QUEERE VIELFALT IM ALTER - Dokumentation des Jahresthemas des Run- den Tisches sexuelle und geschlechtliche Vielfalt Mannheim 2021 2022 - Stadt ...
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QUEERE VIELFALT IM ALTER Dokumentation des Jahresthemas des Run- den Tisches sexuelle und geschlechtliche Vielfalt Mannheim 2021 – 2022
Liebe Leser*innen, Sie alle wissen: Wir leben in einer alternden Ergebnisse finden Sie in der vorliegenden Gesellschaft und der demografische Wan- Dokumentation. del ist auch für Städte eine der wichtigen Herausforderung unserer Zeit. Das Leitbild Abschließend möchte ich in diesem Zusam- Mannheim 2030 bezieht deshalb auch hier menhang den Mitgliedern der Arbeitsgruppe explizit Stellung. So sollen unter anderem eine „Queere Vielfalt im Alter“ meinen großen starke häusliche Versorgungsstruktur und ein Dank ausdrücken, die durch ihren ehrenamtli- engmaschiges Unterstützungsnetzwerk auf chen Einsatz die Veranstaltungsreihe erst er- Quartiersebene ein selbstbestimmtes Altern möglicht haben. Mein weiterer Dank gilt allen in Würde ermöglich. Das Leitziel eines barri- Beteiligten und Kooperationspartner*innen erefreien Gesundheitswesens in Mannheim der Veranstaltungen. mit vielfältigen Angeboten in der Gesund- heitsförderung, Prävention und Versorgung Mannheim, im Juni 2022 vor Ort durch dezentrale Gesundheitstreff- punkte und Selbsthilfegruppen ermöglicht hierbei eine bedarfsgerechte Versorgung und eine selbstbestimmte Lebensführung. Schwule, lesbische, bisexuelle, transge- Dr. Peter Kurz schlechtliche, intergeschlechtliche und Oberbürgermeister nicht-binäre Menschen (LSBTIQ) sind ein selbstverständlicher Teil der Mannheimer Stadtgesellschaft. Ihre spezifischen Bedarfe im Alter in Versorgung und Pflege anzuerken- nen und in die strategischen Überlegungen mit einzubeziehen ist unser Auftrag, damit wir unser Leitbild 2030 in die Tat umsetzen können. Deshalb freue ich mich, dass es durch den aktiven Einsatz der Arbeitsgruppe „Queere Vielfalt im Alter“ des Runden Tisches sexuelle und geschlechtliche Vielfalt Mannheim und der relevanten Dienststellen der Stadtver- waltung gelungen ist, eine differenzierte Be- trachtung der Situation und der Bedürfnisse queerer Menschen im Alter zu beginnen und in einem Beteiligungs-Workshop zentrale An- liegen zu erarbeiten. Die bemerkenswerten 2 Queere Vielfalt im Alter
Sehr geehrte Mannheimer*innen, liebe Unterstützer*innen der queeren Community, die Kernaufgabe des Fachbereichs Arbeit und schen im Alter auf Angebote der institutionel- Soziales ist es, allen Bürger*innen unserer len Altenhilfe angewiesen, befürchten nicht Stadt ein menschenwürdiges Leben und die wenige von ihnen erneute Ausgrenzung. Des- Teilhabe am sozialen und gesellschaftlichen halb müssen wir darauf hinwirken, Akzeptanz Leben zu ermöglichen. und Respekt gegenüber geschlechtlicher und sexueller Vielfalt zu schaffen. Wir müssen uns Der Sozialatlas der Stadt Mannheim hat ein- die Frage stellen, wie ein diskriminierungsfrei- mal mehr nachgewiesen, dass wir in diesem es Umfeld für queere Senior*innen aussehen Kontext eine bestimmte Zielgruppe stärker könnte. Unser Ziel ist es, eine stabile Ver- in unseren Fokus rücken müssen, und das sorgungssicherheit im Quartier herzustellen sind Menschen, die 65 Jahre und älter sind. und eine ambulante Pflege anzubieten, in Denn die bundesweite demographische der queere Bürger*innen in ihren Bedarfen Entwicklung spiegelt sich naturgemäß auch wahrgenommen werden und nicht auf Unver- in unserer Stadtgesellschaft wider: Nahezu ständnis oder gar Ablehnung stoßen. Unser 19% aller Mannheimer*innen gehören dieser Ziel „ambulant vor stationär“ gilt natürlich Altersgruppe an. Und mehr als ein Drittel von auch hier. Wir möchten unsere ambulanten ihnen lebt allein, d.h., sie sind dem Risiko der Angebotsstrukturen stärken derart, dass die Einsamkeit und ihrer negativen Implikationen stationäre Pflege nach Möglichkeit vermie- ausgesetzt. Wir müssen uns deshalb der den werden kann. Herausforderung stellen, die Lebensqua- lität älterer Menschen zu erhalten oder zu Mannheim hat eine sehr starke Quartiersprä- verbessern, und zwar so, dass sie möglichst gung. Der Fachbereich Arbeit und Soziales selbstbestimmt entscheiden können, wie sie leistet mit seinen Aktivitäten einen Beitrag im Alter leben möchten. Dazu gehört mehr als dazu, die Quartiersentwicklung voranzubrin- ein existenzsicherndes Einkommen und ein gen. Dabei verfolgen wir nichts weniger als Dach über dem Kopf. Ältere Menschen brau- die Vision, soziale Orte zu gestalten, an denen chen ein verlässliches soziales Umfeld, sie bedarfsgerechte Angebote für alle Einwoh- brauchen angemessenen Wohnraum, stabile ner*innen zur Verfügung stehen. Versorgungsstrukturen und bedarfsgerechte Angebote zur sozialen und kulturellen Teilha- Aber wie sehen gelungene queere Angebote be direkt in ihrer Nachbarschaft. Und dabei im Quartier aus? Welche spezifischen Ange- gilt es, die Mannheimer Stadtgesellschaft in bote sind erforderlich, um Einsamkeit entge- ihrer Vielfalt wahrzunehmen. genzuwirken und Teilhabehürden für queere Senior*innen zu beseitigen? Gemeinsam mit Die Biografien von älteren lesbischen, schwu- der Beauftragung für die Chancengleichheit len, bisexuellen, transgeschlechtlichen, in- von Menschen vielfältiger sexueller und tergeschlechtlichen und queeren Menschen geschlechtlicher Identitäten entwickelt der sind nicht selten von Diskriminierungs- und Fachbereich Arbeit und Soziales aktuell An- Gewalterfahrungen geprägt. Sind diese Men- sätze zur Beantwortung dieser Fragen. 4 Queere Vielfalt im Alter
Ziele sind eine kulturelle Öffnung der Gesell- schaft und ihrer Institutionen, die Zusammen- arbeit mit der queeren Community sowie die Weiterentwicklung von Fortbildungsangeboten. Uns geht es darum, unsere Stadtteile senio- ren- und generationengerecht bzw. inklusiv weiterzuentwickeln und Barrieren zum Quar- tiersangebot und zum Versorgungssystem abzubauen. Dafür brauchen wir Impulse aus der Bürgerschaft. Und deshalb freue ich mich auf den weiteren Dialog mit Ihnen. Ihr Dr. Jens Hildebrandt Fachbereich Arbeit und Soziales Queere Vielfalt im Alter 5
INHALTSVERZEICHNIS QUEERE VIELFALT IM ALTER AUSGANGSPUNKT seite 8 HINTERGRUNDWISSEN seiten 10 – 21 ÄLTERE MENSCHEN IN MANNHEIM seite 10 Besondere Bedürfnisse queerer Menschen im Alter EXPERTISE QUEERES WOHNEN IM ALTER seite 17 AKTIVES ERINNERN seiten 22 – 25 §§ 175/151 seite 22 Auswirkungen auf die queere Community LIEBE, SEX & HIV seite 23 Filmgespräch zu „Théo & Hugo“ HIV DAMALS UND HEUTE seite 25 Generationsgespräch WISSEN UND RECHT seiten 26 – 30 GEKONNT ALTERN seite 26 Verfügungen und Vollmachten WANN BEGINNT DIE DEMENZ? seite 28 Überblick und Einstieg für Angehörige und Betroffene GESCHLECHTLICHE VIELFALT IN ALTER UND PFLEGE seite 30 Workshop für Fachkräfte 6 Queere Vielfalt im Alter
COMMUNITY – seiten 31 – 41 ERFAHRUNGEN UND ENGAGEMENT GENDERNAUTS & GENDERATION seite 31 20 Jahre Erfahrungen ZEIT FÜR DICH seite 34 Erfahrungen des Berliner Besuchsdienst GLÜCKLICH ALTERN IN MANNHEIM seite 36 Austausch mit Dr. Hildebrandt, Leiter des Fachbereichs Arbeit & Soziales der Stadt Mannheim BETEILIGUNGSWORKSHOP seite 40 „Queere Vielfalt und Selbstbestimmung beim Wohnen im Alter“ ZUSAMMENFASSUNG & AUSBLICK seite 42 AUTOR*INNEN DER DOKUMENTATION seite 45 HILFREICHES seite 46 Angebote in Mannheim und Umgebungen KOOPERATIONSPARTNER*INNEN seite 48 Der Reihe „QUEERE VIELFALT IM ALTER“ IMPRESSUM seite 48 Queere Vielfalt im Alter 7
AUSGANGSPUNKT Selbstbewusst und selbstbestimmt – so zei- aufgegriffen hat und eine Veranstaltungsrei- gen sich schwule, lesbische, bisexuelle, quee- he konzipiert und umgesetzt hat. Dank der re, nichtbinäre, trans und inter (kurz: queere) Förderung durch das Ministerium für Soziales, Menschen bei der Parade zum Christopher Gesundheit und Integration aus Mitteln des Street Day. Sie sind vernetzt in Mannheim im Landes Baden-Württemberg im Rahmen des Offenen Netzwerk LSBTTIQ, beim Transtreff Projektes „Queere Vielfalt im Quartier und Mannheim, sind aktiv im Sportverein mvd, in der Community“ konnte die Reihe durch engagiert bei PLUS. Psychologische Lesben- weitere Veranstaltungen ergänzt und die vor- und Schwulenberatung Rhein-Neckar, im liegende Dokumentation erstellt werden. Queeren Zentrum Mannheim, dem Lesben- stammtisch und bei vielen weiteren Gruppen, Als Einstieg in das Thema haben wir das von Organisationen und Anlässen. Bereits bei Dipl. Sozialwissenschaftlerin Angela Jäger dieser Aufzählung fällt auf, dass die älteren zusammengetragene Hintergrundwissen zur und vor allem die alten Menschen weniger Situation älterer Menschen in Mannheim und sichtbar sind. Dies hat vielfältige Gründe: zu den besonderen Bedürfnissen queerer Queere Menschen, die noch die Verfolgung Menschen im Alter platziert. Angela Jäger und Tabuisierung in der Nachkriegszeit erlebt gelingt es, sowohl die Situation älterer Men- haben, wollen sich nicht immer so öffentlich schen in Mannheim als auch die besonderen zeigen. Lautstärke, Musikstil und fehlende Anliegen queerer älterer Menschen deutlich Sitzplätze oder die aktuellen Themen treffen zu machen und mit statistischen Zahlen und nicht immer die Wünsche und Bedürfnisse wissenschaftlichen Erkenntnissen zu unterle- der Älteren. gen. Es folgen Beschreibungen und Berichte von den Veranstaltungen. Geprägt wird die Gleichzeitig ist klar: alle werden jeden Tag Reihe durch drei zentrale Themen. Unter dem älter und sexuelle und geschlechtliche Vielfalt Blickwinkel des Aktiven Erinnerns an die Le- haben keine Altersgrenze. Queere Menschen benserfahrungen und –bedingungen queerer wollen in jedem Alter sichtbar und gleichbe- Menschen älterer Generationen stand die rechtigt sein. Veranstaltung „§§ 175/151 – Auswirkungen auf die queere Community“. Dazu gehör- Bisher sind explizite Angebote für ältere ten auch die Veranstaltungen „Liebe, Sex & queere Menschen in der Metropolregion HIV – Filmgespräch zu „Théo & Hugo“ und Rhein-Neckar eine Seltenheit. Der Runde Generationsgespräch „HIV damals und heute“. Tisch sexuelle und geschlechtliche Vielfalt DAktives Erinnern stand auch im Fokus der Mannheim hat die Beschäftigung mit den Lesung „Queere Vielfalt im Alter“, bei der in spezifischen Bedürfnissen von älteren und der Pflegeeinrichtung Fritz-Esser-Haus der alten queeren Menschen daher als erstes AWO ein Text über die Lebenserfahrungen Jahresthema in den Mittelpunkt gerückt. Es eines schwulen Mannes und eine Kurzge- entstand eine sehr aktive Arbeitsgruppe, die schichte über das Altwerden eines Frauen- die vielfältigen Fragen, Sorgen und Themen paares vorgelesen und im Anschluss diskutiert 8 Queere Vielfalt im Alter
werden. Aufgrund von Corona musste die Wohnens im Alter erarbeitet werden. Dazu Veranstaltung allerdings in den Mai verscho- erstellte Andreas Kringe eine Expertise zu ben werden und kann daher leider nicht in die den Best-Practice-Beispielen für Queeres Dokumentation aufgenommen werden. Eine Wohnen im Alter in Deutschland. Seine Erweiterung des Wissens und wichtige Infor- Ergebnisse dienten als zentraler Input beim mationen zu rechtlichen Bedingungen gaben Beteiligungs-Workshop „Queere Vielfalt und die Veranstaltungen „Gekonnt altern - Verfü- Selbstbestimmung beim Wohnen im Alter“. gungen und Vollmachten“, „Wann beginnt die In drei Kleingruppen konnten konkrete Ziele Demenz? Überblick und Einstieg für Ange- für Mannheim für die nächsten Jahre erarbei- hörige und Betroffene“ sowie der Workshop tet werden. Die Dokumentation wurde von für Fachkräfte „Geschlechtliche Vielfalt in Margret Göth anhand des graphic telling von Alter und Pflege“. Die Community mit ihren Stefan Müller @thinkpen sowie der Protokol- Erfahrungen und ihrem Engagement stand le von Ronald Engler, Julian Hähnel und Sören im Mittelpunkt der Veranstaltungen „Gender- Landmann erstellt. nauts & Genderation – 20 Jahre Erfahrungen“ und „»Zeit für Dich« Erfahrungen des Berliner Die abschließende Zusammenfassung greift Besuchsdienst“. Die meisten dieser Berichte die zentralen Anliegen auf und bietet einen wurden von Andreas Chagas López, Akade- Ausblick auf die weitere Umsetzung des The- mische Mitarbeiterin und Doktorandin an mas. Hilfreiche Informationen in Form von der Universität Mannheim, speziell für die weiterführenden links und Literatur sowie Dokumentation verfasst. Der Bericht zum den Kooperationspartner*innen und wichti- Generationsgespräch „HIV damals und heute“ gen Akteur*innen in der Region runden die wurde von Em Brett erstellt. Dokumentation ab. Unter dem programmatischen Titel „Glück- An dieser Stelle möchten wir uns noch einmal lich Altern in Mannheim“ fand ein Austausch ganz herzlich bedanken bei mit Dr. Hildebrandt, Leiter des Fachbereichs • den Aktiven der Arbeitsgruppe „Queere Arbeit & Soziales der Stadt Mannheim, statt. Vielfalt im Alter“: Sabine Berger, Uwe Dr. Hildebrandt stellte die städtischen Ange- Hörner, Matthias Kück und Klaus Schir- bote für ein gutes und glückliches Alter vor dewahn und hörte Erfahrungen und Anliegen für ein • den Autor*innen: Max Appenroth, Sabine glückliches Alter aus queerer Sicht. Aus dieser Berger, Em Brett, Andrea Chagas, Angela Veranstaltung lassen sich nächste Schritte für Jäger, Andreas Kringe und Tobias Quell die Verbesserung der Situation älterer und • Herrn Dr. Hildebrandt und Dr. Artemis alter queerer Menschen in Mannheim auf den Tsoupas vom Fachbereich Arbeit und Weg bringen. Soziales • allen Beteiligten und Kooperationspart- Noch konkreter sollten die Anliegen und ner*innen Bedarfe zur Fragen des selbstbestimmten Queere Vielfalt im Alter 9
HINTERGRUNDWISSEN ÄLTERE MENSCHEN IN MANNHEIM BESONDERE BEDÜRFNISSE QUEERER MENSCHEN IM ALTER AUTORIN: ANGELA JÄGER Lesbische, schwule, bisexuelle und trans, telpunkt – als wäre Vielfalt im Alter vorbei. intergeschlechtliche und queere Menschen Eine kurze Abschätzung zur Anzahl an lsbtiq (kurz lsbtiq) gestalten Stadtgesellschaft auch Senior*innen in Mannheim ist der Ausgangs- in Mannheim sichtbar mit. Die Selbstver- punkt. Daten aus vier Alltagsbereichen bieten ständlichkeit in der Wahrnehmung, Dar- eine Einordnung zur Lebens- und Wohnsitua- stellung und Berücksichtigung der Vielfalt tion, den Ressourcen für eine selbstständige von Geschlecht und nicht-heterosexuellen Lebensführung und Teilhabe, dem Engage- Lebensformen und -perspektiven hat in den ment für die Gesellschaft und dem Bedarf an letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. professioneller Pflege. Ältere Menschen stehen dabei selten im Mit- Bevölkerungsanteile Jeder fünfte Mensch in Mannheim ist mindes- Mannheim können heute ca. 4.200 Menschen tens 65 Jahre alt, 6% aller Mannheimer*innen den lsbtiq Menschen zugerechnet werden, sind 80 Jahre oder älter [18]. Dieser Anteil wenn konservativ ein Anteil von 7% lsbtiq wird in den nächsten Jahren noch anstei- Menschen angenommen wird. gen [8, 18]. Unter den älteren Menschen in Allgemeine Schätzungen zum tatsächlichen Anteil an der Gesamtbevölkerung gehen von einem Anteil von 5 bis 10% lsbtiq Menschen aus. Viele auch neuere Studien stützen diese Einschät- zung: Für Deutschland berichtete eine repräsentative Erhebung von 2018 einen Anteil von 7,4% lsbtiq Menschen [6]. 0,5% bis 1,2% der Bevölkerung identifizieren sich als trans; 0,2% bis 1,7% der Bevölkerung sind intergeschlechtliche Menschen [1]. 4,3% der Bevölkerung in Städten sind Lesben, Schwule, bisexuelle Menschen [7]. Dabei lebt in Deutschland „mehr als die Hälfte der Menschen, die sich als lesbisch, schwul oder bisexuell identifizieren, in Großstädten mit über 100.000 Einwohner*innen“ im Gegensatz zu einem Drittel der heterosexuellen Menschen [5]. Ein weiteres Indiz für den geschätzten Bevölkerungsanteil an lsbtiq Menschen in Deutschland liefert der Anteil an Eheschließungen: 2019 fanden in Deutschland 3,4% aller Eheschließungen mit gleichgeschlechtlichen Paaren statt [19]. Unter diesen Menschen sind heute in Mann- paare mit mindestens einer Person im Alter heim auch fast 90 gleichgeschlechtliche Ehe- von 65 Jahren oder älter anzutreffen [16]. 10 Queere Vielfalt im Alter
Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare trat im Oktober 2017 in Kraft. Dieses Recht nutzen auch ältere Menschen Mannheims: Von den 351 Ehepaaren von zwei Frauen in Mannheim (2021) ist bei 10% der Paare mindestens eine Person 65 Jahre oder älter und bei 17% der Paare mindestens eine Person im Alter von 55 bis 64 Jahren. Von den 631 Ehepaaren von zwei Männern (2021) ist bei 17% mindestens eine Person 65 Jahre oder älter und bei 21% mindestens eine Person im Alter von 55 bis 64 Jahren. Der Anteil gleichgeschlechtlicher Ehen an allen Ehen in Mannheim nimmt zwar mit dem Anstieg der Alterskohorte deutlich ab, aber gerade auch mit dem Blick auf die Erfahrungen der über 75-Jährigen ist es bemerkenswert, dass bereits 0,5% aller Ehen in dieser Altersgruppe zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren bestehen – trotz der sehr späten Gelegenheit dazu [16]. Nicht alle 4.200 Senior*innen werden dabei Orientierung oder ihre geschlechtliche Iden- die Adjektive lesbisch, schwul, bisexuell, tität ihr Leben nicht an einer heterosexuellen transsexuell, transident, intergeschlechtlich Zweigeschlechtlichkeit orientieren konnten oder queer für sich selbst zur Beschreibung und im Laufe ihres Lebens auch in Mannheim verwenden (wollen). Gemeinsam ist ihnen einen enormen gesellschaftlichen Wandel jedoch, dass sie mit Blick auf ihre sexuelle erlebten und (mit-)gestalteten [4]. Für verschiedene Geburtskohorten waren verschiedene historische Wendepunkte und kollek- tiven Erfahrungen von Bedeutung. Selbstverständlich waren die Erfahrungswelten dennoch für lsbtiq Menschen eines Jahrgangs sehr unterschiedlich, jedoch wurden kulturelle und persönliche Möglichkeiten wesentlich durch diese gesellschaftlichen Kontexte mitbestimmt [2, 3, 20, 20]. Abb.: Verschiedene Entwicklungen prägen Lebenswelt und Erfahrungen älterer lsbttiq Menschen. 90 Jährige 80 Jährige 70 Jährige 60 Jährige geb. vor 1930 geb. in den 40ern geb. in den 50ern geb. in den 60ern • Krieg und • Fortsetzung der • Protest der 1968er • Diskurs zur Aids- Nationalsozialismus Verfolgung in den Epidemie • Beginnende • Aufwachsen mit neuen Staaten Emanzipation • Transsexuellengesetz Verfolgung • Restaurierung von TSG • Gründung von • beginnende Geschlechterrollen • Kampf ums Selbstvertretungen öffentliche Präsenz Überleben • für Frauen weitere Einschränkungen • Abschaffung § 175 • Selbstvertretung Geburt 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 Historische Wendepunkte 1933 1945 1957/8 1969 1981 1994 Queere Vielfalt im Alter 11
Für die heutigen lsbtiq Senior*innen sind das chert es, sich in der Öffentlichkeit nicht auf Wissen und die Erfahrungen fehlender Ak- den Schutz durch die Allgemeinheit verlassen zeptanz prägend. Gerade im privaten Kontext zu können. wiegt Ablehnung schwer, zusätzlich verunsi- Zwei Zahlen illustrieren die besondere Situation lsbtiq Senior*innen: Nur 60% der Menschen in Deutschland haben keinerlei Probleme, wenn zwei Männer bzw. zwei Frauen sich in der Öffentlichkeit küssen [20]. 11% der Mannheimer und 4% der Mannheimerinnen ab 75 Jahren würden keine homosexuellen Nachbarn akzeptieren im Gegensatz zum Durchschnitt von 3% über alle Altersgruppen [15]. Für die Reaktion auf eine nicht eindeutige Geschlechtszuordnung oder unerwartete Körperlichkeit liegen keine repräsentativen Zahlen vor. Klare Indizien für die oft manifeste soziale Distanz im öffentlichen Raum zeigt sich in verschieden Studien. Für den Rhein-Neckar-Kreis zeigte sich, dass vier von fünf trans oder nicht-binären Befragten in der Öffentlichkeit Beschimpfungen, Beleidigungen und Auslachen in einem Jahr erlebten, bei cis-ge- schlechtlichen lesbischen, schwulen oder bisexuellen Menschen waren es zwei von fünf [13]. Privates Leben In Deutschland leben ältere Menschen häu- allen jüngeren Altersgruppen weniger als 10% figer allein und erleben im Durchschnitt eher beträgt [15]. eine geringere soziale Einbindung und höhere Unsicherheit. Der Siebente Altenbericht des Die Möglichkeit, selbstständig außerhalb der Bundestags wie auch der Sozialatlas Mann- eigenen vier Wände in Kontakt zu kommen, ist heims bieten dazu wichtige Eckdaten [20, 18]: dabei für ältere Menschen im Schnitt schwie- Auch in Mannheim lebt ein erheblicher Anteil riger. Nicht nur wird gesellschaftliche Teilhabe der Menschen über 65 Jahre allein in einem durch finanzielle Ressourcen bestimmt, son- Einpersonenhaushalt: Die Quote bei älteren dern Krankheit sowie ein im Alter schrump- Frauen liegt dabei jeweils deutlich höher als fender Bekannten- und Freundeskreis können der Anteil unter den älteren Männern. Von Möglichkeiten dafür reduzieren [9]. Gleichzei- den 60- bis 79-Jährigen leben 28% der Män- tig wird öffentlicher Raum für soziale Begeg- ner bzw. 38% der Frauen allein. Bei der Grup- nung unsicherer wahrgenommen: So fühlt pe ab 80 Jahren und älter liegen diese Anteile sich ein großer Anteil der über 65-Jährigen bei 29% bzw. 50% [18]. Das Risiko der Verein- in Mannheim in der eigenen Wohngegend samung im Alter wird allerdings erst an einer nachts allein nicht sicher. Dabei bestehen hier weiteren Zahl eklatant sichtbar: Ein Viertel deutliche Unterschiede zwischen Frauen und der Mannheimer*innen über 75 Jahre kommt Männern: 25% der Männer über 60 Jahre be- nach eigener Auskunft seltener als einmal im stätigen diese Aussage im Gegensatz zu 42% Monat in Kontakt zu nahestehenden Men- der Frauen zwischen 60 und 74 Jahren bzw. schen wie Freund*innen, Verwandten oder 60% der über 74-Jährigen [15]. Nachbar*innen, während dieser Anteil in Für die Gestaltung im Alter können sich viele lsbtiq Menschen auf entwickelte Strategien, Res- sourcen und die aktiv aufgebaute „Wahlfamilie“ und freundschaftlichen Netzwerke stützen. Die Notwendigkeit wie die Erfahrung der Selbstgestaltung ermöglichen die aktive Gestaltung und auch die Bewältigung von Belastungen und Herausforderungen im Alter. [1, 11]. 12 Queere Vielfalt im Alter
Soziale Sicherheit – Risiko Armut Als Indiz für Altersarmut dienen zwei Zahlen: strengungen oder Vorsorge aus Armut wieder 6% der Menschen ab 65 Jahren in Mannheim herauszukommen [9]. Eingeschränkte Ge- leben mit der Grundsicherung [18]. Ein ver- sundheit, geringere soziale Kontakte sowie gleichbarer Anteil der Mannheimer Senior*in- nachlassende physische wie psychischer Wi- nen und Senioren kommt schlecht bzw. sehr derstandsfähigkeit verschärfen die Bürde von schlecht mit dem Haushaltseinkommen aus Armut. [15]. Allerdings fällt dieser Anteil im Vergleich unter jüngeren Menschen höher aus, was für Dabei besteht ein Armutsrisiko nicht für alle die Gesamtbewertung nicht außer Acht gelas- älteren Menschen gleichermaßen. Ein rele- sen werden sollte [9]. Die Altersarmutsquote vanter Unterschied besteht auch bei älteren wird in Deutschland aus verschiedenen Grün- Menschen zwischen den Geschlechtern: den in den statistischen Daten systematisch Frauen sind in stärkerem Maße von Armut im und deutlich unterschätzt [12]. Darüber hin- Alter betroffen. Gründe sind hier u.a. gender- aus legen mehrere Befunde den Schluss nahe, basierte Benachteiligungen bis in die 1970er dass Altersarmut derzeit deutlich zunimmt Jahre, ungleiche Löhne und die Nicht- bzw. und weiter zunehmen wird. Das Spezifische ungenügende Berücksichtigung von Care- ist, dass Armut im Alter „im Regelfall nicht und Familienarbeit für die Rente [20]. mehr umkehrbar“ ist und ältere Menschen kaum eine Chance haben, durch eigene An- Für ältere lsbtiq Menschen sind besondere Armutsrisiken festzustellen. Auswertungen des Deutschen Alterssurvey (DEAS) kommen 2017 zum Ergebnis, dass die Armutsquote bei Männern mit homo- oder bisexueller Orientierung im Alter von 60 bis 90 Jahren bei 12% lag, bei Männern der gleichen Altersgruppe mit heterosexueller Orientierung bei 6% [20]. Für trans und interge- schlechtliche Menschen im Rentenalter liegen noch keine belastbaren Daten zum Armutsrisiko vor. Auch bei älteren Frauen mit homo- oder bisexueller Orientierung im Alter von 60 bis 90 Jah- ren liegt die Armutsquote mit 11% höher als bei Frauen dieser Altersgruppe mit heterosexueller Orientierung (8%). Gerade auch Brüche in der (Erwerbs-)Biografie durch gesetzliche Verfolgung, Alltagsdiskriminierung, geringere familiäre Unterstützung, aber auch HIV-Infektionen und das Engagement zur Unterstützung HIV-positiver Menschen sowie die Sorge für ältere Angehörige, die oft gerade den kinderlosen lsbtiq Menschen angetragen wird, tragen zu diesen Armutsrisiken bei [1]. Jenseits des Armutsrisikos bestehen deut- DEAS ergaben zudem auch ein Indiz für die liche Geschlechterunterschiede auch hin- biographisch wirksamen Ausgrenzungen und sichtlich der finanziellen Ressourcen generell: Belastungen für homo- und bisexuelle Ältere. So verfügen Frauen mit homo- oder bisexu- So konnten hohe Bildungsabschlüsse über die eller Orientierung im Alter ab 60 Jahren im Erwerbsbiographie hinweg von Lesben nicht Durchschnitt über ein um 10% geringeres in gleicher Weise am Arbeitsmarkt verwertet Einkommen als Frauen mit heterosexueller werden wie dies heterosexuellen Frauen ge- Orientierung. Gleichzeitig liegen diese bei- lang [20]. den Durchschnittswerte unter den durch- schnittlichen finanziellen Ressourcen der gleichalten Männer [20]. Die Analysen des Queere Vielfalt im Alter 13
Soziales Engagement und politische Einbindung Unabhängig von besonderen Belastungen Darunter sind auch viele Ältere: Unter den im Alter wie abnehmender Gesundheit und 60 bis 74-Jährigen war 2021 knapp 40% eh- geringeren sozialen Kontakten bringen sich renamtlich aktiv, ein vergleichbarer Anteil wie viele ältere Menschen aktiv in die Stadtgesell- unter Menschen der 45 bis 59-Jährigen und schaft ein. Mannheim verzeichnet ein hohes etwas mehr als bei unter 45-Jährigen. Immer- ehrenamtliches Engagement über alle Alters- hin 19% bzw. 27% der älteren Frauen bzw. gruppen hinweg. Männer über 74 Jahre brachten sich 2021 ehrenamtlich ein [15]. Eine Abfrage durch die LSBTI Beauftragung nach der Beteiligung und dem Engagement älterer lsbtiq Menschen in der Community Mannheims ergab, dass Ältere auch in vielen lsbtiq Gruppen aktiv sind - sei es im Sportverein, in Selbsthilfegruppen, bei Gay and Grey, bei der ökumenischen HUK Homosexuelle und Kirche, in Berufsverbänden oder als Ehrenamtliche beim CSD, PLUS oder KOSI.MA. Die Quote der Aktiven im Alter über 65 Jahren liegt in den unterschiedlichen Gruppen zwischen 5% und 68%. Hinzu kommen jeweils weitere 10% bis 30% an Aktiven im Alter über 55 Jahre [17]. Gleichermaßen haben ältere Menschen allerdings bei der ältesten Kohorte der über auch ein vergleichsweise hohes Vertrau- 74-Jährigen nicht festzustellen. Dieses Ver- en in Stadt und politische Institutionen. trauen in die politischen Institutionen wird Etwa 60% stimmten (sehr) der Aussa- auch beispielhaft in der sehr hohen Zustim- ge zu: „Im Allgemeinen kann man dem mung zur Europäischen Union: 88% der über Gemeinderat in Mannheim vertrauen“. 74-Jährigen und 84% der 60- bis 74-Jährigen Im Durchschnitt fällt das Vertrauen bei halten die Mitgliedschaft Deutschlands in der Frauen geringer aus. Dieser Unterschied ist EU für eine gute Sache [15]. Pflegebedürftigkeit Ein Großteil der älteren Menschen über 64 Unabhängig vom Alter bzw. Pflegegründen Jahre ist nicht auf Pflege angewiesen und lebt in Mannheim nur ein geringer Anteil der lebt weitgehend selbstständig in der eigenen Pflegebedürftigen in stationärer Pflege un- Häuslichkeit. Für sie ist intergenerationelle tergebracht ist. Basierend auf den Angaben Unterstützung durch Familie, Freund*innen zu den im Jahr 2019 bezogenen Leistungen oder andere sozialen Netzwerke bestimmend. waren 20% in stationärer Pflege unterge- 2013 waren in Mannheim 13% der Älteren bracht, 20% erhielten ambulante Pflege und pflegebedürftig. Allerdings lag der Anteil der Großteil von 60% erhielt Unterstützung in der Gruppe der über 74-Jährigen bereits in Form von Pflegegeld für die Pflege durch bei 22%, bei den über 84-Jährigen bei 43%. nahestehende Menschen oder Angehörige im Unter den Älteren ab 75 Jahren besteht häuslichen Umfeld [18]. dabei ein Unterschied zwischen Frauen mit einem durchschnittlich höheren Anteil an Pflegebedürftigen von 25% und Männern im gleichen Alter mit einem Anteil von 16% [9]. 14 Queere Vielfalt im Alter
Für ältere lsbtiq Menschen bestehen besondere Risiko-Faktoren für einen erhöhten Bedarf an Pflege im Alter: Sie sind eher kinderlos, erhalten im Vergleich zu heterosexuellen Senior*in- nen seltener Unterstützung durch die Herkunftsfamilien und sind häufiger in altershomogene soziale Netzwerke eingebunden. Infolgedessen können sie heute weniger auf intergene- rationelle Unterstützung bauen. Statistische Daten liegen dazu kaum für Deutschland vor, mehrere bahnbrechende qualitativen Studien sowie internationale Studien geben allerdings klare Indizien [1, 8, 14]. Gleichzeitig berichten lsbtiq Menschen aufgrund des großen Un- wissens zu homosexuellen und trans Lebenswelten unter Fachkräften von einem hohen Unbehagen gegenüber regulären Angeboten der Pflege und Betreuung [10, 11, 12]. Den Aus- künften der Befragten zufolge bewirkt erst ein tieferes Verständnis der Lebenswelten der lsbtiq Senior*innen, dass diese und deren Angehörige sich nicht verstecken müssen [1, 11]. Erkennbarkeit von queer-freundlichen Einrichtungen ist eine wichtige Unterstützung. Raum für eigene Identität ist auch bei versteckt gelebten Identitäten notwendig. Verwendete Daten und Literatur: Praxisbücher [1] AWO Bundesverband e.V. (Hg.) (2021), Praxishandbuch zur Öffnung der Altenhilfeeinrichtungen für LSBTIQ*, https://queer-im-alter.de/materialien/praxishandbuch [2] Freie Hansestadt Bremen, Referat 21 (2021): Queere Perspektiven in der Pflege und im Alter. https://www.ratund- tat-bremen.de/PDF-Archiv/Downloads-Beratung/Queere_Perspektiven_in_der_Pflege_und_im_Alter-web.pdf [3] Evangelische Hochschule Ludwigsburg / Frauenberatungs- und Therapiezentrum Stuttgart e.V. (Hrsg.) (2019): Pfle- ge, Biographie und Vielfalt – Begleitung von LSBTTIQ-Menschen in Baden-Württemberg, Stuttgart. https://www. netzwerk-lsbttiq.net/themen/pflege [4] Rubicon e.V. (2014): „Kultursensible Pflege für Lesben und Schwule“: Informationen für die professionelle Altenpfle- ge. https://rubicon-koeln.de/publikationen/ Empirische Studien [5] Pöge, K.; Dennert, G.; Koppe, U.; Güldenring, A.; Matthigack, Ev B.; Rommel, A. (2020): Die gesundheitliche Lage von lesbischen, schwulen, bisexuellen sowie trans- und intergeschlechtlichen Menschen. Journal of Health Moni- toring, 2020 5(S1). Robert Koch-Institut, Berlin [6] Dalia Research (2016): Counting the lgbt population: 6% of Euopeans identify as lgbt. https://perma.cc/ZRL3-5W72 [7] van Kampen, S. C.; Lee, W.; Fornasiero, M.; Husk, K. (2017): The proportion of the population of England that self- identifes as lesbian, gay or bisexual: producing modelled estimates based on national social surveys. BMC Research Notes 10(1):594. doi: 10.1186/s13104-017-2921-1 [8] Lottmann, R. (2018): LSBT*I-Senior_innen in der Pflege: Zu Relevanz und Besonderheiten sozialer Netzwerke und der Arbeit mit Angehörigen. Pflege & Gesellschaft, 03/ 2018. https://dg-pflegewissenschaft.de/wp-content/ uploads/2019/10/PG-3_2018.pdf [9] Bericht zur Lebenslage älterer Menschen in Mannheim 2015, Fachbereich Arbeit und Soziales der Stadt Mannheim. https://www.mannheim.de/de/service-bieten/soziales/sozialplanung/zentrale-veroeffentlichungen/bericht-zur-le- benslage-aelterer-menschen Queere Vielfalt im Alter 15
[10] Almack, Kathryn; Crossland, John (2018): Erfahrungen von LSBT Patient_innen am Ende ihres Lebens Die Situati- on Sterbender in England und Erkenntnisse der Studie „The Last Outing“. In: Pflege & Gesellschaft Zeitschrift für Pflegewissenschaft. 23.Jg. Heft 3. Beltz Juventa Verlag. [11] Lottmann, Ralf & Kollak, Ingrid. (2018). A diversity sensitive long term care for gay and lesbian elders in need of care Results of the research project GLESA. International Journal of Health Professions. 5(1), S. 53-63 doi:10.2478/ijhp-2018-0005 [12] White, J.T., Gendron, T.L. (2016). LGBT Elders in Nursing Homes, Long-Term Care Facilities, and Residential Com- munities. In: Harley, D., Teaster, P. (eds) Handbook of LGBT Elders. Springer, Cham. [13] Göth, M.; Jäger, A. (2018) (Hg.): Sicher out?! – Ergebnisse einer Kurzbefragung im November 2018. Herausgege- ben von PLUS e.V. https://www.plus-rheinneckar.de/seite/551780/ver%C3%B6ffentlichungen.html [14] Heiko Gerlach und Markus Schupp (2016). Lebenslagen, Partizipation und gesundheitlich-/pflegerische Versor- gung älterer Lesben und Schwuler in Deutschland. Expertise zum Siebten Altenbericht der Bundesregierung. Ber- lin: Deutsches Zentrum für Altersfragen. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-49927-5 Datenquellen [15] Auswertungen der Mannheimer Bürgerbefragung 2021, Stadt Mannheim, Fachbereich Demokratie und Strategie, Strategische Steuerung [16] Daten zu verheirateten Paaren 2021, Stadt Mannheim, Fachbereich Bürgerdienste [17] Abfrage durch LSBTI-Beauftragung Mannheim, Margret Göth, Winter 2022 [18] Sozialatlas 2021, hrsg. vom Fachbereich Arbeit und Soziales / Sozialplanung. Berechnungen nach Daten der Bun- desagentur für Arbeit, des Fachbereichs Arbeit und Soziales und der Kommunalen Statistikstelle, www.mannheim.de/sozialplanung [19] Bundeszentrale für politische Bildung: Kurz und knapp. Eheschließungen und Ehescheidungen. https://www.bpb. de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61578/eheschliessungen-und-ehescheidun- gen/ [20] Deutscher Bundestag (2016): Siebter Altenbericht Deutschen Alterssurvey. Drucksache 18/10210. https://www. siebter-altenbericht.de/fileadmin/altenbericht/pdf/Der_Siebte_Altenbericht.pdf [21] Drucksache 19/28233, Antwort der Bundesregierung zur Soziale und gesundheitliche Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI) in Deutschland, Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode 01.04.2021. https://dserver.bundestag.de/btd/19/282/1928233.pdf 16 Queere Vielfalt im Alter
HINTERGRUNDWISSEN EXPERTISE QUEERES WOHNEN IM ALTER AUTOR: ANDREAS KRINGE Beim Beteiligungsworkshop „Queere Vielfalt und Selbstbestimmung beim Wohnen im Alter“ (s. S. 38) gab Andreas Kringe eine verkürzte Übersicht dieser Expertise als Grundlage zur Zusam- menarbeit und Diskussion. Hier nun die ungekürzte Fassung: 1. Einführung Zunächst werden diverse allgemeine Wohn- und des Wohnumfeldes.“ (https://sanubi.de/ formen vorgestellt und anschließend Fragen pflege/betreutes-wohnen; letzter Aufruf: 2022) zum Wohnen im Alter formuliert, die in die besonderen Bedürfnisse der LSBTI-Commu- „Beim Service-Wohnen hingegen werden nitys münden. meist barrierearme Wohnungen mit ein- fachen Dienstleistungen für Senioren wie Darauf folgt die Vorstellung von vier ver- Alltagshilfen für Wäsche, Hausnotrufsysteme, schiedenen Einrichtungen, die die Bedarfe Besuchsdienste, einem Menübringedienst und Bedürfnisse der Communitys in unter- (Essen auf Rädern) sowie einem ambulanten schiedlicher Weise aufgenommen haben. Dienst angereichert. Einen professionellen Pflegebereich gibt es beim Service-Wohnen Im letzten inhaltlichen Teil wird auf die Zerti- jedoch nicht, so dass bei höherem Pflegebe- fizierung von queer-freundlichen Senior*inne- darf ein Umzug ins Heim erforderlich wird.“ neinrichtungen eingegangen. (https://www.pflege.de/altenpflege/betreu- tes-wohnen; letzter Aufruf: 2022) Das Ende bildet ein Fazit mit Ausblick in die Zukunft. Senioren-Wohngemeinschaften Betreutes Wohnen und Service-Wohnen Grundsätzlich gilt, dass alle Bundesländer eigene rechtliche Rahmenbedingungen auf- Für beide Formen gibt es keine offizielle Defi- gestellt haben. Die Bestimmungen können nition. Ein Blick in die Online-Literatur ergibt daher sehr unterschiedlich sein. folgende Informationen zur Orientierung: „Betreutes Wohnen ist ein Leistungsprofil für Ambulant betreute Wohngemeinschaften un- ältere Menschen, die in einer barrierefreien terscheiden sich von Pflegeheimen dadurch, Wohnung und Wohnanlage leben, das Grund- dass Mietvertrag und Pflegevereinbarung leistungen/allgemeine Betreuungsleistungen getrennt voneinander abgeschlossen werden. und Wahlleistungen/weitergehende Betreu- ungsleistungen umfasst. Es unterstützt eine Dabei wird zwischen träger- und selb- selbstständige und selbstbestimmte Haus- storganisierten WGs unterschieden. In halts- und Lebensführung und die Einbindung letzteren bestimmen die Angehörigen bzw. in soziale Strukturen der Hausgemeinschaft die Bewohner*innen und die gesetzlichen Queere Vielfalt im Alter 17
Betreuer*innen z. B. darüber, wer einziehen Cluster-Wohnen darf, und sie beauftragen einen Pflegedienst. In der Regel wohnen zwischen 6 und 12 Men- Cluster-Wohnungen bestehen aus persön- schen zusammen, die auch bei erhöhtem Pfle- lichen Wohneinheiten mit direktem Zugang gebedarf bis zum Lebensende dort wohnen zu den Gemeinschaftsräumen. Zuschnitt und bleiben können. Manche WGs richten sich Ausstattung der privaten Wohneinheiten sind an bestimmte Zielgruppen z. B. an Demenz je nach Projekt unterschiedlich. Dasselbe gilt Erkrankte. für die Gemeinschaftsbereiche. Die Angehörigenvertretung kann informell Interessant an dieser Form ist, dass es ver- zusammenarbeiten oder sich als Verein zu- schiedene Gemeinschaftsräume gibt, wie sammenschließen. z. B. einen Multimediaraum, ein Raum fürs Handwerken, einen Sportraum, eine Biblio- Als Vermieter*innen kommen Wohnungs- thek, eine Küche, einen Wohnraum, einen baugesellschaften und Genossenschaften in Spieleraum und andere. Verlassen die Bewoh- Frage. ner*innen ihren privaten Raum, treffen sie an- dere in den Räumen gemäß ihrer Interessen. Die anfallenden Kosten beziehen sich auf Senior*innenresidenz, Miete, Pflege, Betreuung, Verpflegung, An- Senior*innenzentrum, Pflegeheim schaffungen und Instandhaltungen. Senior*innenresidenzen gleichen eher einem Als Starthilfe für solche WGs können nach § Hotel als einem Heim. Sie sind daher die Lu- 45e SGB XI pro Person 2.500,- € beantragt xusvariante eines Senior*innenheims in bester werden. Lage, qualitativ hochwertig ausgestattet und verfügen über Angebote wie Schwimmbad, Mehrgenerationenwohnen Bibliothek, Fitnessraum, Café und/oder Res- taurant und natürlich auch über Pflegeplätze. Der Begriff ist nicht geschützt, weshalb es zahlreiche Unterformen und Begriffsvariatio- In einem Senior*innenzentrum finden sich nen gibt. Gemein ist allen, dass verschiedene verschiedene Wohnformen auf einem Ge- Generationen unter einem Dach wohnen, lände. Vom freien Wohnen, über betreutes ohne miteinander verwandt sein zu müssen. Wohnen, bis hin zur Tagespflege und zur Pfle- gestation sind alle oder einige der genannten Körperliche Altenpflege ist in der Regel nicht Einrichtungen vertreten. Der Übergang von Teil des Konzepts, allerdings hoffen viele älte- der einen zur anderen Form ist leicht, da die re und alte Menschen, durch ihr Engagement Umzugswege kurz sind und meist werden die in einem solchen Projekt den Einzug in eine Bewohner*innen beim Freiwerden eines Plat- Altenhilfeeinrichtung hinausschieben zu können. zes in der jeweiligen Einrichtung bevorzugt. Mehrgenerationenhäuser können in genos- Ein Pflegeheim ist für Menschen mit hoher senschaftlicher Form entstehen oder als Pflegebedürftigkeit vorgesehen. Eigentümer*innengemeinschaft. Hin und wieder finden sich vor Ort Investor*innen, die dieses Modell finanzieren. Dann steht man mit den Besitzer*innen des Hauses in einem Mietverhältnis. 18 Queere Vielfalt im Alter
2. Fragestellungen zum Thema geprägt sind von Diskriminierung, Psychia- trisierung, Ausgrenzung, medizinischen Ein- Wohnen im Alter griffen und juristischer Verfolgung besondere Anforderungen an das Thema Wohnen im Welche Wohnform für einen persönlich in Alter. Selbstverständlich haben sich nicht we- Frage kommt, entscheidet zum einen das ver- nige aus den Communitys emanzipiert, sind fügbare Budget. Darüber hinaus ist es sinnvoll, selbstbewusst geworden und vertreten ihre sich seine eigene Wohnhistorie der letzten Bedürfnisse und Belange in den verschiede- Jahrzehnte anzusehen. nen Bereichen ihres Lebens. • Habe ich in den letzten Jahrzehnten alleine gelebt? Umso stärker ist der Wunsch, im Alter auch • Habe ich die Wohnung mit einem oder mit möglichen körperlichen und geistigen einer Partner*in geteilt? Einschränkungen die mühsam erarbeiteten • Habe ich jemals in einer Wohngemein- persönlichen und gesellschaftlichen Freihei- schaft gelebt? Wie waren die Erfahrungen? ten zu erhalten. • Möchte ich in einem Haus mit mehreren Generationen leben? Bei erhöhter Vulnerabilität ist es darüber hin- • Wie verstehe ich mich mit meiner aktu- aus umso wichtiger, Anwält*innen in eigener ellen Nachbarschaft? Bringe ich mich ein? Sache an der Seite zu wissen – eine Heraus- Lebe ich zurückgezogen? forderung für alle in den Communitys. • Wie groß ist der Bedarf an persönlichem Rückzugsraum? Bin ich bereit Gemein- Zu den unter 2 gelisteten Fragen kommen schaftsräume mitzugestalten und zu andere hinzu: nutzen? • Möchte ich mit anderen aus den LSBTI- Dies sind Fragestellungen, die nicht nur wich- Communitys wohnen? tig sind für die Zeit, in der jeder noch selb- • Welche Community-Angebote hätte ich ständig entscheiden kann. Auch wenn eine gerne, wenn ich in eine Einrichtung gehe, stationäre Unterbringung ansteht, ist es gut, die stark von heterosexuellen Weltbil- wenn Freunde, An- und Zugehörige wissen, dern geprägt ist? welche Wohnform passend ist. Denn diese • Hätte ich gerne Besuche im Rahmen Personen entscheiden für andere, wenn die eines Besuchsdienstes aus der LSBTI- eigene Entscheidungskraft nicht mehr gege- Community? ben ist. Entscheidungshilfe geben in jedem Bundes- 4. Die Anbieter*innen land unterschiedliche Organisationen. In Baden-Württemberg ist es z. B. die Fachstelle Es gibt inzwischen eine Vielzahl von Einrich- ambulant unterstützte Wohnformen (FaWo) tungsanbietern im Senior*innenbereich, die https://www.fawo-bw.de/ sich aufgemacht haben, Angebote für Alte der LSBTI-Communitys vorzuhalten. 3. Die Mitglieder der BISS e. V. (Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren) und der Dachverband Communitys und ihre Lesben und Alter bieten regelmäßige Netz- Bedürfnisse werktreffen queer-freundlicher Pflegeein- richtungen an, bei denen ein reger Austausch Senior*innen aus den LSBTI-Communitys stattfindet. haben durch ihre Lebenserfahrungen, die Queere Vielfalt im Alter 19
Nachfolgend wird eine Auswahl von Anbie- trum hat der Verband einen guten Anker in ter*innen präsentiert. Frankfurt. So gibt es u. a. auch einen Pflege- bereich für Menschen mit HIV. Lebensort Vielfalt Niebuhrstraße (Berlin) Der Frankfurter Verband hat sich in seiner Der Lebensort Vielfalt in Berlin ist das Vorzei- Qualitätssicherung am Roze Loper aus den geprojekt nicht nur in Deutschland, sondern Niederlanden orientiert. auch in Europa hinsichtlich gemeinschaft- lichem Leben von LSBTIQ. Bereits im Jahr Wohn- und Begegnungszent- 2003 wurde der gedankliche Grundstein rum Zehnthof (Dortmund) für das Projekt gelegt. Das „Netzwerk An- ders Altern“ entwickelte zusammen mit der Der Zehnthof ist eine städtische Einrichtung Schwulenberatung Berlin in einer sechsjähri- und richtet sich mit 95 von 130 Plätzen an gen Konzeptions- und Umsetzungsphase den Menschen zwischen 18 – 65 Jahren. Um da- Lebensort Vielfalt mit 24 Wohnungen, eine rüber hinaus dort wohnen bleiben zu können, betreute WG für schwule Männer mit Pflege- stehen die restlichen Plätze im Wohnbereich bedarf und Demenz, eine Bibliothek sowie der 3 für Senior*innen zur Verfügung. Schwulenberatung. Die betreute WG verfügt über acht Plätze. Der Zehnthof hat auf seiner Webseite den Unterpunkt LSBTI eingefügt und richtet sich Im Lebensort Vielfalt in der Niebuhrstraße so direkt an die Communitys. Die Einrichtung 59/60 in Berlin-Charlottenburg leben mehre- hat sich vom Lebensort Vielfalt zertifizieren re Generationen in Vielfalt zusammen. Etwa lassen. Dieser Weg war eine Top-Down-Ent- 60% der Bewohner*innen sind schwule Män- scheidung, was bedeutet, dass die Mitarbei- ner über 55 Jahren. Rund 20% sind Frauen, ter*innen für die einzelnen Zertifizierungs- weitere 20% sind jüngere schwule Männer. schritte freigestellt wurden. Frankfurter Verband für Alten- und Der Zertifizierungsprozess war für alle ein Behindertenhilfe e. V. Gewinn. Der Zehnthof kann sich über man- gelnde Bewerbungen von Pflegekräften nicht Der Verband betreibt mehrere Pflegeheime beschweren. für Senior*innen, ein Zentrum für Menschen mit Behinderung, Tagespflegeeinrichtungen, Beginenhof einen ambulanten Pflegedienst sowie einen Betreuungsdienst für Seniorenwohnanlagen, Die Blütezeit der Beginen war zwischen Treffpunkte für ältere Menschen (ab 50 Jahre) dem 13. und 16. Jahrhundert. Sie waren für und weitere soziale und nachbarschaftliche weibliche Angehörige von Laienorden gebaut Angebote. worden, die ein asketisches und andächtiges Leben führten. Der Beginenhof war eine Bereits in den Nullerjahren kamen drei Wohn- und Lebensform von vielen und meist schwule Männer auf den Verband zu und ein abgeschlossenes Stadtviertel mit eigener fragten nach Angeboten für ihre Community. Verwaltung. Der Geschäftsführer nahm diesen Kontakt zum Anlass und baute in den Folgejahren Die moderne Beginenkultur mit ihren Wohn- Angebote auf und aus für Menschen aus den höfen zeichnet sich durch den Wunsch aus, ein LSBTI-Communitys. eigenständiges Leben zu führen im Rahmen einer Wohn-, teilweise auch Arbeitsgemein- Bereits auf der Startseite finden man den schaft. Die Frauengemeinschaften sind durch Punkt Regenbogenpflege. Zusammen mit der ein hohes Maß an Vielfältigkeit hinsichtlich AIDS-Hilfe Frankfurt und dem Schwulenzen- 20 Queere Vielfalt im Alter
Alter, Herkunft, Ausbildung und Lebenslauf 6. Fazit gekennzeichnet. Es finden sich geschiedene und ledige sowie verwitwete Frauen zusam- Lesben, Schwule, Trans*Personen, Inter*- men. Sie sind und leben sowohl heterosexuell Personen, bisexuelle und queere Menschen als auch lesbisch, queer, bi- und pansexuell. haben besondere Bedarfe und Bedürfnisse, wenn es um Pflege und Wohnen im Alter geht. Beginenhöfe stehen in z. B. in Bielefeld, Köln, Bremen und Tübingen. Sie alle sind organisiert Eine Einbindung der Community vor Ort in im Dachverband der Beginen e. V. Öffnungsprozesse von Einrichtungen ist nötig und zwingend. Steter Tropfen höhlt den Stein! Sind Einrich- 5. Zertifizierung tungen anfänglich abweisend und sehen die Notwendigkeit nicht, sich einem Diversitäts- Roze Loper prozess zu verschreiben, ist regelmäßiges Bemerkmachen hilfreich. Der Roze Loper (Regenbogenschlüssel) ist ein Zertifizierungssiegel für queer-freundliche Darüber hinaus kann es helfen, die Mitar- Senior*inneneinrichtungen. beiter*innen in den Häusern, die aus den Communitys kommen, anzusprechen und Um den Regenbogenschlüssel zu erhalten, einzubinden. muss im Leitbild der Einrichtung Aussagen zu LSBTI gemacht werden. Des Weiteren muss Der Prozess muss Top-Down entschieden ein Diversitätskonzept vorhanden sein und in werden. Nur wenn die Geschäftsführung hin- der öffentlichen Darstellung muss sofort er- ter dem Diversitätsmanagement steht, kann kennbar sein, dass sich die Pflegeeinrichtung eine erfolgreiche Implementierung gelingen. für die Communitys engagiert. Diversität im Bereich Pflege und Wohnen für Die niederländische Zertifizierungsstelle ar- Senior*innen führt dazu, dass die Einrichtun- beitet in Deutschland mit einer Firma zusam- gen Fachkräfte anziehen. men, die in Fürth ansässig ist. Qualitätssiegel Lebensort Vielfalt Das Qualifizierungsprogramm richtet sich an stationäre und ambulante Pflegeeinrichtun- gen, Tagespflegestätten, Hospize und Kran- kenhäuser. Auf der Webseite können interessierte Ein- richtungen einen Diversity Check Compact durchführen. Der Zertifizierungsprozess ist für interessier- te Einrichtungen so lange kostenlos, wie die Arbeit der Schwulenberatung in diesem Feld öffentlich gefördert ist. Das Zertifikat gilt für drei Jahre. Queere Vielfalt im Alter 21
AKTIVES ERINNERN §§ 175/151 AUSWIRKUNGEN AUF DIE QUEERE COMMUNITY AUTORIN: ANDREA CHAGAS Die Informationsveranstaltung zum Thema §§ Gruppe „gay & grey“ für queere Senioren 175/151 fand am 09.02.22 in der Lobby Werk- und Gründungsmitglied des Queeren Zent- haus des Nationaltheaters Mannheim und on- rums Mannheim, ergänzte den historischen line statt. Sören Landmann, Teil der LSBTI-Be- Bericht mit seiner persönlichen Erfahrung. Im auftragung der Stadt Mannheim, begrüßte Jan Gespräch berichtet er von seiner Verurteilung Bockemühl, der zu den ‚Schwulenparagrafen‘ unter § 175 und wie er seine Rehabilitierung einen fachlichen Input gab. Bockemühl ist und Entschädigung mit der Unterstützung Referent und Leitung der Geschäftsstelle der Bundesinteressentenvertretung schwuler Se- nioren e.V. (BISS). BISS unterstützt Schwule* Senioren bei Fragen der Pflege, Gesundheit und des Wohnens, berät und unterstützt zu den Themen Partizipation und Teilhabe. Sie informiert Senioren auch durch Kampagnen und vor allem beraten und unterstützen sie die Opfer des § 175 (BDR) und § 151 (DDR) bei Fragen zur Antragstellung für Entschädigung und Rehabilitierung. Zu Beginn des Vortrags gab Jan Bockemühl einen Überblick über die historischen Entwicklungen der §§ 175/151 in in den jeweiligen deutschen Staaten von Kaiserreich bis heute. Erst im Jahr 2002, im Rahmen der Erweiterung des NS-Aufhe- bungsgesetzes vom August 1998, wurden alle nach § 175 RStGB (Reichsstrafgesetzbuch) er- gangenen Urteile vor dem 8. Mai 1945 aufge- hoben. Im Jahr 2017 wurde dann das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Per- Klaus Schirdewahn Foto: Alexander Kästel sonen (StrRehaHomG) beschlossen. Seit dem © Stadt Mannheim Inkrafttreten der Richtlinie am 13. März 2019 haben alle unter diesen Paragrafen verurteil- vom BISS erfolgreich beantragen konnte. ten Personen das Recht auf Rehabilitierung Allen Teilnehmenden war es wichtig, auch und Entschädigung. Hierbei unterstützt BISS über die emotionalen und psychischen Folgen alle Betroffenen, die von ihrem Recht Ge- der Kriminalisierung und Verfolgung zu spre- brauch machen wollen. chen, die die Betroffenen bis heute begleiten. Gerade auch Berichte aus dem Publikum be- Klaus Schirdewahn, Leiter der Mannheimer stätigten, wie Angst und Verunsicherungen 22 Queere Vielfalt im Alter
nachwirken und Vertrauen in Institutionen 2. Entschädigung nach Richtlinie sind bei und Menschen zerstört haben. folgenden Erfahrungen möglich: Wenn eine Strafverfolgungsmaßnahme auf- Für die Antragstellung müssen folgende grund von §§ 175 oder 151 erlitten wurde. Punkte berücksichtigt werden: Und/oder ein Freiheitsentzug ohne Ver- urteilung stattfand. Und/oder berufliche 1. Entschädigung nach StrRehaHomG: Eine oder gesundheitliche Schädigung mit Entschädigung ist nur möglich, wenn der oder ohne Verurteilung nachweisbar sind. Partner zum Zeitpunkt der Verurteilung Trifft eines dieser Szenarien zu, ist die be- über 16 Jahre alt war. Für die Antrag- troffene Person antragsfähig. stellung werden das oder die Urteile gebraucht. Sollten die Urteile nicht mehr Wichtiger Hinweis: Betroffene Personen kön- vorhanden sein, hilft BISS die Rehabili- nen nur noch bis zum 21. Juli 2022 Anträge tierungsbescheinigung bei der damals auf Entschädigung stellen. Falls Sie Betroffe- zuständigen Staatsanwaltschaft zu bean- ne kennen, geben Sie die Information bitte tragen. Nach dem Erhalt der Rehabilitie- weiter. rungsbescheinigung kann der Antrag beim Bundesamt für Justiz eingereicht werden. Wichtige Informationen finden Sie unter ht tps://schwuleundalter.de/ent schaedi- gung-und-rehabilitierung AKTIVES ERINNERN LIEBE, SEX & HIV FILMGESPRÄCH ZU „THÉO & HUGO“ AUTORIN: ANDREA CHAGAS Der Film „Théo & Hugo“ von Olivier Ducastel die aktuellen Schutzmöglichkeiten zu HIV. und Jacques Martineau aus dem Jahr 2016 Präventive Schutzmöglichkeiten für HIV-ne- wurde am 18.03.2022 im Queeren Zentrum gative Menschen sind Kondome und die Mannheim gezeigt. Der Film porträtiert das Prä-Expositions-Prophylaxe (kurz PrEP), die Kennenlernen der beiden Protagonisten in vor einer Risikosituation eingenommen, die einem Sexclub und den emotionalen und me- Vermehrung von HI-Viren verhindert. Eine dizinischen Weg nach kondomlosen Sex in der Notfall-Schutzmöglichkeit nach einem Risiko- anschließenden Nacht. Die Darstellung von kontakt ist die Post-Expositions-Prophylaxe Ansteckungsrisiko, Behandlungsmöglichkei- (kurz: PEP), die in Form von Medikamenten ten und Leben mit HIV boten die Grundlage innerhalb von 72 Stunden verabreicht werden für viele Fragen, gerade auch zu den Entwick- muss. In Mannheim wäre die Notaufnahme lungen im Umgang mit HIV und Aids. des Uniklinikums hierfür die Anlaufstelle. Das Kondom ist also längst nicht mehr das einzige Das Gespräch nach der Filmvorführung wur- Mittel bei der Prävention von HIV. de moderiert von Tobias Quell, der seit vielen Jahren ehrenamtlich in der Präventionsarbeit Im Laufe des Filmes fiel oft der Ausdruck von KOSI.MA engagiert ist. Er erläuterte „Unter der Nachweisgrenze“. Auf Nachfrage Queere Vielfalt im Alter 23
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