Blickwinkel Hometreatment Nachgefragt - Luzerner Psychiatrie

Die Seite wird erstellt Santiago-Stefan Riedl
 
WEITER LESEN
Blickwinkel Hometreatment Nachgefragt - Luzerner Psychiatrie
blickwinkel
DAS MAGAZIN DER LUZERNER PSYCHIATRIE | No 12 | April 2021

Hometreatment           Nachgefragt          Resilienz       Mischgebrauch
Einblick in den         Neuer Chefarzt       in Zeiten von   von Substanzen
Arbeitsalltag           Stationäre Dienste   Corona
Blickwinkel Hometreatment Nachgefragt - Luzerner Psychiatrie
blickwinkel
Magazin der lups    Inhalt

          4–6                                             12 – 16                                                    17 – 19

       		Titelgeschichte                                                       		            Im Fokus
        4 –6         Home Treatment in Zeiten                                  22 – 23       Studieren in Zeiten von Corona
       		            der Pandemie                                               Interview
                                                                               		                         mit Alain Styger
        Einblick
       		                       in den aktuellen Arbeitsalltag
                                                                               		News
       		            der GiA
                                                                               24 – 25       Rechtsformänderung
       		            Im Fokus                                                   Start
                                                                               		                   Projekt Rechtsformänderung lups
           7 –9      Nachgefragt
                                                                               		News
        Dr. med.
       		                       Lienhard Maeck – Neuer Chefarzt
                                                                                     25      Bautätigkeit lups
       		            Im Fokus                                                   Sanierung
                                                                               		                         Haus B
        10 – 11      Resilienz
                                                                               		News
        In Zeiten
       		                        der Pandemie
                                                                               26 – 27       Personelles aus dem Kader
       		            Im Fokus                                                   Beförderungen
                                                                               		                                und neue Ansprechpartner
        12 – 16      Mischgebrauch von Substanzen
                                                                               		News
        Polytoxikomanie
       		                                  als klinisches Problem
                                                                                     27      Agenda
       		            Im Fokus                                                   Vorschau
                                                                               		                        Fortbildungen
        17 – 19      Sucht im Alter
         Auswirkungen
       		                              auf das allgemeine
                     Suchtverhalten

       		            Im Fokus
        20 – 21      Joint Master Medizin
        Start
       		                    im Herbstsemester 2020

       Impressum                                                               Marion Reichert Hutzli, Leitende Ärztin Ambulante Dienste; Dr. med.
       Magazin «blickwinkel», Nº 12, April 2021                                Julius Kurmann, ehem. Chefarzt lups; Dr. phil. Ingeborg Warnke,
       Herausgeber Luzerner Psychiatrie, www.lups.ch                           Koordinatorin Weiterbildung & Forschung; Jennifer Fringeli,
       Redaktionsleitung Silvia González,                                      Fachmitarbeiterin Kommunikation & Marketing
       Teamleiterin Kommunikation & Marketing                                  Fotografie Fabian Feigenblatt und Diverse
       Redaktionelle Mitarbeit Dr. med. Fabian Ludwig, Stellenleiter GiA;      Layout Minz, Agentur für visuelle Kommunikation, www.minz.ch
       Dr. med. Lienhard Maeck, Chefarzt Stationäre Dienste; Dr. med. Oliver   Druck Abächerli Media AG
       Bilke-Hentsch, Chefarzt Kinder- und Jugendpsychiatrie; Dr. med.         Auflage 2800 Exemplare
       Raphaela Jülke, Leitende Ärztin Kinder- und Jugendpsychiatrie; Sarah    Redaktion Luzerner Psychiatrie, Kommunikation & Marketing,
       Theiler, Assistenzärztin Kinder- und Jugendpsychiatrie;                 T 058 856 50 47, info@lups.ch

2
Blickwinkel Hometreatment Nachgefragt - Luzerner Psychiatrie
blickwinkel
                                                                                                             Editorial   Magazin der lups

Die Herausforderungen
der «neuen Normalität»

Liebe Leserinnen und Leser

Noch immer befinden wir uns in einer aussergewöhnlichen Zeit,
welche uns stark beschäftigt. Die seit über einem Jahr anhalten-
den Einschränkungen stellen die Menschen vor Herausforde-
rungen und die psychische Belastung steigt. Dies zeigt sich seit
der zweiten Welle in der Corona-Pandemie.

Die Nachfrage nach ambulanten Leistungen im Kinder-, Jugend-
und Erwachsenenbereich sowie die stationären Zuweisungen
von Kindern und Jugendlichen nahmen deutlich zu. In der Ge-
meindeintegrierten Akutbehandlung Luzern Stadt behandelte
das Team vermehrt Frauen, die kurz nach der Geburt ihres Kin-
des in psychische Schwierigkeiten geraten waren.

Dr. med. Lienhard Maeck, welcher im Januar 2021 seine Tätig-
keit als Chefarzt Stationäre Dienste aufgenommen hat, be-
richtet über seinen Start in der Luzerner Psychiatrie und wel-     Die Luzerner Psychiatrie (lups) und das Luzerner Kantonsspital
che Bedeutung der Resilienz in Zeiten der Pandemie zukommt.        (LUKS) werden von öffentlich-rechtlichen Anstalten in zwei
                                                                   gemeinnützige Aktiengesellschaften umgewandelt. Der Kan-
Die adoleszenztypische Risikowahrnehmung spielt aus ent-           tonsrat des Kantons Luzern hat der Änderung der Rechtsform
wicklungspsychologischer Perspektive eine besondere Rolle          der beiden kantonalen Spitalunternehmen zugestimmt. Die
bei der Intensität des Konsums legaler und illegaler psychoth-     Umwandlung in eine gemeinnützige Aktiengesellschaft er-
ropischer Substanzen im Jugendalter. Im Vergleich zu Erwachse-     folgt bei der lups per 1. Juli 2022.
nen schätzen Jugendliche potentielle Gefahren als geringer ein.
                                                                   Beziehung im Mittelpunkt – so lautet unser Versprechen an
Im Erwachsenenalter sind insbesondere die Medikamente wie          unsere Patient*innen, Bewohner*innen, Mitarbeiter*innen,
auch der Alkohol besonders problematisch. Die vergangenen          Zuweisenden und Partner. Und das nicht nur zu «normalen
Monate mit den pandemiebedingten Veränderungen hatten              Zeiten». Denn auch während der Pandemie halten wir unsere
auch Auswirkungen auf das allgemeine Suchtverhalten.               Angebote verfügbar.

Im Herbstsemester 2020 startete der Joint Master Medizin           Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre und einen opti-
erfolgreich, wenn auch unter «Corona»-Bedingungen vor-             mistischen Blick in die Zukunft.
wiegend im Fernstudium. Wie die Veranstaltungen und Prak-
tika wahrgenommen wurden, schildert ein Studierender des           Peter Schwegler
«Luzerner Tracks».                                                 Direktor / CEO

                                                                                                                                      3
Blickwinkel Hometreatment Nachgefragt - Luzerner Psychiatrie
blickwinkel
Magazin der lups   Titelgeschichte

                                     Die Entwicklung der Eltern-Kind-Bindung
                                     kann unterstützt werden, indem die
                                     Akutbehandlung zu Hause erfolgt.
                                     (Symbolbild)

4
Blickwinkel Hometreatment Nachgefragt - Luzerner Psychiatrie
blickwinkel
                                                                                                      Titelgeschichte     Magazin der lups

Home Treatment
in Zeiten der Pandemie
                      Die zweite Corona-Welle hat die Gemeindeintegrierte Akutbehandlung (GiA)
                      der Luzerner Psychiatrie im Herbst und Winter auch in Form von vielen
                      Patient*innen erreicht, welche durch die Pandemie in Schwierigkeiten geraten
                      sind. Welches sind die Gründe für die erhöhte Nachfrage nach psychiatrischer
                      Akutbehandlung im Home Treatment? Ausschnitte aus dem aktuellen
                      Arbeitsalltag der GiA sollen einen Einblick in mögliche Zusammenhänge
                      geben. Sichtbar werden dabei auch die Herausforderungen, welche die
                      Pandemie an den Arbeitsalltag der GiA-Mitarbeitenden stellt.

Nach der Geburt                                                   Fehlende Behandlungsplätze,
Beispielhaft für den Einfluss der Pandemie kann eine Gruppe       fehlende Tagesstruktur
von Patientinnen angesehen werden, welche in der GiA Luzern       Ein Muster, welches sich über alle Gruppen von Patientinnen
Stadt seit dem Herbst 2020 besonders zugenommen hat:              und Patienten zeigt: Aufgrund der hohen Auslastung psychia-
Noch nie wurden so viele Frauen behandelt, die kurz nach der      trischer Arztpraxen fällt es in der zweiten Welle vielen Men-
Geburt ihres Kindes in psychische Schwierigkeiten geraten         schen schwer, rasch professionelle Hilfe für ihre psychischen
sind. Dank der Möglichkeit, die Akutbehandlung in Form von        Schwierigkeiten zu erhalten. Durch die Verzögerung der Un-
täglichen Hausbesuchen durchzuführen, können Klinikaufent-        terstützung spitzen sich die Schwierigkeiten weiter zu, bis eine
halte oftmals vermieden werden. Dies kommt der Eltern-Kind-       Akutbehandlung unumgänglich wird. Nicht selten handelt es
Bindung und der Stärkung der sozialen Ressourcen in dieser        sich um Probleme, welche mit einer frühzeitigen ambulanten
wichtigen Lebensphase zugute.                                     Behandlung gut zugänglich gewesen wären.

Der Einfluss der Pandemie auf die Patient*innen zeigt sich in     Überhaupt ist es für viele Menschen eine Zeit des langen War-
jedem Fall unterschiedlich, er ist aber unverkennbar. Eine jun-   tens – nicht nur auf Behandlungsplätze. Was im Lockdown der
ge Mutter etwa war nach Geburt ihrer ersten beiden Kinder         ersten Welle noch absehbar erschien, nimmt in der zweiten
jeweils in ihr Herkunftsland gereist, um die ersten Monate in     Welle kein Ende mehr: Das Warten auf die geplante medizini-
engem Kontakt mit der Verwandtschaft zu verbringen. Nach          sche Abklärung, auf das Wiedersehen mit der Familie oder auf
der Geburt des dritten Kindes war dies aufgrund der Pande-        die Wiederaufnahme von Freizeitaktivitäten. Viele tagesstruk-
mie nicht möglich. Sie entwickelte Ängste, depressive Symp-       turierende Angebote für Menschen mit chronischen psychi-
tome und eine Verunsicherung in ihrer Mutterrolle.                schen Erkrankungen wurden pausiert oder eingeschränkt.

In einem anderen Fall fielen den Angehörigen schon bald nach      Wer in dieser Zeit den Job verloren hat, hat grosse Mühe, eine
der Geburt besorgniserregende Veränderungen auf: In zuneh-        neue Anstellung zu finden – eine Situation, welche gerade bei
mend unverständlichem Ausmass sorgte sich die Mutter um           jungen Menschen zu einer merklichen Zunahme von Sinnkri-
die Gesundheit ihres Neugeborenen. Der Partner suchte Hilfe,      sen und Depressionen geführt hat. Nicht zuletzt zeigte sich in
doch aufgrund der erhöhten Nachfrage waren in allen ange-         mehreren GiA-Behandlungen, dass auch die Schliessung der
fragten psychiatrischen Praxen die Behandlungsplätze besetzt.     Fitnesseinrichtungen einen einschneidenden Wegfall von Ta-
Der Zustand der Mutter verschlechterte sich weiter. Sie fühlte    gesstruktur bedeuten kann.
sich beobachtet und fürchtete, die Muttermilch könnte vergif-
tet sein. Nach einer weiteren Zuspitzung der Situation erhielt
sie durch die lups professionelle Hilfe in Form einer Akutbe-
handlung zu Hause.

                                                                                                                                       5
Blickwinkel Hometreatment Nachgefragt - Luzerner Psychiatrie
blickwinkel
Magazin der lups   Titelgeschichte

                                                                                           Unter Einhaltung der Schutzmassnahmen
                                                                                           konnte das Hometreatment aufrechterhalten
                                                                                           werden. (Symbolbild)

       Home Treatment in Isolation und Quarantäne
       Es finden auch Menschen in die GiA-Behandlung, deren psy-          Schutzmassnahmen konnten die täglichen Hausbesuche im
       chische Probleme direkt mit der Ansteckungsgefahr des Virus        Elternhaus fortgesetzt werden. Diese Zeit erwies sich so als
       zusammenhängen. Menschen etwa, die aus Angst vor einer             eine zwar schwierige, aber auch wichtige Phase in der Be-
       Infektion ein übertriebenes Vermeidungsverhalten entwickeln        handlung.
       und in eine zunehmende Abschottung geraten. Hier geht es
       darum, einen guten Umgang mit den Ängsten zu finden und            Dr. med. Fabian Ludwig
       ein sinnvolles Mass bei der Umsetzung der Massnahmen zu            Oberarzt, Stellenleiter GiA Luzern Stadt
       trainieren.

       Und dann natürlich auch die Menschen, die sich selbst mit
       dem Coronavirus infiziert haben oder Kontakt mit einer infi-           Gemeindeintegrierte
       zierten Person hatten. Ein junger Erwachsener etwa litt unter          Akut­behandlung – Hilfe zu Hause
       einer schwierigen Dynamik im Elternhaus und entwickelte                statt in der Klinik
       selbstverletzende Verhaltensweisen. Als er bei einem Kollegen          Die Teams der Gemeindeintegrierten Akut­
       unterkommen konnte, gab ihm dies den nötigen Abstand, um               behandlung (GiA) betreuen und behandeln
       sich auf eine Therapie mit der GiA einzulassen. Kurz nach Be-          Patient*innen wenn immer möglich in ihrem
       handlungsbeginn wurde er jedoch als Kontaktperson identifi-            häuslichen Umfeld. Die Behandlung im
       ziert und in Quarantäne beordert: 10 Tage zurück ins Elternhaus.       sogenannten «Home Treatment» hat den Vorteil,
                                                                              dass Patient*innen auch in einer akuten
       Isolation und Quarantäne bedeuten für Menschen mit einer               Phase in ihrer vertrauten Umgebung bleiben
       psychischen Erkrankung oft eine besondere Herausforderung.             können. Die Behandlung wird individuell
       Schon früh in der Pandemie wurde daher der Entscheid ge-               auf die einzelnen Bedürfnisse angepasst und
       troffen, das Behandlungsangebot der GiA auch für Menschen              die Angehörigen können besser miteinbezogen
       aufrechtzuerhalten, die sich in Quarantäne befinden oder               werden.
       selbst am Virus erkrankt sind. Unter Einhaltung erweiterter            Weitere Informationen unter www.lups.ch

6
Blickwinkel Hometreatment Nachgefragt - Luzerner Psychiatrie
blickwinkel
                                                                                                                Im Fokus   Magazin der lups

Nachgefragt beim
neuen Chefarzt
Stationäre Dienste
                      Dr. med. Lienhard Maeck hat Anfang Januar 2021 seine Arbeit als Chefarzt
                      Stationäre Dienste in der Luzerner Psychiatrie aufgenommen. Blickwinkel wollte
                      wissen, was ihm wichtig ist in seiner Arbeit und wie er in dieser besonderen
                      Zeit von Corona gestartet ist.

Herr Maeck, Sie haben Anfang Jahr Ihre Arbeit
in der lups aufgenommen. Dies in einer
ungewöhnlichen Zeit mit Covid-19. Wie haben
Sie gestartet in der lups?
Meinem Eindruck nach bin ich gut gestartet. Zum einen haben
Julius Kurmann (ehem. Chefarzt Stationäre Dienste, a. d. R.)
und die lups meine Amtsübernahme sorgfältig vorbereitet
und mich frühzeitig mit wichtigen Geschäften vertraut ge-
macht. Ein Einführungsplan half mir zudem, den Betrieb und
die zahlreichen Behandlungsteams kennen zu lernen. Zum an-
deren waren es aber auch viele «Kleinigkeiten», die dazu bei-
getragen haben, dass ich mich von Beginn an wohl fühlen
durfte: Darunter der herzliche Empfang am ersten Tag, die
vielen offenen Gespräche mit meinen neuen Mitarbeitenden
und Geschäftsleitungskolleg*innen – und das überall anzutref-
fende freundlich-interessierte Klima, das es mir leicht machte
(und weiterhin macht), jederzeit Antwort auf meine noch zahl-
reichen Fragen zu finden. Auch, dass meine IT-Ausstattung von      Dr. med. Lienhard Maeck, Chefarzt Stationäre Dienste
Tag eins an funktionierte und alle notwendigen Passwörter pa-
rat waren, habe ich sehr geschätzt – allen an meiner Einarbei-
tung Beteiligten sei an dieser Stelle herzlich gedankt!
                                                                   reibungslos weiterlaufen kann. Was mich persönlich betrifft,
Welches sind besondere Herausforderungen                           durfte ich ja in den vergangenen Wochen viele, für mich neue
in Zeiten von Corona?                                              Gesichter kennenlernen, welche aber durch das erforderliche
Die Corona-Pandemie drängte sich ungefragt in den Vorder-          Maskentragen auf Frisur und Augenpartie reduziert waren.
grund, dominiert seit mehr als einem Jahr das Tagesgeschehen       Das Wiedererkennen unter naturalistischen Bedingungen wird
und schränkt uns in vielfältiger Weise ein. Viel lieber würden     daher herausfordernd sein – wenn es mir nicht in jedem Fall
wir uns voll und ganz unserer Kernaufgabe widmen: Men-             gelingt, was anzunehmen ist, bitte ich schon jetzt um Nach-
schen mit psychischen Erkrankungen zu helfen, was ja an und        sicht. Wie wahrscheinlich die meisten von uns, vermisse ich
für sich schon herausfordernd sein kann. Ich freue mich daher      zudem den spontanen Einsatz mimischer Mitteilungsmöglich-
auf den Tag, ab dem die Pandemie wieder in den Hintergrund         keiten; das Tragen von Masken verleiht unseren Interaktionen
rückt. Gleichzeitig habe ich Respekt für alle, die mit ihrem En-   etwas ungewollt Statisches. Schwierig dürfte das erst recht für
gagement, aber auch ihrer Gelassenheit dazu beitragen, dass        unsere Patient*innen sein, deren Probleme v. a. im Interaktio-
unser wichtiges Angebot auch unter Corona so vergleichsweise       nellen manifest werden.

                                                                                                                                        7
Blickwinkel Hometreatment Nachgefragt - Luzerner Psychiatrie
blickwinkel                       Dienstagnachmittag
Magazin der lups   Im Fokus
                                  und jeden 2. Freitagnachmittag
                                  Sarnen

       Wie organisieren Sie sich im Zusammenhang                             Neben vielem anderen Wichtigen möchte ich noch mein zen-
       mit den verschiedenen Standorten?                                     trales Thema, das der konsequenten Patientenorientierung,
       Ich habe, ganz pragmatisch, den Zeitplan meines Vorgängers            erwähnen. Ich habe mir angewöhnt, jede Massnahme im Hin-
       übernommen. Dienstags bin ich, jeweils halbtags, in Luzern            blick auf den (potentiellen) Patientennutzen zu beurteilen und
       und Sarnen, mittwochs in Luzern. Ansonsten bin ich jeweils in         freue mich über jeden «alten Zopf», der als nicht mehr zeitge-
       der Klinik St. Urban. Fortan werde ich zudem jeden zweiten            mäss – oder eben patientenorientiert – identifiziert und abge-
       Freitag in Sarnen sein, was mir auch die Gelegenheit bietet, an       schafft werden kann. Ich will aber klar anmerken, dass mir die
       einer Patienten-Gesprächsgruppe und Abteilungsversammlung             lups da bereits sehr gut unterwegs scheint!
       teilzunehmen. Die Übernahme des Termingerüsts meines Vor-
       gängers hat – abgesehen vom strukturgebenden Effekt in                Was haben Sie in der kurzen Zeit
       meiner Anfangsphase – den Vorteil, dass ich nichts Wesentli-          an Positivem erlebt?
       ches vergesse. Die Arbeit an drei Standorten finde ich übri-          Sicher zum einen die freundlich-offene Art aller Personen, mit
       gens sehr reizvoll; ich bin gern unterwegs und mag entspre-           denen ich bislang zu tun hatte. Sie stehen jederzeit mit Rat und
       chend auch Road Movies am liebsten, was Filmgenres betrifft.          Tat zur Seite, wenn ich Fragen habe. Aus der sachlich-unaufge-
                                                                             regten Art und Weise, wie z. B. in Rapporten über besonders
       Was ist Ihnen besonders wichtig in Ihrer Arbeit?                      herausfordernde Patientensituationen berichtet wird, konnte
       Die lups ist ein grosser Betrieb mit vielen Standorten, die jeweils   ich zudem ableiten, dass auf den Abteilungen ein hohes Mass
       ihre eigene Geschichte und Besonderheiten haben. Ich würde            an psychiatrisch-psychotherapeutischer Professionalität herrscht.
       gern meinen Teil dazu beitragen, dass sich die Mitarbeitenden         Das finde ich ausgesprochen angenehm und keinesfalls selbst-
       gleichermassen ihrem Standort und der lups als Ganzes ver-            verständlich. In entsprechender Weise scheint mir zudem die
       bunden fühlen; die «gefühlte räumliche Distanz» zwischen den          Bewältigung der Corona-Situation zu laufen: Auch hier herrscht
       Organisationseinheiten sollte entsprechend möglichst klein            Professionalität – und damit auch ein Stück weit Gelassenheit
       sein. Wichtig ist mir zudem der offene, unkomplizierte Aus-           – vor, was sicher allen in vorteilhafter Weise zu Gute kommt.
       tausch mit den Mitarbeitenden. Ich möchte eine Kultur der             Ganz besonders viel Freude habe ich übrigens an der schönen
       offenen Tür pflegen und an dieser Stelle betonen, dass ich für        Umgebung in St. Urban und Sarnen; die Lage der Klinik in Lu-
       Anliegen gern auch kurzfristig zur Verfügung stehe. Das gilt          zern, auf dem Areal des Kantonsspitals, ist wiederum ein aus-
       übrigens auch für unsere zahlreichen externen Partner und Zu-         gesprochen strategischer Pluspunkt – und der sich am Morgen
       weisenden, von denen ich schon einige kennenlernen durfte.            bietende Blick auf die Berge einfach nur grandios!

8
Blickwinkel Hometreatment Nachgefragt - Luzerner Psychiatrie
Dienstagvormittag                                                                                                                       blickwinkel
                                                                                                                          Im Fokus    Magazin der lups
und Mittwoch
Luzern

                                                                                Montag,
                                                                                Donnerstag,
                                                                                Freitag
                                                                                St. Urban

         Was gehen Sie Neues an?
         Die lups ist ein innovationsfreudiger Betrieb und befindet sich    herausfordernder therapeutischer Situationen sinnvoll und
         schon länger in einem dynamischen Veränderungsprozess; je-         sollte grundsätzlich so bleiben. Dennoch könnte man relative
         der Veränderung, wie sinnvoll sie auch sei, haftet aber auch       Schwerpunktbildungen fördern, in dem z. B. spezifischere Kom-
         immer etwas Herausforderndes an. Das – und meinen bislang          petenzen, wie etwa zur Behandlung von Zwangserkrankun-
         noch bescheidenen lups-Erfahrungshorizont – habe ich vor           gen, auf bestimmten Abteilungen gebündelt würden. Meiner
         Augen, wenn es darum geht, das Bestehende weiter zu entwi-         Überzeugung nach würde sich das positiv auf unsere Behand-
         ckeln. Als bekannt vorausgesetzt sei weiterhin das Wissen um       lungsprozesse auswirken; nebenbei würde es auch den Mitar-
         die in den kommenden Jahren anstehenden Projekte, darun-           beitenden Anreize bieten, sich interessengeleitet und praxisre-
         ter das Projekt KANT (Krisen-, Abklärungs-, Notfall- und Triage­   levant weiterzuqualifizieren.
         zentrum lups), auf dessen Umsetzung ich mich besonders freue.
                                                                            Nicht zuletzt würde ich es begrüssen, würde die lups ihr Angebot
         Mir liegt viel daran, die lups als Weiterbildungsstätte für        biologisch orientierter Behandlungsmethoden nachfrageori-
         Ärzt*innen und Psycholog*innen attraktiv zu halten. Speziell       entiert erweitern. Das könnte etwa die Elektrokonvulsionsthe-
         aus der bei uns gut etablierten Zusammenarbeit beider Berufs-      rapie (EKT), die repetitive transkranielle Magnetstimulation
         gruppen ergeben sich Chancen, die aber vielleicht auch noch        (rTMS) oder auch die Behandlung mit Esketamin betreffen.
         nicht vollständig ausgeschöpft sind: Psycholog*innen sind          Der Patient*innennutzen wäre z. B. im Falle therapierefraktärer
         mitunter erfahrener, was das Leiten therapeutischer Gruppen        depressiver Erkrankungen gegeben, darüber hinaus böte sich
         betrifft, umgekehrt wissen Ärzte mehr in Bezug auf mögliche        die Möglichkeit, unsere ohnehin schon gut etablierte Zusam-
         somatische Ursachen psychischer Störungen. Für beide ist das       menarbeit mit unseren somatischen Partnern weiter zu vertiefen.
         spezifische Können und Wissen der jeweils anderen Berufs-
         gruppe relevant und könnte im Sinne einer Win-Win-Situation        Vielen Dank Herr Maeck für das Gespräch. Wir wünschen Ihnen
         auf verschiedenen Ebenen besser «abgeschöpft» werden.              viel Energie und Erfolg für die Umsetzung Ihrer Ideen und Ziele.

         Speziell im Akutbereich fällt mir auf, dass alle Abteilungen in-   Für das Interview:
         haltlich breit aufgestellt sind und die sich daraus ergebende      Silvia González, Teamleiterin Kommunikation & Marketing
         Abwechslung explizit schätzen. Das ist auch im Hinblick auf die
         Notwendigkeit einer einigermassen gleichmässigen Verteilung

                                                                                                                                                   9
Blickwinkel Hometreatment Nachgefragt - Luzerner Psychiatrie
blickwinkel
Magazin der lups   News

       Resilienz in Zeiten
       der Pandemie
                             Das Jahr 2020 wird uns als «Corona-Jahr» mit seinen vielfältigen
                             Einschränkungen und kollektiven Herausforderungen wohl lebenslang
                             in Erinnerung bleiben.

       Unter den heutigen «Middle Agern» dürften wahrscheinlich            Claim «Beziehung im Mittelpunkt» – Beziehungen. Und gerade
       nur der Fall des «Eisernen Vorhangs» im Jahr 1989 oder «Nine        unsere Beziehungsgestaltung wird ja von der Pandemie in be-
       Eleven» eine Prägung vergleichbaren Ausmasses hinterlassen          sonderer Weise tangiert.
       haben. Hinzu kommt, dass das pandemische Geschehen noch
       nicht überwunden ist und – trotz inzwischen verfügbarer Imp-        So zeigt sich aktuell, dass vor allem die unter 30-jährigen ver-
       fungen – vorerst weiter alltagsprägend bleiben dürfte. Diejeni-     mehrt an Gefühlen von Sinnlosigkeit und Hoffnungslosigkeit
       gen, die der aktuellen Unsicherheit und den Belastungen mit         leiden. Einer Studie der Universität Basel zu Folge soll derzeit
       Ruhe, Gelassenheit und Zuversicht begegnen können, verfü-           jede dritte Person zwischen 14 und 24 Jahren an ausgepräg-
       gen über ein gutes Mass an Resilienz. Wörtlich übersetzt be-        ten depressiven Symptomen leiden. Entsprechend ist es wäh-
       deutet Resilienz die Fähigkeit, «zurückspringen» zu können,         rend der anhaltenden Pandemie in der jüngeren Altersgruppe
       nach einem aversiv erlebten Ereignis also in einen stabilen         zu einer markant erhöhten Nachfrage nach psychotherapeu-
       Ausgangszustand zurück zu kehren. Je resilienter jemand ist,        tisch-psychiatrischen Dienstleistungen gekommen. In der be-
       desto kleiner ist die Anfälligkeit für psychische Leiden: Dabei     treffenden Kohorte bedingt die mit Kontakteinschränkungen
       zeigen sich Menschen mit höherer Resilienz rascher in der           bis hin zur Isolation einhergehende neue Alltagsrealität eine
       Lage, herausfordernden Situationen mittels stressvermindern-        relativ stärkere Abnahme an sozialen Interaktionsmöglichkei-
       der Verhaltensanpassungen zu begegnen. Streng genommen              ten und positiv erlebter interpersoneller Nähe. Das fällt noch
       würden sie also nicht nur in einen Ausgangszustand zurück           mehr bei den Adoleszenten ins Gewicht, die in dieser prägen-
       gelangen, sondern sich in Form einer Anpassungsleistung             den Transitionsphase die Basis für ihre spätere Fähigkeit legen,
       weiterentwickeln. Dieser Umstand ist mitunter gemeint, wenn         tragfähige und resilienzfördernde Beziehungen einzugehen.
       vielerorts etwas schablonenhaft gesagt wird, dass Krisen auch       Die ältere Generation hingegen, sofern nicht von schwerer
       Chancen seien.                                                      Krankheit oder Vereinsamung betroffen, erweist sich als ver-
                                                                           gleichsweise psychisch robuster. Ihnen kommt u. a. ihre Lebens­
       Psychische Widerstandskraft                                         erfahrung entgegen, die sie gelehrt hat, einen etwas routinier-
       Das Ausmass unserer psychischen Widerstandskraft ist un-            teren Umgang mit aversiven Situationen zu finden.
       gleich verteilt; ein Teil hat biologische Wurzeln, ein anderer
       Teil ist das Ergebnis unserer individuellen Lebensgeschichte        Es stellt sich also die Frage, was in einer Zeit, in der weniger
       und -erfahrungen. Da wir – wenn auch nicht vollumfänglich –         persönliche Kontakte als üblich möglich sind, zum Erhalt res-
       Einfluss auf die Erfahrungen haben, die wir machen, ist Resili-     pektive zur Verbesserung der Resilienz dienlich sein könnte.
       enz keine Konstante, sondern veränderbar. Im therapeutischen        Auch hier liegt ein Schlüssel in unserer Beziehungsgestaltung.
       Kontext gilt es dabei zu lernen, Krisensituationen als Heraus-      Die Beziehungsqualität zu Anderen – und damit die Resilienz
       forderungen zu betrachten und ihnen Zuversicht, Hartnäckig-         der Beteiligten – lässt sich auch und gerade in der aktuellen
       keit und aktive Problemlösungsstrategien entgegen zu setzen,        Stresssituation verbessern, wenn man nach Anderen schaut
       etwa analog einem Bergsteiger, der konkrete Überlegungen            und Ihnen z. B. mit einer Extraportion Hilfsbereitschaft, Höf-
       anstellt, wie sich ein herausfordernder Gipfel bezwingen lies­se.   lichkeit, Rücksichtnahme und Respekt begegnet. Die beein-
       Ein zentraler resilienzfördernder Faktor sind – getreu unserem      druckenden, z. T. sehr kreativen, Formen der Nachbarschafts-

10
blickwinkel
                                                                                                                 Im Fokus    Magazin der lups

              Emotionen
               steuern,
               Impulse
             kontrollieren

                                                                    Ziele setzen
                                                                    und angehen

 Selbst­                                                                                    Soziales
kontrolle                                                                                  Netzwerk

                                         Resilienz
    Selbst­
   vertrauen                                                                                     Fähigkeit
                                                                                                 Probleme,
                                                                                                 Krisen zu
                                                                                                bewältigen

                Optimistische
                Grundhaltung
                                                                      Humor

  Corona wird vorerst weiterhin alltagsprägend sein. (Symbolbild)

  hilfe unter Lockdown-Bedingungen im Frühjahr 2020 können              Wenn sich also die lups, ihrem Motto «Beziehung im Mittel-
  in diesem Zusammenhang als Ausdruck menschlicher Anpas-               punkt» entsprechend, für eine positive Beziehungsgestaltung
  sungsleistungen zum Erhalt bzw. zur Verbesserung von Resi-            zu ihren Patientinnen und Patienten sowie anderen An-
  lienz verstanden werden. Sowohl die Helfenden als auch die            spruchsgruppen einsetzt, leistet sie ganz nebenbei einen
  Hilfeempfangenden konnten davon im Sinne einer Win-Win-               wichtigen Beitrag zur Steigerung von Resilienz – der der An-
  Situation profitieren: Einerseits führte die entgegengebrachte        deren, aber auch der Unseren.
  Unterstützung tendenziell zu einer Verbesserung der Bezie-
  hungsqualität untereinander. Zum anderen war auch das                 Dr. med. Lienhard Maeck
  Empfangen von Hilfe ein resilienzverbessernder Faktor. Denn           Chefarzt Stationäre Dienste
  das sich darunter einstellende Gefühl von «Urvertrauen»,
  nachdem Hilfe kommt, wenn man welche benötigt, ist eben-
  falls Ausdruck von Resilienz.

                                                                                                                                       11
blickwinkel
Magazin der lups   Im Fokus

       Mischgebrauch von
       Substanzen und
       Polytoxikomanie
       als klinisches
       Problem
                         Bei der Entwicklung einer Polytoxikomanie
                         spielen biologische, psychologische und soziale
                         Faktoren eine Rolle. Zudem ist auch die
                         Interaktion von Substanzen von Bedeutung.
                         Viele biologische und psychologische
                         Risikofaktoren für eine Abhängigkeits­­-
                         ent­wicklung sind substanzunspezifisch.
                         So bewirken alle Substanzen – abgesehen
                         von den Halluzinogenen – eine Aktivierung
                         des mesolimbischen Belohnungssystems.

                                                                           Jugendliche schätzen potentielle Gefahren
                                                                           weniger ab als Erwachsene. (Symbolbild)

12
blickwinkel
                                                                                                            Im Fokus      Magazin der lups

Hierbei kann die gemeinsame Einnahme von mehreren Sub­            unterschiedlichen Zwecken einzusetzen. Es besteht ein hohes
stanzen zu einer zusätzlichen Aktivierung des dopaminergen        Vertrauen innerhalb dieser subkulturellen Peergruppe.
Systems führen. Auch genetische Untersuchungen lassen ver-
muten, dass es neben substanzspezifischen genetischen Risiken     Früherkennung von Polytoxikomanie­
auch substanzunspezifische Risiken gibt. Eine gemeinsame,         problemen bei Jugendlichen
eventuell auch vererbbare Disposition zur Entwicklung einer       Die Entwicklung einer Polytoxikomanie ist ein komplexes bio-
Abhängigkeitserkrankung könnte in bestimmten Persönlich-          psychosoziales Geschehen, welches die Konsument*innen,
keitszügen bestehen wie z. B. dem Reizhunger (novelty seeking)    ihre Umgebung und deren Interaktion betrifft. Dabei spielen
oder der Unlustvermeidung (harm avoidance).                       Risikofaktoren auf der Seite des Individuums, der konsumier-
                                                                  ten Substanz und des sozialen Kontextes eine Rolle. Einige
Bei gegebener genetischer und psychischer Disposition neh-        Grundmuster zeigen eine frühe Gefährdung und damit die
men dann auch soziale Faktoren Einfluss darauf, welche Ab-        Notwendigkeit einer frühen Intervention an:
hängigkeit und wie viele Abhängigkeiten sich manifestieren.       – f rüher Beginn des Konsums (vor dem 12. Lebensjahr,
Zu diesen sozialen Faktoren gehören die Verfügbarkeit be-            ggf. präpubertär)
stimmter Substanzen und deren Präferenz und Akzeptanz in          – s chnelle Dosissteigerung
der sozialen Referenzgruppe.                                      – z unehmend sozial isolierter Konsum, ausserhalb von
                                                                     Peergruppen
Abhängigkeitsentwicklung bei Jugendlichen                         – E innahme von mehr als einer Substanz
Die adoleszenztypische Risikowahrnehmung spielt aus ent-          –w  ahllos oder gezielt abrupte und nachhaltige Wechsel
wicklungs-psychologischer Perspektive eine besondere Rolle           der Peergruppe
bei der Intensität des Konsums legaler und illegaler psychotro-   – T eilnahme an drogenfokussierten Kulturen
per Substanzen im Kindes- und Jugendalter.                        –g  edankliche Fokussierung auf Substanzkonsum
                                                                  – k omorbide Problematiken, meistens psychischer Natur
Im Vergleich zu Erwachsenen schätzen Jugendliche potenzielle      – f rühe Devianz
Gefahren als geringer ein. Das Jugendalter ist typischerweise     – innerfamiliäre Belastungen
stark geprägt vom mehrdimensionalen Persönlichkeitsmerkmal        – k onsumierende Eltern
des «sensation seeking» und ist ein Faktor, der das Risikover-    – F unktionalität des Konsums bei der Bewältigung von
halten im Jugendalter beeinflusst. Jugendliche streben da-           Entwicklungsaufgaben
nach, neue intensive und komplexere Erfahrungen und Ein-
drücke zu erlangen mit der Bereitschaft, physische, soziale,      Das Konzept dieser Risikofaktoren ist hilfreich beim Gesamtver-
juristische und finanzielle Risiken in Kauf zu nehmen.            ständnis und der Herleitung eines Drogenproblems. Die Früher-
                                                                  kennungskriterien zeigen bereits im Kern einige diagnostische
Die erhöhte Bereitschaft des Merkmals «sensation seeking»         Kriterien der späteren Polytoxikomanieerkrankung. Temporärer
im Jugendalter korrespondiert mit einer erhöhten Wahrschein-      Konsum bei Jugendlichen meint, dass sie über mehrere Tage
lichkeit, legale wie illegale psychotrope Substanzen zu konsu-    und intensiv Drogen gebrauchen, dann längere Pausen mit
mieren.                                                           scheinbarer Drogenfreiheit zeigen, um angesichts auslösender
                                                                  Ereignisse oder bei Wechsel in eine riskante Peergruppe wieder
Jugendliche konsumieren Drogen mit dem Ziel bestimmter            in die Polytoxikomanie-Verhaltensweise zurückzufallen. Damit
Wahrnehmungs- und Stimmungsveränderungen. Zum Bei-                werden Beobachtungen über einen längeren Zeitraum, mehrfa-
spiel führten Ecstasy oder Metamphetaminen zu gehobener           che Befragungen, der Einbezug verschiedener Bezugspersonen
Stimmungslage, wirken aufputschend, antriebs- und leistungs-      oder objektiver Werte (Laborwerte) notwendig.
steigernd. Wenn die erlebte «Geschwindigkeit» zu hoch ist,
wird mit Cannabis oder Alkohol runter reguliert. Sie lernen in    Der Selbstdarstellung des Jugendlichen ist in dieser frühen Pha-
ihrer Peergruppe, wie die verschiedenen Drogen zu konsumie-       se ebenfalls hohe Bedeutung beizumessen, denn die Simulati-
ren sind, erlernen sowohl die Technik als auch in der Regel die   ons- und Verschleierungstendenzen, die für den ernsthaft Dro-
Risiken und erfahren auch die unterschiedlichen Drogen zu         genabhängigen typisch sind, finden sich in dieser Phase klinisch

                                                                                                                                     13
blickwinkel
Magazin der lups    Im Fokus

                                                                                                                                    Innerhalb der
                                                                                                                                    subkulturellen
                                                                                                                                    Peergruppen besteht
                                                                                                                                    ein hohes Vertrauen
                                                                                                                                    in der Adoleszenz.
                                                                                                                                    (Symbolbild)

       weniger ausgeprägt. Den Angaben des durchschnittlichen klini-              findet, oder ob ein traumatisiertes Mädchen seine Flashbacks
       schen Jugendlichen über Menge, Art der Drogen und Konsum-                  und Erinnerungen nur mit einem abendlichen Cannabis-Joint
       muster kommt eine recht hohe Glaubwürdigkeit zu. Im forensi-               ertragen kann. In der Beurteilung ist zu beachten, dass die
       schen Kontext stellt sich dies allerdings häufig anders dar.               Jugendlichen selbst diese funktionalen Zusammenhänge nicht
                                                                                  oder nur unzureichend erkennen oder reflektieren.
       Jugendliche greifen häufiger zu leichter verfügbaren Drogen
       als Erwachsene, da sie meistens über weniger Geld und Zu-                  Therapieplanung
       gang zum Markt verfügen. Die individuelle Funktionalität des               Auf dem Boden der individuellen Risikokonstellation in der
       Konsums ist für die Beurteilung der Polytoxikomaniegefähr-                 Vorgeschichte, dem aktuellen Polytoxikomanieverhalten und
       dung, für die Diagnostik und die Interventionsplanung von                  den mittels des Multiaxialen Diagnoseschemas MAS diagnos-
       ausschlaggebender Bedeutung. So ist es ein relevanter Unter-               tizierten Auffälligkeiten und Erkrankungen ist insbesondere
       schied, ob ein sozial ängstlicher und schüchterner Pubertie-               bei schweren Polytoxikomanieerkrankungen ein langfristiger,
       render durch einen frühen Drogenkonsum überhaupt An-                       Rückschritte mit einbeziehender Therapieplan, anhand der
       schluss an Gleichaltrigen-Gruppen oder an den «Partnermarkt»               AWMF-Leitlinien* unumgänglich.

       *Die AWMF ist eine freiwillige Vereinigung der medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften, der sich der weitaus grösste Teil dieser
       Gesellschaften angeschlossen hat. Sie sieht ihr Wirkungsfeld im Bereich der Wissenschaftspolitik, soweit die Medizin betroffen ist, und
       hat keine Ziele auf berufspolitischem Gebiet. Sie verfolgt und fördert die wissenschaftliche Entwicklung der Medizin einschliesslich der
       Zusammenhänge mit der ärztlichen Praxis.

14
blickwinkel
                                                                                                              Im Fokus     Magazin der lups

Für jede Achse des multiaxialen Klassifikationsschemas (s. Abb.   Die Qualifikation des Entzuges meint, dass diese Interventions-
unten) sollte dabei der funktionale oder gegebenenfalls kausale   phase komplexe, der Jugendlichkeit der Patienten angemesse-
Zusammenhang mit einer Suchtstörung herausgearbeitet wer-         ne Interventionen beinhalten soll, die über das Mass der Inter-
den. Häufig stehen bei suchtkranken Jugendlichen akute soziale,   ventionen bei Erwachsenen hinausgehen. Dies betrifft den
schulische oder medizinische Probleme im Vordergrund, die ei-     Einbezug sozial- und familientherapeutischer Massnahmen, die
nerseits bewältigt werden müssen, andererseits nicht von einer    Therapie von (oftmals) psychiatrischen Primärstörungen, die be-
langfristigen Prozessdiagnostik ablenken dürfen.                  ständige Motivationsarbeit und die Lebensweltorientierung.
                                                                  Die individuelle Funktionalität des Konsums ist zentral. Ohne
Auch hierin ähnelt die Arbeit mit polytoxikomaniekranken          eine integrierte klinische Sozialarbeit und Sozialpädagogik blei-
Minderjährigen in weiten Teilen der mit Erwachsenen. Wie bei      ben Entgiftungsmassnahmen, rein psychiatrisch-medizinisch
Letzteren, beginnt der interventive Verlauf mit der Diagnostik,   orientierte Kriseninterventionen und allgemeine Psychoedukati-
nicht selten mit einer Akutintervention, und daran schliesst      on weitgehend wirkungsarm. In einer späteren Phase werden
sich die spezifische Therapie der Polytoxikomanie und beglei-     Jugendliche innerhalb langfristiger Massnahmen in den Alltag
tender Erkrankungen an. Im Gegensatz zu Erwachsenen ist           reintegriert, was alle Umwelten (schulische, soziale Kontakte,
bei Jugendlichen der sogenannte «qualifizierte Entzug» stets      Gesundheit, Familie etc.) betreffen soll. Suchtmedizinische Inter-
indiziert.                                                        ventionen sind zu einem grossen Teil regionale Netzwerkarbeit.

                                               Achse 1                             Achse 2
                                 Psychiatrische Störung                            Teilleistungsstörungen

                            Achse 6                                                                  Achse 3
                         Schweregrad                                                                 Intelligenzprofil

                                            Achse 5                                Achse 4
                     abnorme psychosoziale Umstände                                körperliche Erkrankungen

Multiaxiales Klassifikationsschema seelischer Erkrankungen
im Kindes- und Jugendalter

                                                                                                                                       15
blickwinkel
Magazin der lups   Im Fokus

                                                                                                  Behandlungsziele werden gemeinsam mit
                                                                                                  der betroffenen Jugendlichen besprochen
                                                                                                  und festgelegt. (Symbolbild)

       Wichtige allgemeine Grundsätze der Behandlung von jugend-        im Rahmen der Entwicklung des Behandlungsplans verbindli-
       lichen Patienten mit einer Störung durch Substanzen sind die     che Absprachen zu treffen, welche Konsequenzen ein positiver
       folgenden (siehe grundlegend AACAP [Amerikanische Akade-         Testbefund nach sich zieht.
       mie für Kinder- und Jugendpsychiatrie] 2005 sowie aktuelle
       AWMF-Leitlinien):                                                Die Zusammenarbeit mit sozialen Diensten, Schule/Berufsfin-
       – Primäres Behandlungsziel bei psychisch kranken Jugendli-      dung und Jugendamt ist zur Entwicklung weiterer Lebensper-
          chen ist das Erreichen von Abstinenz. Vertretbare Zwischen-   spektiven für den Jugendlichen von hoher Bedeutung. Das
          ziele können im Einzelfall jedoch sein: Verringerung des      Erreichen dauerhafter Abstinenz ist an den Aufbau eines sub-
          Substanzkonsums und sich daraus ergebender negativer          stanzfreien Lebensstils mit Beziehungen zu prosozialen, absti-
          Folgen, Verringerung von Rückfallhäufigkeit und -schwere,     nenten Jugendlichen und der Entwicklung geeigneter alterna-
          Verbesserung des Funktionsniveaus des Jugendlichen.           tiver Freizeitaktivitäten gebunden. Komorbide Störungen
       – Die Festlegung von Zielen sollte in enger Abstimmung mit      werden in ihrer Bedeutung für das Suchtgeschehen diagnosti-
          dem Patienten, aber auch anderen betroffenen Personen         ziert und behandelt, nicht selten gleichzeitig mit der Polytoxi-
          und Institutionen, etwa dem Jugendamt, erfolgen.              komanie. Die Indikation von Anschluss- oder längerfristigen
       – Die Patienten sollen Problemeinsicht und die Motivation       Massnahmen ist zu überprüfen, gegebenenfalls werden diese
          zu einer weiterführenden Behandlung erlangen.                 dann eingeleitet.
       – Hohe Eigenmotivation ist eine Voraussetzung für die
          Effektivität einer Behandlung, auch Sanktionen durch          Nachsorge und Rückfallprophylaxe
          wichtige Bezugspersonen oder institutionelle Auflagen         Einmal erreichte Behandlungserfolge sollten durch Nachbe-
          mit klaren Regeln und Strukturen können den Behand-           handlungen stabilisiert werden. Die Rückfallwahrscheinlich-
          lungserfolg verbessern.                                       keit ist innerhalb der ersten drei Monate nach stationärer Be-
       – Massnahmen zur Verminderung der Abbruch-                      handlung am grössten. Jugendliche mit komorbiden
          Wahrscheinlichkeit sollten eingeführt werden.                 psychiatrischen Störungen, hoher psychosozialer Belastung,
       – Die Jugendlichen benötigen bei jedem Therapieschritt          geringem Interesse an Schule bzw. Beruf, geringen sozialen
          Klarheit über die weitere Entwicklung, verlässliche Zusagen   Fertigkeiten und wenig aktiver Freizeitgestaltung und Jugend-
          und transparente Kommunikation der Hilfeanbieter.             liche, die in einer devianten Freundesgruppe verbleiben oder
       – Verhaltensorientierte Interventionen sind unverzichtbare      bei denen keine Nachbehandlung erfolgt, sind am stärksten
          Komponenten jedes Behandlungsprogramms.                       rückfallgefährdet. Deshalb sollte im Rahmen der Behandlung
       – Familientherapeutische Interventionen sind ein ausser­        ein kontinuierlicher Übergang des Patienten in die multimoda-
          ordentlich wichtiger Bestandteil der Behandlung von           le Nachbehandlung sichergestellt werden. Der Einbezug «sig-
          substanzabhängigen Patienten.                                 nifikanter Anderer» in Nachsorge und Rückfallprophylaxe,
       – Eine allfällige medikamentöse Unterstützung ist sorgfältig    seien es drogenfreie Freund*innen, Lehrer oder sorgeberech-
          zu evaluieren und planen.                                     tigte Erwachsene kann die Effektivität der Intervention in der
                                                                        Realität verbessern.
       Die Wirksamkeit der Behandlung muss wiederholt durch ob-
       jektive Befunde, in der Regel mittels Urinkontrollen und Be-     Dr. med. Oliver Bilke-Hentsch, Chefarzt Kinder- und Jugendpsychiatrie
       stimmung der Medikamentenspiegel im Sinne eines therapeu-        Dr. med. Raphaela Jülke, Leitende Ärztin Kinder- und Jugendpsychiatrie
       tischen drug-monitorings überprüft werden. Im Vorfeld sind       Sarah Theiler, Assistenzärztin Kinder- und Jugendpsychiatrie

16
blickwinkel
                                                 Im Fokus          Magazin der lups

Sucht im Alter
in Zeiten der
Corona-Pandemie
    Wie hat sich das Konsumverhalten und die Beratung
    und Therapie der älteren Bevölkerung verändert?
    Tabak, Alkohol, Medikamente, Online-Medien – die
    Zahl der Suchtmittel ist gross. Im Alter sind ins­­be­
    sondere die Medikamente wie auch der Alkohol
    besonders problematisch, doch auch andere Sucht-
    mittel wie z. B. Tabak sind präsent. Die vergangenen
    Monate mit den pandemie­bedingten Veränderungen
    hatten eine Auswirkung auf das allgemeine
    Suchtverhalten.

                           Übermässiger Alkoholkonsum im
                           fortgeschrittenen Alter erhöht das
                           Risiko für körperliche und psychische
                           Erkrankungen. (Symbolbild)

                                                                             17
blickwinkel
Magazin der lups   Im Fokus

                                                                                                                Die begrenzten Ressourcen
                                                                                                                werden in der aktuellen
                                                                                                                Situation noch mehr
                                                                                                                beschränkt. (Symbolbild)

       Suchtverhalten steigt in Zeiten                                    für körperliche und psychische Erkrankungen an und Wech-
       einer Pandemie                                                     selwirkungen zwischen dem übermässigen Konsum und die-
       Etliche Untersuchungen zu diesem Thema wurden gemacht,             sen Faktoren nehmen zu.
       so wurde zum Beispiel der Tabakkonsum während der Pande-
       mie untersucht (Unisanté und Suchtschweiz, Juli 2020). Wäh-        Einschränkungen im Alltag treffen ältere
       rend viele Raucherinnen und Raucher versuchten ihren Tabak-        Menschen in mehrfacher Hinsicht
       konsum zu senken, haben fast doppelt so viele (15.1 %) ihren       Ältere Menschen trifft die Coronakrise besonders hart, schwie-
       Konsum gesteigert. Die Absicht mit dem Rauchen aufzuhö-            rige Lebenssituationen, v. a. Verlusterfahrungen wie Tod einer
       ren, war v. a. bei Menschen vorhanden, die wegen ihres Tab-        nahestehenden Person, Kontaktbeschränkungen oder der
       akkonsums die negativen Folgen einer Ansteckung fürchteten.        Wegfall von Tagesstrukturen können mögliche Gründe sein.
                                                                          Ältere Menschen verfügen oft über ein kleines soziales Netz-
       Schon Studien im Zusammenhang mit früheren Pandemien               werk und haben nur wenige soziale Kontakte, sei es aus Grün-
       hatten aufgezeigt, dass Probanden, die längere Zeit in Qua-        den der Mobilität, der finanziellen Möglichkeiten oder des
       rantäne gewesen waren, eine höhere Anzahl an Kriterien für         immer kleiner werdenden Freundes- und Familienkreises. Die
       eine Alkoholabhängigkeit erfüllten. Der schädliche Alkohol-        Pandemie hat diese begrenzten Ressourcen weiter einge-
       konsum stieg in den letzten Monaten der Corona-Krise um ein        schränkt, viele ältere Menschen verbrachten die meiste Zeit
       Drittel (Studie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit      alleine zu Hause oder in einer Pflegeeinrichtung. Und selbst in
       Mannheim, Klinikum Nürnberg, 2020). Vor allem Menschen             stationären Einrichtungen wurden Kontakte seltener, Besuche
       mit einem hohem Stresslevel und einem geringen sozialen            waren nicht mehr erlaubt oder eingeschränkt, gemeinsame
       Status gaben an, in der Krise mehr Alkohol zu trinken. Ver-        Essen und Aktivitäten fielen weg, positive Tagesstrukturen lös-
       mehrte Sorgen, z. B. um die eigene Gesundheit oder die der         ten sich auf. Viele ältere Menschen fühlen sich vereinsamt,
       Familie und weniger Kompensationsmöglichkeiten scheinen            sehen keinen Lebenssinn und wenig Perspektive.
       dazu beizutragen. Für viele Menschen sind Alkohol oder Me-
       dikamente ein Bewältigungsmechanismus der ihnen hilft              Die Sucht ist meist nicht das Hauptproblem, die eigentlichen
       Ängste, Sorgen und Einsamkeit zu mildern und sich zu ent-          Probleme liegen tiefer. Einsamkeit, Hilflosigkeit, Depression
       spannen. Und vielen Menschen fehlen genügend Gründe um             oder Ängste sind oft das Fundament, auf dem die Sucht steht
       nicht zu trinken. Laut Bundesamt für Statistik steigt der Anteil   und dieses wurde in den Zeiten der Pandemie gelegt oder ver-
       der Personen, die täglich Alkohol trinken mit dem Alter an,        stärkt. Der Wegfall der sozialen Kontrolle, z. B. durch die re-
       über 40 % der Männer und fast 20 % der Frauen über 75 Jah-         gelmässigen Familien- oder Arztbesuche, das gemeinsame
       ren konsumierten schon 2018 täglich Alkohol, es ist davon          Jassen mit den Freunden, verschärft das Problem. Wem fällt es
       auszugehen, dass diese Zahlen weiter angestiegen sind.             auf wenn Frau Meier immer stiller wird, häufiger stürzt und sich
       Gleichzeitig steigt mit dem fortschreitenden Alter das Risiko      in ihrem Schlafzimmer die Medikamentenschachteln stapeln;
       Drop-in

18
blickwinkel
                                                                                                                 Im Fokus      Magazin der lups

                                                                                           Digitale Beratungsangebote kommen älteren
                                                                                           immobilen Menschen zugute, welche sich
                                                                                           bereits mit der «digitalen Welt» auseinander­
                                                                                           gesetzt haben. (Symbolbild)

oder wer bemerkt, dass Herr Müller seit Wochen nicht mehr         Die Ambulatorien bieten ihre Dienstleistungen ebenfalls um-
die Wohnung verlassen hat, weil er schon am Morgen wegen          fassend an. Zwar wurden zeitweise die ambulanten Therapien
des Alkohols unsicher auf den Beinen ist?                         wo immer möglich per Video und Telefon durchgeführt, doch
                                                                  konnten und können Patient*innen denen dies nicht möglich
Behandlungsketten und digitale                                    ist, auch weiter eine Behandlung vor Ort in Anspruch nehmen.
Dienstleistungen                                                  Dies kommt vielen älteren Menschen sehr entgegen, die sich
Die Beratungs- und Behandlungskette wurde in den letzten          entweder aufgrund gewisser Vorbehalte, fehlender Übung
Monaten unterbrochen. Viele ältere Menschen suchten ihren         oder auch wegen Hörschwierigkeiten mit diesen Angeboten
Hausarzt seltener auf. Sucht- und Beratungsstellen wie auch       schwer tun. Aber immer mehr ältere Menschen schätzen diese
Selbsthilfegruppen versuchten ihr Angebot so weit als mög-        neue Art der «digitalen» Angebote. Für wenig mobile Men-
lich aufrechtzuerhalten doch mussten diese zeitweise schlie-      schen ist es eine Erleichterung, fallen die Reisewege weg. Einen
ssen und konnten ihre Serviceleistungen vorwiegend nur noch       deutlichen Anstieg älterer Menschen mit Suchterkrankungen
per Telefon oder Chat anbieten. Die Inanspruchnahme von           konnten wir bislang in den ambulanten Dienststellen (noch)
Telefonstellen und schriftlichen Anfragen hat zwar zugenom-       nicht verzeichnen.
men, für viele Ältere ist dies jedoch problematisch, insbeson-
dere hochaltrige Menschen tun sich mit Online-Angeboten           Die Konsilien in den Spitälern und Pflegeheimen nahmen nicht
schwer. Für sie sind vor allem der Hausarzt oder die Spitex       wie erwartet zu, wenngleich Suchterkrankungen bei älteren
wichtige professionelle Ansprechpersonen. Müssen diese ihre       Menschen auch dort sehr häufig anzutreffen sind. Vielleicht
Dienstleistungen einschränken, fallen für Ältere zentrale Bera-   werden die Probleme erst in einigen Monaten offensichtlich.
tungsmöglichkeiten und Stützpfeiler weg. Zudem meiden vie-
le Menschen Arztpraxen und andere Angebote aus Angst vor          Nicht zuletzt ist das Drop-in zu erwähnen, das in seiner uner-
einer Ansteckung mit Covid-19.                                    müdlichen Tätigkeit sein Angebot im Rahmen der Pandemie
                                                                  sogar noch ausgebaut hat. Vom Erfolg in der Gassenküche
Angebote aufrechterhalten                                         wurde in der letzten Blickwinkel-Ausgabe bereits berichtet;
Die Luzerner Psychiatrie hat es in den vergangenen Monaten        dieses Erfolgsprojekt kam jungen wie älteren Süchtigen zu
geschafft, ihr Angebot für die ältere Bevölkerung aufrechtzu-     Gute.
erhalten. Auf den Stationen der Alterspsychiatrie wie auch der
Akut- und Suchtabteilung werden weiterhin ältere Menschen         Marion Reichert Hutzli
mit psychischen Problemen aufgenommen. Mit den notwen-            Leitende Ärztin, Ambulante Dienste
digen Sicherheitsmassnahmen erhalten sie eine professionelle
umfassende Behandlung, können wieder eine Tagesstruktur
aufbauen und soziale Kontakte erleben.

                                                                                                                                           19
blickwinkel
Magazin der lups   Im Fokus

       Joint Master Medizin
                              Der Joint Master Medizin hat im Herbstsemester 2020 erfolgreich gestartet.
                              Pro Jahr nehmen rund 40 Studierende ihr Masterstudium Humanmedizin
                              an der Universität Luzern auf, welches in Zusammenarbeit mit der Universität
                              Zürich angeboten wird. Die Luzerner Psychiatrie ist zusammen mit dem
                              Luzerner Kantonsspital, der Klinik Hirslanden St. Anna, dem Schweizer
                              Paraplegiker-Zentrum Nottwil und dem Institut für Hausarztmedizin &
                              Community Care Luzern (IHAM&CC Luzern) eines der Lehrspitäler im Rahmen
                              des Joint Master Medizin.

20
blickwinkel
                                                                                                                  Im Fokus       Magazin der lups

In Kleingruppen werden Themen vertieft

                                                                  Klinische Kurse in der lups

Der Studiengang richtet sich vor allem an Studierende, welche     Patientinnen- und Patientenkontakte, -beispiele und -berichte.
die medizinische Grundversorgung kennenlernen möchten.            Die Dozierenden der Luzerner Psychiatrie waren hochmotiviert
Die Ausbildung findet primär in der Versorgungsregion Zent-       und engagiert. Ihnen gilt ein besonderer Dank.
ralschweiz statt. In der praxisbezogenen Ausbildung lernen
die Studierenden relevante Krankheitsbilder sowie die Aufga-      Wir freuen uns nach diesem erfolgreichen Start auf die zukünf-
ben und Rollen von Ärztinnen und Ärzten in der ambulanten         tige Entwicklung im Joint Master Medizin und geben unser
und stationären Gesundheitsversorgung kennen. Ziel der Aus-       Bestes für eine weiterhin erfolgreiche Umsetzung.
bildung ist das erfolgreiche Absolvieren der Eidgenössischen
Abschlussprüfung, welche Voraussetzung für den Beginn der        Dr. med. Julius Kurmann, Klinischer Dozent Joint Master Medizin,
ärztlichen Weiterbildung ist.                                     Ehem. Chefarzt Luzerner Psychiatrie

Mit dem Themenblock Psyche und Verhalten startete die Luzerner
Psychiatrie im Herbstsemester 2020. Die Studierenden nahmen
sowohl am interaktiven Kleingruppenunterricht zu verschiede-          Joint Master Medizin der
nen psychiatrischen Krankheitsbildern und Themen teil, wie            Universitäten Luzern und Zürich
auch am klinischen Unterricht, der in den verschiedenen Berei-        Während dem Bachelorstudium sind die Studie­
chen der Luzerner Psychiatrie stattfand. Beim interaktiven            renden an der Universität Zürich im «Luzerner
Kleinunterricht konnten die Studierenden in engem Kontakt             Track» immatrikuliert. Einzelne Module und
mit den Dozierenden unter anderem durch ihre Fragen ihr               Kurse werden dabei bereits in Luzern durchge­
Wissen vertiefen und auch «praxistauglich» machen. Beim kli-          führt, beispielsweise im Bereich der hausärztli­
nischen Unterricht ging es vor allem um die praktische An-            chen und psychiatrischen Grundversorgung. Für
wendung des erworbenen Wissens, den Patientenkontakt,                 das Masterstudium wechseln die Studierenden
das Einüben der Rolle als Arzt oder Ärztin und die Auseinander-       an die Universität Luzern und bleiben in einem
setzung mit dem interprofessionellen Arbeiten und Denken.             Mobilitätsstatus an der Universität Zürich
                                                                      immatrikuliert. Der Joint Master Medizin findet
Die Studierenden waren sehr motiviert und aktiv. Sie schätz-          primär in der Versorgungsregion Zentralschweiz
ten vor allem die persönliche Gestaltung des Unterrichts und          statt. Rund zwei Drittel der Lehrveranstaltungen
die Möglichkeit des direkten Austauschs mit den Dozierenden           werden durch die Universität Luzern und ihre
sowie das vermittelte Praxiswissen u. a. durch unterschiedliche       Partnerinstitutionen durchgeführt.
                                                                      www.unilu.ch/studium/studienangebot/master/gwm/medizin

                                                                                                                                           21
blickwinkel
Magazin der lups   Im Fokus

       Joint Master Medizin –
       studieren in
       Zeiten von Corona
                              Im Herbstsemester 2020 startete der Joint
                              Master Medizin. Blickwinkel wollte
                              von einem Studierenden wissen, wie die
                              Veranstaltungen wahrgenommen, welche
                              Eindrücke gesammelt wurden und wie
                              der Unterricht in Zeiten von Corona erlebt
                                                                                                Alain Styger, Student
                              wurde.                                                            4. Studienjahr Humanmedizin

       Herr Styger, weshalb haben Sie sich für den                       Die Bewertung der Veranstaltung Wissens­
       Joint Master Medizin und den «Luzerner Track»                     anwendung und -transfer durch die
       entschieden?                                                      Studierenden war positiv. Welchen Eindruck
       Ehrlich gesagt, wusste ich vor meinem Studienbeginn kaum          haben Sie insgesamt gewonnen?
       etwas über den Joint Master Medizin (JMM) und somit war die       Die grosse Stärke des Kurses war der interaktive Unterricht in
       Entscheidung eher eine geografische, da ich im Kanton Zug         kleinen Gruppen. Die Arbeitsmotivation war komplett anders
       wohnhaft bin.                                                     als bei Vorlesungen mit mehreren hundert Kommiliton*innen.
                                                                         Während des Unterrichts waren wir direkt aufgefordert mitzu-
       Nachdem ich mit meinem Studium begonnen hatte, realisierte        arbeiten, mitzudenken und das erworbene Wissen auch anzu-
       ich rasch, dass mir der Schwerpunkt JMM, den die Universität      wenden.
       Luzern für ihre Studierenden vorgesehen hatte, sehr zusagte.
       Zudem begeisterte mich, dass wir im Master eine kleine, ver-      Was gefiel Ihnen besonders gut und welche
       traute Gruppe sind und somit in einem kleinen Rahmen unter-       Herausforderungen gab es?
       richtet würden.                                                   Sehr eindrücklich war die persönliche Vorstellung eines Patienten
                                                                         mit einer Schizophrenie. So gesehen war es eine Erfahrung,
       Wissen Sie bereits, in welche berufliche                          welche dem psychiatrischen Alltag am nächsten kam.
       Fachrichtung es Sie zieht?
       Diese Frage hat mich während meines Studiums immer wieder         Aufgrund der Corona-Lage wurden die Vor­
       beschäftigt. Lange Zeit war ich hin und her gerissen zwischen     lesungen digital durchgeführt, während der
       Hausarztmedizin, Pädiatrie und Psychiatrie. Ich denke, dass ich   praxisorientierte Unterricht Wissensanwendung
       nach diesem Semester mit den Kursen in Psychiatrie meine          und -transfer persönlich stattfand. Wie haben
       bevorzugte Richtung gefunden habe. Es ist aber auch mög-          Sie diese Mischform des Unterrichts insgesamt
       lich, dass sich das nochmals ändern wird.                         erlebt, wie haben Sie sich motiviert und was
                                                                         haben Sie mitgenommen?
                                                                         Es macht für mich kaum einen Unterschied, ob die Vorlesun-
                                                                         gen im Vorlesungssaal oder digital stattfinden. Beim Wissens­
                                                                         transfer hätte ich sicher etwas vermisst, wenn dieser ebenfalls

22
Sie können auch lesen