PRESSEHEFT - ISABELLE CARRÉ GRÉGORY GADEBOIS - Neue visionen
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ISABELLE CARRÉ GRÉGORY GADEBOIS N AC H B I R N E N K U C H E N M I T L AV E N D E L D E R N E U E F I L M VO N ÉRIC BESNARD PRESSEHEFT
Neue Visionen Filmverleih präsentiert Ein Film von Éric Besnard Spielfilm, Frankreich 2021, 112 Minuten
BESETZUNG Manceron Grégory Gadebois Louise Isabelle Carré Duc de Chamfort Benjamin Lavernhe Hyacinthe Guillaume de Tonquédec Jacob Christian Bouillette Benjamin Lorenzo Lefèbvre Marquise de Saint-Genêt Marie-Julie Baup Dumortier Laurent Bateau Presseheft À LA CARTE! 05
STAB Regie Éric Besnard Drehbuch Éric Besnard, Nicolas Boukhrief Kamera Jean-Marie Dreujou (A.F.C.) Originalmusik Christophe Julien Szenenbild Bertrand Seitz Kostümdesign Madeline Fontaine Schnitt Lydia Decobert Casting David Bertrand Leitung Produktion Angeline Massoni Aufnahmeleitung Pierre Py Ton Dominique Lacour, Alexandre Fleurant, Fabien Devillers Maske Joëlle Dominique Hair Design Lisa Schonker Kulinarische Beratung Thierry Charrier, Jean-Charles Karmann Produzent Christophe Rossignon, Philip Boëffard Koproduzent Patrick Quinet Koproduzent Pierre Guyard Presseheft À LA CARTE! 06
Ausführende Produzentin Eve François-Machuel Eine Koproduktion von Nord-Ouest Films, SND Groupe M6, Auvergne-Rhône-Alpes Cinéma, Artémis Productions Unter Mitwirkung von Canal+, Ciné+, France Télévisions In Zusammenarbeit mit Cinémage 14, Indéfilms 8, Sofitvcine 7 In Koproduktion mit RTBF (Télévision belge), VOO & Be TV, Shelter Prod In Zusammenarbeit mit Taxshelter.be & ING Mit Unterstützung von Tax Shelter du Gouvernement Fédéral de Belgique Unter Mitwirkung von Région Auvergne-Rhône-Alpes, CNC, Conseil Départemental du Cantal Mit Unterstützung von Metro, La PROCIREP, La Sacem, Programme Europe Créative de l‘Union Européenne Presseheft À LA CARTE! 07
SYNOPSIS Frankreich 1789. Manceron ist ein begnadeter Koch und Ereignisse überschlagen, erschafft das ungleiche Paar arbeitet für den Herzog de Chamfort. Er liebt es, seinem durch ihren Mut eine Revolution im Kleinen: das erste Herrn mit kulinarischen Kreationen die Langeweile zu Restaurant Frankreichs als Ort der Gemeinsamkeit und vertreiben. Und so schwelgt der Adel in Schwanen-Ra- des Genusses... für alle! gout und gebackenen Täubchen. Eines Tages lässt der eigenwillige Küchenchef seine Phantasie spielen und Mit opulenten Bildern, die nicht selten an die Gemäl- tischt den herzöglichen Gästen eine Köstlichkeit aus der de großer Meister erinnern, feiert Regisseur Éric Bes- niedrigsten aller Zutaten auf – der Kartoffel. Ein Skandal! nard nach seinem Riesenerfolg BIRNENKUCHEN MIT Der Koch ist gefeuert. Zurück auf dem heimischen Bau- LAVENDEL erneut ein schwelgendes Fest der Sinne auf ernhof erwartet Manceron nichts als die trübe Aussicht, Celluloid. In seiner klugen, wunderbar ausgespielten Ge- staubigen Reisenden Bouillon und Brot zu servieren – schichte einer späten Liebe zwischen zwei eigenwilligen bis eine geheimnisvolle Frau auf dem einsamen Hof er- Charakterköpfen erzählt er elegant von der Erfindung scheint: Louise will vom Meister in die Kochkunst einge- des Restaurants im Fahrwasser der Revolution. Schön- führt werden. Ihr talentierter, fast sinnlicher Umgang mit heit und Tiefgang, Geschichte und Sinnlichkeit – so wilden Kräutern, Waldbeeren und Trüffeln zieht Mance- schön und klug kann nur französisches Kino sein! ron in den Bann. Als sich der Herzog für einen Besuch ankündigt, macht sich Louise mit verdächtig großem Einsatz an die Vorbereitungen. Diese Frau scheint mehr als nur ein Geheimnis zu haben. Und während sich die Presseheft À LA CARTE! 09
LANGINHALT Frankreich 1789. Der Adel prasst und das Volk hungert. lichkeit war. Kartoffel? Überträgt sich damit nicht Lepra? Es ist der Vorabend der Französischen Revolution. Am Und – schlimmer – ist sie nicht zusammen mit der Trüf- Schloss des Herzog von Chamfort ist die Welt noch in fel, der anderen Zutat der Köstlichkeit, eine Empfehlung (alter) Ordnung: Der Adel schwelgt an opulenten Tafeln, des Teufels höchstpersönlich? Der Herzog, der wie im- bei Schwanen-Ragout und gefüllten Täubchen. Essen, mer von den Speisen seines Kochs begeistert ist, fordert um die Langeweile zu vertreiben. Die Opulenz der Spei- eine Entschuldigung. Doch der eigenwillige Manceron sen ist die ideale Machtdemonstration. Manceron, der weigert sich, der Herzog ist blamiert. Keine Empfehlung begnadete Koch des Herzogs, ist in diesem Spiel die an den Pariser Hof, der Koch ist gefeuert und wird ver- unschlagbare Trumpfkarte seines Herren. Und der Koch bannt in die Provinz, im Schlepptau seinen Sohn Benja- wiederum kennt nichts Erfüllenderes, als den Gästen min. seines genusssüchtigen Herren die erlesendsten Gau- menfreuden zu bereiten. In der Heimat erwartet Manceron nichts als die Aussicht, staubigen Reisenden Bouillon und Brot zu servieren. Doch ausgerechnet an dem Tag, als der Herzog sich mit Aber es kommt schlimmer: Das Haus seines Vaters, eines einem Bankett der Extraklasse an den königlichen Hof ehemaligen Bäckers, wurde von den hungernden Men- nach Paris empfehlen will, begeht Manceron einen un- schen der Gegend geplündert. Auf dem Land herrscht verzeihlichen Fehler. Er wagt es, der festgelegten Abfol- bittere Not. Manceron beginnt das Brot, das er backt, ge von Gerichten eine Eigenkreation hinzuzufügen: Eine mit den hungernden Kindern, die sein Haus umlagern, zu Pastete, die er die Köstlichkeit nennt. Das anfängliche teilen. Doch darüber hinaus rührt er in der Küche keinen Entzücken wendet sich bei den Gästen in Empörung, Finger. Er leidet. Und während sein Rousseau lesender als man erfährt, dass Kartoffeln die Grundlage der Köst- Sohn Benjamin ihm vom neuen Selbstbewusstsein des Presseheft À LA CARTE! 11
aufgeklärten Menschen erzählt, wünscht sich der starr- ein Dach über dem Kopf und egal, welch schwere Arbeit köpfige Koch a.D. nichts sehnlicher, als dass der Herzog er ihr aufträgt, sie erledigt alles mit unerschütterlicher ihn wieder zurücknimmt. Ausdauer. In dieser tristen Lage erscheint eines Tages eine myste- Manceron beginnt Louise zu beobachten. Ihre feinen riöse Frau mittleren Alters auf dem Hof und bittet Man- Hände sagen ihm, dass sie nie so hart gearbeitet hat, ceron um etwas Unerhörtes: Sie will das Kochen von ihm wie sie vorgibt. Aber als er sie bei der Lüge mit der Mar- lernen, obwohl dieses Handwerk reine Männersache ist. meladenköchin dran kriegt, tischt sie ihm eine andere Es hilft nichts, dass sie vorgibt, als Marmeladenköchin hanebüchene Geschichte auf: die einer Kurtisane aus leidliche Vorkenntnisse zu haben und darüber hinaus in Paris. Auffällig ist, dass sie sich sehr für die Geschichte einer Zwangslage zu sein. Manceron will sie loswerden. mit dem Herzog interessiert. Als dieser sich endlich im Aber wenn er stur ist, dann ist es die Fremde mit dem Rahmen einer Landpartie zu einer kleinen Stippvisite Namen Louise erst recht. Ein Duell der Sturköpfe. Loui- ankündigt, scheint die Chance gekommen, auf die sie so se harrt unbeirrbar vor seinem Haus aus. Sie trotzt Kälte lange gewartet hat. und Regen. Am Ende fordert Manceron sie auf, ihm in den Wald zu folgen und lässt sie in der Wildnis nach ess- In den nächsten Tagen werden auf Mancerons Hof ohne baren Zutaten suchen. Sie schlägt sich entgegen seiner Unterlass Massen an Geflügel, exotischen Gewürzen, Vermutung gut. Bei der folgenden Blindverkostung der Schweinehälften und Weinfässern angeliefert. Gemäl- gesammelten Kräuter, Beeren und Pilze, die Manceron de, Blumen, kleine Säulen, Schaukeln und anderer stan- Louise in den Mund legt, entsteht eine sinnliche Span- desgemäßer Pomp folgen. Es wird dekoriert und vorge- nung zwischen beiden. Louise hat Geschmack – und Ta- kocht, Tag und Nacht. Plötzlich ist alles wieder da: Der lent. Sie kommen sich näher. Aber als Manceron sie küs- Überfluss an Zutaten, die Herausforderung der kompli- sen will, hat er ein Messer am Hals. Er wird aus der Frau zierten Gerichte – und der Ehrgeiz Mancerons, seinem nicht schlau. Trotzdem nimmt er sie in die Lehre, gibt ihr Herren zu gefallen. Vergessen die Reden seines Sohnes Presseheft À LA CARTE! 12
um den Eigenwert des Menschen. Manceron ist in sei- nem Element, aber die Liste der Gerichte bringt auch einen versierten Koch wie ihn an seine Grenzen. Loui- se steht ihm bei allem zur Seite, schweigend und uner- müdlich. Als er sich völlig übermüdet bei einem Feuer die Finger verbrennt, wird Louise zu seinen Händen und kocht nach seinen Anweisungen. Dann bricht der Tag an, alles scheint geschafft. Manceron hält stolz zur Begrüßung ein Tablett mit der Köstlichkeit in den verbundenen Händen. Doch der Herzog fährt mit seinem kichernden Gefolge einfach am Hof vorbei. Man- ceron ist tief getroffen, aber Louise trifft es härter. Die verzweifelte Reaktion der sonst so beherrschten Loui- se verrät sie schließlich. Es wird eine Weile dauern, bis Manceron ihr und ihren Lügen verzeiht. Und während die Menschen in Paris die Bastille stürmen, erschafft das ungleiche Paar etwas auf ihrem Hof, das das Leben in Frankreich und der Welt grundlegend verändern wird: das Restaurant als Ort der Gemeinsamkeit und des Ver- gnügens – für alle! Presseheft À LA CARTE! 13
INTERVIEW MIT THIERRY CHARRIER UND JEAN - CHARLES KARMANN, KULINARISCHE BERATER DES FILMS Erzählen Sie uns von Ihrem ersten Treffen mit Éric Was war die erste Etappe Ihrer Zusammenarbeit? Besnard... Thierry Charrier: Jean-Charles und ich waren im gewis- Thierry Charrier: Éric und ich haben einen gemeinsamen sen Sinne die Garanten für die gastronomische Seite des Freund, bei dem wir uns eines Abends beim Dinner be- Films. Wir stürzten uns in die Recherche in den Biblio- theken und wir lasen alles über die Geschichte der Kü- gegnet sind. Ich habe gekocht, er liebte das Essen und che dieser Epoche. Alle unsere Rezepte sollten Originale wir freundeten uns an. Danach hatte er mir von seinem aus der Zeit sein. Projekt erzählt und mich gefragt, ob ich ihn bei den ku- Jean-Charles Karmann: Es war uns wichtig, dass die Ge- linarischen Fragen des Films beraten wolle. Éric hatte richte, die wir vorbereiten wollten, nicht nur dasselbe sehr genaue Vorstellungen davon, was er wollte, aber er Aussehen, sondern auch die gleiche Konsistenz, den wollte auch sicher gehen, dass diese technisch umsetz- gleichen Geschmack hatten. Wir empfanden eine Ver- bar waren und vor allem auch, dass sie der historischen antwortung gegenüber dem Regisseur, aber auch eine Realität entsprachen. Ich war sofort dabei. Aber wegen Verantwortung gegenüber unseren Lehrmeistern. meiner Arbeit am Quai d‘Orsay (Thierry Charrier ist Kü- chenchef im Quai d‘Orsay) war es für mich unmöglich, Was war Ihr erster Schritt? mich allein ins Abenteuer zu stürzen. Ich bat Charles Thierry Charrier: Die Köstlichkeit natürlich! Am Anfang Karmann, mir dabei zur Seite zu stehen. hatte uns Éric gefragt, ob wir ihn auf der Grundlage von Presseheft À LA CARTE! 15
Blätterteig herstellen könnten. Aber zu dieser Zeit war Jean-Charles Karmann: Isabelle hatte uns am Anfang der Blätterteig kaum bekannt. Man kochte damals nicht etwas geschockt: Wir sind im Quai d‘Orsay, wir machen mit Butter, sondern mit Schmalz und das einzige Volk, uns mit ihr an die Zubereitung der Köstlichkeit, wir be- das einen Blätterteig machte – das israelische Volk – ginnen damit, die Kartoffeln zu schälen. Und wir sehen, stellte ihn auf der Basis von Olivenöl her. wie Isabelle ihre Kartoffel weit von sich weg hält. ‚Was Jean-Charles Karmann: Wir machten die Köstlichkeit ist los, Isabelle?‘, fragen wir sie. ‚Magst du diese Kartof- aus Püree, mit Kartoffeln in Stücken, in Scheiben, ge- fel nicht?‘ Und sie antwortet, dass sie noch nie bei sich braten, kandiert. Wir haben alle möglichen Formen pro- zu Hause gekocht habe, dass dies ihr Mann immer ma- biert, Kreise, Quadrate, Dreiecke, als Tasche, als Ravioli che. Wir wurden sehr nervös. Aber Éric beruhigte uns: ‚In und fanden schließlich am Ende ein Resultat, das zu- dem Moment, in dem die Klappe fällt, wird sie es kön- sammenhielt und sich Érics Vision annäherte. nen.‘ Und so war es dann auch. Ihr habt Grégory Gadebois und Isabelle Carré gecoacht. Erzählen Sie uns vom Dreh... Wie lief ihre Lehre ab? Thierry Charrier: Einer von uns musste immer vor Ort Thierry Charrier: Grégory hat sich als sehr aufmerksamer sein. Einmal, um die Gerichte herzustellen, und dann, Lehrling erwiesen. Er entdeckte die Küche, das interes- um am Set auf historische Korrektheit zu achten. Im Tru- sierte ihn und ich hatte den Eindruck, dass er alles aufaß, bel der Aktion konnten die Schauspieler, die Techniker was er vorbereitete. Wir haben wunderbare Momente und selbst der Regisseur bestimmte Dinge vergessen. mit ihm erlebt. Er hat gelernt, mit Mehl zu arbeiten, er Wir hatten immer alles im Blick. hat Brot gebacken und mit uns geteilt – eine sehr sym- Jean-Charles Karmann: An manchen Tagen mussten wir bolische Geste für mich! Er wiederholte zu Hause, was wir 30 bis 40 Köstlichkeiten herstellen. Manchmal genügte ihm beigebracht hatten und rief uns an, um uns am Re- nicht einmal das. Schnell, schnell mussten weitere zu- sultat Teil haben zu lassen. Er war wirklich sehr engagiert. bereitet werden. Einige wurden ohne Gluten gemacht, Presseheft À LA CARTE! 16
weil es Schauspieler gab, die dies nicht vertrugen. Eine Bauernhöfe in der Nähe hat, Leute, die gutes Geflügel weitere Schwierigkeit, so die gleiche Festigkeit zu erhal- haben, andere machen gutes Fleisch. Und das ist eine ten, selbst die Farbe... Alles in allem haben wir 250 Köst- ehrliche Sache. Die Zeit, in der man das ganze Jahr Erd- lichkeiten fabriziert! beeren anbot, ist vorbei. Die Figur Manceron hat einen Schlüsselmoment: Indem Kommen wir auf die Köstlichkeit zurück. Können Sie uns er sein Restaurant öffnet, bietet er dem Volk die Mög- beibringen, wie man sie im 18. Jahrhundert zubereitete? lichkeit an, das Essen zu teilen. Thierry Charrier: Das Rezept, streng nach den Normen Thierry Charrier: Bis dahin teilten die Leute nicht viel der damaligen Zeit, ist ein wenig schwer, ein bisschen mehr als Suppen! Allein der Adel und einige Vertreter wie „Kleister“. Ich erinnere mich an die enthusiastische Ungeduld einer Schauspielerin, die eine Küchenhilfe des des Großbürgertums hatten das Privileg, sich gemein- Meisters spielt. ‚Warte‘, habe ich ihr gesagt: ‚Trink vorher sam zu einem Mahl zusammenzufinden. Dies waren lu- Wasser.‘ Am Ende von zwölf Takes hatte sie es nicht mehr xuriöse Menüs, feudal, mit mehr als 20 oder 30 Speisen, so eilig gehabt, sie zu essen. Wenn man die Köstlichkeit nur dazu geschaffen, den Reichtum der einladenden unserem Geschmack von heute etwas anpasst, war un- Mächtigen zu bezeugen und in denen die Leute nur he- sere große Sorge, wie man das Gleichgewicht bewahren rumstocherten. könnte zwischen der Realität eines Rezeptes, das aus dem 18. Jahrhundert stammt, und dem visuellen Aspekt Manceron ist Teil eines sehr aktuellen Diskurses: Er will des Gerichtes. Für unseren heutigen Geschmack musste nur regionale Produkte verwenden und weigert sich, mit es vor allem leichter werden. Gewürzen aus fernen Ländern zu kochen. Thierry Charrier: Ja, das ist wirklich erstaunlich. Viele von uns versuchen, mit regionalen und lokalen Händlern zu- sammenzuarbeiten. Man besinnt sich darauf, dass man Presseheft À LA CARTE! 17
INTERVIEW MIT DEM REGISSEUR ÉRIC BESNARD Wie ist die Idee zum Film entstanden? gleichen Rezepte, Gerichte reich an Gewürzen und Zu- cker, der in diesen Jahren entdeckt wurde, und die äs- Ich hatte Lust, mich mit dem zu beschäftigen, was unse- thetisch sehr aufwendig waren, mit Federn und Hahnen- re Identität ausmacht. Die Amerikaner sind Champions kämmen. Aber die Mode begann sich zu wandeln und auf diesem Terrain. Sie haben das Sternenbanner, den man konzentrierte sich zunehmend auf den ursprüng- Pioniergeist und den Mythos des Selfmademan. Die lichen Geschmack der Lebensmittel. Manceron ist Teil Engländer haben ihre Insellage und die Monarchie. Ich dieses Wandels. Er will frisches Gemüse und Gewürze wollte darüber nachdenken, wie ein Projekt über die aus dem Garten. Diese regionale Küche interessiert französische DNA aussehen kann. Bei meiner Lektüre mich unendlich mehr als das Bild des Luxus, mit dem bin ich schnell auf die Erfindung des Restaurants gesto- die französische Küche zu oft assoziiert wird. ßen. Ich wusste, dass ich auf etwas gestoßen war. Alles war da: dieses typisch Französische, sich Zeit zu nehmen, Das erste Menü, das Manceron dem Herzog und seinen sich hinzusetzen, um zu essen, um mit anderen etwas zu Gästen serviert, ist luxuriös: ein exzentrisches Dekor, teilen und dann die Zeit der Aufklärung, der Revolution. prunkvolle Aufmachung, über 40 Speisen! Manceron hat zwei Obsessionen: die regionale Küche Die Adligen der Epoche langweilten sich. Sie hatten kei- zu entwickeln und die natürlichen Aromen wiederzu- ne politische Funktion mehr. Sie spielten auch militärisch entdecken. War dies damals schon üblich? Oder ist er keine Rolle, denn es gab keine Kriege mehr. Ihnen blie- ben nur noch ihre Bonmots, die Ausschweifung und das damit Avantgarde…? Essen. Wir sind in der Welt des absoluten Scheins – Ringe, Damals war man immer noch dabei, die Gerichte aus Perücken, Spötteleien. Der Koch war zu einem Schmuck- dem Mittelalter zu kochen. Man wiederholte die ewig stück geworden, ein Ausdruck des Reichtums und der Presseheft À LA CARTE! 19
Pracht. Diese Reichen hatten nicht wirklich Kultur. Sie In Wirklichkeit erstreckte sich seine Entstehung über 15 verspotten die Köstlichkeit, diese berühmte Pastete aus Jahre. Das erste Restaurant erblickte erst 1782 das Ta- Kartoffel und Trüffel, die Manceron ihnen eigenmächtig geslicht. Der Adel, der zu dieser Zeit vor der Revoluti- serviert. Im 18. Jahrhundert ist der Koch jemand, von dem on flüchtete, ließ auf dem Spielfeld seine Köche zurück. verlangt wird, dass er die bekannten Gerichte reprodu- Und die kursierenden Ideen der Gleichheit, die von den ziert und nicht, dass er etwas Neues erfindet. Aber Man- Philosophen der Aufklärung propagiert wurden, taten ceron begeht ein noch viel schwerwiegenderes Verbre- den Rest. Einer hatte dann die Idee mit der Tischdecke, chen: Er benutzt für seine Küche Produkte, die unter der ein anderer die der Speisekarte, des Buffets etc. Erde wachsen und von denen die Kirche sagt, dass sie un- Wie erklärt es sich, dass Manceron, der sich weigert, sich genießbar sind und Krankheiten wie Lepra verursachen. beim Herzog zu entschuldigen, es nicht schafft, sich aus Kartoffel und Trüffel galten als Produkte des Teufels. In seiner Abhängigkeit zu befreien? dieser Zeit glaubte man an eine religiöse Abstufung der Nahrungsmittel. Je mehr sie der Luft angehören, desto Wenn er sich auch bewusst ist, dass er ein großes Wis- himmlischer sind sie; eine Taube ist perfekt, eine Kuh, die sen besitzt, so ist er doch weit davon entfernt zu erken- näher am Boden ist, schon weniger… Die Kartoffel aber, nen, dass er auch ein Künstler sein könnte. Der Palast obwohl sie sehr nahrhaft ist, wird in Frankreich hundert des Herzogs und die Situation als Angestellter sind das Jahre brauchen, bis sie sich durchsetzt. Einzige, was er kennt. Er ist unfähig, sich gegenüber De- mütigungen zu behaupten. Erst durch die Begegnung Sie erzählen die Geschichte so, dass die Gründung des mit Louise, durch den Einfluss seines Sohnes und des ersten Restaurants mit der Französischen Revolution alten Wilderers wird ihm klar, dass er mehr wert ist als zusammen fällt… er denkt. Presseheft À LA CARTE! 20
Das Brüske, mit dem Manceron Louise empfängt, er- Sie haben drei Schauspieler gefunden, mit denen Sie be- staunt auf den ersten Blick. War die Küche damals rein reits gedreht hatten: Isabelle Carré, Guillaume de Ton- männlich? Auch auf dem Niveau der Lehrlinge? quédec, Benjamin Lavernhe… In den Küchen der Schlösser gab es keine Frauen. Vor Ich liebe es, Vertrauen zu den Schauspielern zu haben, dem 19. Jahrhundert waren Frauen am Herd verboten. die ich kenne. Man versteht sich, es gibt keine Verstellung Bei den kleinen Leuten mussten sie sich mit etwas Brot zwischen uns. Abgesehen davon hatte ich Lust, wieder und Suppe im Gemeinschaftsraum zufrieden geben. Die mit Isabelle zu arbeiten. Es ist eine wahre Maskenrolle, Küche war ein sehr männlicher Ort, fast militärisch, mit die ich ihr vorschlug. Sie musste in den drei Identitäten Trupps, Anführern mit Rang… eine echte Macho-Umge- überzeugend sein, die sie im Film verkörpert, die ein- bung. fache Marmeladenköchin, die Kurtisane, die Marquise. Wichtig war auch, dass sie mit einer Persönlichkeit wie Welche Gründe hatten Sie, Grégory Gadebois für die Grégory als Paar harmonierte. À LA CARTE! – FREIHEIT Rolle des Manceron auszuwählen? GEHT DURCH DEN MAGEN ist ja auch das: die Geschichte Ich hatte große Lust, mit ihm zu arbeiten. Ich liebe die eines Paares, das sich durch die gemeinsame Arbeit und Zerbrechlichkeit von Grégory, seine Sanftheit, dieses im gegenseitigen Respekt zusammen entwickelt. Kindliche, das er sich bewahrt hat, und seine Hände, die ich mir oft angeschaut habe. Diese Hände, kräftig und zugleich zart, die mir erlaubten, von der männlichen Zerbrechlichkeit zu erzählen. Dieser Film existiert auch, weil der ideale Schauspieler dafür existierte. Presseheft À LA CARTE! 22
DER REGISSEUR ÉRIC BESNARD Nach einem Studium der Politikwissenschaften zog Kino. Benjamin Lavernhe besetzte er für die männliche es Éric Besnard zum Film. 1998 erschien sein erster Hauptrolle. Auch bei der Komödie MEINE GEISTREICHE Spielfilm LE SOURIRE DU CLOWN, bei dem er nicht nur FAMILIE (2019) arbeitete er mit Darstellern, die er später Regie führte, sondern auch das Drehbuch verfasste. Als für À LA CARTE! – FREIHEIT GEHT DURCH DEN MAGEN Drehbuchautor arbeitete er auch mit Regisseuren wie verpflichtete: Guillaume de Tonquédec und Isabelle Nicolas Boukhrief (CASH TRUCK – DER TOD FÄHRT MIT), Carré. Mathieu Kassovitz (BABYLON A.D.) und Thomas Vincent Filmografie (Auswahl): (THE PROTOCOL) zusammen. 2008 führte er Regie bei der Krimikomödie CA$H – ABGERECHNET WIRD ZUM 2021 À LA CARTE! – FREIHEIT GEHT DURCH DEN SCHLUSS mit Jean Dujardin. Im folgenden Jahr drehte MAGEN er den Abenteuerfilm 600 KILO PURES GOLD. 2012 2019 MEINE GEISTREICHE FAMILIE entstand sein bisher persönlichster Film, MES HEROS, 2016 BIRNENKUCHEN MIT LAVENDEL mit Josiane Balasko und Gérard Jugnot. 2012 MES HEROS 2016 gelang Éric Besnard mit der herzerwärmenden 2010 600 KILO PURES GOLD Komödie BIRNENKUCHEN MIT LAVENDEL sein bisher 2008 CA$H – ABGERECHNET WIRD ZUM SCHLUSS größter Erfolg. Der feinfühlige Film, in dem der auf 1999 LE SOURIRE DU CLOWN humorvolle und leichte Art die Geschichte eines jungen Mannes mit Asperger-Syndrom erzählt, zog allein in Deutschland über 700.000 Zuschauer ins Presseheft À LA CARTE! 25
INTERVIEW MIT GRÉGORY GADEBOIS Erzählen Sie uns von ihrem Einstieg in das Projekt. Interessieren Sie sich für die Gastronomie? Das Drehbuch hat mich nicht mehr losgelassen. Ich habe Ich liebe es zu essen. Aber bis zu diesem Film bestand die Silhouette von Manceron gesehen, ich habe die Ge- Kochen für mich nur darin, Pasta zu machen. Seitdem schichte geliebt – dieses Paar, das sich gegenseitig zu habe ich ein wenig dazu gelernt. Ich habe das Gemü- schätzen beginnt, indem es zusammen das Restaurant se entdeckt, wann man zu welcher Zeit was einsetzen erschafft und sogar das Konzept des Restaurants selbst kann... erfindet. Das Restaurant ist einer der Orte, die ich am häufigsten aufsuche, aber ich hatte mich nie gefragt, seit Wie haben Sie in der Vorbereitung mit Éric Besnard ge- wann es diesen Ort überhaupt gibt. Was mich vielleicht arbeitet? am meisten berührt hat, war dieser Satz im Film: ‚Drei Wir haben viel diskutiert, haben Lesungen gemacht. Tage später fiel die Bastille.‘ Die Lesungen, das ist ein wenig wie sich etwas Wasser über den Rücken laufen zu lassen, bevor man sich ins Manceron, ist er für Sie ein Revolutionär? Schwimmbecken stürzt. Ich musste außerdem die Koch- Dies sind die anderen – diese Frau, sein Sohn, sein Kum- kunst erlernen. Ich habe einige Zeit mit Thierry Charrier, pel, der Wilderer – die ihn dahin bringen, ein Anderer dem Chef des Quai d‘Orsay, verbracht, der sich auch um zu werden. Er selbst ist – dank seiner komfortablen Po- die Gerichte im Film gekümmert hat. Wenn man etwas sition – in sich selbst verankert. Dies ist fast körperlich. in der Küche von Manceron sieht, das schön ist, dann Obwohl er nur angestellt ist, ist er Angestellter eines Vo- hat er es gemacht. Für Éric sollte alles im Film durch die nundzu. Das ist auch noch heute bedeutsam. Küche passieren. Presseheft À LA CARTE! 26
Es existiert ein große Sinnlichkeit in À LA CARTE – Éric Besnard schätzt die Arbeitshaltung der Theater- FREIHEIT GEHT DURCH DEN MAGEN. schauspieler... Éric wollte alles in diesem Sinne erzählen. Die Stoffe, die Die Regisseure sagen das oft. In Wirklichkeit, wenn ein Gerüche, der Geschmack, die Beziehung zum Essen und, Drehbuch gut geschrieben ist, geht das von ganz allein. natürlich, die Blicke. Wir sind nichts als die Messer. Aber Messer ohne Koch sind unbrauchbar... Es gibt einen Satz von Louis Jouvet, Erzählen Sie uns von Ihrem Praktikum im Quai d‘Orsay. den ich verehre: ‚Wenn du nicht weißt, wie du etwas sa- Ich hatte mir Schuhe gekauft, eine Schürze, ich kam mor- gen sollst, dann schau den Kronleuchter an und rede.‘ gens zur gleichen Zeit an, wie die anderen und Thierry Ich mache das die ganze Zeit. Man kann nicht alles wis- gab mir kleine Aufgaben, die ich erledigen musste, um sen, man kennt oft nicht mehr als ein Zehntel der Rolle. zu verstehen, wie alles abläuft. Er hat mir beigebracht, Den Rest der Zeit, naja, schaut man eben den Kronleuch- wie man die Köstlichkeit macht, den Brotteig, er hat mir ter an und redet. Es sind die Texte, die Inszenierung, die eine Menge Dinge beigebracht, er hat sogar einen Spe- den Film machen werden. Und wenn der Kronleuchter zialisten für Brot aus Bordeaux kommen lassen, der mit Isabelle Carré heißt, um so besser! Es war toll, mit ihr zu seinem Mehl den Zug nahm, um mit mir über die ver- drehen. Mit allen am Ende. Isabelle, Christian, Bouillet- schiedenen Varianten des Brotes zu sprechen. Ich habe te, Lorenzo Lefebvre... ich finde, wir ergeben eine recht die Küche entdeckt! nette Familie. Presseheft À LA CARTE! 27
DER SCHAUSPIELER GRÉGORY GADEBOIS Nach dem Abschluss seines Studiums am Darstellung in MEINE SEELE FÜR DEINE FREIHEIT (2014) Pariser Conservatoire National Supérieur d’Art und als Bester Nebendarsteller in Roman Polanskis Dramatique, Frankreichs ältester und bedeutendster packendem Historiendrama INTRIGE (2020), das sich Schauspielschule, spielte Grégory Gadebois zunächst mit der Dreyfuß-Affäre auseinandersetzt.. Theater. Er stellte sein grandioses Talent unter anderem am Théâtre du Peuple in Bussang, am Théâtre de Filmografie (Auswahl): Sartrouville et des Yvelines sowie am Théâtre National 2021 À LA CARTE! – FREIHEIT GEHT DURCH DEN de la Colline unter Beweis. Von 2006 bis 2011 war er MAGEN von Éric Besnard Ensemble-Mitglied der prestigeträchtigen Comédie 2020 INTRIGE von Roman Polański Française, eines von nur sechs Theatern, das in 2020 BIS AN DIE GRENZE von Anne Fontaine Frankreich den Status eines Nationaltheaters innehat, 2018 EIN DORF ZIEHT BLANK von Philippe Le Guay und das einzige, das ein festes Ensemble engagiert. 2017 MARVIN von Anne Fontaine In Film- und Fernseh-Produktionen war er zunächst 2013 MEINE SEELE FÜR DEINE FREIHEIT von François in Nebenrollen zu sehen. 2010 übernahm er in Alix Dupeyron Delaportes ANGÈLE UND TONY zum ersten Mal eine 2013 HAPPY METAL – ALL WE NEED IS LOVE! von Hauptrolle und wurde für seine herausragende Leistung Martin Le Gall prompt mit dem César als Bester Nachwuchsdarsteller 2011 ANGÈLE UND TONY von Alix Delaponte ausgezeichnet. Es folgten César-Nominierungen als Bester Hauptdarsteller für seine ergreifende Presseheft À LA CARTE! 28
INTERVIEW MIT ISABELLE CARRÉ Was hat Sie am Drehbuch des Films überzeugt? Sie ist auch eine Frau, die gezwungen ist, mit ihren Ge- wohnheiten zu brechen... Seine Modernität. Wenn Manceron über sein Gemüse spricht, hat man den Eindruck, Jean-Pierre Coffe zu hö- Diese Brüche bringen ihr Freiheit. Sie schafft es, die ren! Schicksalsschläge zu überwinden, die sie verletzt ha- ben. Sie weiß, dass das Wichtigste nicht darin besteht, Haben Sie sich in einer bestimmten Weise auf den Film diesem oder jenem Milieu anzugehören, sondern darin, vorbereitet? glücklich zu sein. Glück ist für sie, in diesem Gasthaus Grégory und ich haben ein Praktikum in der Küche des zu sein, zusammen mit diesem Mann. Louise hat zu viel Quai d‘Orsay absolviert. Ich habe gelernt, wie man die gelitten, um bei dem zu bleiben, was sie gelernt hat. Sie Köstlichkeit zubereitet, wie man Hühner schneidet, Brot begreift, den Fakten zu vertrauen und nicht den Erschei- knetet... Dies sind die Momente, die ich besonders liebe: nungen. Es ist etwas sehr subtil Feministisches in ihrer man öffnet die Türen, die man sonst nie in seinem Leben Entwicklung. geöffnet hätte. Wie erarbeiten Sie Ihre Rollen, besonders diese? Erzählen Sie von Louise, der Figur, den Sie verkörpern. Wie der Großteil der Schauspieler komme auch ich aus Sie ist die Frau mit den drei Gesichtern: Sie gibt vor, Mar- dem Theater, ich muss den Text vorher sehr gut auswen- meladenköchin zu sein, sie behauptet, dass sie eine Pro- dig können. Ihn perfekt zu kennen, gibt mir ein Gefühl stituierte ist und ist doch am Ende eine Marquise und der Legitimität. Ich hatte auch eine andere Waffe, Louise bei jeder Etappe muss das Publikum ihr glauben. Darin zu erschaffen: das sehr eng geschnürte Korsett, das ich lag viel Spaß, aber auch eine große Herausforderung. die ganze Zeit im Film tragen musste. Ich musste mich Presseheft À LA CARTE! 30
wie sie bewegen, es war eine Art, mich in einer anderen sein. Im Theater habe ich gelernt, mich nicht dem Bild Welt zu fühlen. In dieser Beengung zehn Stunden täg- unterzuordnen. Es sind die Texte, die Geschichten und lich zu agieren, über einen Zeitraum von zwei Monaten, die Inszenierung, die wichtig sind. das ändert wirklich etwas. Es war umso interessanter für eine Figur, die viel darum kämpfen muss, sich gegenüber Es gibt eine große Sinnlichkeit im Film. Manceron zu behaupten, der sich am Anfang sehr ab- Ich mag diese sinnliche, gefühlvolle und romantische Di- weisend verhält. Es half mir, die physische und mentale mension des Kinos sehr! Die Liebesgeschichte zwischen Zwangslage, in der sich die Frauen damals befanden, zu Louise und Manceron wird über das Schweigen, die Ge- verstehen. Während sich Louise psychologisch weiter richte, die sie zubereiten, die Blicke, das Begehren, die entwickeln kann, bleibt es für sie unmöglich, zu rennen, Vorstellung erzählt. Ich liebe diese Verzögerung, den Zu- aktiv zu sein. stand, das Begehren zu dehnen bis zu einem Kuss. Louise ist manchmal erhaben, manchmal natürlich, manchmal wie ausgelöscht. Ist es beängstigend, so mit seiner Physis zu spielen? Glücklicherweise gibt es in Frankreich Regisseure wie Éric, die nicht die Falten der Schauspielerinnen zählen. Diese Frau, die sich den Fünfzigern nähert, ist großar- tig, ich nehme sie als Geschenk. Ich bin Schauspielerin, kein Mannequin, meine Arbeit besteht darin, Gefühle zu transportieren, nicht ein Bild auf Hochglanzpapier zu Presseheft À LA CARTE! 31
DIE SCHAUSPIELERIN ISABELLE CARRÉ Isabelle Carré ist eine der gefragtesten Film- und Filmografie (Auswahl): Theater-Schauspielerinnen Frankreichs und war in 2021 À LA CARTE! – FREIHEIT GEHT DURCH DEN mehr als 70 Filmen zu sehen. Sie verließ ihr Elternhaus MAGEN von Éric Besnard bereits mit 15 Jahren, um sich dem Schauspiel zu 2019 MEINE GEISTREICHE FAMILIE von Éric Besnard widmen, und studierte nach ihrem Abitur an der École 2017 MÉNAGE À TROIS – ZUM FREMDGEHEN Nationale Supérieure des Arts et Techniques du Théâtre. VERFÜHRT von Alexandra Leclère Sie ist bekannt für die erstaunliche Vielfalt ihrer Rollen, Figuren und Spielweisen. Sie war acht Mal für den César 2015 DIE FAST PERFEKTE WELT DER PAULINE von Marie Belhomme nominiert und wurde für ihre Theaterrollen zwei Mal (1995 und 2004) mit dem Prix Molière ausgezeichnet. 2012 ZWISCHEN ALLEN STÜHLEN von Pascal Bonitzer 2001 gewann sie den César als Beste Hauptdarstellerin 2009 RÜCKKEHR ANS MEER von François Ozon für ihre Darstellung in Zabou Breitmans CLAIRE – 2011 DIE ANONYMEN ROMANTIKER von Jean-Pierre EINE KURZE GESCHICHTE VOM VERGESSEN. Nachdem Améris sie 2006 in Alain Resnais‘ HERZEN zu sehen war, 2006 HERZEN von Alain Resnais übernahm sie 2009 die Hauptrolle in François Ozons 2001 CLAIRE – EINE KURZE GESCHICHTE VOM preisgekröntem Drama RÜCKKEHR ANS MEER. Das VERGESSEN von Zabou Breitman deutsche Publikum kennt sie vornehmlich in ihrer Rolle als Angélique in DIE ANONYMEN ROMANTIKER (2011) von Jean-Pierre Améris. Presseheft À LA CARTE! 33
INTERVIEW MIT BENJAMIN LAVERNHE Was war Ihre Reaktion, als Sie das Drehbuch zu À LA Ab der Bankett-Szene ahnt man das besondere Ver- CARTE! – FREIHEIT GEHT DURCH DEN MAGEN in die hältnis, das der Herzog zu seinem Koch hat. Aber sein Hände bekamen? Wohlwollen, mit dem er das Essen kommentiert, endet in dem Moment, in dem sich der Bischof über die Köst- Ich war sehr froh, dass es so anders als BIRNENKUCHEN lichkeit empört... Ab diesem Moment heult der Herzog MIT LAVENDEL war, in dem ich einen Autisten gespielt mit der Meute. hatte, und sehr glücklich war ich auch darüber, dass es Er ist ein Mann, der komplexer ist, als er scheint: Er ist sich um einen historischen Film handelte. Er entführt uns Manceron sehr verbunden, der schon seinem Vater ge- in eine andere Welt. Die Herausforderung, eine kleine dient hat. Die Tatsache, dass er sich dem vernichtenden Geschichte vor dem Hintergrund der großen Geschichte Urteil des Bischofs über Manceron unterwerfen muss, zu erzählen, hat mich sehr angesprochen. Angefangen dass er sich verbiegen muss, macht ihn krank. Aber er mit dem kleinen Restaurant landen wir am Ende bei der hat keine Wahl: Seine Gäste gehören dem Hof in Paris Französischen Revolution. Ich fand das sehr gut. und der Kirche an – sie sind zu mächtig. Er weiß, dass er seinen Koch verlieren wird und das ist wirklich ein Dra- Der Herzog, den Sie im Film spielen, repräsentiert einen ma für ihn. Seine Welt zieht sich zusammen, er verliert Archetyp aus der alten Welt... seinen Halt. Das war der andere Grund für meine Freude. Ich liebte Er kommt nicht mehr aus seinem depressiven Zustand es, diese Figur zu sein, diese zwiespältige, gestörte Per- heraus, bis Manceron ihm bei ihrem Wiedersehen auf sönlichkeit. Für mich ist der Herzog fast ein Widerständ- dem Schloss eine Kräutermayonnaise serviert. Würden ler gegen die Welt, die sich plötzlich gegen ihn stellt. Sie sagen, dass es eine kindliche Seite beim Herzog gibt? Presseheft À LA CARTE! 34
Ich würde lieber von einer Abhängigkeit sprechen, Er bewahrt Haltung und geht. einem Hang zur Küche. Er und Manceron kennen sich und verstehen sich, aber es gibt auch eine gegensei- Haben Sie das Gefühl, dass Sie miterlebt haben, wie sich tige Abhängigkeit zwischen ihnen. Das erklärt, warum Éric Besnard weiterentwickelt hat? es Manceron so schwer fällt, sich zu emanzipieren: Die Bei der Vorführung des Films, die für das Team organi- Bedeutung, die ihm der Herzog zuschreibt, gibt ihm siert wurde, hatte Éric diesen schönen Satz gesagt: „Ich ein Gefühl der Wertschätzung. Aber erst sein Sohn, ein glaube“, hat er uns gesagt, „es ist das erste Mal, dass der großer Bewunderer Jean-Jacques Rousseaus, schafft es, Film dem gleicht, was ich vorher wollte.“ Ich weiß, dass dass Manceron schließlich begreift, dass es sinnvoller, er sehr stolz auf den Film ist, der so harmonisch in sich gerechter und wichtiger ist, für das Volk zu kochen als Sinn und Form vereint. Man geht erfüllt nach Hause, in- für die Mächtigen. tellektuell und sinnlich erfüllt. Kommen wir auf die Bankett-Szene, in der die Gäste wie die Schweine grunzen, um Manceron zu erniedrigen... Es war sehr lustig, weil ich von befreundeten Schauspie- lern umgeben war. Es war ein Fest für uns, uns hier alle wiederzusehen. Aber die Szene war auch sehr lang und es stand viel auf dem Spiel. Das hätte schnell in eine Parodie umkippen können. Für Manceron ist dieser Mo- ment ein dramatischer Wendepunkt. Ab hier stellt er sich nicht mehr die Frage, ob er sich entschuldigen soll. Presseheft À LA CARTE! 35
DER SCHAUSPIELER BENJAMIN LAVERNHE Nach seinem Studium der Kommunikationswissen- Rolle in DAS LEBEN IST EIN FEST sowie 2020 und 2021 als schaften und den Abendkursen an der Schauspielschu- Bester Nebendarsteller in MEINE GELIEBTE UNBEKANN- le Le Cours Florent begann Benjamin Lavernhe seine TE und in MEIN LIEBHABER, DER ESEL & ICH. Schauspielkarriere am Theater. 2008 trat er in die na- tionale Schauspielschule, das Conservatoire National Filmografie (Auswahl): Supérieur d‘Art Dramatique in Paris ein und übernahm 2021 À LA CARTE! – FREIHEIT GEHT DURCH DEN verschiedene Rollen am Theater und im Fernsehen. 2012 MAGEN von Éric Besnard feierte er sein Kinodebüt mit der Komödie RADIOSTARS. 2020 MEIN LIEBHABER, DER ESEL & ICH von Caroline Im selben Jahr war er zum ersten Mal an der Comédie Vignal Française zu sehen, wo er 2018 die Figur des Scapin in 2019 MEINE GELIEBTE UNBEKANNTE von Hugo Gélin „Scapins Streiche“ verkörperte und für seine brillante Leistung für den Theaterpreis Molière nominiert wurde. 2017 DAS LEBEN IST EIN FEST von Olivier Nakache und Éric Toledano Im Jahr 2015 arbeitete er für BIRNENKUCHEN MIT LA- 2016 BIRNENKUCHEN MIT LAVENDEL von Éric Besnard VENDEL zum ersten Mal mit dem Regisseur Éric Besnard 2016 JACQUES – ENTDECKER DER OZEANE von zusammen. Die romantische Komödie, in der er an der Jérôme Salle Seite von Virginie Efira die Hauptrolle übernahm, wurde 2015 NUR FLIEGEN IST SCHÖNER von Bruno Podalydès ein großer Publikumserfolg und zog allein in Deutsch- land mehr als 700.000 Zuschauer ins Kino. Benjamin La- 2012 RADIOSTARS von Romain Levy vernhe, der sich vor allem auf das komödiantische Fach spezialisiert hat, wurde bereits drei Mal für den César nominiert: 2018 als Bester Nachwuchsdarsteller für seine Presseheft À LA CARTE! 37
INTERVIEW MIT GUILLAUME DE TONGUÉDEC Erzählen Sie uns von Ihrem Wiedersehen mit Éric Freude daran, auf die Regeln zu pochen. Er ist gut darin, Besnard... zu manipulieren, er spielt mit seiner Macht des kleinen Chefs. Das Drehbuch war wunderbar geschrieben. Ich liebte die Art, wie die große Geschichte über eine Kleine er- À LA CARTE! – FREIHEIT GEHT DURCH DEN MAGEN wur- zählt wird und dies auch noch derart brillant. Ich liebte de im Cantal gedreht und feiert, in einer gewissen Wei- die Feinheit, mit der jede einzelne Person erzählt wird, se, die Natur und seine Produkte... ich liebte die Liebesgeschichte, die nach und nach Man- In diesem Sinne ist der Film sehr modern. Die Natur ist ceron und Louise miteinander verbindet, und all die sehr wichtig für Éric, sie ist fast ein eigener Charakter im verschiedenen Ebenen, die der Film offenbart. Es ist Film. Éric liebt es, sie ins Bild zu setzen, er erweist ihr sei- ein Gourmet-Projekt, auf allen Bedeutungsebenen des ne Ehre. So wie er es auch liebt, Stillleben zu filmen. Alle Wortes. Einstellungen des Films könnten Gemälde sein. Waren Sie überrascht, dass er Ihnen den so wenig lie- Sie haben vorher noch nie mit Grégory Gadebois ge- benswerten Charakter eines Verwalters anbot, der da- dreht. mit betraut ist, die moralische und soziale Ordnung auf- recht zu erhalten? Es war eine wunderbare Erfahrung. Ich bewundere ihn sehr. Grégroy hat eine absolut essentielle Qualität, die Ich bewundere diesen Charakter, der erst einmal im ge- nur wenige Schauspieler haben oder von denen einige samten ersten Teil der Handlung sehr unsympathisch vergessen haben, dass sie sie besitzen: das Zuhören. Er, erscheint. Er ist nichts als ein Verwalter, er hat, wohl ge- vor allem ruhig in seiner Rolle, ich, vor allem redselig in merkt, Menschen über sich, aber er hat auch eine große meiner. Mit ihm baut sich ein Dialog in seinen Blicken
auf, seinem Atem, seinem Gesichtsausdruck, selbst wenn er schweigt. Selbst wenn man nur seinen Rücken sieht, fühlt man sein Zuhören, seinen Atem, die Schwin- gungen, die er ausstrahlt. Er ist ein großartiger Schau- spieler. Presseheft À LA CARTE! 39
DER SCHAUSPIELER GUILLAUME DE TONGUÉDEC Guillaume de Tonquédec ist ein französischer Film- seine Nebenrolle in der Komödie DER VORNAME den und Theaterschauspieler, der seine Ausbildung an César als bester Nebendarsteller. der Schauspielschule in Versailles und bei der Pariser Schauspielschule Le Cours Florent absolvierte. Bekannt Filmografie (Auswahl): wurde Guillaume de Tonquédec 1988 mit der von Gérard 2021 A LA CARTE! – FREIHEIT GEHT DURCH DEN Brach geschriebenen Mini-Serie „Civilisations“. Zuvor MAGEN von Éric Besnard hatte er erste Erfahrungen in Filmen wie ERPRESST – 2019 ROXANE von Mélanie Auffret DAS GEHEIMNISVOLLE FOTO von Pierre Granier-Deferre 2019 MEINE GEISTREICHE FAMILIE von Éric Besnard und Francis Husters ON A VOLÉ CHARLIE SPENCER (bei- 2018 EIN LIED IN GOTTES OHR von Fabrice Eboué de 1986) gesammelt. Im Kino folgten weitere Nebenrol- 2015 FRÜHSTÜCK BEI MONSIEUR HENRI von Ivan len u.a. in Krzysztof Kieslowski‘s DIE ZWEI LEBEN DER Calbérac VERONIKA (1991). Seine erste Hauptrolle hatte 1992 er in 2012 DER VORNAME von Alexandre de la Patellière Charles Nemes’ Komödie TABLEAU D‘HONNEUR. Die Ko- und Mathieu Delaporte mödie wurde zum Karrierestart für den Jungschauspie- 2009 ERZÄHL MIR WAS VOM REGEN von Agnès Jaoui ler. Seitdem wirkte er in über 30 Kinofilmen mit und war 1992 TABLEAU D‘HONNEUR von Charles Némès regelmäßig im französischen Fernehen präsent. Neben seiner Arbeit bei Film und Fernsehen blieb Ton- quédec dem Theater treu. Er spielte zahlreiche Haupt- rollen, unter anderem in Roman Polanskis Inszenierung von Strindbergs „Hedda Gabler“. 2013 gewann er für Presseheft À LA CARTE! 40
REZEPT FÜR DIE KÖSTLICHKEIT Zutaten für 20 Köstlichkeiten: Zubereitung: Für den Teig à la Valentin: Zubereitung des Teiges à la Valentin: * 300 g Mehl Mischen Sie in einer Salatschüssel das Mehl mit der Kar- * 35 g Kartoffelstärke toffelstärke, dem Salz und dem Zucker. * 250 g Butter Arbeiten Sie mit den Fingerspitzen weiche Butter ein. * 5 g Salz Fügen Sie dann die Milch und das Eigelb hinzu, kneten * 15 g Zucker Sie, bis Sie eine glatte und homogene Masse haben. Im * 7 cl Vollmilch Kühlschrannk aufbewahren. * 2 Eigelb Zubereitung der Köstlichkeit: Für die Garnitur: Schälen Sie die Kartoffeln und schneiden Sie sie in Stücke, dann in gleichmäßige Scheiben von einem hal- * 600 g große Kartoffeln ben Zentimeter Breite. Erhitzen Sie in einer großen * 50 g frische Trüffeln Pfanne das Entenschmalz, dann braten Sie die Kartof- * 120 g Entenschmalz felscheiben, bis sie eine goldene Farbe bekommen. * 90 g geraspelter Cantal-Käse Würzen Sie mit etwas Salz und Pfeffer. Nehmen Sie die * Feines Salz, Pfeffer aus der Mühle Kartoffelscheiben aus der Pfanne und tupfen Sie sie auf einem Küchenpapier ab. Warm halten. Währenddessen die Trüffel in feine Scheiben schneiden. Presseheft À LA CARTE! 42
Legen Sie kleine Formen mit dem Teig à la Valentin aus, Ergänzungen von Manceron und Louise: den Sie voher mit Hilfe einer Teigrolle auf der mit Mehl Es ist möglich, dieses Rezept mit einer Pilz-Duxelle gepuderten Arbeitsfläche ausgerollt haben. (eine Art Paste) aus Champignons anstelle von Trüffeln Beginnen Sie das Übereinanderschichten mit einer Kar- zuzubereiten. Für die größten Genießer kann man die toffelscheibe, einer Prise geriebenem Käse, einer La- Köstlichkeit auch in der Form von Pasteten in großen melle Trüffel und wiederholen Sie dies bis zum Rand der Portionen herstellen. Dieses Rezept kann als Appe- Form. tit-Häppchen, als Vorspeise oder auch als Garnitur einer Bedecken Sie alles mit einer dünnen Schicht aus Teig Grillfleischplatte serviert werden. und dekorieren Sie diese mit kleinen Croissants aus Teig, die Sie mit einer Ausstechform zubereiten. Heizen Sie den Ofen auf 180° vor und backen Sie alles 35 Minuten lang. Aus dem Ofen herausnehmen und heiß servieren. Ein Rezept von Thierry Charrier und Jean-Charles Karmann Presseheft À LA CARTE! 43
GLOSSAR Aufklärung A. – sich über einen Sachverhalt Klarheit fokussieren sich die Arverner lieber auf das, was wirklich verschaffen. Der Deutsche kennt A. vor allem vom Sonn- wichtig ist: Das Essen, der Wein und die Freude am Le- tagskrimi. Kinder der 80er denken vielleicht noch an die ben. Von hier kommen nicht nur einige der köstlichsten Bravo. Aber an dieser Stelle geht es nicht um Sex & Crime. → Rezepte, die jemals die Gaumen der Welt erfreuten, Es geht um etwas Grundlegenderes: „sich seines eigenen sondern auch deren wohl beste Käsesorten, unter ande- Verstandes zu bedienen“ oder anders ausgedrückt: „sich ren der → Saint Nectaire. aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befrei- Bouillon Französischer Begriff für Brühe, mit mindes- en“ (Kant). Zu unspektakulär? Damals, um 1700, war das tens so vielen Variationen wie Schwierigkeiten in der revolutionärer als Dr. Sommer und alle Tatort-Krimi-Plot- Aussprache (korrekt: bulˈjɔŋ). Landläufig beschreibt die B. points zusammen! Manceron und sein Kampf um Eman- einen Sud auf fleischlicher oder pflanzlicher Basis, der zipation vom Herzog spiegelt das sehr anschaulich. Aber durch Zugabe von → Gewürzen und Salz zur herzhaften auch heute hat man nicht unbedingt den Eindruck, dass Vorspeise oder Sauce reift. Lecker. Schon lange vor der die Schlacht um den Verstand und seine Bedienung voll- Erfindung des Restaurants galt die B. als kräftigender ständig geschlagen ist. Energielieferant am Morgen für Ritter und Bauern glei- Auvergne Die Region im Herzen unseres Nachbarlan- chermaßen; das Müsli des Mittelalters. Dass in der B. des könnte man wohl getrost als Bayern Frankreichs be- häufig auch Schalen, Knochen und andere ansonsten zeichnen: Im Norden hügelig, im Süden etwas hügeliger; ungenießbare Zutaten Verwendung finden, machte den Ein Dialekt, den der Rest des Landes kaum versteht und herzhaften Trunk außerdem zur Wunderwaffe gegen den eine Bevölkerung, die mindestens genauso katholisch → Hunger in schwierigen Zeiten. Ein ökologischer Ansatz, wie überaltert ist. Weit weg von der Kulturmetropole Pa- der in Zeiten der Überversorgung und Wegwerf-Mentali- ris und ebenso weit von den Stränden der Côte d’Azur, tät aktueller ist denn je. Presseheft À LA CARTE! 45
Feuer Mit F. spielt man nicht. Das hätte sich der fran- Die F. R., die sich rückblickend als „gefräßiges Ungeheu- zösische Adel wohl besser zu Herzen genommen, dann er“ entpuppte, welches „hungrig sich selbst verschlang“ wären Paläste und Ländereien nicht den sich rasend aus- (Ernst Moritz Arndt), brachte auf dem kulinarischen Ge- breitenden Flammen der → Aufklärung zum Opfer gefal- biet aber auch etwas weit Appetitlicheres auf den Weg: len. Dass man mit F. nicht nur zerstören, sondern auch Die Erfindung des Restaurants als Ort des Genusses und Wundervolles kreieren kann, zeigt sich seit Jahrhunder- der Gemeinsamkeit für alle. ten in der → Gastronomie, wo mit Hilfe des F. aus einfa- chen Zutaten, grandiose → Mahlzeiten entstehen. Auch Gewürze Der Griff eines Gastes zum Pfefferstreuer – heute noch schwören Sterneköche fast ausnahmslos auf Salz in der Wunde jeden Kochs! Und das nicht nur, weil die Zubereitung über Gas- oder gar offener Flamme. Viel das Steak offenkundig fad schmeckt. Gewürze waren frü- direkter ist die Hitze des F., viel gleichmäßiger der Gar- her ein rares Gut, wurden sie doch nicht nur zum Wür- prozess, viel köstlicher das Ergebnis. zen von Speisen, sondern auch für Arzneistoffe und als Konservierungsmittel verwendet. Erst durch die Erfin- Französische Revolution Die F. R. ist der Beginn einer dung des Restaurants durfte das gemeine Volk an der wunderbaren Freundschaft des Westens mit der Regie- geschmacklichen Vielfalt teilhaben, die wir heutzutage rungsform der Demokratie. Erfunden wurde sie lange in allerlei kleinen Dosen, Streuern und Mühlen jederzeit vorher, im alten Griechenland. Aber Europa hat dann griffbereit haben. doch auf die Franzosen gewartet, bis sie den Wert die- ser „besten aller schlechten Regierungsformen“ begriff Hände Vielseitig einsetzbare, organische Werkzeuge, und ihre Könige nach Hause schickte. Allerdings war der zumeist am Ende der Arme zu finden. Im Unterricht blei- Anfang der Demokratie etwas holprig und so waren die ben H. zumeist unten, beim Banküberfall eher oben. Un- neuen Machthaber froh, dass sie auf eine andere schöne verzichtbar sind sie in der → Küche, wo begnadete Köche Erfindung der Zeit um die F. R. zurückgreifen konnten: die mit ihren H. aus erlesenen Zutaten wahrhaft köstliche Guillotine, auch „Rasiermesser der Nation“ genannt. Oder Gerichte zaubern. Nicht ohne Grund gilt die Kochkunst realpolitischer: „Maschine zum Regieren“ (Saint-Just). als ältestes und kulturgeschichtlich bedeutendstes Presseheft À LA CARTE! 46
Handwerk überhaupt. Schon in der Steinzeit dürfte ein perimentiert. Heute sind Millionen verrückt nach der K. guter „Koch“ gerngesehener Gast am stammeseigenen – vor allem in ihrer Form als Chips. Auch in der Variante → Feuer gewesen sein. Ebenso wichtig sind H. übrigens als Pommes Frites gelang die K. zu Weltruhm. Hier hatten im Kinosaal – zum Popcorn-Essen und Händchenhalten. mal wieder die Franzosen die Finger im Spiel – wie so oft Rhythmisches Aufeinanderschlagen der H. am Ende des bei Genussmitteln, die weltweit groß rauskamen. Aber Films signalisiert darüber hinaus Begeisterung – kurz: es die Franzosen sind auf den Zug erst spät aufgesprungen, darf geklatscht werden. galt doch die K. nach der kirchlichen Lehre von der Rang- ordnung der Nahrungsmittel als des Teufels: Je näher Hunger Der Hunger des kleinen Mannes, früher ein ein- dem Himmel, desto göttlicher, je näher der Erde, desto sames Geschäft: Man aß, um den Hunger zu bekämpfen, mephistophelischer. Taube hui, Trüffel pfui. Kirchenlogik meist alleine. Doch dann: eine (andere) → Französische eben. Revolution! Das Restaurant als Ort des Beisammen- seins, als Oase der Gemütlichkeit und des Genusses. Da Küche Die K. ist ein fester Bestandteil einer jeden na- beginnt man auch anders über Hunger nachzudenken. tionalen DNA. Die Franzosen reklamieren trotzdem die Vorbei sind die Zeiten des tristen Hinunterschlingens, ab Ehre für sich allein, Wiege der Kochkunst zu sein. Menü- jetzt wird galant goutiert oder gesellig geschlemmt. Frei folge, Arbeitsteilung, Restaurantführer, Küchentechni- nach dem Motto: Auch knurrende Mägen können Men- ken – die Franzosen haben es erfunden, wie man im Film schen zusammenbringen! sehen kann. Die Französische K. hat es dann auch auf Initiative von Bocuse und Sarkozy auf die UNESCO-Wel- Kartoffel Die Deutsche Küche hat die K. berühmt ge- terbe-Liste geschafft – neben argentinischem Tango und macht. Oder ihren Ruf ruiniert. Wie man‘s nimmt. Lange mongolischer Musik. Man munkelt, dass man die K. auch Zeit war die K. unter den Herrschenden immer nur dann strategisch einsetzen kann. Liebe, eine andere Erfindung beliebt, wenn das das Land gerade nach einem Erbfolge- der Franzosen, geht bekanntlich durch den Magen. Aber krieg am Boden lag und das Volk hungerte. Zum Glück auch auf dem internationalen Parkett ist die K. eine wurde mit dem blassen Gemüse dann auch leidlich ex- scharfe Waffe. Als es im Vorfeld des Wiener Kongresses Presseheft À LA CARTE! 47
nicht gut für Frankreich aussah, brachte Pfiffikus Tally- Rousseau Forscher, Komponist, Schriftsteller, Philo- rand einfach einen Starkoch aus Paris zur Verhandlung soph und Pädagoge – inspirierte mit seinen Ideen die mit. Noch ein paar 1000 Liter Champagner – der Rest ist → Französische Revolution und schob das Projekt der → Geschichte. Aufklärung mit voran. Auch unseren Film durchweht der Esprit R.s. Macerons Sohn Benjamin versucht seinen Va- Poststation Ein auf einer Postlinie gelegenes Gebäude, ter mit den Freiheitsideen zu überzeugen: „Der Mensch das dem Personal und den Fahrgästen von Postkutschen ist frei geboren und überall liegt er in Ketten. Manch ein Dach über dem Kopf und einen Laib Brot gegen den einer glaubt, Herr über andere zu sein, und ist ein grö- Hunger anbietet? Rückblickend ist die Poststation der ßerer Sklave als sie.“ Und auch dieses Zitat von R. führt Restaurant-Vorgänger im Geiste! Natürlich fehlte da noch ins Herz des Films: „Die Menschen sind böse; eine trau- einiges. Eine Auswahl an köstlichen Gerichten, ein kom- rige und fortdauernde Erfahrung erübrigt den Beweis; fortabler Sitzplatz und ein gemütliches Ambiente zum […] Man bewundere die menschliche Gesellschaft, soviel Beispiel. Da wird der Zwischenstopp mit der Kutsche man will, es wird deshalb nicht weniger wahr sein, dass plötzlich zum geschmacklichen Highlight des Tages!. sie die Menschen notwendigerweise dazu bringt, sich in dem Maße zu hassen, in dem ihre Interessen sich kreu- Rezept Wahre Kochkunst muss nicht immer nur am Herd zen, außerdem sich wechselseitig scheinbare Dienste zu stattfinden, sondern kann auch genau so gut zwischen erweisen und in Wirklichkeit sich alle vorstellbaren Übel zwei Buchdeckeln zu finden sein. Eine feine Nase und zuzufügen.“ trainierter Geschmackssinn, also kochen „frei Schnauze“, Saint-Nectaire ist ein französischer Kuhmilchkäse, be- ist nichts gegen die kulinarische Prosa von Auguste Es- nannt nach einer Gemeinde in der Auvergne. Nur 72 Orts- coffier, dessen Rezepte noch heute das Wasser im Mund schaften gebührt die Ehre, ihren Käse S.-N. Nennen zu zusammenlaufen lassen. Egal ob Kochbücher, -magazine dürfen. Die Gerichte Frankreichs haben sicher viel damit oder -tutorials – auch in Wort und Schrift ist die Küche zu tun, die Rechte um die Namensgebung von Käsen zu ein Ort unbegrenzter künstlerischer Möglichkeiten. wahren. Immerhin gibt es dort rund 250 Käsesorten. „Wie Presseheft À LA CARTE! 49
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