Projekt Interkulturelle Suchthilfe' der Caritasgeschäftsstelle Mayen - Caritasverband Rhein-Mosel-Ahr e.V.

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Honnefer Migrationstage 2009
   „Sucht und Migration – vernetzt handeln“

            Good Practice Beispiel

Projekt ‚Interkulturelle Suchthilfe’
 der Caritasgeschäftsstelle Mayen

                Referentin
               Natalia Pauls

          Bad Honnef, 14. Mai 2009

   Caritasverband
   Rhein-Mosel-Ahr e.V.
Natalia Pauls: Projekt ‚Interkulturelle Suchthilfe’ der Caritasgeschäftsstelle Mayen       2

Ausgangslage

Abhängigkeitsproblematik nimmt in Europa, Deutschland bildet hier leider keine Ausnahme,
den Charakter einer Epidemie ein. Sucht ist in allen gesellschaftlichen Schichten zu
beobachten. Sie macht keinen Unterschied zwischen Alter, Herkunft und Religion.
Seit Jahren ist Sucht bei Zugewanderten Menschen ein Thema in verschiedenen
Diskussionen, in den Medien und in der Praxis.

Dieser Thematik stellte sich die Caritasgeschäftsstelle Mayen.
Immer wieder wurden Kolleginnen und Kollegen vom Fachdienst Migration, insbesondere in
Übergangswohnheimen mit der Problematik von legalen und illegalen Drogen konfrontiert.
Der Austausch mit der Psychosozialen Beratungsstelle für Abhängige vor Ort zeigte einen
geringen Zugang dieser Zielgruppe zu bestehenden Angeboten. Probleme in der
Sprachverständigung,       Informationsmangel,        unterschiedliche Sichtweisen    der
Suchtproblematik und des Umgangs mit Suchtmitteln, Therapieerfahrungen aus dem
Herkunftsland, Schwellenängste, sind nur einige Gründe dafür.
Im Jahre 2001 entstand das Projekt „Interkulturelle Suchthilfe“, als Kooperationsprojekt
zwischen dem Fachdienst Migration und der Psychosozialen Beratungsstelle für Abhängige
(PSB), die sich günstigerweise ebenfalls in Trägerschaft der Caritasgeschäftsstelle Mayen
befand bzw. befindet.

Das Projekt „Interkulturelle Suchthilfe“ wurde von Mai 2001 – Mai 2004 als ein Teil von
‚Participatio – Integrationsforen im ländlichen Raum’ durch das Bundesministerium des
Inneren (BMI) gefördert.
Von Mai 2004 – Mai 2007 gelang es uns im Rahmen des Projektes ‚Incultura – Förderung
von bürgerschaftlichen Engagement’ eine weitere Projektförderung durch das BMI zu
erhalten.
Für das Projekt wurde eine 50 % Personalstelle eingerichtet, die mit einer russischsprachigen
Diplom Sozialarbeiterin mit eigenem Migrationshintergrund besetzt wurde.
Die Dienst- und Fachaufsicht für die Mitarbeiterin wurde der PSB übertragen.
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Die Kompetenz der PSB war gefragt. Der FD Migration nahm bei dieser Zusammenarbeit keine
Lehrrolle ein, nach dem Motto „Wir zeigen der Suchtberatungsstelle, wie sie Migrantinnen und
Migranten erreichen kann“. Es ging darum suchspezifische- und migrationsspezifische
Fragestellungen gemeinsam konstruktiv zu bearbeiten. Dadurch entstand die Bereitschaft der PSB für
interkulturelle Öffnung.

Die migrationsspezifische Begleitung erfolgte durch regelmäßige Reflexionsgespräche mit
einem Mitarbeiter des Migrationsdienstes, sowie über die Einbindung in das PSB - Team und
in die Teams der jeweiligen Gesamtprojekte ‚Participatio – Team’ und ‚Incultura – Team’.

Zielgruppe und Ziele des Projekts

Zielgruppe waren zugewanderte Menschen, insbesondere Migrantinnen und Migranten aus
der ehemaligen UdSSR, da diese die größte Migrantengruppe im Einzugsgebiet unserer
Caritasgeschäftsstelle darstellen.

Ziele des Projekts
    • Förderung der Besprechbarkeit des Themas „Drogenkonsum und Abhängigkeit“
       innerhalb dieser Zielgruppe
    • Stärkung der Eigenverantwortung im Umgang mit Suchtmitteln
    • Abbau von Zugangsbarrieren zum Suchthilfesystem
    • Stärkung der Lobby von Zugewanderten (insbesondere russischsprachigen Menschen)
    • Interkulturelle Sensibilisierung des Suchthilfesystems

Die Grundlage für die Arbeit des Projektes bildete das Keypersons – Konzept, welches im
Ethnomedizinischen Zentrum in Hannover entwickelt wurde und das von uns für den
ländlichen Raum modifiziert wurde.

Das Keypersons-Konzept verfolgt das Ziel, Migrantinnen und Migranten durch
muttersprachliche und kulturspezifische Angebote einen Zugang zur Drogenaufklärung und
einen Zugang zum Suchthilfesystem zu ermöglichen.
„ ,Keypersons’ (Schlüsselpersonen) sind Mitglieder bzw. integrierte und akzeptierte Personen
aus der jeweiligen Zielgruppe. Sie bekleiden eine Position innerhalb der Subgruppe (Lehrer,
Hoca o. ä.) oder stellen eine Autorität bezüglich ihrer Fachkompetenz dar (Ärzte, Studierte).
Ihre besondere Stellung innerhalb der Gruppe legitimiert sie zu Ratschlägen, die dann von
einem ,Gelehrten’ angenommen werden können. Ein wichtiger Aspekt dabei ist das Wissen
um die Akzeptanz der eigenen Lebenswelten und die Kenntnis der Hintergründe.
,Keypersons’ unterstützen das „Wir-Gefühl“ im Sinne von Herkunft und Zuordnung (,Er/sie
ist einer/eine von uns’). An sie kann man sich wenden, um Lösungen zu suchen. ,Keypersons’
sind in die fremde Welt integriert, haben gute Fremdsprachenkenntnisse und kennen die
kulturellen und rechtliche Unterschiede.(…) Sie erfüllen eine Mittlerfunktion zwischen
Migranten und der hiesigen Gesellschaft.“1
Die Kenntnis der jeweiligen Herkunftssprache ist eine Grundanforderung an
Schlüsselpersonen.

1
 Tuna, S. in: Salman / Tuna / Lessing (Hg.): Handbuch interkulturelle Suchthilfe: Modelle, Konzepte und
Ansätze der Prävention, Beratung und Therapie, S. 108, Gießen 1999
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Aufgaben der Schlüsselpersonen

    •   Information und Aufklärung über die vorhandenen Angebote der Suchthilfe
    •   Ansprechbarkeit und Enttabuisierung des Drogenthemas
    •   Thematisierung und Abbau von Ängsten und Vorurteilen
    •   Stärkung der Eigenverantwortung und des Problembewusstseins im Umgang mit
        Suchtmitteln
    •   Heranführung von Betroffenen an bestehende Angebote der Suchthilfe

Methoden

Rekrutierung und Qualifizierung von Schlüsselpersonen
Die Auseinandersetzung mit dem Thema Sucht führt unvermeidlich zu einer Hinterfragung
wesentlicher kultureller und migrationsbedingter Sichtweisen und Haltungen. Sie ist
hochgradig angstbesetzt und tabuisiert. Deshalb ist Präventionsarbeit stark personengebunden.
„Nur die Personen sind geeignet, die einen Zugang sowohl zu der Zielgruppe wie zu den
Instanzen der hiesigen Gesellschaft haben und für beide Seiten vertrauenswürdige
‚Autoritäten’ darstellen.2

Durch persönliche Anfragen und Kontakte der Projektmitarbeiterin konnten einige
russischsprachige Ehrenamtliche darunter eine Erzieherin, eine Sprachkurslehrerin, eine
ehemalige Lehrerin, zwei Ärzte für die Mitarbeit motiviert werden.
Die Schlüsselpersonen wurden von Kolleginnen und Kollegen beider Arbeitsbereiche
vorbereitet und geschult. Dazu gehörte eine intensive Auseinandersetzung mit eigenen
Migrationserfahrungen, Werten und Normen, Erwartungen an die ehrenamtliche Arbeit und
dem Suchtverständnis. Die Schlüsselpersonen bekamen Informationen zum Suchthilfesystem
und möglichen Zusammenhängen zwischen Sucht und Migration. Eine klare Abgrenzung zur
therapeutischen und beraterischen Tätigkeit wurde in der Gruppe unterstrichen.
Gemeinsam mit dem Präventionsteam wurde in den folgenden Treffen das Gerüst für
Präventions- und Informationsveranstaltungen inhaltlich und methodisch vorbereitet.

Aufsuchen der Zielgruppe
Nach der Methode der Aufsuchenden Arbeit, die sich klar von dem Prinzip der ,Komm-
Struktur’ unterscheidet (eine Veranstaltung wird angekündigt und Interessierte erscheinen an
den vorgegebenen Ort zu vorgegebener Zeit) wurden Migrantinnen und Migranten in den
ihnen     bekannten      und    vertrauten   Räumen      aufgesucht    z.B.     Sprachkurse,
Berufsintegratiosprojekte, Übergangswohnheime.
Da die Ansprechbarkeit von tabuisierten Themen und die dafür notwendige Offenheit eher
gegeben sind, wenn die Gruppenmitglieder sich unter einander kennen und ein gewisses
Vertrauen zu einander haben. Die einzelnen Gruppen wurden erst gegen Ende der jeweiligen
Maßnahme aufgesucht.
Die Veranstaltungen in den Übergangswohnheimen hatten eher informativen Charakter, da
dort für eine intensive Auseinandersetzung der Schutzraum nicht gegeben war.

Kulturspezifische Präventionsarbeit
Moderne Präventionsansätze entfernen sich von dem früheren Prinzip der Abschreckung. Sie
sehen die Vermittlung allgemeiner Handlungs- und Konfliktbewältigungskompetenzen vor

2
 Salman, R. in Hegemann / Salman (Hg.): Transkulturelle Psychiatrie: Konzepte für die Arbeit mit Menschen
aus anderen Kulturen, S. 63, Bonn 2001
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und versuchen, die Eigenverantwortung zu fördern, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit zu
entwickeln und Entscheidungskraft zu stärken. Genau diese Ziele weichen von traditionellen
Lebenskonzepten vieler Migrantengruppen, aus Kollektivgesellschaften mit autoritären
Strukturen ab. Der Selbstständigkeit steht Autorität entgegen, der Unabhängigkeit die
Rangordnung, dem Streben nach Individualität kollektivistisches Denken und der Stärkung
der Entscheidungskraft die Achtung vor den Älteren und das Befolgen ihrer Anweisungen.
Interkulturell orientierte Präventionskonzepte können nur erfolgreich sein, wenn sie diesen
Umstand berücksichtigen.

Medieneinsatz
Bei der Auseinandersetzung mit tabuisierten Themen ist die Auswahl von geeigneten Medien
sehr wichtig. Der Einsatz unterschiedlicher Medien ermöglicht die Aufrechterhaltung der
Aufmerksamkeit und der Spannung. Die düsteren Erwartungen und Blockaden der
Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden durch Comics, Anekdoten, Rollenspiele, Folien mit
verständlichen Texten in der Herkunftssprache, Musik und der gleichen, schnell gelockert,
was die erforderliche Offenheit und die Informationsverarbeitung begünstigte.
Je emotionaler der Beitrag, desto tiefer wird er von den Zuhörern eingeprägt.

Entwicklungen und Beispiele der Projektarbeit

Präventionsarbeit
   • Auseinandersetzung mit den eigenen Migrationserfahrungen
   • Aufklärung zum Suchtmittelkonsum
   • Vorstellung der Arbeitsprinzipien der Suchtkrankenhilfe
   • Raum für Gespräche / Nachfragen unter vier Augen

Die erste Präventionsveranstaltung in einem Jugendsprachkurs der Volkshochschule
Andernach zielte ausschließlich auf die Auseinandersetzung mit der Suchtthematik ab und
ging völlig daneben. Die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigten sich verschlossen
und nicht zugänglich. Bei der Auswertung wurde deutlich, dass die Sicherung der
Grundbedürfnisse wie Erlernen der Sprache, Ausbildung, Arbeit, Freizeit, Finanzen, Familie,
sowie die Auseinandersetzung mit dem Thema „Alte und neue Heimat“ bei den
Sprachkursteilnehmern im Vordergrund standen und stehen. Nach dieser Erfahrung wurden
Ziele und Inhalte überdacht und das Präventionskonzept umgekrempelt.
Die Auseinandersetzung mit eigenen Migrationserfahrungen zeigte sich in Veranstaltungen
als ein guter Einstieg. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer fühlten sich angesprochen und
ernst genommen. In den Berichten der Schlüsselpersonen fanden sie sich wider. Es wurde
deutlich, dass die eigene Migration oft nicht verarbeitet war. Auch in der Familie wurde nicht
gerne darüber gesprochen. Durch Rollenspiele und Gruppenaufgaben ermutigt, entstanden oft
emotionsgeladene Diskussionen zwischen Menschen, die Migration als Chance sahen und
denen, die sich in Deutschland fehl am Platze fühlten (z.B. Jugendliche, die nicht kommen
wollten, aber mitkommen mussten).
Durch positive Integrationsgeschichte der Schlüsselpersonen, wurden viele ermutigt, wieder
an ihre eigenen Potenziale und Fähigkeiten zu glauben. “Noch gestern wollte ich zurück,
heute nach dem Gespräch mit Ihnen glaube ich, dass meine Kinder und ich hier doch eine
Chance haben“, sagte eine Migrantin in einer Abschlussrunde.

Beim Thema Sucht war es wichtig, plausibel zu erklären, warum dieses Thema in der Gruppe
angesprochen wird. Denn schnell kann, vor allem bei männlichen Teilnehmern, der Verdacht
aufkommen, man hielte sie für heimliche Trinker oder wolle ihnen vermitteln, Einheimische
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seien suchtfreier als die Gruppe der Migranten. Tritt das ein, ist eine offene und echte
Auseinandersetzung nicht mehr möglich.
Die Auseinandersetzung mit dem Suchtmittelkonsum zeigte oft, dass ein geringes
Bewusstsein über die Risiken und Folgen vorhanden ist. Illegale Drogen (vor allem harte wie
Kokain, Heroin) werden als „das Übel“ gesehen, der Alkoholkonsum dagegen bagatellisiert.
Das Bild von einem Abhängigen ist (wie übrigens auch bei vielen Einheimischen)
klischeehaft mit einem „heruntergekommenen Penner“ verbunden. Abhängigkeit wird als
Sünde und Charakterlosigkeit und selten als Krankheit bewertet.
Hier ging es darum das hoch tabuisierte Thema zu enttabuisieren und die Eigenverantwortung
für den Drogenkonsum zu stärken (z.B. Thema „Alkohol am Steuer). Außerdem galt es, das
mitgebrachte Suchtverständnis, welches oft vorurteilbesetzt ist zu thematisieren und Ängste
abzubauen.
Die vorgestellten Arbeitsprinzipien der Suchtkrankenhilfe: Schweigepflicht, Freiwilligkeit,
Verweigerung der Aussage beim Gericht etc., ermutigten zu vielen Fragen wie z.B. „Arbeiten
Sie wirklich nicht mit Polizei?“, „Werde ich nicht aus Deutschland ausgewiesen?“, „Werde
ich nicht ohne mein Einverständnis in die Therapieeinrichtung eingewiesen?“, „Was muss ich
dafür zahlen?“, „Ich bin nicht katholisch, kann ich trotzdem Beratung in Anspruch nehmen?“
Die lange Zeit des „Einpackens“ nach der Veranstaltung wurde von den Teilnehmern oft
genutzt, um Fragen unter vier Augen zu stellen.

Der inhaltliche Ablauf der jeweiligen Präventionsveranstaltung richtete sich nach
Gruppengröße, Alter der Teilnehmer, Herkunft und dem Zeitkontingent. Einige
Sprachkursträger nahmen einen ganzen Präventionstag in ihr Programm auf und meldeten
sich gegen Ende des jeweiligen Kurses um Termin abzusprechen. Andere teilten ungern ihre
Zeit und stellten maximal vier Zeitstunden zur Verfügung.
Im Bezug auf die Sprache wurden verschiedene Modelle ausprobiert. Eine hohe
Teilnahmebereitschaft, intensive Auseinandersetzung und Reflexion, sowie das nötige
Vertrauen waren eher gegeben, wenn die Veranstaltungen in der Muttersprache durchgeführt
wurden.

Beratung und Begleitung

Beratung und Begleitung
   • Russischsprachiges Beratungsangebot
   • Clearing
   • Gruppenarbeit

Russischsprachiges Beratungsangebot
Die Informations- und Präventionsveranstaltungen ermutigten viele Betroffenen und
Angehörige professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Innerhalb kurzer Zeit stieg die Zahl
von russischsprachigen Klienten die nach Beratung in russischer Sprache suchten an. Dieses
Ergebnis war bei der Konzeptentwicklung nicht bedacht worden. So kam der zweite wichtige
Baustein des Projektes zu Stande: Beratung und Betreuung von Klienten in russischer
Sprache; hierfür wurden von der Projektmitarbeiterin feste Sprechzeiten in der PSB
eingerichtet.
Durch unseren Artikel in der russischsprachigen Zeitschrift “Rajonka“ angeregt, kamen viele
Anfragen von weit außerhalb unseres Einzugsgebietes. Viele Menschen riefen an und wollten
wissen, wo sie in ihrer Nähe Hilfe bekommen können.
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Clearing - Abhängigkeit von illegalen oder legalen Drogen
Im Einzugsgebiet der Caritasgeschäftsstelle Mayen gibt es zwei Beratungsstellen für
Suchtkranke.
Das ist zum einen die PSB, die sich in der Trägerschaft der Caritasgeschäftsstelle befindet
und die das Projekt ‚Interkulturelle Suchthilfe’ gemeinsam mit dem Fachdienst Migration
durchführte. Die PSB ist für den Bereich der legalen Drogen zuständig.

Den Bereich der illegalen Drogen übernimmt die Außenstelle der ‚DROBS’ - Drogen- und
Jugendberatungsstelle3, die sich in Trägerschaft des Caritasverbandes Koblenz e.V. befindet.
Die Problematik des Ausmaßes von illegalen Drogenabhängigen unter den russischsprachigen
Migrantinnen und Migranten war bei der Projektkonzeption nicht klar. Durch Mund zu Mund
Propaganda kam es bereits in den ersten Monaten zu einem hohen Zulauf von Abhängigen
von illegalen Drogen und / oder deren Angehörigen.
In Absprache mit der DROBS richtete die Projektmitarbeiterin eine russischsprachige
Clearingstelle ein. Diese übernahm Erstinformation, Aufklärung und Weitervermittlung der
Klienten an die DROBS.

Russischsprachige Gruppenarbeit
Mit der Zeit wurde die russischsprachige Beratung durch Gruppenarbeit in russischer Sprache
ergänzt. Als Basis für die Arbeit dienten uns die in der PSB eingesetzten Materialien für die
Durchführung der Informationsgruppe ‚Sanduhr’. Die ‚Sanduhr’ besteht aus 10 Modulen, in
denen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über die Methode der Themen-Zentrierten–
Interaktion (TZI) mit verschiedenen Facetten von Sucht auseinandersetzen, u. a. Entstehung
von Sucht, Trocken werden und bleiben, Risikofaktoren für einen möglichen Rückfall etc.)
Diese wurden um einige Themen (z.B. Migrationserfahrung, Kodierung - eine anerkannte
Methode der Suchtkrankenhilfe im russischsprachigen Raum) und russischsprachiges
Material ergänzt.

Interkulturelle Öffnung

Ein wichtiges Ziel des Projektes war die interkulturelle Öffnung des Suchthilfesystems
insbesondere der PSB.
Durch die regelmäßige Teilnahme an den Teams der PSB konnten Unsicherheiten im
Umgang mit Migrantinnen und Migranten reflektiert werden. Soziokulturelles
Hintergrundwissen wurde vermittelt. Eine Auseinandersetzung mit eigenen Vorurteilen und
Klischees erfolgte. Die Bereitschaft der PSB MitarbeterInnen, ihre Handlungen, Einstellungen
und Wissen auf interkulturelle Aspekte zu überprüfen waren nicht von Anfang an gegeben.
Die Notwendigkeit mit Klienten in russischer Sprache zu arbeiten wurde nicht von allen
direkt akzeptiert. Oft hieß es: „Klienten sollen doch Deutsch lernen“. Der Prozess eines
interkulturellen Teamverständnisses war sehr langwierig.

Arbeit in Gremien und Arbeitskreisen
Ziel des Projektes ist unter anderem die Sensibilisierung des Gesundheitssystems für die
problematische Situation von MigrantInnen in Deutschland und Abbau von Benachteiligung.
Hier ein Beispiel für die Arbeit in Arbeitskreisen:
Arbeitsgemeinschaft der Landesbeauftragten für Ausländerfragen4 in Kooperation mit der
Landeszentrale für Gesundheitsfragen und dem Landesverband der Volkshochschulen
„Interkulturelle Kompetenz in der Gesundheitsbildung“.
3
    jetzt ‚Zentrum für ambulante Suchtkrankenhilfe’ im Caritasverband Koblenz e.V.
4
    jetzt Beauftragte der Landesregierung für Migration und Integration Rheinland-Pfalz
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Kooperation

In den sechs Jahren der Projektarbeit entstanden viele Kooperationen sowohl innerhalb des
örtlichen Caritasverbandes, auf Diözesanebene der Caritas, wie auch außerhalb.
Hier einige Beispiele:
    • Durch die Zusammenarbeit mit dem Jugendmigrationsdienst konnte eine
        russischsprachige Musikband motiviert werden an einem Landesmusikwettbewerb
        zum Thema Sucht (Initiator Landeszentrale für Gesundheitsfragen) teilzunehmen.
        Vier Jungs, mit denen die Projektmitarbeiterin zunächst zum Thema arbeitete, haben
        ein Lied geschrieben, in dem sie zum Teil von ihren Erfahrungen berichten. Das
        deutsch-russische Lied wurde im Rahmen des Wettbewerbs in einem professionellen
        Tonstudio aufgenommen. Die jungen Aussiedler bekamen den ersten Platz.
        Sie waren bereit mit ihrem Lied als Schlüsselpersonen in Jugendsprachkursen zu
        agieren. Mit ihrem Beispiel und ihrem Lied waren sie die idealen Partner für eine
        Präventionsveranstaltung mit Jugendlichen/jungen Erwachsenen.
        Sie zeigten, dass die Muttersprache eine Bereicherung sein kann und warben bei den
        Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch für das neue (Heimat-)Land, dafür die
        Sprache zu lernen, sich hier zu integrieren.
        (Ankündigung: Lied der Gruppe ‚Idylle’ am Schluss des Vortrages)

   •   In Zusammenarbeit mit dem Caritasprojekt Incultura – Bürgerschaftliches
       Engagement und der Stadt Mayen fand eine russische Kulturwoche in Mayen statt.
       Gemeinsam mit Schlüsselpersonen des Projektes „Interkulurelle Suchthilfe“ und
       Ehrenamtlichen des Projektes „Incultura“ wurden zahlreiche Veranstaltungen
       organisiert und durchgeführt, z.B. ein Vortrag über die Geschichte der
       Russlandsdeutschen (in russischer und deutscher Sprache), ein musikalischer Abend,
       ein Schachturnier und eine Vorlesestunde für Kinder in der Stadtbücherei. Die Woche
       wurde mit einem großen Konzert beendet.
       Diese erste Kulturwoche sollte der Auftakt für weitere Veranstaltungsreihen sein. Die
       Migrantinnen und Migranten sollten über diese Art von Veranstaltungen einen
       Rahmen erhalten ihr soziales und kulturelles Kapital in die Gesellschaft einzubringen.
       Konkret sollten sie erfahren, dass sie mit ihrer Kultur, Sprache und Geschichte
       willkommen sind, das Gefühl bekommen mit ihren Ressourcen in der neuen Heimat
       wertvoll zu sein und ermutigt werden sich auch für andere Kulturen zu interessieren –
       wichtige Voraussetzungen für eine gelingende Integration.

       In einem zweiten Schritt wurde ein Jahr später ein Internationaler Fest in der Stadt
       Mayen organisiert. Zahlreiche Vertreter unterschiedlicher Ethnie und Nationalität
       haben ihre Kultur in Tanz, Gesang, Musik und kulinarischem Können vorgestellt.

Nachhaltigkeit in der Arbeit nach Ablauf des Projektes

Nach sechs Jahren Projektarbeit gelang es uns nicht eine weitere Finanzierung für die
Weiterbeschäftigung einer zusätzlichen Mitarbeiterin zu finden.
Schon rechtzeitig vor Ende des Projekts wurde nach Möglichkeiten gesucht, um die
Ergebnisse der Projektarbeit nachhaltig zu sichern.
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Heute, zwei Jahre nach Projektende sind noch folgende Ergebnisse zu benennen:

    •   Die ehemalige Projektmitarbeiterin ist in der PSB fest angestellt, nach dem dort eine
        Regelstelle frei geworden war. Das russischsprachige Beratungsangebot besteht also
        weiterhin.
    •   Die im Projekt entwickelte Präventionsveranstaltung wurden von den Mitarbeiterinnen
        des Jugendmigrationsdienstes und der Migrationsberatung für Erwachsene als fester
        Bestandteil in die sozialpädagogische Begleitung der Integrationskurse aufgenommen
        und auf deren gesamtes Einzugsgebiet5 übertragen. Allerdings werden die
        Veranstaltungen in deutscher Sprache und ohne die Beteiligung von
        Schlüsselpersonen durchgeführt. Hauptgrund dafür ist, dass es keine „Herkunfts- bzw.
        sprachhomogenen“ Integrationskursgruppen mehr gibt; meist setzen sich die Gruppen
        aus ca. 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 8 -12 verschiedenen Ländern
        zusammen.
    •   Die Keypersonsgruppe hat sich im letzten Jahr aufgelöst. Das ständige persönliche
        Bemühen um die ehemals aktiven Ehrenamtlichen, deren Motivation, die
        Rekrutierung neuer Schlüsselpersonen, die Organisation der Treffen etc. konnten
        durch das nun fehlende zusätzliche Personal nicht mehr gewährleistet werden.
    •   In der PSB ist ein Rückgang an russischsprachiger Klientel zu verzeichnen. Aus
        diesem Grund findet momentan auch keine russischsprachige Informationsgruppe
        statt. Dies liegt aber nicht daran, dass weniger Migranten in unserem Einzugsgebiet
        Probleme mit Drogenkonsum haben. Grund ist der Wegfahl der Schlüsselpersonen
        und der Projektstelle, die den Betroffenen und / oder Angehörigen den Zugang zur
        PSB ermöglichten.

Schlussbemerkungen

Die Arbeit mit Menschen anderer Kulturen und Ethnie bedarf einer Auseinandersetzung mit
deren soziokulturellen Hintergründen, sowie Reflexion und Analyse von persönlichen
Einstellungen, Handlungen und eigenen soziokulturellen Werten und Normen.
Die konsequente Beachtung der Relativität von Werten und die Haltung der Neutralität zu
unterschiedlichen kulturell bedingten Haltungen ist eine Grundvoraussetzung für eine
transkulturelle Kommunikation.6

Bei aller Diskussion um besondere Anforderungen und Kompetenzen in der Arbeit mit
Migrantinnen und Migranten bin ich der Meinung, dass die eben genannten Fähigkeiten -
„Interkulturelle Kompetenzen“ in der Arbeit mit jedem Klienten vorhanden sein müssen.
Denn so wie es nicht ‚den Migrantenklienten’ gibt, gibt es auch nicht ‚den einheimischen
Klienten’. Echtsein und einfühlsam, „wohlwollend neugierig“, um sich ein Bild vom Klienten
zu machen und das professionelle Handeln danach auszurichten – muss hier das Rezept sein.

Mayen, im Mai 2009

5
 Zuständigkeitsgebiet der Caritasgeschäftsstellen Mayen und Ahrweiler
6
 vgl. Hegemann, T. in Hegemann / Salman (Hg.): Transkulturelle Psychiatrie: Konzepte für die Arbeit mit
Menschen aus anderen Kulturen, S.120, Bonn 2001
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