Projekt Interkulturelle Suchthilfe' der Caritasgeschäftsstelle Mayen - Caritasverband Rhein-Mosel-Ahr e.V.
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Honnefer Migrationstage 2009 „Sucht und Migration – vernetzt handeln“ Good Practice Beispiel Projekt ‚Interkulturelle Suchthilfe’ der Caritasgeschäftsstelle Mayen Referentin Natalia Pauls Bad Honnef, 14. Mai 2009 Caritasverband Rhein-Mosel-Ahr e.V.
Natalia Pauls: Projekt ‚Interkulturelle Suchthilfe’ der Caritasgeschäftsstelle Mayen 2 Ausgangslage Abhängigkeitsproblematik nimmt in Europa, Deutschland bildet hier leider keine Ausnahme, den Charakter einer Epidemie ein. Sucht ist in allen gesellschaftlichen Schichten zu beobachten. Sie macht keinen Unterschied zwischen Alter, Herkunft und Religion. Seit Jahren ist Sucht bei Zugewanderten Menschen ein Thema in verschiedenen Diskussionen, in den Medien und in der Praxis. Dieser Thematik stellte sich die Caritasgeschäftsstelle Mayen. Immer wieder wurden Kolleginnen und Kollegen vom Fachdienst Migration, insbesondere in Übergangswohnheimen mit der Problematik von legalen und illegalen Drogen konfrontiert. Der Austausch mit der Psychosozialen Beratungsstelle für Abhängige vor Ort zeigte einen geringen Zugang dieser Zielgruppe zu bestehenden Angeboten. Probleme in der Sprachverständigung, Informationsmangel, unterschiedliche Sichtweisen der Suchtproblematik und des Umgangs mit Suchtmitteln, Therapieerfahrungen aus dem Herkunftsland, Schwellenängste, sind nur einige Gründe dafür. Im Jahre 2001 entstand das Projekt „Interkulturelle Suchthilfe“, als Kooperationsprojekt zwischen dem Fachdienst Migration und der Psychosozialen Beratungsstelle für Abhängige (PSB), die sich günstigerweise ebenfalls in Trägerschaft der Caritasgeschäftsstelle Mayen befand bzw. befindet. Das Projekt „Interkulturelle Suchthilfe“ wurde von Mai 2001 – Mai 2004 als ein Teil von ‚Participatio – Integrationsforen im ländlichen Raum’ durch das Bundesministerium des Inneren (BMI) gefördert. Von Mai 2004 – Mai 2007 gelang es uns im Rahmen des Projektes ‚Incultura – Förderung von bürgerschaftlichen Engagement’ eine weitere Projektförderung durch das BMI zu erhalten. Für das Projekt wurde eine 50 % Personalstelle eingerichtet, die mit einer russischsprachigen Diplom Sozialarbeiterin mit eigenem Migrationshintergrund besetzt wurde. Die Dienst- und Fachaufsicht für die Mitarbeiterin wurde der PSB übertragen.
Natalia Pauls: Projekt ‚Interkulturelle Suchthilfe’ der Caritasgeschäftsstelle Mayen 3 Die Kompetenz der PSB war gefragt. Der FD Migration nahm bei dieser Zusammenarbeit keine Lehrrolle ein, nach dem Motto „Wir zeigen der Suchtberatungsstelle, wie sie Migrantinnen und Migranten erreichen kann“. Es ging darum suchspezifische- und migrationsspezifische Fragestellungen gemeinsam konstruktiv zu bearbeiten. Dadurch entstand die Bereitschaft der PSB für interkulturelle Öffnung. Die migrationsspezifische Begleitung erfolgte durch regelmäßige Reflexionsgespräche mit einem Mitarbeiter des Migrationsdienstes, sowie über die Einbindung in das PSB - Team und in die Teams der jeweiligen Gesamtprojekte ‚Participatio – Team’ und ‚Incultura – Team’. Zielgruppe und Ziele des Projekts Zielgruppe waren zugewanderte Menschen, insbesondere Migrantinnen und Migranten aus der ehemaligen UdSSR, da diese die größte Migrantengruppe im Einzugsgebiet unserer Caritasgeschäftsstelle darstellen. Ziele des Projekts • Förderung der Besprechbarkeit des Themas „Drogenkonsum und Abhängigkeit“ innerhalb dieser Zielgruppe • Stärkung der Eigenverantwortung im Umgang mit Suchtmitteln • Abbau von Zugangsbarrieren zum Suchthilfesystem • Stärkung der Lobby von Zugewanderten (insbesondere russischsprachigen Menschen) • Interkulturelle Sensibilisierung des Suchthilfesystems Die Grundlage für die Arbeit des Projektes bildete das Keypersons – Konzept, welches im Ethnomedizinischen Zentrum in Hannover entwickelt wurde und das von uns für den ländlichen Raum modifiziert wurde. Das Keypersons-Konzept verfolgt das Ziel, Migrantinnen und Migranten durch muttersprachliche und kulturspezifische Angebote einen Zugang zur Drogenaufklärung und einen Zugang zum Suchthilfesystem zu ermöglichen. „ ,Keypersons’ (Schlüsselpersonen) sind Mitglieder bzw. integrierte und akzeptierte Personen aus der jeweiligen Zielgruppe. Sie bekleiden eine Position innerhalb der Subgruppe (Lehrer, Hoca o. ä.) oder stellen eine Autorität bezüglich ihrer Fachkompetenz dar (Ärzte, Studierte). Ihre besondere Stellung innerhalb der Gruppe legitimiert sie zu Ratschlägen, die dann von einem ,Gelehrten’ angenommen werden können. Ein wichtiger Aspekt dabei ist das Wissen um die Akzeptanz der eigenen Lebenswelten und die Kenntnis der Hintergründe. ,Keypersons’ unterstützen das „Wir-Gefühl“ im Sinne von Herkunft und Zuordnung (,Er/sie ist einer/eine von uns’). An sie kann man sich wenden, um Lösungen zu suchen. ,Keypersons’ sind in die fremde Welt integriert, haben gute Fremdsprachenkenntnisse und kennen die kulturellen und rechtliche Unterschiede.(…) Sie erfüllen eine Mittlerfunktion zwischen Migranten und der hiesigen Gesellschaft.“1 Die Kenntnis der jeweiligen Herkunftssprache ist eine Grundanforderung an Schlüsselpersonen. 1 Tuna, S. in: Salman / Tuna / Lessing (Hg.): Handbuch interkulturelle Suchthilfe: Modelle, Konzepte und Ansätze der Prävention, Beratung und Therapie, S. 108, Gießen 1999
Natalia Pauls: Projekt ‚Interkulturelle Suchthilfe’ der Caritasgeschäftsstelle Mayen 4 Aufgaben der Schlüsselpersonen • Information und Aufklärung über die vorhandenen Angebote der Suchthilfe • Ansprechbarkeit und Enttabuisierung des Drogenthemas • Thematisierung und Abbau von Ängsten und Vorurteilen • Stärkung der Eigenverantwortung und des Problembewusstseins im Umgang mit Suchtmitteln • Heranführung von Betroffenen an bestehende Angebote der Suchthilfe Methoden Rekrutierung und Qualifizierung von Schlüsselpersonen Die Auseinandersetzung mit dem Thema Sucht führt unvermeidlich zu einer Hinterfragung wesentlicher kultureller und migrationsbedingter Sichtweisen und Haltungen. Sie ist hochgradig angstbesetzt und tabuisiert. Deshalb ist Präventionsarbeit stark personengebunden. „Nur die Personen sind geeignet, die einen Zugang sowohl zu der Zielgruppe wie zu den Instanzen der hiesigen Gesellschaft haben und für beide Seiten vertrauenswürdige ‚Autoritäten’ darstellen.2 Durch persönliche Anfragen und Kontakte der Projektmitarbeiterin konnten einige russischsprachige Ehrenamtliche darunter eine Erzieherin, eine Sprachkurslehrerin, eine ehemalige Lehrerin, zwei Ärzte für die Mitarbeit motiviert werden. Die Schlüsselpersonen wurden von Kolleginnen und Kollegen beider Arbeitsbereiche vorbereitet und geschult. Dazu gehörte eine intensive Auseinandersetzung mit eigenen Migrationserfahrungen, Werten und Normen, Erwartungen an die ehrenamtliche Arbeit und dem Suchtverständnis. Die Schlüsselpersonen bekamen Informationen zum Suchthilfesystem und möglichen Zusammenhängen zwischen Sucht und Migration. Eine klare Abgrenzung zur therapeutischen und beraterischen Tätigkeit wurde in der Gruppe unterstrichen. Gemeinsam mit dem Präventionsteam wurde in den folgenden Treffen das Gerüst für Präventions- und Informationsveranstaltungen inhaltlich und methodisch vorbereitet. Aufsuchen der Zielgruppe Nach der Methode der Aufsuchenden Arbeit, die sich klar von dem Prinzip der ,Komm- Struktur’ unterscheidet (eine Veranstaltung wird angekündigt und Interessierte erscheinen an den vorgegebenen Ort zu vorgegebener Zeit) wurden Migrantinnen und Migranten in den ihnen bekannten und vertrauten Räumen aufgesucht z.B. Sprachkurse, Berufsintegratiosprojekte, Übergangswohnheime. Da die Ansprechbarkeit von tabuisierten Themen und die dafür notwendige Offenheit eher gegeben sind, wenn die Gruppenmitglieder sich unter einander kennen und ein gewisses Vertrauen zu einander haben. Die einzelnen Gruppen wurden erst gegen Ende der jeweiligen Maßnahme aufgesucht. Die Veranstaltungen in den Übergangswohnheimen hatten eher informativen Charakter, da dort für eine intensive Auseinandersetzung der Schutzraum nicht gegeben war. Kulturspezifische Präventionsarbeit Moderne Präventionsansätze entfernen sich von dem früheren Prinzip der Abschreckung. Sie sehen die Vermittlung allgemeiner Handlungs- und Konfliktbewältigungskompetenzen vor 2 Salman, R. in Hegemann / Salman (Hg.): Transkulturelle Psychiatrie: Konzepte für die Arbeit mit Menschen aus anderen Kulturen, S. 63, Bonn 2001
Natalia Pauls: Projekt ‚Interkulturelle Suchthilfe’ der Caritasgeschäftsstelle Mayen 5 und versuchen, die Eigenverantwortung zu fördern, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit zu entwickeln und Entscheidungskraft zu stärken. Genau diese Ziele weichen von traditionellen Lebenskonzepten vieler Migrantengruppen, aus Kollektivgesellschaften mit autoritären Strukturen ab. Der Selbstständigkeit steht Autorität entgegen, der Unabhängigkeit die Rangordnung, dem Streben nach Individualität kollektivistisches Denken und der Stärkung der Entscheidungskraft die Achtung vor den Älteren und das Befolgen ihrer Anweisungen. Interkulturell orientierte Präventionskonzepte können nur erfolgreich sein, wenn sie diesen Umstand berücksichtigen. Medieneinsatz Bei der Auseinandersetzung mit tabuisierten Themen ist die Auswahl von geeigneten Medien sehr wichtig. Der Einsatz unterschiedlicher Medien ermöglicht die Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit und der Spannung. Die düsteren Erwartungen und Blockaden der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden durch Comics, Anekdoten, Rollenspiele, Folien mit verständlichen Texten in der Herkunftssprache, Musik und der gleichen, schnell gelockert, was die erforderliche Offenheit und die Informationsverarbeitung begünstigte. Je emotionaler der Beitrag, desto tiefer wird er von den Zuhörern eingeprägt. Entwicklungen und Beispiele der Projektarbeit Präventionsarbeit • Auseinandersetzung mit den eigenen Migrationserfahrungen • Aufklärung zum Suchtmittelkonsum • Vorstellung der Arbeitsprinzipien der Suchtkrankenhilfe • Raum für Gespräche / Nachfragen unter vier Augen Die erste Präventionsveranstaltung in einem Jugendsprachkurs der Volkshochschule Andernach zielte ausschließlich auf die Auseinandersetzung mit der Suchtthematik ab und ging völlig daneben. Die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigten sich verschlossen und nicht zugänglich. Bei der Auswertung wurde deutlich, dass die Sicherung der Grundbedürfnisse wie Erlernen der Sprache, Ausbildung, Arbeit, Freizeit, Finanzen, Familie, sowie die Auseinandersetzung mit dem Thema „Alte und neue Heimat“ bei den Sprachkursteilnehmern im Vordergrund standen und stehen. Nach dieser Erfahrung wurden Ziele und Inhalte überdacht und das Präventionskonzept umgekrempelt. Die Auseinandersetzung mit eigenen Migrationserfahrungen zeigte sich in Veranstaltungen als ein guter Einstieg. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer fühlten sich angesprochen und ernst genommen. In den Berichten der Schlüsselpersonen fanden sie sich wider. Es wurde deutlich, dass die eigene Migration oft nicht verarbeitet war. Auch in der Familie wurde nicht gerne darüber gesprochen. Durch Rollenspiele und Gruppenaufgaben ermutigt, entstanden oft emotionsgeladene Diskussionen zwischen Menschen, die Migration als Chance sahen und denen, die sich in Deutschland fehl am Platze fühlten (z.B. Jugendliche, die nicht kommen wollten, aber mitkommen mussten). Durch positive Integrationsgeschichte der Schlüsselpersonen, wurden viele ermutigt, wieder an ihre eigenen Potenziale und Fähigkeiten zu glauben. “Noch gestern wollte ich zurück, heute nach dem Gespräch mit Ihnen glaube ich, dass meine Kinder und ich hier doch eine Chance haben“, sagte eine Migrantin in einer Abschlussrunde. Beim Thema Sucht war es wichtig, plausibel zu erklären, warum dieses Thema in der Gruppe angesprochen wird. Denn schnell kann, vor allem bei männlichen Teilnehmern, der Verdacht aufkommen, man hielte sie für heimliche Trinker oder wolle ihnen vermitteln, Einheimische
Natalia Pauls: Projekt ‚Interkulturelle Suchthilfe’ der Caritasgeschäftsstelle Mayen 6 seien suchtfreier als die Gruppe der Migranten. Tritt das ein, ist eine offene und echte Auseinandersetzung nicht mehr möglich. Die Auseinandersetzung mit dem Suchtmittelkonsum zeigte oft, dass ein geringes Bewusstsein über die Risiken und Folgen vorhanden ist. Illegale Drogen (vor allem harte wie Kokain, Heroin) werden als „das Übel“ gesehen, der Alkoholkonsum dagegen bagatellisiert. Das Bild von einem Abhängigen ist (wie übrigens auch bei vielen Einheimischen) klischeehaft mit einem „heruntergekommenen Penner“ verbunden. Abhängigkeit wird als Sünde und Charakterlosigkeit und selten als Krankheit bewertet. Hier ging es darum das hoch tabuisierte Thema zu enttabuisieren und die Eigenverantwortung für den Drogenkonsum zu stärken (z.B. Thema „Alkohol am Steuer). Außerdem galt es, das mitgebrachte Suchtverständnis, welches oft vorurteilbesetzt ist zu thematisieren und Ängste abzubauen. Die vorgestellten Arbeitsprinzipien der Suchtkrankenhilfe: Schweigepflicht, Freiwilligkeit, Verweigerung der Aussage beim Gericht etc., ermutigten zu vielen Fragen wie z.B. „Arbeiten Sie wirklich nicht mit Polizei?“, „Werde ich nicht aus Deutschland ausgewiesen?“, „Werde ich nicht ohne mein Einverständnis in die Therapieeinrichtung eingewiesen?“, „Was muss ich dafür zahlen?“, „Ich bin nicht katholisch, kann ich trotzdem Beratung in Anspruch nehmen?“ Die lange Zeit des „Einpackens“ nach der Veranstaltung wurde von den Teilnehmern oft genutzt, um Fragen unter vier Augen zu stellen. Der inhaltliche Ablauf der jeweiligen Präventionsveranstaltung richtete sich nach Gruppengröße, Alter der Teilnehmer, Herkunft und dem Zeitkontingent. Einige Sprachkursträger nahmen einen ganzen Präventionstag in ihr Programm auf und meldeten sich gegen Ende des jeweiligen Kurses um Termin abzusprechen. Andere teilten ungern ihre Zeit und stellten maximal vier Zeitstunden zur Verfügung. Im Bezug auf die Sprache wurden verschiedene Modelle ausprobiert. Eine hohe Teilnahmebereitschaft, intensive Auseinandersetzung und Reflexion, sowie das nötige Vertrauen waren eher gegeben, wenn die Veranstaltungen in der Muttersprache durchgeführt wurden. Beratung und Begleitung Beratung und Begleitung • Russischsprachiges Beratungsangebot • Clearing • Gruppenarbeit Russischsprachiges Beratungsangebot Die Informations- und Präventionsveranstaltungen ermutigten viele Betroffenen und Angehörige professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Innerhalb kurzer Zeit stieg die Zahl von russischsprachigen Klienten die nach Beratung in russischer Sprache suchten an. Dieses Ergebnis war bei der Konzeptentwicklung nicht bedacht worden. So kam der zweite wichtige Baustein des Projektes zu Stande: Beratung und Betreuung von Klienten in russischer Sprache; hierfür wurden von der Projektmitarbeiterin feste Sprechzeiten in der PSB eingerichtet. Durch unseren Artikel in der russischsprachigen Zeitschrift “Rajonka“ angeregt, kamen viele Anfragen von weit außerhalb unseres Einzugsgebietes. Viele Menschen riefen an und wollten wissen, wo sie in ihrer Nähe Hilfe bekommen können.
Natalia Pauls: Projekt ‚Interkulturelle Suchthilfe’ der Caritasgeschäftsstelle Mayen 7 Clearing - Abhängigkeit von illegalen oder legalen Drogen Im Einzugsgebiet der Caritasgeschäftsstelle Mayen gibt es zwei Beratungsstellen für Suchtkranke. Das ist zum einen die PSB, die sich in der Trägerschaft der Caritasgeschäftsstelle befindet und die das Projekt ‚Interkulturelle Suchthilfe’ gemeinsam mit dem Fachdienst Migration durchführte. Die PSB ist für den Bereich der legalen Drogen zuständig. Den Bereich der illegalen Drogen übernimmt die Außenstelle der ‚DROBS’ - Drogen- und Jugendberatungsstelle3, die sich in Trägerschaft des Caritasverbandes Koblenz e.V. befindet. Die Problematik des Ausmaßes von illegalen Drogenabhängigen unter den russischsprachigen Migrantinnen und Migranten war bei der Projektkonzeption nicht klar. Durch Mund zu Mund Propaganda kam es bereits in den ersten Monaten zu einem hohen Zulauf von Abhängigen von illegalen Drogen und / oder deren Angehörigen. In Absprache mit der DROBS richtete die Projektmitarbeiterin eine russischsprachige Clearingstelle ein. Diese übernahm Erstinformation, Aufklärung und Weitervermittlung der Klienten an die DROBS. Russischsprachige Gruppenarbeit Mit der Zeit wurde die russischsprachige Beratung durch Gruppenarbeit in russischer Sprache ergänzt. Als Basis für die Arbeit dienten uns die in der PSB eingesetzten Materialien für die Durchführung der Informationsgruppe ‚Sanduhr’. Die ‚Sanduhr’ besteht aus 10 Modulen, in denen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über die Methode der Themen-Zentrierten– Interaktion (TZI) mit verschiedenen Facetten von Sucht auseinandersetzen, u. a. Entstehung von Sucht, Trocken werden und bleiben, Risikofaktoren für einen möglichen Rückfall etc.) Diese wurden um einige Themen (z.B. Migrationserfahrung, Kodierung - eine anerkannte Methode der Suchtkrankenhilfe im russischsprachigen Raum) und russischsprachiges Material ergänzt. Interkulturelle Öffnung Ein wichtiges Ziel des Projektes war die interkulturelle Öffnung des Suchthilfesystems insbesondere der PSB. Durch die regelmäßige Teilnahme an den Teams der PSB konnten Unsicherheiten im Umgang mit Migrantinnen und Migranten reflektiert werden. Soziokulturelles Hintergrundwissen wurde vermittelt. Eine Auseinandersetzung mit eigenen Vorurteilen und Klischees erfolgte. Die Bereitschaft der PSB MitarbeterInnen, ihre Handlungen, Einstellungen und Wissen auf interkulturelle Aspekte zu überprüfen waren nicht von Anfang an gegeben. Die Notwendigkeit mit Klienten in russischer Sprache zu arbeiten wurde nicht von allen direkt akzeptiert. Oft hieß es: „Klienten sollen doch Deutsch lernen“. Der Prozess eines interkulturellen Teamverständnisses war sehr langwierig. Arbeit in Gremien und Arbeitskreisen Ziel des Projektes ist unter anderem die Sensibilisierung des Gesundheitssystems für die problematische Situation von MigrantInnen in Deutschland und Abbau von Benachteiligung. Hier ein Beispiel für die Arbeit in Arbeitskreisen: Arbeitsgemeinschaft der Landesbeauftragten für Ausländerfragen4 in Kooperation mit der Landeszentrale für Gesundheitsfragen und dem Landesverband der Volkshochschulen „Interkulturelle Kompetenz in der Gesundheitsbildung“. 3 jetzt ‚Zentrum für ambulante Suchtkrankenhilfe’ im Caritasverband Koblenz e.V. 4 jetzt Beauftragte der Landesregierung für Migration und Integration Rheinland-Pfalz
Natalia Pauls: Projekt ‚Interkulturelle Suchthilfe’ der Caritasgeschäftsstelle Mayen 8 Kooperation In den sechs Jahren der Projektarbeit entstanden viele Kooperationen sowohl innerhalb des örtlichen Caritasverbandes, auf Diözesanebene der Caritas, wie auch außerhalb. Hier einige Beispiele: • Durch die Zusammenarbeit mit dem Jugendmigrationsdienst konnte eine russischsprachige Musikband motiviert werden an einem Landesmusikwettbewerb zum Thema Sucht (Initiator Landeszentrale für Gesundheitsfragen) teilzunehmen. Vier Jungs, mit denen die Projektmitarbeiterin zunächst zum Thema arbeitete, haben ein Lied geschrieben, in dem sie zum Teil von ihren Erfahrungen berichten. Das deutsch-russische Lied wurde im Rahmen des Wettbewerbs in einem professionellen Tonstudio aufgenommen. Die jungen Aussiedler bekamen den ersten Platz. Sie waren bereit mit ihrem Lied als Schlüsselpersonen in Jugendsprachkursen zu agieren. Mit ihrem Beispiel und ihrem Lied waren sie die idealen Partner für eine Präventionsveranstaltung mit Jugendlichen/jungen Erwachsenen. Sie zeigten, dass die Muttersprache eine Bereicherung sein kann und warben bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch für das neue (Heimat-)Land, dafür die Sprache zu lernen, sich hier zu integrieren. (Ankündigung: Lied der Gruppe ‚Idylle’ am Schluss des Vortrages) • In Zusammenarbeit mit dem Caritasprojekt Incultura – Bürgerschaftliches Engagement und der Stadt Mayen fand eine russische Kulturwoche in Mayen statt. Gemeinsam mit Schlüsselpersonen des Projektes „Interkulurelle Suchthilfe“ und Ehrenamtlichen des Projektes „Incultura“ wurden zahlreiche Veranstaltungen organisiert und durchgeführt, z.B. ein Vortrag über die Geschichte der Russlandsdeutschen (in russischer und deutscher Sprache), ein musikalischer Abend, ein Schachturnier und eine Vorlesestunde für Kinder in der Stadtbücherei. Die Woche wurde mit einem großen Konzert beendet. Diese erste Kulturwoche sollte der Auftakt für weitere Veranstaltungsreihen sein. Die Migrantinnen und Migranten sollten über diese Art von Veranstaltungen einen Rahmen erhalten ihr soziales und kulturelles Kapital in die Gesellschaft einzubringen. Konkret sollten sie erfahren, dass sie mit ihrer Kultur, Sprache und Geschichte willkommen sind, das Gefühl bekommen mit ihren Ressourcen in der neuen Heimat wertvoll zu sein und ermutigt werden sich auch für andere Kulturen zu interessieren – wichtige Voraussetzungen für eine gelingende Integration. In einem zweiten Schritt wurde ein Jahr später ein Internationaler Fest in der Stadt Mayen organisiert. Zahlreiche Vertreter unterschiedlicher Ethnie und Nationalität haben ihre Kultur in Tanz, Gesang, Musik und kulinarischem Können vorgestellt. Nachhaltigkeit in der Arbeit nach Ablauf des Projektes Nach sechs Jahren Projektarbeit gelang es uns nicht eine weitere Finanzierung für die Weiterbeschäftigung einer zusätzlichen Mitarbeiterin zu finden. Schon rechtzeitig vor Ende des Projekts wurde nach Möglichkeiten gesucht, um die Ergebnisse der Projektarbeit nachhaltig zu sichern.
Natalia Pauls: Projekt ‚Interkulturelle Suchthilfe’ der Caritasgeschäftsstelle Mayen 9 Heute, zwei Jahre nach Projektende sind noch folgende Ergebnisse zu benennen: • Die ehemalige Projektmitarbeiterin ist in der PSB fest angestellt, nach dem dort eine Regelstelle frei geworden war. Das russischsprachige Beratungsangebot besteht also weiterhin. • Die im Projekt entwickelte Präventionsveranstaltung wurden von den Mitarbeiterinnen des Jugendmigrationsdienstes und der Migrationsberatung für Erwachsene als fester Bestandteil in die sozialpädagogische Begleitung der Integrationskurse aufgenommen und auf deren gesamtes Einzugsgebiet5 übertragen. Allerdings werden die Veranstaltungen in deutscher Sprache und ohne die Beteiligung von Schlüsselpersonen durchgeführt. Hauptgrund dafür ist, dass es keine „Herkunfts- bzw. sprachhomogenen“ Integrationskursgruppen mehr gibt; meist setzen sich die Gruppen aus ca. 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 8 -12 verschiedenen Ländern zusammen. • Die Keypersonsgruppe hat sich im letzten Jahr aufgelöst. Das ständige persönliche Bemühen um die ehemals aktiven Ehrenamtlichen, deren Motivation, die Rekrutierung neuer Schlüsselpersonen, die Organisation der Treffen etc. konnten durch das nun fehlende zusätzliche Personal nicht mehr gewährleistet werden. • In der PSB ist ein Rückgang an russischsprachiger Klientel zu verzeichnen. Aus diesem Grund findet momentan auch keine russischsprachige Informationsgruppe statt. Dies liegt aber nicht daran, dass weniger Migranten in unserem Einzugsgebiet Probleme mit Drogenkonsum haben. Grund ist der Wegfahl der Schlüsselpersonen und der Projektstelle, die den Betroffenen und / oder Angehörigen den Zugang zur PSB ermöglichten. Schlussbemerkungen Die Arbeit mit Menschen anderer Kulturen und Ethnie bedarf einer Auseinandersetzung mit deren soziokulturellen Hintergründen, sowie Reflexion und Analyse von persönlichen Einstellungen, Handlungen und eigenen soziokulturellen Werten und Normen. Die konsequente Beachtung der Relativität von Werten und die Haltung der Neutralität zu unterschiedlichen kulturell bedingten Haltungen ist eine Grundvoraussetzung für eine transkulturelle Kommunikation.6 Bei aller Diskussion um besondere Anforderungen und Kompetenzen in der Arbeit mit Migrantinnen und Migranten bin ich der Meinung, dass die eben genannten Fähigkeiten - „Interkulturelle Kompetenzen“ in der Arbeit mit jedem Klienten vorhanden sein müssen. Denn so wie es nicht ‚den Migrantenklienten’ gibt, gibt es auch nicht ‚den einheimischen Klienten’. Echtsein und einfühlsam, „wohlwollend neugierig“, um sich ein Bild vom Klienten zu machen und das professionelle Handeln danach auszurichten – muss hier das Rezept sein. Mayen, im Mai 2009 5 Zuständigkeitsgebiet der Caritasgeschäftsstellen Mayen und Ahrweiler 6 vgl. Hegemann, T. in Hegemann / Salman (Hg.): Transkulturelle Psychiatrie: Konzepte für die Arbeit mit Menschen aus anderen Kulturen, S.120, Bonn 2001
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