2021 ZEITSCHRIFT DER UNABHÄNGIGEN GEWERKSCHAFTERINNEN - SCHWERPUNKT ARBEITSZEITVERKÜRZUNG - DIE ...

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2021 ZEITSCHRIFT DER UNABHÄNGIGEN GEWERKSCHAFTERINNEN - SCHWERPUNKT ARBEITSZEITVERKÜRZUNG - DIE ...
Zeitschrift der Unabhängigen GewerkschafterInnen

      Schwerpunkt
 Arbeitszeitverkürzung
  Diese Ausgabe behandelt das
  Thema Arbeitszeitverkürzung
und den Effekt auf Arbeitslosigkeit
        und Klimakrise.

                                                                    2021
                                                                      02
2021 ZEITSCHRIFT DER UNABHÄNGIGEN GEWERKSCHAFTERINNEN - SCHWERPUNKT ARBEITSZEITVERKÜRZUNG - DIE ...
4                                                           5                                                     6/7                                          8/9
      Kennst du schon...?                                           Kolumne von                                              Arbeitszeit fair kürzen –                     Segen oder Fluch? Vera Koller
Diesmal stellen wir euch Oliver                                   Veronika Litschel                                            zeitbewusst leben.                          über den 6 Stundentag, ergänzt
Bubich, Nikolaus Ganahl und                                    Worüber wir reden müssen.                                      Dafür argumentiert                              durch die Praxissicht von
   Elisabeth Hasiweder vor.                                                                                                  Karin Stanger in ihrem                          Sonja Müllner und Stefan
                                                                                                                              Schwerpunktartikel.                                       Taibl.

                   10                                                          11                                                         12                                          13
  Gary Fuchsbauer blickt auf                                    Markus Marterbauer                                        Was hat die Arbeitszeit mit                        Vera Koller beschreibt die
 die Arbeitszeit im öffentlichen                                 zu den Chancen der                                        dem Klima zu tun, fragt                         Möglichkeiten zur Verkürzung
 Dienst und deren Fairkürzung.                                Arbeitszeitverkürzung über                                     Alfred Stiglbauer.                             der Arbeitszeit in der Praxis.
                                                                   die Krise hinaus.

           14/15                                                      16/17                                                     18 – 20                                                21
   Was ist denn Wohlstand?                                                  MUCH                                                Debattenseite                              Ubuntu – ich bin, weil wir sind.
Interview mit Sabine Skubsch,                                                                                                Lösung, Etappenziel                             Word Social Work Day von
aktiv in der GEW und bei ver.di                                                                                               oder überbewertet?                               Christine Petioky
                                                                                                                           Arbeitszeitverkürzung im
                                                                                                                                Für und Wider.

           22/23                                                     24 – 26                                                              27                                       28
    Liebe ohne Grenzen – immer                                   Nachrichten aus                                                  Notizen                                   Leser*innenbriefe
    noch ein harter Kampf. Julia                                dem UG Universum                                          Was tut sich sonst noch:                            Meldungen und
    Häuserer-Bruch und Beate                                Frauenpower im Vorsitz: Die                                Nachrichten aus Gewerkschaft,                        Anregungen unserer
     Neunteufel-Zechner über                                Wahlen bei der UG, der UGÖD                                   Politik und Gesellschaft                             Leser*innen
     15 Jahre Ehe ohne Grenzen.                                  und der AUGE/UG.

                   29                                                  30/31                                                              32
           Nachruf                                                                                                                  Termine
     In steter Erinnerung.                                     Arbeit, Klasse, Klassismus.                                   Spannendes, Wichtiges,
Gisi Reindl. Ein Gedenken von                                  Passend zum Schwerpunkt:                                       Interessantes aus dem
  Melina und Viktoria Klaus.                                     zwei Rezensionen von                                           nächsten Quartal.
                                                                    Cornelia Stahl.

IMPRESSUM
Medieninhaberin, Verlegerin: Alternative und Grüne GewerkschafterInnen (AUGE/UG), Herausgeberin: Unabhängige GewerkschafterInnen im ÖGB (UG/ÖGB), Redaktion:
Renate Vodnek, Layout & Satz: Stefanie Hintersteiner, Adresse: Alle 1040, Belvederegasse 10/1, Telefon: (01) 505 19 52-0, E-Mail für Abonnement: auge@ug-oegb.at, Redak-
tion: alternative@ug-oegb.at, Internet: www.ug-oegb.at, Bankverbindung IBAN AT30 1400 0001 1022 8775, IC: BAWAATWW. Dass namentlich gezeichnete Beiträge nicht
unbedingt der Meinung der Redaktion der Herausgeberin entsprechen müssen, versteht sich von selbst. Titel und Zwischentitel fallen in die Verantwortung der Redaktion,
Cartoons in die Freiheit der Kunst. Textnachdruck mit Quellenangabe gestattet, das Copyright der Much-Cartoons liegt beim Künstler. DVR 05 57 021. ISSN 1023-2702

2                                                                                                   die Alternative • 2021
2021 ZEITSCHRIFT DER UNABHÄNGIGEN GEWERKSCHAFTERINNEN - SCHWERPUNKT ARBEITSZEITVERKÜRZUNG - DIE ...
Editorial

             W      e proudly present: Die Wahlergebnisse von AUGE/
                    UG (Bund/Land), UGöD (Bund) und UG. Details
             finden sich im „UG Universum“. Herzlichen Glückwunsch
             an alle neuen und vielen Dank an alle bisherigen Funk-
             tionär*innen, ganz besonders an Klaudia Paiha, unsere
             langjährige AK Fraktionsvorsitzende, AUGE/UG Bundes –
             und Landessprecherin und Vera Koller, die bisherige UG
             Vorsitzende, für ihre unschätzbare Arbeit!

             Arbeit – das bringt uns zum Schwerpunkt dieser Ausgabe:
             Arbeitszeitverkürzung – eine langjährige Forderung von
             uns und heute notwendiger denn je.

            „Was ist Arbeit“, fragt der Philosoph Wilhelm Schmid
             2012 im Momentum-Magazin. Sie ist jedenfalls mehr als
             Erwerbsarbeit: Selbstbeziehung, soziale Beziehungen,
             Muße und Sinnfragen sind auch Arbeit. Für sie fehlt meist
             die Zeit und sie ist oft unbezahlt, wenn auch wertvoll. In
             diesem Sinne kann, um mit Wilhelm Schmid zu sprechen,
             die reduzierte Erwerbsarbeitszeit dem wachsenden Inter-
             esse an Arbeit förderlich sein. Deshalb gilt:
             30 Stunden sind genug!

             Mehr dazu und zu unserer aktuellen Petition im Blattin-
             neren.

             Marion und Renate

             Und noch etwas in eigener Sache: als neue UG Vorsitzende
             übernimmt Marion ab der nächsten Ausgabe das Editorial
             der Alternative aus den erfahrenen Händen von Renate.

die Alternative • 2021                                               3
2021 ZEITSCHRIFT DER UNABHÄNGIGEN GEWERKSCHAFTERINNEN - SCHWERPUNKT ARBEITSZEITVERKÜRZUNG - DIE ...
Mein Name ist Oliver Bubich, ich bin Betriebsrat beim
                                                                          Fonds Soziales Wien - Wiener Pflege- und Betreuungs-
                                                                          dienste GmbH (FSW WPB) in der zweiten Funktionspe-
                                                                          riode.

      Kennst du schon...?                                                In meiner letzten Arbeitsstelle im arbeitsmarktpoliti-
      In der Rubrik stellen wir (neue) Betriebsrät*innen,                schen Bereich war ich ebenfalls als Betriebsrat tätig. In
      Personalvertreter*innen und Aktivist*innen der                     der Wahlvorbereitung und auch bei Vernetzungstreffen
      Unabhängigen Gewerkschafter*innen vor.                             hat uns die Auge UG unterstützt und begleitet. Daher
                                                                         war es für mich selbstverständlich auch beim FSW für
                                                                         die KIV zu kandidieren.

                                                                         Was hat mich dazu gebracht mich gewerkschaft-
                                                                         lich/als Betriebsrat/Betriebsrätin zu organisie-
                                                                         ren?
                                                                         Als politischer denkender Mensch ist es für mich
                                                                         wichtig, meinen Beitrag zu Veränderung im Betrieb
                                                                         einzubringen und aktiv mitzugestalten.

                                                                          Was mache ich sonst noch?
 Neu in der Bundesleitung der                                             Die Arbeit mit Menschen hat mir schon immer Spaß
 BMHS-Lehrer*innen-Gewerkschaft                                           gemacht, daher bin ich glücklich, dass ich meine
 Ich heiße Elisabeth Hasiweder und bin seit über 20 Jahren                derzeitige berufliche Tätigkeit im sozialen Bereich
 Lehrerin für kommerzielle Fächer, seit 2005 an der BHAK                  gefunden habe. In meiner Freizeit bin ich gerne auf
 Linz International Business School. Erasmus+ ist mir ein                 Reisen und unter anderem auch viel mit dem Fahrrad.
besonderes Anliegen.
Seit vielen Jahren bin ich Vorsitzende des gewerkschaftlichen
Betriebsausschusses und nach einer Pause wieder im Dienststellen-
ausschuss.

Wie bin ich zur UG [bei uns: ÖLI-UG] gekommen?
Rund um 2010 war ich in meiner Schule gleichzeitig im Dienststel-
lenausschuss, im gewerkschaftlichen Betriebsausschuss und im            Mein Name ist Nikolaus Ganahl, ich bin seit Juli 2020 Teil
Schulgemeinschaftsausschuss. Damals begann ich ÖLI-Seminare             des Betriebsrats im Grünen Parlamentsklub und vertrete seit
 zu besuchen, um mich rechtlich fit zu machen. Ich schätze sehr,        Februar 2021 vorübergehend unsere wunderbare Vorsitzende.
 dass sich in der ÖLI-UG Kolleg*innen aus allen schulischen             Im Frühjahr des letzten Jahres war relativ schnell klar, dass
 Bereichen aus ganz Österreich treffen. Das ist einzigartig!            sich im Grünen Klub, der sich ja im Oktober 2019 neu konstitu-
                                                                        iert hat, auch ein neuer Betriebsrat finden muss, der die
  Was hat mich dazu gebracht mich gewerkschaftlich zu                   Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2013 neu verhandelt. In
  organisieren?                                                         einigen Vorgesprächen zwischen erfahrenen Mitarbeiter*innen,
  Mein Vater war Sekretär bei der GPA. Gewerkschaftsmitglied            die sich schon im alten Klub gewerkschaftlich engagiert hatten,
  wurde ich mit 15 Jahren, jedoch sehr lange ohne Fraktionszuge-        und einigen erst später zu den Grünen Gestoßenen hat sich bald
   hörigkeit.                                                           eine vielseitig besetzte Liste gefunden, der auch ich angehören
   Mir war es immer zu wenig nur zu jammern, das bringt nichts.         durfte und darf.
   Man muss seine Rechte kennen und sich für deren Einhaltung           Schon bei meinem letzten Arbeitgeber bin ich - wenngleich
    engagieren.                                                         recht spät - in den Betriebsrat gerückt und war dort in die
                                                                        Endphase einer Sozialplanverhandlung involviert.
                                                                        Diese Erfahrung hat mir gezeigt, wie existenzsichernd die
                                                                        Betriebsratstätigkeit sein kann, mitunter ein Grund warum
                                                                        ich mich auch bei meinem aktuellen Arbeitgeber wieder
                                                                        engagieren wollte. Keine leichte Aufgabe aktuell, neben meiner
                                                                        Tätigkeit als Referent, ausreichend Zeit für die BV-Verhandlungen
                                                                        sowie die zahlreichen Anliegen in der Belegschaft zu finden,
                                                                        aber es gibt auch immer wieder kleinere und größere Erfolgser-
                                                                        lebnisse, die uns daran erinnern, wie wichtig unsere Aufgabe
                                                                        ist.

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2021 ZEITSCHRIFT DER UNABHÄNGIGEN GEWERKSCHAFTERINNEN - SCHWERPUNKT ARBEITSZEITVERKÜRZUNG - DIE ...
K O L U M N E

Worüber
wir reden müssen.
TEXT Veronika Litschel

N
         ein, es ist nicht möglich hier      eines eigenständigen Subjekts, des         deutlich sind sie auf ihre Plätze zu ver-
         eine Zahl hinzuschreiben, zu        Werts der Person. Sie ist Ausdruck pa-     weisen, ob es der Chef, der Mann, der
         groß ist die Wahrscheinlich-        triarchaler Muster. Dazu passen auch       Expartner oder der Unbekannte im
keit, dass sie in den nächsten Tagen         die Verharmlosung und Umschrei-            Beisl ist. Und nicht allein von der be-
schon nicht mehr aktuell ist. Es sind        bung als angebliche Beziehungstaten        troffenen Frau, sondern von uns allen.
auf jeden Fall zu viele, jede ist zu viel.   und weit fantasievollere und reißeri-
Jede dieser Frauen wurde ermordet.           schere Schlagzeilen. Damit wird nicht      Hier immer wieder einzugreifen ist
                                             nur suggeriert, dass dies angeblich        eine harte, enervierende Arbeit, eine
Nein, es gibt keine Erklärung, keine         nicht zu verhindern war, es wird dem       ständige Aufgabe und es ist höchst an
Relativierung. Es gibt keine mildern-        Opfer eine Mitschuld gegeben.              der Zeit, dass die Männer sich massiv
den Umstände, es sind keine Akte                                                        daran beteiligen. Auftreten gegen jede
der Verzweiflung, kein übergekoch-           Das ist nichts Unbekanntes bei Gewalt      Form der Erniedrigung, der Gewalt
ter Kessel, kein Drama und keine Tra-        gegen Frauen, deren höchste Eskalati-      und des Übergriffs. Es beim Namen
gödie. Es sind gewalttätige Übergriffe,      onsstufe der Mord ist. Das kennen wir      nennen und Verantwortung überneh-
bei denen der Tod der Frauen billigend       von unzähligen Berichten und Gesprä-       men, denn es ist kein Frauenthema,
in Kauf genommen wurde, oder ge-             chen, damit wachsen wir Frauen auf,        sondern eine Anforderung an die ge-
plante Morde.                                wenn uns gesagt wird, dass wir uns         samte Gesellschaft.
                                             nachts auf der Straße hüten müssen,
Nein, es ist keine Frage der sozialen        aufpassen und uns schützen.
Schicht, der Herkunft oder der Kultur,
auch nicht der Bildungshintergrunds.         Bei allen Übergriffen gegen Frauen
Wir wissen, dass tätliche Übergriffe         geht es immer um Macht und das
auf Frauen, oft auf (Ex)Partnerinnen         Ausleben von Überlegenheit. Es geht
in allen gesellschaftlichen Klassen          darum die Frauen zu Objekten zu
vorkommen. Auch wenn die Frauen-             degradieren, deren Mann sich nach
ministerin das nicht verstehen will          Gutdünken bedienen kann. Deren
und irgendetwas von „kulturell be-           Existenzberechtigung vom Wohl-
dingt“ schwafelt, auf einen so genann-       wollen des Mannes abhängig ist. Und
ten Migrationshintergrund anspielt.          Frauen sind von Gewalt betroffen,
Es ist davon auszugehen, dass auch sie       weil sie Frauen sind. Aus keinem ande-
Statistiken lesen kann und weiß, dass        ren Grund.
diese Argumentation verkürzt und po-
lemisch ist.                                 Dagegen stehen
                                             Und darüber müssen wir reden. Egal,
Richtig benennen                             ob es ein sexueller Übergriff, eine Ver-
Wie wir es auch drehen und wenden:           gewaltigung, das Prügeln oder ein
Gewalt gegen Frauen ist ein Ausdruck         Mord ist. Es ist immer eine Manifesta-
von Verachtung, Erniedrigung und             tion von Macht. Und diese Macht steht
Demütigung. Sie ist das Absprechen           den Männern nicht zu, keinem. Ganz

                                                         die Alternative • 2021                                                5
2021 ZEITSCHRIFT DER UNABHÄNGIGEN GEWERKSCHAFTERINNEN - SCHWERPUNKT ARBEITSZEITVERKÜRZUNG - DIE ...
S C H W E R P U N K T

Zeitbewusst!
Warum die
Arbeitszeit
fairkürzt
werden muss.
                        TEXT Karin Stanger

Es ist an der Zeit, aus falschem
Achsendenken auszubrechen,
das die Politik lähmt und langweilig
macht. Auch für die Gewerkschafts-
bewegung.

W
            ollen wir für mehr Geld für
            Alleinerziehende kämpfen
            oder bessere Kindergär-
ten? Wollen wir eine Frauenquote in
der Politik oder uns außerparlamenta-
risch engagieren? Wollen wir den ge-
werkschaftlichen Kampf um höhere
Löhne stärken oder soll die Forderung
nach Existenzsicherung ins Zentrum?
Und wie steht es mit Lernen, Weiter-
bilden, Kultur – oder haben wir jetzt
keine Zeit dafür, weil es Dringlicheres
gibt wie Krieg, Hunger, Klimakrise?
Wie? Du möchtest alles? Alles, und
auch noch gut schlafen?

Vier-in-einem-Perspektive
   Eine Alternative zum bestehenden
System zeigt die Soziologin Frigga
Haug auf. In ihrer Vier-in-einem-Pers-
pektive legt sie ein Konzept vor, dass
gesellschaftlich und individuell sinn-
volle und benötigte Arbeit in Einklang
bringt. Ausgehend von 8 Stunden
Schlaf hat unser Tag etwa 16 Stun-
den, in denen Tätigkeit und Untätig-
keit ihren Platz finden. Die Stunden
teilt Haug durch vier Bereiche: vier
Stunden Erwerbsarbeit, vier Stunden
Reproduktionsarbeit, vier Stunden
kulturelle Entwicklung und vier Stun-
den politische Teilhabe. Alle vier Fel-
der der menschlichen Tätigkeit sind
                                                                            FOTO Matthew Henry

nötig, werden aber bisher leider nicht
gleichermaßen gewürdigt. Die Stun-
denzahlen sind perspektivisch und
nicht starr auf jeden einzelnen Tag

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T H E M A

anzuwenden, sondern sollen etwa          dungserscheinungen zurückgingen.          Eine Frage der
beispielsweise in einem monatlichen      Die Zufriedenheit der Mitarbeiter*in-     Klimagerechtigkeit
oder auch jährlichen Durchschnitt er-    nen stieg, gleichzeitig auch die Ef-         Wenn nicht mehr das Wachstum,
reicht werden. Klare Botschaft: Die      fizienz der Arbeitsabläufe und die        sondern die Grundbedürfnisse im Vor-
Vollzeit-Erwerbstätigkeit muss ver-      Produktivität. Als weiterer Aspekt        dergrund stehen sollen, verschwinden
ringert werden, damit die anderen        wurde dadurch die Attraktivität des       viele Arbeitsplätze. Auch klimaschäd-
Bereiche ebenso ihre angemessene         Betriebes für interessierte Bewer-        liche Industrien müssen umgebaut
Wertschätzung erfahren. Denn: Eine       ber*innen erhöht. Schon allein aus        werden, ohne dass die betroffenen
radikale ArbeitszeitFAIRkürzung ist      diesen Gründen erschließt sich, dass      Arbeiternehmer*innen darunter lei-
eine Frage der sozialen Gerechtigkeit,   es an der Zeit ist, die gesetzliche Wo-   den. Daher ist es notwendig, die ver-
der Belastung, der Gleichstellung, des   chenarbeitszeit auf 30 Stunden zu         bleibende Arbeit besser zu verteilen.
Klimas, der Verteilung, der persönli-    senken.                                   Neben dem Fokus auf jene Produkte
chen Entwicklung, der Zufriedenheit,                                               und Dienstleistungen, die wir wirk-
ja des Glücks. Es ist die Alternative,   Eine Frage der Gleichstellung             lich brauchen, spricht auch der tech-
das neue Versprechen dieser Zeit, wel-      Die Reproduktionsarbeit, wie das       nologische Fortschritt für eine
ches wir laut aussprechen und einfor-    Putzen der Wohnung, sich um die Kin-      Arbeitszeitverkürzung. Nur so kann es
dern müssen!                             der und jene, die Unterstützung brau-     gelingen, für alle Menschen ein gutes
                                         chen zu kümmern, Fragen der Hygiene       Auskommen zu ermöglichen. Damit
                                         und des Kochens werden leicht ohne        stehen neue, ökologische Produkti-
  Nicht Flexibilisierung,                Wertschätzung in den unbezahlten          onsweisen und eine Orientierung am
 sondern Reduzierung                     Verantwortungsbereich der Frauen          Bedarf statt an der Gewinnmaximie-
 der Arbeitszeit führt zu                abgeschoben. Frauen leisten zwei          rung im Fokus eines klimagerechten
                                         Drittel der unbezahlten Haus-, Pflege-    Wirtschaftens.
     Gleichstellung..                    und Betreuungsarbeit. Aus Erhebun-
                                         gen während des ersten Corona-Jahres      Eine Frage der Verteilung
Eine Frage der                           lässt sich ablesen, dass sich das Miss-      Obwohl Arbeitnehmer*innen ein
sozialen Gerechtigkeit                   verhältnis zwischen bezahlter und         Viertel mehr produzieren als vor 20
   Die Arbeitslosenquote wird durch      unbezahlter Arbeit verschärfte, wo-       Jahren, sind in diesem Zeitraum die Re-
eine bessere Verteilung der Arbeit ge-   bei weitere Flexibilisierung hier keine   allöhne kaum gestiegen! Die ‚goldene
senkt. Die Teilzeit wird aufwerten.      Abhilfe schafft: Frauen haben weniger     Regel‘ der Marktwirtschaft war, einen
Österreichs Arbeitsmarkt ist von ei-     Zeit für bezahlte Arbeit, haben durch     Teil des Wachstums und der Gewinne
ner Spreizung geprägt – in sehr viele                                              an die Beschäftigten zurückzugeben,
Teilzeit arbeitende Frauen und viele                                               entweder durch Lohnsteigerungen
Vollzeit arbeitende Männer, mit Un-
                                          Wir wollen den Arbeit-                   oder Arbeitszeitverkürzung. Zur Erhö-
mengen an Überstunden. Eine Re-           nehmer*innen den von                     hung der Kaufkraft und Sicherung der
duktion der Arbeitszeit mit vollem        ihnen erwirtschafteten                   Absatzes.
Lohnausgleich hilft allen, die Voll-                                                  Seit mindestens 20 Jahren sind in
zeitarbeitenden werden entlastet, die       Wohlstand wieder                       den meisten westlichen Industrie-
Teilzeitkräfte werden aufgewertet             zurückgeben.                         staaten diese Kurven auseinanderge-
und bekommen mehr Einkommen.                                                       laufen. Um gerecht zu verteilen und
                                                                                   den Arbeitnehmer*innen von dem
Eine Frage der Belastung                 Erwerbsarbeit geringere Entlohnun-        erwirtschafteten Wohlstand etwas
   Die Problematik von Arbeits-          gen und erhalten nach Ende des Er-        zurückzugeben, braucht es eine Ar-
verdichtung und der ständigen            werbslebens, bedingt u.a. durch den       beitszeitverkürzung für alle.
Erreichbarkeit ist bekannt. Die          höheren Teilzeitanteil, auch deutlich
Krankenstandstage      nehmen     zu.    geringere Pensionen. Eine Senkung
Mittlerweile können die positiven        der Wochenarbeitszeit auf 30 Stunden
gesundheitlichen und produktivitäts-     bringt die dringend notwendige zeit-
bezogenen Aspekte von reduzierter        liche Entlastung von Männern und
Arbeitszeit in der Praxis nachgewie-     Frauen und ermöglicht eine bessere
sen werden. So zeigte eine Begleit-      Aufteilung der Care-Arbeit. Gesell-
studie der Arbeitszeitumstellung von     schaftliches und politisches Engage-
38,5 auf 30 Stunden in der österrei-     ment erhält Raum und es stehen für
chischen Firma eMagnetix aus dem         alle mehr zeitliche Ressourcen dafür
Jahr 2019, dass Belastungs- und Ermü-    zu Verfügung.

                                                    die Alternative • 2021                                              7
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S C H W E R P U N K T

Der 6 Stunden Tag
Segen oder Fluch?
Welche Gefahr birgt eine Verkürzung auf eine 30 Stunden
Woche? Drohen Mehrkosten für die Unternehmen und dadurch
eine Abwanderung der Betriebe?
TEXT Vera Koller

S
      chon lange fordern Gewerk-          durch würden die Preise steigen.         den, die Krankenstandstage gingen
      schaften und Vertreter*innen           Bestätigt hat sich diese Befürch-     zurück und es verbesserte sich die
      von Arbeitnehmer*innen eine         tung nicht. Das Wachstum wurde           wirtschaftliche Situation der Klinik.
generelle      Arbeitszeitverkürzung.     nicht gebremst, ganz im Gegenteil: es    Dadurch konnten auch die anfängli-
Nicht immer mit demselben Nach-           gab Produktivitätszuwächse und hö-       chen Mehrkosten aufgefangen wer-
druck und nicht alle fordern wie die      here Beschäftigungsquoten. Zwar war      den.
Unabhängigen GewerkschafterInnen          die Ausgangslage gut, mit Vollbeschäf-
einen vollen Lohn- und Personalaus-       tigung und hohen Lohnzuwächsen.            - Seit 15 Jahren setzt das Toyota
gleich.                                   Aber spricht die aktuelle Krise wirk-    Werk in Göteborg auf den 6-Stunden
   Als Gegenreaktion auf unsere For-      lich dagegen?                            Tag und erzielt nur positive Ergebnisse.
derung hören wir immer wieder eine                                                 Trotz 2-Stunden weniger pro Tag ist
generelle Arbeitszeitverkürzung bei       Wie uns ein paar Beispiele aus           die Produktivität gleich geblieben, der
vollem Lohn- und Personalausgleich        der Praxis zeigen, kann eine Ar-         Umsatz gestiegen und die Mitarbei-
ist für die Unternehmen nicht finan-      beitszeitverkürzung zum Vorteil          ter*innen zufriedener geworden.
zierbar und für die Konsument*innen       aller Beteiligten auch jetzt gelin-
mit einer Preissteigerung verbunden.      gen.                                       - Das online Marketing Unterneh-
                                             - Das Grazer Unternehmen “Bike Ci-    men eMagnetix aus dem Mühlviertel
Ist das so?                               tizens“ verzichtet auf Überstunden,      setzt seit mehreren Jahren auf eine
   Die letzte generelle Arbeitszeitver-   Nachtschichten und Wochenendar-          30 Stunden Woche und hat diesen
kürzung in Österreich liegt schon län-    beit, und punktet mit einer Vier-Ta-     Schritt nie bereut. Mit der Arbeits-
ger zurück. Vor der Einführung der 40     ge-Woche, seit 2014. Die Arbeitszeit     zeitverkürzung stieg die Zufrieden-
Stunden Woche bei vollem Lohnaus-         liegt bei 36 Stunden. Dadurch ergab      heit der Mitarbeiter*innen und damit
gleich warnte Rudolf Sallinger, dama-     sich eine Kostenersparnis, die Mitar-    der Kund*innen. Durch die gestiegene
                                                                                                                              ILLUSTRATIONEN Stefanie Hintersteiner

liger   Wirtschaftskammerpräsident,       beiter*innen sind zufriedener und die    Qualität ist auch der Umsatz gestie-
vor dieser Gewerkschaftsforderung:        Produktivität wurde gesteigert.          gen.
Die Konkurrenzfähigkeit der Betriebe
würde leiden. Die Wirtschaftsleis-          - Die Einführung des 6-Stundenta-        - Auch beim australischen Unterneh-
tung würde sich deutlich verringern       ges im Sahlgrenska-Krankenhaus in        men Versa müssen die Mitarbeiter*in-
und dort, wo diese Verkürzung nicht       Mölndal führte zu einer Steigerung       nen nur noch 4 Tage in der Woche zur
umsetzbar sei, käme es zu mehr Über-      der Operationen um ein Fünftel. Es       Arbeit und bekommen weiterhin den
stunden und damit zu Zuschlägen. Da-      konnte mehr Personal eingestellt wer-    vollen Lohn. Durch die Steigerung der

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T H E M A

                                                 Weniger arbeiten

                                    KOMMENTARE
                                                 mit allen Folgen, na klar.
                                                                                                                   TEXT Stefan Taibl

                                                 I
                                                     n manchen Arbeitsbereichen hat es enorme Arbeitsverdichtungen gege-
                                                     ben. Man sollte so arbeiten, dass man gesund die Pension erreicht. Das kann
                                                     kaum mehr jemand. Wenn ich Menschen frage: “Mit wieviel Prozent deiner
                                                 Kraft arbeitest du?“ sagen die meisten 100% oder sogar mehr. Durch diese Ver-
                                                 dichtung braucht es mehr Zeit zur Erholung. Das löst aber nicht das Problem der
                                                 Dichte, es ist nur eine Symptombekämpfung.

                                                   Eine spürbare Verkürzung der Arbeitszeit greift hier und verteilt die Arbeit
                                                 auf mehr Köpfe. Teilzeitkräfte, die meisten Beschäftigten im Sozial- und Ge-
                                                 sundheitsbereich, bekommen dadurch mehr Gehalt und damit eine Verbesse-
                                                 rung der Lebensbedingungen.

                                                 Klimawandel und AZV
                                                    Die Wissenschaft sagt es uns, die Schulkinder haben es auch schon verstan-
                                                 den, die Wirtschaftsleistung der Industriestaaten muss schrumpfen, degrowth
                                                 im Westen ist eine Überlebensfrage. Das bedeutet zugleich eine große Umstruk-
                                                 turierung der Art, wie wir wirtschaften, konsumieren und Wohlstand sichern
                                                 und verteilen. Das Thema muss die Politik endlich angehen. AZV ist ein Teil die-
                                                 ses Prozesses. Wir müssen uns von der Nachkriegsideologie des Wirtschafts-
                                                 wachstums und dem Kapitalismus, der Wachstum und Gewinnmaximierung als
                                                 einziges Ziel anstrebt, verabschieden. Immer mehr und immer billiger schadet
                                                 uns allen. Hat uns allen geschadet, wenn wir die Folgen des Klimawandels anse-
                                                 hen. Arbeitszeitverkürzung als einzige Maßnahme, als separierter Schwerpunkt
Mitarbeiterzufriedenheit und der da-             der Gewerkschaftlichen Interessenspolitik, reicht da aber bei weitem nicht aus!
mit verbundenen Produktionssteige-
rung verdreifachte das Unternehmen
seinen Gewinn.
                                                 AZV im Pflegebereich.
Woran liegt das?
  Viele Studien weisen darauf hin:               Eine notwendige Forderung
kürzere Arbeitszeiten erhöhen Pro-
duktivität, Leistungsfähigkeit und                                                                               TEXT Sonja Müllner
Konzentration. Es werden weniger                 Das Wesen der Moderne ist das Paradoxon
Fehler gemacht. Denn nach 4-6 Stun-                Arbeitszeitverkürzung im Pflegebereich zu fordern, klingt vor dem Hinter-
den Arbeit nimmt die Konzentrations-             grund eines eklatanten Personalmangels zunächst paradox. Werden Faktoren
fähigkeit rapide ab.                             wie Arbeitsstress und Arbeitsüberlastung mitberücksichtigt, die in einem hohen
                                                 Ausmaß dazu führen, dass Menschen diesen Tätigkeitsbereich wieder verlassen,
   Mitarbeiter*innen, die nicht über-            ergibt sich ein etwas anderes Bild.
arbeitet sind, haben ein geringeres
Risiko körperlicher und psychischer              Genug geklatscht – Taten statt Worte
Beschwerden, auch das Unfallrisiko ist              Eine großzügig durchgeführte Arbeitsreduktion auf eine 30 Stunden Woche –
erwiesenermaßen bei einem geringe-               und damit ist eine Arbeitszeitreduktion bei vollem Lohnausgleich mit einer ent-
ren Stundenausmaß reduziert.                     sprechenden Personalaufstockung gemeint – hätte mehrere Effekte. Entlastung
   Die Fakten liegen auf der Hand                für die derzeit in dem Bereich tätigen KollegInnen, eine steigende Attraktivität
und werden durch die Beispiele bestä-            des Pflegebereichs und eine real wahrnehmbare Wertschätzung, anstatt der übli-
tigt. Raubbau an den Beschäftigten               chen symbolischen Gesten, derer die Menschen mehr als überdrüssig sind.
zu betreiben, ist keine gute Unter-
nehmensphilosophie und einige Un-                Pflege ist ein Zukunftsthema
ternehmer*innen und Länder haben                   Das Thema Pflege wird uns langfristig begleiten und mitentscheidend für die
dies erkannt, daher sollten sich andere          Lebensqualität im höheren Alter sowie im Fall von Krankheit oder Behinde-
nicht scheuen es auch zu versuchen!              rung sein. Hier nicht kleingeistig zu agieren, sondern faire, großzügige Lösun-
                                                 gen anzustreben, kann sich für jede/jeden Einzelnen „auszahlen“ und vielleicht
                                                 auch mithelfen, die Risse, die in unserer Gesellschaft entstanden sind wieder zu
                                                 schließen.

                                                            die Alternative • 2021                                                 9
2021 ZEITSCHRIFT DER UNABHÄNGIGEN GEWERKSCHAFTERINNEN - SCHWERPUNKT ARBEITSZEITVERKÜRZUNG - DIE ...
S C H W E R P U N K T

Kürzere Arbeitszeiten
und der öffentliche Dienst
Die letzte Verkürzung der Arbeitszeit war vor 46 Jahren
und ist seitdem unverändert, die Arbeit allerdings deutlich
mehr.

                       S
TEXT Gary Fuchsbauer         either gilt im BDG (Beamtendienstrecht)
                             praktisch unverändert der §48 (2):
                                     „Die regelmäßige Wochendienstzeit des
                       Beamten beträgt 40 Stunden. Sie kann in den einzel-
                       nen Wochen über- oder unterschritten werden, hat
                       aber im Kalenderjahr im Durchschnitt 40 Stunden
                       je Woche zu betragen. Das Ausmaß der zulässigen
                       Über- und Unterschreitung der regelmäßigen Wo-
                       chendienstzeit in einzelnen Wochen des Durchrech-
                       nungszeitraumes ist im Dienstplan festzulegen.“
                       Es gilt also eine

                       40-Stunden-Woche
                       samt Jahresdurchrechnung
                          Da aber mittlerweile die Mehrzahl der öffent-
                       lich Bediensteten keine Beamt*innen sind, ist
                       auch das VBG (Vertragsbedienstetengesetz) zu              anderseits führte die Technisierung dazu, dass
                       nennen. Dort steht am Beginn des §20 „Auf die             real auch nach formellem Dienstschluss die Ar-
                       Dienstzeit des Vertragsbediensteten sind die §47a         beit im Kopf bleibt und erledigt wird. Dazu kom-
                       bis 50e BDG […] anzuwenden“.                              men die jederzeit möglichen Dienstanweisungen
                                                                                 über Telefon oder elektronische Medien.
                       Real: Arbeitszeit                                            Bei Lehrer*innen wurden die formellen Ar-
                       verdichtet und erhöht                                     beitszeiten faktisch ausgeweitet. Dazugekom-
                          Der Inhalt und der Umfang der Arbeit hat sich          men ist eine Erhöhung der Unterrichtszeit,
                       allerdings verändert und erweitert. Digitalisie-          Mehrarbeit für Klassenvorstands- und Lehrmit-
                       rung, Verwaltungsreformen, Neuorganisation,               telverwaltungstätigkeit, Unterricht am Abend,
                       alles führt zu mehr Arbeit in gleicher Zeit.              um nur einige Beispiele zu nennen. Gleichzei-
                          Doch die öffentliche Hand als Dienstgeber              tig ist die Abgeltung für Überstunden verringert
                       sah keine Veranlassung, die wesentlich intensi-           worden.
                       ver gewordene Arbeit auf mehr Menschen aufzu-
                       teilen; und auch rote Regierungen setzten keine             Und was hat die GÖD getan? Aus
                       Schritte in diese Richtung ebenso wenig wie die             ihrer Sicht Schlimmeres verhindert.
                       für die öffentlich Bediensteten zuständige Ge-
                       werkschaft.                                                 Bleibt nur die Hoffnung und unsere weiteren
                          Stattdessen ist sogar das Gegenteil passiert.          Bemühungen zu einer allgemeinen Arbeitszeit-
                       Neben der Intensivierung kam es auch zu einer             verkürzung in Österreich, auch für den öffentli-
                       tatsächlichen zeitlichen Erhöhung.                        chen Dienst.
                          Einerseits ist die aufgebürdete Arbeit mehr               Und die Hoffnung, dass im Kampf gegen die
                       geworden, Zuständigkeiten wurden verbreitert,             Erderhitzung und für die Vermeidung von Reise-
                                                                                 bewegungen die 4- und 3-Tag-Arbeitswoche und
                                                                                 damit die Aufteilung der Arbeit auf mehr Men-
                                                                                 schen kommen werden.

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T H E M A

         AZV sichert Beschäftigung
         und erhöht den Wohlstand
         Kurzarbeit hat 100.000e Jobs gerettet. Jetzt brauchen Beschäftigte mehr
         Zeit für ein gutes Leben und um sich für die Gemeinschaft zu engagieren.
                                                                                               TEXT Markus Marterbauer

        „Ein Instrument aus der Mottenkiste“ nennt
         Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer
         die Arbeitszeitverkürzung. Gleichzeitig feiert er
        – in diesem Fall zu Recht - den Erfolg des sozial-
         partnerschaftlichen Instruments der Kurzarbeit.
         Bis zu 1,4 Millionen Beschäftigte waren in der
         Covid-Krise in Kurzarbeit, im März 2021 sind es
         noch immer sind es mehr als 400.000. Staatlich
         geförderte Kurzarbeit war ganz im Interesse der
         beteiligten Unternehmen, weil sie deren Arbeit-          Viele neue Modelle der
         nehmer*innen im Betrieb hielt, Qualifikationen           Arbeitszeitverkürzung
         nicht verloren gehen ließ und so enorme Kosten             Schon in der Finanzkrise 2008/09 zeigte sich,
         einsparte. Sie hat auch den Arbeitnehmer*innen           dass viele Beschäftigte nach der Kurzarbeit nicht
         enorm geholfen, weil Job und Einkommen gesi-             wieder zurück in Vollzeit wollen. Die persönli-
         chert wurden. Kurzarbeit hat in der Covid-Krise          chen Erfahrungen mit kürzerer Arbeitszeit hat
         hunderttausende Arbeitsplätze gerettet. Sie              ihnen vor Augen geführt, wieviel mehr das Le-
         zeigt: Arbeitszeitverkürzung ist ein mächtiges
         und höchst zeitgemäßes Instrument, um in der
         Krise Beschäftigung zu stabilisieren.                        Kurzarbeit in dauerhafte
            Doch nicht alle Beschäftigten kamen in den                 Arbeitszeitverkürzung
         Genuss dieses auch international wahrgenom-                        überführen.
         menen Vorzeigeprojekts. Die Industrie hat seit
         jeher Erfahrung mit Kurzarbeit und diese auch
         rasch in Anspruch genommen. Hingegen sind es             ben über die Erwerbsarbeit hinaus zu bieten hat.
         die Arbeitgeber*innen im Tourismus gewohnt,              Mehr Freizeit bedeutet mehr Zeit für Erholung
         zu Ende der Saison zu kündigen, die Arbeitslo-           und Weiterbildung, Familie und Freund*innen,
         sen in der Arbeitslosenversicherung zu parken            Kultur und Politik, kurzum den eigenen Interes-
         und bei Wiederöffnung neuerlich einzustellen.            sen nachzugehen und sich für die Gemeinschaft
         So auch in der Covid-Krise. Damit finanzieren            zu engagieren. Dafür kämpft die Arbeiter*innen-
         die öffentlichen Kassen einen Sektor mit rela-           bewegung seit mehr als 100 Jahren.
         tiv schlechten Arbeitsbedingungen. Vollends
         absurd ist es, wenn Tourismusbetriebe nun bei               Deshalb sind Vorschläge, die Kurzarbeit in
         Wiedereröffnung des Betriebes und Wiederein-             dauerhafte Arbeitszeitverkürzung zu überfüh-
         stellung der Beschäftigten auch noch hohe Lohn-          ren so gut: Etwa eine befristet geförderte Vier-Ta-
         subventionen aus dem Programm „Sprungbrett“              ge-Woche oder das Solidaritätsprämienmodell.
         bekommen.                                                Weiterhin gilt es, die vielen in Kollektivverträge
                                                                  und Betriebsvereinbarungen erreichten inno-
                                                                  vativen Modelle der Arbeitszeitverkürzung zu
                                                                  verbreiten: Von der Freizeitoption über die Um-
                                                                  wandlung von Jubiläumsgeldern in Freizeit bis
                                                                  zu neuen Schichtmodellen und der Ausweitung
                                                                  des Urlaubsanspruchs. Denn das wichtigste Ziel
Weitere Beiträge von Markus Marterbauer,                          der Verkürzung von Arbeitszeit ist es, den Wohl-
Chefökonom der Arbeiterkammer Wien,                               stand der arbeitenden Menschen zu erhöhen.
findet ihr auf dem AundW Blog.

                                         die Alternative • 2021                                                     11
S C H W E R P U N K T

 Arbeitszeitverkürzung als ein
 Weg zur Erreichung der Klimaziele
 Endloses Wirtschaftswachstum und der damit verbundene steigende
 Ressourcenverbrauch sind in einer endlichen Welt nicht möglich.

E
        ine Beschränkung des Wachstums                                                TEXT Alfred Stiglbauer
        („Degrowth“) in den reicheren Ländern
        ist daher notwendig – auch aus der globa-
len Gerechtigkeitsperspektive heraus, denn auch
ärmeren Ländern muss die Gelegenheit zu ma-
teriellem Wachstum gegeben werden. Vor dem
Hintergrund der ambitionierten Klimaziele –     wünscht sich ein Viertel der Vollzeiterwerbstä-
EU-weit sollen die Treibhausgasemissionen bis   tigen weniger zu arbeiten. Umgesetzt werden
2030 um 40% gegenüber 1990 sinken – erscheint   könnte eine kürzere Arbeitszeit durch Kollek-
eine Beschränkung des Wachstums geboten. Ar-    tivverträge, bei denen zumindest ein Teil der
beitszeitverkürzung ist ein Weg, der uns diesem gestiegenen Arbeitsproduktivität nicht in eine
Ziel näherbringt.                               Reallohnerhöhung, sondern in ein Sinken der
                                                Normalarbeitszeit mündet.
   Wie hängen Degrowth und Arbeitszeit zu-         Die Hindernisse, das Wachstum zu beschrän-
sammen? Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist      ken, sind groß, denn ohne ein solches sind be-
definitionsgemäß das Produkt von Arbeitspro- stehende ökonomische Probleme schwieriger
duktivität und den gesamtwirtschaftlichen       zu lösen. Wirtschaftswachstum erleichtert bei-
Arbeitsstunden, wobei die stetig wachsende Ar- spielsweise die Finanzierung von staatlichen
beitsproduktivität der Wachstumstreiber für das Dienstleistungen und es entschärft auch Ver-
BIP ist. Reduziert man die Arbeitsstunden, so   teilungskonflikte. Wie der Umbau zu einer sta-
verlangsamt sich kurzfristig das BIP-Wachstum. tionären Wirtschaft mit langsamerem bzw.
Für eine dauerhafte Wachstumsverlangsamung      Null-Wachstum zu bewerkstelligen ist, ohne
                                                     dass es zu Instabilitäten des Wirtschafts-
                                                     systems kommt, ist noch kaum erforscht.
     Beschränkung des Wachstums Die Gewerkschaftsbewegung muss sich
    und Reduzierung der Arbeitszeit zum einen auf den ökologischen Umbau der
                                                     Wirtschaft einstellen und zum anderen die
            ist ökologisch sinnvoll.                 Interessen der Arbeitnehmer*innen unter
                                                     veränderten Bedingungen vertreten.
ist es überdies notwendig, auch das Wachstum
der Produktivität herunterzufahren, etwa indem     Letztendlich ist eine Welt mit geringerer
man lokale, gemeinschaftliche und ökologische Arbeitszeit und langsamen Produktivitätswachs-
Unternehmen, die eine hohe Arbeitsintensität    tum wohl besser geeignet, ein zufriedenstellen-
und geringe Produktivitätszuwächse aufweisen, des (Arbeits)leben bei besserer Gesundheit zu
fördert. Beides, eine geringere Arbeitszeit und führen als es jetzt der Fall ist.
eine Verlangsamung des Produktivitätswachs-
tums würde den Wünschen vieler Arbeitneh-
mer*innen entgegen kommen. In Österreich                                         Literaturtipp
                                                                             Tim Jackson: Wohlstand ohne
                                                                             Wachstum – das Update. Grundlagen
                                                                             für eine zukunftsfähige Wirtschaft.
                                                                             oekom-Verlag München 2017

12                                                  die Alternative • 2021
T H E M A

Die Umsetzung einer betrieblichen
Arbeitszeitverkürzung ist möglich!

                              A
                                     uch Betriebsrät*innen und Personalver-
                                     treter*innen können grundsätzlich eine
                                     generelle Verkürzung der Arbeitszeit im
                              Betrieb ausverhandeln. Dafür bestehen verschie-
                              dene Möglichkeiten, z.B. als Inhalt einer Be-
                              triebsvereinbarung zum Thema Gleitzeit.

                                 Natürlich braucht es zur Umsetzung ein Ein-
                              verständnis der Geschäftsleitung und diese
                              denkt oft in ihren Kategorien. Vor dem Start
                              von Verhandlungen ist es daher empfehlenswert,
                              Überlegungen über erzielbare Vorteile anzustel-
    TEXT Vera Koller          len. Z.B. kann es sinnvoll sein, eine Recherche
                              über Krankenstandstage im Betrieb vorzuneh-
                              men. Möglicherweise ergeben sich durch die
                              ausgedehnten Erholungsmöglichkeiten der Mit-
                              arbeiter*innen diesbezüglich Verbesserungen.
                              Auch die Evaluierung psychischer Belastungen
                              kann hier herangezogen werden. Vielleicht ist es
                              sinnvoll einzelne Abteilungen/Teams näher zu
                              betrachten.

                                 Die für die Verhandlungen wichtigen Frage-
                              stellungen lauten: Wo können sich durch zu-
                              friedenere Mitarbeiter*innen Verbesserungen
                              einstellen? Wie kann eine Arbeitszeitverkür-
                              zung auch zum Vorteil des Betriebes umgesetzt
                              werden?

                                Nicht immer werden solche Verhandlun-
                              gen von Erfolg gekrönt sein, aber sie bieten eine
                              Chance das Thema auch für Unternehmer*innen
                              positiv zu besetzen.

     die Alternative • 2021                                                 13
S C H W E R P U N K T

                                                „Was ist denn
                                                Wohlstand?“
                                                 Gespräch mit Sabine Skubsch über Arbeits-
                                                 zeitverkürzung, Rentenungerechtigkeit und
                                                 die eierlegende Wollmilchsau.

                                                                                Das Interview führte Karin Stanger.

Unser Interview dreht sich um         Sie ist aktueller denn je. Die Coro-     Aber auch im Lebensmitteleinzel-
die „Vier-in-Einem-Perspektive“    na-Krise hat uns gerade nochmal ge-       handel hat Corona zu einer Arbeits-
der Soziologin Frigga Haug. Alle   zeigt, wie ungleich die Arbeit verteilt   verdichtung geführt. Es wurden mehr
vier Bereiche – Erwerbsarbeit,     ist. Die Mehrbelastung aufgrund der       Waren angeliefert und verkauft, zu-
Sorgearbeit, kulturelle Arbeit     Kita- und Schulschließungen wurde
und politische Arbeit – sind       vor allem von Frauen geleistet.
für die Gesellschaft sowie für                                                    Junge Familien
jede_n Einzelne_n wichtig. In      Das Thema Pflege ist auch                    wünschen sich eine
Haugs Vorstellung einer ge-        stärker in den Mittelpunkt
rechten Verteilung von Zeit und    gerückt…                                     30-Stunden-Woche.
                                                                                                                      ILLUSTRATION Stefanie Hintersteiner

Tätigkeiten sollen alle Men-          Corona hat die Überlebensnotwe-
schen, egal ob Mann oder Frau,     nigkeit der Arbeit in Gesundheit und
die Möglichkeit haben, ca. vier    Pflege im wahrsten Sinne des Wortes       sätzlich mussten die Verkäuferinnen
Stunden pro Tag für jeden Be-      deutlich gemacht. Die chronischen         mit der Gereiztheit der Kunden zu-
reich aufzubringen. Wie aktuell    Personalnot und die schlechte Bezah-      rechtkommen. Die Lebensmittelkon-
ist die Vier-in-Einem-Perspek-     lung aufgrund von Privatisierungen        zerne sind die Gewinner der Krise
tive?                              sind zu einem öffentlichen Thema          und die Verkäuferinnen haben keinen
                                   geworden.                                 Cent mehr Lohn gesehen!

14                                            die Alternative • 2021
I N T E R V I E W

 Welche Rahmenbedingungen                                                            tigungsverhältnisse eine Barriere zur
 braucht es, damit wir die                                                           betrieblichen Mitbestimmung dar.
„Vier-in-Einem-Perspektive“                                                          Ein Arbeitsverhältnis beginnt i.d.R.
 umsetzen können?                                                                    mit einer zweijährigen Befristung,
   Der Neoliberalismus ersetzte das      Kinderziehung auf Karriere verzichtet       was häufig bedeutet, dass Frauen, die
traditionelle     „Mann-als-Ernährer- - man möchte es ihm auch gar nicht zu-         schwanger werden, ihren Job verlieren.
der-Familie-Ideal“ durch das „Alle-Er- muten. Bei Frauen ist das berufliche          Bei meinen männlichen Betriebsrats-
wachsenen-müssen-arbeiten-Modell“. Zurückstecken aber weiterhin akzep-               kollegen fehlt leider oft das Problem-
Das Problem ist, dass wir sehr viel Zeit tiert. Das spüren die Frauen dann oft       bewusstsein.
mit Erwerbsarbeit verbringen (müs- im Alter.                                            Viele Frauen schrecken auch die hi-
sen), zulasten der Sorge um unsere                                                   erarchisch-patriarchalen Strukturen
Liebsten und uns selbst. Alle Kämpfe                                                 in Betriebsräten und Parteien ab, um
um Arbeitszeitverkürzung gehen in                                                    sich einzumischen. Sie wollen inhalt-
die richtige Richtung. In den Gewerk-                                                lich mitgestalten, haben aber wenig
schaften und in der LINKEN reden wir        Die gesellschaftliche                    Lust auf das Machtgerangel.
über ein „neues Normalarbeitsver-         Arbeit muss geteilt und
hältnis“ um die 30 Stunden.                                                          Radical Self-Care ist bei
                                                ins Gleichgewicht                    vielen Feminist_innen Thema.
Wie müssen wir                                  gebracht werden.                     Passt das in die Vier-in-Einem-
Sorgearbeit organisieren?                                                            Perspektive?
   Viele Parteien favorisieren die „Ver-                                                Frigga Haug versteht unter Selbst-
einbarkeit von Beruf und Familie“.         Stichwort Pensionen –                     sorge die persönliche Weiterentwick-
Diese dreht sich aber v.a. um die Mo-      Deutschland hat ein anderes               lung, die uns dazu in die Lage versetzt
bilisierung von Frauen mit kleinen         Rentensystem...                           mit anderen zusammen eine selbstbe-
Kindern für die Erwerbsarbeit. Die            Frauen bekommen in Deutschland         stimmte Zukunft zu entwerfen und
Öffnungszeiten der Kitas sind nur da-      im Schnitt 36 % weniger Rente als         anzugehen. Das ist etwas völlig ande-
ran orientiert, dass die Frauen Zeit zur   Männer. Die Sorgearbeit für Kinder,       res als der uns von der Wirtschaft und
Arbeit haben, aber nicht daran, dass       Kranke und Alte muss bei der Berech-      den Medien auferlegte Zwang zur Selb-
sie tanzen gehen oder sich politisch       nung der Rente berücksichtigt werden.     stoptimierung. Von Frauen wird heute
einmischen können. Erwerbs- und            Deutschland sollte sich dabei ein Bei-    erwartet, gut ausgebildet, gut ausse-
Sorgearbeit müssen nicht „verein-          spiel am österreichischen Rentensys-      hend und die perfekte Familienmana-
bart“, sondern beide müssen verändert      tem nehmen, das sich erfolgreich aus      gerin zu sein, Karriere zu machen und
und umverteilt werden. Neben kürze-        Beiträgen und Steuern finanziert.         abends noch eine Runde Yoga einzu-
ren Erwerbsarbeitszeiten brauchen                                                    schieben. Dieses Bild der eierlegenden
wir eine Stärkung der sozialen Infra-      Kommen wir zur Politischen                Wollmilchsau konterkariert die Vor-
struktur mit gebührenfreien Ganzta-        Teilhabe. In Österreich sind bei-         stellung von einem selbstbestimmten
geskitas und -schulen in kommunaler        spielsweise nur ein Drittel der           Leben, weil es sich an von außen aufer-
oder gemeinnütziger Trägerschaft.          Betriebsrät_innen weiblich.               legten Anforderungen orientiert. Was
                                              Das deutsche Betriebsverfassungs-      ist denn Wohlstand? Ein perfektes
Hat sich die Aufteilung der Sor-           gesetz schreibt vor, dass das „Minder-    E-Auto und künstliche Intelligenz, die
gearbeit zwischen Frauen und               heitengeschlecht“ gemäß dem Anteil        unsere Konsumgewohnheiten vorsor-
Männern gebessert?                         der Beschäftigten im Betriebsrat ver-     tiert? Oder Zeitwohlstand, also aus-
   Bei jungen Familien gibt es den         treten sein muss. Das hat mehr Frauen     reichend Zeit für uns, unsere Freunde
starken Wunsch sich Sorge und Er-          in die Betriebsräte gebracht. Das Pro-    und Familie zu haben?
werbsarbeit zu teilen. Viele wünschen      blem sehe ich eher darin, dass immer
sich eine 30-Stunden-Woche für beide.      weniger Betriebe Betriebsräte haben.
Wenn sich dieser Wunsch nicht re-          Dies betrifft oft Branchen wie Einzel-    Sabine Skubsch, ist Betriebsrätin bei einem großen
alisieren lässt, greifen aber oft wie-     handel und Reinigung, in denen viele      bundesweiten freien Träger der Jugend-, Sozial- und
                                                                                     Bildungsarbeit in Deutschland. Sie ist promovierte
der die traditionellen Rollenmuster.       Frauen beschäftigt sind. Außerdem         Diplompädagogin, Lehrerin, aktiv bei GEW und ver.di,
Es ist selten, dass ein Mann wegen der     stellt die große Zahl prekärer Beschäf-   sowie Mitglied im Parteivorstand DIE LINKE.

                                                      die Alternative • 2021                                                                15
16   die Alternative • 2021
die Alternative • 2021   17
D E B A T T E N S E I T E

Auf diesen Seiten finden
sich Standpunkte und
Meinungen zum Schwer-
punkt der jeweiligen           Arbeitszeitverkürzung
Ausgabe – diesmal zum
Thema Arbeitszeitverkür-       als historische Normalität
zung.

                                                                                          TEXT Florian Schall

                               S
                                     eit im 19. Jahrhundert die klassische Lohnarbeit
                                    „erfunden“ wurde, sind Produktivitätszuwachs
                                     und Arbeitszeitverkürzung unzertrennlich

                                  Uns ist bekannt, dass wir heute deutlich weniger
                               Arbeitsstunden leisten als unsere werktätigen Vorfahren
                               im 19. Jahrhundert. Ob als Arbeiterin oder Beamter – die
                               Arbeitszeit war länger. Ohne die Statistik überstrapazieren
                               zu wollen: Mitte des 19. Jahrhunderts war mit Vollzeit
                               nicht viel weniger als die halbe Lebenszeit gemeint:
                               sechsmal 11 bis 12 Stunden galten als moderat. In den
                               darauffolgenden Jahrzehnten wurde in vielen Branchen
                               der Achtstundentag (Sechstagewoche) erkämpft und 1918
                               gesetzlich verankert. Bis 1918 sank so die Wochenarbeits-
                               zeit um rund ein Fünftel (von 60 auf 48 Wochenstunden).
                               Im 20. Jahrhundert folgten weitere Schritte hin zur
                               Fünftage-/ 40 Stundenwoche 1975.
                                  Möglich war das alles, weil wir durch technischen
                               Fortschritt mit weniger Arbeitsaufwand immer größeren
                               Wohlstand erzeugten und den heutigen Sozialstaat entwi-
                               ckeln konnten. Damals herrschte bekanntlich Vollbeschäf-
                               tigung. Der Produktivitätszuwachs ging seither weiter,
                               trotzdem stagniert die Arbeitszeit seit knapp einem
                               halben Jahrhundert – gelegentlich mit Bestrebungen,
                               sie wieder zu verlängern (60/12). Die Folge ist, dass Arbeit
                               heute ungleicher verteilt ist und die Jüngeren von Vollbe-
                               schäftigung nicht einmal träumen können. Viele junge
                               Menschen finden keine unbefristeten Stellen mehr,
                               sondern werden in ein Prekariat aus Praktika, Scheinselb-
                               ständigkeit und unqualifizierter Teilzeit gedrängt. Arbeit
                               ist heute – wie Vermögen und Einkommen – zunehmend
                               ungleich verteilt. Das lange gültige Prinzip „Produktivi-
                               tätssteigerung gleich Wohlstandssteigerung“ verkehrt
                               sich für immer mehr Menschen ins Gegenteil. Doch das
                               gute Leben für alle braucht materielle Sicherheit – Arbeit
                               gerechter zu verteilen ist ein Gebot der Stunde.

18                                 die Alternative • 2021
D E B A T T E N S E I T E

Warum eine Arbeitszeit-
verkürzung die Arbeitslosigkeit
                                                                                TEXT Vera Koller
wahrscheinlich nicht im
                                                                                E
                                                                                       sind nicht nur die Auswirkungen auf
erhofften Ausmaß                                                                       die Zahl der Arbeitslosen von Relevanz.
                                                                                       Vielmehr bedarf es einer gesamtgesell-
reduziert                                                                       schaftlichen Betrachtung; auch eine Beurtei-
                                                                                lung lediglich anhand der Verteuerung von
                                                  TEXT Alfred Stiglbauer
                                                                                Löhnen ist viel zu kurz gegriffen.

I
     m Jahr 2019 gab es in Österreich 301.000 registrierte Arbeits-             Eine Arbeitszeitverkürzung hat Auswirkungen
     lose und mehr als 2,7 Mio. unselbständig Vollzeit-Beschäftigte.            auf viele Bereiche des Arbeitsmarktes und
     Wenn man für diese eine Arbeitszeit von durchschnittlich 40                darüber hinaus.
Wochenstunden annimmt und die Arbeitszeit auf ein Maximum
von 30 Stunden beschränkt, dann würde man bei gleichbleiben-                    Eine Verkürzung der Arbeitszeit kann:
dem Arbeitsvolumen 3,6 Mio. Arbeitskräfte benötigen, was einem                    – zu einem Mehr an Jobs
Plus von 900.000 Arbeitskräften entspricht. Man könnte meinen,                     für Arbeitslose führen,
dass die Arbeitslosigkeit damit auf jeden Fall verschwinden würde.                – die Gesundheitskosten aufgrund
Leider ist dies unter den gegebenen Rahmenbedingungen inner-                       von weniger Krankenstandstagen senken,
halb des vorherrschenden Systems eher unwahrscheinlich.                           – das Unfallrisiko minimieren,
                                                                                  – zu einem längeren Verbleib in
Zu diesen Rahmenbedingungen zählen insbesondere Arbeitskräf-                       der Erwerbstätigkeit führen und
tefreizügigkeit in der EU, die Freiheit von UnternehmerInnen ihre                  Frühpensionen vermeiden,
Arbeitskräfte auszusuchen und die Güterpreise festzusetzen, die                   – einen Schritt in Richtung Klimaschutz
hohe Marktmacht von Unternehmen und die gesunkene Verhand-                         darstellen.
lungsmacht von Gewerkschaften (bzw. ihre mangelnde Präsenz in
vielen Dienstleistungssektoren).                                                Nur mit einer Arbeitszeitverkürzung kann der
                                                                                notwendige Wandel in der Gesellschaft vorange-
Eine, per Gesetz verordnete, Reduktion der Arbeitszeit bei vollem               trieben werden.
Lohnausgleich würde aller Voraussicht nach aus ökonomischer
Sicht folgende Reaktionen nach sich ziehen:                                     Deshalb fordern die unabhängigen
                                                                                GewerkschafterInnen eine gesetzliche
(1) Von den Arbeitslosen finden eher nur diejenigen, die ohnehin                Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden
leicht zu vermitteln gewesen wären, eine Arbeitsstelle. Alle ande-              bei vollem Lohn- und Personalausgleich.
ren würden auch unter diesen Umständen keine Beschäftigung
finden, denn die Unternehmen würden anstelle der Arbeitslosen
viel eher ausländische Arbeitskräfte einstellen.

(2) Die Arbeitszeitreduktion bei vollem Lohnausgleich bedeutet                  Eine generelle
eine beträchtliche Verteuerung des Faktors Arbeit. Die Unterneh-
men würden nach Möglichkeiten suchen, den Arbeitskräftebedarf                   Verkürzung der
zu reduzieren.
                                                                                Arbeitszeit bei vollem
 (3) „Voller Lohnausgleich“ bedeutet, dass die Nominallöhne und
-gehälter gleichbleiben. Die Verteuerung des Faktors Arbeit würde               Lohnausgleich ist
 vielfach auf die Güterpreise überwälzt, sodass die Reallöhne fallen.
 Angesichts der hohen Marktmacht von Unternehmen ist das sehr                   möglich.
 wahrscheinlich.

                                                       die Alternative • 2021                                                    19
D E B A T T E N S E I T E

                                                                      Leseempfehlung
                                                                      Moishe Postone:
                                                                      Zeit, Arbeit und
                                                                      gesellschaftliche
                                                                      Herrschaft. Eine
                                                                      neue Interpretation
                                                                      der kritischen
                                                                      Theorie von Marx
                                                                       Freiburg 2003 (ça ira),
                                                                      616 Seiten

                                                    Wann, wenn nicht in pandemischen Zeiten
                                                 hat man Zeit für einen richtig dicken Schinken.
                                                 In diesem 600-Seiten starken Buch interpre-
                                                 tiert Moishe Postone die von Marx in seinem
                                                 Spätwerk entwickelte kritische Theorie grund-
                                                 legend neu. Postone versuchte mit seiner Ana-
                                                 lyse auf hohem Niveau darzulegen, warum die
                                                 Probleme des Kapitalismus nicht nur Fragen
Petition                                         der Wohlstandsverteilung betreffen, sondern
Arbeitszeit FAIRkürzen:                          wesentlich tiefer sitzen. Er entwickelte hierbei
30-Stunden-Woche jetzt!                          Gedanken weiter, die schon in seiner Antisemi-
                                                 tismus-Theorie zum Tragen kamen: den „Kern
Denn:                                            des kapitalistischen Systems als unpersönli-
ArbeitszeitFAIRkürzung ist eine                  che Form abstrakter Herrschaft“ zu begreifen.
Frage der sozialen Gerechtigkeit,                Postone bietet die Grundlage für eine kritische
eine Frage der Belastung, eine Frage             Analyse des Kapitalismus, die der heutigen Zeit
der Gleichstellung und eine Frage der            angemessener ist. Das Buch ist gut lesbar, aber
Verteilung                                       man muss es studieren. Und dazwischen ab
                                                 und an bei Marx und Hegel nachschlagen.
Der Link zur Petition findet sich auf
auge.or.at.

                                                 Hörempfehlung
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Nachgehört/Vorgedacht                            vorwärts“
ÖGB Podcast
                                                    Es erwarten euch Geschichten aus dem
#4: Kürzere Arbeitszeiten –                      Alltag von Menschen – von Eltern, Arbeit-
mehr Lebensqualität                              nehmer*innen und Arbeitssuchenden. Im
                                                 Gespräch versorgen Expert*innen aus der Ar-
    In dieser Folge dreht sich alles um das      beiterkammer, aber auch von extern, Interes-
 Thema Arbeitszeitverkürzung. Während der        sierte mit wertvollen Fakten und Tipps.
 Präsident der Wirtschaftskammer, Harald            Unser Beziehungen und Partnerschaften
 Mahrer, abwinkt und nichts davon hören will,    sagen etwas über unsere Gesellschaft aus. In
 spricht sich unser Gast Reinhold Binder, Bun-   unserem Alltag bildet sich ab, wer eher die be-
 dessekretär der Produktionsgewerkschaft         zahlte Arbeit übernimmt, wer die unbezahlte,
 (Pro-Ge), klar für kürzere Arbeitszeiten aus.   wer die Kinder wie oft betreut, wer die Alten
„Damit gibt es mehr Beschäftigung, die Pro-      pflegt, wer den Haushalt schupft – kurz: wie
 duktivität wird gesteigert, die Beschäftigten   Männer und Frauen ihre Rollen leben. Der Pod-
 sind zufriedener und wir schützen auch noch     cast will genau hinsehen, traditionelle Rollen-
 das Klima!“, erklärt uns Binder.                bilder kritisch hinterfragen und Familie neu
                                                 denken. Die ersten Folgen des Podcasts prägt
   Im Podcast kommt aber auch der Unter-         das dominierende Thema der letzten Monate:
nehmer Klaus Hochreiter zu Wort. Er verrät       die Corona-Krise. Die hat unser Leben in den
uns u.a. warum die Arbeitszeitverkürzung         letzten Monaten verändert mehr als alles An-
auf 30-Stunden in seinem Unternehmen             dere und in unseren Familien und Partner-
eMagnetix „die beste Entscheidung war, die       schaften Spuren hinterlassen. Reinhören! Der
wir je getroffen haben“.                         Podcast ist überall, wo es Podcasts gibt, abruf-
                                                 bar.

       20                                                          die Alternative • 2021
I N T E R N AT I O N A L

Weltsozialarbeitstag 2021
                                                                                  TEXT Christine Petioky

I
     n der aktuellen Debatte über die Aufwer-             Die International Federation of Social Wor-
     tung systemrelevanter Care-Berufe ist auf-           kers ist Dachorganisation für lokale, regionale
     fallend selten von Sozialarbeit die Rede,            und überregionale Berufsverbände auf allen
obwohl Sozialarbeiter:innen während sämtli-               Kontinenten und gleichzeitig Forum für kon-
cher Lockdowns Menschen bei dringenden Pro-               tinuierliche Auseinandersetzung mit globalen
blemlösungen unterstützt und begleitet haben.             sozialpolitischen Themen. Ein Symbol dafür ist
   Hat das konsequente Ausblenden dieser Be-              der jährliche World Social Work Day, der heuer
rufsgruppe damit zu tun, dass sie sich nicht damit        am 16.3.2021 mit zahlreichen Online-Veranstal-
zufriedengibt, Aufträge zu erfüllen und Gesetze           tungen abgehalten wurde.
zu vollziehen, sondern die eigene Arbeit als Men-
schenrechtsprofession begreift, auf Basis ihrer              Er stand unter dem Leitthema UBUNTU, ei-
Berufsethik und mit einer gewissen Unabhän-               nem sozialphilosophischen Konzept aus afri-
gigkeit gegenüber ‚zeitgeistigen’ Zumutungen?             kanischen Ländern südlich der Sahara, das auf
Dass Berufs- und Sozialpolitik für sie zusam-             mündliche Erzähltraditionen zurückgeht und
mengehören? Dass sie die Bedürfnisse, Priori-             die Verbundenheit zwischen Individuum, Ge-
täten, Probleme und Wünsche benachteiligter,              meinschaft und Umwelt in ihren vielfältigen
ausgegrenzter Personengruppen ernstnimmt,                 Wechselwirkungen beschreibt. UBUNTU wird in
auch wenn sich Vorstellungen über zielführende            Afrika immer mehr zur fachlichen Grundlage der
Problemlösungen mitunter unterscheiden? Liegt             Sozialarbeit und nun auch weltweit thematisiert.
der Grund für die verbreitete Nichtbeachtung
vielleicht darin, dass sie auf einfache Deutungen         Vielfältige Themen
und eindimensionale Interventionen verzichtet             am Weltsozialarbeitstag
und stattdessen methodisch und wissenschaft-                 In diesem Kontext beschäftigten sich die Teil-
lich argumentiert?                                        nehmer:innen mit diversen Beiträgen: Ubuntu
                                                          in der Sozialen Arbeit mit Kindern (Afrika), kul-
Lokale und weltweite Organisation                         tursensible Praxis in der psychischen Gesund-
  Angesichts ihrer schwierigen Position hat               heitsarbeit (Australien), Stärkung der Resilienz
Sozialarbeit früh begonnen, sich als Berufs-              von Gemeinschaften und mentale Gesundheit in
gruppe lokal und weltweit zu organisieren.                der Pandemie (Asien), Schaffung eines sozialen
                                                          Europas (Europa), Menschenrechte und gutes
                                                          Leben für alle (Lateinamerika), virtueller anti-
                                                          rassistischer Gipfel (Nordamerika). Lokal orga-
                                                          nisierte Veranstaltungen aus Brunei, Frankreich,
                                                          Indien, Indonesien, Iran, Kenia, Österreich, Süd-
                                                          afrika, Turkmenistan, Ukraine, UK etc. ergänz-
                                                          ten das Programm.
                                                             Der Weltsozialarbeitstag bot somit etliche
                                                          Anhaltspunkte zur verstärkten Wahrnehmung
                                                          der Berufsgruppe Sozialarbeit.

                                 die Alternative • 2021                                                    21
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