Zu Hause, unterwegs oder im Betrieb

Die Seite wird erstellt Nathaniel Fritsch
 
WEITER LESEN
Zu Hause, unterwegs oder im Betrieb
Informationen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Bremen und Bremerhaven   September / Oktober 2019

         Zu Hause, unterwegs
           oder im Betrieb
                                       Arbeit wird flexibler

Ringen um Fachkräfte                Brückenteilzeit                     Karriere
Bremens Sozialwirtschaft           Was Beschäftigte über ihren          Unter Beobachtung beim
wächst                             Anspruch wissen sollten              Assessment-Center
Zu Hause, unterwegs oder im Betrieb
BAM — September / Oktober 2019                                                         Inhalt

      Galerie der Arbeitswelt                       Der Arbeitsunfall                     Künstliche Intelligenz in Bremen
      Seite 16                                      Seite 10                              Seite 14

      Inhalt                                                            SERVICE & BERATUNG

                                                                        10
                                                                            Arbeit & Gesundheit
                                                                        			 Der Arbeitsunfall – was zu b
                                                                                                       ­ eachten ist

                                                                        11			 Fragen & Antworten
      THEMEN                                                            			 Brückenteilzeit – Infos für Beschäftige

      			 Schwerpunkt                                                   22			   Alles, was Recht ist
      6			Zu Hause, unterwegs oder im Betrieb                                   Rechtstipp / Rechtsirrtum: Ich darf nicht
      			 Arbeit wird flexibler                                                 über mein Gehalt sprechen

      14			 Künstliche Intelligenz in Bremen                            23
                                                                          Drei Fragen

                                                                          zum Mitarbeitergespräch
      18		  Unter Beobachtung
            Assessment-Center
      			                                                               IN JEDEM HEFT
      20			 Bremens Sozialwirtschaft wächst –
      			 trotz belastender Arbeitsbedingungen                          3			Editorial

                                                                        4			Die Bremer Arbeitswelt in Zahlen
                                                                        			 Gute Arbeit für alle – Tarifbindung

                                                                        5			Kurz gemeldet
                                      Aktuelle politische Inhalte
        BAM                          und Service-Informationen          12			 Veranstaltungskalender
       im Abo?                      von uns finden Sie auf T
                                                           ­ witter
                                        (@ANK_HB), facebook             16			 Galerie der Arbeitswelt
                                e    (Arbeitnehmerkammer Bremen),
                                                                          Die Kuratorin
                 er.d
  bam@ ehmerkamm                          ­YouTube und Xing.
         n
  arbeit                                                                22			   Impressum

                                                                        23			   Cartoon

                                                                        24			   Beratungsangebote & Öffnungszeiten

— 2
Zu Hause, unterwegs oder im Betrieb
Editorial                                                 BAM — September / Oktober 2019

                                                                   EDITORIAL

                                                                   Vorhaben
                                                                   umsetzen!
                        #first7jobs

                        Unter dem Twitter-Hashtag
                        #first7jobs erfährt man endlich,
                        wie Karrieren gestartet wurden.
                        Kellner? Babysitter? Oder doch
                        eher Marketing-Hase in der Fuß-
                        gängerzone? Wir wollten ­wissen,
                        wie prominente Bremerinnen
                        und Bremer ihre Berufslaufbahn
                        begonnen haben.                                                       Peter Kruse
                                                                                            Präsident der
                        Mit seiner Gemüsewerft wirbt er                              Arbeitnehmerkammer
                        für eine inklusive und grüne Stadt­                                      Bremen
                         entwicklung. Die urbane Land-
                        wirtschaft ist der bekannteste
                        Zweckbetrieb der gemein­nützigen
                         Gesellschaft für integrative Be­
                         schäftigung, deren Geschäfts­führer       Liebe Leserin, lieber Leser,
                         er ist. Michael Scheer, 50 und
                        ­Bremer Junge, steht aber nicht            das politisch spannende Jahr in Bremen mündet in einen rot-grün-roten Koali­
                         nur auf urbanes Gemüse, sondern           tionsvertrag. Der Koalitionsvertrag bildet aus Sicht der Arbeitnehmerkammer
                         auch auf große Viecher: Seit fast         eine gute Grundlage, um die Arbeits- und Lebenssituation von Arbeitnehmerin-
                        20 Jahren untersucht der diplo-            nen und Arbeitnehmern tatsächlich zu verbessern.
                         mierte Biologe die negativen Ein-
                        flüsse von Tourismus auf Meeres-           Ein Schwerpunkt des Vertrags ist die berufliche Ausbildung. So plant die künf-
                         säugetiere, zuletzt für das Institut      tige Koalition, die Berufsschulen finanziell besser auszustatten und sich dabei
                        für Aquatische Wildtierforschung           an den anderen Stadtstaaten zu orientieren. Außerdem ist zu begrüßen, dass ein
                         und das Landesamt für Land-               Unterstützungssystem für Auszubildende und Betriebe angekündigt wird, sodass
                        wirtschaft, Umwelt und ländliche           junge Menschen und Unternehmen nicht nur zueinanderfinden, sondern auch
                         Räume Schleswig-Holsteins.                die Zeit der Ausbildung bis zum erfolgreichen Abschluss gut bewältigen können.
                                                                   Dies verbessert die Zukunftschancen junger Menschen und sichert den regiona-
                           Aushilfe im Supermarkt                  len Fachkräftebedarf.
                           Fließband bei Mercedes
                           (Semesterferien)                        Darüber hinaus werden im Koalitionsvertrag weitere wichtige Einzelvorhaben
                           Tischlergehilfe                         für gute Arbeit, eine innovative Wirtschaft und eine moderne Stadtentwicklung
                           Gartenbauer                             genannt.
                           Plakatierer
                           Verhaltensbiologe (bis heute)           Letztlich kommt es aber darauf an, dass die formulierten Vorhaben auch umge-
                           Wissenschaftsunternehmer                setzt werden. In diesem Sinne wird die Arbeitnehmerkammer auch in Zukunft
                                                                   die Arbeit des neuen Senats und der Bürgerschaft begleiten und die Anliegen von
                                                                   Beschäftigten formulieren – im Interesse unserer Mitglieder.

                                                                   Ihr Peter Kruse
Foto: Sandra Lachmann

                                                                   ­Kontakt:     bam@arbeitnehmerkammer.de

                                   Michael Scheer

                                                                                                                                                     — 3
Zu Hause, unterwegs oder im Betrieb
BAM — September / Oktober 2019

          DIE BREMER ARBEITSWELT IN ZAHLEN
                                                                                               Tarifbindung

          Gute Arbeit für alle –                                                               Tarifverträge regeln
                                                                                               Löhne, Arbeitszeiten und
                                                                                               weitere Arbeitsbedingun-

          Tarifbindung                                                                         gen von Beschäftigten
                                                                                               einer Branche oder eines
                                                                                               Unternehmens. Sie werden

          im Land Bremen                                                                       zwischen Arbeitgebern
                                                                                               und Gewerkschaften ab-
                                                                                               geschlossen und haben
                                                                                               eine bindende Wirkung
                                                                                               wie ein Gesetz.
          Die Tarifbindung ist in den vergangenen Jahren deutlich
          gesunken. In keinem anderen Bundesland ist sie so stark
          zurückgegangen wie in Bremen

                Anteil der Beschäftigten                   Anteil der Betriebe                        Beschäftigte in
                    mit Tarifvertrag                        mit Tarifvertrag                          Unternehmen …
                    (Land Bremen)                            (Land Bremen)                … mit Betriebsrat     … ohne Betriebsrat

                                                                                                                                            Quellen: Koordinaten der Arbeit 2019/Beschäftigtenbefragung der Arbeitnehmerkammer, IAB-Betriebspanel
                                                                                                  78 %                   29 %
                                       - 18%                                                      mit Tarifvertrag       mit Tarifvertrag

                 Tarif-                                   Tarif-
                vertrag       67 %                       vertrag
                                         55 %                                    - 49%

                                                                          39 %

                                                                                  20 %

                              2008        2017                            2008     2017                 Unternehmen
                                                                                                       mit Betriebsrat
                                                                                                        sind sehr viel
                                          55 %                                     27 %                    häufiger
                                                                                                       tarifgebunden.

          Tarifbindung nach Branchen                    Im Bereich                        Beispiel Einzelhandel
                Beschäftigte mit Tarifvertrag      Handel / Reparatur
                                                  sank die Tarifbindung                    Verdienst einer Verkäuferin
                                                  von 41 % auf 28 % der                    in Vollzeit (Endstufe, Gehaltsstufe 2):
          Verarbeitendes               Handel /
             Gewerbe       Logistik   Reparatur    Beschäftigten. Das
                                                    hat Folgen für die                     Bei einem nicht tarifgebundenen
                                                      Arbeitnehmer.                        Lebensmittelhändler im Monat
              70 %                                                                         36 % weniger als ihre Kolleginnen
                                                                                           in einem Betrieb mit Tarifvertrag.
Meist große                46 %
 Betriebe                                                                                  Das können pro Monat

                                        28 %
                                                                                                       600 €         sein.

                                                                                           Das Modelädchen

    — 4
Zu Hause, unterwegs oder im Betrieb
BAM — September / Oktober 2019

                                                               Kurz
                                                               gemeldet
                                                               Personalratsarbeit:
                                                               Wahlordnung neu kommentiert
                                                               Das Bremische Personalvertretungsgesetz bildet die Basis für die
                                                                                                                                                     Frauen auf dem
                                                               Personalratsarbeit in den Dienststellen, Stiftungen, Anstalten und                    ­Bremer Arbeitsmarkt
                                                               Körperschaften des öffentlichen Rechts im Land Bremen.
                                                                       Zuletzt wurde das Gesetz 1979 kommentiert und 2016 kom-                       Frauen verdienen in Bremen rund 22 Prozent
                                                               plett überarbeitet. Nun liegt auch die Wahlordnung in neuer Kom-                      weniger als Männer. Das aktuelle Kammer­
                                                               mentierung vor. Die Arbeitnehmerkammer Bremen bietet mit diesem                       Kompakt beschäftigt sich mit den Lohnunter-
                                                               Werk eine praxisbezogene Entscheidungs- und Handlungsgrundlage.                       schieden zwischen den Geschlechtern: Gibt es
                                                               Erhältlich im Buchhandel.                                                             Unterschiede zwischen den Branchen? Wie sieht
                                                                                                                                                     es bei den Führungspositionen aus? Die gesell-
                                                                        www.kellnerverlag.de                                                       schaftlich benachteiligenden Strukturen zeigen
                                                                                                                                                     sich besonders in und nach der Familiengrün-
                                                               ­                                                                                     dungsphase: Hier gehen die Stundenverdienste
                                                                                                                                                     zwischen Frauen und Männern deutlich ausein-
                                                                   www.arbeitnehmerkammer.de

                                                                                                                                    Neue             ander.
                                                                                                                                    Beschäftigten­
                                                                                                                                                        www.arbeitnehmerkammer.de/kammerkompakt
Koordinaten der Arbeit im Land Bremen
                                                                                                                                    befragung
                                                                                                                                    erschienen
Mit den „Koordinaten der Arbeit“ veröffentlicht die Arbeit­
nehmerkammer die Ergebnisse einer aktuellen Repräsentativ­

                                                                                                                                                     Mit dem Thema Chancengleichheit auf dem
befragung von Beschäftigten im Land Bremen. Es wurden
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aller Wirtschaftszweige
und Berufe befragt, unabhängig davon, ob sie in Bremen oder
Bremerhaven leben oder aus dem Umland einpendeln. Im
Fokus stehen die Arbeitsbedingungen. Wichtige Themen sind
unter anderem Arbeitszeiten und Überstunden, Belastungs­

                                                                                                                                                     Arbeitsmarkt befasst sich die Veranstaltung
faktoren oder die Arbeitsplatzsicherheit und berufliche Ent­
wicklungsmöglichkeiten. Ein besonderer Schwerpunkt liegt
bei den Weiterbildungsmöglichkeiten. Der Bericht gibt einen
Überblick über die Ergebnisse. Er stellt zudem Zusammen­
hänge her zwischen den Arbeitsbedingungen, der Zufriedenheit
und den Sorgen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern

                                                                                                 Wie viele bremische Beschäftigte arbei-             „Gender Gaps“ von Arbeitnehmerkammer,
und lässt wichtige Handlungsbedarfe erkennen.

                                                                   Koordinaten der Arbeit        ten im Homeoffice? Wer ist zufrieden                DGB Bremen und ZGF am 16. September um
                                                                   im Land Bremen
                                                                 Befragung von Arbeitnehmerinnen mit seinem Gehalt und wer nicht, wer                18 Uhr in der Handwerkskammer.
                                                                                                 erhält für seinen Beruf gesellschaft­liche
ndte
                                                                 und Arbeitnehmern 2019
H
e 18

                                                                   Eine Studie von infas – Institut für

                                                                                                 Anerkennung, wer nicht? Diese und                      www.arbeitnehmerkammer.de/veranstaltungen
                                                                   angewandte Sozialwissenschaft GmbH im Auftrag
                                                                   der Arbeitnehmerkammer Bremen

                                                                                                 andere Antworten gibt eine Befragung,
                                                                                                                   30.07.19 12:40

                                                                                                 die unter dem Titel „Koordinaten der
                                                               Arbeit“ nun zum zweiten Mal im Auftrag der Arbeitnehmer­kammer
                                                               durchgeführt wurde. Eine Kostprobe der Befunde: 30 Prozent aller                      Die Zukunft des
                                                               Auszubildenden bekommen selten oder nie ein Feedback von ihren
                                                               Vorgesetzten und 29 Prozent der heute Beschäftigten glauben
                                                                                                                                                     Krankenhauses
                                                               nicht, in ihrem Job das reguläre Rentenalter erreichen zu können.
                                                                                                                                                     Privatisierungen schwebten lange als Damokles-
                                                                                                                                                     schwert über den öffentlichen Krankenhäusern,
                                                                        www.arbeitnehmerkammer.de/beschaeftigtenbefragung
                                                                                                                                                     heute ist es eher die Debatte um neue Versor-
                                                                                                                                                     gungsstrukturen, die die Krankenhäuser zwingt,
                                                               ­                                                                                     umzudenken. Dass Veränderungen und Innova-
                                                               Zwei Branchen im Fokus                                                                tionen dabei nur mit, nicht gegen die Beschäf-
                                                                                                                                                     tigten umgesetzt werden können, ist begründete
                                                               Im Oktober/November erscheinen zwei neue Branchenreports: Wir                         Kernaussage des Berichts des Instituts Arbeit
                                                               haben einen Blick auf die Bremer Baubranche geworfen, die drin-                       und Technik (IAT) „Die Zukunft des Kranken-
                                                               gend benötigte Fachkräfte für die Zukunft sichern muss. Und die                       hauses neu denken, miterstreiten und mitgestal-
                                                               Sozialwirtschaft im Land Bremen wächst – trotz schwieriger Arbeits-                   ten“, der im Austausch mit der Arbeitnehmer-
                                                               bedingungen.                                                                          kammer entstanden ist.

                                                                        www.arbeitnehmerkammer.de/downloads                                           www.arbeitnehmerkammer.de/downloads

                                                                                                                                                                                                       — 5
Zu Hause, unterwegs oder im Betrieb
SCHWERPUNKT

      Zu Hause,
      unterwegs oder
      im Betrieb
      — Arbeit wird flexibler

                                Noch sind es die Wenigsten, die ­zumindest
                                hin und wieder im Homeoffice oder an
                                ­anderen Orten außerhalb des Betriebs
                                ­arbeiten. Experten gehen aber davon aus,
                                dass flexible Arbeitsmodelle künftig an
                                Bedeutung gewinnen werden

                                Text: Anne-Katrin Wehrmann
                                Fotos: Jonas Ginter

— 6
Zu Hause, unterwegs oder im Betrieb
Schwerpunkt                                                      BAM — September / Oktober 2019

                                            Planungssicherheit bei der Vereinbar-      vertreten. Am weitesten verbreitet sind
                                            keit beruflicher und privater Anfor-       diese Arbeitsformen bei IT- und natur-
                                            derungen ermöglicht“, heißt es in der      wissenschaftlichen sowie bei sozialen
                                            Betriebsvereinbarung. Dadurch ent-         und kulturellen Dienstleistungsberufen.
                                            stünden größere Spielräume für Krea-              Die große Mehrheit der im
                                            tiv- und Produktivphasen sowie verbes-     Homeoffice und mobil Arbeitenden
                                            serte Arbeitsprozesse, „die in Summe       sieht darin viele oder überwiegend
                                            einen Mehrwert für das Unternehmen         Vorteile. Nur bei knapp der Hälfte der
                                            schaffen“. In der Praxis kommt diese       Befragten, die mobil arbeiten, sind die
                                            Option allerdings nur für einen Teil der   Bedingungen dafür in einem Tarifver-
                                            aktuell rund 12.800 Stammbeschäftig-       trag oder einer Betriebs- beziehungs-

D
           er Handwerker hat sich           ten im Bremer Mercedes-Werk infrage,
           angekündigt, das Kind liegt      berichtet Uzunay. „Die 10.300 Kol-
           krank im Bett, die Fahrt zum     leginnen und Kollegen, die am Band
           Arbeitsplatz dauert auch         arbeiten oder produktionsnahe Tätig-
ohne Stau schon mehr als eine Stunde:       keiten verrichten, können das naturge-
                                                                                          „Als Betriebsrat habe
Es gibt viele Gründe, warum es manch-       mäß nur im Betrieb tun.“ Die übrigen        ich allerdings die Sorge,
mal besser passt, von zu Hause aus zu       2.500 in der Verwaltung tätigen Mit-
arbeiten. Bei Bremens größtem Arbeit-       arbeiter nähmen die Regelung dage-
                                                                                           dass die Trennung
geber ist das seit knapp drei Jahren        gen schon vergleichsweise rege in             von Beruflichem und
möglich. Ende 2016 trat bei der Daim-       Anspruch: Eine monatliche Auswer-
ler AG eine Gesamtbetriebsvereinba-         tung für 2018 habe gezeigt, dass in
                                                                                       ­Privatem vielleicht nicht
rung in Kraft, laut der die Beschäftig-     der Spitze 1.100 und im Jahresschnitt       immer ganz klar durch-
ten grundsätzlich das Recht haben,          850 Beschäftigte in irgendeiner Form
mobil zu arbeiten – sofern es mit ihrer     mobil gearbeitet hätten. „Die Rückmel-
                                                                                              zusetzen ist.“
Arbeitsaufgabe vereinbar ist. „Dabei        dungen, die wir aus dem Kollegenkreis                 Oguzhan Uzunay
umfasst mobiles Arbeiten bei uns alle       bekommen, sind grundsätzlich sehr
arbeitsvertraglich vereinbarten Tätig-      positiv“, sagt Uzunay. „Als Betriebsrat
keiten, die außerhalb der Betriebsstätte    habe ich allerdings die Sorge, dass die
durchgeführt werden können“, er­läu-        Trennung von Beruflichem und Priva-        weise Dienstvereinbarung geregelt, bei
tert der Bremer Betriebsrat ­   Oguzhan     tem beim mobilen Arbeiten vielleicht       weiteren 14 Prozent gibt es eine Ver-
Uzunay. „Und zwar temporär oder             nicht immer ganz klar durchzusetzen        einbarung im Arbeitsvertrag. Bei mehr
regulär, online oder offline.“ Das heißt:   ist.“ Eine Mitarbeiterbefragung hierzu     als einem Drittel ist hingegen ledig-
Egal, ob jemand kurzfristig für ein paar    habe ergeben, dass dieser Punkt tat-       lich eine mündliche oder gar keine
Stunden oder regelmäßig an einem            sächlich als Herausforderung wahrge-       Regelung festgehalten. „Gerade Letz-
bestimmten Tag die Woche zu Hause           nommen werde. Trotzdem laute sein          teres ist sehr kritisch zu sehen, weil
oder an einem anderen Ort arbeiten          bisheriges Zwischenfazit: „Daumen          damit oft auch Überstunden, womög-
möchte, ob es um eine Onlinerecherche       hoch für mobiles Arbeiten.“                lich unbezahlt, verbunden sind“, meint
für eine Präsentation oder das Lesen                                                   Elke Heyduck, Geschäftsführerin der
eines ausgedruckten Projektberichts         Mehr Flexibilität, weniger klare           Arbeitnehmerkammer. Grundsätzlich
geht – alles ist möglich. Dabei wird die    Grenzen                                    begrüße die Kammer den Flexibilitäts-
konkrete Umsetzung jeweils zwischen         Aktuelle Zahlen für Bremen und Bre-        gewinn von Homeoffice und mobiler
Beschäftigten und Führungskraft sowie       merhaven liefert die jüngste Beschäf-      Arbeit, sofern dies von den Beschäftig-
innerhalb des Teams abgestimmt.             tigtenbefragung der Arbeitnehmer-          ten gewünscht werde. „Die Vorausset-
                                            kammer. Aus ihr geht hervor, dass          zung muss aber sein, dass der Arbeits-
                                            19 Prozent der Befragten gelegentlich      schutz berücksichtigt wird – gerade
                                            im Homeoffice, also von Zuhause aus,       auch mit Blick auf die zulässige täg­
                                            arbeiten. Gegenüber der Befragung von      liche Höchstarbeitszeit und die gesetz-
      Es gibt viele                         2017 ist das eine Zunahme von vier Pro-    lich vorgeschriebenen Mindestruhe-
                                            zent. Tendenziell ist Homeoffice umso      zeiten.“ Das häufig gehörte Argument,
   Gründe, warum es                         gefragter, je mehr Kinder im Haushalt      durch mobiles Arbeiten ließen sich
­manchmal besser passt,                     leben. 13,4 Prozent der Befragten – und    Beruf und Familie besser vereinbaren,
                                            damit geringfügig weniger als vor zwei     sei mit Vorsicht zu genießen. „Wenn
  von zu Hause aus zu                       Jahren – gaben an, manchmal an wech-       die Grenzen verwischen, und davon
        ­arbeiten.                          selnden Orten wie Cafés und öffentli-      sind besonders häufig Frauen betrof-
                                            chen Verkehrsmitteln mobil zu arbeiten     fen, führt das schnell zu psychischen
                                            (Überschneidungen möglich). Sowohl         Belastungen“, sagt Heyduck. „Es kann
                                            beim Homeoffice als auch beim mobi-        darum von großem Vorteil sein, die
„Den Beschäftigten wird durch Mobi-         len Arbeiten unterwegs sind Beschäf-       Dinge klar voneinander zu trennen.“
les Arbeiten ein größerer individuel-       tigte mit Hochschul- oder Universitäts-
ler Gestaltungsspielraum sowie mehr         abschluss weit überdurchschnittlich

                                                                                                                                 — 7
Zu Hause, unterwegs oder im Betrieb
BAM — September / Oktober 2019                                                          Schwerpunkt

      Trendwende in Aussicht?                    Laut Schröder stagniert die Ent­­­­­­­    Drittel von ihnen würde aber gerne die
      Was die Diskussion erschwert: Für          wicklung in Sachen Homeoffice seit        Möglichkeit zum Homeoffice haben –
      die Begriffe Homeoffice, mobile            den 1990er-Jahren, ein ­   echter Trend   da ist also ein gewisses Potenzial.“ Die
      Arbeit und Telearbeit gibt es in unter-    sei bisher nicht zu er­­kennen. Er gehe   Gelegenheit sei momentan gleich aus
      schiedlichen Studien unterschied­          aber davon aus, dass das Thema in         mehreren Gründen günstig: „Es gibt
      liche Definitionen, wobei Homeoffice       den kommenden Jahren an Be­­deutung       erst seit ein paar Jahren die techno-
      und Telearbeit oft synonym verwen-                                                   logische Infrastruktur, um das groß-
      det werden. Feststeht, dass allein die                                               flächig umzusetzen. Die Vereinbarkeit
      Telearbeit seit 2016 in der Arbeits-                                                 von Familie und Beruf ist angesichts
      stättenverordnung gesetzlich gere-                                                   zunehmender Frauenerwerbstätigkeit
      gelt ist (s. Info-Kasten). „Die Arbeits-
                                                 „Der Arbeitsschutz muss                   ein Thema, das immer mehr an Bedeu-
      stättenverordnung kommt faktisch nur          berücksichtigt ­werden                 tung gewinnt. Und jetzt gibt es auch
      dann zum Tragen, wenn der Arbeitge-                                                  noch den politischen Willen, das Ganze
      ber explizit einen Telearbeitsplatz im
                                                      – gerade auch mit                    zu forcieren“, meint Schröder mit Blick
      Wohnbereich des Arbeitnehmers ein-            Blick auf die ­zulässige               auf die Pläne des Bundesarbeitsminis-
      gerichtet hat“, erläutert Tim Schrö-                                                 teriums, noch in diesem Jahr ein Recht
      der von der Bundesanstalt für Arbeits-
                                                  ­tägliche Höchstarbeits-                 auf Homeoffice und mobiles Arbeiten
      schutz und Arbeitsmedizin (BAuA).             zeit und die ­gesetzlich               auf den Weg bringen zu wollen. Hinzu-
      Sei dies nicht der Fall, könne man von                                               komme, dass die Arbeitgeber in Zeiten
      Homeoffice oder mobiler Arbeit spre-
                                                       vorgeschriebenen                    des Fachkräftemangels mehr auf die
      chen. Hier gälten aber weiterhin die           ­Mindestruhezeiten.“                  Bedürfnisse ihrer Beschäftigten einge-
      Regelungen von Arbeitsschutz- und                                                    hen müssten.
                                                              Elke Heyduck
      Arbeitszeitgesetz, die grundsätzlich
      auch außerhalb der Unternehmen gül-                                               „Gut auf sich aufpassen“
      tig sind. „Jenseits dieser rechtlichen                                            Der Arbeitsschutz-Experte und seine
      Regelungen ist die tatsächliche Gestal-    gewinnen werde. „Unsere BAuA-­ Kollegen aus der BAuA-Fachgruppe
      tung letztlich eine Frage der Aushand-     Arbeitszeitbefragung 2017 hat zwar „Wandel der Arbeit“ haben gerade ein
      lung zwischen Arbeitnehmer- und            gezeigt, dass 88 Prozent der Befragten Projekt gestartet, in dem sie den Ein-
      ­Arbeitgebervertretung.“                   kein solches Modell mit ihrem Arbeit- fluss von Führungskräften und allge-
                                                 geber verabredet haben. Ein knappes meinen Rahmenbedingungen auf den

— 8
Zu Hause, unterwegs oder im Betrieb
BAM — September / Oktober 2019

                                                                                     KOMMENTAR
   betrieblichen Wandel untersuchen.          „Dazu gehört es auch, Klarheit
   Konkrete Ergebnisse wird es erst im        über die Arbeitszeiten schaffen.“
   kommenden Jahr geben, doch schon           Hier dürfte das jüngste Urteil des
   jetzt ist aufgrund der bisherigen Daten-   Europäischen Gerichtshofs (EuGH)
   lage laut Tim Schröder klar: „In den       zur Arbeitszeiterfassung wichtige

                                                                                                                                    Foto: Stefan Schmidbauer
   Unternehmen müsste sich die Betriebs-
   kultur ändern, um Homeoffice häu-                                                   Elke Heyduck,
   figer in die Praxis umzusetzen. Das                                                   Geschäfts­
   kann nur funktionieren, wenn die Füh-         „Arbeitgeber und                       führerin und
   rungskräfte die Interessen ihrer Mitar-                                           ­Leitung Politik-
   beiter erfragen – und dann im Team
                                                ihre Beschäftigten                          beratung
   die Arbeit so gestalten, dass es keine       sollten schrift­liche
   Benachteiligungen für die Telearbeiter
   gibt.“ Das betreffe sowohl eine gesunde
                                               Vereinbarungen über
   Gestaltung der Telearbeitsplätze, auch      orts- und zeit­flexible
   mit Blick auf Überstunden und stän-
   dige Erreichbarkeit, als auch mögli-
                                                  Arbeits­modelle
   che Karrierewege. Gleichzeitig sei dar-
   auf zu achten, dass sich die Kollegen,
                                                      ­treffen.“                        Home­office:
                                                         Barbara Reuhl
   für die Homeoffice keine Option sei,
   nicht benachteiligt fühlten. „Zusätzlich
                                                                                          Auf die
   sollte, wer Homeoffice macht, Werk-
   zeuge zur Selbstorganisation an die        Eckpfeiler setzen: Demnach müs-
                                                                                         Umstände
   Hand bekommen, damit er oder sie
   nicht am Ende die eigene Gesundheit
                                              sen Unternehmen in der EU künf-
                                              tig verlässliche Systeme einrichten,
                                                                                        kommt es an
   gefährdet“, so Schröder.                   mit denen die tägliche Arbeitszeit
                                              ihrer Beschäftigten erfasst wird –
   Ein Punkt, den auch Barbara Reuhl          ganz gleich, wo sie ihre Arbeit ver-
   von der Arbeitnehmerkammer für             richten. Es bleibt nun abzuwarten,
   enorm wichtig hält. „Die Beschäftig-       wann und wie genau der deutsche        Die fortschreitende Digitalisierung ermög-
   ten ­müssen gut auf sich achten und für    Gesetzgeber die EuGH-Vorgaben          licht es, Arbeitszeit und Arbeitsort zu ent-
   Pausen und Belastungsausgleich sor-        umsetzen wird.                         koppeln – viele Beschäftigte begrüßen zu
   gen“, betont die Referentin für Arbeits-                                          Recht diesen Zugewinn an Flexibilität.
   und Gesundheitsschutz. Damit dürften                                                      Gleichzeitig müssen Rahmenbe-
   sie aber nicht allein gelassen werden:                                            dingungen und Umstände geprüft wer-
   Es brauche unter anderem Unterwei-                                                den: Wird die Arbeitszeit außerhalb
   sungen, die zum Thema ergonomische                                                des Betriebs vollständig anerkannt oder
   Gestaltung qualifizierten, die Beschäf-    Veranstaltungshinweis                  begünstigt sie unbezahlte Überstunden?
   tigten über ihre Rechte und gesund-        Mobile Arbeit – in jeder               Werden die mobilen Endgeräte auch mal
   heitliche Risiken informierten, damit      ­Hinsicht flexibel?!                   abgeschaltet oder sind die Beschäftigten
   sie Optimierungsbedarf erkennen sowie       Mo., 25. Nov. 2019, 17 – 19 Uhr       rund um die Uhr online (und erreichbar)?
   Belastungen verringern können. „Auf         im Kultursaal der Arbeitneh­
   jeden Fall sollten Arbeitgeber und ihre     mer­kammer in Bremen mit              Und nicht zuletzt: Sind ortsflexible Lösungen
   Beschäftigten schriftliche Vereinbarun-     Karl Brenke, Deutsches Institut       tatsächlich ein Beitrag zur Verein­        bar­
   gen über orts- und zeitflexible Arbeits-   für Wirtschaftsforschung               keit? Die Formel ‚Homeoffice=familien­
   modelle treffen“, so Reuhl.                                                       freundlich‘ ist ein Kurzschluss: Einer ­Studie
                                                                                     des WSI zufolge machen Väter im Home-
                                                                                     office mehr Überstunden als Väter ohne
Telearbeit                                                                           Heimarbeit. Und auch ­Mütter, für die im
                                                                                     Homeoffice die Grenzen ­zwischen Lohnar-
In § 2 Absatz 7 der Arbeitsstättenverordnung heißt es: „Telearbeitsplätze            beit und Familienarbeit unter Umständen
sind vom Arbeitgeber fest eingerichtete Bildschirmarbeitsplätze im Privat-           noch mehr verwischen, ­müssen sich sehr
bereich der Beschäftigten, für die der Arbeitgeber eine mit den Beschäf-             deutlich fragen, welche Form für sie die
tigten vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit und die Dauer der Einrichtung            bessere ist: die klare Trennung von Beruf
festgelegt hat. Ein Telearbeitsplatz ist vom Arbeitgeber erst dann einge-            und Privatem oder die ­flexible Wahl des
richtet, wenn Arbeitgeber und Beschäftigte die Bedingungen der Tele-                 Arbeitsorts.
arbeit arbeitsvertraglich oder im Rahmen einer Vereinbarung festgelegt
haben und die benötigte Ausstattung des Telearbeitsplatzes mit Mobiliar,
Arbeitsmitteln einschließlich der Kommunikationseinrichtungen durch den
Arbeitgeber oder eine von ihm beauftragte Person im Privatbereich des
Beschäftigten bereitgestellt und installiert ist.“

                                                                                                                              — 9
Zu Hause, unterwegs oder im Betrieb
BAM — September / Oktober 2019                                                            Arbeit & Gesundheit

       Der Arbeitsunfall
        — was zu
       ­beachten ist
       Text: Frauke Janßen

                                                                       Unbedingt im Unfallbogen an­­
                                                                       geben, was genau, wo, wann,
                                                                       wie und warum passiert ist.

   E
                 ben noch verläuft der Arbeitstag wie gewohnt, dann    höher aus als beim normalen Krankheitsausfall. Die Unfall-
                 passiert es: ein Unfall! Der kann jeden treffen und   versicherung zahlt bei schweren Unfällen auch Übergangs-
                 vor allem jene, die mit schwerem Gerät, Maschinen     leistungen, wenn etwa eine Umschulung nötig ist.
                 oder Werkzeug arbeiten. 2018 gab es rund 877.000
       Ar­­beitsunfälle in Deutschland.                                Die Meldepflicht
                Gemeint sind Unfälle, die Arbeitnehmerinnen und        Direkt nach dem Unfall ist ein Durchgangsarzt oder ein Kran-
       Arbeitnehmern während ihrer Tätigkeit oder auf dem Weg          kenhaus aufzusuchen. Durchgangsärzte sind auf die Diag-
       dorthin passieren. Zum Arbeitsweg zählt auch, wenn Eltern       nose von Unfallverletzungen spezialisiert. Dort ist unbedingt
       auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle einen Umweg über die         anzugeben, dass es sich um einen Arbeitsunfall handelt,
       Kita machen. Die meisten Arbeitsunfälle sind Stolper-,          damit die Behandlung von der Unfallversicherung über­
       Rutsch- oder Sturzunfälle.                                      nommen wird.

       Wer einen Arbeitsunfall erleidet, muss unter Umständen          Der Unfallbogen
       nicht nur die körperlichen Konsequenzen tragen, sondern         Den Unfall unbedingt mithilfe der fünf W-Fragen für den
       auch finanzielle. Etwa dann, wenn die aktuelle Berufstätig-     Arbeitgeber dokumentieren: Was ist wo passiert? Wann und
       keit nicht weitergeführt werden kann. Um die Folgeschäden       wie hat sich der Unfall ereignet? Warum ist es zu einem
       möglichst gering zu halten, gilt es, schnell und ordnungs­      Unfall gekommen? An welchem Tag, welcher Zeit, ­welchem
       gemäß auf einen Arbeitsunfall zu reagieren.                     Ort ist der Unfall passiert? Dabei nur Fakten benennen
                                                                       und keine eigene Meinung ausformulieren. Verletzungen
       Die Unfallversicherung                                          beschreiben und gegebenenfalls Zeugen benennen.
       Vom ersten Arbeitstag an auf die Versicherung durch den
       Arbeitgeber achten. Gut zu wissen: Die Versicherung erkennt     Psychische Folgen
       es nicht an, wenn der Unfall sich beim Gang zur Toilette        Ein Gewaltereignis wie ein Übergriff oder die Beobachtung
       oder beim Besuch der Kantine ereignet. Der Lohnersatz fällt     eines schweren Unglücks kann als psychischer Arbeitsunfall
       beim Arbeitsunfall mit 80 Prozent des Bruttoeinkommens          gelten, der bei der Versicherung gemeldet und durch einen
                                                                       Durchgangsarzt untersucht werden muss. Wer infolge­dessen
                                                                       beispielsweise unter Muskelzittern, Schweißaus­  brüchen,
                                                                       Schlafstörungen oder Ängsten leidet, sollte sich nach der
                                                                       Erstbetreuung therapeutisch weiterbehandeln lassen.

                                                                       Ablehnung
                                                                       Weigert sich die Versicherung, für den Schaden aufzukom-
                                                                       men, ist innerhalb von einem Monat formlos Widerspruch
                                                                       zu erheben. Wer kein Schreiben der Unfallversicherung vor-
                                                                       liegen hat und die Krankenkasse infolgedessen die Behand-
                                       Die meisten Arbeitsunfälle      lungskosten übernehmen will, sollte sich schnellstmöglich
                                       sind Stolper-, Rutsch- oder     mit der Unfallversicherung in Verbindung setzen und einen
                                       Sturzunfälle.                   Unfall-Bescheid anfordern.

                                                                       Weitere Infos finden Sie unter       www.arbeitnehmerkammer.de
                                                                       (Suchwort: Arbeitsunfall).

— 10
Fragen & Antworten                                                     BAM — September / Oktober 2019

Brückenteilzeit
— Infos für
Beschäftige
Einen gesetzlichen Anspruch auf Teilzeit
haben Arbeit­nehmerinnen und Arbeit­nehmer
schon länger. Was neu ist bei der Brücken-
teilzeit, wer sie beantragen kann und was
Beschäftigte dabei beachten sollten
                                                               Ob sie Kinder oder Pflegebedürftige betreuen oder sich weiterbilden –
                                                               für den Antrag auf Brückenteilzeit brauchen sie keine Begründung.

 Text: Hanna Mollenhauer                  4.      Wie wird die Anzahl der ­
                                                  Mitarbeiter gezählt?                7.     Wie oft kann ich in ­
                                                                                             Brückenteilzeit gehen?
 Juristische Beratung: Ronja Carina       Zusammengerechnet werden die Be­           Ein Jahr nach Ende Ihrer Brücken-
­Rotschies                                schäftigten an allen Standorten eines      teilzeit kann eine weitere beantragt
 Foto: Kay Michalak                       Unternehmens. Es werden Köpfe ge­          ­werden. Wenn der Arbeitgeber den
                                          zählt, das heißt zum Beispiel auch          ersten Antrag auf Brückenteilzeit aus
                                          Teilzeitkräfte und Minijobber, Azubis       betrieblichen Gründen berechtigt ab­
 1.    Was ist neu?                       ­werden nicht mitgezählt.                   gelehnt hat, müssen Sie zwei Jahre
Mit der Brückenteilzeit können Arbeit-                                                nach der Ablehnung warten. Hat der
nehmer zeitlich befristet – für min-                                                  Arbeit­
                                                                                            geber wegen Überschreitung
destens ein bis maximal fünf Jahre –      5.      Wie beantrage ich ­
                                                  Brückenteilzeit?                    der Zumutbarkeitsschwelle abgelehnt,
weniger arbeiten. Damit gibt es ein       Der Antrag muss in Textform – also per      beträgt die Wartezeit für einen erneu-
gesetzliches Rückkehrrecht zur vor­       Brief, E-Mail, Fax, SMS oder ­Messenger     ten Antrag ein Jahr Wartezeit.
herigen Arbeitszeit.                      wie WhatsApp – beim Arbeitgeber
                                          gestellt werden. Darin müssen Sie
                                          angeben, auf wie viele Stunden und          8.     Und wenn es in meinem

2.      Brauche ich eine ­
        Begründung?                       für ­welchen Zeitraum Sie die Arbeits-
                                                                                             Tarifvertrag anders geregelt
                                                                                             ist?
Nein. Der Anspruch auf Brückenteil-       zeit reduzieren wollen und wie viele       Bei einem vor dem 1.1.2019 schon
zeit ist unabhängig von Gründen wie       Stunden Sie an welchen Wochen­             bestehenden Tarifvertrag können Sie
Kinder­erziehung, Pflege oder Weiter-     tagen arbeiten wollen. Ändern können       zwischen den Regelungen des Tarifver-
bildung.                                  Sie Ihre Planung später nur, wenn Ihr      trags und denen des Brückenteilzeit-
                                          Arbeitgeber einverstanden ist.             gesetzes wählen. Tarifverträge, die ab
                                                                                     dem 1.1.2019 abgeschlossen wurden,
3.     Welche Voraussetzungen
                                                                                     können den Anspruch auf Brücken-
       gelten?
Das Arbeitsverhältnis muss länger als     6.     Und wenn der Arbeitgeber
                                                 ablehnt?                            teilzeit auch zuungunsten des Arbeit-
sechs Monate bestehen und das Unter-      Ihr Arbeitgeber muss spätestens einen      nehmers verändern und sind dann
nehmen mehr als 45 Mitarbeiter haben.     Monat vor Beginn der beantragten           ­bindend.
Außerdem müssen Sie die Brückenteil-      Brücken­teilzeit auf den Antrag ant-
zeit bei Ihrem Arbeitgeber mindestens     worten – sonst gilt er automatisch als
drei Monate vor Beginn der Arbeitszeit-   genehmigt. Ablehnen darf er nur aus
reduzierung beantragen.                   betrieblichen Gründen oder wenn die
                                          Zumutbarkeitsregeln überschritten sind.    Kammermitglieder können sich in
                                          Letzteres ist etwa der Fall, wenn im       ­Fragen des Arbeits- und Steuerrechts
                                          Unternehmen mit bis zu 200 Mitarbei-        kostenlos beraten lassen. Weitere Infos
                                          tern pro 15 Mitarbeitern mehr als eine      auf der Rückseite dieses Magazins.
                                          Person in Brückenteilzeit ar­­beitet.

                                                                                                                                   — 11
BAM — September / Oktober 2019

       Veranstaltungen
           BREMEN & BREMEN-NORD

                            Aus der Reihe „Ihr Recht – einfach erklärt“
       3. September            Jobwechsel – Kündigung, Abfindung, Sperrzeit
                            Bürgerstraße 1, Bremen
       3. September            Das Mitarbeitergespräch – Chance oder Risiko?
       10. September           Mutterschutz, Elternzeit und Elterngeld
                            Lindenstraße 8, Bremen-Nord
       17. September           Gehalt – was Beschäftigte wissen sollten
       1. Oktober              Kinder und Steuern
       22. Oktober             Leiharbeit – was Sie beachten müssen
       29. Oktober             Mutterschutz, Elternzeit und Elterngeld
       je 18 – 19.30 Uhr    Bürgerstraße 1, Bremen

       ab 9. September      Marvin Systermans: Zur Lage der Region – Fotos zum Strukturwandel in der Lausitz
                            Galerie im Foyer der Arbeitnehmerkammer, Bürgerstraße 1, Bremen

       10. September        Buurtzorg in der ambulanten Pflege – ein Modell auch für Bremen?
       14 – 16.30 Uhr       m|Centrum Martinsclub Bremen e.V., Buntentorsteinweg 24/26

       11. September        Mitten im Arbeitsleben – trotz psychischer Erkrankungen
       14 – 17 Uhr          Kultursaal, Bürgerstraße 1, Bremen

       16. September        Gender Gaps – mehr Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt in Bremen und anderswo
       18 Uhr               Handwerkskammer, Ansgaritorstraße 24, Bremen

       18. September        Austausch für Vorsitzende – Sprecher/in des Gremiums
       je 16 – 18 Uhr       Haus der Wissenschaft, Sandstraße 4/5, Bremen

       24. September        Vollzeitoptionen in der Pflege – Möglichkeiten und Grenzen für neue Arbeitszeitmodelle
       14 – 16.30 Uhr       m|Centrum Martinsclub Bremen e.V., Buntentorsteinweg 24/26

                            Aus der Reihe „Wirtschaftliche Mitbestimmung“
                            Betriebswirtschaftliche Zahlen: Spiegel des Unternehmens
       1. Oktober –            Teil I – Grundlagen und Bilanzanalyse
       5. November             Teil II – Gewinn- und Verlustrechnung im Jahresabschluss und monatlichen Auswertungen
       je 15 – 18 Uhr       m|Centrum Martinsclub Bremen e.V., Buntentorsteinweg 24/26

       9. Oktober           Nicaragua: Hasta que seamos libres – Lesung mit Konzert, Grupo Sal und Gioconda Belli
       19.30 Uhr            DGB-Haus, Bahnhofsplatz 22, Bremen

       23. Oktober          „Personalratskandidatur? Na klar!“ – für zukünftige Personalräte
       17 – 19 Uhr          Kultursaal, Bürgerstraße 1, Bremen

       24. Oktober          Entlastung konkret im Schichtdienst
       17 – 19 Uhr          Kultursaal, Bürgerstraße 1, Bremen

       29. Oktober          Jetzt aber Kunst! Feierabendführung „Ikonen“ – Kunsthalle Bremen
       19 Uhr               Kunsthalle Bremen, Am Wall 207, Bremen

                                 Marvin Systermans:                                                          Gabi Tausenpfund und
                                                                                                             Ekke Dahle:
                                 Zur Lage der Region –
                                 Fotos zum Strukturwandel                                                    Malerei, Zeichnungen
                                 in der Lausitz,                                                             und Cartoons,
                                 ab 9. September                                                             5. September – 4. Dezember
                                 Galerie im Foyer,                                                           Barkhausenstraße 16,
                                 Bürgerstraße 1, Bremen                                                      Bremerhaven

                               = für alle          = für Politikinteressierte   = für Betriebs- und Personalräte
— 12
Veranstaltungskalender                                                  BAM — September / Oktober 2019

    BREMERHAVEN

                         Aus der Reihe „Ihr Recht – einfach erklärt“
3. September                Jobwechsel – Kündigung, Abfindung, Sperrzeit
29. Oktober                 Digitale Arbeit – meine Daten im Job
je 17 – 18.30 Uhr        Arbeitnehmerkammer, Barkhausenstraße 16, Bremerhaven

4. September             Jobmotor Gesundheitswirtschaft – Perspektiven für Bremerhaven
je 17 – 19 Uhr           Arbeitnehmerkammer, Barkhausenstraße 16, Bremerhaven

5. September –           Gabi Tausenpfund und Ekke Dahle – Malerei, Zeichnungen und Cartoons
4. Dezember              Arbeitnehmerkammer, Barkhausenstraße 16, Bremerhaven

25. September            „Personalratskandidatur? Na klar!“ – für zukünftige Personalräte
17 – 19 Uhr              Arbeitnehmerkammer, Barkhausenstraße 16, Bremerhaven

                         Aus der Reihe „Wirtschaftliche Mitbestimmung“
                         Betriebswirtschaftliche Zahlen: Spiegel des Unternehmens
26. September               Teil I – Grundlagen und Bilanzanalyse
7. November                 Teil II – Gewinn- und Verlustrechnung im Jahresabschluss und monatliche Auswertungen
je 15 – 18 Uhr           Arbeitnehmerkammer, Barkhausenstraße 16, Bremerhaven

29. Oktober              Bremerhaven – Stadt der Vielfalt
18 Uhr                   Weitere Infos unter www.arbeit­nehmer­kammer.de/veranstaltungen

                         Kabarett im Capitol
14. September            „Hauptsache, es knallt!” – Robert Griess
21. September            „FatihMorgana” – Fatih Çevikkollu
27. September            „Jetzt hätten die guten Tage kommen können” – Stefan Waghubinger
28. September            „Was ihr wollt – frei-komisch nach Shakespeare” – Bernd Lafrenz
25. Oktober              Max Goldt liest
jeweils 20 Uhr           Capitol, Hafenstraße 156, Bremerhaven

Weitere Veranstaltun­gen und ­Informationen unter          www.arbeit­nehmer­kammer.de/veranstaltungen

BUCH-TIPP

Stachlige Persönlichkeiten im Business
                            Berger, Jörg / Bylitza, Monika
                            Stachlige Persönlichkeiten im Business
                            Mit schwierigen Mitarbeitern, Kollegen und
                            Vorgesetzten erfolgreich zusammen­arbeiten,
                            Francke, 2019, 172 Seiten

                            Wer kennt sie nicht, die schwierigen Mitarbeiter,
                            ­Kollegen oder Vorgesetzten: Ob sie Angst verbreiten,
                             ihre Macht missbrauchen oder sich vor der Verant­
                             wortung drücken – oft gefährden sie Projekte oder
                             ­nerven die Mitarbeiter.

                          Wie man stachlige Persönlichkeiten besser versteht,        Dieses Buch können Sie in Ihrer
                          sich vor ihnen schützt und trotzdem erfolgreich mit        Stadtbibliothek ­ausleihen.
ihnen zusammenarbeitet, schildert das Autorenduo aus einem Psychothera­peuten        Be­­schäftigte mit Kammer-Card
und einer Kommunikationstrainerin. Jörg Berger und Monika Bylitza führen aus,        erhalten auf die B­ IBCARD der Stadt­
was in stachligen Persönlichkeiten vorgeht und wie sich Beschäftigte vor ihnen       bibliothek zehn Prozent ­Ermäßigung!
schützen, der Zusammenarbeit aber dennoch eine Chance geben können. Neben
bewährten Strategien aus Psychologie und Coaching finden sich im Buch auch              www.arbeitnehmerkammer.de/
­spirituelle Zugänge.                                                                kammercard

                                                                                                                             — 13
BAM — September / Oktober 2019
                                 2016

          Künstliche
          Intelligenz
          in Bremen
         Brauchen wir bald keine Juristen,
        Ärzte oder Arbeiter am Band mehr?
               Dass mithilfe künstlicher
       Intelligenz (KI) – also durch ­lernende
        Computerprogramme – große Teile
       der aktuellen Arbeitswelt ­weg­brechen

                                                                                                                                           © DFKI GmbH, Foto: Annemarie Popp
         ­könnten, besorgt viele Menschen

                                                                             Das autonome Unterwasserfahrzeug Leng könnte eine ­
                                                                             kilometerdicke Eisdecke auf dem Jupitermond Europa ­
                                                                               durchdringen, unter der ein Ozean vermutet wird.

                                                                        Arbeit­nehmerkammer, beschwichtigt: „Ob es sich bei KI um
       Text: Meike Lorenzen                                             Intelli­genz handelt, würde ich weitestgehend bestreiten. Der-
                                                                        zeit können diese Systeme lediglich auf Basis von großen
       Sogar ­ Bundes­      arbeitsminister ­
                                            Hubertus Heil hat bei der   Datenmengen und Musterkennung auf eine ganz bestimmte
       Bekanntgabe der ­KI-­Strategie der Bundes­regierung extra        Aufgabe trainiert werden. Die beherrschen sie dann eben
       darauf ­hin­­­­­­ge­wiesen, dass die Technologie dem Wohle der   ­extrem gut.“
       Beschäftigten dienen soll. Doch wie ­dramatisch sind die Aus-             Ein Beispiel dafür: Bereits heute können Computer
       sichten wirklich?                                                 Tumore besser erkennen als Neurologen. Die Entscheidung
               Um dem Thema näher auf den Grund zu gehen, hat            über die passende Therapie, die Interaktion mit dem Pati-
       die Arbeitnehmerkammer Bremen Roland Becker, Geschäfts­           enten und die vernetzte Arbeit im Krankenhaus bleibe aber
       führer der Firma JustAddAI, zu einem Fach­gespräch einge-         eine Aufgabe für Menschen.
       laden. Der KI-Experte hat sich mit dem Thema selbst­ständig               „Es ist gerade mit Blick auf den Arbeitsmarkt ­wichtig,
       gemacht und das Netzwerk Bremen.AI gegründet. Becker              sich auch zu überlegen, was KI nicht kann und auch in der
       vertritt zwei Botschaften: 1. KI schafft hoch qualifizierte       absehbaren Zukunft nicht können wird“, betont Becker.
       Jobs. 2. KI wird zwar den Arbeitsmarkt umkrempeln, aber           Emotionen und Intentionen zu verstehen, komplexe sozi-
       nicht ganze Berufsfelder auslöschen.                              ale Interaktionen nachzuvollziehen und darauf empathisch
                                                                         und kreativ reagieren zu können, werden immer wichti-
       „Es ist davon auszugehen, dass sich fast alle Routinetätig-       gere Kompetenzen – und für solche komplexen Tätigkeiten
       keiten automatisieren lassen – ganz gleich, ob es sich um         wird künftig mehr Arbeitszeit zur Verfügung stehen. „Was
       körperliche oder geistige Arbeit handelt“, so Becker. „Das        mir wirklich Sorgen bereitet, ist, dass unsere Schulbildung
       heißt aber nicht, dass der Mensch nicht mehr gebraucht            die nächste Generation auf diese veränderte Arbeitswelt im
       wird.“ Auch Axel Weise, der Digitalisierungsexperte der           Moment noch überhaupt nicht vorbereitet“, kritisiert Becker.

— 14
Künstliche Intelligenz                                                    BAM — September / Oktober 2019

                                                                     Und nicht nur Bremen, auch Europa insgesamt müsse auf-
 Laut einer Studie des Bundesministeri­ums für Wirtschaft            passen, dass der Fortschritt, der durch künstliche I­ntelligenz
 wird in fünf ­Jahren ein Drittel des gesamten Um­­satzes            entstehe, nicht verschlafen wird. „China investiert
 des produzierenden Gewerbes in Deutschland durch                    150 Milliarden US-Dollar, um bis 2030 KI-Weltmarktführer zu
 KI-Techno­logien erwirtschaftet. Experten schätzen, dass            ­werden“, weiß Roland Becker. Die Bundesregierung hingegen stellt
 bis dahin bis zu 70 Prozent der Unter­neh­men aus dem                derzeit drei Milliarden Euro bereit, um die Forschung und Entwick-
 produzierenden Gewerbe KI einsetzen werden. Zurzeit                  lung in diesem Bereich weiter voranzutreiben, konkrete neue Kon-
 seien es 25 Prozent der Großunternehmen und 15 Prozent               zepte für einen besseren und schnelleren Transfer der Ergebnisse in
 der Klein- und mittel­ständischen Unternehmen.                       die Praxis gibt es dabei jedoch nicht.

     Wofür wir den Menschen brauchen
     Ist die Angst vor KI als direkter Konkurrent zum ­Menschen
     gar nicht berechtigt? Axel Weise bleibt gelassen: „KI wird
     sich nur dann durchsetzen, wenn es eine wirtschaftliche
     Notwendigkeit gibt.“ Dieser Faktor werde in Studien ­bisher
     kaum berücksichtigt. „Das bloße Vorhandensein einer Tech-
     nologie generiert noch keine betriebliche Innovation“, so
     Weise. „Innovationsprozesse in den Betrieben sind sehr viel
     komplexer.“
             Auch die Frage des Netzausbaus sei entscheidend,
     um KI überhaupt fehlerfrei und dauerhaft an den Start zu
     bringen. Da stehe Deutschland – insbesondere im länd­lichen
     Raum – noch vor großen Herausforderungen. „Auch et­­liche
     ethische und datenschutzrechtliche Fragen müssen noch
     geklärt werden, ehe Maschinen und Computer ganze Auf-
     gabenfelder übernehmen“, sagt Weise. Da hätten Politik,
     Unternehmen und Mitbestimmungsorgane noch viel Spiel-
     raum für Gestaltung.

„Es ist davon auszugehen, dass
sich fast alle ­Routinetätigkeiten
automatisieren lassen.“
Roland Becker

                                                                                                                                               Foto: Stefan Schmidbauer

     Konkurrenz aus Fernost
     Viele Unternehmen tun sich noch schwer damit, die mit
     den neuen KI-Technologien möglichen Innovation in die
     Praxis umzusetzen, auch in Bremen. „Dabei haben wir
     gerade in der Hansestadt unglaublich viel KI-Fachkompe-
     tenz vor Ort“, sagt Becker. Bremen biete mit den diversen
     KI-Forschungsbereichen der Universität, dem DFKI-Stand-                 Im Bremen Ambient Assisted Living Lab werden neue ­
     ort und den ­vielen KI-affinen Forschungsinstituten zu die-           intelligente Technologien in einer realitätsnahen Umgebung
     sem Thema eine ­extrem hohe Dichte an Expertise und Res-                getestet – wie dieser smarte, teilautonome Rollstuhl.
     sourcen. Was verbessert werden müsse, sei der Transfer
     in Wirtschaft und Gesellschaft und die konkrete Anwen-
     dung in der Praxis. Wirtschaft, öffentliche Verwaltung und
     andere Player müssten stärker mit der Wissenschaft vernetzt
     ­werden – sonst wandere die kostbare Kompetenz ab, argu-
      mentiert Becker. Unter anderem aus diesem Grund hat er
      Bremen.AI, den Cluster für künstliche Intelligenz, in Bremen
      initiiert.

                                                                                                                                        — 15
BAM — September / Oktober 2019      Galerie der Arbeitswelt

                                          Eva Fischer-Hausdorf
                                          ­entscheidet nicht nur,
                                          welche Werke gezeigt
                                        ­werden, sondern auch wie.
                                         Dafür arbeitet sie unter
                                        anderem mit einem Modell
                                         der Aus­stellungsräume

— 16
BAM — September / Oktober 2019

                                              GALERIE DER ARBEITSWELT

                      Die Kunst
                   in Szene setzen
                   Eva Fischer-Hausdorf arbeitet als Kustodin und Kuratorin an der
                    Kunsthalle Bremen. Sie betreut im Museum die Sammlung des
             20. und 21. Jahrhunderts und konzipiert Ausstellungen. Dabei entscheidet
                    sie auch, wie Besucherinnen und Besucher Kunst wahrnehmen

                                       Text: Melanie Öhlenbach – Foto: Jonas Ginter

S
          onnengelb soll er sein – der Raum, in dem das Bild           Doch nicht nur Fachwissen, Organisationstalent und
          von Vincent van Gogh hängen wird. „Der Farbton        detektivisches Gespür, sondern auch Feingefühl im Umgang
          bringt das Gemälde ganz besonders zur ­Geltung:       mit Menschen ist in ihrem Beruf gefragt. Schließlich ar­­beitet
          Er lässt es viel lebendiger wirken“, sagt Eva         sie mit vielen unterschiedlichen Kolleginnen und Kollegen
Fischer-Hausdorf und hält eine Papp-Version des berühmten       im Haus zusammen, die beispielsweise Verträge auf­setzen,
Selbstporträts vor die farbige Fläche.                          Transporte organisieren, Räume herrichten, Exponate plat-
        Die 39-Jährige weiß, wovon sie spricht. Sie ist pro-    zieren oder schließlich die Besucherinnen und Besucher
movierte Kunsthistorikerin, war vier Jahre lang am ­Bucerius    durch die Ausstellung führen.
Kunst Forum in Hamburg tätig und arbeitet seit 2014 als
Kustodin an der Kunsthalle Bremen. Ihre Schwerpunkte: die       Als Kuratorin wählt Eva Fischer-Hausdorf aber nicht nur aus,
Kunst des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart. Im vergan-        welche Werke in einer Schau gezeigt werden. Sie entscheidet
genen Jahr kuratierte sie die Max-Beckmann-Schau. Nun ist       auch über das Wie. In einem Modell legt sie die Reihenfolge
sie für die kommende Ausstellung „Ikonen. Was wir Men-          und Positionen für die Exponate fest, vor Ort bestimmt sie
schen anbeten“ verantwortlich.                                  Licht, Wandfarbe, Sitzgelegenheiten und Begleittexte – und
                                                                beeinflusst so auch, wie die Betrachterinnen und Betrachter
Ab 19. Oktober 2019 ist die Schau in der Kunsthalle zu          ein Werk wahrnehmen. „Man kann Kunst nicht nicht insze-
sehen, derzeit sind die Räume Am Wall aber noch leer. Hinter    nieren“, sagt die Kustodin. „Sobald man ein Bild aufhängt,
den Kulissen befindet sich das Projekt jedoch in der heißen     hat man schon eine Entscheidung getroffen, wie es gesehen
Phase. Und Eva Fischer-Hausdorf mittendrin: Sie koordiniert     werden soll.“
und organisiert, schreibt Texte für den Ausstellungskatalog,
bespricht Themen mit der Marketing- und Presseabteilung.
        Die Ausstellung selbst beschäftigt sie freilich schon   Kuratorin / Kurator, Kustodin / Kustod
viel länger. Die Arbeit an der gemeinsam mit Kunsthallen-
direktor Christoph Grunenberg entwickelten Ausstellung          Je nach Fachrichtung haben Kuratorinnen und K   ­ uratoren
begann vor etwa drei Jahren. Aus der bloßen Idee wurde ein      Kunstgeschichte, Museologie oder Kulturanthropologie
Konzept entwickelt, das Budget geplant, Zeitpläne gemacht       ­studiert oder spezielle Kuratoren-Studiengänge absolviert.
und schließlich begonnen, nach passenden Kunstwerken zu          Eine Promotion ist nicht zwingend, wird aber oft voraus-
suchen. „Das Aufspüren von Werken ist manchmal richtige          gesetzt. Die praktische Ausbildung erfolgt über ein ein- bis
Detektivarbeit – vor allem, wenn die Besitzer privater Samm-     zweijähriges Volontariat im Museum.
lungen anonym bleiben wollen“, sagt die 39-Jährige.

                                                                                                                                  — 17
BAM — September / Oktober 2019

               Unter Beobachtung
                          Statt auf ein normales Vorstellungsgespräch setzen Arbeitgeber
                                        auch auf Assessment-Center. Dabei stehen
                                  Kompetenz und Persönlichkeit verstärkt im Fokus

                                                                    Postkorb heißt dieses Szenario – ein Klassiker bei einem
       Text: Melanie Öhlenbach                                      Assessment-Center. Ziel der Übung: „Das Entscheidungsver-
       Foto: Kay Michalak                                           halten der Bewerber testen“, sagt Angela Schütte.
                                                                           Schütte coacht seit Jahrzehnten Menschen, die sich
       Wer zu einem Assessment-Center eingeladen wird, ist dem      auf Stellen bewerben. Ein Assessment-Center ist dabei oft
       Traumjob ein Schritt näher. Doch wie übersteht man diese     Teil des Auswahlverfahrens, vor allem bei größeren Unter-
       Hürde? Angela Schütte arbeitet freiberuflich als Karriere­   nehmen oder in der öffentlichen Verwaltung. „Durch Assess-
       beraterin und bereitet unter anderem Studierende der Uni-    ment-Center kann ein Arbeitgeber Rückschlüsse auf die
       versität Bremen auf diese Herausforderung vor.               Kompetenzen des Bewerbers ziehen, zum Beispiel wie er sich
                                                                    im Team verhält oder mit Stress zurechtkommt. So erhält
       Organisatorische Fragen von Mitarbeitern und aggressive      er mehr Gewissheit, dass ein Bewerber auf die Stelle passt“,
       Kundenbeschwerden, Newsletter, neue Angebote und die         sagt die Karriereberaterin.
       Einladung zu einem Ausstand: In einem Postfach liegen               Abstrakte Aufgaben sind dabei eher selten. „In der
       20 ungelesene E-Mails. Eine Stunde lang haben die Bewerbe-   Regel werden realistische Situationen aus dem Alltagsalltag
       rinnen und Bewerber Zeit, diese zu bearbeiten. Sie können    durchgespielt“, sagt Schütte. Entsprechend unterschied-
       sie beantworten, weiterleiten oder einfach löschen.          lich kann ein Assessment-Center aufgebaut sein. Neben der

— 18
Karriere                                                    BAM — September / Oktober 2019

Postkorb-Übung sind Rollenspiele, Gruppendiskussionen,           offen und interessiert und sprechen Sie mit den Beobachtern
Intelligenztests und strukturierte Interviews typische Auf­      und Bewerbern über unverfängliche Themen.“
gaben, die Bewerberinnen und Bewerber ein bis zwei Tage
lang gemeinsam meistern oder allein lösen sollen.
        Dabei stehen sie die gesamte Zeit unter Beobachtung:
Bei der Auswertung einer Fallstudie interessiert zum Beispiel
nicht nur die abschließende Präsentation, sondern auch die
                                                                 „Anders als in einem Interview
Art und Weise, wie diese entstanden ist. „Arbeitgeber wollen     hat man mehr Möglichkeiten,
sehen, wie kreativ, strukturiert oder zielorientiert jemand
arbeitet, ob er andere einbindet oder gute Fragen stellt“,
                                                                 sich darzustellen und seine
erläutert Schütte.                                               ­Fähigkeiten zu zeigen.“
                                                                 Angela Schütte
Für manche mag eine solche Situation stressig sein. Die
­Karriereberaterin sieht darin aber auch eine große Chance.
 „Anders als in einem Interview hat man mehr Möglichkeiten,
 sich darzustellen und seine Fähigkeiten zu zeigen. Man muss
 nicht nur reden, sondern kann durch Handeln überzeugen –        Ganz ohne Vorbereitung sollte man an einem Auswahlver-
 und das bei jeder Aufgabe aufs Neue.“                           fahren nicht teilnehmen. „Wer eine Einladung bekommt,
        Ein authentisches, aktives Auftreten ist daher für sie   kann telefonisch nachfragen, was ihn erwartet“, so die
 das A und O bei einem Assessment-Center. „Es bringt nichts,     Karriere­beraterin. Neben Sachliteratur und Tests im Inter-
 sich zu verstellen. Auch als ruhiger Typ kann man aktiv wir-    net hilft ein Training, die Szenarien in einem geschützten
 ken, indem man Fragen stellt, Blickkontakt hält, aktiv zuhört   Raum zu durchlaufen. Schüttes Tipp zur Kleidung: der Stelle
 und sich nicht zurückzieht.“                                    entsprechend, aber bequem. „Bei einem Assessment-Center
                                                                 kann es durchaus mal aktiver zugehen. Ein enger Rock und
Auch in den Pausen gilt es, die permanente Beobachtungs­         Schuhe mit Absätzen sind nicht ideal, wenn man sich darin
situation nicht zu vergessen. „Sie sind keine Gelegenheit zum    nicht ungehindert und sicher bewegen kann.“
Lästern, sondern für Small Talk“, betont Schütte. „Seien Sie

Fragen und Antworten aus dem                                     Namen des Arbeitgebers, bei dem das AC stattfindet,
Arbeitsrecht                                                     müssen Sie hingegen nicht mitteilen.
                                                                           Befinden Sie sich in einem ungekündigten Ar­­
Kann ein Assessment-Center (AC) diskriminierend                  beits­­­verhältnis, müssen Sie für das AC Urlaub bean­
sein – zum Beispiel, wenn ich aufgrund einer Behinde­            tragen.
rung daran nicht teilnehmen kann?
       Ja, wenn ein bestimmter Personenkreis an                  Muss ich alle Fragen im AC ehrlich beantworten?
einem AC nicht teilnehmen kann, kann eine Diskri-                        Wie auch im klassischen Vorstellungsgespräch
minierung vorliegen. Hierzu können Sie sich bei der              dürfen auch im AC nur Fragen gestellt werden, bei
Arbeitnehmerkammer beraten lassen. Beachten Sie                  denen im Hinblick auf Tätigkeit und Arbeitsplatz ein
dabei die Frist von zwei Monaten.                                berechtigtes Interesse des Arbeitgebers besteht. Der
                                                                 Arbeitgeber darf Sie nicht fragen, ob Sie Mitglied in
Wer übernimmt die Kosten für die Teilnahme am AC?
                                                                 einer Partei oder Gewerkschaft sind oder welcher
       Der Arbeitgeber muss dem Bewerber die Kosten
                                                                 ­Religion Sie angehören. Bei unzulässigen Fragen hat
des Bewerbungsverfahrens erstatten – zum Beispiel
                                                                  der Bewerber ein „Recht zur Lüge“, da ein Schweigen
Fahrtkosten –, sofern diese Erstattung nicht ausdrück-
                                                                  möglicherweise zum Nachteil des Bewerbers ausgelegt
lich ausgeschlossen wurde. Dazu gehören auch K  ­ osten
                                                                  werden könnte.
für eine Übernachtung, wenn der Bewerber diese für
erforderlich hält – etwa wenn die zeitliche Lage des
                                                                 Habe ich Anspruch auf ein Feedback nach dem AC?
AC die An- und Abreise am selben Tag unzumutbar
                                                                        Normalerweise ist die Feedbackrunde Teil des
macht.
                                                                 AC. Findet jedoch kein Feedbackgespräch statt, dann
Kann ich mich für ein AC bei meinem aktuellen Arbeit­            hat der Teilnehmer hierauf auch keinen Anspruch.
geber freistellen lassen?                                        Sofern der Arbeitgeber einem abgelehnten Bewerber
       Ein Freistellungsanspruch besteht nur dann,               aber jeglichen Zugang zu Informationen verweigert,
wenn das Arbeitsverhältnis gekündigt wurde. Sie                  kann dies als Indiz für eine Diskriminierung mit der
­müssen dabei Ihrem derzeitigen Arbeitgeber den Grund            Folge von Ansprüchen auf Schadensersatz oder Ent-
 und die benötigte Dauer der Freistellung an­­­­­geben. Den      schädigung gewertet werden.

                                                                                                                               — 19
Sie können auch lesen