Pflegekräfte zurückgewinnen- mit besseren Arbeitsbedingungen Geteilte Führung - Arbeitnehmerkammer Bremen

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Pflegekräfte zurückgewinnen- mit besseren Arbeitsbedingungen Geteilte Führung - Arbeitnehmerkammer Bremen
März /  April 2021

    Pflegekräfte zurückgewinnen
                        – mit besseren Arbeitsbedingungen

Geteilte Führung             Rolle rückwärts?             Homeoffice & Co
Chefinnen in Teilzeit        Frauen in der Corona-Krise   Änderungen im Steuerrecht
Pflegekräfte zurückgewinnen- mit besseren Arbeitsbedingungen Geteilte Führung - Arbeitnehmerkammer Bremen
BAM — März / April 2021                                                                      Inhalt

      Galerie der Arbeitswelt                       Private Haftpflichtversicherung             Änderungen im Steuerrecht
      Seite 16                                      Seite 10                                    Seite 11

                                                                            SERVICE & BERATUNG
      Inhalt                                                                10
                                                                                Verbrauchertipp
                                                                            			 Die private Haftpflichtversicherung –
                                                                                Ein Muss für Jeden

                                                                            11			 Fragen & Antworten
      THEMEN                                                                			 Homeoffice & Co – Änderungen
                                                                                im Steuerrecht
      			 Schwerpunkt
      6			Pflegekräfte zurückgewinnen –                                     22			     Alles, was Recht ist
          mit besseren Arbeitsbedingungen                                             Rechtstipp / Rechtsirrtum: Ich habe
      			 Die Ergebnisse unserer Befragung                                            immer das Recht zum Umtausch meiner
                                                                                      gekauften Ware
      14
          Chefinnen in Teilzeit
      			 Geteilte Führung                                                  23
                                                                              Drei Fragen

                                                                              zu Minijobs
      18		  Rolle rückwärts?
      			 Frauen in der Corona-Krise
      			                                                                   IN JEDEM HEFT
      20			 Corona-Pandemie:
            Beschäftigte stark v
                               ­ erunsichert                                3			Editorial
      			 Aus unserer Beratung
                                                                            4			Die Bremer Arbeitswelt in Zahlen
                                                                            			 Corona: Zahl der Ausbildungsplätze
                                                                                bricht ein

                                                                            5			Kurz gemeldet
                                      Aktuelle politische Inhalte
        BAM                          und Service-Informationen              12			 Tipps & Termine
       im Abo?                      von uns finden Sie auf T
                                                           ­ witter
                                        (@ANK_HB), facebook                 13			 Veranstaltungskalender
                                e    (Arbeitnehmerkammer Bremen),
                 er.d
  bam@ ehmerkamm                          ­YouTube und Xing.                16			 Galerie der Arbeitswelt
         n
  arbeit                                                                    			 Die Maler- und Lackiererin

                                                                            22			     Impressum

                                                                            23			     Cartoon

                                                                            24			     Beratungsangebote & Öffnungszeiten

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Pflegekräfte zurückgewinnen- mit besseren Arbeitsbedingungen Geteilte Führung - Arbeitnehmerkammer Bremen
Editorial                                                           BAM — März / April 2021

                                                                     EDITORIAL

                           #first7jobs
                                                                     Schluss mit dem
                                                                     Gender Care Gap!
                           Unter dem Twitter-Hashtag
                             ­#first7jobs erfährt man endlich,
                           wie ­Karrieren gestartet ­wurden.
                           ­Kellner? Babysitter? Oder doch
                              eher Marketing-­Hase in der Fuß-
                              gängerzone? Wir wollten wissen,
                           wie ­prominente Bremerinnen und
                            ­Bremer ihre Berufslaufbahn be­­
                              gonnen haben.

                           Singen kann er also auch! Man­
                            geln­­de Vielseitigkeit kann man
                            ihm bestimmt nicht vorwerfen:
                           ­Rettungssanitäter, Sozialar­beiter,
                            Nachhilfelehrer, Tanzmusiker – sein
                            beruflicher Werdegang eint die
                            Freude am Kontakt mit Menschen.
                           Und das ist als Politiker sicher
                            eine gute Voraussetzung. Andreas                                    Peter Kruse
                            Bovenschulte, geborener Hildes­                                   Präsident der
                            heimer, war Bürgermeister von                              Arbeitnehmerkammer
                           Weyhe bevor er 2019 den Posten in                                       Bremen
                            Bremen übernahm. Der Jurist ist
                            heute außerdem Senator für Kultur
                            und Senator für Angelegenheiten
                            der Religionsgemeinschaften.
                                                                     Liebe Leserinnen und Leser,
                               Werbung für den Edeka-Markt
                               im Dorf austragen                     Corona hat allein im Arbeitsrecht einen deutlichen Anstieg unserer Beratungen
                               Als Schüler Mathematik-­              um knapp 20 Prozent verursacht. Auffällig war der hohe Anteil von Frauen – sie
                              Nachhilfe geben                        spüren die Auswirkungen besonders, da sie oft in den stark betroffenen Branchen
                               Aushilfsfahrer für einen              wie Einzelhandel, Gastronomie und Pflege arbeiten.
                              ­Hersteller von Gartenhäusern          Und: 2020 haben Frauen wieder den Großteil der Haus- und Familien­arbeit
                               Tanzmusiker bei Hochzeiten            übernommen. Die Pandemie verstärkt hier zusätzlich die traditionellen ­Muster:
                               und Sommerfesten (Bass                Hauptsächlich Frauen müssen Beruf und Familie unter einen Hut ­bringen –
                               und Gesang)                           sie sitzen etwa inklusive Kinderbetreuung im Homeoffice.
                               Sozialarbeiter in einer psychia­               Führt die Corona-Krise dazu, dass Mütter zurück in alte Rollenbilder
                              trischen Einrichtung in London         gedrängt werden? Wie kann unbezahlte Sorgearbeit gerechter zwischen den
                               Rettungssanitäter bei der             Geschlechtern verteilt werden und so auch auf dem Arbeitsmarkt für mehr
                              Johanniter-Unfall-Hilfe                Gleichberechtigung sorgen?
                               (Zivildienst)                         Diese Themen haben wir als Arbeitnehmerkammer im Blick – und auch im
                               Studentische Hilfskraft am            vorliegenden Heft spielen Frauen die Hauptrolle. Wir zeigen etwa in unserem
                               Fachbereich Jura der Universität      Schwerpunkt, wie mit der Aufwertung typischer Frauenberufe dem steigenden
                               Bremen                                Fachkräfte­bedarf in der Pflegebranche nachgekommen werden kann.
                                                                              Ans Herz legen möchte ich Ihnen auch unseren Podcast „Rolle
                                                                     ­Rückwärts“ zu Gender Gaps und Rollenbildern (     www.arbeitnehmerkammer.de/
                                                                      rollerueckwaerts).

                                                                     Ihr Peter Kruse
Foto: Senatspressestelle

                                                                     ­Kontakt:     bam@arbeitnehmerkammer.de

                           Andreas Bovenschulte

                                                                                                                                                       — 3
Pflegekräfte zurückgewinnen- mit besseren Arbeitsbedingungen Geteilte Führung - Arbeitnehmerkammer Bremen
BAM — März / April 2021

      DIE BREMER ARBEITSWELT IN ZAHLEN                                                               Auf  100
                                                                                                     Ausbildungsinteressierte
                                                                                                     kamen im Jahr 2020 …

      Corona: Zahl der
      ­Ausbildungsplätze
       bricht ein
      Durch die Corona-Krise ist die Zahl der neu abge­
      schlossenen Ausbildungsverträge deutlich eingebrochen.
                                                                                                   71
      Das erinnert an die Weltwirtschaftskrise 2009. In den
      Folgejahren danach hatte sich der Ausbildungsmarkt auch
                                                                                           … nur
                                                                                                    68,8
                                                                                           …Ausbildungsplätze.
                                                                                              nur
                                                                                           Ausbildungsplätze.
      bei bester Konjunktur nie wieder erholt. Droht nun eine
      verlorene Corona-Ausbildungsgeneration?

      Jugendarbeitslosigkeit
      (15 bis 24 Jahre)
                                                   Von den 4.456                                   haben  31,6 %
                                                         bei der                                   eine betriebliche
      5.500
                                                 Berufsberatung                                    Berufsausbildung
                                 5.090
                                                    der Agentur                                    und
                                                      für Arbeit                                   weitere  8,6 %
                                                    gemeldeten                                     eine geförderte
                                                 Bewerberinnen                                     Berufsausbildung
                                                  und Bewerbern                                    begonnen.

                                                                                                                                Quellen: Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), Agentur für Arbeit
      4.000                      3.860
                                                  Die Beratungs- und Vermittlungsdienstleistungen der Agentur
                                                  für Arbeit sind freiwillig. Jugendliche, die sich auf eigene Faust
                                                  bewerben oder im Umland wohnen, werden hier nicht erfasst.

      2.500                                      Neu abgeschlossene Ausbildungsverträge 2020
                                                 (im Vergleich zum Vorjahr)
           Fe ar

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                                                         -11 %                                             Deutschland
                          2019   2020

                                                            -10,4 %                                        Bremen

                                                                             u. a. im
                                                                         Zuständigkeits-
                                                                           bereich von

                                                                                 Handels-
                                                                     -11,5 %     kammer
                                                                                 Handwerks-
                                                                         - 6,7 % kammer

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Pflegekräfte zurückgewinnen- mit besseren Arbeitsbedingungen Geteilte Führung - Arbeitnehmerkammer Bremen
BAM — März / April 2021

Kurz
gemeldet                                                                                                                     Neuer
                                                                                                                             Geschäfts-
                                                                                                                             führer
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                                                                 Foto: privat
Weiterbildender                                                                                                              wisoak
­Masterstudiengang                                                                             Dominic Bergner leitet seit dem 1. Februar die Wirt-
für betrieb­liche Interessenvertretungen                                                       schafts- und Sozialakademie der Arbeitnehmerkammer.
                                                                                               Der Diplom-Pädagoge war an den Universitäten Bremen
Im berufsbegleitenden Studienprogramm „Arbeit –                                                und Osnabrück als wissenschaftlicher Mitarbeiter sowie
­Be­ratung – Organisation. Prozesse partizipativ g­ e­stalten“                                 Lehrkraft für besondere Aufgaben tätig. Praktische Er­­
 von zap, Arbeitnehmerkammer Bremen und der ­Akademie                                          fahrungen machte er bei verschiedenen Bildungs­trägern
 für Weiterbildung der Universität Bremen kann ein                                             in der Region als Leitungskraft. Bergner möchte den
 weiter­bildender Masterabschluss erworben oder die                                            ­während der Pandemie in der wisoak ange­schobenen
 Studien­abschnitte als Zertifikate studiert werden.                                            ­Digitalisierungsprozess unterstützen und verstetigen:
         Beim Zertifikat „Arbeitsbezogene Beratung“ stehen                                       „Die Zukunft der Weiterbildung wird darin liegen, zusätz-
 Beratung, Methodenkompetenz in der Gesprächsführung                                             lich Online-Angebote zu entwickeln und den vor­handenen
 und der Gestaltung von Gruppenprozessen sowie Kommu-                                            Präsenzunterricht zu hybridisieren, so dass sich Teil­
 nikations-, Team- und Konfliktfähigkeit im Mittelpunkt.                                         nehmende auch von zu Hause zuschalten können.“
         Beim Zertifikat „Arbeits-/Technikgestaltung und
 Beteiligung“ geht es um den Wandel der Arbeit und                                                 www.wisoak.de
 ­demokratische Prozesse sowie Kompetenzen zur Ge­­
  staltung von Beteiligung und zur Lösungsentwicklung
  für gute Arbeitsbedingungen.

   Für: Personalräte, Betriebsräte, Mitarbeiter­
   ver­tretungen, BR-/PR-Referenten,
   Schwerbehinderten­beauftragte und Gleich­
   stellungsbeauftragte
   Dauer: zwölf Monate (18 Präsenztage)
                                                                 Foto: fotolia / Daniel Gale

   Bewerbungsfrist: 30. Juni 2021
   Studienbeginn: 1. September 2021
   Infoveranstaltung am 13. April 2021 um 17 Uhr,
   in der Akademie für Weiterbildung, UNICOM-­
   Gebäude, Haus Turin, Raum 3 (Teilnahme auch
   online möglich).

Weitere Infos:                                                                                 Beschäftigte im Fokus –
www.uni-bremen.de/mabo oder          0421 . 21 85 67 07
                                                                                               Bericht zur Lage 2021
                                                                                               Jedes Jahr wirft die Arbeitnehmerkammer einen genauen
Deutscher                                                                                      Blick auf die Entwicklungen in Bremen – 2020 hat die
                                                                                               Corona-Krise den Arbeitsmarkt fest im Griff gehabt. Wie
­Weiterbildungstag                                                                             steht es um die finanziellen Folgen für das Land Bremen?
am 24. März                                                                                    Ob Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit oder der Einbruch bei den
                                                                                               Ausbildungsplätzen – die Pandemie zeigt die Schwachstel-
In vielen Online-Veranstaltungen können sich Interes-                                          len auf. Wir haben uns angeschaut, was Corona mit den
sierte über das digitale Angebot für Betriebe, Arbeitgeber                                     Löhnen macht, wie es um die Vereinbarkeit von ­Familien
und Beschäftigte in Bremen informieren und Plattformen                                         und Beruf steht und welche Erfahrungen mit digital ge­
­testen.                                                                                       stützter mobiler Arbeit gemacht wurden. Der Bericht er­
                                                                                               scheint im April.
Programm und Infos unter
   www.arbeitnehmerkammer.de/weiterbildungstag                                                     www.arbeitnehmerkammer.de/downloads

                                                                                                                                                             — 5
Pflegekräfte zurückgewinnen- mit besseren Arbeitsbedingungen Geteilte Führung - Arbeitnehmerkammer Bremen
SCHWERPUNKT

               Pflegekräfte
             zurückgewinnen
      — mit besseren Arbeitsbedingungen

   Die Pflegebranche sucht händeringend Personal, und das nicht erst seit Ausbruch
      der Corona-Pandemie. Eine aktuelle Studie der Arbeitnehmerkammer zeigt:
 Viele Pflegekräfte, die in Teilzeit arbeiten oder komplett aus ihrem Beruf ausgestiegen
sind, könnten sich eine Aufstockung der Stundenzahl beziehungsweise eine Rückkehr in
          die Pflege vorstellen – wenn die Arbeitsbedingungen besser wären

                          Text: Anne-Katrin Wehrmann – Foto: Jonas Ginter
Pflegekräfte zurückgewinnen- mit besseren Arbeitsbedingungen Geteilte Führung - Arbeitnehmerkammer Bremen
Schwerpunkt                                                                   BAM — März / April 2021

                                              Pflege-Studie

                                              Für die Studie „Ich pflege wieder, wenn …“ haben die Arbeitnehmerkammer
                                              und das Forschungszentrum Socium der Universität Bremen voriges Jahr eine
                                              Online-Befragung unter ausgestiegenen sowie Teilzeit-Pflegekräften durchge-
                                              führt. Rund drei Viertel der insgesamt 1.032 Teilnehmenden kamen aus Bremen,
                                              Bremerhaven und Niedersachsen. Das Ergebnis: 87,5 Prozent der ausgestiege-
                                              nen und 72 Prozent der Teilzeit-Pflegekräfte aus den Bereichen Langzeit- und
                                              Krankenpflege schließen einen Wiedereinstieg beziehungsweise eine Stunden­
                                              erhöhung unter bestimmten Voraussetzungen zumindest nicht aus. Auf einer
                                              Skala von eins („ausgeschlossen“) bis zehn („sehr wahrscheinlich“) gaben

A
                                              jeweils mehr als die Hälfte der ausgestiegenen und der Teilzeit-Pflegekräfte
             ndreas Guse ist Pflege-          einen Wert von sechs oder mehr an. Hochgerechnet auf alle Teilzeit-Pflege-
             kraft aus Überzeugung.           kräfte im Land Bremen ergibt sich laut Studie bei optimistischer Schätzung
             Seit mehr als 20 Jahren ar­­     (bezieht sich auf angegebene Werte zwischen zwei und zehn) ein Potenzial
             beitet er auf der Intensiv­      von zusätzlichen 57.867 Wochenstunden oder 1.503 Vollkräften. Eine konserva-
station eines ­Bremer Krankenhauses –         tive Schätzung (bei Werten von mindestens acht) kommt auf ein Potenzial von
weil er sich schon zu Schulzeiten             31.305 Stunden oder 813,1 Vollkräften für Bremen. Für ausgestiegene Pflege­
­keinen „­9-to-5-Job“ im Büro vor­            kräfte sind solche Hochrechnungen nicht möglich, da es keine verläss­lichen
 stellen konnte und weil es ihm ein An­­      Daten über deren Anzahl gibt. Allein aus den gut 330 ausgestiegenen Teil­
 liegen ist, für andere zu sorgen. „Der       nehmenden der Studie ergibt sich allerdings ein Potenzial von bis zu 213,1 Voll­
 ge­­regelte Schichtdienst auf unserer        kräften bei optimistischer und 105,1 Vollkräften bei konservativer Schätzung.
 ­Station hilft mir, mein Privatleben und
  meinen Alltag nach meinen Bedürfnis-
  sen zu gestalten“, sagt der 52-Jährige.
  Sorgearbeit im Beruf halte er für sehr      in der Praxis: Es gibt nicht genügend        als wir erwartet hätten“, berichtet­
  sinnvoll: Für ihn sei es motivierend,       Personal, um einen Pool für Notfälle         Dr. Jennie Auffenberg, Co-Autorin der
  Menschen in schwierigen Situationen         zu haben.“ Dabei braucht es gerade           Studie und Referentin für Gesundheits-
  zu begleiten. Doch die Arbeit zehrt an      für Patienten mit Covid-19-Infektion         und Pflegepolitik bei der Arbeitneh-
  seinen Kräften. „Vor allem die Nacht-       besonders viel Zeit: schon allein des-       merkammer. Aus den Antworten geht
  schichten und die Verschiebung des          wegen, weil die Pflegekräfte vor jedem       hervor, dass es vor allem in vier Berei-
  Biorhythmus haben mich von Anfang           Betreten eines Zimmers sorgsam ihre          chen Veränderungen geben müsste, um
  an zu viel Energie gekostet“, erzählt er.   Schutzkleidung anziehen müssen und           das brachliegende Fachkräfte-­Potenzial
  „Und das ohne entsprechende mone-           die pflegerische Behandlung aufwändi-
  täre Wertschätzung.“ Und so entschied       ger ist als bei anderen Patienten. Was
  er sich schon vor vielen Jahren, nicht      Guse als permanente Belastung wahr-
  mehr Vollzeit zu arbeiten, um selbst        nimmt: „Unserem Beruf wohnt durch
                                                                                            „Ließen sich a
                                                                                                         ­ usgestiegene
  gesund zu bleiben. Er reduzierte seine      eine unklare Definition der Berufs­
  Stunden zunächst auf 80 und dann            inhalte eine gewisse Dienstbotenhaftig-         und Teilzeit-Pflegekräfte
  auf 70 ­Prozent. Als er schließlich ein     keit inne“, meint er. „Uns fehlen Be­fug-
                                                                                             davon überzeugen, in ihre
  berufsbegleitendes Studium im Studien­      nisse und damit Verantwortung. Und
  gang Pflege begann, das er inzwischen       das zeigt sich unter anderem in der              Berufe ­zurückzukehren
  erfolgreich abgeschlossen hat, ver­         Bezahlung.“
                                                                                                beziehungsweise ihre
  ringerte er seine Arbeitszeit erneut auf
  nunmehr 50 Prozent.                         Mangelnde Anerkennung als                        ­Stundenzahl wieder zu
          Unter den aktuellen Bedingun-       ­zentraler Aspekt
                                                                                              ­erhöhen, könnte das mit
  gen kann Guse sich nicht vorstellen,         Andreas Guse ist eine von mehr als
  seine Stundenzahl zu erhöhen. Schon          9.000 Langzeit- und Krankenpflege-          Blick auf den Pflegenotstand
  vor Ausbruch der Corona-Pandemie gab         kräften im Land Bremen, die in Teil-
                                                                                            deutliche Abhilfe schaffen.“
  es auf seiner Intensivstation zu wenig       zeit arbeiten. Viele von ihnen wären
  Pflegekräfte, so dass manche ­Betten         grundsätzlich bereit, bei besseren                     Jennie Auffenberg
  zeitweise geschlossen werden ­mussten.       Arbeitsbedingungen ihre Stunden-
  In den vergangenen elf Monaten sind          zahl wieder aufzustocken. Um welche
  die physischen und psychischen Be­­          Größen­ordnung es hier geht, hat jetzt
  lastungen für ihn und seine Kollegin-        eine ­Studie der Arbeitnehmerkammer
  nen und Kollegen noch einmal gestie-         untersucht – zusammen mit der Frage,        zu heben: Die Teilnehmenden be­­klagen
  gen. „Wenn jemand von uns krank ist          unter welchen Voraussetzungen auch          eine zu geringe Wert­schätzung ihrer
  und niemand einspringen kann, muss           ausgestiegene Pflegekräfte wieder in        Arbeit durch die Vorgesetzten. Sie
  die Arbeit auf die Anwesenden verteilt       ihren Beruf zurückkehren würden. Das        ­halten mehr Zeit für qualitativ hoch-
  werden“, berichtet er. „Da zeigt sich        Ergebnis ist bemerkenswert (siehe Info-­     wertige Pflege und menschliche Zuwen-
  der Pflegemangel dann ganz konkret           Kasten). „Das Potenzial ist viel ­größer,    dung für unbedingt erforderlich. Sie

                                                                                                                                      — 7
Pflegekräfte zurückgewinnen- mit besseren Arbeitsbedingungen Geteilte Führung - Arbeitnehmerkammer Bremen
BAM — März / April 2021                                                                        Schwerpunkt

                                                                                                 sehr deutlich gemacht. Entsprechende
                                                                                                 Konzepte und Forderungen lägen auf
                                                                                                 dem Tisch, sagt Matrai und verweist
                                                                                                 unter anderem auf die „Pflegepersonal­
                                                                                                 regelung 2.0“ für eine bedarfsgerechte
                                                                                                 Personal­bemessung, die Verdi zusam-
                                                                                                 men mit der Deutschen Krankenhaus-
                                                                                                 gesellschaft und dem Deutschen Pflege-
                                                                                                 rat erar­beitet hat und die derzeit von
                                                                                                 der Bundes­politik diskutiert wird. Er
                                                                                                 betont: „Jetzt ist der Zeitpunkt gekom-
                                                                                                 men, dass gehandelt werden muss.“

                                                                                                 „Nie genügend Zeit“
                                                                                                 Studienteilnehmerin Rena ­Tecklenburg
                                                                                                 ist vor einigen Jahren komplett aus
                                                                                                 ihrem Beruf als Krankenpflegerin in der
            Andreas Guse (Pflegekraft auf der Intensivstation) entschied sich schon vor          Unfallchirurgie ausgestiegen und arbei-
            vielen Jahren, nicht mehr Vollzeit zu arbeiten, um selbst gesund zu bleiben:         tet jetzt als Sozialwissenschaft­lerin an
              „Es gibt nicht genügend Personal, um einen Pool für Notfälle zu haben.“            der Universität Bremen. In der ­aktuellen
                                                                                                 Corona-Krise könnte sie sich vorstel-
                                                                                                 len, zeitlich begrenzt ­wieder in einem
      fordern eine angemessene Bezahlung –                  Dieses Misstrauen kann David         Krankenhaus einzu­springen: Dafür hat
      die für sie wichtigste Form der Aner-         Matrai nachvollziehen. „Darin drückt         sie sich auf einer ent­sprechenden Ver-
      kennung. Und nicht zuletzt ­wünschen          sich die Erfahrung mit der Politik der       mittlungsplattform registrieren ­lassen
      sie sich mehr Elemente der kollektiven        vergangenen Jahre aus“, meint der            und dort angegeben, dass sie zwei
      Interessenvertretung in Form von Tarif-       Verdi-Landesleiter für den Fachbe-           Tage pro Woche zur Ver­fügung ste-
      bindung, Betriebsräten und mehr Mit-          reich Gesundheit und Soziales. „Es           hen würde. Eine dauerhafte Rückkehr
      sprache bei betrieblichen Abläufen.           ist schon so oft versprochen worden,         in ihren alten Beruf ist für sie unter
               Es brauche jetzt dringend            dass sich die Situation bessern wird.“       den gegebenen Voraussetzungen aller-
      glaub­­hafte Verbesserungen, macht            Dennoch sei er „vorsichtig optimis-          dings nicht denkbar. „Das kann ich mir
      ­Auffenberg deutlich – und glaubhaft          tisch“, dass die aktuelle Aufmerksam-        nur vorstellen, wenn sich die Arbeits-
       ansetzen lasse sich im Wesentlichen bei      keit diesmal tatsächlich zu Verände-         bedingungen so verändern, wie es in
       der Bezahlung und bei einer bedarfs-         rungen führen könne: Immerhin habe           der Studie beschrieben wird“, betont
       orientierten Personalbemessung. „Wir         die Pandemie die Bedeutung eines             die 37-Jährige. „Und dann auch nur in
       brauchen mehr Personal, um zusätz­           funktionierenden Gesundheitssystems          Teilzeit.“ Was aus ihrer Sicht besonders
       liches Personal zu finden“, sagt sie.
       Denn Viele wären bereit, (mehr) in der
       Pflege zu arbeiten – aber erst, wenn
       mehr Personal da ist. Denn nur dann
       ist gute Pflege möglich und die Pflege-
       kräfte selbst bleiben gesund. „Das ist der
       entscheidende Punkt und zugleich die
       Schwierigkeit.“ Die Studie belege nun
       eindrucksvoll, dass diese Schwierig­keit
       nicht unlösbar sei: „Ließen sich aus-
       gestiegene und Teilzeit-Pflegekräfte
       davon überzeugen, in ihre Berufe
       zurückzukehren beziehungsweise ihre
       Stundenzahl wieder zu erhöhen, könnte
       das mit Blick auf den Pflege­notstand
                                                                                                                                              Foto: Universität Bremen

       deutliche Abhilfe schaffen.“ Interessant
       ist in dem Zusammenhang die Fest-
       stellung, dass die Covid-19-­Pandemie
       die entsprechende Bereitschaft bei den
       Befragten erkennbar verringert hat.
       Darüber hinaus gehen nur vier Prozent
       von ihnen davon aus, dass sich durch          Rena Tecklenburg (Sozialwissenschaftlerin an der Universität Bremen) ist vor einigen
       Corona die Arbeitsbedingungen in der            Jahren komplett aus ihrem Beruf als Krankenpflegerin in der Unfallchirurgie aus­
       Pflege verbessern werden.                    gestiegen: „Viele Pflegekräfte resignieren daran, dass sie aus Zeitmangel ihren eigenen
                                                                  Ansprüchen an gute Pflege nicht gerecht werden können.“

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Pflegekräfte zurückgewinnen- mit besseren Arbeitsbedingungen Geteilte Führung - Arbeitnehmerkammer Bremen
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                                                                                  KOMMENTAR
 wichtig wäre: dass die Verantwortung,     Und damit meine ich nicht nur die
 die Pflegekräfte tragen, und das, was     geringe Entlohnung, sondern auch
 sie dafür be­­kommen, in ein angemesse-   die fehlende Anerkennung und die
 nes Verhältnis gebracht ­werden. „Das     begrenzten Handlungsspielräume
 ist momentan definitiv nicht der Fall.    im Arbeitsalltag.“

                                                                                                                                 Foto: Stefan Schmidbauer
                                                   Sie sei ein wissbegieriger
                                           Mensch und lerne sehr gerne, sagt
                                           Rena Tecklenburg über sich selbst.    Jennie A
                                                                                        ­ uffenberg,
                                           Ein Leben lang im selben Beruf zu        Referentin für
       Die zehn                            bleiben, habe sie sich daher von         Gesundheits-

      wichtigsten                          Anfang an nicht vorstellen können.
                                           Der permanente Druck und Stress
                                                                                 und Pflegepolitik

     Bedingungen                           im Krankenhaus-Schichtdienst hät-
     für einen Wiedereinstieg /            ten ihre Entscheidung zum Aus-
       eine Stundenerhöhung                stieg allerdings noch beschleunigt:
                                           „Ich bin die ganze Zeit nur gerannt
                                           und hatte nie genügend Zeit,
                                           meine Arbeit so zu machen, dass
                                           ich zufrieden hätte nach Hause
                                           gehen können. Wäre das anders
                                                                                    Was ist uns
                                           gewesen, hätte ich sicher noch ein
                                           paar Jahre weitergemacht.“ Viele
                                                                                    gute Pflege
                                           Pflege­kräfte resignierten daran,
                                           dass sie aus Zeitmangel ihren eige-
                                           nen Ansprüchen an gute Pflege
                                                                                      wert?
       Wertschätzung durch                 nicht gerecht ­werden könnten,
       Vorgesetzte                         berichtet die 37-Jährige. Aus ihrer    Unsere Studie hat gezeigt, dass es enorme,
       68%                                 Sicht könnten die aktuellen Defi-      ungenutzte Kapazitäten an gut ausgebil-
                                           zite nicht innerhalb des Gesund-       deten Pflegekräften gibt. Das ist er­­freulich.
       Zeit für qualitativ
                                           heitssystems behoben werden.           Doch um ausgestiegene und Teilzeit-­
       hochwertige Pflege
       62%                                 „Das ist ein gesamtgesellschaft­       Pflegekräfte zurückzugewinnen, sind mehr
                                           liches Problem“, ist sie überzeugt.    Personal und eine bessere Bezahlung zwei
       Bedarfsorientierte                  „Die Politik muss den Sparkurs der     wesentliche Ansatzpunkte. Beides muss
       Personalbemessung                   vergangenen Jahre beenden und          jedoch bezahlt werden und darf nicht zu
       58%                                 mehr Geld zur Verfügung stellen.       Lasten anderer Berufsgruppen oder der
                                           Und sie muss passende gesetzliche      Versorgungsqualität gehen.
       Sensibilität von Vorgesetzten
                                           Regelungen schaffen, damit letzt-
       für Belastungen in der Pflege
       58%                                 lich die Pflege und die Care-Arbeit    Was sind uns gute Pflege und eine gute
                                           insgesamt einen anderen gesell-        Gesundheitsversorgung wert? Um Pflege­
       Tarifbindung                        schaftlichen Stellenwert erhalten.“    kräfte zurückzugewinnen und zu ­halten,
 €     58%                                                                        wird es einer grundlegenden ­Veränderung
                                                                                  der Finanzierungsgrundlagen ­be­dürfen.
       Mehr Zeit für menschliche                                                  Das System der Fallpauschalen im
       Zuwendung
                                                                                  Kranken­haus muss überwunden ­werden
       58%
                                                                                  und in den Pflegeheimen müssen die
       Garantie, an freien Tagen           Wir in der Pflege – auf ­              Kosten für die Pflegebedürftigen begrenzt
SO     nicht arbeiten zu müssen            unserer Website finden Sie             werden. Mit einem Steuerzuschuss in die
       56%                                 Infos für Pflegebeschäftigte           Pflegeversicherung ist das kurzfristig zu
                                           im Land Bremen.                        schaffen – langfristig brauchen wir eine
       Betriebliche                             www.arbeitnehmerkammer.de/        Bürgerversicherung, damit mehr Geld ins
?!     Interessenvertretung
                                           pflege                                 System kommt.
       56%

 €     Höheres Grundgehalt                 Veranstaltungshinweis
       56%                                 11. März um 18 Uhr (online)
                                           Pflegespezial – Infoveran­
       Höhere Zulagen für                  staltung für Pflegebeschäftigte
       besondere Tätigkeiten               Thema: Schichtplan und
 +     55%
                                           ­Haftung. Infos unter
                                                www.arbeitnehmerkammer.de/
     Quelle: Eigene Berechnungen            veranstaltungen
     auf Grundlage der Befragung

                                                                                                                           — 9
BAM — März / April 2021                                                                       Verbrauchertipp

       GASTBEITRAG
                                                                          und in festen Partnerschaften mit gemeinsamer Wohnung
                                                                          sind Familien-­Tarife in der Regel günstiger als sich einzeln
                                                                          zu versichern.

                                                                          Wie hoch sollten Sie sich versichern?
                                                                          Der Versicherer zahlt nur bis zu den im Versicherungs-
                                                                          schein genannten Deckungssummen für Personen-, Sach-
                                                                          und ­Vermögensschäden. Ist der Schaden höher ausgefal-
                                                                          len als Sie sich versichert haben, müssen Sie den Rest selbst
                                                                          ­zahlen. Achten Sie darum darauf, sich in ausreichender Höhe
                                                                           zu ­versichern. Als Mindestdeckungssumme sollten Sie pau-
                                                                           schal zehn Millionen Euro vereinbaren. Besser – und für nur
                                                                           wenige Euro Mehraufwand zu bekommen – sind Deckungs-
                                                                           summen von 50 Millionen Euro.

                                                                          Was ist versichert?
                                                                          Versichert sind die Gefahren des täglichen Lebens, wie Ver­
                                                                          sicherungsschutz bei Verletzung von Verkehrssicherungs-
                                                                          pflichten zum Beispiel Reinigung, Streuen und Schnee­
                                                                          räumen auf Gehwegen, als Fußgänger und Fußgängerin oder
                                                                          Radfahrer und Radfahrerin im Straßenverkehr, für den Ver-
                                                                          lust fremder privater Wohnungsschlüssel oder auch beruf­
                                                                          licher Schlüssel.

                                                                          Wie hoch sind die Kosten?
                                                                          Sehr guten Schutz gibt es schon für 65 Euro im Jahr. Die
                                                                          Vereinbarung einer Selbstbeteiligung pro Versicherungsfall
                                                                          reduziert zwar den Beitrag – aber meist bringt das so wenig
                                                                          Ersparnis, dass Sie besser darauf verzichten sollten. Und noch
                                                                          ein Tipp: Meist ist es günstiger, den Versicherungsbeitrag
                                                                          einmal im Jahr zu zahlen statt zum Beispiel in Monatsraten.

       Die private Haft-                                                  Auch bestehende Verträge regelmäßig prüfen
                                                                          Neue Policen sind oft viel besser als alte. Wer seine Privat­

       pflichtversicherung –                                              haftpflicht vor fünf oder mehr Jahren abgeschlossen hat,
                                                                          kann heute in der Regel erheblich besseren Schutz be­­kommen

       Ein Muss für Jeden                                                 und sollte daher seine Police zumindest einmal gründlich auf
                                                                          den Prüfstand stellen.

       Text: Annabel Oelmann
       Vorständin der ­Verbraucherzentrale ­Bremen­                                      GEMEINSAM
                                                                                         GUT BERATEN
       Wer anderen durch Unvorsichtigkeit oder Leichtsinn einen
       Schaden zufügt, muss dafür aufkommen. Das betrifft nicht                          Beratung bei der Verbraucherzentrale
       nur den Rotweinfleck, sondern auch schwere Unfälle und                            Ermäßigt für Mitglieder der
                                                                                         Arbeitnehmerkammer Bremen
       zerstörte Gebäude. Deshalb ist die Privathaftpflicht die
       wichtigste freiwillige Police überhaupt. Ohne sie kann eine
       Unachtsamkeit im Alltag den finanziellen Ruin bedeuten.
                                                                          Sie haben Fragen zur privaten Vorsorge? Hier hilft
       Wer braucht welchen Schutz?                                        die unabhängige Beratung der Verbraucherzentrale.
       Jeder sollte eine private Haftpflichtversicherung ab­­schließen,   Beschäftigte im Land Bremen, also alle Kammer-­
       denn sie schützt vor Schäden, die in die Millionen Euro            Mitglieder, zahlen bei der Verbraucherzentrale nur
       gehen können. Im Single-Tarif haben nur Sie als Versich­           die Hälfte für eine Beratung zu arbeitnehmernahen
       erungsnehmer Versicherungsschutz. Im Familien-­Tarif wird          ­Themen wie Altersvorsorge, zusätzliche Krankenver­
       der Schutz auf weitere Personen erweitert. Für Ehegatten            sicherung oder Berufsunfähigkeitsrente. Zusätzlich
       oder Personen, die in eheähnlicher Gemeinschaft leben,              gibt es rund 30 Ratgeber zum halben Preis.
       reicht eine gemeinsame private Haftpflicht­versicherung aus.
       Bei eheähnlichen Gemeinschaften sollte der ­Partner oder die       Weitere Infos auf der Rückseite dieses Magazins.
       Partnerin jedoch in der Police erwähnt werden. Für Familien

— 10
Fragen & Antworten                                                                BAM — März / April 2021

Homeoffice & Co
— Änderungen
im Steuerrecht

Text: Bernd Thomas
Foto: Jonas Ginter                          3.
                                            	Bringt ein „echtes“
                                                   ­Arbeitszimmer mehr?
                                                                                       6.
                                                                                       	Ändert sich etwas bei der
                                                                                              Entfernungspauschale?
                                            Wer die Voraussetzungen für ein häus-      Im Rahmen des Klimapaketes wurde
                                            liches Arbeitszimmer erfüllt, kann         die Entfernungspauschale ab dem
 1.     Was ändert sich beim Soli?          wie bisher den höheren Einzelkosten­       21. Ent­­fernungskilometer für die Jahre
Der Solidaritätszuschlag entfällt für       nachweis geltend machen, höchstens         2021 bis 2023 auf 0,35 Euro und für
90 Prozent der Steuerpflichtigen.           1.250 Euro im Jahr oder, wenn das          die Jahre 2024 bis 2026 auf 0,38 Euro
Allein­stehende werden künftig erst         Arbeitszimmer der Mittelpunkt der          angehoben. Das soll Mehrbelastungen
ab einem Jahreseinkommen von rund           gesamten beruflichen Betätigung ist,       für Pendler mit langem Arbeitsweg aus-
73.000 Euro brutto – Verheiratete zu­       sogar unbegrenzt.                          gleichen. Zusätzlich wird für Gering-
sammen ab 146.000 Euro brutto – zur                                                    verdiener im Zeitraum 2021 bis 2026
Zahlung des sogenannten Solis heran-                                                   eine Mobilitätsprämie gewährt.
gezogen. Dadurch wird der typische          4.
                                            	Gibt es Entlastung bei
                                                   Bonuszahlungen?
Arbeitnehmerhaushalt freigestellt.          Steuerfreie     Sonderzahlungen      bis
                                            1.500 Euro für besondere Belastungen
                                            in der Corona-Krise können weiter­hin
2.
	Wie ist das mit der Kosten-
         pauschale fürs Homeoffice?         steuerfrei gewährt werden, diese Rege-     Mitglieder der Arbeitnehmer­
Für Beschäftigte im Homeoffice              lung wird bis Juni 2021 ver­längert.       kammer können sich zu ­Fragen
ist eine Kostenpauschale von fünf           Dies betrifft unter anderem die Bonus­     des Steuerrechts – auch bei
Euro pro Tag an bis zu 120 Tagen            zahlungen für Pflegerinnen und ­Pfleger.   ­Fragen zur Steuererklärung –
im Jahr ansetzbar, also maximal                                                         kosten­­los beraten lassen. Wenn
600 Euro. Die grundsätz­lichen Voraus­
setzungen für ein häus­liches Arbeits-      5.
                                            	Was ist mit den Zuschüssen
                                                    zum Kurzarbeitergeld?
                                                                                        Sie Hilfe bei der Erstellung Ihrer
                                                                                        Steuererklärung brauchen, ver­
zimmer müssen nicht nachgewiesen            Zuschüsse der Arbeitgeber zum Kurz-         einbaren Sie bitte einen ­Termin.
­werden, das bedeutet, auch wer zu          arbeitergeld bleiben bis Ende 2021          Für diese Beratungs­leistung
 Hause am Küchentisch ­arbeitet, kann       steuerfrei. Wenn der Arbeitgeber also       ­nehmen wir zehn Euro Gebühr.
 die Pauschale in Anspruch n     ­ehmen.    durch Tarifvertrag oder Betriebsverein-
         Aber: Für viele Beschäftigte       barung das Kurzarbeitergeld aufstockt,     Weitere Infos auf der Rückseite
 mit sonst nur niedrigen Werbungs­          bleibt dies steuerfrei. Die Steuer­        dieses Magazins.
 kosten wird es jedoch häufig nicht viel    befreiung des Zuschusses gilt aber nur
 ­bringen, da die Homeoffice-Pauschale      bis zu einer Höhe von 80 Prozent des
  mit dem Arbeitnehmerpauschbetrag          Soll-­Arbeitslohns, ­darüber hinaus wird
  (also der Werbungskostenpauschale)        regulär besteuert. Wer von Entgelter-
  von 1.000 Euro quasi „verrechnet“         satzleistungen wie dem Kurzarbeiter-
  wird. Wer also beispielsweise nur einen   geld profitiert, sollte eine Rücklage
  kurzen Arbeitsweg hat (und an den         bilden, denn diese unter­liegen dem
  Homeoffice-Tagen entfällt dieser ja)      ­Progressionsvorbehalt, ­werden also
  und auch keine weiteren nennens­           bei der Berechnung des Steuer­satzes
  werten Werbungskosten, geht dann           berücksichtigt und können zu einer
  leer aus.                                  Nachzahlung führen.

                                                                                                                                  — 11
BAM — März / April 2021                                         Tipps & Termine

       Tipps &
       Termine

                                                                                                                                                  Foto: Patrick Schulze / © Radio Bremen
                                                               PODCAST-TIPP

       BUCH-TIPP
                                                               Eine Stunde reden – der
       Überleben in der                                        Podcast mit Mario Neumann
       neuen Arbeitswelt                                       von Bremen Zwei

       Gerade in der jetzigen Pandemie sind Flexibilität       Reporter Mario Neumann stellt sich mit dem Plakat „Eine Stunde
       der Arbeit und Digitalisierung von großer Bedeu-        reden?“ in Norddeutschland auf die Straße. Redewillige nimmt er
       tung. Immer mehr Menschen arbeiten ­dezentral           mit ins Studio, wo sie aus ihrem Leben erzählen: von einschnei-
       im Homeoffice und müssen sich flexibel an die           denden Erlebnissen, gelebten Träumen und verpassten Chancen.
       Umstände anpassen. Dieser Umstellungsdruck führt
       bei vielen oft zu Verunsicherung. Mit einer ­großen     Alle zwei Wochen mittwochs – überall, wo es Podcasts gibt.
       Menge Fachwissen und Humor definieren die               Und unter www.ardaudiothek.de
       ­beiden Autorinnen diese neue Arbeitswelt, zeigen
        Fallstricke auf, geben Tipps wie man dieser Ver­
        änderung am besten begegnen kann und auf was
        man unbedingt achten muss. Ein Survivalguide für
        Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Managerinnen
        und Manager.
                Dieses Buch können Sie in Ihrer Stadt­
        bibliothek ausleihen.
                                                                                                                      Foto: photocase / nanihta
                                 Britz-Averkamp, Ingrid /
                                 Eich-Fangmeier,
                                 Christine
                                 Überleben in der
                                 neuen Arbeitswelt –
                                 Desk Sharing,
                                 Open Space, Mobiles           LITERATUR-TIPP
                                 ­Arbeiten & Co.
                                  metropolitan, 2020, 299 S.
                                                               Digitales Literatur­magazin
                                                               für Bremen
                                                               Jede Ausgabe widmet sich einem aktuellen Themen­schwerpunkt
                                                               – aufbereitet in literarischen Miniaturen, ­Kolumnen, Audios,
                                                               Buchtipps, Podcasts und Videos. Hier kommen ver­schiedene
                                                               Stimmen Bremens zu Wort, aber auch nationale und internatio-
                                                               nale Gäste.
                                                                      Das Bremer Literaturkontor und das virtuelle Literatur-
                                                               haus bieten dem literarischen Geschehen in Bremen mit dem
       KammerCard-Inhaber erhalten auf die                     Magazin eine zentrale Plattform. Diese spielt auch eine wichtige
       ­BIBCARD der Stadtbibliothek zehn Prozent               Rolle bei der Be­werbung um den UNESCO-Titel „City of Litera-
        Ermäßigung!                                            ture“.
           www.arbeitnehmerkammer.de/kammercard
                                                               www.literaturmagazin-bremen.de

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Veranstaltungskalender                                                           BAM — März / April 2021

Veranstaltungen
    ONLINE

5. März               20 Min. Input: Kaum noch auszuhalten – Familien und Care-Arbeiterinnen im Dauerstress:
10.35 Uhr             körperliche und psychische Folgen  (im Rahmen des Equal Care Day)

15. März              Schöne neue Arbeitswelt – Wie die Digitalisierung die Beschäftigungsperspektiven von
18 – 20 Uhr           Frauen verändert  (im Rahmen des Equal Pay Day)

24. März              Angebot der wisoak zum deutschen Weiterbildungstag
15 – 15.30 Uhr            Einführung in die Open-Source-Plattform „Moodle“
15.30 – 16 Uhr            Einführung in das Open-Source-Video-Conferencing-Tool „BigBlueButton“
                      Infos / mehr Veranstaltungen:   www.arbeitnehmerkammer.de/weiterbildungstag
                                                                                                             Online
                                                                                                             Veranstaltungen
                      Ihr Recht – einfach erklärt
9. März                   Befristung – auf ewig von einem Vertrag zum nächsten?
11. März                  Pflegespezial – Infoveranstaltung für Pflegebeschäftigte:
                          Schichtplan und Haftung                                                           nstaltungen
                                                                                               Unsere Vera                     ls
16. März                  Jobwechsel – Kündigung, Abfindung, Sperrzeit                                         t größtentei
                                                                                               finden zurzei
23. März                  Mutterschutz, Elternzeit und Elterngeld – Infos für                                  Unter
                                                                                               online statt.                     er.de/
                          werdende Eltern                                                           www.a  rb ei tnehmerkamm
                                                                                                                           Si e  de  n
                                                                                                veranstaltungen
20. April                 Schwerbehinderung und Steuern                                                            finden
                                                                                                                        . B ei  vi el en
27. April                 Das Arbeitszeugnis – „Er hat sich stets bemüht“                                      en Link
                                                                                                ­dazugehörig                en   Si e
jeweils 18 Uhr            Die gesetzliche Rente: Ab wann und in welcher Höhe?                                    gen kö nn
                                                                                                 Ver­anstaltun
                                                                                                           Fr ag  en stellen.
26. April             Höhe und Durchsetzung des gesetzlichen Mindestlohns                        per Chat
15 – 17 Uhr           u. a. mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil

    BREMERHAVEN

21. April             „Jägerin und Sammlerin“ – Lana Lux: Lesung im Rahmen der „Literarischen Wochen“
19.30 Uhr             Forum der Arbeitnehmerkammer, Bremerhaven

                      Capitol
3. März                  „Surprise“ – Dreierpack
5. März                  „Jetzt: Schützenfest!“ – Christine Schütze
13. März                 „Schnall dich an, Schatz“ – Reisegruppe Ehrenfeld
14. April                „Finne dich selbst“ – Bernd Gieseking ausverkauft
17. April                „Unfreiwillig komisch – Kabarett zum Wegschmeißen“ – Henning Ruwe & Martin Valenske
jeweils 20 Uhr        Capitol, Hafenstraße 156, Bremerhaven

                                           = für alle      = für Politikinteressierte   = für Betriebs- und Personalräte

		               PODCAST

		               Rolle Rückwärts                            Folge 6:
		                    www.arbeitnehmerkammer.de/
                                                            Mit Gesetzen den gesellschaftlichen
		               rollerueckwaerts
                                                            Wandel anstoßen?
Folge 5:                                                    Das Elterngeld und der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz
Was können Unternehmen tun?                                 sollten Anreize setzen, um Sorgearbeit gerechter ­zwischen
Die Herausforderungen des Lockdowns mit Schließung von      Müttern und Vätern zu verteilen. Tatsächlich ist die
Kita und Schule stellen insbesondere Familien und Frauen    Erwerbsbeteiligung von Frauen in den vergangenen zehn
vor Herausforderungen. Arbeitgeber sind hier gefordert –    Jahren deutlich angestiegen. Aber hat dies auch zu mehr
welche Strategien zu mehr Geschlechtergerechtigkeit gibt    Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt beigetragen?
es in Unternehmen?
                                                            Gast: Doris Achelwilm (MdB, Sprecherin der Links­
Gast: Bianca Stötzel (Frosta AG)                            fraktion für Gleichstellungs-, Queer- und Medienpolitik)
ab 12.3.                                                    ab 26.3.

                                                                                                                               — 13
BAM — März
             September
                  / April /2021
                            Oktober 2016

                                                                                                                                         Foto: Marco Meister
                   Anni Nottebaum und Bärbel Reimann teilen sich eine Führungsstelle bei der Landesbeauftragten für Frauen

          Chefinnen in Teilzeit
                    Nur knapp 14 Prozent der Führungsstellen im öffentlichen Dienst werden
                  in Teilzeit ausgeübt. Dabei könnten sich mehr Beschäftigte eine Chefposition
                      mit reduzierter Stundenzahl vorstellen. Der Bremer Finanzsenator hat
                                             deshalb ein Pilotprojekt angestoßen

                                                  der Führungsstellen in Teilzeit ausge-      Finanzsenators die Möglichkeit ergab,
       Text: Insa Lohmann                         übt. An dem Pilot­projekt, das im Herbst    sich die Leitungsstelle mit reduzier-
       Fotos: Kay Michalak                        2020 gestartet ist, nehmen fünf Paare       ter Arbeitszeit zu teilen, mussten die
                                                  teil. Ende des Jahres läuft das Projekt     beiden Frauen nicht lange überlegen.
       Es ist Montagmorgen. Hilke ­Wiezoreck      aus, dann soll es einen Bericht mit den     „Ich habe einen Sohn, da ist es einfach
       und Astrid Becker haben sich für eine      Erfahrungen der Teilnehmerinnen und         schön, wenn ich da bin“, sagt Becker.
       Videokonferenz verabredet. „Was            Teilnehmer geben.                           Bei Hilke Wiezoreck spielte neben
       denkst du darüber?“ – das ist eine der             Noch sind Hilke Wiezoreck und       ­privaten Gründen auch der konkrete
       häufigsten Fragen, die sich die beiden     Astrid Becker die Ausnahme in ihrer          Wunsch nach einer geteilten Leitung
       Mitarbeiterinnen des Landesinstituts       Behörde – und auch sonst. „Ich kenne         eine Rolle: „Mir macht es Spaß, gemein-
       für Schule Bremen (LIS) stellen. Die       keine Frau, die in Teilzeit führt“, sagt     sam zu arbeiten. Ich arbeite gerne im
       Frauen teilen sich eine Führungsstelle –   Wiezoreck. Die gelernte Juristin und         Team“, sagt Wiezoreck. „­Leitung macht
       in Teilzeit. Ein bislang eher unge-        Berufsschullehrerin kümmert sich am          oft einsam.“
       wöhnliches Konzept. Initiiert wurde        Landesinstitut für Schule um Personal­               Hilke Wiezoreck und ­Astrid
       das Modellprojekt vom Bremer Finanz­       entwicklung und Fortbildungen für            Becker arbeiten jeweils 32 ­Stunden in
       senator, um mehr Menschen für eine         Führungskräfte – anfangs alleine. In­­       der Woche – Becker kümmert sich ver-
       Chefposition in Teilzeit zu be­geis-       zwischen teilt sie sich den Bereich          stärkt um Vormittagstermine, ­Wiezoreck
       tern. In Bremens öffentlichem Dienst       mit der Grundschullehrerin Astrid            um Verpflichtungen am Nachmit-
       ­werden bislang nur knapp 14 Prozent       Becker. Als sich durch das Projekt des       tag. Doch welche Faktoren sind

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Geteilte Führung                                                                  BAM — März / April 2021

entscheidend, damit solch ein Modell         Bislang sei das Modell der geteil-
funktioniert? „Ein gemeinsames Füh-          ten Führung hierzulande wenig ver­
rungsverständnis ist elementar“, sagt        treten, wie der Hamburger Wirtschafts-
Astrid Becker. „Es ist wichtig, eigene       wissenschaftler Marco Zimmer weiß:
Stärken und Schwächen zu reflektie-          „Job-Sharing macht in Deutschland
ren und Dinge sofort anzusprechen“,          rund 15 Prozent aus.“ Länder wie Groß-
ergänzt Hilke Wiezoreck. Die bei-            britannien oder der skandinavische
den Frauen haben feste Zeiten für Ab­        Raum seien deutlich weiter. „Damit
sprachen. „Diese Zeit ist uns ­heilig“,      dieses Konzept funktionieren kann,
sagt die Berufsschullehrerin. Auch ein       muss man sich vom 24/7-Chef verab-
gemeinsames Auftreten nach innen und         schieden“, so der Experte. In ­vielen
außen sei wichtig – es gibt gemeinsame       ­Branchen gebe es die Erwartungs­
Visitenkarten und eine einheitliche           haltung, dass eine Führungskraft stän-
E-Mail-Signatur. Zudem sei klar gere-         dig erreichbar sein müsse, sagt Marco
gelt, wer welche Verantwortlichkeiten         Zimmer, der als wissenschaftlicher
trage und wann ansprechbar sei. Für           Direktor am ipo Institut für Personal &
Hilke Wiezoreck und Astrid Becker ist         Organisationsforschung der Hochschule
die geteilte Führung bisher ein Erfolgs-      für Oekonomie & Management arbeitet.
modell: „Es vereint Work-­Life-Balance,       Grundsätzlich sei das Modell für jede
die Förderung von Frauen und den              Behörde und jedes Unternehmen geeig-
Wunsch von Menschen, die gerne in             net, „aber es ist ein ge­­wisser Grad an
Teilzeit arbeiten möchten, sehr gut“,         Bürokratie wichtig“, ist ­Zimmer über-
                                                                                         „Ein gemeinsames
sagt Hilke Wiezoreck. „Allerdings ist         zeugt. Klare Rollenzuweisungen, feste
eine geteilte Führung kein Garant             interne Strukturen, Unterstützung der      ­Führungsverständnis ist
dafür, dass es klappt – es braucht klare      Chefetage, Akzeptanz der Mitarbeite-
                                                                                         ­elementar.“
Rahmenbedingungen.“                           rinnen und Mitarbeiter sowie eine orga-
                                              nisatorische Trennung seien wichtige       Astrid Becker
                                              Voraussetzungen.

                                             Noch immer ist es vor allem für Frauen
         „Damit dieses Konzept               schwierig, eine Führungsposition in
                                             Teilzeit zu finden. „Diese Hürde darf es
     ­funktionieren kann, muss
                                             nicht geben“, findet die Bremer Psycho­
      man sich vom 24 / 7-Chef               login Bärbel Reimann. Reimann und
                                             ihre Kollegin Anni Nottebaum ­teilen
                   ­verabschieden.“
                                             sich eine Führungsstelle bei der Lan-
                          Marco Zimmer       desbeauftragten für Frauen – ebenfalls
                                             im Rahmen des Bremer Modellprojekts.
                                             Es gibt klare Verantwortlich­keiten:
                                             ­Während die Juristin Nottebaum sich
        Das bestätigt auch Arbeit­            um Rechts- und Grundsatzfragen küm-
nehmerkammer-Geschäftsführerin Elke           mert, ist Reimann für Fach­themen wie
Heyduck: „Geteilte Führung umzu-              Arbeitsmarktpolitik zuständig. Sie sind
setzen, ist sicherlich kein Kinderspiel.      überzeugt: Das Modell verbessert die
Es bedarf klarer Absprachen und vor           Qualität der Arbeit. „Zu zweit sind
allem müssen die Mitarbeiterinnen und         wir ganz anders unterwegs“, berich-
Mitarbeiter wissen, woran sie sind.“          tet ­Reimann, die die Stelle zuvor vier
In der Hansestadt liegt der Anteil der        Jahre alleine geleitet hat. Für die
Teilzeitbeschäftigten bei 30 Prozent –        ­beiden Frauen ist das Projekt eine
74,3 Prozent sind weiblich, 25,7 männ-         Chance: „Auf eine volle Leitungsstelle
lich. Die Gründe, warum Beschäftigte           hätte ich mich nicht beworben“, sagt
sich bewusst für eine Teilzeitstelle ent-      Anni ­Nottebaum. Sie fordert: „Der
scheiden, sind vielfältig: Kinder, pflege­     Arbeitsmarkt muss umdenken. Frauen
bedürftige Eltern oder der Wunsch              haben immer noch nicht die gleichen
nach einer besseren Work-Life-Balance.         Aufstiegschancen.“                        „Es ist wichtig, eigene Stärken
„Geteilte Führung ist eine Chance für
                                                                                         und Schwächen zu reflektieren
Männer und Frauen, die neben dem
Job noch andere Pflichten zu erledigen                                                   und Dinge sofort anzusprechen.“
haben – und die deswegen nicht auf
                                                                                         Hilke Wiezoreck
den nächsten Karriereschritt verzichten
wollen“, sagt Heyduck.

                                                                                                                                     — 15
BAM — März / April 2021    Galerie der Arbeitswelt

         Nina Behnke arbeitet
            in ihrem Betrieb
       hauptsächlich mit Frauen
              zusammen

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                                              GALERIE DER ARBEITSWELT

                                   Macherin
                                   in Farbe
                     Nina Behnke arbeitet als Maler- und Lackiererin
               in Bremerhaven. Als Gesellin übernimmt sie Verantwortung
                             und liebt es, mit anzupacken

                                         Text: Frauke Janßen – Foto: Kay Michalak

„I
     ch probiere gern Sachen aus“, sagt Nina Behnke. Dafür      könne ja seine Sachen packen und dem Chef erklären, warum
     bietet ihr das Handwerk Arbeitsfelder, die weit über       er sich weigere – dann ging es plötzlich doch!“ Auch eine
     ­bloßes Anstreichen hinausgehen, „wie zum Beispiel         Privat­kundin habe sie zunächst nicht anerkennen wollen und
      neue Schmuck- und Spachteltechniken.“ Besonders das       gefragt, wann denn der Geselle komme. „Größtenteils sind
 Tapezieren hat es der 32-Jährigen angetan. Schon als Kind      die Kunden und meine männlichen Kollegen aber respektvoll
 liebte sie es, gemeinsam mit ihrer Mutter zu Renovieren        und kommunikativ im Umgang mit mir“, sagt Behnke. Das
 und ­Tapeten zu kleben. Inzwischen ist Nina Behnke froh,       mag auch daran liegen, dass sie gerne mit anpackt, wenn die
 ihr Handwerk auch professionell zu beherrschen. Außer-         Aufgaben verteilt sind.
 dem hat sich seit damals einiges verändert: „Früher hat                Innerhalb ihres Betriebs arbeitet die Malergesellin
 man die ­Tapeten eingekleistert und auf die Wand geklebt,      indes hauptsächlich mit Frauen und weiblichen Auszubilden-
 heute ­kleistert man zuerst die Wände ein und klebt dann       den zusammen. Sie seien oftmals bei der Bewerbung schon
 Fließ­tapeten darauf. Zu den Neuerungen gehören Tapeten,       sehr gut qualifiziert und aufgrund ihres Sozialverhaltens und
 bei denen der Kleber schon drauf ist und die man vor dem       ihrer Zuverlässigkeit tolle Arbeitskräfte und Kolleginnen, so
 Anbringen nur noch durch ein Wasserbad ziehen muss –           Behnkes Vorgesetzte, Anke Mio. Momentan ist Nina Behnke
 eine tolle Zeitersparnis“, erläutert die Malergesellin. Auch   nebenberuflich damit beschäftigt, ihre Meisterqualifikation
 das Streichen funktioniere heute vielfach anders. „Mit den     zu erwerben. Und was kommt danach? „Ich könnte vielleicht
 verschiedenen Spritzverfahren geht es viel bequemer und        irgendwann den Betrieb übernehmen. Erstmal will ich aber
 schneller voran, das macht einfach Spaß!“                      einfach so weitermachen wie jetzt!“

 Freude an der Arbeit hat Nina Behnke nicht allein durch ihre
 verschiedenen handwerklichen Tätigkeiten. Seit sie vor rund
 acht Jahren ausgelernt hat, ist sie im Sommer vergangenen
 Jahres zu ihrer Ausbildungsstätte zurückgekehrt, der Mio       Der Maler und Lackierer /
 und Gulde GmbH, einem Malereibetrieb in Bremerhaven.           Die Maler- und Lackiererin
 Dort fühlt sie sich so gut aufgehoben wie in einer Familie.
 In den Jahren zuvor hat sie als Vorarbeiterin hauptsächlich    Fachkräfte werden im Maler-Handwerk vielfach gesucht.
 auf Großbaustellen gearbeitet und dort Kollegen und Auf-       Wer sich für eine Ausbildung im Land Bremen ­interessiert,
 gaben delegiert – als Frau im Handwerk war das manchmal        findet unter www.es-ist-deine-staerke.de zahlreiche
 herausfordernd. „Es kam schon vor, dass ein Kollege meine      ­Praktikumsplätze und Lehrstellen.­
 An­­weisungen nicht befolgen wollte; ich habe ihm gesagt, er

                                                                                                                                — 17
BAM — März / April 2021

                    Rolle rückwärts?
        — Frauen in der Corona-Krise
                         Berufstätigen Frauen verlangt die Corona-Krise besonders viel ab:
                       Überwiegend sind sie es, die ihre Arbeitszeit reduzieren und sich um
                Kinder und Haushalt kümmern, während die Männer beruflich am Ball bleiben.
                             Verstärkt die Pandemie die Nachteile von Frauen im Beruf?

                                                 Text: Suse Lübker – Foto: Jonas Ginter

   M
                     orgens (noch) früher aufstehen und vor dem       Frauen, aber nur 16 Prozent der Männer ihre Arbeitszeit
                     Frühstück eine Runde ins Homeoffice, vor­        reduziert, damit sie sich um die Kinder kümmern ­können,
                     mittags Homeschooling mit den Schulkindern       das zeigt eine Befragung der Hans-Böckler-Stiftung. Die
                     und zwischendurch eine paar berufliche Tele­     Folge dieser ungleichen Verteilung: Mütter sind rund um die
       fonate. Mittags Essen zubereiten für alle, nachmittags Frei-   Uhr gefordert. Der Druck wächst, parallel den Anforderun-
       zeitprogramm mit dem Nachwuchs, nebenbei Einkauf,              gen im Familienleben und bei der Arbeit gerecht zu werden.
       Wäsche und was sonst noch anliegt. Abends und am Wochen-
       ende die fehlenden Arbeitsstunden nachholen, während der       Eine Umfrage der Arbeitnehmerkammer aus dem Herbst
       Partner sich um die Kinder kümmert.                            2020 zeigt, wie sehr gerade Frauen darunter leiden, wenn
               Ein typischer Tagesablauf für viele Frauen mit         sich Arbeits- und Familienleben nicht trennen lassen. „Das
       ­Kindern, die während der Corona-Krise ihre (Teilzeit-)        Argument, man könne die Arbeitszeit ja abends nach­­holen,
        Arbeit ins Homeoffice verlegen mussten. Denn in der Regel     ist ein Hohn“, schreibt eine Befragte. Und ergänzt: „Wer
        sind es die Frauen, die einspringen, wenn Schulen und Kitas   hat dafür noch Kraft, wenn er bereits 14 Stunden Familien­
        geschlossen sind. Deutschlandweit haben 27 Prozent der        arbeit geleistet hat. Insgesamt führte das zu einer großen

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Arbeit und Frauen                                                                 BAM — März / April 2021

 Gereiztheit bei allen Familienmitgliedern.“ Da ist die Rede                 Die Abwesenheit vom Arbeitsmarkt habe langfristige
 von der „täglichen Zerreißprobe“ oder vom „massiven Druck          Konsequenzen, so sieht es Sonja Bastin, Sozialwissenschaft-
 und hoher psychischer Belastung“.                                  lerin an der Uni Bremen: „Wenn Frauen wieder verstärkt
                                                                    zu Hause sind, haben sie weniger Chancen in Führungs-
 Besondere Herausforderung für Alleinerziehende                     oder Entscheidungspositionen zu gelangen.“ Auch darüber
 Für Einelternfamilien sind die Herausforderungen während           müsse es eine öffentliche Debatte geben, fordert Bastin. Man
 der Pandemie besonders groß. Die Erhöhung des Kinder-              müsse ­ver­hindern, dass sich Ungleichheiten immer wieder
 krankengeldes von 20 auf 40 Tage sei ein richtiger Schritt,        ­re­­produzieren.
 erklärt Christiane Goertz, Koordinatorin des Bremer Netz-
 werks Alleinerziehende. Trotzdem stelle sich die Frage, ob es
 für Alleinerziehende wirklich weniger Stress bedeutete. „Das
 Recht auf die Kinderkrankentage ist das eine, die Durch­           „Männer und Frauen können nicht
 setzung erfordert manchmal Mut und Kraft“, so Goertz. Aus
 Umfragen sei bekannt, dass Alleinerziehende häufiger als
                                                                    40 Stunden die Woche arbeiten und
 andere krank zur Arbeit gehen. Sie müssen sich besonders           dabei noch die Familien versorgen –
 beweisen oder befürchten, dies tun zu müssen.
         All das ist bekannt und tagtäglich zu erleben. Bereits
                                                                    in der Krise nicht, aber auch nicht
 vor der Corona-Krise waren es vor allem die Frauen, die den        im Normalfall.“
 größten Anteil der so genannten Sorgearbeit übernehmen
                                                                    Sonja Bastin
 und auf dem Arbeitsmarkt zurückstecken. „Ein Großteil der
 Familien entscheidet unter ökonomischen Gesichtspunkten,
 wer zu Hause bleibt und die Kinder betreut“, sagt Marion
 Salot, Referentin für Wirtschaftspolitik und Gleichstellung
 bei der Arbeitnehmerkammer Bremen. Da Frauen insgesamt             Fest steht: Bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit wird über-
 häufig weniger verdienen, seien sie in einer schlechten Ver-       wiegend von Frauen geleistet – wertvolle Arbeit, ohne die die
 handlungsposition, wenn es um die Entscheidung geht, wer           Gesellschaft nicht existieren könnte. Das wird ganz beson-
 seine Arbeitszeit reduziere. Und das bleibt nicht ohne Folgen      ders jetzt in der Corona-Krise deutlich. Umso wichtiger ist
 für das eigene Einkommen, den beruflichen Werdegang und            es, dass diejenigen, die das Fundament unserer Gesellschaft
 die Rentenansprüche.                                               bilden, nicht nur wertgeschätzt, sondern auch angemessen
                                                                    bezahlt werden. „Wir müssen gleiche Löhne für gleichwer-
                                                                    tige Arbeit schaffen“, so Bastin. Es könne nicht sein, dass so
                                                                    genannte Frauenberufe grundsätzlich schlechter bezahlt wer-
                                                                    den. Man müsse Berufe geschlechterneutral bewerten und
   „Je gleichberechtigter beide Partner                             bezahlen, das würde die Position von Frauen schon nachhal-
auf dem Arbeitsmarkt dastehen, desto                                tig stärken. Aber das sei, so Bastin, nur ein Teil der Lösung.
                                                                    Klar sei auch, dass Männer und Frauen nicht 40 Stunden die
­weniger eindeutig ist die Entscheidung,                            Woche arbeiten und dabei noch die Familien versorgen kön-
                      wer zurücksteckt.“                            nen – in der Krise nicht, aber auch nicht im Normalfall.

                                                   Marion Salot
                                                                    Die Corona-Krise ist noch lange nicht vorbei. Gerade jetzt
                                                                    sind politische Lösungen gefragt, die beiden Elternteilen
                                                                    ermöglichen, sich beruflich weiterzuentwickeln und sich die
                                                                    Familienaufgaben gerecht aufzuteilen. Jetzt und in Zukunft.
 Corona verstärkt die Ungleichheit
 Durch die Pandemie wurde vor allem deutlich, wie ­wichtig
 eine verlässliche Betreuungsstruktur für Familien ist. Sobald
 diese wegbricht, sind es in der Regel die Frauen, die sich
 ­kümmern. Das hänge auch damit zusammen, dass die Gesell-
  schaft Frauen diese Eigenschaft eher zuschreibt, erklärt Salot.
  Dabei gibt es genug Männer, die mehr Familien- und Pflege­        Rolle Rückwärts
  arbeit übernehmen würden, das belegt zum Beispiel eine            Der Podcast der Arbeitnehmerkammer zu unbezahlter
  Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW ­Berlin).      ­Sorgearbeit und Corona
  Allerdings befürchtet ein großer Teil der Männer erheb­liche          www.arbeitnehmerkammer.de/rollerueckwaerts
  Nachteile für die Karriere, wenn sie sich für eine ­längere
  Elternzeit entscheiden oder ihre Arbeitszeit reduzieren. Wäre
  die Care- und Erwerbsarbeit vor der Corona-Krise besser ver-
  teilt ge­­wesen, hätte sich dieser Effekt vermutlich nicht so
  verschärft, dessen ist sich auch Salot sicher: „Je gleichbe-
  rechtigter beide Partner auf dem Arbeitsmarkt dastehen,
  desto weniger eindeutig ist die Entscheidung, wer zurück-
  steckt.“

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