Plus FREI WILD Carola Dorner über die verschärfte Lage freier Journalisten - Medium Magazin
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magazin für journalisten #04/2017 EURO 10,– EURO 10,– · Postfach 1152, 83381 Freilassing · ISSN 0178-8558 · Y9072 E · Foto: Anja Weber FREI WILD Carola Dorner über die verschärfte Lage Plus freier Journalisten Werkstatt „Mobile Reporting“ Special Fotojournalismus
Editorial ANNETTE MILZ ist Chefredakteurin des „medium magazins“. FOTO: E. HÄBERLE Zahlen #freedeniz dem Erkenntniswert und seinem Fazit befragt: „Der angeblich massive Vertrauensverlust in die klassischen Medien ist ein Mythos – leider mit weitreichenden Es lebe lügen nicht Folgen“ (Seite 40). Weitreichende Folgen hat auch die derzeitige Lage das freie Wort! der Freien: Welches Medium kann schon ohne die Arbeit der Freelancer auskommen, die keine Stechuhr … oder doch? Auch mit Blick auf die kennen? Wir übrigens auch nicht, denn das „medium Bundestagswahl im September magazin“ besteht selbst – seit seiner Gründung – nur aus freien Journalisten und Journalistinnen. Und das lohnt ein genauerer Blick auf Um- aus Überzeugung – wie bei den meisten Freien. Nur: fragemethoden. Die Situation im Markt hat sich für die Freien in einem Maße verschärft, dass es vielen an die Substanz geht. Katy Walther hat in unserem Titelschwerpunkt zu- „Ich glaube nur den Statistiken, die ich selbst gefälscht sammengetragen, wie die Situation in den einzelnen habe“: Das geflügelte Wort eines unbekannten Zah- Gattungen aussieht. Und sie hat die neue Freischrei- lenfreundes fehlt in keiner launigen Diskussion über ber-Vorsitzende Carola Dorner gefragt, was und wie Umfragen. Wie witzig. Wie bitter ernst – wenn in die- sich freie Kollegen und Kolleginnen heute aufstellen sen Zeiten sogar US-Präsidentschaftswahlen mit Um- sollten (Seite 14). fragen manipuliert werden. Wir haben uns für dieses „medium magazin“ gefragt, Mehr als nur ein PS: Ende Juni erhielt der in der Türkei wem wir eigentlich noch glauben können bzw. sollen, inhaftierte „Welt“-Kollege Deniz Yücel in erzwungener wenn es um Glaubwürdigkeits-Umfragen geht. Davon Abwesenheit den Theodor-Wolff-Preis. Die Zeitungs- gibt es inzwischen so viele mit so vielen unterschied- verleger haben so ein wichtiges Solidaritätszeichen lichen Aussagen zumVertrauen der Bevölkerung in die gesetzt. Während des Global Editors Network Summit Medien, dass ein Überblick schier unmöglich scheint. (GEN Summit) 2017 im Juni diskutierte ich mit Kollegen Inge Seibel hat sich dennoch daran gemacht – wahr- aus der Türkei, ob diese öffentliche Personalisierung lich keine vergnügungssteuerpflichtige Aufgabe. Aber auch den türkischen inhaftierten Kollegen zugutekäme. die Mühe hat sich gelohnt: Eine geballte Übersicht – 16 Die Antwort war ein eindeutiges JA. Öffentlichkeit Studien insgesamt auf einen Blick – mit höchst ver- helfe – auch beim Durchhalten. Es gilt, was die „Wa schiedenen Ergebnissen (siehe Seite 36). shington Post“ neuerdings als Claim für ihre ganze Die Erkenntnisse aus dem Vergleich möge jeder für Marke laut in die Welt hinausträgt: „Democracy dies sich ziehen, denn – so das Fazit von Inge Seibel – es in darkness.“ Deshalb zum wiederholten Mal: gibt keine Norm bisher, wie man am besten das Ver- #freedeniz. Es lebe das freie Wort! trauen in die Medien misst. Aber: „Wir brauchen keine Vielzahl an Studien, die pauschal die Glaubwürdigkeit In eigener Sache abfragen und dann panisch oder freudestrahlend von Es ist wieder so weit: Die Nominierungsphase für die magazin für journalisten 30 den Medienpublikationen verbreitet werden, sondern „Top 30 bis 30 2017“ läuft. Seit wir 2006 diese Wahl für mediummagazin.de Studien, die mit differenzierten Fragestellungen er- den Journalistennachwuchs ins Leben gerufen haben, Top gründen, was gut oder schiefläuft. Dazu eignen sich hat sich die Wahl der Top 30 bis 30 zum renommierten bis am besten die Universitäten, weshalb es begrüßenswert Ausweis von Talent und Können entwickelt. Darauf sind wäre, wenn Medien und Forschung hier mehr Hand in wir ein bisschen stolz – aber das wäre nicht möglich Hand arbeiten würden. Ansätze sind da.“ ohne Ihre Mitwirkung: Nominieren Sie bitte ab sofort So hat Senta Krasser Professor Kim Otto von der IHRE Favoriten für 2017. Bis zum 1. August sind Vor- Universität Würzburg nach seiner Langzeitstudie, schläge willkommen. Alle Infos auf: mmbeta.de Journalisten-Werkstatt „Mobile Reporting“ Für Abonnenten ist unsere 16-seitige Werkstatt von Pauline Tillmann zum Thema „Mobile Reporting “ kostenfrei in dieser Ausgabe enthalten. Nachbestellungen (6,99 „medium magazin“ gibt es Euro zzgl. Versand) bitte über vertrieb@ auch im iKiosk – als mediummagazin.de oder newsroom.de/shop. Einzelausgabe und im Abo. MEDIUM MAGAZIN 3
Inhalt #04/2017 I MP RESSUM TITEL SO GEHT’S NICHT WEITER! Wie Carola Dorner als neue Vorsitzende der medium magazin Freischreiber die Lage der Freien verbessern will. Unabhängige Zeitschrift für Journalisten Interview: Katy Walther 32. Jg., Nr. 4/2017 Fotos: Anja Weber Seite 14 Gegründet von Sebastian Turner Chefredakteurin Annette Milz (V.i.S.d.P., Frankfurt/Main) DIE ALTERSARMUT VOR AUGEN Eine freie Printjournalistin berichtet. Seite 20 Redaktion Katy Walther (Frankfurt), Daniel Bouhs, Jens Twiehaus, Dr. Anne Haeming, WER KANN SICH PRINT NOCH LEISTEN? Daniel Kastner (Berlin), Senta Krasser Die Lage der Freien bei Zeitungen. Seite 22 (Köln), Carolin Neumann, Inge Seibel (Hamburg), Annette Walter (München), Ulrike Langer (Seattle) MEHR POWER FÜR DIE 12A-FREIEN Autoren Die Lage der Freien bei den Öffentlich- Michéle Binswanger, Michael Bröcker, Rechtlichen. Seite 24 Christian Fahrenbach, Daniel Fiene, Julian Heck, Anton Hunger, Norbert Küpper, Peter Littger, Carl Wilhelm Macke, Stephan Seiler, Bernd Stößel, Pauline Tillmann RUBRIKEN BERUF UND MEDIEN Anzeigen- und Medienberatung Ruperta Oberauer Tel. +43/6225/27 00-35 6 Spektrum. Tipps, Termine, Urteile und 26 Wiener Worte ruperta.oberauer@oberauer.com die dpa-Fotos des Jahres. Statements und Trends vom European Redaktion Newspaper Congress 2017. Jens Twiehaus 8 Meisterstücke. Drei herausragende Texte Im Uhrig 31, 60433 Frankfurt am Main Tel. 069/95 29 79-44, Fax -45 und ihre Autoren. Senta Krasser 28 Willkommene Kontrolle E-Mail: redaktion@mediummagazin.de Die Dokumentation des „Spiegels“ ist 10 Digitale Perlen: Bemerkenswerte www.mediummagazin.de legendär. Seit der „Agenda 2018“ steht #twitter @mediummagazin Startups (Teil 16). Julian Heck aber auch sie unter Druck. Daniel Bouhs www.facebook.com/mediummagazin 12 Junge Perspektiven. Wer uns und was Verlag und Medieninhaber 32 Ein glorreicher Halunke uns auffiel. Jens Twiehaus Johann Oberauer GmbH Constantin Seibt hat in der Schweiz Postanschrift: Postfach 11 52, 84 Kiosk. Markt für Freie. Bernd Stößel gerade 3 Millionen Franken für das 83381 Freilassing Digitalmagazin „Republik“ eingesam- Zentrale: Fliederweg 4, 87 Layouttipp. „Mitteldeutsche Zeitung“ melt. Ein Porträt. Michéle Binswanger A-5301 Salzburg-Eugendorf Norbert Küpper Tel. +43/6225/27 00-0, Fax -11 36 Zahlen lügen nicht – oder doch? 88 PR-Personalien. (Seiten-)Wechsel in Produktion Eine Vielzahl von Studien inzwischen Martina Hutya, Sabrina Weindl, der Branche. Katy Walther belegen mal mehr, mal weniger Fabian Helminger 90 Die Hunger-Kolumne. Heißt von Trump Glaubwürdigkeit. Aber was stimmt Abo- und Vertriebshotline lernen siegen lernen? Anton Hunger denn nun? Inge Seibel-Müller Tel. +43/6225/27 00-41, Fax -44 E-Mail: abo@mediummagazin.de 91 Lesetipps. Bücher zum Querdenken 40 Sorgfalt gefragt Bernd Stößel Niemand glaubt mehr Journalisten? Druck Druckerei Roser, Salzburg 92 Personalien. Köpfe und Karrieren. Dem widerspricht eine Studie der Uni Würzburg: Nachfragen bei Professor FOTOS: ANJA WEBER, GABY GERSTER, Jens Twiehaus Kim Otto. Senta Krasser 97 Journalisten helfen Journalisten. Mit 42 Ideen und Projekte Mut gegen die Misere. Interessante Projekte im Regionalen: JHJ/Carl Wilhelm Macke Diesmal aus Köln, Hannover, Mün- 98 Terminal. Fragebogen: Bascha Mika chen, Berlin, Ochtrup, Greven,Regens- („Frankfurter Rundschau“), zivilisiert burg und Hamburg. cholerische Zaunkönigin. Katy Walther 4 MEDIUM MAGAZIN #04/2017
PLUS: 16 Seiten Journalisten-Werkstatt „Mobile Reporting“ Wenn die Werkstatt fehlt: Extrabestellungen via vertrieb@mediummagazin.de – oder am besten gleich ein „medium magazin“-Abo, in dem die Werkstätten enthalten sind. K L E I N G E D RU C K T ES „WER UNSPEZIFISCH FRAGT, „ICH WERDE ETWAS KOMMT NICHT ZU VALIDEN PSYCHOPATHISCH“ ERGEBNISSEN“ Amrai Coen, „Die Zeit“ Katzencontent Prof. Kim Otto, Medienforscher Seite 54 Seite 40 geht ja immer. Das wissen wir spätestens seit dem Erfolg von Buzzfeed. Oder seit unser alter, kranker, starrsinniger, aber lie- benswerter Kater binnen weniger Monate zum fünften Mal entführt wurde! Von Tierfreunden, die keine Mühe scheuten, ihn einzu- fangen und quer durch ganz Frankfurt ins Tierheim zu trans- portieren. Trotz Flugblatt mit dem dringenden Appell, das freiheits- liebende Tier in Ruhe zu lassen (s. unten). Wenn sich die Menschen doch nur genauso um Menschen sorgen würden wie um Vierbeiner! Das nehmen wir jetzt umso mehr zum Ansporn, uns um die uns besonders nahestehenden Men- schen zu kümmern und Ihnen zu danken: Liebe Abonnentinnen und Abonnenten! Wir lieben Sie, weil 46 Der Kulturwandel ist enorm 74 Die Folgen einer Nacht Ihnen die Lektüre von „medium Wie Chefredakteur Joachim Braun die Drei Kölner Zeitungen machen sich um magazin“ im Jahr 54 Euro zzgl. „Frankfurter Neue Presse“ neu die Aufklärung der Silvesternacht 8 Euro Zustellgebühr wert ist, weil aufstellen will. Katy Walther 2015/2016 verdient. Die Chronologie. Sie uns in diesen stürmischen Daniel Kastner Zeiten die Treue halten und uns 48 Der Samstag als Lesetag beflügeln mit Ihren Ideen und Immer mehr Regionalzeitungen bauen PRAXIS ihrem Zuspruch. Dafür mühen wir ihre Wochenendausgaben aus und um. uns nach besten Kräften, Ihnen Ein Werkstattbericht. Katy Walther interessante und gewinnbringen- 77 Mit Verve auf die Ohren 52 Kleine Nischen – große Zukunft de Lektüre zu liefern inklusive Sprachsteuerung von Inhalten ist auf Wie Lara Setrakian ihre Newsseite über unserer Werkstatt, die es nur im rasantem Vormarsch: Wie und warum Syrien zum Medien-Startup „News Abo dazugibt. PS: Falls Sie etwa die „Rheinische Post“ sich für Audio- Deeply“ ausbaut. Christian Fahrenbach noch keins haben – wenn Sie sich Angebote engagiert. 54 „Ich finde Teamarbeit beflügelnd.“ Daniel Fiene, Michael Bröcker mit der Abobestellung beeilen, Wie arbeiten herausragende Reporter? gibt es noch die aktuelle Werkstatt Folge 23 unserer Interviewserie: Amrai „Mobile Reporting“ dazu, und ich SPECIAL FOTOJOURNALISMUS garantiere Ihnen: Es wird sich für Coen, „Die Zeit“ Stephan Seiler Sie auszahlen! Annette Milz 62 Die kollaborative Mensch-Maschine 72 Grenzen der Manipulation Wie US-Medien Künstliche Intelligenz Wenn sich die Fototechnik ändert, für sich nutzen: Ein Blick in die Labore ändert sich die Bildsprache: Das war von AP, NYT bis „Washington Post“. immer so. Doch nun verschärfen sich Ulrike Langer die Debatten. 66 „Ich will radikale Veränderung“ 73 Reine Oberfläche Der New Yorker Investor Albert Fotos als Rohmaterial: Michael Hauri, Wenger istgegen Donald Trump, aber Gründer von 2470media, erklärt, hofft, dass der Präsident einen Wandel welche Bilder online funktionieren und in der Gesellschaft auslöst. Dabei sieht warum sich Henri Cartier-Bresson im er Medien in starker Verantwortung. Grabe umdrehen würde. Christan Fahrenbach Anne Haeming MEDIUM MAGAZIN 5
Spektrum Z I TAT E TIPPS „Berliner Zeitung“ und „Havas Düssel- dorf“. 61 Redakteure schreiben dort bis „Tagesspiegel“ zeigt die zum Herbst über die Themen, mit denen „Twitter-Netzwerke der AfD“ sich die getöteten Journalisten beschäftigt „Democracy Dies Im Bundestagswahljahr 2017 startet der „Ta- gesspiegel“ ein umfangreiches Recherche- haben und wollen damit den kritischen Stimmen ihrer verstorbenen Kollegen Ge- in Darkness.“ projekt zum Thema Twitter-Netzwerke und hör verschaffen: hat im ersten Schritt das Twitter-Verhalten zeitung-61.de der AfD untersucht. Das datenjournalistische Das neue Motto der „Washington Post“ Projekt ist eine Kooperation des Tagesspie- URTEILE www.washingtonpost.com gels mit netzpolitik.org. Erste Artikel er- schienen Ende April…. TV-Aufnahmen in „normalen“ Projektverantworlich sind: Maria Fiedler, Prozessen weiter verboten Michael Kreil, Hendrik Lehmann, Markus So war es bislang: Wenn im Gericht alle Platz Reuter, Lisa Charlotte Rost genommen haben, verlassen Kamerateams digitalpresent.tagesspiegel.de/afd den Saal. Das ändert sich in Zukunft etwas „Just facts. digitalpresent.tagesspiegel.de/balleryna digitalpresent.tagesspiegel.de/afd-unterstuet- Das Filmverbot für Urteile der obersten Bun- desgerichte wurde gelockert No alternatives.“ zernetzwerk tiny.cc/gericht Social-Video-Projekt der Deut- Undercover-Recherchen Das neue Motto der „New York Times“ schen Welle zum Grundgesetz erlaubt www.nytimes.com/ Prädikat sehenswert: Am 23. Mai, dem Tag Wegweisend für den investigativen Journa- des Grundgesetzes, hat die Deutsche Wel- lismus: Der Hanauer Oberstaatsanwalt hat le (DW) ihr Social-Video-Projekt zum Mitte Mai das Ermittlungsverfahren gegen Grundgesetz gestartet. Zielpublikum sind den pakistanisch stämmigen Journalisten vor allem Menschen, die mit der Verfassung Shams Ul Haq eingestellt. Der Terrorismuse- der Bundesrepublik Deutschland noch nicht xperte und Investigativreporter hatte sich vertraut sind. Die DW setzt in den etwa „under cover“ in Flüchtlingsheime aufneh- einminütigen Erklärvideos zu Deutschlands men lassen, um dort zu recherchieren und Rechts- und Staatssystem auf Animationen, war daraufhin wegen Betrugs und Urkun- eine neue, prägnante Bildsprache und we- denfälschung angezeigt worden: nig Text. tiny.cc/hanau tinyurl.com/DW-Grundgesetz TERMIN Neues Portal rund um Interviews „10 grobe Journalisten-Fehler in Inter- Scoopcamp 2017 views“, „Journalistische Objektivität? Eine Jigar Mehta, Experte für Online-Videofor- Mär …“, „11 Interviewtipps gegen Ausweich- mate, Storytelling und digitale Strategien, „Erst wenn der letzte manöver“ – diese Themen, News, Buchtipps, wird beim scoopcamp in Hamburg für sein Text kostenpflichtig, „Buntes“ und jede Menge Handwerkszeug rund um die Gattung „Interview“ gibt’s auf bisheriges Schaffen mit dem scoop Award 2017 ausgezeichnet. Bei der Innovationskon- die letzte Neuigkeit der Plattform „Alles über Interviews“ der ferenz für Medien wird der Senior Vice Pre- ausgedacht, der letzte beiden Journalisten, Volontärsausbilder und Trainer Tim Farin und Mario Müller-Dofel. sident Video bei der Fusion Media Group in San Francisco seine Erfahrungen mit dem Beitrag gesponsert Das Spannendste sind übrigens die Kritiken Fachpublikum teilen. Veranstaltet von der ist, werdet Ihr fest- aktueller Interviews: alles-ueber-interviews.de Initiative nextMedia.Hamburg und der Deut- schen Presse-Agentur (dpa), findet das sco- stellen, dass man opcamp am 28. September im Hamburger Katzenvideos nicht Online-Plattform für getötete Theater Kehrwieder statt. Mit dem scoop Journalisten Award werden Medien-Entrepreneure prä- lesen kann!“ FOTOS: RAINER MIRAU 61 Journalisten wurden 2016 während der miert, die journalistische Geschäftsmodelle Das neue Motto der taz Ausübung ihres Berufes getötet. An diese auf eine besondere Weise mit den Möglich- erinnert seit dem Tag der Pressefreiheit keiten digitaler Technologien verknüpfen: Anfang Mai das Portal „Projekt 61“ von scoopcamp.de 6 MEDIUM MAGAZIN #04/2017
D AT E N J O U R N A L I S M U S GEN Summit 2017 zeichnet Datenjournalismus aus 2017 war ein Rekodjahr für den Datenjour- nalisus: 573 Einreichungen aus 51 Ländern gab es für die diesjährigen „Data Journalism Awards“, die beim „7. Global Editors Sum- mit 2017“, veranstaltet vom Global Editors Network (GEN). Ende Mai in Wien verliehen wurden. Zu den Gewinnern in den elf Ka- tegorien gehört auch das Interactive Team derBerliner Morgenpost (siehe Foto rechts). Die DJA Jury, unter dem Vorsitz von Pro- Publica-Gründer Paul Steiger, wählte die- se 12 Gewinner aus 63 Finalisten. 1. Data Visualisation of the Year The Rhymes Behind Hamilton, „The Wall DAS INTERACTIVE-TEAM DER „BERLINER MORGEN“ (V. L.N.R.: JULIUS TRÖGER, ANDRE PÄTZOLD, PETER BALE - Street Journal“, USA PRÄSIDENT DES GEN UND DAVID WENDLER) : setzte sich gegen starke Konkurrenz bei den „Data Journalismus 2. Investigation of the Year Awards 2017“durch: Sie gewannen - als einzige Deutsche - einen Preis in den elf Kategorien und wurden für das Unfounded, „The Globe and Mail“, Ka- „beste Team Portfolio“ ausgezeichnet. In der selben Kategorie schlugen sie übrigens Konkurrenten wie das „Wall nada Street Journal Graphics Team, „El Confidencial“ data team und „Sydney Morning Herald“ . 3. News data app of the year Electionland, „ProPublica and The Elec- tionland Coalition“, USA 4. Open Data 8. Best team portfolio LINKTIPP Database of Assets of Serbian Politicians, „Berliner Morgenpost“ Interactive team, Alle Gewinner und die preisgekrönten Sieten sind „Crime and Corruption Reporting Net- Deutschland dokumentiert auf: work“ – KRIK, Serbien 9. Student and young data journalist of the www.datajournalismawards.org 5. Data journalism website of the year year Rutas del Conflicto, „Rutas del Conflicto“, Yaryna Serkez for portfolio, New York HINWEIS Kolumbien Times et al, Ukraine Mirko Lorenz wird für uns im nächsten „medium 6. The Chartbeat award for the best use of 10. Small newsroom (2 Preise) magazin“ 5/2017 einen Blick auf die Trends im data in a breaking news story, within first a) Crime in Context, „The Marshall Pro- Datenjournalismus werfen und in der neuen 36 hours ject“, USA „Journalistenwerkstatt Datenjournalismus“ die Arbeiten der Gewinner aus deutscher Sicht Fact Check: Trump And Clinton Debate b) Ctrl+X, „Abraji – Brazilian Association analysieren. For The First Time, NPR / NPR Visuals & for Investigative Journalism“, Brasilien NPR Politics, USA 11. Public Choice Award 7. Best individual portfolio “Researchers bet on mass medication to John Burn-Murdoch,“ Financial Times“, wipe out malaria in L Victoria Region” Großbritannien von „Nation Media Group“ in Kenia Aus- und Weiterbildung für aufmerksame Journalisten wachbleiben! ©fotolia/Amir Kaljikovic www.journalistenschule-ifp.de MEDIUM MAGAZIN 7
Titel II. Lage der Freien „Wenn ich so weiterarbeite, stehen mir ab 66 Jahren 780 Euro monatlich zu.“ TEXT: ANNA BLUME* Anna Blume DIE ALTERSARMUT VOR DEN EIGENEN AUGEN Die Realität hinter der Statistik: Eine freie Printjournalistin erzählt, warum sie sich trotz guter Auftragslage Sorgen um ihre Zukunft und den Berufsstand macht. Seit 20 Jahren arbeite ich als freie Journa- der kostenfreien Fotos im Netz. Meinen Ich bin jetzt Mitte 50. Als ich mich mit listin. Aber so voll wie meine Auftragsbü- Stundenlohn rechne ich vorsichtshalber Mitte 30 selbstständig machte, weil mein cher derzeit sind, waren sie noch nie! Urlaub nicht aus, denn sonst bekäme ich das große Sohn zur Welt kam, konnte ich gut Mut- ist aus Zeitmangel nicht drin und die Wo- Heulen. Der Versicherungsmensch vom terschaft und Beruf unter einen Hut brin- chenenden, an denen ich nicht am Schreib- Presseversorgungswerk ist aber ganz stolz gen. Die Honorare waren genauso hoch wie tisch sitze, kann ich an einer Hand abzäh- auf mich: „Sie sind eine der wenigen freien heute – 20 Jahre später (!) – aber allein die len. Und trotzdem schwimme ich nicht im Journalisten, die noch von ihrem Honorar Miete meiner Wohnung kostet heute das Geld; ich kann so eben meine Miete und leben können.“ Doppelte. Häufig wurde das Freien-Hono- meine Brötchen bezahlen. Ich schreibe vor Während mir die 180 Euro für eine ein- rar in den letzten Jahren sogar drastisch allem Reisereportagen. Wenn diese in gro seitige Reisereportage als Honorar über- gekürzt, während die Redaktionskollegen ßen Tageszeitungen erscheinen, sieht die wiesen werden, erscheint mein Text quer regelmäßige Tariferhöhungen erhalten. Rechnung wie folgt aus: durch die Republik in diversen Titeln des Über 12 Jahre lang habe ich als festange- >Vorrecherche: ein bis zwei Tage. Verlags in diversen Städten. Meine Zustim- stellte Redakteurin gearbeitet, als Freie über > Recherchereise: drei bis fünf Tage. mung zur unentgeltlichen Weiterverwer- die Künstlersozialkasse ebenfalls in meine > Schreiben der Reportage: ein bis zwei Tage. tung meiner Reportage musste ich dem Rente eingezahlt. Kürzlich ist sie mir aus- > Honorar: um die 160 bis 180 Euro – ohne Verlag erteilen, sonst hätte ich nicht mehr gerechnet worden: Wenn ich so weiterar- Spesen. für ihn schreiben können. Wenn der Text beite wie bisher, stehen mir ab 66 Jahren Denn Spesen zahlen die Verlage schon in mehreren Tageszeitungen erscheint, 780 Euro monatlich zu. Und da ich zwar lange nicht mehr. Manchmal kann ich auch kann ich ihn aber nicht mehr weiteren Re- fleißig geschrieben und veröffentlicht habe, noch ein bis zwei Fotos dazu liefern. Aber daktionen anbieten. Diese Chose ist geges- aber immer knapp honoriert worden bin, meist bedienen sich die Fotoredaktionen sen. Also schnell zum nächsten Thema. konnte ich auch keine anderen Reserven Die meisten meiner freien Kollegen arbei- bilden, wie man heute so schön sagt. ten deshalb „zweigleisig“. Sie schreiben Ich liebe meinen Beruf, er ist abwechs- auch PR-Texte. Die werden weitaus besser lungsreich, völlig frei von Routine und vor bezahlt. Manchmal geht es sogar um das- allem: Ich kann jeden Tag lernen. Seit ein selbe Themengebiet, in dem sie journa- paar Jahren lerne ich aber: Jeder, der als listisch arbeiten. Sie sagen: „Du machst ja freier Journalist agiert – ob nun freiwillig auch nichts anderes als PR, wenn du auf oder nicht – muss damit leben, dass er viel Pressereise fährst.“ mehr arbeiten muss als seine festangestell- Ganz kann ich das Argument nicht ent- ten Kollegen, aber das für viel weniger Geld. kräften. Denn seitdem die Verlage keine Ich muss für mein Arbeitszimmer, meinen Reisekosten mehr für Recherchereisen Computer, meine Software selbst aufkom- übernehmen, sind freie Journalisten darauf men, auch den Computermenschen bezah- angewiesen, sich von Reiseveranstaltern len, der mir bei Problemen hilft. Dafür sind einladen zu lassen. Who pays: says! die festangestellten Kollegen zurzeit extrem freundlich. Bedingt durch die vielen Kün- digungen in den Verlagen sind sie froh, wenn wir Freien sie bei der anfallenden Mehrarbeit unterstützen. Aber: Während *Anna Blume ist ein Pseudonym. Der echte Name der Autorin ist der viele sich schon auf die Zeit ihres Ruhe- Redaktion bekannt. stands freuen, winkt mir die Altersarmut. 20 MEDIUM MAGAZIN #04/2017
Medien. Formate TEXT: CHRISTIAN FAHRENBACH Kleine Nischen – große Zukunft Lara Setrakian hat aus einer hyperthematischen Newsseite ben wir während der Epidemie in Westafrika über Syrien das Medien-Start-up „News Deeply“ gemacht. „Ebola Deeply“ gestartet und wir dachten, dass sich möglicherweise weitere Umwelt- Das Konzept: Experten schreiben für ein spezialisiertes und Gesundheitsthemen lohnen könnten: Publikum – zu Themen, die andere übersehen. Malaria, Altern, Klimawandel“, sagt die Mittdreißigerin. „Species Level Issues“ nennt Setrakian diese Themen, also Komplexe, die Jeder, der Nachrichten schreibt, kennt die- überhaupt möglich war, es gab ja immer unsere gesamte Spezies betreffen. sen Spagat: Wie lassen sich schnell die neu- noch Menschen, die dort jeden Tag gestorben Seit dem Start der Ozeanseite Mitte Juni esten Entwicklungen erklären und gleich- sind.“ Und noch ein weiterer Gedanke be- 2017 gibt es sechs hyperthematische Seiten, zeitig der nötige Kontext vermitteln? Das schäftigte Setrakian: Wenn die US-Medien stets aufgebaut nach gleichem Muster: Neben Unternehmen von Lara Setrakian beweist, schon nicht über Kriege berichten, in denen eigenen und kuratierten Nachrichtenartikeln dass es dieses Problem online nicht geben das eigene Militär kämpft, wie war das erst gibt es tägliche Briefings, Hintergrundarti- muss: „News Deeply“ heißt Setrakians Start- bei Konflikten, in denen die Vereinigten kel mit Basisinfos und einen Community- up. Es bietet auf monothematischen Seiten Staaten nicht involviert waren? Bereich. Die Erzählformate sind frisch und Nachrichten und versierte Hintergründe zu Als sich einige Zeit später in Syrien der vielfältig, neben Konflikt-Landkarten stehen umfangreichen aktuellen Themen. Das Team nächste Großkonflikt in der Region anbahnt, Präsentationsfolien und Timelines. Renom- rund um Setrakian schafft es dabei, zu jedem wägt Setrakian im Jahr 2011 von Dubai aus mierte Fachjournalisten sorgen als festan- Komplex von „Syria Deeply“ über „Arctic ab, ob sich eine neue Webseite lohnt: „Wie gestellte Redakteure für Expertise, Kontakte Deeply“ bis zum Mitte Juni frisch gestarteten wäre es, einen allgemeinen Überblick zum zu einem weltweiten Freelancer-Netzwerk „Oceans Deeply“ etablierte Experten zu bisherigen Geschehen mit syrischen Berich- und die nötige Anbindung an das Unterneh- versammeln. Uns führt die Gründerin durch ten von vor Ort zu verbinden? Jeder wusste, men mit Sitz in New York und San Francis- die bisherige Geschichte ihres Unternehmens dass das Thema Syrien riesengroß würde co. Vieles erledigt zudem die Community, – dem Thema angemessen in vier separat und ich wollte diese Idee verfolgen. Deshalb deren Mitglieder häufig Inhalte beisteuern. verständlichen Teilen, die zusammen eine habe ich schließlich gekündigt.“ 2012 grün- Der Entscheidungsprozess für ein neues FOTOS: THOMAS HENDRICH, MARTIN GAPA/PIXELIO größere Geschichte erzählen. det Setrakian „Syria Deeply“. Schnell wird Angebot sei immer der gleiche, erklärt die Seite zur wichtigen Informationsquelle Setrakian: „News Deeply“ sucht Themen mit Die Idee für alle mit einem Interesse an der Region: extremen Auswirkungen, aber relativ wenig „Ich wurde 2007 als Reporterin in den Mitt- andere Journalisten, genauso wie NGO-Mit- Berichterstattung. Steht eine Idee, beginnt leren Osten geschickt, mitten im Irakkrieg“, arbeiter oder Politiker in aller Welt. die Recherche direkt in den einzelnen Com- erzählt Setrakian heute. „Aber wir in den munities. „Wir haben gemerkt, dass wir sehr Medien hatten schon das Interesse verloren. Der Ausbau enge Beziehungen zu unseren Lesern haben. Wir hatten vorher schon Afghanistan einfach „Syrien war das Thema, an dem ich selbst Die Zirkel sind ja sehr klein, die kennen uns fallen gelassen und ich merkte wie, dann interessiert war“, sagt Setrakian heute. und wir kennen sie, auch aus vielen direkten das Gleiche mit dem Irak passierte“, erinnert „Aber dann kamen immer mehr Menschen Beziehungen, die nicht auf Social Media an- sie sich. „Ich habe mich gefragt, wie das mit weiteren Themen auf mich zu. Also ha- gewiesen sind“, sagt sie. Die ersten gezielten 52 MEDIUM MAGAZIN #04/2017
„Wir haben uns Engagement und ‚Einflussreiche Leser‘ als wichtigste Kennzahlen gegeben.“ Lara Setrakian Umfragen hätten gezeigt, wie viele Leser an papier.“ Außerdem habe sie bei matter INFO Universitäten arbeiten, CRM-Tools wie Hub- gelernt, dass Kennzahlen immer in Bezie- spot halfen, weitere User anzusprechen. hung zu einem Ziel stehen müssten. „Man News Deeply „Wir fangen dann mit Userinterviews an, kann natürlich Views oder Klicks verfolgen, segmentieren unser Publikum, beispiels- aber wenn man darüber seine Standards Seit Mitte Juni gibt es „Oceans Deeply“, weise in Menschen im Policy-Sektor und in aufgibt, wird man nicht glücklich. Wir haben eine monothematische Seite mit News allgemein Interessierte und sprechen mit uns Engagement und „Einflussreiche Leser“ und Hintergründen zu den Weltmeeren. Vertretern der einzelnen Gruppen. Dann als wichtigste Kennzahlen gegeben, also zum Es ist das sechste Angebot von „News entwickeln wir Kennzahlen und ein Ange- Beispiel Philanthropen im entsprechenden Deeply“, einem Medien-Start-up mit Sitz bot“, sagt Setrakian. „Es gibt einen klar Sektor, denn die sind unsere Kunden.“ in San Francisco und New York. Nach definierten Arbeitszyklus nur dafür, die User dem Start 2012 mit einer Seite über den kennenzulernen.“ Später bleibt die enge Die Bilanz Bürgerkrieg in Syrien folgten Themen Beziehung zu den Lesern auch finanziell Die im Inkubator gelernte Flexibilität zeigt seiten zur Dürre in Kalifornien, Arktis, wichtig, denn alle Seiten verstehen sich im- sich auch in der Präsentation des Geschäfts- Flüchtlingen sowie Frauen und Mädchen. mer auch als Anlaufstelle für Praktiker. modells: „News Deeply“ bezeichnet sich Alle Seiten bieten neben tagesaktuellen inzwischen als „new media and technology News auch Überblicke und Studien. Sie Das Geschäftsmodell company“ auf der eigenen Webseite. Ein zielen nicht nur auf Informationsvermitt- „Am Anfang haben viele Menschen gratis Team aus Journalisten und Technikern lung ab, sondern wollen auch Teil der für uns gearbeitet und uns ihre Arbeitszeit arbeite nicht nur an Nachrichten, sondern jeweiligen Community sein. gespendet, auch mein Geschäftspartner auch daran, Live Events, Informations „Syria Deeply“ hat 2013 den Excellence und ich haben kein Geld verdient“, sagt vermittlung und soziale Teilhabe voranzu- in Online Journalism Award der National Setrakian. „Am Tag des Launchs von ,Syria bringen. Press Foundation in den USA gewonnen, Deeply‘ fragte aber schon ein Kunde bei uns Und wie lautet heute ihre Bilanz nach fünf „Time Magazine“ nennt „News Deeply“ an, ob wir die Webseite für einen Think Tank Jahren „News Deeply“ und sechs Themen- „die Zukunft der Nachrichten“. gestalten und mit Studien füllen könnten.“ seiten? Statt einer persönlichen Antwort Neben Stiftungsgeldern etablierten sich sol- zum Ende des Interviews empfiehlt Setra- Den TED-Talk von Setrakian „3 ways to che Verträge als Finanzierungsmodell für kian einen TED-Talk, den sie im Februar in fix a broken news industry“ gibt es mit die „News Deeply“-Seiten. New York hielt. Darin fasst sie die Geschich- deutschen Untertiteln unter: Das bleibt nicht ohne Zweifler. Bis heute te von „News Deeply“ in drei Lektionen bit.ly/setrakian sei dieses Modell ein wenig „verworren“, zusammen, die ihrer Meinung nach Journa- schreibt die Gründerseite inc.com in ihrem lismus insgesamt voranbringen könnten: Die Abschluss-Präsentation vom Firmenporträt, eben ein „Hybrid aus Spon- „Wir brauchen Nachrichten, die mit wirklich Inkubator matter steht unter: sorengeldern, Live Events, Stiftungen und tiefgehendem Wissen des Themas geschrie- bit.ly/setrakian-matter Auftragsarbeiten für Organisationen wie das ben werden“, sagt sie da als Erstes. Mehr World Economic Forum und die Global echte Zusammenarbeit mit lokalen Jour- Und einen Vortrag Setrakians bei der Ocean Commission“. nalisten sei nötig - Schluss also mit der re:publica 2014 gibt es unter: Einen Teil der betriebswirtschaftlichen Behandlung der Freien als Fixer zum bit.ly/setrakian-republica Annäherung an das Geschäft habe sie wäh- schnellen Herstellen von Kontakten. rend einer kurzen Zwischenstation bei „Wir brauchen einen Hippokratischen McKinsey gelernt, sagt Setrakian selbst. Eid für die Nachrichtenbranche“, fährt Spätestens die Teilnahme am Medien- Setrakian fort. Der sensationsheischende Inkubator matter.vc im ersten Halbjahr 2015 Umgang mit Ebola habe Menschen das habe den Start-up-Aspekt von „News Leben gekostet, weil wirklich nötige Dis- Deeply“ noch einmal auf ein neues Niveau kussionen nicht durchgedrungen waren. gehoben. „Bei matter haben wir gelernt, das Und schließlich: „Wenn wir unsere Welt Start-up im Silicon-Valley-Stil zu führen, besser verstehen wollen, müssen wir Kom- gelernt, wie man ein Team steuert, etwas plexität mehr schätzen lernen.“ – Wer von Grund auf aufbaut – aber eben auch, vorgibt, dass es einfache Antworten gibt, wie man besser über den Nutzer und den führe die Menschen geradewegs auf eine Markt nachdenkt und dessen Informations- sehr steile Klippe zu. bedürfnis überhaupt versteht“, erklärt die Gründerin. CHRISTIAN FAHRENBACH „Das hat uns sehr geholfen, neue Kollegen ist freier Journalist und Trainer zu neuen mit Business-Erfahrungen zu finden, die Medienthemen in New York und Deutschland. wissen, wie ein gutes Produkt gemacht info@christianfahrenbach.de werden muss, egal ob Event oder Studien Lara Setrakian, die Gründerin von „News Deeply“ MEDIUM MAGAZIN 53
#2 Special. Fotojournalismus INTERVIEW: ANNE HAEMING „REINE OBERFLÄCHE“ seine Bilder hochladen und über einen Al- gorithmus ausrechnen lassen, welche Fotos im Gedächtnis bleiben: Jene, die Gewohntes zeigen, eine Landschaft, ruhig, vergisst man schneller als Gesichter und alles, was knallig Fotos als Rohmaterial: 2470media-Gründer Michael Hauri und kontrastreich ist. erklärt, welche Bilder online funktionieren und warum sich Eine der aktuellen Debatten im Fotojourna- Henri Cartier-Bresson im Grabe umdrehen würde. lismus betrifft die Bildmanipulation. Verste- hen Sie die Aufregung? Herr Hauri, was muss ein Bild haben, damit Im Sinne dieser Sehgewohnheiten: Wie hat Für mich ist sie Teil der Fake-News-Debat- Sie es gelungen finden für eines Ihrer On- sich die Bildsprache verändert? te. Es kann nur einen Weg geben für profes- lineformate oder Scrollytelling-Konzepte? Die visuelle Dominanz von Instagram wirkt sionelle Bildjournalisten: so wenig wie mög- Michael Hauri: Es muss einen auf einem sich auf alle Bereiche der Fotografie aus. Etwa lich ins Bild eingreifen, um Glaubwürdigkeit Smartphonedisplay anspringen können. wegen Motivserien wie den Wendeltreppen- zurückzugewinnen. Ich warte auf eine Platt- Daher ist es wichtig, dass ein Foto nicht zu Bildern mit dem #worldneedsmorespiral- form, auf der Fotografen die RAW-Version kleinteilig gestaltet und schnell zu erfassen staircases oder Fotos vom Fußboden mit – so etwas wie das digitale Negativ – ihrer ist, eine Stimmung transportiert wird – und #ihavethisthingwithfloors. Bilder hinterlegen können, die dann mit den am besten auch einen Bildwitz beinhaltet. von Redaktionen veröffentlichten Versionen Aber das ist doch ein Ding von Laien. verknüpft sind: um so immer auch das Ori- Das klingt nach eierlegender Wollmilchsau. Ja, aber alle Fotografen haben die Möglich- ginal anzeigen zu können. Wir gehen davon aus, dass die Hälfte der keit, da mitzumachen – und somit ihr Pub- Nutzer die Inhalte auf dem Smartphone an- likum zu erweitern. Hinzu kommt, dass Sie teilten neulich bei Twitter einen Text, der schaut, die andere auf Laptop oder großem wegen Instagram verstärkt im Quadrat und überschrieben war mit „Fuck Fotojourna- Bildschirm. Die Bilder müssen also ganz un- im Hochformat fotografiert wird, da diese lism!“. Unterschreiben Sie das? terschiedlich zugeschnitten werden. Henri Bilder auf Smartphones größer angezeigt Dieser Provokation stimme ich nicht zu, Cartier-Bresson würde sich im Grabe rum- werden als Querformate. Und mir fällt auf, allerdings hat der Text über Bildmanipula- drehen! Was er mit seiner Leica festhielt, dass auch Print die Instagram-Ästhetik tionen einen wichtigen Kern: Als Fotorepor- durfte auf Abzügen nicht verändert werden. aufgreift. Die „Berliner Morgenpost“ etwa ter muss ich mich fragen, mit welchen Mit- Für uns sind Bilder vor allem Rohmaterial: machte gerade mit einem Sommermotiv auf, teln ich meine humanistischen Ansichten Daraus müssen wir extreme Querformate das 1:1 die Lichtstimmung und das Lifestylige transportiere. Fotografie ist in erster Linie für Facebook genauso anfertigen wie Bilder, abbildet, das auf Instagram üblich ist. Mittel zum Zweck. Reine Oberfläche reicht die in Scrollytelling-Formaten auf dem da nicht. Smartphone funktionieren. Sie meinen, wir haben uns an diesen Look einfach gewöhnt? Motive quer und hochkant abliefern: Das war Es ist momentan schwer für klassische doch immer schon Pflicht. Reportagefotografie. Eines der Hauptmerk- Schon, aber heute ist es viel extremer. Foto male von Instagram-Bildern ist, dass sie sehr grafen verstehen sich als Autoren, sie dürfen flach wirken, da die meisten mit Smartpho- nicht das Gefühl bekommen, austauschbar nes aufgenommen sind – und somit alles zu sein. Redaktionen müssen sie von Anfang gleich scharf ist. Mit Schärfentiefe zu arbei- an in die Konzeption digitaler Geschichten ten, um einen Raumeindruck zu schaffen, mit einbeziehen. wie mit Spiegelreflexkameras, geht nicht. Beim Runterscrollen bleiben wir maximal Wenn Sie an den 2470media-Start 2009 den- drei, vier Sekunden an einem Foto hängen. ken: Was erwarteten Sie damals vom Foto- Mich langweilen Bilder, die keine Irritation, journalismus? keine Details haben, die mich dazu bringen, Wir gingen davon aus, dass wir den klassi- mich näher mit dem Bild auseinanderzuset- schen Fotojournalismus multimedial ergän- zen. Aber mittlerweile kann man sogar aus- zen. Heute wissen wir, dass wir ihn komplett rechnen lassen, welche Bilder ankommen neu denken müssen. Die Millennials inte und welche nicht. ressieren sich nun einmal nicht für ästheti- sche Qualitätsstandards. Wir müssen die Wie das? Michael Hauri ist Gründer der auf digitales Storytel- Sehgewohnheiten unserer Leserinnen und Als Teil eines Forschungsprojekts hat das ling spezialisierten Redaktionsagentur 2470media. Leser einnehmen, um eine Geschichte zu MIT die Seite LaMem (http://memorability. Für ihre Serie „Berlinfolgen“ erhielten die Berliner konzipieren. csail.mit.edu) entwickelt: Dort kann man 2012 den Grimme Online Award. www.2470.media MEDIUM MAGAZIN 73
S T R AT E G I E P Audio ist der Text der mobilen Generation Es ist die neue Geste in der mobilen Welt. Menschen halten ihr Smartphone leicht schräg vor das Gesicht, sprechen eifrig in das Gerät, dazu Kopfhörer im Ohr – zu sehen an der Bushaltestelle, in der Bahn, auf dem Bürgersteig. Sprechen statt tippen. Egal ob Facebook-Post, E-Mail oder Chat-Nachricht. Jeder zweite Smartphone-Besitzer bedient laut einer aktuellen Bitkom-Studie sein Gerät per Stimme, die Unter-30-Jährigen sogar zu 60 Prozent. Tendenz: rasant steigend. Reden Alles zum Mithören: Ende Juni war die Sportlerin Magdalena Neuner zu Gast in der „Rheinischen Post“. Daniel ist die einfachste Verständigungsform. Fiene (Mitte) und Michael Bröcker nutzen das gleich für einen Audiomitschnitt und Facebook-Livestream. Sprache das schnellste Kommunikations medium. Bequemer lassen sich Nachrichten Spracherkennung mehr Fortschritte gesehen Ein Aha-Erlebnis hatten wir vor zwei Jahren, nicht verschicken. als in den letzten 30 Jahren“, sagt Shawn als wir einen WhatsApp-Nachrichtenkanal Nur: Was hat das alles mit Journalismus zu DuBravac, Chefökonom der US-Elektronik- starteten und Meldungen texteten. Mehrere tun? Eine ganze Menge. Wenn die Smart messe CES. 1995 lag die Fehlerrate bei der Nutzer fragten irritiert zurück: „Warum nicht phone-Generation ihre Informationsnutzung Spracherkennung noch bei 43 Prozent. Heute als Sprachnachricht?“ Heute produzieren wir verändert, müssen sich die Informationsme- sind es 6,3 Prozent, etwa das Niveau der vier Podcast-Formate pro Woche. Das dien auch verändern. Siehe Bewegtbild. menschlichen Fehlerrate. Tausende Forscher erfolgreichste Format ist der morgendliche Audio ist der nächste Trend. Wenn Nutzer bei Apple, Google, Microsoft und Amazon Nachrichtenüberblick um 7 Uhr, mit dem wir sprechen, um Texte zu verschicken, dann perfektionieren gerade ihre Sprachassistenten Pendler erreichen. Der „Aufwacher“ ist ein wollen sie vielleicht lieber hören als lesen? Siri, Now, Cortana und Echo. fünf- bis zehnminütiges „Best-of“ aus der Radio überlebte alle Medienbrüche, Podcasts Zeitung, moderiert von Redakteuren, die einst gibt es seit zehn Jahren. Die Allgegenwart des 2. Das Publikum will es so. Einfach, maßge- für das Radio arbeiteten. Kurzweilig, professi- Smartphones und neue Technologien machen schneidert, überall. onell, schnell. Direkt aus dem Newsroom, live Audio-Content noch einfacher konsumierbar Eine Heimatzeitung muss da sein, wo die auf Facebook, im Dialog mit den Nutzern, und massentauglich. Laut Umfrage von ARD/ Menschen Heimatnachrichten empfangen etwa bei Wetterupdates. Dazu O-Töne von ZDF hörten 2015 schon 1,4 Millionen Deutsche wollen. Wie oft hören wir von unseren Experten und Gästen sowie Erläuterungen von regelmäßig Podcasts im Netz – doppelt so Abonnenten die Klage, dass ihnen der Redakteuren. Dienstags und mittwochs viele wie im Vorjahr. In den USA sind es Familienstress morgens und der Feierabend- veröffentlichen wir themenspezifische bereits 60 Millionen. Eine eigene Mediengat- stress abends nicht mehr den Blick in die Podcasts, das Gesundheits- und Ernährungs- tung. Experten rechnen mit weiteren zehn Zeitung erlaubt. Aber beim Autofahren, format „ Gut leben“, den Medien-Talk „Was Millionen bis Ende 2017. Audio ist das Medium Laufen oder in der S-Bahn würden sie gerne mit Medien“ von Daniel Fiene oder den für die mobile Generation, die Multitasking unsere Nachrichten verfolgen, sagen viele. Borussia-Mönchengladbach-Kanal „Fohlen- liebt. Wer hört, kann noch andere Dinge tun Gut gemachte Podcasts sind ein Weg, dieses futter“. Freitags gibt es eine Plauderstunde – Auto fahren, Joggen, Kochen ... Und Interesse zu befriedigen. Warum sollten wir über die Themen der Woche mit Daniel Fiene Podcasts sind Radio ohne feste Sendezeit. also staugeplagten Nordrhein-Westfalen ihre und mir. Unsere Zwischenbilanz ist gut. Mehr Stets abrufbar, zielgruppengerecht. Printmar- Nachrichten nicht direkt ins Auto liefern, als 260.000 Zugriffe pro Monat und ein ken können mit ihrer lokalen Kompetenz eine wenn sie dort viele Stunden pro Woche kleines, aber wachsendes neues Vermark- Nische füllen. Zwei Entwicklungen sprechen verbringen? Oder in ihr Wohnzimmer? tungsformat. Ein netter Nebeneffekt: Viele dafür, dass der Boom sich fortsetzt. Seit Mitte Juni sind wir Teil der Welt des Kollegen aus der Redaktion sind neugierig Amazon Echo: Sie müssen nur laut „Hey geworden, wollen mitmachen und denken 1. Die technologische Entwicklung, der Treiber Alexa, was gibt es Neues?“ sagen, dann hören sich eigene Formate aus. Journalisten, das ist für digitale Veränderungen. Sie die überregionalen Top-Meldungen der eben Teil unserer DNA, reden gerne. Podcasts Professionelle Audio-Formate brauchen keine „Rheinischen Post“. Im nächsten Schritt sind dafür eine gute Spielwiese. üppige Technik. Zugleich wird der Nutzerzu- wollen wir diese Nachrichten lokalisieren. Per gang durch Sprachsoftware erleichtert. „Wir Sprachbefehl „Düsseldorf“ geht es dann zu Der Autor: Michael Bröcker ist Chefredakteur haben in den letzten 30 Monaten bei der Meldungen aus der Lokalredaktion. der „Rheinischen Post“ in Düsseldorf. MEDIUM MAGAZIN 79
Junge Werkstatt. 360-Grad-Film TEXT: JENS TWIEHAUS | FOTOS: SUSANNE DICKEL Mit dem Rundumblick durch eine Region Erstmals drehen Journalistenschüler einen 360-Grad-Film als Abschlussprojekt. „Auf heißen Kohlen“ dokumentiert den Druck der Tagebau-Region Lausitz – und den Aufwand, den eine Produktion in der virtuellen Realität erfordert. Zum Ende ihrer Ausbildung machen die Für ihr Projekt „Auf heißen Kohlen“ ler- Ungewöhnlich für Volontäre der Electronic Media School nen 16 Schüler im Crashkurs die Arbeit in Protagonisten (ems) lange Tage durch. Der 10. Jahrgang der virtuellen Realität. Sie organisieren, Schnell findet jedes Team heraus, wie emo- der Potsdamer Journalistenschule muss drehen, schneiden und präsentieren. Si- tional das Thema Tagebaue für viele Men- im März sein Gesellenstück liefern: eine cher ist zu Beginn nur eines: der Abgabe- schen ist. Etwa für Dietmar Quander, der journalistische Virtual-Reality-Filmpro- termin. Und das Thema: Die Volontäre früher in Haidemühl wohnte – ein Dorf, duktion zu einem regionalen Thema. Und sollen dokumentieren, wie die Tagebaue das bald den Braunkohle-Baggern weichen das innerhalb von drei Wochen. Die ems in der Lausitz eine ganze Region und das soll. Er lässt sich auf das Experiment ein: ist, nach eigenen Angaben, damit die ers- Leben der Menschen verändern. Unter- Echtes Neuland ist die Virtual-Reality-Pro- te Schule, die Virtual Reality so prominent stützung bekommen sie von ihrer Fern- duktion nämlich nicht nur für die Produ- in ihre Ausbildung integriert. sehtrainerin, der RBB-Redakteurin Katrin zenten, sondern auch für Protagonisten Röger, und von Susanne Dickel aus dem wie Dietmar Quander. freien Produktionsteam IntoVR. In einer Filmsequenz nimmt der ehema- INFO lige Bewohner die Zuschauer in sein altes, Sechs Filmcrews ziehen los verlassenes Dorf Haidemühl mit. Während 16 Schüler, 3 Wochen, Dickel gehört 2015 zu den Top 30 bis 30 von „medium magazin“ und ist außerdem bei einer TV-Reportage der Autor direkt neben der Kamera steht und eine Bezugs- 360 Grad Videoredakteurin bei „ze.tt“, dem jungen person bildet, steht die Kamera mit Rund- Portal des Zeitverlags. Sie ist zusammen umsicht mitten im Geschehen und das Das Projekt: mit IntoVR-Gründer Martin Heller zugleich Team muss sich verstecken. So sagte die „Auf heißen Kohlen“ beschreibt in diejenige beim Lausitz-Projekt, die am 360-Grad-Filmen, wie der Kohleabbau in besten Bescheid weiß über die komplexe der Lausitz die Region und ihre Menschen Arbeit mit 360-Grad-Kameras. Ein Film- verändert. Das Storytelling verbindet Repor- team nutzt einen GoPro Mount, also ein tage-Elemente mit echten Betroffenen und Gestell, an dem sechs GoPro-Kompaktka- Spielszenen mit einem Schauspieler. meras befestigt sind und zunächst unab- hängig voneinander aufzeichnen. Fünf Die Umsetzung: weitere Filmteams sind mit der Samsung 16 Journalistenschüler der Electronic Media Gear 360 unterwegs – beide Kamerasys- School setzen Planung, Dreh und Postpro- teme produzieren Bilder in unterschied- duktion innerhalb von drei Wochen um. Das licher Qualität. Eine Expertin wie Dickel auf virtuelle Realitäten spezialisierte sieht Abweichungen und ärgert sich, nor- Produktionsbüro IntoVR unterstützt sie mit male Zuschauer bemerken eher nichts. Technik und Wissen. Für die Journalistenschüler beginnt die Produktion mit journalistischem Alltag: Die Veröffentlichung: Fakten recherchieren, Protagonisten fin- Im Web, für Smartphones und VR-Brillen. den. Um die Menge möglicher Themen zu Die Videos laufen im Player des Berliner portionieren, bilden die Schüler fünf Auch für Schauspieler Andreas Stadler ist 360-Grad- Start-ups DelightVR, der auf sehr vielen Teams, die sich je um einen Schwerpunkt Film (noch) kein Alltag: Er spricht in „Auf heißen Plattformen funktioniert; zudem auf kümmern. Kohlen“ in verschiedenen Rollen direkt zu den YouTube. Zuschauern. 82 MEDIUM MAGAZIN #04/2017
KO M M E N TA R Aufnahmen mit dem gewissen „Wow-Effekt“ Crew ihrem Protagonisten Quander: Gehen ist. Einzelne Clips liefern tiefere Einblicke Virtual Reality ist ein Hype in Teilen Sie doch einfach mal hier umher und er- in einzelne Themen. Mit einer VR-Brille der Videoszene – und das Lau- zählen Sie mal was zum Dorf. Eine sehr lassen sich die einzelnen Videos besonders sitz-Projekt der Journalistenschüler dokumentarische Arbeitsweise – aber mit eindrucksvoll anschauen, doch auch ein zeigt, warum. Es gibt journalistische einer künstlichen Komponente. Denn die Smartphone reicht aus, um sich durch die Themen, die sich perfekt eignen für Kamera fällt auf und jedem ist klar: Sie Lausitz zu bewegen. Die langen Produk- VR. Der Wandel der Lausitz gehört filmt gerade alles, jeden Winkel um sie tionstage haben nach drei Wochen fast definitiv dazu. herum. ununterbrochener Arbeit nicht nur das Die Schüler wollen ihre Zuschauer Team belastet, sondern auch ihre Technik: mit auf eine Reise in die Region im Spielszenen bilden roten Faden Die eigens gekaufte 5-Terabyte-Festplatte fernen Osten Deutschlands nehmen Ungewöhnlich war dies auch für Andreas ist zum Abschluss fast voll. und das gelingt ihnen wunderbar. Stadler. Der Schauspieler bildet ein zentra- Der Rundumblick lässt die giganti- les Element im Storytelling des Lausitz-Pro- schen Dimensionen der Tagebaue jekts. Stadler spielt den Jogger, den Arbeiter besser erahnen als ein flaches und den Umweltschützer – er spricht die Fernsehbild. Viele Aufnahmen tragen Zuschauer direkt an und gibt sich als fiktiver einen gewissen „Wow-Effekt“ in sich. Charakter zu erkennen. Über die Spielszenen Das gilt zum Beispiel auch für die Tour versuchen die Journalistenschüler, Ge- durch eines der verlassenen Dörfer. schichten ganz knapp und auf den Punkt zu Die Zuschauer scheinen tatsächlich erzählen. Im Hauptfilm „Auf heißen Kohlen“ mitten zwischen den abrissreifen vermischen sie Fiktion und die Realität mit Häusern zu stehen. Ein intensives authentischen Protagonisten, um ein Ge- Reportageerlebnis, das Wörter kaum samtwerk zu schaffen, das Zuschauer hin- erzeugen können. einzieht in die Region. JENS TWIEHAUS Die journalistische Idee, für das ist „medium magazin“-Redaktionsmitglied Dieses Gesamtwerk präsentieren die Storytelling einen Schauspieler zu und freier Medienjournalist in Berlin. Journalistenschüler in einem elfminütigen nutzen, ist ein interessanter Kniff. Film, der auch auf ihrer Website zu finden mail@JensTwiehaus.com Warum er sinnvoll oder nötig ist, erfährt der Zuschauer leider nicht. Doch der Schauspieler macht einen super Job: Er beherrscht die Geschich- te nicht, aber er trägt sie voran. Jens Twiehaus LINKTIPP Das Projekt und seine Macher http://www.360lausitz.de/ Video-Playlist auf YouTube http://tinyurl.com/Lausitz-Liste Schnittsoftware: Kolor Autopano Video Volontärin Julia Fischer auf einem Braunkohlebagger: http://www.kolor.com/ Die jungen Journalisten besuchen mit ihren Kameras viele Orte der Lausitz und fliegen sogar mit einem Der verwendete Player für VR-Videos Flugzeug darüber hinweg. https://delight-vr.com/ MEDIUM MAGAZIN 83
Terminal. Fragebogen FOTO: GABY GERSTER Bascha Mika, zivilisiert cholerische Zaunkönigin Warum sind Sie Journalistin Wie würde man Sie am tref- geworden? fendsten karikieren? Bascha Mika: Weil ich mit Ge- Zaunkönigin – klein, immer in schichten groß geworden bin, Bewegung, unmöglich zu über- die mein Vater uns Kindern er- hörende Stimme, gern auch für zählte. Das war so schön und alle sichtbar auf dem Garten- spannend, das wollte ich auch. zaun. Wie kamen Sie an Ihren ersten Wo haben es Frauen im Journa- Beitrag? lismus schwerer? Als Studentin hörte ich von der Überall, selbst im Netz. Das ist BASCHA MIKA, italienischen Prostituiertenbe- besonders fatal, weil sich damit geboren 1954 in einem schlesischen Dorf in Polen und als Kind in die Bundesrepublik übergesiedelt, ist seit 2014 Chefredakteurin der „Frankfurter Rundschau“ (FR), wo sie wegung, fuhr nach Norditalien, üble Verhältnisse in die Zukunft zu Studienzeiten ihren ersten Zeitungsbeitrag veröffentlicht hatte. Nun führt sie die wohnte ein paar Tage bei den fortschreiben. Da müssen Frau- „FR“ in einer Doppelspitze zusammen mit Arnd Festerling, der die Umstrukturierung Anführerinnen und schrieb ihre en laut werden und Druck er- der „FR“ nach der Übernahme durch den Societäts-Verlag zunächst allein gestemmt Geschichte auf. Die „FR“ gab mir zeugen – öffentlich und in den hatte. Inzwischen haben sie in der „FR“ eine Menge verändert, beispielsweise im Oktober 2016 das Wochenendmagazin „FR7“ eingeführt, 2017 den Online- und dafür eine ganze Seite, der SFB Redaktionen. Außerdem braucht Print-Auftritt relauncht. Mika studierte – nach einer Lehre bei der Deutschen Bank in 15 Minuten Radiozeit. es die Quote, um die Strukturen Aachen – Germanistik, Philosophie und Ethnologie. 1988 ging sie als Redakteurin zur aufzubrechen. Berliner „taz“, deren Chefredakteurin sie 1998 wurde. Mika blieb es bis 2009 und Ihre Vorbilder im Journalismus? arbeitete bis zu ihrem Antritt in Frankfurt als Publizistin und Studiengangs-Leiterin an der Universität der Künste Berlin. Mika veröffentlichte Bücher über Alice Schwarzer, Jürgen Leinemann. Vor allem Ihre Stärken und Schwächen? die „Feigheit der Frauen“ und das Älterwerden bei Frauen. Am 1. Juli ehrte der seine großartigen Porträts. Da- Leidenschaft, Freude am Wag- Journalistinnenbund bei seiner 30-Jahre-Jubiläumsgala Bascha Mika für ihr rin verstand er es – wie kaum nis, wenig Angst, gutes Gespür Lebenswerk mit der Hedwig-Dohm-Urkunde. ein anderer – einfühlsam und für Menschen und Situationen. scharfsichtig Bilder von Men- Mein hohes Energielevel ist schen zu zeichnen, wo alles drin zwar schön, hat aber die Kehr- war: Teddy, Tod und Teufel. seite, dass ich streitlustig und Auf welchen Beitrag sind Sie be- Anna Netrebko als Violetta in mitunter dickköpfig daher sonders stolz? „La Traviata“. Ein Journalist ist ein guter Jour- komme. Zudem bin ich (ererbt) Auf meine Reportage aus Ro- nalist, wenn er/sie …? cholerisch – aber in zivilisierter stock-Lichtenhagen, als ich als Wie und womit entspannen Sie … für die Sache brennt, sich Form. einzige Journalistin mitten unter sich? nicht mit den Mächtigen gemein den Brandsatz-Werfern stand. Bücher lesen, Laufen, Gärt- macht, die eigenen und die Was macht Sie wütend? nern, Malen. Schwächen der Branche kennt. Wenn wir Dinge, die wir ver- … welcher ist Ihnen peinlich? ändern können, nicht anpacken. Hmmm… habe ich verdrängt. Welcher Rat hat Ihnen auf Ihrem Die Herausforderung des Jour- beruflichem Weg besonders ge- nalismus in 140 Zeichen? Sind Sie Mitglied einer Partei? Ihre drei Lieblings-Medien? holfen? Geld + Personal aufbringen für Als Journalist*in ein Parteibuch G2 vom „Guardian“, „Missy Nicht sofort loszustürmen, gut recherchierte Geschichten, zu haben, finde ich unanständig. Magazin“, „Informationen am sondern noch mal eine Nacht die auch zeigen: Journalismus ist Morgen“ vom Deutschlandfunk. drüber zu schlafen. Allen, die mir Lebensmittel für die Demokratie. Welche sozialen Medien nutzen das geraten haben, bin ich dank- Sie? Ihr Lieblings-(Fremd)-App? bar. Wie wichtig ist Klatsch? Im professionellen Umfeld sind BBC News. Sehr wichtig offenbar – sonst soziale Medien extrem wichtig, Was sollte Ihnen später einmal wären wir Journalist*innen nicht auch für die „FR“. Für mich pri- Mit wem würden Sie gerne mal nachgesagt werden? die größten Klatschweiber. vat nicht. einen Tag die Rolle tauschen? Schade, dass sie weg ist. 98 MEDIUM MAGAZIN #04/2017
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