Queer in der Kita! Informationen und Praxis-impulse für eine queer-inklusive Elementarpädagogik in der Kindertagesbetreuung
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Queer in der Kita! Informationen und Praxis- impulse für eine queer- inklusive Elementarpädagogik in der Kindertagesbetreuung Alltagswelten – Expert_innenwelten | Band 22
Liebe Pädagog_innen, liebe Interessierte, Der Begriff „Queer“ wird in dieser Broschüre als Oberbegriff für lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter*, asexuelle und weitere nicht- heteronormative Menschen und/ oder Lebensweisen genutzt. Falls Ihnen mehrere dieser Begriffe nichts sagen, empfehlen wir „Die Fibel der vielen kleinen Unterschiede“: www.aug.nrw/materialien/bestellung. Einige Begriffe werden auf den kommenden Seiten erklärt. super, dass Sie sich für das Thema dieser Broschü- den Seiten. re und damit für die queeren Kinder und Familien Wir wissen, dass Ihr pädagogischer Alltag voller in Ihrer Einrichtung interessieren. Ein Kind mit zwei Aufgaben und Anforderungen ist. Deshalb wollen Vätern oder zwei Müttern, ein trans* Kind oder Kin- wir Ihnen keine neuen Aufgaben auferlegen, son- der, die nicht der vermeintlichen Geschlechternorm dern Ihnen mit den Impulsen in diesem Heft dabei entsprechen, gehören für viele Einrichtungen zum helfen, den Inklusionsauftrag umzusetzen. Alltag. Dennoch werden Pädagog_innen in NRW bisher kaum bis gar nicht für die Lebenslagen quee- Natürlich ist das mit Arbeit verbunden, denn Inklu- rer Kinder und Familien geschult. Mit dieser Bro- sion passiert nicht von selbst. Aber die Arbeit lohnt schüre möchten wir das ändern. Wir laden Sie ein, sich: Für Sie ebenso wie für die Kinder und Fami- sich auf das Thema einzulassen und die Impulse lien in Ihrer Einrichtung. Denn alle gewinnen, wenn von Queer in der Kita als Anstoß zu nehmen, sich eine gleichberechtigte, authentische Begegnung weiter zu informieren. miteinander stattfinden kann und alle Kinder einen barrierefreien Zugang zu Spiel, Gemeinschaft und Als Herausgeber_innen und Autorin haben wir es Bildung haben. uns zum Ziel gesetzt, Ihnen mit dieser Broschüre Hilfestellungen für einen queer-inklusiven Alltag in Viel Spaß beim Stöbern, Lernen und Reflektieren! Wir der Kindertagesbetreuung mit an die Hand zu ge- freuen uns auf Ihre Rückmeldungen, Anregungen, ben. Was queer mit Inklusion zu tun hat und wie Sie Erfahrungen und Ergänzungen zu dieser Broschüre. dazu beitragen können, Ihre Einrichtung zu einem sicheren und diskriminierungsarmen Ort für queere Personen zu machen, erfahren Sie auf den folgen- 3
Inhalt 1. Worum geht es? 2 Über die Autorin 1.1. So sieht queeres Leben in der Kita aus 2 1.1.1. Normabweichende Geschlechterperformance 3 1.1.2. Trans* Kinder 3 Nikita Splitt ist 1.1.3. Inter* Kinder 4 1.1.4. Kindliches Erleben von Liebe und Beziehungen 5 Erziehungswissenschaftlerin und 1.1.5. Regenbogenfamilien 6 gelernte Erzieherin. Als „Fachkraft 1.2. Inklusion gilt auch für queere Kinder und Familien 7 für geschlechterreflektierte Päda- 2. Was steckt dahinter? 9 gogik“ und „Fachkraft für Pädagog_ 2.1. Die Gesellschaft macht es queeren Menschen schwer 10 2.2. Vorannahmen und Stereotype erschweren queeres Leben in der Kita 11 innenbildung zu sexueller und 2.3. Kinder leiden unter Geschlechterstereotypen 13 geschlechtlicher Vielfalt“ arbeitet 2.4. Als Pädagog_in bei sich selbst beginnen 15 sie mit Elementarpädagog_innen zu 3. Praxistipps 17 queeren Lebensrealitäten, Bedarfen 3.1. Informieren 18 3.1.1. Der Ansatz Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung 18 und gesellschaftlichen Ungleichheiten. 3.1.2. Fachliteratur und Internetseiten nutzen 18 Dabei kommt ihr ihre eigene Berufs- 3.1.3. Weiterbildung in NRW in Anspruch nehmen 20 3.1.4. Beratungs- und Vernetzungsstellen in NRW zur Hand haben 20 erfahrung als Kita-Erzieherin ebenso 3.2. Pädagogisches Material und Methoden anpassen 22 zugute wie ihre Erfahrung als 3.2.1. Buchtipps 22 3.2.2. Umgang mit Alltagssituationen 24 Erwachsenenbildnerin. 3.2.3. Allgemeine Tipps zu queer-inklusivem Handeln in der Kita 27 3.2.4. Ansprache 29 3.2.5. Feiertage und Feste gestalten 29 3.3. Erziehungs- und Bildungspartnerschaft gestalten 30 3.3.1. Rückmeldungen queerer Familien einholen 30 3.3.2. Interesse statt Neugier 31 3.3.3. Elternarbeit voran bringen und nutzen 32 3.4. An den Bedingungen arbeiten 33 3.4.1. Diskriminierung entgegentreten 33 3.4.2. Organisieren Sie sich 34 3.4.3. Ein diverses Team anstreben 35 4. Politische und rechtliche Rahmenbedingungen 36 4.1. Umgang mit Vielfalt als Kompetenzanforderung an Pädagog_innen 36 4.2. Handlungsbedarfe: queer-inklusives Handeln für den Elementarbereich mitdenken 38 5. Bleiben Sie dran – zeigen Sie Haltung 38
1. Worum geht´s? 1.1. So sieht Erwartungen/Ziele angeboten werden (vgl. Debus/ Stuve 2012, S. 35). Welche Auswirkungen dies auf System aus zwei Geschlechtern, also Mann und Frau. Nicht-binär ist ein Überbegriff für unterschiedli- queeres Leben Kinder und ihre Entwicklung hat, wird in Kapitel 2.3 genauer erläutert. che Geschlechter, die sich dieser Binarität entziehen. in der Kita aus Auch Kinder können sehr früh für sich verstehen, dass sie trans* sind. Das belegen einerseits vie- 1.1.2. Trans* Kinder le Erfahrungsberichte, die im Internet zugänglich Die meisten Elementar-Pädagog_innen hatten in sind, aber auch Studien wie Coming-out – und ihrer Kita-Praxis längst Berührungspunkte mit quee- In der Gesellschaft wird meist davon ausgegan- dann…?! des Deutschen Jugendinstituts (DJI). ren Kindern oder Familien. Manches Mal vielleicht, gen, dass ein Mensch sich ein Leben lang mit dem ohne dies so benennen zu können. Deshalb wird im Geschlecht identifiziert, das ihm bei der Geburt zu- Folgenden aufgeführt, welche Formen queerer Le- gewiesen wurde. Diese Menschen werden als „cis- bensweisen in der Kita auftreten, welche Begrifflich- geschlechtlich“ bezeichnet. Doch immer mehr Men- keiten dafür genutzt werden und was sie bedeuten. schen trauen sich, zu benennen und auszudrücken, dass sie trans* sind. Trans* wird als Oberbegriff für Transsexualität, Transgeschlechtlichkeit und Trans- 1.1.1. Normabweichende identität genutzt. Der Begriff bezeichnet also Men- „Manche Kinder und Jugendliche Geschlechterperformance schen, die einem anderen Geschlecht angehören, als ihnen, aufgrund ihrer Geschlechtsmerkmale, bei verstehen sich als Mädchen, Kinder, die eine normabweichende Geschlechter- ihrer Geburt zugeschrieben wurde. Trans* Mädchen manche als Jungen, manche performance zeigen, sind klassischerweise die Zielgruppe der geschlechtersensiblen, geschlech- wurden also in der Regel als Jungen wahrgenom- men, trans* Jungen wurden in der Regel als Mäd- haben das Gefühl, ein anderes terbewussten beziehungsweise geschlechterref- chen wahrgenommen. Geschlecht zu sein als das, das lektierten Pädagogik. Es geht hierbei um Kinder, die nicht dem stereotypen Bild dessen entsprechen, In dieser Arbeit wird trans* darüber hinaus als Ober- ihnen bei ihrer Geburt zuge- was ihrem Geschlecht zugeschrieben wird. Die ge- begriff nicht nur für transgender, transidente und sprochen wurde; wieder andere schlechterbewusste Pädagogik setzt sich dafür ein, dass Kinder sich unabhängig von Geschlechterkli- transsexuelle Personen verwendet, sondern auch für genderfluide, genderqueere und nicht-binäre Per- verstehen sich mal mehr als das schees, orientiert an ihren Fähigkeiten und Bedürf- sonen. Trans* in diesem Sinne bezeichnet alle Men- eine, mal mehr als das andere nissen, ausprobieren und ihren kindlichen Alltag füllen dürfen (vgl. Rohrmann 2017, S. 104). Es geht schen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifi- zieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Geschlecht und wiederum andere hierbei also um Kinder, die die Grenzen der Stereo- Also auch jene Menschen, die sich weder als mögen sich gar nicht in diesem type überschreiten. Mann noch als Frau identifizieren, sondern sich ge- schlechtlich zwischen Mann und Frau oder auch Raster verorten.“ Oft werden diese nicht mitgedacht und in ihrem jenseits dieser Geschlechterkategorien bewegen. Handeln eingeschränkt, da ihnen aufgrund ihres Ge- Einige dieser Personen nutzen für sich den Be- (Hartmann 2017, 163) schlechts nur bestimmtes Spielmaterial, bestimm- griff „nicht-binär“. Binär (von lat. Bi = „zwei“) steht te Fragen, bestimmte Geschichten und bestimmte hier für das in unserer Gesellschaft anerkannte 6 1. Worum geht es? 7
In der Studie wurden trans* und gender- 1.1.3. Inter* Kinder schwerwiegenden Abweichungen der Geschlechts- ein (unfreiwilliges) Outing, welches oft mit Abwer- diverse1 Jugendliche und junge Erwachsene ge- entwicklung“ (Deutscher Bundestag 2007, S. 3). Die tung oder übertriebener Neugier einhergeht. Das ist fragt, seit wann sie um ihre geschlechtliche Iden- Während die meisten Kinder bei ihrer Geburt auf- Intersex Society of North America (2020) spricht einer der Gründe, warum der Eintrag bisher selten tität wissen. 28 % von ihnen gaben an, dass sie grund der Genitalien männlich oder weiblich einge- von circa 1 % der Menschheit und die Vereinten genutzt wird. dies schon immer, also auch im Kita-Alter, wuss- ordnet werden, gibt es Kinder, bei denen dies nicht Nationen (UN) sogar von bis zu 1,7 % (United Na- ten. Weitere 11 % gaben an, dass sie es bereits mit möglich ist. Sie werden medizinisch oft als interse- tions Human Rights Office of the High Commissio- Mit der Neuregelung des Personenstandes hat das unter zehn Jahren wussten (Krell/Oldemeier 2018, xuell, in der Pädagogik meist als intergeschlecht- ner o. J.). Diese Schätzungen legen nahe, dass in Thema Intergeschlechtlichkeit in den deutschen S. 143). Viele trans* Menschen wissen bereits vor lich bezeichnet (vgl. Dissens e.V. 2019, S. 64f). Das den meisten Kitas bereits ein oder mehrere interge- Medien und Gesamtgesellschaftlich das erste Mal dem Eintritt in die Schule um ihr trans*-Sein. Dies Geschlecht wird medizinisch jedoch nicht nur auf- schlechtliche Kinder betreut wurden. eine breite Öffentlichkeit erreicht. Ein Eintrag di- bestätigen auch Erfahrungs- und Medienberichte grund von Genitalien bestimmt, sondern auch Chro- vers erkennt Intergeschlechtlichkeit an und wird von Eltern, deren Kinder im Alter zwischen zwei und mosomen und Hormone definieren das biologische Der Druck, inter* Kinder zu operieren oder die inter* Kinder anders sichtbar machen. Als Teil des sechs Jahren bereits äußern, nicht dem Geschlecht Geschlecht. Manches Mal fällt bei der Geburt nicht Intergeschlechtlichkeit des Kindes zu verheim- Bildungssystems wird sich auch der Elementarbe- anzugehören, das ihnen bei der Geburt zugewiesen auf, dass ein Kind mit weiblich definierten Genita- lichen, entsteht häufig aus dem Wunsch heraus, reich mit den Änderungen im Personenstand und wurde. Die Zahl von Kindern, die sich selbst als trans* lien einen männlich definierten Chromosomensatz den Kindern ein „normales“ Leben zu ermöglichen den daraus resultierenden Ansprüchen von Eltern wahrnehmen und dies äußern, nimmt in den vergan- hat oder Hormonwerte, die außerhalb des für Frau- (vgl. Hechler 2012, S. 131; Kompetenzzentrum ge- intergeschlechtlicher Kinder befassen müssen. genen Jahren zu (vgl. may/EB/aerzteblatt.de 2018). en definierten Normbereichs liegen. Je nachdem, schlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe Sach- Immer mehr Kitas sind somit unmittelbar mit der Fra- wie ausgeprägt diese „Abweichungen“ sind, wird sen-Anhalt e.V. 2017). Es sind vor allem Ärzt_innen, ge konfrontiert, wie sie mit trans* Kindern umgehen. Intergeschlechtlichkeit erst später im Leben oder gar nicht festgestellt. Beratungsstellen und auch Pädagog_innen, die durch ihren geschulten und selbstverständlichen 1.1.4. Kindliches Erleben von Über die Hälfte der in einer vom BMFSFJ im Jahr Umgang mit Intergeschlechtlichkeit an einer neu- Liebe und Beziehungen 2017 veröffentlichten Umfrage befragten trans* Im März 2021 beschloss der Bundestag das Ge- en Normalitätsvorstellung mitarbeiten können. Sie Kinder und Jugendlichen oder ihrer Eltern hätte setz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Ge- können dafür sorgen, dass Intergeschlechtlichkeit Neben der als Norm gesetzten Heterosexualität sich von Seiten der Schule beziehungsweise des schlechtsentwicklung. Bis dahin durften Eltern, oft selbstverständlich und ohne Stigmatisierung im finden sich auch in der Kita verschiedene weitere Kindergartens mehr Unterstützung gewünscht (vgl. auf Anraten von Ärzt_innen und unter dem Druck (pädagogischen) Alltag mitgedacht wird. Kindern, Beziehungs- und Liebesformen. Relevant ist hier ei- BMFSFJ 2017, S. 19). Für kein anderes Unterstüt- der Gesellschaft, entscheiden, ihr Kind einer ge- die bereits traumatisierende Operationserfahrun- nerseits Beziehungskonstellation der Eltern, die in zungssystem (auch abgefragt wurden z.B. Familie, schlechtsangleichenden Operation zu unterziehen. gen hinter sich haben, muss mit besonderer Sen- Form von Regebogen- oder Queerfamilien Teil der Freund_innen, Krankenversicherung oder Ärzt_in- Das bedeutet: Viele inter* Kindern wurden bereits sibilität begegnet werden (vgl. Nordt/Kugler 2018, Kita sind (s. folgendes Kapitel) und andererseits nen), gaben die Befragten einen höheren Unterstüt- in ihren ersten Lebensmonaten operiert, um in das S. 21). Außerdem braucht es Kompetenzen im das sich mit der Zeit entwickelnde Bewusstsein der zungsbedarf an. Hieraus ergeht ein deutlicher Auf- binäre System von männlich und weiblich hinein zu Umgang mit Eltern, die ihren Kindern ihre Interge- Kinder für Liebe und Beziehungen. Auch hier ist es trag an die frühkindliche Bildung: Trans* Kinder und passen. Meist gab es für diese Operationen keine me- schlechtlichkeit bewusst verheimlichen (vgl. Bauer/ wichtig, zu beachten, dass nicht alle Kinder einer ihre Familien suchen im Elementarbereich einen si- dizinische Notwendigkeit. Das neue Gesetz soll diese Truffer 2016, S. 137). heterosexuellen Norm entsprechen oder im Laufe cheren und unterstützenden Raum. Diesen Wunsch Operationen, ohne Zustimmung des Kindes, verhin- ihres Lebens entsprechen werden. Deshalb braucht haben wohl die meisten Eltern und Kinder. Aufgrund dern. Queere Verbände und inter* Selbstvertretungen Seit Ende 2018 können inter* Personen den Ge- es für diese Kinder eine Repräsentation homosexu- fehlenden Wissens und fehlender Sensibilisierung kritisieren jedoch, dass das Gesetz weiterhin zu viele schlechtseintrag divers für sich nutzen. Das heißt, eller und queerer Beziehungs- und Liebesformen. vieler Pädagog_innen und Einrichtungen im Ele- Wege offen lässt, auf denen OPs an gesunden inter* neben dem Personenstand männlich und weiblich mentarbereich wird dieser für Familien mit trans* Kindern durchgeführt werden, ohne dass diese über gibt es die Möglichkeit, vor dem Gesetz geschlecht- Die sexuelle Orientierung der Kinder kann direkt Kindern jedoch seltener erfüllt. die Eingriffe entscheiden können. lich als divers geführt zu werden. Anders als männ- oder indirekt Thema in der Kita werden. Im Zuge der lich oder weiblich ist dieser Eintrag für die meisten bereits zitierten Studie Coming-out - und dann…?! Unabhängig davon, ob intergeschlechtliche Kinder Menschen kein Begriff, der auch als Selbstbezeich- des Deutschen Jugendinstituts gaben 16 % der operiert oder hormonell behandelt wurden oder nung verwendet wird. Menschen, die den Personen- lesbischen, schwulen, bisexuellen und orientie- 1 Die Studie unterscheidet in trans* und genderdivers. Unter nicht, kommen sie mit der Zeit in das Kita-Alter. stand divers wählen, bezeichnen sich selbst meist rungs*diversen Jugendlichen an, schon immer um genderdivers werden nicht-binäre, transgender, genderfluide 2007 ging der Deutsche Bundestag von einer Häu- eher als nichtbinär, trans*, genderqueer, abinär ihre sexuelle Orientierung gewusst zu haben (vgl. u. ä. Jugendliche gefasst, also all jene, die in der vorliegenden figkeit von einem inter* Kind auf 4500 Neugebore- oder inter*. Den Personenstand divers zu nutzen, Krell/Oldemeier 2018, S. 71). Auch wenn sie dafür Broschüre unter den Begriff trans* fallen. nen aus, sprach dabei aber von „Betroffenen mit bedeutet für die Personen bei jeder Passkontrolle möglicherweise noch keine Worte hatten, wuss- 8 1. Worum geht es? 9
ten diese Jugendlichen bereits im Kita-Alter, dass oft schmerzhaften Wege manche Regenbogenfa- sie nicht (ausschließlich) heterosexuell begehren. milien im Zuge ihrer Familienplanung hinter sich ha- Diesen queeren Lebensrealitäten gilt es in der Kita ben und welche rechtlichen Hürden und Ungleich- ebenso zu begegnen, wie denen der Kinder, die erst heiten sie bis heute erleben, insbesondere wenn es im Laufe der folgenden Jahre und Jahrzehnte ver- um trans* Elternschaft geht. stehen, dass ihr Begehren quer zu einer vermeint- lichen Norm liegt. Viele Kinder, die nicht heterose- Damit Sie einen kleinen Einblick in diese Hürden er- xuell lieben, können ihre Gefühle in der Kita noch halten, sollen hier nur einige angerissen werden: nicht formulieren. Dennoch gehören sie zu ihrer Queere Personen, die biologisch in der Lage sind Lebensrealität und sind Teil ihrer Gefühlswelt, an Kinder zu bekommen, haben verschiedene Mög- die sie im Laufe ihres Lebens anknüpfen. Deshalb lichkeiten, dies zu tun. Neben dem Geschlechts- braucht es die Repräsentation gleichgeschlecht- verkehr ist eine Samenspende denkbar. Diese kann licher Liebe und Beziehungen, möglichst klischee- von einer Samenbank kommen oder von einer be- freie Handlungsräume für Kinder und eine positi- freundeten Person. Sollte der Samen im Zuge einer ve Bewertung der vielfältigen Liebesformen (vgl. Kinderwunschbehandlung eingesetzt werden, wer- Nordt/Kugler 2018, S. 24). den die Kosten für diese Behandlung ausschließlich für heterosexuelle Paare übernommen. Lesbische Paare zum Beispiel müssen diese Behandlung aus 1.1.5. Regenbogenfamilien eigener Tasche bezahlen. Gelingt die Behandlung, sind die beiden Frauen dann jedoch noch keine ge- Als Regenbogenfamilien werden in einem engeren meinsamen Mütter. Lediglich die austragende Per- Sinne Familien bezeichnet, bei denen die Eltern in son wird in der Geburtsurkunde als Mutter eingetra- einer homosexuellen Partnerschaft leben. In einem gen. Die zweite Mutter muss sich ihre Mutterschaft weiteren Sinne meint Regenbogenfamilie jede Fa- nun in einem Stiefkindadoptionsverfahren anerken- milie, in der einer der Elternteile lesbisch, schwul, nen lassen. Viele lesbische Paare empfinden diese bisexuell, trans*, inter* oder in einem anderen Sinne Verfahren als Demütigung. queer ist. Bei heterosexuellen Konstellationen stellt das Stan- Regenbogenfamilien sind für den Kita-Alltag also desamt nicht in Frage, wer der Vater ist, sondern vor allem Familien mit mindestens einem Elternteil, gesteht dem Paar zu, selbst angeben zu können, der mit seiner Geschlechtsidentität oder der se- wer der zweite Elternteil ist - unabhängig davon, ob xuellen Orientierung nicht der Mehrheit entspricht. dies biologisch tatsächlich der Fall ist oder nicht. Gerade diese Abweichung von der Mehrheit ist es, Lesbische Paare hingegen werden vom Jugendamt was Kinder bereits im Elementarbereich vermittelt geprüft, die Wohnung wird begutachtet, es müssen bekommen: Das Gefühl, dass ihre Familie nicht intime Fragen beantwortet werden, um dann von „normal“ ist, wenn Sie in Büchern ihre eigene Fa- einem Gericht entscheiden zu lassen, ob die zweite milienkonstellation nicht wiederfinden oder zum Mutter das Kind adoptieren darf. Muttertag keine Mutter haben, der sie etwas bas- teln können. Hier gilt es für die Kita-Pädagog_innen, Sind mehrere Eltern in einer Regenbogenfamilie in- Barrieren abzubauen und Kindern ein vielfältiges volviert, z. B. ein lesbisches und ein schwules Paar, und realistisches Bild der Welt zu vermitteln. Gleich- können nur zwei dieser Elternteile auch rechtliche zeitig braucht es, gerade in der Frühpädagogik, ein Eltern sein. Das deutsche Familienrecht schließt Verständnis dafür, welche langen, mühsamen und Mehrelternschaft aus. Zwei der vier Personen dür- 10 1. Worum geht es? 11
fen formal also keine Entscheidungen für das Kind Bis die Kinder in die Fremdbetreuung kommen, ha- treffen. Das hat Auswirkungen auf Abholberechti- ben viele Regenbogenfamilien schon steinige und gungen in Kitas, Befugnisse bei Ärzt_innen, Erban- schmerzhafte Prozesse hinter sich. Kita, Krippe und gelegenheiten usw. Kindertagespflege können dann ein Ort sein, um Si- cherheit zu bieten. Dafür braucht es Pädagog_innen, Werden trans* Personen Eltern, stellt sich die Situ- die diesen Raum schaffen. Wie das gelingen kann, da- ation ein weiteres Mal schwierig dar. Sofern eine rum soll es im weiteren Verlauf der Broschüre gehen. trans* Person gebärfähig ist, hindert sie biologisch nichts daran, ein Kind zu bekommen – unabhängig davon, ob sie männlich, weiblich oder nicht-binär ist. Schwierig wird die Frage nach der rechtlichen Elternschaft aufgrund des deutschen Abstam- mungsrechts. So wird zum Beispiel die Person, die ein Kind gebiert, immer als Mutter des Kindes ge- führt – unabhängig von ihrem Personenstand und ihrem tatsächlichen Geschlecht. Auch gebärende trans* Männer und nicht-binäre Personen werden also als Mutter geführt. Sollte ein trans* Mann in einer schwulen Beziehung mit einem anderen Mann leben, hätten die beiden somit kein Problem ge- meinsam rechtliche Eltern des Kindes zu werden, da der trans* Mann als Mutter und der Partner als Vater des Kindes eingetragen wird. Gleichzeitig ist dieses rechtliche Mutter-Sein für den trans* Mann mit wiederholtem ungewollten Outing verbunden. Ist der gebärende trans* Mann jedoch mit einer Per- son mit weiblichem Personenstand zusammen, lebt also (rechtlich) eine heterosexuelle Beziehung, muss die Frau das Kind per Stiefkindadoption annehmen, da es ja bereits eine (wenn auch männliche) Mutter gibt. Eine zweite Mutter kann nur per Stiefkindadop- tionsverfahren rechtlich anerkannt werden. Das klingt kompliziert? Ist es auch. Das Familien- und Abstammungsrecht macht die Familiengrün- dung für Regenbogenfamilien oft anstrengend und schmerzhaft. Dabei wurde Leihmutterschaft, inter* Elternschaft, Pflege- und Adoptivelternschaft hier gar nicht erst angesprochen. Das hier im Detail und für weitere konkrete Fälle auszuführen und zu er- klären, führt zu weit. Was aber deutlich wird: Regen- bogenfamilie ist nicht gleich Regenbogenfamilie. Und: Der Weg zur Regenbogenfamilie ist oft schwer. 12 1. Worum geht es? 13
1.2. Inklusion Besonders deutlich wird diese Problematik im Um- feld Schule. In der bereits erwähnten Studie Co- gilt auch für ming-out - und dann…?! gab etwa die Hälfte der befragten Jugendlichen an, am Bildungs- oder queere Kinder Arbeitsorten beschimpft, beleidigt oder lächerlich gemacht worden zu sein. Viele gaben an, dass und Familien ihre sexuelle Orientierung oder ihre geschlechtli- che Identität nicht mitgedacht wurde. 10% haben sogar körperliche Angriffe erlebt (vgl. Krell/Olde- meier 2018, S. 109/169). Hinzu kommt, dass ein „Die Leitidee der Inklusion Großteil der Lehrkräfte bei diskriminierendem Ver- impliziert also im Erziehungs- und Inklusion ist ein Auftrag, der an alle Bildungsinstitu- tionen gestellt wird, auch an den Elementarbereich. halten nicht interveniert oder zum Teil sogar selbst diskriminiert (vgl. Krell/Oldemeier 2018, S. 111, Bildungssystem einen grundlegenden Seit Jahren fordert dieser Anspruch die Einrichtun- 172). Bildungsstätten sind für queere Jugendliche Perspektivenwechsel: Weg von der gen und Pädagog_innen heraus. folglich kein sicherer Ort. Diese Erfahrungen sowie rechtliche und institutionelle Hürden insbesondere Sichtweise, das einzelne Kind habe Bereits 2008 spricht die UNESCO davon, dass In- für trans* Schüler_innen führen mitunter zu Schul- ein Problem, dem durch Diagnostik klusion auf der Annahme gründet, dass Bildung ein Menschenrecht ist und alle Lernenden gleichen Zu- verweigerung (BMFSFJ 2016, S. 29). und Sonderbehandlung entsprochen gang zu Bildung haben sollen – unabhängig ihrer Hier wird sehr deutlich, dass queere Personen auf- werden müsse, hin zu der Sichtweise, unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmale (vgl. UNESCO 2008). Inklusion ist also weit mehr, als grund der gesellschaftlichen Umstände, der Ab- wertung ihrer Identität oder Lebensform und der das Bildungssystem habe ein Problem, Teilhabebarrieren für Menschen mit Behinderung daraus resultierenden Diskriminierungserfahrung da es nicht ausreichend für den im Bildungssystem abzubauen. Es geht darum, alle Kinder mit ihren Eigenschaften im Blick zu ha- erschwert an Bildung teilhaben können. Umgang mit Verschiedenheit gerüstet ben und ihnen Bedingungen für barrierearmes und Hat Inklusion den Anspruch, alle Menschen mitzu- ist. Dementsprechend liegen Barrieren angstfreies Lernen zu ermöglichen. Nicht das Kind muss verändert und angepasst werden, sondern die denken, Barrieren für alle abzubauen und Diskrimi- nierung zu verhindern, dann gilt es, queeres Leben der Teilhabe nicht in erster Linie Bedingungen in denen es lernt. Inklusion zielt darauf, zu schützen und es als eine von vielen möglichen im Kind und seinen Eigenschaften „alle Barrieren für Spiel, Lernen und Partizipation für alle Kinder auf ein Minimum zu reduzieren“ und „Aus- Lebensformen mitzudenken. Bisher scheint dies in Bildungseinrichtungen nur in Ansätzen zu gelingen. begründet, vielmehr beschreiben grenzung konsequent abzubauen“ (Booth et al. 2006, Queere Personen sind von Teilhabebarrieren betrof- Barrieren Passungsschwierigkeiten S. 12). Damit zielt Inklusion gegen Diskriminierung auf Gleichwertigkeit im Sinne der Menschenrechte. fen. Dieser Tatsache entgegenzuwirken muss be- reits Auftrag des Elementarbereichs sein. Deshalb zwischen Mensch und Umwelt. Die muss Inklusion explizit auch queer-inklusiv sein Lern- und Bildungsangebote mit ihren Wenn Inklusion darauf zielt, Barrieren abzu- bauen, dann kann darüber auch erklärt werden, und queere Lebensweisen in Bildungseinrichtungen sichtbar und sicher gestaltbar machen. konzeptionellen Zuschnitten, Inhalten, wieso queere Lebensweisen im Inklusionsdis- Methoden usw. konstruieren allzu kurs mitgedacht werden müssen. Denn quee- re Kinder oder Kinder aus queeren Familien Der Anspruch auf Inklusion muss auch queere Lebensweisen meinen. häufig Bildungsbarrieren.“ treffen immer wieder auf Teilhabebarrieren. (Papke 2017, S. 116) 14 1. Worum geht es? 15
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2. Was steckt dahinter? Dass queere Kinder und Familien in den Einrichtungen des Formulare für Eltern beinhalten in der Regel die Geschlechtsidentität (Englisch: gender), also Angabe „Vater“ und „Mutter“. Es wird davon das Wissen und Empfinden über das eigene Ge- Elementarbereichs besonderen Herausforderungen gegenüber ausgegangen, dass Kinder in heterosexuelle schlecht sowie ein an diese Identität gebundener stehen, ist nicht zufällig oder ein Spezifikum des Elementar- Zwei-Eltern-Familien geboren werden. Geschlechtsausdruck über Kleidung, Verhalten u.ä. bereichs. Es ist Teil einer gesamtgesellschaftlichen Problematik. Frauen werden nach ihrem Freund, Männer Begehren, also das heterosexuelle, auf das an- nach ihrer Freundin gefragt. dere Geschlecht bezogene Begehren. 2.1. Die Das heißt, eine der Heteronorm2 entsprechende Es gibt Frauenflohmärkte und Männer- Das sind Alltagsbeispiele. Doch Heterosexuali- Person hätte das Körpergeschlecht Frau, ein an Gesellschaft abteilungen in Drogerien. tät und damit die aufeinander bezogene Zweige- eine weibliche Identität gebundenen weiblichen schlechtlichkeit von Männern und Frauen ist ge- Geschlechtsausdruck und eine auf einen Mann be- Die Werbung unterteilt Kinderprodukte kon- sellschaftlich so stark verankert, dass sie unsere zogene Sexualität. So erscheint diese Frau in der macht es queeren sequent in rosa und hellblau. Egal ob Über- raschungseier, Badezusatz, Playmobil, oder Gesetzgebung, unsere Wirtschaft, unsere kulturel- len Praxen und gesellschaftliche Institutionen prägt Gesellschaft als richtig (Butler 1991, S. 38f). Das liegt daran, dass wir lernen, es sei von der Natur ge- Menschen schwer Jungen- und Mädchenabteilung bei Kleidung (vgl. Hark 2013, S. 449). Dass dies so ist, wird als geben, dass es zwei binäre Geschlechter gibt, die selbst für Säuglinge und Kleinkinder. Es wird Heteronormativität bezeichnet. Dadurch, dass Hete- in ihrem Begehren aufeinander bezogen sind (vgl. suggeriert: Männer und Frauen / Jungen und ronormativität gesellschaftlich so fest verankert ist, Hartmann/Klesse 2007, S. 10f). Diese angebliche Mädchen sind grundverschieden. können wir uns ihr nicht einfach entziehen. Sie ist als Naturhaftigkeit führt zu Ausschlüssen all jener Le- Unsere Gesellschaft gründet auf verschiedenen Teil unserer Sozialisation in uns übergegangen. bensformen, die dieser cis-Heteronorm nicht ent- Vorannahmen, die unser Miteinander strukturieren. Wenn uns Menschen begegnen, die wir ge- sprechen. Das betrifft trans* und inter* Personen Eine dieser Vorannahmen lautet: Es gibt zwei Ge- schlechtlich nicht in Mann oder Frau einord- Zweigeschlechtlichkeit und heterosexuelles Begeh- ebenso wie nicht-heterosexuelle Personen oder Per- schlechter, diese sind eindeutig zuordbar und be- nen können, neigen viele Menschen dazu nach ren werden als natürlich gegeben und aufeinander sonen, deren Geschlechtsausdruck nicht dem stereo- ziehen sich aufeinander, das heißt, sie begehren Rundungen, Brüsten o. ä. zu suchen, um Ein- bezogen verstanden. Sie stellen also die vermeint- typen Bild dessen entspricht, wie ein Mann oder eine sich gegenseitig (vgl. Hartmann/Klesse 2007, S. 9). deutigkeit herstellen zu können. Wir gehen liche gesellschaftliche Norm da, das, was wir als Frau sich zu kleiden und zu geben hat. Auch wenn wir diese Annahme nicht immer so for- also davon aus, ein Mensch muss Mann oder „normal“ empfinden. Alles, was davon abweicht, hat mulieren können und sie vielleicht auch ablehnen Frau sein. es dadurch in unserer Gesellschaft schwerer. würden, wenn wir bewusst darüber nachdenken, wirkt sie doch in unser ganzes Leben hinein: Die meisten E-Mails beginnen mit „Sehr ge- Wie können Menschen als der Heteronorm ent- 2 Der Einfachheit halber wird an dieser Stelle lediglich der ehrte Damen und Herren…“ oder „Sehr geehr- sprechend gelesen werden? Indem folgende drei Begriff „Heteronormativität“ genutzt. In dieser Formulierung te Frau…“ – unabhängig davon, ob wir von der Dinge „zueinander passen“: ist impliziert, dass es zwei binär gedachte Geschlechter gibt, Geschlechtsidentität eines Menschen wissen, die eindeutig erkennbar sind und sich gegenseitig begehren. weisen wir ihm in der Regel eines der beiden Körpergeschlecht (Englisch: sex), also die Zu- Auf die Zusätze „cis“ und „endo“ wird an dieser Stelle ver- Geschlechter zu. Oft geschieht diese Zuord- weisung eines Geschlechts aufgrund körperli- zichtet. Die Ausschlüsse, die Heteronormativität produziert, nung aufgrund des Vornamens. cher Merkmale wie Genitalien, Chromosomen beziehen sich aber nicht ausschließlich auf das Begehren, und Hormone. sondern auch auf Vorstellungen von Körper und Identität. Mehr zu den Begriffen in „Die Fibel der vielen kleinen Unterschiede“: www.www.aug.nrw/materialien/bestellung/. 20 2. Was steckt dahinter? 21
Aus der Praxis: Jannik ist ein Kind, das lange Haare hat, gern Nagellack trägt und am liebsten kuschelige Pullis anzieht. Er ist meist sehr unabhängig von anderen Kindern. Ob Jannik trans* sein könnte, wurde zwar mal kurz mit den Eltern thematisiert, hat sich bisher jedoch nicht herausgestellt. Der Vater fragt Jannik im Gespräch, ob er lieber ein Mädchen oder ein Junge sein möchte. Jannik: „Ein Mädchen. Dann stimmt es wenigstens, wenn die Kinder das sagen. Wenn die das jetzt sagen, dann ma- chen die das um mich zu ärgern.“ Vater: „Und was wärest du gern, wenn die Kinder dich nicht ärgern würden?“ Kind: „Dann wäre ich gern ein Junge, der lange Haare hat und Nagellack trägt.“ Jannik erlebt die Last der Heteronorm. Er ist cis-ge- schlechtlich, also nicht trans*. Aufgrund seines Körpers wurde ihm bei der Geburt das männliche Geschlecht zugeordnet und diese Zuordnung passt auch zu seinem geschlechtlichen Empfinden: Er ist ein Junge. Sein Ge- schlechtsausdruck wird gesellschaftlich aber als weib- lich wahrgenommen. Damit ist es nicht mehr deckungs- gleich mit seinem Körpergeschlecht. Von den anderen Kindern wird er dafür ausgegrenzt und geärgert.3 3 Alle hier angeführten Beispiele aus der Praxis sind reale Erfahrungen aus dem elementarpädagogischen Alltag in NRW, die Familien und Pädagog_innen für diese Broschüre zur Verfügung gestellt haben. Beispielbild Anderweitige Quellen sind unter den jeweiligen Beispielen angegeben.
2.2. Vorannah- Weise nicht gesprochen“ (Riegel 2017, S. 86). Was nicht aber als selbstverständlich und „normal“ mit- alles andere immer als Abweichung markieren. Das mit diesem Zitat zum Ausdruck gebracht wird: Die gedacht werden, werden die Ausschlüsse und Be- ist die Herausforderung der Inklusion. „Das Andere“ men und Stereo- Thematisierungen queerer Lebensweisen in Einrich- tungen der (Elementar-) Pädagogik ist zwiespältig. nachteiligungen, die durch Heteronormativität ent- stehen, nicht angetastet. Was heißt das konkret? zu vergessen. Zu verstehen, dass alles, was Kinder mitbringen selbstverständlich zum Ganzen gehört type erschweren Wenn sexuelle und/oder geschlechtliche Vielfalt in der Pädagogik überhaupt zum Thema werden, dann Kitas können Vielfalt und damit auch vielfältige Fa- milienformen wie auch Geschlechtsidentitäten will- und den pädagogischen Alltag mitgestaltet. Alles, was ein Kind oder eine Familie mitbringt, ist „nor- queeres Leben in oft, um Offenheit zu demonstrieren oder als Auffor- kommen heißen und dennoch durch unreflektiertes mal“. Es ist da. Es gehört dazu. Es füllt eine Leer- derung zur Toleranz. Reden und Handeln die Heteronorm verfestigen. stelle, von der wir bisher vielleicht nicht einmal wussten, dass es sie gibt. Bei Inklusion und damit der Kindertages- Das ändert jedoch nichts an den eigentlichen Um- ständen. Wenn Regenbogenfamilien und queere Diese Situation stellt eine vermeintliche Kleinigkeit dar. Die Erzieherin meinte es gut, ganz ohne Zwei- auch bei queer-inklusiver Pädagogik geht es darum, den ist-Zustand in vielen Einrichtungen der Elemen- betreuung Kinder zwar wahrgenommen und thematisiert, fel. Doch in ihrem Gut-Meinen hat sie dem Kind und der Familie gleichzeitig deutlich gemacht, dass sie tarpädagogik zu verlassen. Altes Wissen zu verler- nen. Normen zu verlernen. Und mich ganz auf das nicht selbstverständlich sind. Dadurch, dass sie ihre Kind oder die Familie mir gegenüber einzulassen. eigene Grundannahme, dass Heterosexualität die Aus der Praxis: Norm ist, nicht hinterfragt hat, konnte sie in dieser 4 Cis bezeichnet das Gegenteil von trans*, endo das Gegenteil „Ähnlich wie in der Fachliteratur Situation auch gar nicht anders reagieren. Wenn wir von inter*. Menschen die auf Grundlage ihres Körpers einem und im öffentlichen Diskurs ist Wir sind eine Familie aus Mama, Mami, Papa, als Menschen davon ausgehen, dass Heterosexua- der binären Geschlechter (Mann oder Frau) zugeordnet werden das Thema pluriforme Familien Papi und zwei Kindern. Sowohl in der Großtages- lität, cis- und endo- Geschlechtlichkeit4 die Norm können und sich mit diesem Geschlecht auch identifizieren, sind sowie sexuelle und geschlecht- pflege als auch in der Kita waren wir gern gese- sind, dann werden wir, egal wie gut wir es meinen, cis-endo-geschlechtlich. liche Vielfalt in Schulen, Kitas, im hen. Insbesondere da sich die Einrichtungen di- Hort oder auch in der Bildungs- vers aufstellen wollten. Unser erstes Kind tat sich arbeit kaum von Relevanz. Zu- in der Eingewöhnung in der Kita etwas schwer. Im mindest solange nicht, bis es Essensraum der Kinder hingen Bilder aller Fami- von den betroffenen Eltern oder lien. Auch unserer. Um unser Kind abzulenken, einzelnen Pädagog_innen expli- zeigte eine Erzieherin auf das Bild eines anderen zit eingebracht wird. In diesem Kindes und sagte „Guck mal, Janne hat auch zwei Zusammenhang zeigen sich pä- Mütter“. Unsere Tochter schaute uns irritiert an, weil dagogische Einrichtungen und sie nicht verstand, was das Besondere daran ist. deren Personal im Umgang mit queeren Lebensweisen und Fa- Da wir viele weitere Regenbogenfamilien im Be- milienformen widersprüchlich. kanntenkreis haben, war das für unser Kind nichts Deshalb ist diese Broschüre mehr als eine reine Auflistung von Auf der einen Seite präsentieren Bemerkenswertes. An dieser Stelle wurde deut- Materialien und Morgenkreisimpulsen zum Thema. Materialien sie sich offen und die einzelnen lich, dass wir und unser Kind zu „den Anderen“ ge- Familien und Kinder werden als hören. Trotz des vielen positiven Feedbacks, das können ein Baustein sein. Es geht aber grundsätzlich um die Individuen akzeptiert. Heteronor- wir aus den Einrichtungen erhalten haben, werden Haltung der Pädagog_innen. Diese muss Kinder in all ihrer mativität ist strukturell betrach- wir immer noch als die Besonderen behandelt. Verschiedenheit als Teil des Ganzen verstehen. tet jedoch an der Tagesordnung Es ist gar nicht so leicht, dem eigenen Kind, das und über das Thema queere was für uns Normalität ist, auch als Normalität zu Lebensweisen oder damit ver- vermitteln, wenn man von der Gesellschaft ge- Das ist Inklusion – das Kind mit seinen Eigenschaften und bundene Diskriminierungen und zeigt bekommt, dass man doch angeblich etwas Umständen gestaltet das Ganze mit. Es ist selbstverständ- Gewalt wird wenig und jenseits Anderes ist. konkreter Personen in genereller licher Teil des pädagogischen Alltags. Wenn dies nicht gelingt, hat dies Auswirkungen auf das Kind. 24 2. Was steckt dahinter? 25
Geschlechterstereotype im pädagogischen Alltag 2.3. Kinder anderes als das, was sie von einem Mädchen hat. Es werden den verschiedenen Geschlechtern verschie- Ein Erzieher sitzt im Kreis zwischen den Kindern. Ella bemerkt, dass Ahmed die Hose von leiden unter dene Interessen und Verhaltensweisen zugeschrie- ben. Als Teil dieser Gesellschaft haben Pädagog_in- Anton an hat. Der Erzieher kommentiert: „Ja, es gab sonst nur nochso blöde Mädchenklamotten, deshalb Geschlechter- nen diese Zuschreibungen ebenso verinnerlicht wie jede andere Person. Auch wenn grundsätzlich der stereotypen hat Anton ihm seine Hose geliehen.“ Wille besteht, Kinder in all ihren Interessen zu unter- stützen, können wir unsere jahrzehntelange Soziali- sation doch nicht einfach abstreifen. Für Kinder hat die Orientierung der Pädagogik an Einige Beispiele dafür, wie geschlechterstereotype heteronormativen Verhaltens- und Handlungs- Zuschreibungen im Alltag aussehen können, finden mustern die Folge, dass sie ihre (sexuelle und ge- Sie auf der gegenüberliegenden Seite. Eine Erzieherin unterhält sich mit einer Mutter, die schlechtliche) Identität in einem Rahmen bilden kommentiert, dass ihr dreijähriger Sohn Bente im und entdecken, der nicht völlig frei, sondern von Was Kinder aus diesen Situationen mitnehmen: Moment unbedingt die Klamotten anziehen möchte, Begrenzungen und Vorannahmen geprägt ist. Wenn mit denen die Mädchen in den Kindergarten kommen. gesellschaftlich erwartet wird, dass Geschlecht, Es gibt Kleidung, die nach Mädchen und Jun- Bente trägt auch sonst viel Nagellack und verkleidet sich Geschlechtsausdruck und Begehren übereinander gen aufgeteilt wird. Bestimmte Kleidung darf ab und zu als Prinzessin. Die Erzieherin kommentiert passen, gibt das bestimmte Verhaltens- und Be- man nur tragen, wenn man das entsprechende „keine Sorge, das ist nur eine Phase.“ gehrensnormen vor, denen ein Mädchen oder ein Geschlecht dazu hat. Als Junge „Mädchenho- Junge zu genügen hat, um Anerkennung zu finden sen“ anzuziehen ist blöd. und in seinem Verhalten bestätigt zu werden. Damit ist der Rahmen der Möglichkeiten eigener Wünsche Wenn ein Junge dann doch mal weiblich kon- und eigenen Begehrens bereits vorgezeichnet (vgl. notierte Kleidung trägt, dann ist das eine Ab- Hartmann 2007, S. 105). Damit einher geht ein Ver- weichung, „eine Phase“. Sowas vergeht wieder. bot und die Verwerfung vieler weiterer, möglicher Die Erwachsenen warten darauf, dass sich das Ein Vater hat für ein Fest einen Kuchen Handlungs-, Verhaltens- und Begehrensformen, die Kind wieder angepasst verhält. gebacken. Nach dem Fest gibt ein Kollege dem dazu führen würden, dass Körper, Geschlechtsaus- Vater das Kuchenblech zurück und entschuldigt druck und Begehren nicht mehr der Heteronorm Es gibt typische Frauen- und typische Männer- sich dafür, dass es noch nicht gespült ist. entsprechend zusammenpassen. Das heißt, das aufgaben. Hausarbeiten, in diesem Fall spülen, Eine Kollegin meint daraufhin zum Vater Kind ist angehalten, bestimmte Interessen, Gefühle, sind Frauenaufgaben. „Das kann dann die Frau nachher machen.“ Körperhaltungen, Bewegungen, Handlungen oder Begehren nicht für sich anzunehmen oder zu leben Stark ist eine Eigenschaft, die Jungen zuge- (Debus/Stuve 2012, S. 35). schrieben wird. Mädchen können und sollten sich nicht zu sehr körperlich betätigen. Nun würden die wenigsten Pädagog_innen sagen, dass sie Kindern dies bewusst verbieten. Im Gegen- Diese Situationen sind alles Kleinigkeiten. Aber sie teil, in der Regel haben Pädagog_innen das Ziel, Kin- häufen sich. Kinder lernen dadurch, was vermeint- dern in ihren Bedürfnissen zu begegnen und ihnen lich „normal“ ist und was von ihnen erwartet wird. Beispielbild Für die Turnstunde müssen noch einige Tische in die Halle getragen werden. möglichst viel Handlungs- und Entfaltungsspielraum Dadurch beginnen sie ein bestimmtes Verhalten ver- Die Erzieherin ruft: „Ich brauche mal ein zu geben. Dass Kinder in ihren Handlungen dennoch mehrt zu zeigen und anderes zu unterdrücken, damit paar starke Jungs, die mir helfen.“ so eingeschränkt sind, hängt wieder mit der tief ver- sie die entsprechende Anerkennung bekommen. innerlichten Heteronormativität zusammen. Das Bild, das die Gesellschaft von einem Jungen hat, ist ein 27
„Kindliche Subjekte werden gezwungen, auf hoch geschätzte Fähigkeiten und Eigenschaften zu 2.4. Als Nehmen Sie sich Zeit und beantworten Sie für sich verzichten, weil diese auf der selbst einige Fragen, um Ihr eigenes Verhältnis zu anderen Seite der Geschlechter- Pädagog_in Geschlecht und Sexualität zu reflektieren: grenze gedacht werden.“ bei sich selbst Identifiziere ich mich selbst als Mann, Frau, in- ter*, nicht-binär…? beginnen (Eggers 2012, S. 14) Woher weiß ich, dass ich dieses Geschlecht bin? Das gilt nicht nur für binär gedachte Geschlechter- Dabei muss früher angesetzt werden: Das Ziel ist, Als Pädagog_in haben Sie den Wunsch und Auf- Welches Geschlecht schreiben andere Perso- rollen. Wie oben dargestellt sind Kinder, die sich (be- Kindern den Raum zu öffnen, sie selbst zu sein statt trag, die Kinder, die Sie begleiten, bestmöglich zu nen mir zu? Woran machen sie das fest? wusst oder unbewusst) in das binäre Geschlechter- sich der Heteronorm beugen und dadurch Teile von fördern, ihnen gut zu tun und sie für das Leben zu system (männlich/weiblich) einordnen, in ihrem sich abspalten zu müssen. Nicht die Symptome stärken. Damit dies auch bei queeren Kindern gelin- Wie würde mein Umfeld reagieren, wenn ich Handeln deutlich eingeschränkt. Dies trifft auf inter* sind das Problem, sondern die Tatsache, dass Kin- gen kann, braucht es Pädagog_innen, die ihre eigene morgen einen anderen Geschlechtsausdruck und trans* Kinder besonders zu. der einem Normalisierungsdruck ausgesetzt sind. (pädagogische) Haltung hinterfragen und sich auf für mich ausprobieren würde, also zum Beispiel So wird es zu einer grundlegenden Aufgabe der Päda- die queer-inklusive Idee einlassen. Dies ist keine ein- die Kleidung, Frisur, Make-up, Accessoires, Vielfalt als vielfältige Möglichkeit Mädchen und viel- gogik, die Normalisierungsprozesse, denen die Kinder fache, aber eine lohnenswerte Aufgabe. Um hetero- Körperbehaarung usw. des Geschlechts aus- fältige Möglichkeit Junge zu sein, zu denken, ist ein durch das alltägliche pädagogische Handeln ausge- normative Denk- und Handlungsmuster ausfindig zu probieren würde, mit dem ich mich nicht identi- Anfang. Dann werden Mädchen und Jungen weniger setzt sind, aufzudecken und zu reflektieren (vgl. Hart- machen, sind Pädagog_innen herausgefordert, sich fiziere? Stereotype auferlegt, denen sie zu genügen haben. mann 2013,S. 272f). Dafür braucht es Pädagog_innen, mit sich selbst, den Verhältnissen in denen sie leben Dabei bleiben jedoch all jene, die nicht in diese binä- die das eigene pädagogische Handeln reflektieren. und der eigenen Sozialisation zu befassen. Das kann Wie würde es mir selbst damit gehen? ren Kategorien passen grundsätzlich unsichtbar (vgl. zunächst anstrengend und überfordernd wirken. Hartmann 2007, S. 105). Pädagogik ist also nicht Schließlich ist es ein schmerzhafter Prozess einzu- Welche „typischen“ Eigenschaften, Hobbies, nur gefragt, Zuschreibungen an Jungen und Mäd- sehen und zu verstehen, dass man als Pädagog_in Interessen habe ich, die gesellschaftlich männ- chen zu hinterfragen und zu ändern, sondern ganz Kinder einschränken kann, selbst wenn man es gut lich konnotiert sind? Wie reagieren andere dar- grundsätzlich das Konzept von zwei Geschlechtern mit ihnen meint. Ebenso fordert es heraus zu ver- auf? in Frage zu stellen. Nur so können auch inter* und stehen, dass man selbst sich möglicherweise schon trans* Kinder mitgedacht werden und ihren Platz in als Kind und auch noch als Erwachsene_r bestimmte Welche „typischen“ Eigenschaften, Hobbies, In- der Gruppe finden. Dinge nicht erlaubt oder getraut hat, weil diese für teressen habe ich, die gesellschaftlich weiblich das andere Geschlecht „reserviert“ waren oder weil konnotiert sind? Wie reagieren andere darauf? Werden die grundsätzlichen Normierungen in der sie vom heterosexuellen Begehren abgewichen wä- Pädagogik nicht hinterfragt, dann führt das dazu, ren. Nicht nur Kinder unterdrücken bestimmte Inter- Wie viele trans* Personen, von denen ich weiß, dass Diskriminierungen, denen Kinder täglich aus- essen, Handlungen, Verhaltensweisen und Wünsche, habe ich in meinem Umfeld? Woher stammt gesetzt sind, nicht erkannt werden. Dadurch treten um angenommen und bestätigt zu werden. Erwach- mein Wissen über trans* Personen? mitunter Verhaltensweisen von Kindern zu Tage, mit sene tun das genauso. Dies wird selten reflektiert. denen man nicht gerechnet hat. Kinder ziehen sich Eine queer-inklusive Pädagogik, die sich ganz auf Wie viele inter* Personen, von denen ich weiß, zurück, werden aggressiv, entwickeln Depressionen das Kind einlässt, fordert heraus, sich auch auf sich habe ich in meinem Umfeld? Woher stammt oder verhalten sich unangepasst. Oft versucht die selbst, das eigene Geworden-Sein und das eigene mein Wissen über inter* Personen? Pädagogik dann, diese Symptome in den Griff zu be- pädagogische Verständnis einzulassen und dies kri- kommen (vgl. Pohlkamp 2015, S. 82). tisch zu hinterfragen. Welche sexuelle Orientierung schreiben andere Personen mir zu? Woran machen sie das fest? 28 2. Was steckt dahinter? 29
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