Arbeitszeit Flexibilität ja - aber in geschütztem Rahmen - Arbeitnehmerkammer Bremen

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Arbeitszeit Flexibilität ja - aber in geschütztem Rahmen - Arbeitnehmerkammer Bremen
Mai / Juni 2021

                                   Arbeitszeit
                      Flexibilität ja – aber in geschütztem Rahmen

Mit Gesetzen zu mehr               „Es besteht eine      Geburtshilfe muss
Gleichstellung                     große Lücke“          weiter gestärkt werden
Kind und Job geschlechtergerecht   Interview zum         Hebammen in Bremer
vereinbaren                        Gender Pension Gap    Krankenhäusern
Arbeitszeit Flexibilität ja - aber in geschütztem Rahmen - Arbeitnehmerkammer Bremen
BAM — Mai / Juni 2021                                                                        Inhalt

      Galerie der Arbeitswelt                       Verbrauchertipp: Private Altersvorsorge     Fragen und Antworten: Die Grundrente
      Seite 16                                      Seite 10                                    Seite 11

                                                                            SERVICE & BERATUNG
      Inhalt                                                                10
                                                                                Verbrauchertipp
                                                                            			 Private Altersvorsorge im Zinstief

                                                                            11			 Fragen & Antworten
                                                                            			 Die Grundrente – Rentenplus nach
      THEMEN                                                                    langer Arbeit

      			 Schwerpunkt                                                       22			     Alles, was Recht ist
      6			Arbeitszeit                                                                 Rechtstipp / Rechtsirrtum: Wenn ich
      			 Flexibilität ja – aber in geschütztem Rahmen                                keine Probezeit habe, gilt Kündigungsschutz
                                                                                      von Anfang an
      14
        Mit Gesetzen zu mehr Gleichstellung

        Kind und Job geschlechtergerecht                                    23
                                                                              Drei Fragen
        vereinbaren
                                                                              zum Arbeitszeugnis

      18		  „Es besteht eine große Lücke“
      			   Interview zum Gender Pension Gap		                              IN JEDEM HEFT

      20			 Geburtshilfe muss­weiter gestärkt werden                        3			Editorial
      			   Hebammen in Bremer Krankenhäusern
                                                                            4			Die Bremer Arbeitswelt in Zahlen
                                                                            			 Arbeit prägt Armut

                                                                            5			Kurz gemeldet

                                                                            12			 Tipps & Termine
                                      Aktuelle politische Inhalte
        BAM                          und Service-Informationen              13			 Veranstaltungskalender
       im Abo?                      von uns finden Sie auf T
                                                           ­ witter
                                        (@ANK_HB), facebook                 16			 Galerie der Arbeitswelt
                                e    (Arbeitnehmerkammer Bremen),
                                                                              Der Kfz-Mechatroniker
                 er.d
  bam@ ehmerkamm                          ­YouTube und Xing.
         n
  arbeit                                                                    22			     Impressum

                                                                            23			     Cartoon

                                                                            24			     Beratungsangebote & Öffnungszeiten

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Arbeitszeit Flexibilität ja - aber in geschütztem Rahmen - Arbeitnehmerkammer Bremen
Editorial                                                              BAM — Mai / Juni 2021

                                                           EDITORIAL

                  #first7jobs
                                                           100 Jahre für
                                                           eine gerechte
                  Kellner? Babysitter? Oder doch eher
                  Marketing-Hase in der Fußgänger-
                  zone? Wir haben prominente Bre-
                  merinnen und Bremer gefragt, wie
                  sie ihre Berufslaufbahn be­­gonnen
                  haben.

                  Als Talkshow-Queen wurde sie in
                                                           Arbeitswelt!
                  den 1990ern berühmt, mittlerweile
                  schreibt sie Bücher, moderiert
                  beim hr3 und unterhält gemein-
                  sam mit der Autorin Susanne Fröh-
                  lich im Podcast „Ausgesprochen:
                  Fröhlich mit Schäfer“ regelmäßig
                  eine treue Fangemeinde. Als Schü-
                  lerin verdiente sich Bärbel Schäfer                                  Peter Kruse
                  in der Bremer Innenstadt ihr erstes                               Präsident der
                  Geld beim Regalauffüllen und als                           Arbeitnehmerkammer
                  Verkäuferin. Die Verbundenheit zu                                       Bremen
                  ihrer Heimatstadt hat sie bis heute
                  nicht verloren: Im Weser-Strand-
                  Talk begrüßt sie Bremer Prominente
                  und als Botschafterin für Trauer-        Liebe Leserinnen und Leser,
                  land engagiert sie sich beim Bremer
                  Zentrum für trauernde Kinder und         die Arbeitnehmerkammer wird dieses Jahr 100 Jahre alt.
                  Jugendliche.                                     Vor ihrer Gründung 1921 befanden sich – vor allem
                                                           durch die Industrialisierung und den Wandel der Produk­
                       Regalauffüllerin in einem           tionsverhältnisse – viele Menschen plötzlich in abhängigen
                       Geschenkartikelladen in der         Arbeitsverhältnissen. Arbeiterinnen und Arbeiter organi­
                       Obernstraße                         sierten sich, um ihre Interessen besser durchsetzen zu kön­
                       Liebesäpfel kandieren und           nen. Mit Beginn der Weimarer Republik und der damit ver­
                     ­verkaufen auf dem Bremer             bundenen demokratischen Gesellschaft entstand in Bremen
                      ­Freimarkt                           die erste institutionalisierte Vertretung von Beschäftigten
                       Kellnerin in der Sommersaison       in Deutschland – damals noch aufgeteilt in eine Arbeiter-
                       auf Norderney                       und eine Angestelltenkammer.
                       Nachhilfelehrerin
                       Ablage im Büro des Vaters           Auch heute gehört es zu der wesentlichen Aufgaben der
                       Aufbügeln von Massenware            Arbeitnehmerkammer, Politik, Verwaltung und Gesell­
                       im Akkord                           schaft über die Situation und die Interessen der Beschäftig­
                       Statistin bei einer Radio-­         ten zu informieren und Einfluss auf notwendige Verände­
                       Bremen-Produktion                   rungen zu nehmen.
                                                                  Wie Friedrich Ebert damals zum Vater der heuti­
                                                           gen Arbeitnehmerkammer wurde, wie sich die Kammer
                                                           im Laufe der letzten 1oo Jahre entwickelt hat, warum die
                                                           Arbeiter- und die Angestelltenkammer im Jahr 2000 fusi­
                                                           oniert haben und wie relevant die Arbeitnehmerkammer
                                                           als Interessenvertretung immer noch ist, haben wir für
                                                           Sie aufbereitet – in einem Buch, auf einer Website und in
                                                           einer Ausstellung. Außerdem wird Anfang Juni eine Jubi­
                                                           läums-Ausgabe der BAM erscheinen.
                                                                  Wir freuen uns, mindestens weitere 100 Jahre für
                                                           Sie da zu sein!
Foto: Anja Jahn

                                                           Ihr Peter Kruse

                      Bärbel Schäfer                       ­Kontakt:     bam@arbeitnehmerkammer.de

                                                                                                                                              — 3
Arbeitszeit Flexibilität ja - aber in geschütztem Rahmen - Arbeitnehmerkammer Bremen
BAM — Mai / Juni 2021

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      DIE BREMER ARBEITSWELT IN ZAHLEN                                                            Menschen, die über
                                                                                                      weniger als
                                                                                                    60 Prozent des

      Arbeit prägt Armut
                                                                                               mittleren Einkommens
                                                                                                 (1.790 Euro netto) in
                                                                                                Deutschland verfügen:
                                                                                                2019 lag diese Grenze
                                                                                               bei 1.074 Euro netto für
                                                                                                 eine alleinwohnende
      Fast ein Viertel der Bremerinnen und Bremer war                                                   Person.

      im Jahr 2019 armutsgefährdet, das ist mehr als in
      jedem anderen Bundesland. Ein erheblicher Teil aller                                  Selbst der Mindestlohn
                                                                                              ist nicht armutsfest:
      erwachsenen Armen besteht aus Erwerbstätigen                                          Ein Bruttostundenlohn
                                                                                             von derzeit 9,50 Euro
      und Rentnern. Es ist zu erwarten, dass durch die                                      garantiert nicht einmal
      Folgen der Corona-Pandemie das Armutsrisiko                                           einem Single mit voller
                                                                                             Stelle ein Einkommen
      weiter steigt                                                                          oberhalb der Armuts-
                                                                                                     schwelle.

      Die Armut in der                     2005 hatte der                   Einkommensarmut im Stadtstaat Bremen
      Stadt Bremen                       Anteil noch gut ein                weiterhin am höchsten
      wächst – trotz                      Fünftel betragen.                 Quote der Einkommensarmut im Bundesländer-
      aller politischen                  2019 lag er bei fast               vergleich 2019 (gemessen am Bundesmedian)
      Maßnahmen                             einem Viertel
                                                                                             Bremen                            24,9 %
                                                                            Mecklenburg-Vorpommern                         20,9 %
                                                                                     Sachsen-Anhalt                      19,4 %
                        2005                                         2019                      Berlin                    19,3 %
                                                                                 Nordrhein-Westfalen                    18,5 %
                                                                     24,7                   Sachsen                    17,2 %
                                                                     24,5             Niedersachsen                   17,1 %
           Leipzig 23,9

                                                                                                                                        Quellen: Koordinaten der Arbeit 2019 / IAB Betriebspanel / Amtliche Sozialberichterstattung (Mikrozensus, IT NRW) / Statstikportal.de
                                                                     22,7                  Thüringen                  17,0 %
          Bremen 21,4
                                                                                            Saarland                  17,0 %
                                                                                             Hessen                  16,1 %
            Berlin 19,7                                                                 Deutschland                  15,9 %
                                                                     19,3
        Dortmund 18,6                                                                Rheinland-Pfalz                 15,6 %
                                                                                        Brandenburg                 15,2 %
         Hamburg 15,7                                                19,5                   Hamburg                 15,0 %
      Deutschland 14,7                                               15,0         Schleswig-Holstein               14,5 %
                                                                                  Baden-Würtemberg               12,3 %
                                                                                              Bayern            11,9 %

      Hohe Lohnungleichheit: Einkommensarmut                                Fehlender Berufsabschluss erhöht Armutsrisiko
      durch sinkende Tarifbindung

                                        2019 wurden 57 % der                  13 %
                                        Beschäftigten nach Tarif              (43.900 Menschen) der
                                        entlohnt. Die Lohnlücke               Beschäftigten im Land
                                        zwischen Tarifbeschäftig-             Bremen* haben keinen
                                        ten und nicht nach Tarif              Berufsabschluss.                        Zeugnis
                                        Beschäftigten im Land
                                        Bremen beträgt fast 10 %.           *Stand:
                                                                             Juni 2020

                                                                                    Für diese Menschen ist
                                                  Gerade bei                    das Armutsrisiko besonders
                                            Einkommen unterhalb                hoch, weil sie häufig zwischen
                                              von 1.500 Euro ist                Arbeitslosigkeit und prekärer
                                             die Tarifbindung der                  Beschäftigung wechseln.
                                             Beschäftigten stark                 Hier wäre eine Nachqualifi-
                                            unterdurchschnittlich.               zierung gut, um Aufstieg zu
                                                                                         ermöglichen.

— 4         Das Modelädchen    Blumen
Arbeitszeit Flexibilität ja - aber in geschütztem Rahmen - Arbeitnehmerkammer Bremen
BAM — Mai / Juni 2021

Kurz
gemeldet                                                       Vollversammlung wählt
                                                               Peter Kruse
                                                               zum Präsidenten
                                                               Mit großer Mehrheit hat die Vollversammlung der Arbeit­
                                                               nehmerkammer, das Selbstverwaltungsorgan der Kammer,
                                                               Peter Kruse in seinem Amt als Präsident bestätigt.

                                                               Peter Kruse betonte: „Die aktuelle Situation zeigt uns, dass
                                                               es auch in einer zunehmend digitalisierten Wissens- und
                                                               Dienstleistungsgesellschaft von großer Bedeutung ist, wie
                                                               Arbeit und finanzielle Ressourcen verteilt sind. In Zeiten
                                                               von Corona bleiben noch mehr Jugendliche ohne Ausbil­
                                                               dungsplatz, verdienen gerade die Niedrigverdiener noch
                                                               weniger und verlieren gerade Leiharbeiter und prekär
                                                               Beschäftigte ihre Jobs. Diese Entwicklungen geben uns
                                                               ausreichend Aufgaben auf, auch 100 Jahre nach unserer
                                                               Gründung für eine gerechte Arbeitswelt zu streiten.“

Herzlichen                                                     Neben Peter Kruse wählte die Vollversammlung folgende
Glückwunsch!                                                   Vertreterinnen und Vertreter in den siebenköpfigen Vor­
                                                               stand: Doreen Arnold (IG Metall) wurde als Vize-Präsi­
50 Jahre Universität Bremen                                    dentin wiedergewählt. Als zweiter Vize-Präsident neu in
                                                               den Vorstand gewählt wurde Stefan Röper (NGG). Annette
Gegründet wurde die Uni Bremen 1971: Aus einem
                                                               Düring (ver.di) und Ralf Wilke (IG Metall) wurden eben­
Reformprojekt, das im ersten Semester mit 459 Studieren­
                                                               falls im Amt bestätigt und fungieren zusammen mit den
den begann, wurde in nur fünf Jahrzehnten eine euro­
                                                               neu gewählten Vorstandsmitgliedern Caren Emmenecker
päische Forschungsuniversität. Heute studieren, forschen
                                                               (GEW) und Claudia Thadewaldt (ver.di) als Beisitzer
und arbeiten hier rund 23.000 Menschen aus mehr als
                                                               beziehungsweise Beisitzerin.
120 Ländern. Mehr als 3.500 Studierende machen jedes
Jahr ihren Abschluss und bringen sich danach als hoch­
                                                               Weitere Informationen unter
qualifizierte Fachkräfte in Wirtschaft und Gesellschaft ein.
                                                                  www.arbeitnehmerkammer.de/ueber-uns
Darüber hinaus forscht die Uni Bremen zum Beispiel zu
Klimawandel, Digitalisierung und Gesundheitsversorgung.
Die Ausstellung „WARUM? DARUM.“, die seit März bei
einem Spaziergang oder einer Radtour besucht werden
kann, zeigt anhand von 50 Beispielen, wo überall Uni
drinsteckt und wie sie Bremen verändert.

Infos zu weiteren Veranstaltungen
im ­Jubiläumsjahr unter
     www.uni-bremen.de/50-jahre
                                                                                                                                     Foto: Michael Bahlo

 Die Arbeitnehmerkammer ist eng mit der Uni­
 ver­sität Bremen verbunden, vor allem über zwei
 gemeinsame Einrichtungen: das sozial- und
­wirtschaftswissenschaftliche Forschungs­institut
 Arbeit und Wirtschaft (iaw) und das Zentrum für
                                                               Frisch gewählt: der siebenköpfige Vorstand der Arbeitnehmer-
 Arbeit und Politik (zap).
                                                               kammer Bremen, v.l.n.r.: Stefan Röper, Doreen Arnold, Claudia
                                                               Thadewaldt, Annette Düring, Ralf Wilke, Peter Kruse und Caren
                                                               Emmenecker

                                                                                                                               — 5
Arbeitszeit Flexibilität ja - aber in geschütztem Rahmen - Arbeitnehmerkammer Bremen
SCHWERPUNKT

Arbeitszeit
Flexibilität ja
— aber in geschütztem
Rahmen

Viele Beschäftigte wünschen sich mehr S
                                      ­ ouveränität
bei der Gestaltung ihrer ­Arbeitszeiten, um flexibel auf
bestimmte Lebenssituationen reagieren zu können.
­Entscheidend dabei ist, dass ihr gesund­heitlicher Schutz
gewährleistet bleibt. Das ist beim Beantworten beruflicher
E-Mails nach Feierabend eher nicht der Fall

Text: Anne-Katrin Wehrmann – Foto: Jonas Ginter, Kay Michalak
Arbeitszeit Flexibilität ja - aber in geschütztem Rahmen - Arbeitnehmerkammer Bremen
Schwerpunkt                                                                BAM — Mai / Juni 2021

                                           Ruhezeiten und Höchstarbeits­   dauern    Spielräume noch nicht ausgereizt
                                           re­formiert werden, ist von ihnen         Kurz vor dem Schlafengehen noch
                                           häufig zu hören. Dem widerspricht         einmal kurz die Mails checken oder
                                           ­Barbara Reuhl, Referentin für Arbeits­   nach Feierabend einen Anruf vom
                                            schutz und Gesundheitspolitik bei der    Chef annehmen: Solche Dinge er­        ­
                                            Arbeitnehmerkammer. „Die Arbeitszeit     schweren die nötige Erholung und
                                            wirkt sich direkt und indirekt auf die   haben auf Dauer negative Auswirkun­
                                            Gesundheit und Sicherheit der Beschäf­   gen auf Wohlbefinden und Gesund­
                                            tigten aus“, macht sie deutlich. Die     heit, betont Barbara Reuhl. „Das ar­   ­
                                            gesetz­lichen Regelungen hierzu beruh­   beitet ja im Hinter­kopf weiter, da kann
                                            ten auf arbeitswissenschaftlichen und    man nicht mal eben abschalten und
                                                                                     einschlafen. Es ist darum ganz wichtig,
                                                                                     dass die gesetzlich vorgegebene Min­
                                                                                     destruhezeit von elf Stunden Bestand
                                                                                     hat und es eine gesetzliche Absiche­
                                             „Auch wenn sich die                     rung des Rechts auf Nichterreichbar­
                                                                                     keit außerhalb der Arbeitszeit gibt.“
                                               ­Arbeitswelt in den                   Schon mit dem gelten­den Arbeitszeit­
                                             ­vergangenen Jahren                     recht seien viele Beschäftigte hohen
                                                                                     Belastungen ausgesetzt, sagt die Refe­
                                                 ­gewandelt hat –                    rentin und verweist auf Mehrarbeit
                                            daran, dass ­Menschen                    und Über­stunden sowie Berufsgruppen
                                                                                     mit generell ungünstigen Arbeitszei­
                                                nicht ­unbegrenzt                    ten wie Schichtarbeit in der Pflege oder
                                               belastbar sind, hat                   Abend- und Nacht­    arbeit im Gastge­

D
          iese Situation erleben aktu­                                               werbe. ­Studien hätten zudem gezeigt,
          ell wohl viele Beschäftigte:
                                            sich nichts ­geändert.“                  dass Fehlhandlungen und Unfälle mit
          Homeoffice, Videokonferenz            Barbara Reuhl, Referentin für        der Dauer der Arbeitszeit zunähmen:
          – der Sohn kommt ins Zim­         ­Arbeitsschutz- und Gesundheitspolitik   „Arbeit­nehmerinnen und Arbeit­nehmer
mer und bittet um Hilfe bei den Haus­           bei der Arbeitnehmerkammer           brauchen aus­reichend Zeit, um zu rege­
aufgaben. Das Essen ist noch nicht                                                   nerieren und für ­private Belange. Die
gekocht, und im Nebenzimmer wird                                                     aktuellen Regelungen zur Begren­
die kleine Tochter langsam quengelig,                                                zung der täglichen und wöchentlichen
weil niemand mit ihr spielt. Der Stress­   arbeitsmedizinischen Erkenntnissen:       Höchstarbeitszeit dürfen darum nicht
pegel steigt in diesen Wochen jeden        „Auch wenn sich die Arbeitswelt in den    weiter aufgeweicht werden.“
Tag ein bisschen höher, weil permanent     vergangenen Jahren gewandelt hat –
                                           ­
diverse Aufgaben parallel zu er­­ledigen   daran, dass Menschen nicht unbe­          Hinzukommt, dass die im Gesetz ver­
sind. Abends, müde und erschöpft,          grenzt belastbar sind, hat sich nichts    ankerten Spielräume für eine ­flexible
wird der PC noch einmal hochgefah­         ge­­ändert.“                              Gestaltung von Arbeitszeit bisher bei
ren: Das Smartphone hatte angezeigt,
dass ­zwischenzeitlich mehrere Mails
ein­gegangen sind, die dringend noch
beantwortet werden müssen.                 Arbeitszeitgesetz

Die zunehmende Entgrenzung von             Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) verfolgt zwei grundlegende Ziele: Es soll die
Arbeit und Privatleben war schon vor       Gesundheit der Beschäftigten schützen und den Rahmen für Flexibilität ab­­
Beginn der COVID-19-Pandemie ein           stecken. Grundsätzlich gilt, dass an Werktagen eine Arbeitszeit von acht
intensiv und kontrovers dis­   kutiertes   ­Stunden nicht überschritten werden darf. Sie darf auf zehn Stunden erhöht
Thema. In der Corona-Krise sind             werden, wenn die Mehrarbeit ausgeglichen wird und innerhalb von sechs
Fragen rund um die Arbeitszeit und
­                                           Monaten die durchschnittliche Arbeitszeit nicht mehr als acht Stunden beträgt.
deren Gestaltung noch einmal verstärkt      Ausnahmen sind darüber hinaus bei Arbeitsbereitschaft und Bereitschafts-
in den Fokus gerückt. Während sich          diensten sowie in Notfällen möglich. Sonn- und Feiertage sind grundsätzlich
viele Beschäftigte schon seit Längerem      arbeitsfrei, wobei es Ausnahmen für Beschäftigte zum Beispiel im Rettungs-
mehr Zeitsouveränität für bestimmte         und Gesundheitswesen sowie in der Gastronomie gibt. Nach einem Sonntags-
Lebenssituationen und für eine ver­         dienst besteht Anspruch auf einen Ersatzruhetag innerhalb von zwei Wochen.
besserte Work-Life-Balance wünschen,        Wer zwischen sechs und neun Stunden am Stück arbeitet, muss mindestens
fordern Arbeitgeber regelmäßig eine         30 Minuten Pause machen – bei mehr als neun Stunden beträgt die Mindest-
anders verstandene stärkere Flexibili­      pausenzeit 45 Minuten. Zwischen dem Ende der Arbeitszeit und Beginn der
sierung: Das gültige Arbeitszeitgesetz      nächsten Arbeitszeit – beziehungsweise zwischen zwei Schichten – muss eine
(s. Info-Kasten) sei nicht mehr zeit­       Ruhezeit von mindestens elf Stunden liegen.
gemäß und müsse mit Blick auf die

                                                                                                                                — 7
Arbeitszeit Flexibilität ja - aber in geschütztem Rahmen - Arbeitnehmerkammer Bremen
BAM — Mai / Juni 2021                                                                    Schwerpunkt

          Pausenzeiten sind wichtig:
          Zu viel Arbeit macht krank
         und bei Überstunden steigt
                    das Unfallrisiko.

      Weitem nicht flächendeckend von den        Vollzeitbeschäftigte mit überlangen        ­ essen Umsetzung in deutsches Recht
                                                                                            d
      Betrieben genutzt werden. So kann          Arbeitszeiten gern kürzertreten, wäh­      nach wie vor auf sich warten lässt.
      deutlich weniger als die Hälfte der        rend diejenigen in Teilzeit und mit        „Eine Erfassung ist notwendig, um die
      Beschäftigten eine Gleitzeit­regelung in   Minijobs häufig mehr arbeiten möch­        Einhaltung der Arbeitszeiten kontrol­
      Anspruch nehmen, nur gut ein ­Drittel      ten. Das bestätigen auch bundesweite       lieren und Überstunden ausgleichen zu
      der Arbeitgeber ermöglicht Arbeits­        Daten aus der jüngsten Arbeitszeit­        können“, macht er deutlich. Zu große
      zeitkonten und lediglich zwei Prozent      befragung der Bundes­    anstalt für       arbeitszeitliche Handlungsspielräume
      der Betriebe bieten ein Langzeitkonto      Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin           wie etwa bei der Vertrauens­arbeitszeit
      mit der Möglichkeit eines Sabbati­         (BAuA): Eine zunehmende Zahl der
      cals an. „Da ist noch viel Luft nach       Vollzeitbeschäftigten in Deutschland
      oben“, macht Barbara Reuhl deutlich.       wünscht sich demnach kürzere Arbeits­
      „Wir brauchen mehr Zeitsouveräni­          zeiten.
      tät für besondere Lebensphasen, aber
      eben eine durch das Arbeitszeitrecht       „Insgesamt ist es förderlich für die
                                                                                                Eine ­zunehmende
      geschützte Flexibilität.“ Wenn Beschäf­    Gesundheit, wenn Beschäftigte mehr                   Zahl der
      tigte Kinder bekommen, Angehörige          Möglichkeiten haben, ihre Arbeits­
      pflegen müssen, sich weiterbilden oder     zeiten an ihr Leben anzupassen“,
                                                                                              ­Vollzeitbeschäftigten
      einfach eine befristete Auszeit ­nehmen    berichtet Nils Backhaus aus der BAuA-­           in Deutschland
      wollen, brauche es entsprechende           Fachgruppe „Arbeitszeit und Organisa­
      Modelle: „Arbeit und Privates müssen       tion“. Es reduziere Stress, wenn man in
                                                                                              wünscht sich kürzere
      sich ergänzen können und dürfen sich       bestimmten Situationen flexibel reagie­           ­Arbeitszeiten.
      nicht gegenseitig ausschließen.“           ren könne. Hier scheint zumindest in
                                                                                                aus: Arbeitszeitbefragung BAuA
                                                 Teilbereichen langsam Bewegung in
      Wunsch nach kürzeren                       die Sache zu kommen: So zeigen die
      ­Arbeitszeiten                             aktuellen Daten, dass die Handlungs­
       Ein Blick nach Bremen zeigt, dass         spielräume vieler Beschäftigter im
       ein Fünftel der Beschäftigten bei der     Vergleich zur Befragung zwei Jahre
       Arbeitszeitplanung selten oder nie        zuvor immerhin zuge­nommen haben –         seien im Übrigen aus der Perspek­
       Rücksicht auf familiäre Bedürfnisse       insbesondere mit Blick auf individu­       tive des Gesundheitsschutzes durch­
       oder private Interessen ­nehmen kann.     elle Anfangs- und Endzeiten, selbst­       aus kritisch zu betrachten: „Das kann
       Die Hälfte der Betroffenen ­empfindet     bestimmte Pausenzeiten und den             auch überfordern und dazu beitragen,
       dies als starke Belastung, wie aus der    ­flexiblen Umgang mit freien Tagen.        dass Arbeit und Privatleben nicht mehr
       Beschäftigtenbefragung der Arbeit­         Entscheidend sei allerdings, dass die     trennbar sind.“
       nehmerkammer hervorgeht. Nicht             Arbeitszeiten tatsächlich auch erfasst
       einmal 50 Prozent der Bremerinnen          würden, betont Backhaus und ver­
       und Bremer sind demnach mit ihrer          weist auf ein entsprechendes Urteil des
       Arbeitszeit zufrieden: So würden viele     ­Europäischen Gerichtshofes von 2019,

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Arbeitszeit Flexibilität ja - aber in geschütztem Rahmen - Arbeitnehmerkammer Bremen
BAM — Mai / Juni 2021

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Mehr Zeitsouveränität heißt mehr          eine ausgeglichene Balance zwi­
Eigenverantwortung                        schen Flexibilität, Gesundheits­
Mit Fragen wie diesen sieht sich auch     schutz und betrieblichen Erforder­
Klaas Kuhlmann, Berater im Bereich        nissen herzustellen.
Mitbestimmung und Technologie­

                                                                                                                             Foto: Stefan Schmidbauer
beratung bei der Arbeitnehmerkam­         Was Arbeitswissenschaftler Nils
mer, regelmäßig konfrontiert. Wie         Backhaus aktuell Sorge bereitet:        Barbara Reuhl,
kann verhindert werden, dass in einem     dass sich durch die Folgen der          Referentin für
Betrieb manche Beschäftigten regel­       Corona-Pandemie die Arbeits­           Arbeitsschutz-
mäßig Überstunden machen (müssen),        bedingungen in einigen Bereichen        und Gesund-
während andere Minus-Stunden an­      ­   noch einmal verschlechtert haben.         heitspolitik
sammeln? Wie lässt sich eine faire Ver­   „Gerade in den ohnehin schon
teilung von Arbeit an Wochenendtagen      stark belasteten versorgungsrele­
erreichen? Braucht es Regelungen zur      vanten Berufen wie im Pflege- und
Erreichbarkeit im Homeoffice? „Häu­       Gesundheitsbereich oder in der
fig kommen Betriebsräte mit Fragen        Lebensmittelversorgung mussten
                                          die Beschäftigten in den vergange­
                                          nen Monaten noch intensiver und            Gesetzliche
                                          länger arbeiten als zuvor.“ Eine
                                          weitere negative Folge der Krise:           Mindest-
         „Gerade in den ­                 Die traditionelle Rollenverteilung

         ohnehin schon                    hat sich wieder verfestigt, denn             ruhezeit
                                          überwiegend sind es die berufs­
        stark ­belasteten                 tätigen Frauen, die derzeit ihre            schützen!
                                          Arbeitszeit reduzieren, um sich um
  ­versorgungsrelevanten                  Kinder und Haushalt zu kümmern.
 ­Berufen wie im Pflege-                  „Wir brauchen hier dringend neue      Flexible Arbeitszeiten sind ein wichtiger
                                          gesetzliche Anreize, damit Müt­       Faktor zur Verbesserung der Work-­    Life-­
       und ­Gesundheits-                  ter und Väter sich gleich inten­      Balance – vorausgesetzt, Beschäftigte kön­
      bereich oder in der                 siv um die Sorgearbeit und Erzie­     nen sie beeinflussen.
                                          hung kümmern und somit auch
­Lebensmittelversorgung                   in gleichem Maße am Erwerbs­          Unsere Beschäftigtenbefragung zeigt hier
            mussten die                   leben teilnehmen können“, meint       Nachholbedarf, denn eine ­flexible Arbeits­
                                          Arbeitnehmerkammer-­Referentin        zeitgestaltung ist für viele ein unerfüllter
        ­Beschäftigten in                 Barbara Reuhl. Als Beispiele nennt    Wunsch.
       den ­vergangenen                   sie eine Weiterentwicklung des
                                          Elterngeldes, eine Ausweitung         „Flexibel“ meint nicht „alles geht“, auch
          ­Monaten noch                   der Partnermonate oder eine Neu­      wenn die Digitalisierung scheinbar unbe­
    ­intensiver und länger                justierung des Ehegattensplittings.   grenzte Möglichkeiten eröffnet. Die Be­­
                                                                                grenzung der Arbeitszeiten und der Schutz
      arbeiten als zuvor.“                                                       der Mindestruhezeiten sind nicht ver­
           Nils Backhaus,                                                        handelbar. Angesichts von Tendenzen zur
        Arbeitswissenschaftler                                                  Entgrenzung von Arbeit und Privatsphäre
                                        Weitere Informationen ­finden           und zunehmenden Arbeitsbe­        lastungen
                                        Sie in unserer Kammer­Position           darf der arbeitszeitliche Schutz nicht auf­
                                        „Arbeitszeit – Schutz und               geweicht werden. Weil mobile Arbeits­
                                        ­Souveränität für Beschäftigte“         formen zunehmen, braucht es ein Recht
nach Gleitzeit- und Arbeitszeitkonto-­ unter                                     auf Nichter­reichbarkeit und endlich eine
Regelungen zu uns, die sie in ihren         www.arbeitnehmerkammer.de/          verpflichtende Arbeitszeiterfassung, damit
Unternehmen umsetzen möchten“, downloads                                        Beschäftigte vor Mehrarbeit geschützt
berichtet Kuhlmann. „Dabei muss klar                                            werden. Rechtliche und kollektive Rege­
                                                                                ­
sein: Größtmögliche Zeit­souveränität Haben Sie Probleme mit Über-              lungen müssen ausgebaut werden, die
heißt auch immer mehr Eigenverant­ stunden, Pausen- und Ruhe-                   Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
wortung der Mitarbeitenden. Diese zeiten oder Arbeitsaufträgen                  flexibleres Arbeiten im Lebensverlauf
auch mal zu Lasten des Arbeitgebers im Feierabend? Mitglieder der                ermöglichen.
wahrzunehmen, setzt Beschäftigte Arbeitnehmerkammer können
allerdings häufig unter Druck.“ Er rate sich kostenlos arbeitsrecht-
Interessenvertretungen daher grund­ lich beraten lassen. Weitere
sätzlich, klare Regelungen zu schaffen Infos auf der Rückseite dieses
und auch Grenzen zu setzen, um Druck ­Magazins.
von den Beschäftigten zu nehmen und

                                                                                                                       — 9
Arbeitszeit Flexibilität ja - aber in geschütztem Rahmen - Arbeitnehmerkammer Bremen
BAM — Mai / Juni 2021                                                                     Verbrauchertipp

       GASTBEITRAG
                                                                       Auf ETFs / Indexfonds setzen
                                                                       Wenn Aktien in Frage kommen, empfehlen wir ausschließlich
                                                                       Aktien-ETFs. ETF steht für Exchange Traded Fund – börsen­
                                                                       gehandelter Fonds. Oft spricht man auch von Indexfonds.
                                                                       Sie sind eine kostengünstige Alternative zu herkömmlichen
                                                                       aktiv gemanagten Investmentfonds. Während bei ­letzteren
                                                                       der Fondsmanager selber entscheidet, welche und wie
                                                                       viele Aktien er für die Anleger kauft, macht sich ein ETF
                                                                       die Arbeit leichter. Er kopiert einfach die Zusammensetzung
                                                                       eines Index, wie etwa die des Deutschen Aktienindex (DAX).
                                                                       Dies spart vor allem Kosten, da die Verwaltungsgebühren der
                                                                       ETFs deutlich unter denen von klassischen Investmentfonds
                                                                       liegen. Verursacht ein Fond aber geringe Kosten, so muss er
                                                                       wesentlich weniger Gewinne erwirtschaften, damit der An­­
                                                                       leger eine positive Rendite erzielt.

                                                                       Größtmögliche Streuung
                                                                       Entscheidend ist es, vorübergehende Schwankungen auszu­
                                                                       halten und auf eine möglichst breite Streuung zu setzen. Das
                                                                       gelingt am besten mithilfe von ETFs, die einen breiten Index
                                                                       mit sehr vielen Titeln nachbilden. Eine sehr breite Streuung
                                                                       über 3.000 Aktien weltweit bilden beispielsweise der MSCI
                                                                       All Country World Index und der FTSE All World Index ab.
                                                                       Zu diesen Indizes gibt es ETFs von verschiedenen Anbietern.

                                                                       Keine Verluste aber Schwankungen
                                                                       Um regelmäßig zu sparen, bieten sich ETF-Sparpläne an.

       Private                                                         Sie sind in der Regel sehr kostengünstig und sehr flexibel,
                                                                       ver­glichen mit vielen anderen Altersvorsorgeangeboten: Sie

       Altersvorsorge                                                  können jederzeit die Sparrate verändern oder den Sparplan
                                                                       beenden und später wieder fortsetzen.

       im Zinstief
       Text: Annabel Oelmann
       Vorständin der ­Verbraucherzentrale ­Bremen­

       Die Niedrigzinsphase ist mittlerweile ein Dauerzustand, der
       Sparerinnen und Sparer vor große Herausforderungen stellt.
       Die stärksten Auswirkungen gibt es bei Altersvorsorge. Mini­                  GEMEINSAM
       zinsen belasten vor allem sicherheitsorientierte Produkte wie                 GUT BERATEN
       kapitalansparende Versicherungen und Einlagen auf dem
       Sparbuch oder Tagesgeldkonto bei Banken oder Sparkassen.
       Erste Anbieter verlangen sogar schon einen Negativzins oder                   Beratung bei der Verbraucherzentrale
       Verwahrentgelt. Das bedeutet: Sparer bekommen nicht nur                       Ermäßigt für Mitglieder der
                                                                                     Arbeitnehmerkammer Bremen
       keine Zinsen, sondern müssen sogar dafür bezahlen, dass sie
       Geld anlegen. Deshalb sollten Verbraucherinnen und Ver­
       braucher über Alternativen nachdenken.
                                                                       Sie haben Fragen zur privaten Vorsorge? Hier hilft
       Die Weichen auf langfristig stellen                             die unabhängige Beratung der Verbraucherzentrale.
       In jedem Fall empfiehlt sich bei der Geldanlage eine breite     Beschäftigte im Land Bremen, also alle Kammer-­
       Streuung über unterschiedliche Produktklassen und Lauf­         Mitglieder, zahlen bei der Verbraucherzentrale nur
       zeiten. Welche Mischung aus sicheren und schwankungs­           die Hälfte für eine Beratung zu arbeitnehmernahen
       anfälligen Anlageformen sinnvoll ist, hängt von der eigenen     ­Themen wie Altersvorsorge, zusätzliche Krankenver­
       Risiko­bereitschaft ab.                                          sicherung oder Berufsunfähigkeitsrente. Zusätzlich
               Für den sicheren Teil kommen insbesondere Tages-         gibt es rund 30 Ratgeber zum halben Preis.
       und Festgeld in Frage. Auch hier lohnt sich ein Anbieter­
       vergleich. Eine gute Orientierung können Vergleichsportale      Weitere Infos auf der Rückseite dieses Magazins.
       geben.

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Fragen & Antworten                                                               BAM — Mai / Juni 2021

Die Grundrente
— Rentenplus
nach langer Arbeit
Seit 1. Januar 2021 gibt es die sogenannte
­Grundrente. Wir erklären, was es damit auf
 sich hat

                                                                                                                                        Foto: colourbox
                                           Sozialamt aufstocken lassen. Das heißt    ab dem Sommer ausgezahlt, allerdings
Text: Magnus Brosig                        aber: Beantragen und alles offenle­       auch rückwirkend.
                                           gen – auch das Vermögen. Auch wer
                                           mit im Haushalt lebt und dessen finan­
                                           zielle Lage spielen eine Rolle. Wenn      5.      Wäre eine echte Grund-

 1.    Was soll die Grundrente
       leisten?                            eine solche Prüfung nachgewiesen hat,
                                                                                             rente nicht einfacher und
                                                                                             vernünftiger – damit
Viele verdienen im Niedriglohn­sektor      dass jemand das Geld braucht, erhält              eben niemand unter die
so wenig, dass sie selbst nach jahr­       er ergänzende Leistungen. Aber eben               Grundsicherung fällt?
zehntelanger Arbeit ihre Rente durch       nicht, weil er sich aufgrund der Bei­     Wir als Arbeitnehmerkammer ­finden es
Sozialleistungen aufstocken müssen.        tragsjahre eine höhere Rente verdient     grundsätzlich richtig, dass die ­Renten
Diese Gerechtigkeitslücke wird nun         hätte, sondern weil er das Geld zum       nicht einheitlich hoch sind, sondern Vor­
mit der sogenannten Grundrente etwas       Leben braucht.                            leistung entsprechend anerkannt wird.
geschlossen.                                                                         Das müsste jedenfalls für die bereits
                                                                                     erworbenen Ansprüche auch so beibe­
       Bekommt jeder und jede 		           4.      Und was ist mit der
                                                   Grundrente anders?                halten werden. Und wenn das S     ­ ystem
2.     einen festen Grundbetrag?           Die Rentenversicherung berechnet den      dennoch ab jetzt auf Einheitsrenten
Nein, auch wenn der Name daran             Zuschlag automatisch und zahlt ihn als    umgestellt würde, wären lohnbezogene
denken lässt. Stattdessen erhalten         echten Rentenbestandteil aus. Niemand     Beiträge wohl kaum noch begründbar.
bestimmte Rentnerinnen und Rentner         muss ihn beantragen. Wie groß er ist,     Eine echte Grundrente müsste dann aus
einen Zuschlag je nach individueller       hängt aber eben auch vom Einzelfall ab.   Steuermitteln bezahlt werden und wäre
Vorleistung, wenn sie mindestens 33,       So kann die Rente durchaus um gut 400     vermutlich eher gering.
besser noch 35 Jahre gearbeitet und        Euro pro Monat höher ausfallen – oder
dabei unterdurchschnittlich verdient       auch nur um wenige Euro steigen. Und
haben.                                     sie kann immer noch unter der Grund­
                                           sicherung liegen. Übrigens gibt es auch
                                           hier eine Einkommensprüfung, auch
3.      Aber wenn ich zu wenig
        Rente bekomme, konnte              wenn sie bei selbst erarbeiteten Renten
        ich diese doch schon vorher        eigentlich fehl am Platze ist. Immerhin
        aufstocken lassen?                 läuft auch diese automatisch ab, weil
Das sind zwei ganz unterschied­ liche      die Rentenversicherung die notwen­
Wege. Wer so wenig Rente erhält, dass      digen Informationen vom Finanzamt
er unter dem Grundsicherungs­  bedarf      erhält. Wegen des großen Aufwands
liegt, kann sein Einkommen über das        werden die ersten Zuschläge wohl erst

                                                                                                                                 — 11
BAM — Mai / Juni 2021                                            Tipps & Termine

       Tipps &
       Termine
                                                              PODCAST-TIPP

                                                              Krautreporter
                                                              Das digitale Magazin Krautreporter verspricht unab­hängigen,
                                                              werbefreien Journalismus, der Leserinnen und Leser die
                                                              Zusammen­hänge hinter den Nachrichten verstehen lässt.
                                                                     Neben dem kostenpflichtigen Bereich produziert das
                                                              Magazin auch frei verfügbare Podcasts, etwa zu den Themen
       ONLINE-TIPP                                            „Wenn Geld euch nicht wichtig ist und ihr einen sinnvollen
                                                              Job haben wollt. Warum ist der soziale Bereich leer?“ oder
                                                              „Warum stehst du morgens auf und gehst zur Arbeit?“.
       Medien kindersicher –
       Portal für Eltern                                      krautreporter.de/pages/podcast-nicht-mitglieder

       Die Bremische Landesmedienanstalt stellt ge­­
       meinsam mit zwei weiteren Medienanstalten ein
       ­Portal zum technischen Jugendmedienschutz zur

                                                                                                                      Rabiat-Reporterin Julia Rehkopf im Gespräch mit
        Ver­fügung. Hier finden Eltern technische Schutz­
        lösungen auf Grundlage des Alters und der ge­­

                                                                                                                      Foto: © Radio Bremen – Andy Lehmann

                                                                                                                      der Meeresbiologin Prof. Antje Boetius
        nutzten Geräte, Dienste und Apps ihrer Kinder.

       www.medien-kindersicher.de

       BUCH-TIPP

                                Stahl, Stefanie
                                So bin ich eben! im Job
                                Typengerecht arbeiten         TV-TIPP
                                im Team: der Schlüssel
                                für Erfolg im Beruf.
                                Kailash, 2020, 237 S.
                                                              Rabiat: Frauen unter Druck –
                                                              Ein Radio Bremen-Film
                                 Welcher Arbeitstyp sind
                                 Sie? Wie können Sie          Wie leben Frauen im Jahr 2021? Wie verändern sich Lebens-
                                 Ihre Stärken optimal         und Arbeitswelten und warum ist die Gesellschaft in so vielen
                                 ­nutzen? Warum sind          ­Bereichen noch nicht weiter?
                                  ­manche Kollegen erfolg­             Reporterin Julia Rehkopf trifft unterschiedliche Frauen:
                                   reich und andere nicht?     Suzie Grime, die freizügige Fotos von sich auf der Plattform
              Zusammen mit dem Managementtrainer               OnlyFans verkauft und sagt: Wenn sie sowieso schon angeglotzt
       Christian Bernreiter stellt die Psychologin Stefanie    wird, dann sollen andere auch dafür bezahlen. Für die Kreativ­
       Stahl einen Persönlichkeitstest vor, der 16 Typen       agentur Goal Girls ist Selbstakzeptanz und emotionale Intelli­
       beschreibt. So kann jeder die zu ihm passende           genz der Schlüssel zur Selbstbestimmung. Die Meeres­forscherin
       Arbeit finden, sich besser im Team einbringen und       Prof. Dr. Antje Boetius, Leiterin des Alfred-Wegener-Instituts
       die eigenen Fähigkeiten am besten entfalten.            Helmholtz-­Zentrum für Polar- und Meeresforschung erzählt, wie
                                                               sie sich gegen die Männer durchgesetzt hat und warum sie immer
                                                               wieder auf ihre Kinderlosigkeit angesprochen wird. ­Kristina
                                                               Nikolaus ist Gründerin und CEO des Space-Tech Start-Ups
                                                               Okapi Orbit. Dass Raumfahrt eher eine Männerdomäne ist, be­­
                                                               eindruckt die 26-Jährige nur wenig. Eine Hausfrau und M   ­ utter
                                                               aus Süddeutschland entschied sich nach ihrer Elternzeit dazu,
                                                               „Vollzeitmama“ ihrer drei Kinder zu sein und Pflegekinder
       KammerCard-Inhaber erhalten auf die                     ­aufzunehmen.
       ­BIBCARD der Stadtbibliothek zehn Prozent
        Ermäßigung!                                           Montag, 17. Mai 2021, 22:50 Uhr
           www.arbeitnehmerkammer.de/kammercard               in der ARD und in der ARD-Mediathek

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Veranstaltungskalender                                                                    BAM — Mai / Juni 2021

Veranstaltungen                                                                                                         Online
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                                                                                                          Unsere Vera                      ls
                                                                                                                           t größtentei
2. Mai                   Care Matters. Wie wollen wir sorgen, pflegen, erziehen?                          finden zurzei
                                                                                                                           Unter
18 Uhr                   Eine Radioshow von Schwankhalle und Arbeitnehmerkammer                           online statt.                      er.de/
                         Bremen                                                                                www  .a rb ei tnehmerkamm
                                                                                                                                                 n
                                                                                                                               finden Sie de
                            Livestream unter: www.schwankhalle.de                                          veranstaltungen            B ei  vi el en
                                                                                                                           en Link  .
                                                                                                           ­dazugehörig                 en   Si e
                         Aus der Reihe „Ihr Recht – einfach erklärt“                                                         gen kö nn
                                                                                                            Ver­anstaltun
6. Mai                      Plietscher geht immer – Was Sie über Qualifizierung und                                  t Fr ag  en stellen.
                                                                                                            per Cha
18 – 19.30 Uhr           ­Weiterbildung wissen sollten
10. Juni                    Väterzeit – Infos für (werdende) Väter
18 – 19.30 Uhr

                         Aus der Podcast-Reihe „Rolle Rückwärts“
                              Folge 7: Ein Mann ist keine Geldanlage
                         Heutzutage reicht es längst nicht (mehr) aus, sich auf seinen Partner zu
                         verlassen, um finanziell unabhängig und im Alter ausreichend abgesi-
                         chert zu sein. Finanzexpertin Annabel Oelmann von der Verbraucherzent-
                         rale Bremen gibt praktische Tipps.
                              Folge 8: Frauen in der Rentenfalle
                                                                                                                  Streik (F, 2018),
                         Noch immer erhalten Frauen zwischen 30 und 50 Prozent weniger
                                                                                                                  Film von Stéphane Brizé,
                         ­Renteneinkommen als Männer. Woran liegt das? Und was können wir
                                                                                                                  1. Juni / 2. Juni
                          dagegen tun? Mit Magnus Brosig (Referent für Sozialversicherungs- und
                                                                                                                  City 46
                          ­Steuerpolitik bei der Arbeitnehmerkammer).
                           www.arbeitnehmerkammer.de/rollerueckwaerts

   BREMEN & BREMEN-NORD

                         Veranstaltungen zum Jubiläum der Arbeitnehmerkammer Bremen:
                         100 Jahre für eine gerechte Arbeitswelt
                         Filmreihe „Hinschauen: Arbeit!“ von Arbeitnehmerkammer, City 46 und
                         Kulturzentrum Schlachthof
1. Juni, 20 Uhr             Streik (Frankreich, 2018), City 46
2. Juni, 18 Uhr          Beinahe dokumentarisches Sozialdrama über ökonomische                                    Losers and Winners
                         Machtverhältnisse.                                                                       (D, 2006), Film von Ulrike
22. Juni, 20 Uhr            Losers and Winners (Deutschland, 2006), City 46                                       Franke & Michael Loeken
23. Juni, 18 Uhr         Dokumentarfilm über die alltäglichen Seiten der Globalisierung am                        22. Juni / 23. Juni
                         Beispiel der Demontage einer Kokerei in Dortmund.                                        City 46

24. Juni                 „100 Jahre für eine gerechte Arbeitswelt“ – eine (Wander-)Ausstellung
bis                      Arbeitszeit, Arbeitsschutz, Einkommen: Wie war es früher – wo stehen
22. Juli                 wir heute?
                         in der Bremischen Bürgerschaft      www.100jahre.arbeitnehmerkammer.de

   BREMERHAVEN

6. Mai                   Lesung: „Olympia“ von Volker Kutscher – Der Autor der „Gereon-Rath-
20 Uhr                   Reihe“, die als Vorlage für die TV-Serie „Babylon Berlin“ diente, liest aus
                         dem achten Band.                                                                         Kabarett
                         Capitol, Hafenstraße 156, Bremerhaven                                                    Jakob Friedrich –
                                                                                                                  „I schaff mehr wie Du“,
12. Juni                 Kabarett: Jakob Friedrich – „I schaff mehr wie Du“
                                                                                                                  12. Juni,
18.30 Uhr: Teil 1        Jakob Friedrich ist seit 15 Jahren Facharbeiter in der schwäbischen
                                                                                                                  Arbeitnehmerkammer
19.30 Uhr: Teil 2        Metall- und Elektroindustrie.
                                                                                                                  Bremen, Forum,
20.30 Uhr: Teil 3        Arbeitnehmerkammer Bremen, Forum, Barkhausenstraße 16, Bremerhaven
                                                                                                                  Barkhausenstraße 16
                         Im Rahmen der langen Nacht der Kultur in Bremerhaven

Weitere Veranstaltun­gen und ­Informationen unter             www.arbeit­nehmer­kammer.de/veranstaltungen

                        = für alle      = für Politikinteressierte     = für Betriebs- und Personalräte
                                                                                                                                          — 13
BAM — Mai
             September
                 / Juni 2021
                         / Oktober 2016

            Mit Gesetzen
        zu mehr Gleichstellung
                  Er bringt das Kind in die Kita, während sie sich auf den Weg zur Arbeit macht.
                    Am nächsten Tag tauschen die beiden ganz selbstverständlich die Rollen.
                             Eine Vision aus der Zukunft? Oder sind wir nah dran an der
                        geschlechtergerechten Verteilung von Familienzeit und Berufsleben?

                                                besser anerkannt wird. Die Umfrage der   gibt es das Elterngeld, seitdem haben
       Text: Suse Lübker                        Arbeitnehmerkammer aus dem Herbst        Mütter oder Väter zwölf Monate lang
       Fotos: Jonas Ginter                      2020 zeigt deutlich, wie unterschied­    Anspruch auf 65 Prozent ihres letzten
                                                lich die aktuelle Situation wahrge­      Ein­kommens. Bleibt der zweite Eltern­
       Ein Vater ist sich sicher, dass es       nommen wird. Brauchen wir tatsäch­       teil mindestens zwei Monate zu Hause,
       bei gleichem Einkommen auch              lich ein Wunder oder sind wir auf        zahlt der Staat weitere zwei Monate.
       für ­Männer möglich wäre, beruf­         einem guten Weg zu einer gerechten
       lich einen Gang zurückzuschalten.        Verteilung von Lohn- und Care-Arbeit?    Immer mehr Väter in Elternzeit
       Eine berufstätige Mutter schreibt, es                                             Diese Regelung wirkt sich auf das
       müsse ein Wunder geschehen, damit        Tatsächlich hat sich einiges getan       Rollen­
                                                                                               verständnis der Väter aus: Im
       Arbeit in der Familie gesellschaftlich   in Sachen Gleichstellung. Seit 2007      Jahre 2006 haben gerade mal drei

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Gleichstellung                                                                 BAM — Mai / Juni 2021

Prozent der Väter Elternzeit genommen.        und betreut die Kinder. Meist sind das     Sachen Gleichstellung bewirkt habe.
Inzwischen nehmen rund 40 ­Prozent            nach wie vor die Frauen“, erklärt Salot.   Achelwilm ist für die Fraktion Die
                                                                                         ­
der Väter in Deutschland eine Auszeit         „Außerdem haben viele Männer Angst,        Linke im Bundestag und ­Sprecherin für
vom Berufsleben, um sich ganztags um          dass sie berufliche Nachteile durch die    Gleichstellungs-, Queer- und Medien­
­Kinder und Haushalt zu kümmern.              Elternzeit haben“, so Salot. „Zusätzlich   politik. Das Elterngeld sei zwar eine
           Hier zeigen sich die Gren­         befürchten sie, dass die Einkommens­       gute Neuerung, aber eben kein sozial
 zen des Gesetzes: Während Mütter im          einbußen zu hoch sind, wenn sie nicht      gerecht wirkendes Instrument. So
 Durchschnitt ein Jahr in Elternzeit          arbeiten.“                                 wurde das Mindestelterngeld seit der
 gehen, bleiben 46 Prozent der Väter                                                     Einführung nicht mehr erhöht, obwohl
 circa zwei Monate lang zu Hause. Sie                                                    die Kosten ständig steigen. Außerdem
 nehmen die sogenannten Partner­                                                         werde das Elterngeld seit 2011 auf den
 monate, durch die sich das Elterngeld                                                   Hartz IV-Satz angerechnet – und steht
 um zwei Monate verlängert. Das wider­
                                                   „Das Elterngeld ist                   den betroffenen Familien seitdem nicht
 spreche der Grundidee der Elternzeit,                zwar eine gute                     mehr zur Verfügung.
 ­findet Marion Salot, Referentin für
  Wirtschafts­ politik und Gleichstellung
                                                     ­Neuerung, aber                     Um zur Ausgangsfrage zurückzu­      kom­
  in der Arbeit­nehmerkammer: „Studien              eben kein sozial                     men: Ja, wir sind auf einem guten Weg
  zeigen, dass Väter, die über einen län­                                                zur einer gerechteren Ver­   teilung von
  geren Zeitraum nach der Geburt des
                                                   gerecht wirkendes                     Lohn- und Care-Arbeit und zu einem
  Kindes alleine für Betreuungsauf­gaben               ­Instrument.“                     besseren Verständnis von Gleich­
  zu­­ständig sind, auch später mehr Care-­                                              stellung. Aber: es gibt noch viel zu
                                                          Doris Achelwilm,
  Arbeit über­   nehmen. Sie über­  lassen                                               tun. Wir brauchen keine Wunder,
                                                 Sprecherin der Fraktion Die Linke
  nicht den Großteil der Familienauf­                                                    ­sondern konkrete Anreize und praxis­
                                                  für Gleichstellungs-, Queer- und
  gaben ihrer Partnerin“. Salot ­plädiert                                                 gerechte Regelungen für alle Frauen
                                                           Medienpolitik
  dafür, dass die Partnermonate von                                                       und ­Männer – egal, ob alleinerziehend
  derzeit zwei auf mindestens vier –                                                      oder in Partnerschaft lebend. Dann
  ­besser noch acht – Monate ausgeweitet                                                  ­stehen die Chancen gut, dass es nor­
   ­werden und beide Elternteile möglichst                                                 mal ist, wenn Männer ihre Arbeits­
    nacheinander in Elternzeit gehen.                                                      zeit reduzieren und sich um Haushalt
                                              Und die Kinderbetreuung? Seit 2013           und ­Kinder kümmern. Und dass Frauen
Lohn- und Care-Arbeit                         hat jedes Kind ab dem vollendeten ers­       mehr als 20 Stunden pro Woche arbei­
­partnerschaftlich aufteilen                  ten Lebensjahr einen Rechtsanspruch          ten, ohne sich um die Betreuung ihrer
 Optimalerweise arbeiten beide Eltern­        auf einen Betreuungsplatz. Doch es gibt      Kinder ­sorgen zu m
                                                                                                             ­ üssen.
 teile im Anschluss an die Elternzeit in      längst nicht ausreichend Betreuungs­
 Teilzeit weiter und erhöhen schritt­         plätze. Allein in Bremen finden ­aktuell
 weise ihre Arbeitszeit. Das setzt aller­     nur 30 Prozent der Kinder zwischen
 dings voraus, dass die Familie einen         einem und drei Jahren einen Krippen-
 sicheren Betreuungsplatz für ihr Kind        oder Kitaplatz – das zeigen die Zahlen     Podcast-Tipp
 hat und dass Betriebe mehr flexi­            des Statistischen Landesamtes Bremen.      Rolle Rückwärts
 ble, familiengerechte Arbeitszeitmo­         Es fehlen vor allem Ganztagsplätze         Folge 6: Mit Gesetzen den gesellschaft­
 delle anbieten. Beide Partner hätten         und flexible Betreuungsmodelle, die        lichen Wandel anstoßen – Was geht und
 gute Chancen, sich in ihren Berufen          es ­beiden Partnern gleichzeitig ermög­    was geht nicht?
 weiterzuentwickeln und könnten die           lichen, berufstägig zu sein. Auch hier         Durch die Einführung des Eltern­
 Care-Arbeit flexibel auf beide Schul­        muss noch einiges passieren, damit         geldes und des Rechtsanspruchs auf
 tern ­verteilen.                             Mütter den Rücken frei haben, um sich      Kinderbetreuungsplätze sollten Anreize
         Eine Vision – so scheint es. Denn    beruflich weiterzuentwickeln.              gesetzt werden, damit die Sorgearbeit
 noch immer hängt ein großer Teil der                                                    gerechter zwischen Müttern und Vätern
 Frauen finanziell von ihrem Partner ab.      Reichen unsere Gesetze also aus?           aufgeteilt wird und Frauen früher in
 Gleichzeitig möchten viele Väter mehr        Oder muss an weiteren Stellschrau­         den Beruf zurückgehen. Aber hat dies
 Zeit mit ihren Kindern verbringen und        ben gedreht werden, damit Mütter           auch zu mehr Gleichstellung auf dem
 würden dafür gern ihre Arbeitszeit           und Väter ihren beruflichen und ihren      Arbeitsmarkt beigetragen? Wir disku-
 reduzieren. Aus Studien wissen wir,          Familien­alltag partnerschaftlicher ge­­   tieren mit Doris Achelwilm (Die Linke),
 dass sich diese Väter mehr im Haushalt       stalten können?                            Bremer Bundestagsabgeordnete und
 engagieren und zwar auch dann, wenn                                                     ordentliches Mitglied im Ausschuss für
 die Elternzeit vorbei ist.                   Mehr Elterngeld für                        Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
                                              ­Wenigverdienende                               www.arbeitnehmerkammer.de/
Was hindert die Väter daran, weniger           Doris Achelwilm erklärt im ­aktuellen     rollerueckwaerts
zu arbeiten? In vielen Familien ­werden        Podcast der Arbeitnehmerkammer,
die Entscheidungen nach ökonomi­               dass die gesetzlichen Instrumente zwar
schen Gesichtspunkten gefällt. „Wer            eine sinnvolle Neuerung gewesen seien,
weniger verdient, bleibt eher zu Hause         aber keines den großen Durchbruch in

                                                                                                                                    — 15
BAM — Mai / Juni 2021         Galerie der Arbeitswelt

         Im inzwischen hoch-
       technisch ausgerichteten ­­
         Kfz-Handwerk werden
         mit Diagnosegeräten
       Fehlerquellen ausgelesen

— 16
BAM — Mai / Juni 2021

                                               GALERIE DER ARBEITSWELT

                     Fasziniert von
                      der Technik
   Younes Hamo Selevy und Mohammad Dakkouri machen eine Ausbildung
 im Handwerk. Die angehenden Kfz-Mechatroniker sind voller Tatendrang und
               blicken optimistisch in ihre berufliche Zukunft

                                         Text: Frauke Janßen – Foto: Kay Michalak

A
           ls sich die jungen Männer vor drei Jahren in          Ihren Berufswunsch können sie hier zumindest weiter­leben –
           Bremen wieder begegneten, war ihre Freude
           ­                                                     und das tun sie mit sehr viel Begeisterung. Sie schätzen vor
           riesen­
                 groß: Sie kannten sich aus ihrer Heimat.        allem die Verbindung von Theorie und Praxis, die die duale
           Beide waren 2015 aus derselben Stadt im Norden        Ausbildung ihnen in Deutschland bietet. Hinzu ­     kommen
Syriens nach Deutschland geflüchtet. Seitdem hatten sie sich     Weiter­bildungen durch überbetriebliche Lehrlingsunter­
aus den Augen verloren. Nun brachte ihr Interesse für das        weisungen im Kompetenzzentrum der Handwerks­kammer.
Handwerk Younes Hamo Selevy und Mohammad Dakkouri in             „Damit wir die vielen Fachbegriffe verstehen und behalten
der Kfz-Werkstatt AZ in Walle wieder zusammen. Kfz-­Meister      können, m  ­ üssen wir Gas geben“, sagt Hamo Selevy. Ihre
Bevar Dagli bildet die beiden sowie einen weiteren Azubi         berufs­bezogenen Deutschkenntnisse konnten sie in einem
seit 2018 aus. Die Familie Dagli betreibt ihr Unternehmen in     Nachhilfekurs verbessern, und sie lernen zusammen. Dass
Bremen seit rund 20 Jahren und beschäftigt 13 Mitarbeiter.       einer in Walle und der andere in Bremen-Nord wohnt, stört
                                                                 sie nicht.
Für den 26-jährigen Hamo Selevy und den zwei Jahre
­jüngeren Dakkouri bietet die helle und geräumige Werkstatt      Beide brennen für die Sache, und sie schmieden Pläne für die
 jeden Tag neue Möglichkeiten, etwas dazuzulernen. „Es wird      Zukunft in Deutschland: „Nach der Ausbildung wollen wir
 nie langweilig“, sagt Hamo Selevy und strahlt. Er mag die       unseren Meister machen und vielleicht eine eigene Werkstatt
 Kommunikation mit den Kunden und die Herausforderung,           eröffnen“, sagt Hamo Selevy. Ob sie sich selbst ein Auto mit
 Schadensursachen zu finden. Denn das Kfz-Handwerk ist –         Elektroantrieb anschaffen würden? „Nein, noch nicht leis­
 neben den klassischen Schraubertätigkeiten, Wartungs- und       tungsstark genug und zu wenig Ladestationen“, sagen beide.
 Reparaturarbeiten an Fahrwerk und Karosserie – in­­zwischen     Auf neue Antriebe und die Entwicklung der Fahrzeugtechno­
 hochtechnisch ausgerichtet und bedarf elektronischem Fach­      logie schauen sie aber jetzt schon sehr wachsam – als poten­
 wissen. Mit Diagnosegeräten, die an die komplexen ­Motoren      zielle Arbeitsfelder von morgen.
 angeschlossen werden, heißt es Fehler­         quellen auszu­
 lesen, um sie im Anschluss beheben zu k    ­ önnen. Genau das
 ­lieben die beiden Azubis. „Die Autotechnik entwickelt sich
  immer ­weiter, man kann ständig Neues ent­decken“, erzählt     Kfz-Mechatroniker  / Kfz-Mechatronikerin
  ­Dakkouri von seiner Arbeit.
          Während Younes Hamo Selevy das Handwerk durch          Die Ausbildung zur Kfz-Mechatronikerin / zum Kfz-Mecha-
   einen Freund kennenlernte, hatte Mohammad Dakkouri in         troniker dauert dreieinhalb Jahre. Um passende Azubis zu
   Syrien bereits eine Kfz-Ausbildung angefangen: „Dort konnte   finden, bieten viele Betriebe Praktikumsplätze zum Probe-
   ich die Theorie an der Berufsschule lernen“, berichtet er.    arbeiten an. Weitere Infos unter www.lehrstellen-radar.de
   Doch der Krieg zwang beide dazu, ihre Heimat zu ver­lassen.

                                                                                                                                — 17
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                       „Es besteht eine
                         große Lücke“
                         Noch immer erhalten Frauen zwischen 30 und 50 Prozent weniger
                          Renteneinkommen als Männer. Doch woran liegt das eigentlich?
                               Und was kann man dagegen tun? Darüber haben wir mit
                      Marion Salot, Referentin für Wirtschaftspolitik und Gleichstellung, und
                Magnus Brosig, Referent für Sozialversicherungs- und Steuerpolitik, gesprochen.

                                                         Fragen: Insa Lohmann

       Was ist der Gender Pension Gap?                                Woher kommen diese großen Unterschiede bei Männern
              Magnus Brosig: Der Gender Pension Gap (GPG)             und Frauen?
       beschreibt die Lücke zwischen den durchschnittlichen Alters­          Marion Salot: Egal, ob gesetzliche Rente oder Betriebs­
       einkommen von Frauen und Männern.                              rente – das ungleiche Alterseinkommen heute s­piegelt vor
                                                                      allem wider, dass die Erwerbschancen und die Bezahlung von
       Wie hoch ist der GPG in Deutschland?                           Frauen und Männern während ihrer Tätigkeit am Arbeits­
             Brosig: Je nach Datengrundlage, Berechnungsmethode       markt bereits ungleich verteilt waren. Zwar hat die Erwerbs­
       und berücksichtigten Einkommensquellen schwanken die           tätigkeit der Frauen in den alten Bundesländern zugenom­
       Werte sehr stark. In Westdeutschland liegt er ungefähr bei     men, aber nach wie vor besteht – auch bei den Einkommen
       50 Prozent, in Ostdeutschland bei etwa 30 Prozent.             – eine große Lücke zwischen Männern und Frauen. So liegt
                                                                      der Gender Pay Gap in Deutschland derzeit bei 18, in Bremen
                                                                      sogar bei 22 Prozent.

— 18
Gender Pension Gap                                                                      BAM — Mai / Juni 2021

Woran liegt das?                                                    Welche Rolle spielen gesellschaftliche Rollenbilder?
         Salot: Männer und Frauen haben oft sehr unter­                      Salot: Insbesondere dann, wenn Kinder ins Spiel
schiedliche Berufsbiografien. Frauen unterbrechen ihre              ­kommen, immer noch eine sehr große. Studien belegen, dass
Arbeit im Schnitt familienbedingt häufiger und länger, die           die meisten Mütter den Großteil der Sorgearbeit überneh­
Löhne in Berufen mit hohem Frauenanteil sind tenden­ziell            men, während Väter beruflich erst richtig durchstarten. Die­
­niedriger, sie sind häufiger in nicht-sozialversicherungs­          sen Rückstand können Frauen häufig nicht aufholen und
 pflichtigen (Mini-)Jobs beschäftigt und arbeiten im Schnitt         landen in der Rolle der Zuverdienerin – mit den entspre­
 weniger Stunden. So arbeiten im Land Bremen mehr als                chenden F  ­ olgen für die Rente. Damit das nicht passiert, müs­
 die Hälfte aller Frauen in Teilzeit, aber nur 14 Prozent der        sen wir am Arbeitsmarkt Anreize schaffen. Dazu gehört aber
 Männer. Frauen zahlen dementsprechend weniger in die
 ­                                                                   auch eine gleichmäßigere Arbeitsverteilung in Partnerschaf­
 Renten­­kasse ein.                                                  ten, sodass gerade Mütter nicht dauerhaft aus dem Arbeits­
                                                                     markt „herausgekegelt“ werden oder nie richtig den Einstieg
Also wird mit der Rente sozusagen die Quittung der                   ­schaffen.
­Vergangenheit ausgestellt?
          Brosig: Ja, sie überbringt eigentlich nur die – manch-    Und dann ist alles gut?
 mal schlechten – Nachrichten. Rente und GPG ­           spiegeln          Brosig: Natürlich muss auch das Rentensystem stark
 gesamte Berufsbiografien wider: Wie hoch waren Wochen­             aufgestellt sein, hier liegt viel im Argen. Ein höheres Renten­
 arbeits­zeiten und Stundenlöhne? Wie viele Jahre hat jemand        niveau und eine Erwerbstätigenversicherung, die auch
 ge­­arbeitet? Kurz- und mittelfristige Phasen können dabei gut     Beamte und Selbstständige einbezieht, würden die Leistungs­
 ausgeglichen werden, zum Beispiel was zeitweilige Sorge­           fähigkeit und Akzeptanz des Systems insgesamt verbessern.
 arbeit angeht: Es gibt deutliche Rentenzuschläge für Kinder­
 erziehung in den ersten Lebensjahren, bei geringem Verdienst       Mit der Grundrente gab es zuletzt einen großen
 neben der Erziehung im Kindergarten-/Grundschulalter und           ­Fortschritt. Warum reicht das nicht?
 bei unbezahlter Pflege, etwa von Angehörigen.                               Salot: Die sogenannte Grundrente ist ein längst
                                                                     über­fälliger Rentenzuschlag für Menschen, die viele Jahre
Was ist also das Kernproblem?                                        zu einem niedrigen Lohn gearbeitet haben. Aber auch für
        Brosig: Die langfristige „Abmeldung“, zum Beispiel           Frauen muss die finanzielle Unabhängigkeit das wesentliche
nach der Geburt eines Kindes, oder eine Rückkehr in dau­             Ziel sein: Möglichst dauerhaft eine existenzsichernde, gut
erhafte Teilzeit lässt sich nicht ausgleichen. Einer aktuel­         bezahlte Arbeit, die für eine auskömmliche, ihre Lebensleis­
len Bertels­mann-Studie zufolge kostet es Frauen ungefähr            tung anerkennende und stabile gesetzliche Rente sorgt, gern
40 (ein Kind) bis 70 Prozent (drei Kinder) ihres Lebens­             ergänzt durch eine betriebliche oder private Zusatzvorsorge.
erwerbseinkommens, wenn sie sich für Kinder entschei­
den. Diese sogenannte „motherhood lifetime penalty“ ist das
eigentliche Problem, das wir nicht in unserem Rentensystem                                                       Magnus Brosig
lösen ­können.                                                                                                   Referent

                                                                                                                                        Fotos: Stefan Schmidbauer
                                                                                                                 für Sozial­
Wäre eine gesetzliche Mindestrente sinnvoll?                                                                     versicherungs-
       Brosig: Damit würde die Politik sehr stark auf den                                                        und Steuerpolitik
Aspekt der Armutsvermeidung setzen anstatt sich an der
Sicherung des jeweiligen Lebensstandards zu orientieren.                                                         Marion Salot
Das dürfte viele vor den Kopf stoßen, auch beruflich erfolg­                                                     Referentin für
reiche Frauen, die dann recht hohe Beiträge ohne nennens­                                                        Wirtschaftspolitik
werte Unterschiede in der späteren Rente zu zahlen hätten.                                                       und Gleichstellung
Wir müssen die Probleme an der Wurzel packen.

Was kann man also tun, damit Frauen bereits während
ihres Erwerbslebens besser dastehen?                                Unsere Podcast-Reihe „Rolle Rückwärts“
        Salot: Wir müssen die bestehenden Hürden für die                Folge 7: Ein Mann ist keine Geldanlage
Erwerbsbeteiligung von Frauen abbauen und gleichzeitig              Heutzutage reicht es längst nicht (mehr) aus, sich auf
bessere Anreize schaffen, damit Frauen nicht in die Teil­           ­seinen Partner zu verlassen, um finanziell unabhängig und
zeit-Falle schliddern. Das heißt unter anderem: die profes­          im Alter ausreichend abgesichert zu sein. Finanzexpertin
sionelle Pflege ausbauen, die Mitversicherung in der gesetz­         Annabel Oelmann von der Verbraucherzentrale Bremen
lichen Krankenversicherung überdenken und Minijobs                   gibt praktische Tipps.
reduzieren. Außerdem: mehr Lohngerechtigkeit und eine                   Folge 8: Frauen in der Rentenfalle
stärkere Tarifbindung schaffen, gerade in Branchen wie der           Noch immer erhalten Frauen zwischen 30 und 50 P   ­ rozent
Pflege oder dem Einzelhandel, wo besonders viele Frauen              weniger Renteneinkommen als Männer. Woran liegt das?
arbeiten. Ein wichtiger Schlüssel ist die Kinderbetreuung – in       Und was können wir dagegen tun? Mit Magnus Brosig
Bremen gibt es erheblichen Nachholbedarf: Vor allem hinken           (Referent für Sozialversicherungs- und Steuerpolitik bei
wir bei der Betreuung der unter 3-Jährigen hinterher. Nur            der Arbeitnehmerkammer).
28,4 Prozent der Kinder in dieser Altersgruppe finden einen              www.arbeitnehmerkammer.de/rollerueckwaerts
Platz. Es fehlt aber auch an Kita-Ganztagsplätzen.

                                                                                                                                             — 19
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