten was Gutes zu tun – das weiß ich
liche. Da kommt man irgendwie auf keinen grü-
                                                       nicht. Vielleicht wollen die damit auch dem Ärzte-
nen Zweig.“
                                                       mangel auf dem Land vorbeugen.“
In diesem Zusammenhang lenkten die Moderato-
                                                       Einzelne Kritiker gingen noch einen Schritt weiter
ren das Thema auf die aktuellen Pläne des Bun-
                                                       und vermuteten die Lobby der Pharmaindustrie
desministeriums für Gesundheit zur Schaffung ei-
                                                       hinter den Plänen für ein nationales Gesundheits-
nes nationalen Gesundheitsportals. Die Teilneh-
                                                       portal (A.3.5):
merinnen und Teilnehmer wurden im Diskussions-
verlauf informiert, dass vertrauenswürdige Ange-       "Das Gesundheitsministerium und die Lobby der
bote in einem Gesundheitsportal zusammenge-            Pharmaindustrie sind doch eng verbandelt. Die
führt werden sollen, um so den Zugang zu quali-        Regierung lässt sich ja gerne von Beratern beraten
tätsgeprüften, aktuellen Gesundheitsinformatio-        und die kommen dann oft von der Pharma. Also
nen zu erleichtern. Die Mehrheit begrüßte diese        wenn, dann müsste so ein Portal von einer neut-
Idee und sprach sich für die Schaffung eines           ralen Stelle kommen."
solchen Portals aus (A.3, A.3.1).                      Auf die Rückfrage der Moderatoren, welche neut-
„Also das wäre wirklich gut. Dann wüsste man,          rale Instanz hierfür infrage käme, wussten die
dass alles fundiert ist. Und wenn das vom Gesund-      meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer keine
heitsministerium ist, würde ich dem schon mehr         Antwort (A.3.5.1). Einig waren sie sich lediglich da-
vertrauen.“                                            hingehend, dass die Pharmaindustrie keinen Ein-
                                                       fluss auf das Portal haben dürfe.
Einzelne Stimmen beteuerten sogar, dass sie ein
nationales Gesundheitsportal an die erste Stelle ei-   "Nicht, dass da irgendwelche Pharma-Lobbyisten
ner Internetrecherche setzen würden (A.3.2).           dahinterstehen. Ich wüste nicht mal, wem man
                                                       heutzutage noch trauen kann."
„Also das ist ja viel sicherer, wenn man da jetzt
was von einer Behörde bekommt, als wenn man            Vorgeschlagen wurde auch das Modell einer ge-
bei Google irgendwas sucht. Wenn es sowas gäbe,        genseitigen Kontrolle von Ärzten, Krankenhäusern
dann würde ich mir Google schenken und gleich          und Kostenträgern (A.3.5.2).
direkt dort einsteigen.“                               "Grundsätzlich finde ich es auch immer gut, wenn
                                                       mehrere Parteien dahinterstehen, die dann disku-
Misstrauen                                             tieren, was wirklich richtig ist."
Nichtsdestotrotz meldete sich in allen vier Grup-      Schließlich sprachen sich Einzelne für die Verortung
pendiskussionen eine Fraktion von Skeptikern zu        eines nationalen Gesundheitsportals bei Verbrau-
Wort, die auch die übrigen Teilnehmerinnen und         cherschutzorganisationen aus (A.3.5.3).
Teilnehmer nachdenklich stimmte. Die Skeptiker
hinterfragten die Zielsetzung und Absicht der          "Ich wäre für eine Stiftung Warentest. Eine Institu-
Bundesregierung zur Schaffung eines solchen            tion, die von niemandem Geld kriegt außer vom
Portals (A.3.3) und brachten diese meist mit dem       Staat."
einsetzenden Ärztemangel im ländlichen Raum in
Verbindung (A.3.4).

       	
                                                                                                 15
Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie
	
  
       FAZIT | Informationsrecherche                     04.1.2
       Die Aussagen der Teilnehmerinnen und Teil-        Arzt-Patienten-Beziehung
       nehmer verdeutlichen, dass Gesundheitsin-
       formationen aus dem Internet für sie eine sehr    Im weiteren Gesprächsverlauf ging es um die
       wichtige Rolle spielen. Dies kann so weit ge-     Frage, inwiefern sich die Informationen aus dem
       hen, dass Patientinnen und Patienten „Dr.         Netz auch auf die Arzt-Patienten-Beziehung aus-
       Google“ die letzte Entscheidung treffen lassen.   wirken könnten. Den Einstieg bildete die Frage der
       Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn sie
                                                         Moderatoren, ob Ärztinnen und Ärzte bei der Aus-
       auf Basis von Rechercheergebnissen ein Medi-
                                                         wahl und Bewertung von Informationsquellen aus
       kament nicht einnehmen oder eine Therapie
       abbrechen – ohne die Ärztin oder den Arzt zu      dem Netz eine Rolle spielen könnten. Viele Teil-
       informieren.                                      nehmerinnen und Teilnehmer konnten sich zu-
                                                         nächst nicht vorstellen, wie ihr Arzt sie bei der In-
       Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer schie-
       nen sich zwar bewusst zu sein, dass Informa-      formationsrecherche im Netz unterstützen sollte:
       tionen aus dem Netz nicht immer seriös und        "Ich weiß nicht, ob das nicht ein bisschen zu viel
       vertrauenswürdig sind. Sie trauten sich aber
                                                         verlangt ist, dass sich der Arzt damit auch noch
       häufig zu, die Informationsqualität einschät-
       zen zu können und machten dies vor allem an       beschäftigt."
       der ärztlichen Qualifikation der Autoren, dem     Auf konkrete Nachfrage der Moderatoren bekräfti-
       Bekanntheitsgrad des Informationsanbieters
                                                         gen jedoch fast alle Teilnehmerinnen und Teilneh-
       und der Übereinstimmung unterschiedlicher
                                                         mer, dass sie sich eine Empfehlung seriöser
       Informationsquellen fest. Die Fundierung der
       Informationen durch wissenschaftliche Stu-        Informationsquellen durch ihre Ärztin oder ih-
       dien wurde in den Diskussionsgruppen nicht        ren Arzt wünschten (B.1).
       erwähnt.
                                                         "Wenn der Arzt jetzt sagen würde: Gehen Sie doch
       Die große Mehrheit der Teilnehmerinnen und        mal auf die und die Seite. Da können sie das alles
       Teilnehmer brachte zum Ausdruck, dass sie die     noch mal nachlesen. Also das fände ich toll. Dann
       Schaffung eines nationalen Gesundheitspor-
                                                         könnte ich die vielen Informationen schon mal ein
       tals begrüßen würde. Nichtsdestotrotz hinter-
       fragten Viele die Absicht der Bundesregierung     bisschen eingrenzen und müsste nicht lange bei
       zur Schaffung eines solchen Portals und           Google rumsuchen."
       brachte dies häufig mit dem einsetzenden
                                                         "Die Zeit für die Beratung reicht ja meist nicht, dass
       Ärztemangel im ländlichen Raum in Verbin-
                                                         der Arzt einem wirklich alles erklären kann. Und
       dung. Andere vermuteten die Pharmaindust-
       rie hinter dem Vorhaben.                          dann geht man mit so einem Halbwissen aus dem
                                                         Sprechzimmer und möchte gerne mehr wissen.
       Eine neutrale und unabhängige Verankerung
                                                         Und dann muss man auf eigene Faust im Internet
       eines nationalen Gesundheitsportals wurde in
       den Gruppendiskussionen offensiv eingefor-        suchen. Da wäre es gut, wenn der Arzt einem was
       dert. Für ein nationales Gesundheitsportal er-    empfehlen könnte."
       scheint die diesbezügliche Akzeptanz und das
                                                         Lediglich eine Stimme wandte sich gegen die ärzt-
       entgegengebrachte Vertrauen in der Bevölke-
       rung fundamental. Die Beiträge aus den Fo-        liche Empfehlung vertrauenswürdiger Informati-
       kusgruppen liefern jedoch Hinweise auf eine       onsquellen, weil sie das Recht auf eine ausführli-
       Reihe von Befürchtungen und zugeschriebe-         che persönliche Aufklärung gefährdet sah (B.1.1):
       nen Motiven, die im Rahmen der Bildung ei-
                                                         "Ich bekomme meine Aufklärung lieber vom Arzt
       ner Vertrauensmarke zu berücksichtigen wä-
       ren.                                              persönlich. Und wenn es dann solche Seiten im
                                                         Internet gibt, dann schiebt der Arzt das einfach auf
                                                         den Patienten ab. Das finde ich nicht gut, denn
                                                         das ist Aufgabe des Arztes."

         	
                                                                                                   16
Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie
	
  
Abbildung 4: Diskussionskarte zur Arzt-Patienten-Beziehung im Kontext digitaler Patienteninformationen (B)

Im Unterschied zu dieser kritischen Position wertete             zu kurzer Zeit und viele Sachen fallen einem erst
die große Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teil-                 später ein. Und da wäre es natürlich super, wenn
nehmer elektronische Patienteninformationen je-                  der Arzt einem dann noch mal was empfehlen
doch nicht als Gegenspieler, sondern als wertvolle               würde: Da können Sie das alles noch mal nachle-
Ergänzung zum persönlichen Arzt-Patienten-Ge-                    sen und da können Sie sich Hilfe holen. Sowas
spräch.                                                          habe ich aber leider noch nie erlebt."

"Da wartet man monatelang auf einen Arzttermin                   Auch die anderen Diskussionsteilnehmerinnen und
und dann ist nach 5 Minuten schon wieder alles                   -teilnehmer hatten diese Erfahrung in der Regel
vorbei. Da sind einfach zu viele Informationen in                nicht gemacht und hatten ärztlicherseits noch

       	
                                                                                                        17
Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie
	
  
keine Empfehlungen zu seriösen Informations-          Aussage meines Arztes verlassen, weil ich keine In-
angeboten im Internet erhalten (B.1.2). Nur ein-      formationsquellen hatte. Und jetzt ist es schon so,
zelne Stimmen berichteten Gegenteiliges:              dass ich das, was mein Arzt sagt und macht, im
                                                      Internet kontrolliere."
"Meine Hausärztin sucht manchmal sogar direkt in
der Sprechstunde was für mich raus und druckt mir     Ebendiese Kontrollfunktion in Bezug auf ärztli-
das dann aus. Das hilft mir sehr."                    ches Handeln wurde wiederholt thematisiert
                                                      (B.2.2). Im Falle einer Inkongruenz zwischen ärztli-
Folgt man den Ausführungen der Teilnehmerinnen
                                                      chen Empfehlungen und den im Netz gefundenen
und Teilnehmer, so wären ärztliche Hinweise auf
                                                      Aussagen würden viele Teilnehmerinnen und Teil-
seriöse Quellen im Internet bei den Patientinnen
                                                      nehmer einen anderen Arzt konsultieren:
und Patienten also hochwillkommen. Dabei sollen
die Informationen aus dem Netz das persönliche        "Ich kann den Arzt kontrollieren. Wenn ich da
Aufklärungsgespräch mit dem Arzt aber keinesfalls     zehn Mal dieselbe Information finde und nur mein
ersetzen, sondern vielmehr ergänzen (B.1.3).          Arzt behauptet was Anderes, dann würde ich den
                                                      Arzt wechseln oder mir zumindest eine zweite Mei-
Gut vorbereitet                                       nung holen."

Neben der Nachbereitung eines Arztgesprächs           Die Möglichkeit, ärztliche Empfehlungen oder
spielten digitale Information auch im Vorfeld eines   Handlungen kontrollieren zu können, nahmen die
Arztbesuchs eine wichtige Rolle. Dabei ging es den    meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer keines-
Teilnehmerinnen und Teilnehmern nach eigenen          wegs als Schwächung des Vertrauensverhältnisses
Angaben keineswegs nur um eine virtuelle Diag-        wahr. Im Gegenteil sahen sie das Vertrauen im
nose von ‚Dr. Google’. Durch eine gute Vorberei-      Arzt-Patienten-Verhältnis sogar gestärkt
tung auf den Arztbesuch wollten sie sich stattdes-    (B.2.2.1):
sen auf Augenhöhe mit der Ärztin oder dem
                                                      "Viele Ärzte haben ja den Ruf, schnell zu operieren,
Arzt bringen (B.2.1).
                                                      um Kasse zu machen. Ja und da fühlt man sich
"Wenn ich zum Arzt gehe, habe ich mich vorher         doch verunsichert. Man weiß nicht, ob die Opera-
informiert und weiß schon sehr viel. Und das führt    tion notwendig ist oder ob nicht ein anderer Weg
dann dazu, dass man vielleicht gezielter Fragen       besser wäre. Und in solchen Fällen hilft einem das
stellen kann. Und dann weiß ich auch, wie ich mit     Internet wirklich weiter. Und wenn es da keine
dem Arzt sprechen kann."                              Widersprüche gibt, kann man seinem Arzt auch
                                                      vertrauen."
"Man ist besser vorbereitet. Wenn man sich vorher
ein bisschen eingelesen hat, kann man mit dem         Ein weiterer Aspekt, der im Kontext des Arzt-
Arzt diskutieren. Man muss sich nicht nur was an-     Patienten-Verhältnisses häufig thematisiert wurde,
hören, sondern kann auch was dazu sagen und           waren Arztbewertungen im Netz. Eine große
Fragen stellen."                                      Gruppe von Teilnehmerinnen und Teilnehmern
                                                      nutzte entsprechende Bewertungsportale und
Alles unter Kontrolle                                 hatte den Eindruck, die freie Arztwahl so souverä-
                                                      ner ausüben zu können (B.2.3).
Ein Großteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
fühlte sich nach eigenen Angaben durch Gesund-        "Die Arztbewertungen im Internet haben das Ver-
heitsinformationen aus dem Netz gestärkt (B.2)        hältnis zwischen Arzt und Patient extrem verän-
und beschrieb in diesem Zusammenhang eine Ver-        dert. Wenn man jetzt zu einem Facharzt muss,
änderung des Arzt-Patienten-Verhältnisses im Ver-     dann guckt man ja schon, was da für Kritiken
lauf der letzten Jahre:                               drinstehen. Das ist heute schon anders als früher.
                                                      Früher ist man da einfach hingegangen. Heute in-
"Also der Wissensstand hat sich ja schon verändert.
                                                      formiert man sich vorher über die Ärzte und kann
Früher habe ich mich hundertprozentig auf die
                                                      sich die aussuchen. Weil man mehr über sie im In-
                                                      ternet rausfinden kann."

       	
                                                                                               18
Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie
	
  
In der Gesamtschau beschrieben die Teilnehmerin-       Mit kleinen Sachen kann man sich dann ja selber
nen und Teilnehmer eine Reihe von Einflüssen und       helfen und muss das Wartezimmer nicht verstop-
Veränderungen digitaler Patienteninformationen         fen."
auf das Arzt-Patienten-Verhältnis. Die Bewertung
                                                       "Also es gibt Ärzte, die finden das toll, wenn man
dieser Veränderungen hing häufig auch von der
                                                       sich informiert, weil es für die dann einfacher ist,
wahrgenommenen Haltung der Ärztinnen und
                                                       die Sachen zu erklären."
Ärzte ab.
                                                       Einzelne Stimmen schilderten auch Situationen, in
Was Ärzte davon halten                                 denen Patientinnen und Patienten auf Basis von
                                                       Gesundheitsinformationen aus dem Internet kon-
In der Frage, ob die behandelnden Ärztinnen und
                                                       krete Vorschläge in die Behandlungsgestaltung
Ärzte die Internetrecherchen ihrer Patienten gut-
                                                       einbrachten und so die eigene Therapie mitgestal-
heißen, zeigte sich in den Gruppendiskussionen
                                                       teten:
ein geteiltes Bild. Gut die Hälfte der Teilnehme-
rinnen und Teilnehmer ging davon aus, dass             "Mein Mann hatte Ohrenschmerzen und war damit
Ärztinnen und Ärzte von Gesundheitsinforma-            fünf Mal beim Ohrenarzt ohne dass der etwas fin-
tionen aus dem Internet nicht viel halten              den konnte. Dann haben wir im Internet gelesen,
(B.3.1):                                               dass das auch vom Zähneknirschen kommen
                                                       kann. Mein Mann hat dann eine Knirscherschiene
"Mein Hausarzt und auch mein Zahnarzt können
                                                       bekommen und es ging ihm wieder gut. Der Oh-
das definitiv nicht leiden. Die sagen: Jetzt bist Du
                                                       renarzt hat gesagt, dass er viel von uns gelernt
bei mir und jetzt sage ich, wie es gemacht wird.
                                                       hätte und jetzt auch anderen Patienten mit einer
Die Ärzte wollen lieber selber viel erzählen. Sie
                                                       Knirscherschiene vom Zahnarzt helfen konnte."
wollen nicht, dass Patienten selbst den Arzt spie-
len."

"Mein Arzt sagt mir immer: Gucken Sie das jetzt          FAZIT | Arzt-Patienten-Beziehung
bloß nicht im Internet nach! Meine Ärzte waren
                                                         Folgt man den Ausführungen in den vier Dis-
noch nie begeistert, wenn ich denen erzählt habe,
                                                         kussionsgruppen, so sind ärztliche Hinweise
was ich neues im Internet entdeckt habe. Ich gehe        auf seriöse Quellen im Internet bei Patientin-
dann immer in die Apotheke und frage da nach.“           nen und Patienten hoch willkommen. Die
                                                         Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilneh-
Ob sich Ärztinnen und Ärzte von möglichen Vorab-
                                                         mer wünschte sich eine solche Empfehlung.
recherchen angegriffen fühlten, hing nach Ansicht        Gleichzeitig glaubten viele, dass ihre Ärztin-
einiger Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch vom          nen und Ärzte es nicht begrüßen würden,
kommunikativen Geschick während des Arztge-              wenn sie sich im Internet informierten. Dies
sprächs ab (B.3.3):                                      dürfte einer der Gründe sein, weshalb die
                                                         Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihren Arzt
"Es kommt darauf an, wie man das Gespräch                über ihre Suche im Internet eigenen Angaben
führt. Man sollte erst den Arzt reden lassen und         zufolge häufig nicht in Kenntnis setzten.
nicht sagen, was man selbst schon weiß."
                                                         Darüber hinaus lassen sich neben der Nach-
Knapp die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teil-           bereitung eines Arztbesuchs Motivationslagen
nehmer teilte diese Auffassung nicht und ging da-        für eine Internetrecherche identifizieren, die
                                                         eher im Verborgenen erfolgen: So liefern die
von aus, dass ihre Ärztinnen und Ärzte es begrü-
                                                         Fokusgruppen Indizien dafür, dass sich Pati-
ßen würden, wenn sie sich über ihre eigene Er-           entinnen und Patienten mit Hilfe von
krankung im Internet informieren (B.3.2, B.3).           Gesundheitsinformationen aus dem Internet
                                                         gezielt vorbereiten und ‚aufrüsten’, um im
"Also wenn ich mich als Patient informiere, dann
                                                         Arzt-Patienten-Gespräch mitreden zu kön-
muss der Arzt das doch gut finden. Und wenn er           nen. Offensichtlich erfüllen Gesundheitsinfor-
das kritisiert, dann würde ich schon skeptisch wer-      mationen aus dem Netz aber auch eine
den. Ich glaube, die Ärzte sehen das eher positiv.       Kontrollfunktion, bei der Patientinnen und

       	
                                                                                                 19
Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie
	
  
       Patienten ärztliche Therapieempfehlungen
       ohne Wissen der Ärztin oder des Arztes abglei-
       chen und prüfen.
       In der Gesamtschau liefern die Beiträge wenig
       Anlass zu der Vermutung, dass die Informatio-
       nen aus dem Netz das Arzt-Patienten-Ver-
       hältnis nachhaltig belasten oder schwächen
       könnten. Im Gegenteil fühlten sich die Teil-
       nehmerinnen und Teilnehmer durch die Ge-
       sundheitsinformationen aus dem Netz eher
       gestärkt und beschrieben in der Folge einen
       Vertrauenszuwachs in die so abgesicherten
       Behandlungsentscheidungen.

         	
                                             20
Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie
	
  
04.2                                                 Apps aus dem medizinischen Bereich. So zum Bei-
                                                     spiel eine Anwendung zur Tinnitus-Behandlung
Gesundheits-Apps                                     mittels gefilterter Musik, eine Migräne-App die
                                                     mittels Faktorenanalyse Anfälle vorhersagt und
Im zweiten Themenabschnitt der Gruppendiskussi-      eine Diabetes-App, die im Alltag hilft, Informatio-
onen wurde der Fokus von den reinen Informati-       nen und Gesundheitsdaten zu dokumentieren.
onsangeboten auf mobile Gesundheitsanwendun-
                                                     Die vorgestellten Anwendungen unterstützen auf
gen gelenkt. Solche Gesundheits-Apps versorgen
                                                     unterschiedlichen Wegen das Selbstmanagement
ihre Anwender nicht nur mit Informationen. Sie
                                                     oder den Umgang mit chronischen Erkrankungen,
motivieren, messen, werten individuelle Gesund-
                                                     messen, erheben und erfassen Daten und sind als
heitsdaten aus und unterstützen Patientinnen und
                                                     Medizinprodukt zertifiziert. Im Bereich der Diag-
Patienten im täglichen Umgang mit ihrer Erkran-
                                                     nostik wurde als Beispiel ein an der Universität
kung.
                                                     Stanford entwickelte App zur Melanomerkennung
Anders als bei den reinen Informationsangeboten      beschrieben.
gehen diese Anwendungen also weiter - und
kommen den Anwendern mit Hilfe von Sensoren
buchstäblich näher. Aber verändert sich dadurch
das Verhältnis zwischen Arzt und Patient? Hierzu         Leitfragen zu diesem Thema
wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in
diesem Abschnitt der Gruppendiskussionen be-             •     Wie denken Sie über Gesundheits-
fragt.                                                         Apps, die Krankheitssymptome lin-
                                                               dern oder Krankheiten diagnostizie-
Erklärungsbedürftig                                            ren können?
Bereits bei Durchführung der ersten von vier Grup-       •     Glauben Sie, dass eine App einen Teil
pendiskussionen wurde deutlich, dass sich die                  der Aufgaben eines Arztes überneh-
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Wirkungs-                   men könnte?
mechanismen und Potentiale digitaler Gesund-
heitsanwendungen meist nicht bewusst waren.              •     Würden Sie sich wünschen, dass Ihr
Bei dem Begriff „Gesundheits-Apps“ hatten sie vor              Arzt Ihnen geprüfte Gesundheits-
allem Schrittzähler und Ernährungs-Apps vor Au-                Apps empfiehlt?
gen. Viele von ihnen konnten sich schlicht nicht
vorstellen, dass eine App Einfluss auf Beschwerden
und Symptome ausüben oder gar eine Erkrankung
feststellen könnte (C.1).                            Breite Zustimmung
"Also wenn das wirklich funktioniert, dass man       Die Vorstellung der Beispiele traf bei der Mehrheit
damit Beschwerden lindern könnte. Also ich kann      der Teilnehmerinnen und Teilnehmern zunächst
mir das noch nicht wirklich vorstellen, aber das     auf große Zustimmung und Offenheit. Sie machten
wäre natürlich wirklich bombig."                     deutlich, dass sie die Möglichkeiten und Potenti-
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine App eine   ale digitaler Gesundheitsanwendungen noch
richtige Wirkung entfalten soll, solange man das     gar nicht kannten und machten sich dafür stark,
Smartphone nicht runterschluckt. Dann habe ich       dass solche Apps auch im deutschen Gesundheits-
Bauchschmerzen."                                     system zum Einsatz kommen (C.1.1) und Ärztinnen
                                                     und Ärzte mit entsprechenden Informationen
Um in den Gruppendiskussionen zu einem einheit-
                                                     versorgt werden:
lichen Verständnis zu gelangen, wurde der Leitfa-
den situativ angepasst. Die Moderatoren beschrie-
ben eine Reihe von Beispielen für Gesundheits-

       	
                                                                                              21
Patientenperspektiven 2018 | Qualitative Studie
	
  
"Also ich wusste das gar nicht und ich finde das         kann. Und mit Gesundheitsdaten sollte man nicht
wirklich eine tolle Sache. Und da finde ich es wich-     spielen."
tig, dass die Ärzte da auch mit genug Informatio-
                                                         Ein weiterer Kritikpunkt bezog sich auf die Aus-
nen versorgt werden. Die Ärzte müssen das wissen,
                                                         übung von Kontrolle und Steuerung mittels di-
weil ich finde, das ist eine ganz tolle Sache. Ich bin
                                                         gitaler Anwendungen (C.4). Einzelne Stimmen
begeistert, wenn ich das höre."
                                                         befürchteten, dass Apps in Zukunft auch das Ge-
Unterstützung erhielten die Befürworter von Ge-          sundheitsverhalten sowie die Inanspruchnahme
sundheits-Apps durch die Teilnehmerinnen und             medizinischer Leistungen manipulativ beeinflussen
Teilnehmer mit einer chronischen Erkrankung. Sie         könnten.
beschrieben, dass sie sehr häufig ein Tagebuch
                                                         "Ich habe den Eindruck, wir werden viel zu ab-
führen und Symptome, Gesundheitsdaten und
                                                         hängig von diesen technischen Sachen. Man will
andere Informationen dokumentieren müssten.
                                                         ja keinem was Böses unterstellen, aber wenn ir-
In diesem Zusammenhang werteten sie den Einsatz
                                                         gendwas gelenkt werden soll, dann geht es über
von Gesundheits-Apps als große Erleichterung
                                                         die technische Schiene am einfachsten.“
(C.2).

"Also ich habe Diabetes Typ I. Und das erschwert         Apps im Überfluss
mir mein Leben schon arg. Und man muss da so
                                                         Die Zahl der verfügbaren Gesundheits-Apps ist
ein Tagebuch führen, wo man jeden Tag auf-
                                                         groß. Über 100.000 digitale Gesundheitsanwen-
schreibt, was man isst. Bisher hat man das alles
                                                         dungen werben um die Gunst der Anbieter (Alb-
schriftlich gemacht und musste immer so ein
                                                         recht 2016) und der Markt ist weitestgehend in-
Büchlein dabeihaben. Jetzt gibt es aber die Apps,
                                                         transparent. So ist es nicht verwunderlich, dass
die es einem viel leichter machen. Ganz egal, was
                                                         sich ein Großteil der Diskussionsteilnehmerin-
man dokumentiert. Im Smartphone kann man das
                                                         nen und -teilnehmer für eine ärztliche Emp-
leicht eingeben und freut sich drauf. Das macht
                                                         fehlung geeigneter Gesundheits-Apps aus-
Spaß und auf Papier ist das eher altbacken."
                                                         sprach (C.5):

Skepsis                                                  "Dann weiß man wenigstens, dass das kein
                                                         Schnickschnack ist. Sonst hat man nur wieder eine
In die insgesamt wohlwollende Diskussion um den
                                                         App mehr auf dem Smartphone. Aber wenn der
Einsatz von Gesundheits-Apps mischte sich auch
                                                         Arzt mir das empfiehlt, weiß ich, dass das gut ist."
eine Reihe kritischer Stimmen. Die am häufigsten
genannte Kritik bezog sich auf die Sicherheit            Die Moderatoren gingen noch einen Schritt weiter
und den Schutz personenbezogener Daten (C.3).            und fragten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer,
Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer reagierten         was sie davon halten würden, wenn Ärztinnen
sehr sensibel auf dieses Thema und zeigten sich          und Ärzte qualitätsgeprüfte Gesundheits-Apps
auch von der Ergreifung technischer und organisa-        ‚verordnen’ und die Krankenkassen bei vorlie-
torischer Maßnahmen zum Datenschutz wenig be-            gendem Wirkungsnachweis die Kosten hierfür
eindruckt:                                               übernehmen würden. Auch diese Idee stieß auf
                                                         breite Zustimmung. Nichtsdestotrotz wurden Be-
"Das hat auch eine Kehrseite. Da wird man sowas
                                                         dingungen formuliert, die Einzelne noch nicht er-
von transparent, wenn man durch so eine App
                                                         füllt sahen (C.5.1, C.5.2):
überwacht wird. Dann können die den ganzen
Lebensstil nachvollziehen. Und hinterher sagt            "Die Apps müssten auch zertifiziert werden und
dann die Versicherung: Sie hätten ja schon mal           dann in einer Datenbank für die Ärzte zusammen-
früher auf sich Acht geben können. Man hört im-          gestellt werden. Die Ärzte müssten aber auch wie-
mer wieder von Datenschutz-Skandalen. Am An-             der irgendwie geschult werden, dass sie auch mit
fang wird immer gesagt: Ist alles sicher! Aber die       den Apps umgehen können und sie vor allem ken-
Skandale zeigen, dass doch alles gehackt werden          nen."

       	
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