Populationsgefährdungsanalyse (PVA): ein Überblick über Konzepte, Methoden und Anwendungsbereiche

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Laufener Seminarbeitr. 3/00, S. 67 - 77 • Bayer. Akad. f. Naturschutz u. Landschaftspflege - Laufen / Salzach 2000

Populationsgefährdungsanalyse (PVA): ein Überblick
über Konzepte, Methoden und Anwendungsbereiche
Volker GRIMM

Einleitung                                                 tiert seien, sind Arbeiten über PVAs heute etablierter
Aufgrund menschlicher Eingriffe in die Natur sind          Bestandteil der ökologischen und Naturschutzlitera-
bereits dramatisch viele Arten unwiderruflich ausge-       tur (BEISSINGER & WESTPHAL 1998). Aber ob-
storben, aber der für die nächsten Jahrzehnte vorher-      wohl die PVA mittlerweile immer stärker in die An-
gesagte Artenverlust ist noch dramatischer und er-         wendung drängt, fehlt bei den Anwendern doch oft
reicht die Dimension der bisherigen fünf Massenex-         ein grundlegendes Verständnis der verwendeten Me-
tinktionen in der Geschichte des Lebens auf der Erde       thoden und Konzepte, sowie der tatsächlichen Ziele
(MYERS 1981, SIMBERLOFF 1986, MAY 1988,                    einer PVA, da ökologische Modellierung bisher an
1990, WILSON 1988, BURGMAN et al. 1993). Vor               deutschen Universitäten kaum gelehrt wird. Deshalb
allem die Zerstörung von Lebensraum hat dazu ge-           verfolgt der vorliegende Beitrag das Ziel, die wich-
führt, dass heute viele Populationen nur noch auf          tigsten Methoden, Konzepte und Ziele der PVA zu
kleine Resthabitate beschränkt sind, so dass auch die      erläutern und an Beispielen zu demonstrieren. Darü-
Restpopulationen meist klein sind. Kleine Populatio-       ber hinaus liefert dieser Beitrag den theoretischen
nen aber sind vom Aussterben bedroht, selbst wenn          und praktischen Hintergrund der drei weiteren
sie auf den Resthabitaten im Mittel günstige Lebens-       Beiträge in diesem Heft, die sich mit PVA beschäfti-
bedingungen vorfinden. Aber warum bedeutet „klein          gen (DORNDORF et al. 2000, DRECHSLER 2000,
sein“ ein hohes Aussterberisiko, und was heißt über-       STEPHAN et al. 2000). Es sei aber betont, dass hier
haupt „klein“? Intuitiv ist klar, dass kleine Popula-      nur ein grober Überblick gegeben werden kann. Als
tionen im Gegensatz zu großen leichter infolge zu-         weiterführende Literatur sei auf zwei didaktisch her-
fälliger Schwankungen aussterben. Aber dieser Intui-       vorragende Lehrbücher hingewiesen, die sich aus-
tion ist nur begrenzt zu trauen, da sich unser Denken      drücklich an Biologen/innen wenden und die Berei-
äußerst schlecht zur Beurteilung von Risiken, d.h.         che Modellbildung (STARFIELD & BLELOCH 1991)
von Wahrscheinlichkeiten eignet. Darüber hinaus            sowie Risikobeurteilung im Naturschutz (BURG-
lässt sich im Naturschutz, d.h. im weitesten Sinne bei     MAN et al. 1993) behandeln. Theoretische Grundla-
Maßnahmen oder Entscheidungen, die dem Schutz              gen zu PVA-Modellen finden sich in WISSEL
von Populationen dienen, mit verbalen Ein-                 (1989), WISSEL et al. (1994). Die aktuellste und um-
schätzungen des Aussterberisikos kaum etwas bewe-          fassendste Überblicksarbeit über PVAs ist BEISSIN-
gen. Einschätzungen wie „extrem gefährdet“ oder            GER & WESTPHAL (1998).
„zu klein“ haben gegenüber den gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Kräften, die das Kleinwerden          Anwendungsbereich und Ziele der PVA
von Populationen verursachen, zu wenig Gewicht.
                                                           Bei der zeitlichen Entwicklung von Populationen, die
Der Naturschutz braucht deshalb zweierlei: zum ei-
                                                           aufgrund irgendwelcher - meist anthropogener - Fak-
nen Quantifizierungen des Aussterberisikos, d.h. Zah-
                                                           toren klein werden, kann zwischen drei Phasen un-
len statt verbaler Einschätzungen, und zum anderen
                                                           terschieden werden (Abb. 1): Zunächst ist die Popu-
eingehende Analysen der Faktoren und Prozesse, die
                                                           lation so groß, dass sie nach menschlichem Ermessen
das Aussterberisiko von Populationen bestimmen.
                                                           nicht vom Aussterben bedroht ist. Zwar schwankt die
Seit Mitte der 80er Jahre versucht die Naturschutz-        Größe der Population aufgrund von Schwankungen
biologie („conservation biology“) diese beiden Ziele       z.B. des Wetters, aber im Mittel bleibt die Population
mit Hilfe der Populationsgefährdungsanalyse („po-          konstant oder wächst sogar an. Alle Modelle der
pulation viability analysis“, PVA) zu erreichen            klassischen theoretischen Ökologie (z.B. WISSEL
(SOULÉ 1986, 1987, GOODMAN 1987a,b, BOYCE                  1989) beziehen sich auf Populationen in diesem ge-
1992, BURGMAN et al. 1993, BEISSINGER &                    sicherten Zustand, denn sie sind alle deterministisch,
WESTPHAL 1998). Das Hauptwerkzeug der PVA                  d.h. sie ignorieren Zufallsschwankungen. In der
sind ökologische Modelle von Populationen oder             zweiten Phase beginnt die Größe der Population im
Metapopulationen, wobei in der Regel Zufallsein-           Mittel abzunehmen, d.h. es liegt ein deterministi-
flüsse berücksichtigt werden. Während BOYCE                scher Trend vor, der sich in einer im Mittel negativen
(1992) noch beklagte, dass die meisten PVAs nur in         Wachstumsrate der Population ausdrückt. Die Ursa-
Form öffentlich unzugänglicher Berichte dokumen-           chen hierfür können natürlicher Art sein (z.B. Suk-

                                                                                                                67
Abbildung 1
                                                                      Typischer Verlauf der Dynamik einer
                                                                      Population, die ausgestorben ist. Die
                                                                      Pfeile über dem Diagramm deuten drei ty-
                                                                      pische Phasen an: In Phase 1 ist die Popu-
                                                                      lation noch so groß, dass Zufallsschwan-
                                                                      kungen keine Gefahr darstellen. In Phase
                                                                      zwei nimmt die Population aus irgendei-
                                                                      nem Grund rapide ab; in diese Phase ist
                                                                      die Wachstumsrate der Population negativ.
                                                                      In Phase 3 ist die Wachstumsrate wieder
                                                                      Null oder positiv, aber die Population ist
                                                                      so klein, dass sie aufgrund von Zufalls-
                                                                      schwankungen ausstirbt. PVA beschäftigt
                                                                      sich vornehmlich mit Phase 3.

zession, Klimaänderung, Etablierung neuer Arten),         zugrunde. Natürlich ist es auch das Ziel jeder PVA,
heutzutage sind es aber meist anthropogene Ursachen       den Ursachen entgegenzuwirken, die Populationen
(vor allem Übernutzung, Vergiftung, Einschleppen          überhaupt erst klein werden lassen. Da hinter diesen
von Fremdarten sowie Habitatzerstörung und -frag-         Ursachen aber oft - mehr oder weniger berechtigte -
mentierung). Nach CAUGHLEY (1994) ist es primä-           gesellschaftliche Interessen stehen, z.B. wenn es um
re Aufgabe der Naturschutzbiologie, in jedem Ein-         Landnutzungen geht, oder um Fischen und Bejagen,
zelfall die Ursache des Rückgangs zu identifizieren       dann reicht es nicht zu fordern diese Ursachen abzu-
mit dem Ziel, diese Ursache abzustellen. Würde der        stellen mit der Begründung dass ansonsten die Popu-
negative Trend der zweiten Phase anhalten, würde die      lationen zu klein würden. Man braucht quantitative
Population früher oder später mit Sicherheit ausster-     Angaben, wann eine Population als so klein anzuse-
ben. Wenn z.B. der Bejagungsdruck auch bei kleinen        hen ist, dass sie allein aufgrund zufälliger Schwan-
Populationen unvermindert anhält, dann wird die Po-       kungen höchstwahrscheinlich aussterben wird. Man
pulation mit Sicherheit bald ausgerottet sein. Meist      braucht gute quantitative Argumente wenn es um
aber ist es so, dass die Ursachen des Populations-        Schutzmaßnahmen geht, die das Ziel haben, die Po-
rückgangs bei kleinen Restpopulationen nicht mehr         pulation wieder größer werden zu lassen (indem z.B.
greifen. So wird oft die Nutzung aufgegeben, weil         größere Schutzgebiete ausgewiesen werden). Bei
sie sich nicht mehr lohnt. Resthabitate bleiben übrig,    dem Schutz kleiner Populationen gibt es oft ver-
weil sie nur schwer zugänglich sind, oder weil sie aus    schieden teure Eingriffsalternativen. Welche von ih-
Sicht der betreffenden Art so optimal sind, dass sie      nen ist die erfolgversprechendste? Wie soll man sich
trotz der negativen Einflüsse nicht weiter abnimmt.       also bei Eingriffen überhaupt zwischen Alternativen
All dies bedeutet, dass eine Population in der dritten    entscheiden angesichts der vielen bestehenden Unsi-
Phase (Abb. 1) zwar klein ist, aber nicht mehr dem        cherheiten, z.B. Zufallsschwankungen? Das wichtig-
negativen Trend unterliegt, d.h. sie hat im Mittel ei-    ste Ziel von PVAs ist es somit rationale Entschei-
ne Null- oder sogar positive Wachstumsrate. Aus-          dungen zu treffen, d.h. Entscheidungen, die trotz der
sterbeursache sind in dieser Phase nur noch die Zu-       Unsicherheiten mit höchstmöglicher Wahrscheinlich-
fallsschwankungen, denen jede Population unterliegt.      keit zum Erfolg führen (vgl. EISENFÜHR & WE-
Mit genau dieser Situation beschäftigt sich in der Re-    BER 1994, GRIMM & GOTTSCHALK 1997). PVAs
gel die PVA. Sie versucht das Aussterberisiko kleiner     verfolgen letztlich das Ziel, gesellschaftliche Ent-
Populationen mit nicht negativer Wachstumsrate zu         scheidungen, die das Schicksal von Arten und Popu-
quantifizieren. Außerdem sollen die Faktoren besser       lationen betreffen, durch das - wenn auch oft lücken-
verstanden werden, die das Aussterberisiko beein-         hafte - Wissen und den Sachverstand von Ökolo-
flussen, z.B. die Stärke der Umweltschwankungen,          gen/innen und Naturschützern/innen zu beeinflussen.
die Größe des Lebensraumes, die Anbindung an an-          Die Naturschutzbiologie versteht sich als Krisendis-
dere Restpopulationen, oder auch die Eigenschaften        ziplin, d.h. wir können in der Regel nicht warten, bis
der betrachteten Art selbst, z.B. ihr Verhalten (DORN-    genügend Daten vorhanden sind, oder bis alle Pro-
DORF et al. 2000).                                        zesse im einzelnen verstanden sind, sondern müssen
                                                          versuchen, aus dem verfügbaren Wissen das Beste zu
CAUGHLEY (1994) kritisierte, dass sich die PVA            machen.
mit ihren theoretischen Konzepten fast ausschließ-
lich auf die dritte Phase konzentriert, während die ei-
gentlichen Aussterbeursachen doch diejenigen seien,       Modelle
die zum negativen Trend in der zweiten Phase führen       Wichtigstes Hilfemittel der PVA sind ökologische
(Abb. 1). Dieser Kritik liegt aber ein Missverständnis    Modelle. Vielen Biologen/innen und Naturschüt-

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zern/innen ist allerdings unbekannt, was ökologische       et al. (2000) präsentierten Modell zahlreiche derarti-
Modelle eigentlich sind. Oft trifft man zwei unter-        ger Verbesserungszyklen zugrunde. Modellieren ist
schiedlich extreme Auffassungen, die beide falsch          ein Prozess (THULKE et al. 1999), von dem sich in
sind. Die einen glauben, Modelle hätten das Ziel,          Veröffentlichungen aber immer nur eine Moment-
„realistisch“ zu sein in dem Sinne, dass möglichst         aufnahme präsentieren lässt.
viel und umfassend Detailwissen im Modell berück-
                                                           Zusammenfassend sei hier gesagt, dass Modelle im
sichtigt werden sollte. Das Modell wird als möglichst
naturgetreues Abbild der Natur verstanden. Da Mo-          allgemeinen und ökologische Modelle im besonderen
delle dieses Kriterium aber oft nicht erfüllen, werden     niemals als wie auch immer geartete Maschinen zur
Modelle rundweg als zu „unrealistisch“ abgelehnt.          Produktion absoluter „Wahrheiten“ aufgefasst werden
Andere wiederum halten sehr viel von Modellen und          sollten, sondern als Hypothesen, Gedankenexperi-
neigen dazu, Modellen blind zu vertrauen nach dem          mente oder Problemlösungswerkzeuge (STARFIELD
Motto: „Ihr Modell hat doch gesagt...“.                    1997). Eine ausgezeichnete Darstellung des Charak-
                                                           ters von Modellen und der Modellbildung findet sich
Die erste Auffassung ist falsch, weil es prinzipiell un-   in STARFIELD et al. (1990).
möglich ist, die Natur in all ihren Einzelheiten in ei-
ne mathematische Formel oder ein Computerpro-
gramm zu pressen, denn selbst die detaillierteste          Grundlegende Konzepte
Feldstudie, auf denen ein Modell ja aufbauen muss,         Bevor im nächsten Abschnitt an einem einfachen
kann nur einen geringen Anteil der Wirklichkeit er-        Beispiel die Grundelemente eines typischen Modells
fassen. Das Kriterium „realistisch“ im obigen Sinne        zur PVA vorgestellt werden, sollen hier grundlegen-
lässt sich also niemals erfüllen. Wenn aber trotzdem       de Konzepte bei der stochastischen Modellierung
unkritisch alles, was man weiß, in einem Modell            von Populationen vorgestellt werden. Stochastisch
berücksichtigt wird, dann wird das Modell sehr             bedeutet dabei, dass Zufallseinflüsse berücksichtigt
schnell genauso kompliziert und schwer zu verstehen        werden.
wie die Wirklichkeit selbst. Welchen Sinn hätte dann
noch das Modell? Modelle im hier vorgestellten Sinn        Zunächst muss man sich auf einen Populationsbegriff
verfolgen das Ziel, bestimmte Probleme zu lösen und        einigen. Hier sei zunächst nur von einer räumlich un-
Antworten auf bestimmte Fragen zu erhalten. Dabei          strukturierten, also zusammenhängenden Population
muss die Bedingung erfüllt sein, dass die resultie-        die Rede. Weiter unten wird auf Metapopulationen
renden Problemlösungen und Antworten verstanden            eingegangen werden. In der Praxis sind die Grenzen
werden können. Modelle, die als „black box“ daher-         einer Population oft nicht leicht zu ziehen, aber von
kommen und deren Antworten man blind vertrauen             diesem Problem wollen wir hier absehen. Zusätzlich
müßte, sollten abgelehnt werden (WISSEL 1992).             nehmen wir zunächst an, dass die Population isoliert
Deshalb ist auch die oben genannte zweite Auffas-          ist, d.h. dass insbesondere keine Einwanderer von
sung von Modellen als absoluten, eigenständigen In-        Außen zur Population stoßen. Die Dynamik einer Po-
stanzen, die Wahrheit produzieren, genauso falsch          pulation, d.h. ihre Veränderung in der Zeit, beruht
wie die kategorische Ablehnung von Modellen. Ent-          nun einzig und allein auf der Bilanz aus Reprodukti-
scheidend bei der Arbeit mit Modellen ist, was dabei       on und Mortalität (vgl. z.B. WISSEL 1989). Alle an-
in unseren Köpfen passiert. Modelle sind niemals           deren Prozesse und Faktoren, die für die Population
Selbstzweck, und Modelle „sagen“ auch niemals et-          entscheidend sind, z.B. Altersstruktur, Habitatqualität
was, sondern wir sagen etwas mit Hilfe der Modelle.        oder Verhalten, wirken sich letzten Endes auf Repro-
Die Fragestellungen und Probleme, für die ein Mo-          duktion und Mortalität aus. Je nach verfügbarer In-
dell erstellt wird, entscheiden darüber, welche Fakto-     formation und Zeit werden Reproduktion und Mor-
ren und Prozesse der Wirklichkeit im Modell berück-        talität extrem einfach oder feiner aufgelöst beschrie-
sichtigt werden. Die Schlüsselfrage bei der Modell-        ben. Die einfachste Beschreibungsweise bedeutet
bildung lautet: welche Faktoren und Prozesse werden        konstante Geburts- und Sterberaten anzunehmen. In
im Zusammenhang mit dem anstehenden Problem                deterministischen Modellen reicht es nun aus, die
für wichtig gehalten? Nur diese sollten im Modell          Differenz r aus Geburts- und Sterberate zu betrach-
berücksichtigt werden. Andere Faktoren bleiben             ten, um das Gesamtwachstum der Population zu be-
zunächst unberücksichtigt. Natürlich weiß man oft          schreiben. Dazu wird er mit der Größe der Populati-
nicht, ob ein bestimmter Faktor wichtig ist oder nicht     on multipliziert, um die Größe der Population im
- aber gerade dazu dient ja ein Modell (STARFIELD          nächsten Zeitschritt zu berechnen (z.B. WISSEL
1997). Es soll die Konsequenzen unserer Annahmen           1989). Aufgrund dieses Ansatzes einer einfachen
über „wichtig“ oder „unwichtig“ aufzeigen. Wenn            Multiplikation ist man gezwungen, bei der Zustands-
z.B. eine Modellpopulation völlig andere Eigen-            variable N, die die Größe der Population beschreibt,
schaften zeigt als die reale Population, dann enthal-      mit nicht-ganzen, also reellen Zahlen zu arbeiten, da
ten unsere Annahmen einen Fehler oder sind lücken-         Geburts- und Sterberaten naturgemäß reelle Zahlen
haft. Dementsprechend muss der Modellansatz mo-            sind. Man behilft sich dann mit dem Argument, dass
difiziert werden. So liegen z.B. dem in DORNDORF           die Zustandsvariable die Dichte der Population, oder

                                                                                                               69
ihre Biomasse beschreibt, nicht aber ihre Individu-     flüssen die Population so klein wird, dass sie den Ri-
enzahl.                                                 siken des demographischen Rauschens unterliegt.
Bei kleinen Populationen, die Zufallseinflüssen un-     Das naheliegendste Beispiel für Umweltschwankun-
terliegen, funktioniert dieses Argument nicht mehr.     gen ist das Wetter. So bestimmt z.B. bei Auerhühnern
Es wäre absurd, die letzten 12 Individuen einer Po-     die Niederschlagsmenge in den ersten beiden Le-
pulation mit einer Wachstumsrate von z.B. 0,13 zu       benswochen der Küken ihre Überlebensrate in dieser
multiplizieren, weil wir dann im nächsten Zeitschritt   Zeit (SCHRÖDER et al. 1982). Bei Murmeltieren
13,56 Individuen hätten. Deshalb müssen Modelle         hängt die Wintermortalität der α-Tiere von der Län-
über kleine Populationen notwendigerweise diskrete      ge des Winters ab (DORNDORF et al. 2000). Für ein
Individuen betrachten, d.h. sie sind - wenigstens im    Modell bedeutet dies, dass Geburts- und Sterberate
Ansatz - individuenbasiert (vgl. UCHMANSKI &            bzw. Wahrscheinlichkeit von Jahr zu Jahr, oder von
GRIMM 1996). Aber wie passt der individuenbasier-       Saison zu Saison, für alle Individuen gleichermaßen
te Ansatz mit nicht-ganzen Geburts- und Sterberaten     schwanken können. Gemäß der oben erläuterteten
zusammen? Dazu sei daran erinnert, wie diese Raten      Modellierstrategie wird man nun nicht sämtliche
empirisch aufgenommen werden: sie sind Mittelwer-       Umweltschwankungen im Modell berücksichtigen,
te über möglichst viele Individuen und Jahre. Da wir    sondern nur diejenigen, die einen besonders drasti-
in der Regel aber nicht wissen, welche Individuen in    schen Einfluss auf die Population haben. Zu beachten
einem bestimmten Zeitschritt reproduzieren und ster-    ist dabei auch, dass mit dem eigentlich irreführenden
ben werden, liegt es nahe, beim individuenbasierten     Ausdruck „Umweltschwankungen“ nicht die absolu-
Ansatz die Geburts- und Sterberaten als individuelle    te Variabilität der Umweltbedingungen gemeint ist,
Wahrscheinlichkeiten zu interpretieren. Wenn z.B.       die sich z.B. in einer Wetterstation messen lässt, son-
die Geburtsrate 0,15 pro Jahr beträgt, dann hat im      dern die Änderung der Umwelt aus Sicht der be-
Modell jedes (erwachsene) Individuum mit einer          trachteten Individuen. Es kann sehr effektive Mecha-
Wahrscheinlichkeit von 0,15 pro Jahr einen (seiner-     nismen in einer Population geben (z.B. Sozialverhal-
seits fertilen) Nachkommen. Da jetzt Wahrschein-        ten), die die physikalischen Umweltschwankungen
lichkeiten ins Spiel kommen, ist das Modell stocha-     fast völlig abpuffern (DORNDORF et al. 2000).
stisch, nicht mehr deterministisch.
                                                        Umweltschwankungen (auch Umweltrauschen oder
Wenn eine Population groß ist, dann gibt es kaum ei-    „environmental noise“ genannt) werden im Modell
nen Unterschied zwischen dem deterministischen          mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsverteilungen be-
und stochastischen Ansatz, weil dann auch beim sto-     stimmt. Im einfachsten Fall „zieht“ man in jedem
chastischen Modell im Mittel die deterministische       Jahr den aktuellen Wert der betreffenden Größe (z.B.
Gesamtwachstumrate der Population herauskommt.          Sterberate, oder Winterlänge) zufällig aus einem be-
Wenn sie aber klein ist, z.B. nur noch aus fünf Indi-   stimmten Intervall, oder man verwendet eine Nor-
viduen besteht, kann es passieren, dass zufällig alle   malverteilung mit Mittelwert und Standardabwei-
Individuen im selben Jahr sterben. Genauso können       chung, die aus Daten hergeleitet wurden. Man kann
fünf Würfel dieselbe Zahl zeigen, während dies bei      - wenn vorhanden - auch direkt die statistische Ver-
fünfzig Würfeln äußerst unwahrscheinlich ist. Es        teilung z.B. von Wetterdaten aufnehmen und diese
können aber auch in einem Jahr besonders viele Ge-      Verteilung im Modell benutzen (Abb. 2). Wenn kei-
burten stattfinden, und im nächsten gar keine, usw.     ne genauen Daten vorliegen, bleibt noch die Mög-
Im Ergebnis schwankt die Größe der Population auch      lichkeit, anhand des verfügbaren Wissens über eine
wenn ihre Umwelt im Modell konstant gehalten wird.      Art und ihren Lebensraum abzuschätzen, wie groß
Man nennt diese Schwankungen demographische             z.B. die Mortalität der Adulten in sehr strengen,
Schwankungen (auch demographisches Rauschen ge-         strengen, normalen, oder milden Wintern ist (s. das
nannt; engl. „demographic noise“). Sie beruhen auf      Steinhuhn-Modell von STEPHAN et al. 1995).
der Individualität und der Diskretheit von Organis-
                                                        Wie weiter oben betont, betrachtet die PVA meist nur
men. Sie spiegeln das zum Teil unabhängige Schick-
                                                        Populationen, deren Wachstumsrate Null oder positiv
sal von Individuen wieder. Bei kleinen Populationen
                                                        ist. Bei positiver Wachstumsrate würde die Populati-
können demographische Schwankungen zum Aus-
                                                        on aber im Mittel exponentiell unbegrenzt anwach-
sterben führen, bei größeren Populationen ist dies -
                                                        sen, was sicher unrealistisch ist, denn früher oder
siehe das Beispiel mit den fünfzig Würfeln - un-
                                                        später wird irgendeine Ressource limitierend werden.
wahrscheinlich.
                                                        Es ist deshalb unerlässlich, im Modell eine Dich-
Bisher waren wir von einer konstanten Umwelt aus-       teabhängigkeit der Wachstumsrate zu berücksichti-
gegangen, aber für so gut wie alle Populationen gibt    gen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten hierfür (s.
es Schwankungen ihrer biotischen und abiotischen        BURGMAN et al. 1993), die alle ihre Vor- und Nach-
Umwelt, die erheblichen Einfluss auf Reproduktion       teile haben. In der Regel ist auch nicht genau be-
und Mortalität haben können. Umweltschwankungen         kannt, wann und wie bei einer bestimmten Populati-
synchronisieren zum Teil das Schicksal der Individu-    on Dichteabhängigkeit zum Tragen kommt, z.B. ob
en, was zu einem erhöhten Aussterberisiko führen        sie sich in einer erhöhten Mortalität oder einer er-
kann, wenn nach besonders negativen Umweltein-          höhten Abwanderung äußert. Die einfachste Mög-

70
Abbildung 2
                                                                        Beispiel für eine Möglichkeit, Umwelt-
                                                                        schwankungen in einem Modell zu be-
                                                                        rücksichtigen. Die Häufigkeitsverteilung
                                                                        wurde aus einer Niederschlagszeitreihe
                                                                        von 1961-1996 berechnet, und die ver-
                                                                        schiedenen Niederschlagsmengen (einge-
                                                                        teilt in vier Größenklassen) wurden der
                                                                        Überlebensrate von Auerhuhnküken wäh-
                                                                        rend ihrer ersten beiden Lebenswochen zu-
                                                                        geordnet (nach GRIMM & STORCH 2000).

lichkeit Dichteabhängigkeit zu berücksichtigen, be-        und (6) näher erläutert werden. Mit „frühem Kükenü-
steht darin, die Größe der Population zu beschrän-         berleben“ sind die oben erwähnten ersten beiden Le-
ken: sollte die Population größer werden als eine be-      benswochen der Küken gemeint, d.h. in Prozess (3)
stimmte, anfangs festgelegte Kapazität des Lebens-         - und nur hier - werden Umweltschwankungen be-
raums, dann wird sie auf die Kapazität verkleinert.        rücksichtigt.
Für prinzipielle Zusammenhänge spielt die genaue
                                                           Anhand von Wetterdaten aus einem bestimmten Un-
Form, mit der Dichteabhängigkeit berücksichtigt
                                                           tersuchungsgebiet wurde eine diskrete Wahrschein-
wird, oft keine Rolle. Für quantitative Einzelaussa-
                                                           lichkeitsverteilung erstellt (Abb. 2), aus der in jedem
gen über Aussterberisiken scheint sie aber einen
                                                           Jahr die aktuelle Niederschlagsmenge „gezogen
erheblichen Einfluss auf das Ergebnis zu haben
                                                           wird“ (zu technischen Details hierzu, siehe den An-
(BROOK et al. 1997).
                                                           hang von BURGMAN et al. 1993). Die Zuordnung
                                                           von Niederschlagsmenge zur Kükenüberlebensrate
PVA-Modelle                                                beruht auf Daten und Schätzungen.
Mit den eingeführten grundlegenden Konzepten zur           Im Programm, das das Modell realisiert, wird dann in
stochastischen, individuenbasierten Modellierung ei-       einer Schleife für jedes einzelne Küken „ausgewür-
ner Populationen unter Berücksichtigung von demo-          felt“, ob es gemäß der Überlebenswahrscheinlichkeit
graphischem und Umweltrauschen sowie Dichteab-             überlebt oder nicht. Zu diesem Zweck wird jeweils
hängigkeit kann nun ein einfaches Beispielmodell           vom Rechner eine Zufallszahl z generiert, die gleich-
aufgestellt werden. Das einfachste derartige Modell fin-   verteilt zwischen Null und Eins liegt. Dann wird fol-
det sich in BURGMAN et al. (1993), in dem es um Nas-       gende Regel abgearbeitet: Wenn z kleiner ist als die
hörner in einem kleinen Reservat geht (dieses Modell       Überlebenswahrscheinlichkeit, dann überlebt das
wird auch in GRIMM 1999 verwendet). Im Nas-                Küken, ansonsten nicht. „Sterben“ bedeutet im Pro-
hornmodell werden die Individuen nur gezählt, Alter,       gramm, dass die Zahl der Küken um Eins verringert
Geschlecht und sonstige Faktoren bleiben unberück-         wird. Wenn die Überlebenswahrscheinlichkeit z.B.
sichtigt. Hier soll kurz ein etwas komplexeres Modell      0,9 beträgt, dann werden die meisten Zufallszahlen
vorgestellt werden. Es dient zur Abschätzung des Ex-       (im Mittel 90%) unter diese Schranke fallen und die
tinktionsrisikos von Auerhuhnpopulationen (GRIMM           meisten Küken überleben. Beträgt die Überlebens-
& STORCH 2000). Es muss aber betont werden, dass           wahrscheinlichkeit aber nur 0,2, dann ist z meist
die im folgenden präsentierten Ergebnisse dieses           größer (im Mittel 80%) und die meisten Küken ster-
Modells hier nur zur Demonstration dienen und des-         ben.
halb keine für die Auerhühner gültigen Ergebnisse
                                                           Mit Hilfe der Zufallszahlen und der besagten Regel
sind (s. hierzu GRIMM & STORCH 2000). Für die
                                                           wird das demographische Rauschen berücksichtigt.
Abbildungen 3-5 wurden teilweise Parameterwerte
                                                           Es ist wichtig sich zu vergegenwärtigen, dass das
verwendet, die für das Auerhuhn nicht zutreffen.
                                                           Umweltrauschen alle Küken gleichermaßen betrifft,
Im Modell wird zwischen Hähnen und Hennen, so-             d.h. das Wetter ist für alle entweder schlecht oder gut.
wie zwischen Küken, einjährigen Hennen und den             Im Rahmen dieser gegebenen Umweltbedingungen
übrigen Adulten unterschieden. In jedem Jahr wer-          geht es einzelnen Küken aber aufgrund individueller
den nacheinander die folgenden Prozesse abgearbei-         Variabilität verschieden gut, so dass einige überle-
tet: (1) Eiablage, (2) Nestprädation, (3) frühes Kü-       ben, andere nicht. Diese zufallsbedingte Variabilität
kenüberleben, (4) Sommer- und Wintermortalität der         kann auf verschiedenen Schlüpfzeitpunkten beruhen,
Küken, (5) Adultenüberleben und (6) Dichteabhän-           verschiedenen Bereichen des Habitats, in denen die
gigkeit. Im folgenden sollen nur die Prozesse (3), (5)     Küken leben, oder auf anderen Faktoren.

                                                                                                                71
Abbildung 3
                                                                       Typische Populationsdynamiken eines
                                                                       stochastischen Modells, berechnet mit
                                                                       dem im Text erläuterten Modell. In (a)
                                                                       ist eine einzelne Dynamik gezeigt, die ei-
                                                                       ne bestimmte Sequenz von Zufallsschwan-
                                                                       kungen widerspiegelt; (b) zeigt Dynami-
                                                                       ken, die vom selben Modell produziert
                                                                       wurden, aber für verschiedene Zufallsse-
                                                                       quenzen der Umwelt- und demographi-
                                                                       schen Schwankungen.

Das Adultenüberleben, das am Ende eines Modell-            Diese Schwankungen sind kein Artefakt, sondern
jahres berechnet wird, fasst summarisch alle Morta-        spiegeln unsere Unwissenheit über künftige Zufalls-
litätsursachen des ganzen Jahres zusammen. Genau           schwankungen wieder. Die Schwankungen bedeuten
wie bei den Küken wird gemäß einer Überlebensra-           auch, dass keine deterministischen Vorhersagen über
te ausgewürfelt, ob die einzelnen Individuen überle-       das Schicksal einer kleinen Population mehr möglich
ben oder nicht. Im Unterschied zu den Küken wird           sind, sondern nur noch Wahrscheinlichkeitsaussagen.
aber kein Umweltrauschen berücksichtigt, weil ange-
nommen wird, dass es keinen Umwelteinfluss gibt,
                                                           Quantifizierung des Aussterberisikos
der vergleichbar drastisch synchronisierende Auswir-
kungen hat wie die Niederschlagsmenge zu Beginn            Demographische und Umweltschwankungen führen
des Kükenlebens (I. STORCH, pers. Mitteilung).             dazu, dass die Zeit T bis zum Aussterben einer Po-
                                                           pulation von Simulation zu Simulation erheblich va-
Die Dichteabhängigkeit schließlich wird in der oben        riiert. Abb. 4 zeigt die Verteilung der Aussterbe- bzw.
beschriebenen, einfachsten Weise berücksichtigt, in-       Überlebenszeiten des Auerhuhnmodells (hiefür wur-
dem eine Kapazität K für die Summe aus Hähnen              de kein fester Zeithorizont mehr gewählt, sondern je-
und Hennen angenommen wird. Liegt die Individu-            de Simulation solange durchgeführt, bis die Popula-
enzahl am Ende des Modelljahres, d.h. nachdem Re-          tion ausstarb). Die Form dieser Verteilung ist bei al-
produktion und Mortalität berechnet wurden, über           len stochastischen Populationsmodellen dieselbe und
dieser Kapazität, dann werden solange Individuen           insbesondere durch einen exponentiell abfallenden
zufälligen Geschlechts und Alters aus der Population       Abschnitt rechts vom Maximum gekennzeichnet. Die
entfernt, bis die Kapazität wieder erreicht ist. Dieser    Gründe für diesen Verlauf lassen sich theoretisch her-
extrem einfache Ansatz wurde gewählt, weil unbe-           leiten (STEPHAN 1993, WISSEL et al. 1994). Sie
kannt ist, wie und wann sich bei Auerhühnern Dich-         beruhen auf der Tatsache, dass es sich bei zufallsbe-
teabhängigkeit auswirkt. Zu vermuten wäre eine er-         dingten Populationsdynamiken - d.h. wenn kein
höhte Emigration von Junghähnen und -hennen, aber          Trend vorliegt - um sog. Markow-Prozesse handelt
hierzu gibt es keine verlässlichen Daten. Gleiches         (WISSEL 1989). Die Theorie besagt (WISSEL et al.
gilt für die Balzplätze, die u.U. limitierend sein könn-   1994), dass dann folgende Beziehung gilt:
ten.
                                                                          P0(t) = 1 - c exp( - t/Tm)
Eine Simulation des Modells startet mit K/2 Indivi-
duen zufälligen Geschlechts und Alters. Für die un-        Dabei ist P0(t) (sprich „P-Null-von-t“) die Wahr-
ten besprochene Auswertung des Modells spielt die          scheinlichkeit bzw. das Risiko, dass die Population
genaue Art des Anfangszustandes (Individuenzahl,           bis zum Zeitpunkt t ausgestorben ist (der Index „0“
Altersverteilung, Geschlechterverhältnis und dergl.)       steht für „ausgestorben“, „P“ für „probability“). Dies
der Population keine Rolle (STELTER et al. 1997).          ist genau die Größe, die in PVAs interessiert und die
Die Simulation wird dann Jahr für Jahr solange             für den Naturschutz relevant ist: das Aussterberisiko
durchgeführt, bis die Population entweder ausgestor-       über einen bestimmten Zeithorizont. Tm (sprich: „T-
ben ist oder bis ein vorher festgelegter Zeithorizont      m“) ist die sog. mittlere Überlebenszeit, d.h. der Mit-
von z.B. 100 Jahren erreicht ist. Abb. 3a zeigt das Er-    telwert der Verteilung in Abb. 4. C ist die Wahr-
gebnis einer solchen Simulation. Man sieht die er-         scheinlichkeit, dass die Population ausgehend vom
heblichen Schwankungen der Populationsgröße, die           Zustand zur Zeit t=0 die sogenannte etablierte oder
auf das Umweltrauschen zurückzuführen ist. Wird            quasi-stationäre Dynamik erreicht, die durch typi-
nun die Simulation wiederholt, dann verwendet der          sche Schwankungen um einen Mittelwert gekenn-
Rechner eine andere Sequenz von Zufallszahlen, und         zeichnet ist. Die Bedeutung dieser Größe näher zu
die Dynamik kann völlig anders aussehen (Abb. 3b).         erläutern würde den Rahmen dieses Beitrages spren-

72
Abbildung 4
                                                                        Verteilung von Extinktionszeiten, pro-
                                                                        duziert vom selben Modell wie in Abb. 3.
                                                                        Die Form der Verteilung ist typisch für al-
                                                                        le stochastischen Populationsmodelle: Die
                                                                        meisten Populationen sterben recht schnell
                                                                        aus, während es einigen wenigen gelingt,
                                                                        lange zu überdauern.

gen (s. WISSEL et al. 1994). Wir können aber guten         SHAFFER stellte, war: Wie groß muss eine Popula-
Gewissens annehmen, dass c=1 ist, d.h. dass die Po-        tion heute mindestens sein, damit sie als überlebens-
pulation sich zu Beginn einer Simulation bereits in        fähig anzusehen ist? Ein Beispiel für die Berechnung
einem Zustand befindet, der Teil der etablierten Dy-       dieser Mindestgröße gemäß der Definition von
namik ist. Das ist - vereinfacht ausgedrückt - erfüllt     SHAFFER findet sich in WIEGAND et al. (1998).
wenn sie nicht extrem klein ist oder extrem unwahr-        Die Definition weist aber den Mangel auf, dass die
scheinliche Altersverteilungen oder sonstige Eigen-        augenblickliche Größe einer Population möglicher-
schaften aufweist. T schließlich ist die Länge des         weise weniger über ihre prinzipielle Überlebens-
Zeithorizontes, den wir betrachten.                        fähigkeit in einer bestimmten Umwelt aussagt, als
                                                           dass sie die Geschichte der Umweltschwankungen
Wenn wir annehmen, dass das Aussterberisiko klein
                                                           der letzten Jahre widerspiegelt. Statt dessen lässt sich
ist, dann kann in der obigen Gleichung die Exponen-
                                                           eine andere Definition verwenden, die nach der Min-
tialfunktion durch den Ausdruck (1 - t/Tm) nähe-
                                                           destkapazität des Lebensraumes fragt: Wie groß
rungsweise ersetzt werden, so dass die Gleichung zu
                                                           muss eine Population werden können (nach einer
                     P0(t) ≈ t/Tm                          Reihe guter Jahre), damit sie überlebensfähig ist? Je
                                                           größer eine Population werden kann, desto schwerer
wird (falls c=1). Man sieht nun, dass das Aussterbe-
                                                           wird es einer Reihe von schlechten Jahren fallen, die
risiko P0(t) und die mittlere Überlebenszeit Tm kom-
                                                           Population wieder soweit zu verkleinern, dass sie in
plementäre Betrachtungsweisen sind. Mit Hilfe der
                                                           den Bereich des demographischen Rauschens
oben beschriebenen Simulationsmodelle sind diese
                                                           kommt.
beiden Größen denkbar einfach zu bestimmen. Für
P0(t) zählt man, wie oft bei z.B. 100 Simulationen die     Ein Zahlenbeispiel soll verdeutlichen, wie sich eine
Population innerhalb des betrachteten Zeithorizontes       derart aufgefasste MVP mit Hilfe eines Modells be-
ausstirbt. Dann ist diese Zahl geteilt durch 100 das       stimmen lässt. Wir fordern z.B., dass das Aussterbe-
Aussterberisiko P0(t). Stirbt die Population in jedem      risiko nicht größer als 5% in 100 Jahren sein soll.
Lauf aus, ist das Risiko gleich Eins, stirbt sie niemals   Dann folgt nach obiger Gleichung, dass Tm = t / P0(t)
aus, ist es gleich Null. Tm lässt sich im Prinzip be-      = 100 / 0.05 = 2000 Jahre sein muss. Durch Berech-
stimmen, indem man den Mittelwert der Überlebens-          nung der mittleren Überlebenszeit für verschiedene
zeiten bzw. Aussterbezeiten aus z.B. 1000 Simulatio-       Kapazitäten K erhält man die Kurven in Abb. 5. Der
nen bestimmt. Es gibt aber ein effektiveres Verfah-        Schnittpunkt mit der geforderten 2000 Jahre-Marke
ren, das die erste der obigen beiden Gleichungen           gibt dann an, wie groß der Lebensraum mindestens
ausnutzt (STELTER et al. 1997).                            sein muss, um das geforderte Aussterberisiko nicht
                                                           zu überschreiten.
Eine weitere zentrale Größe der PVA ist die „mini-
mum viable population“ (MVP), d.h. die Mindest-            Abb. 5 zeigt zwei Kurven. Die untere ist für das kom-
größe einer überlebensfähigen Population. Dabei            plette Modell, d.h. inklusive Umweltschwankungen
wird die Überlebensfähigkeit mit Hilfe des Ausster-        wie in Abb. 4 angegeben. Für die obere Kurve wur-
berisikos definiert. Welches Risiko man hierbei be-        de angenommen, dass keine Umweltschwankungen
reit ist anzunehmen, lässt sich wissenschaftlich nicht     existieren, sondern nur demographische. Die Wahr-
begründen sondern ist Sache der Konvention. SHAF-          scheinlichkeit des frühen Kükenüberlebens wurde al-
FER (1981) hatte ursprünglich gefordert, dass das          so als konstant angesetzt. Ihr Wert ist der Mittelwert
Aussterberisiko nicht größer als 1% in 1000 Jahren         der Verteilung aus Abb. 4. Man sieht, dass ohne Um-
sein darf. Heute werden oft kürzere Zeithorizonte be-      weltrauschen die mittlere Überlebenszeit schnell an-
trachtet und Risiken von 5% toleriert. Die Frage, die      steigt, wenn die Habitatkapazität erhöht wird,

                                                                                                                73
Abbildung 5
                                                                       Mittlere Überlebenszeit einer Populati-
                                                                       on über der Kapazität des Habitats. Ver-
                                                                       wendet wurde das selbe Modell wie in
                                                                       Abb. 3 und 4 (aber für andere Parameter-
                                                                       werte). Die untere Kurve wurde mit, die
                                                                       obere ohne Umweltschankungen berech-
                                                                       net. Der Schnittpunkt mit der Tm=2000
                                                                       Marke zeigen die kritische Habitatgröße
                                                                       an, die gegeben sein muss, damit ein Aus-
                                                                       sterberisiko von 5% in 100 Jahren nicht
                                                                       überschritten wird.

während bei starkem Umweltrauschen eine Ver-              Metapopulation ist, was heute so genannt wird. Da-
größerung von K vergleichsweise wenig Erfolg hat.         bei geht es nicht um definitorische Haarspaltereien,
Übersetzt auf unsere Definition einer MVP bedeutet        sondern um die durchaus reale Gefahr, dass aus dem
dies, dass bei starkem Umweltrauschen selbst Ver-         Etikett „Metapopulation“ vorschnell Konsequenzen
größerungen um den Faktor zwei (von z.B. 100 auf          für den praktischen Naturschutz gezogen werden.
200 Individuen) noch keine überlebensfähige Popu-         REICH und GRIMM schlagen deshalb folgende, de-
lation garantieren.                                       taillierte Definition einer Metapopulation vor:
Bei schwachem Umweltrauschen wird eine Populati-            „Eine Metapopulation ist eine (regionale) Popula-
on in einem größeren Habitat sehr bald anwachsen.           tion von (lokalen) Populationen, wobei die folgen-
Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie allein auf-       den vier Bedingungen erfüllt sein müssen:
grund demographischen Rauschens wieder so klein             (1) Die lokalen Populationen besitzen eine eigene
wird, dass sie letztlich ausstirbt, äußerst gering. Bei     Dynamik, d.h. sie sind von anderen lokalen Popu-
starkem Umweltrauschen kann es auch großen Popu-            lationen abgrenzbar; (2) Wenigstens einige der lo-
lationen passieren, dass sie nach einer Reihe schlech-      kalen Populationen sind so klein oder so bedroht,
ter Jahre so klein wird, dass sie aussterben kann. Die      dass früher oder später mit ihrem Aussterben zu
Lektion für den Naturschutz aus diesen - generell           rechnen ist; (3) Die lokalen Populationen bzw. Ha-
gültigen - Ergebnissen ist, dass der Beurteilung der        bitate stehen durch dispergierende Individuen mit-
Auswirkung von Umweltschwankungen auf eine Po-              einander in Wechselwirkung; (4) Dispergierende
pulation höchste Priorität zukommt.                         Individuen müssen in der Lage sein, infolge Aus-
                                                            sterbens leer gewordene bzw. neu entstandene Ha-
                                                            bitate wiederzubesiedeln bzw. zu besiedeln, d.h.
Erweiterung auf Metapopulation
                                                            Populationen aufzubauen, die ihrerseits Kolonisa-
Bisher wurden nur räumlich unstrukturierte Popula-          toren bereitstellen können.“ (REICH & GRIMM
tionen betrachtet. Meist sind Restpopulationen aber         1996).
auf ein mehr oder weniger großes Ensemble von
Resthabitaten verteilt. LEVINS (1970) führte für die-     DORNDORF et al. (2000) geben ein Beispiel für ei-
se Konfiguration das Konzept der Metapopulation           ne Population, die sogar auf zwei räumlichen Skalen
ein als einer „Population von Populationen die lokal      Metapopulation ist: zum einen auf der Ebene be-
aussterben und wiederbesiedelt werden“. Die Idee          nachbarter Territorien, und auf der Ebene weiter von-
hinter diesem Konzept ist, dass das Ensemble an lo-       einander entfernter Ansammlungen von Territorien.
kalen Subpopulationen überdauern kann, obwohl die         Für eine PVA macht es keinen prinzipiellen Unter-
einzelnen Subpopulationen so klein sind, dass sie         schied, ob eine einzelne Population oder eine Meta-
recht bald aussterben. Voraussetzung für das regio-       population untersucht wird. Die oben dargestellten
nale Überdauern des Ensembles ist, dass immer             Konzepte und Maße kommen weiter zur Anwendung.
genügend besetzte Resthabitate (oder Flecken, engl.       Die von LEVINS (1970) eingeführte Analogie „Po-
„patches“) vorhanden sind, von denen aus leer ge-         pulation von (Sub)Populationen“ ist durchaus ange-
wordene „patches“ wiederbesiedelt werden können.          messen. Sie erleichtert eine Übertragung der Kon-
Das Metapopulationskonzept hat im Naturschutz das         zepte und Fragestellungen von der Populations- auf
alte, auf die Inseltheorie (MacARTHUR & WILSON            die Metapopulationsebene (Tab. 1). Als neues Ele-
1967) aufbauende Paradigma abgelöst. REICH &              ment bei der Modellierung kommen die Ausbreitung
GRIMM (1996) geben einen kritischen Überblick             von Individuen und die Wiederbesiedlung hinzu, d.h.
über die Bedeutung dieses Konzeptes in Ökologie           die oben gemachte Einschränkung, isolierte Habita-
und Naturschutz. Sie betonen, dass längst nicht alles     te zu betrachten, gilt nicht mehr. Es lässt sich theore-

74
Tabelle 1
                                               Population                     Metapopulation
Gegenüberstellung der Aspekte von Po-
pulation und Metapopulationen, die ein-        Individuum                     Subpopulation
ander analog sind, d.h. in PVAs analog         Geburt                         Wiederbesiedlung
behandelt werden können.
                                               Sterben                        Lokales aussterben einer
                                                                              Subpopulation
                                               demographisches Rauschen       „turnover“, d.h. zufällige Abfolge
                                                                              von lokalem Aussterben und Wie-
                                                                              derbesiedlungen
                                               Umweltrauschen                 Im Raum korrelierte Umwelt-
                                                                              schwankungen
                                               Kapazität (an Individuen)      Zahl der Habitatinseln oder
                                                                              „patches“
                                               Individuelle Variabilität
                                               (Alter Größe, Status, usw.)    Eigenschaften der „patches“
                                                                              (Größe, Form, Lage, usw.)

tisch zeigen, dass Ausbreitung und Wiederbesiedlung         Unsicherheiten. Die Daten sind oft lückenhaft oder
die Schlüsselprozesse für die Überlebensfähigkeit ei-       gar falsch, und auch bei den Modellen gibt es Unsi-
ner Metapopulation sind. Leider gibt es aber gerade         cherheiten darüber, wie bestimmte Prozesse zu be-
hierzu in der Regel nur ungenügende empirische In-          schreiben sind, z.B. Dichteabhängigkeit (s. oben).
formationen. Das entwertet nicht den Metapopulati-          Aus all diesem folgt, dass die einzelne Zahl, ein iso-
onsansatz an sich, mahnt aber zu größter Vorsicht bei       liertes P0(t) oder Tm, niemals das Ziel von PVAs sein
der Interpretation quantitativer Aussagen, die aus          kann, denn diese sind mit zu hohen Unsicherheiten
Metapopulationsmodellen abgeleitet werden.                  behaftet, als dass man sie allein als Grundlage für
                                                            Entscheidungen verwenden dürfte. Statt dessen wer-
                                                            den von PVAs vergleichende Aussagen angestrebt.
Probleme bei der Umsetzung von PVA’S und ih-                Diese können theoretische Fragestellungen betreffen,
rer Interpretation                                          indem z.B. Situationen mit starkem oder schwachen
Mit den bisher dargestellten Konzepten, Maßen und           Umweltrauschen verglichen werden (Abb. 5).
Methoden ist das Grundprinzip der allermeisten exi-
                                                            In der Praxis sollen aber häufig Eingriffsalternativen
stierenden Populationsgefährdungsanalysen beschrie-
                                                            verglichen werden. Glücklicherweise eignen sich die
ben. Inzwischen gibt es schon so viel Erfahrung mit
                                                            individuen- und regelbasierten Modelle der PVA sehr
PVAs, dass zunehmend auch Probleme und Grenzen
                                                            gut dazu, die verschiedenen Eingriffe zu simulieren
sichtbar werden.                                            (z.B. Habitatvergrößerung, Erhöhung der Vernetzung
Ein Hauptproblem ist die Unsicherheit von PVAs:             von Subpopulationen, Aussetzen von gezüchteten
Wie zuverlässig sind die Quantifizierungen des Aus-         Tieren, Eingriffe in die Sukzession, usw.). Für all die-
sterberisikos? Diese Quantifizierungen sind ja nichts       se Szenarien wird dann das Aussterberisiko be-
anderes als mit Hilfe von Modellen aufgestellte Vor-        stimmt, so dass sich eine Rangordnung (engl. „ran-
hersagen. Kann man diesen Vorhersagen trauen (ge-           king“) der Eingriffsalternativen ergibt. Dieses „ran-
rade in der Ökologie, deren Fähigkeit zu Vorhersagen        king“ soll die Entscheidung darüber, welche
doch bekanntermaßen gering ist)? Im allgemeinen             Alternative man wählen soll, erleichtern. Natürlich
wird gefordert, dass Vorhersagen überprüfbar sind,          kann auch das „ranking“ fehlerhaft sein aufgrund der
aber Vorhersagen über ein bestimmtes Aussterberisi-         angesprochenen Unsicherheiten. Es gibt aber Metho-
ko lassen sich nicht überprüfen. Beim Modell wertet         den aus der sog. Entscheidungstheorie („decision
man 1000 oder mehr Parallelversuche aus, in der             analysis“), die es erlauben die Auswirkung der Unsi-
Wirklichkeit gibt es aber nur einen einzigen Versuch.       cherheiten auf das „ranking“ systematisch zu unter-
Selbst wenn die Vorhersage, dass die mittlere Über-         suchen, um doch noch zu rationalen Entscheidungen
lebenszeit 40 Jahre beträgt, völlig richtig wäre, könn-     zu kommen. DRECHSLER (2000) gibt in diesem
te im Einzelfall eine Population schon noch 5 Jahren        Heft ein anschauliches Beispiel hierfür. Methoden
                                                            der Entscheidungstheorie könnten generell dazu bei-
ausgestorben sein, eine andere aber über 100 Jahre
                                                            tragen, naturschutzrelevante Entscheidungen trans-
überdauern, und keiner dieser Einzelfälle würde die
                                                            parenter zu machen (vgl. GRIMM & GOTT-
Vorhersage widerlegen (s. die Verteilung in Abb. 4).
                                                            SCHALK 1997). Denn, wohlgemerkt, PVAs und ih-
Man muss aber immer davon ausgehen, dass die vor-           re Modelle nehmen einem die Entscheidung nicht ab,
hergesagte Überlebensfähigkeit nicht völlig richtig         sie sind nur Werkzeuge, um zu möglichst rationalen
ist, denn auf allen Ebenen der PVA gibt es erhebliche       Entscheidungen zu kommen.

                                                                                                                   75
Ein weiteres Problem von PVAs ist die Tatsache, dass     Danksagung
sie zu aufwendig sind, als dass sie für jeden Einzel-    Ich danke Norbert Dorndorf und Martin Drechsler
fall von Modellierern/innen durchgeführt werden          für die kritische Durchsicht dieses Beitrages.
könnten. So war z.B. die von DORNDORF et al. in
diesem Heft ausschnittsweise präsentierte PVA Ge-
genstand einer ganzen Dissertation. Hinzu kommt          Literatur
das Problem, dass wissenschaftlich gesehen PVAs          BEISSINGER, S. R. & M. I. WESTPHAL (1998):
früher oder später ihren Reiz verlieren werden, weil     On the use of demographic models of population viability
die Methoden und das Konzept dann so etabliert sind,     in endangered species management.- J. Wildlife Manage.
dass es sich oft nur noch um reine Anwendung han-        62: 821-841.
deln wird. Es wird also zunehmend schwerer werden,       BOYCE, M. S. (1992):
Wissenschaftler/innen zu finden, die bereit sind, sich   Populaton viability analysis.- Annual Review in Ecology
an einer PVA zu beteiligen. STEPHAN (2000) prä-          and Systematics 23: 481-506.
sentiert in diesem Heft einen Ausweg aus diesem Di-      BROOK, B. W.; L. LIM, R. HARDEN & R. FRANKHAM
lemma: Fertige PVA-Programme für Anwender/in-            (1997):
nen. In diesen kann die Modellstruktur nur noch be-      Does population viability analysis software predict the be-
                                                         haviour of real populations? A retrospective study on the
grenzt geändert werden. Deshalb sind sie möglichst
                                                         Lord Howe Island woodhen Tricholimnas sylvestris (Scla-
allgemein gehalten und erlauben längst nicht so de-      ter).- Biological Conservation 82: 119-128.
taillierte Abgleiche mit Daten wie das Modell von
                                                         BURGMAN, M. A.; S. FERSON & H. R. AKÇAKAYA (1993):
DORNDORF et al. Fertige PVA-Programme sind so-
                                                         Risk assessment in conservation biology.- Chapman &
mit immer eine Kompromisslösung: Ein maßge-              Hall, London.
schneidertes Modell wäre in vielen Einzelfällen si-
                                                         CAUGHLEY, G. (1994):
cher zufriedenstellender, aber andererseits erlauben
                                                         Directions in conservation biology.- Journal of Animal
die Programme einem weiten Kreis von Anwendern,          Ecology 63: 215-244.
PVAs durchzuführen, um so ihre Entscheidungen
                                                         DORNDORF, Norbert; Walter ARNOLD, Fredy FREY-
wenigstens teilweise auf quantifizierten Aussagen
                                                         ROOS, Christian WISSEL & Volker GRIMM (2000):
aufbauen zu können. Wichtig bei Programmen dieser        Ein Fallbeispiel zur Komplexität der Populationsgefähr-
Art ist, dass sie den vergleichenden Aspekt von PVAs     dungsanalyse: Das Alpenmurmeltier.- Laufener Seminar-
dem Anwender möglichst deutlich vor Augen führen.        beiträge 3/00: 83-89.
Das von STEPHAN vorgestellte Programm EXI er-            DRECHSLER, M. (2000):
füllt diese Forderung, ebenso wie das für Metapopu-      Artenschutz bei ökologischer Datenunsicherheit: eine mo-
lationen entwickelt META-X (LOREK et al. 1998).          dellbasierte Entscheidungshilfe.- Laufener Seminarbeiträ-
                                                         ge 3/00: 91-98.

Ausblick                                                 EISENFÜHR, F. & M. WEBER (1994):
                                                         Rationales Entscheiden (2. Aufl.).- Springer, Heidelberg.
PVAs und die Modelle, derer sie sich bedienen, sind
                                                         GOODMAN, D. (1987a):
aus der ökologischen und Naturschutzliteratur nicht      Consideration of stochastic demography in the design and
mehr wegzudenken. Sie führen langsam zu einem            management of biological reserves.- Nat. Res. Model. 1:
Umdenken im Naturschutz, bei dem der Risikobe-           205-234.
griff und die Möglichkeit, Risiken einzuschätzen, ei-    ––––––– (1987b):
ne entscheidende Rolle spielen. Theoretisch und auch     The demography of chance extinction.- Aus: M.E. SOULÉ
bezogen auf konkrete Populationen hat die PVA in         (Hrsg.), Viable populations for conservation, Cambridge
nur etwas mehr als zehn Jahren eine stürmische Ent-      University Press, Cambridge, S. 11-34.
wicklung durchgemacht. Was noch aussteht ist eine        GRIMM, Volker (1999):
kritische Beurteilung der Rolle, die PVAs im prakti-     Grundlegende Techniken und Konzepte bei der Abschät-
schen Naturschutz wirklich spielen, d.h. wie sehr sie    zung von Extinktionsrisiken mit Hilfe ökologischer Mo-
Entscheidungsprozesse tatsächlich beeinflussen und       delle.- Berichte der Alfred Toepfer Akademie für Natur-
                                                         schutz (NNA) 2/99: 22-29.
welche Folgen diese Entscheidungen hatten. Hier ste-
hen wir vor einem ähnlichen Problem wie dem von          GRIMM, Volker & Eckhard GOTTSCHALK (1997):
BOYCE im Jahr 1992 beklagten: Damals waren               Ein Workshop über Entscheidungstheorie im Naturschutz
                                                         am UFZ Leipzig-Halle. - Zeitschrift für Ökologie und Na-
kaum PVAs veröffentlicht worden, heute fehlen Ver-       turschutz 6: 253-255.
öffentlichungen über den Entscheidungsprozess
selbst und über die Konsequenzen der getroffenen         GRIMM, Volker & Ilse STORCH (2000):
                                                         Minimum viable population size of capercaillie Tetrao
Entscheidungen. Solange aber PVAs immer kritisch         urogallus: results from a stochastic model.- Wildlife
hinterfragt werden und nur als Entscheidungshilfen       Biology (in press).
aufgefasst werden, und nicht als Vorhersagemaschi-
                                                         LEVINS, R. (1970):
nen, dürften Entscheidungen, die unter Zuhilfenahme      Extinction.- Aus: M. GERSTENHABER (Hrsg.): Some
von PVAs getroffen werden, in der Regel besser sein      mathematical questions in biology. American Mathemati-
als intuitive Entscheidungen.                            cal Society, Providence, Rhode Island.

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LOREK, Helmut; Karin FRANK, Frank KÖSTER, Ute                   STELTER, Christian.; Michael REICH, Volker GRIMM &
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Die Entwicklung eines Computer-Werkzeugs für Natur-             a metapopulation of the grasshopper Bryodema tubercula-
schutz und Landschaftsplanung.- Aus: HAASIS, H.-D. &            ta.- Journal of Animmal Ecology 66: 508-518.
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                                                                Dissertation Philipps-Universität Marburg.
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                                                                lyse.- Laufener Seminarbeiträge 3/00: 79-84.
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                                                                Ein Modell zur Abschätzung des Auslöschungsrisikos von
––––––– (1990):                                                 Alectoris gracea im Nationalpark Berchtesgaden.- Ver-
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McGraw-Hill, New York.                                          Volker Grimm
                                                                UFZ Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle
STARFIELD, A. M. & A. L. BLELOCH (1991):                        Sektion Ökosystemanalyse
Building models for conservation and wildlife manage-           Postfach 2
ment.- 2nd ed. Burgess International, Edina, Minnesota.         D-04301 Leipzig

                                                                                                                          77
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