Actually, the Dead Are Not Dead. Una forma de ser

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Actually, the Dead Are Not Dead. Una forma de ser
Actually, the Dead Are Not Dead.
Una forma de ser
17. Oktober 2020 – 25. April 2021
Derzeit aufgrund der Pandemie geschlossen

Gerd Arntz, Daniel Baker, Serafín Estébanez Calderón / Francisco Lameyer, Canciones de
la guerra social contemporánea, Joy Charpentier, Ines Doujak, Toto Estirado, Flo 6x8,
Robert Gabris, Gonzalo García-Pelayo, María García Ruiz, Israel Galván, Tony Gatlif, Helios
Gómez, Francisco de Goya, Isaias Griñolo, Julio Jara, Hiwa K, Teresa Lanceta, Darcy Lange
/ Maria Snijders, Delaine Le Bas, Los Putrefactos, Máquinas de vivir, Ocaña, Otto Pankok,
PEROU, Ragel, Pedro G. Romero, August Sander, Franz W. Seiwert, SEM/EN, Stalker, Ceija
Stojka, Mario Maya y Teatro Gitano Andaluz, Luca Vitone, Rosario Weiss u.a.

Kurator*innen: María García Ruiz und Pedro G. Romero
Actually, the Dead Are Not Dead. Una forma de ser
Inhalt

Kurztext ............................................................................................................................... 3
Einführung .......................................................................................................................... 4
Die Kurator*innen .............................................................................................................. 6
Werke in der Ausstellung ................................................................................................. 7
Wording ............................................................................................................................ 36
Der Stuttgarter Vagabundenkongress .......................................................................... 39
Bergen Assembly 2019. Actually, the Dead Are Not Dead ....................................... 44
Daten und Credits ........................................................................................................... 46
Veranstaltungen ............................................................................................................... 47

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Actually, the Dead Are Not Dead. Una forma de ser
Kurzbeschreibung

Die Ausstellung Actually, the Dead Are Not Dead. Una forma de ser (Eine Form des Seins
oder Lebens) beschäftigt sich mit den Beziehungen zwischen dem Fest und dem Feld des
Politischen. Sie untersucht das Fest als soziale und kollektive Bühne der Emanzipation und
Selbstbestimmung und geht den ästhetischen und poetischen Formen nach, die sich
daraus seit dem 19. Jahrhundert insbesondere im Umfeld der Subkulturen der Rom*nja,
Flamencos und Bohèmes gebildet haben. Das Fest als ästhetischer Rahmen der
Verkehrung sozialer Verhältnisse (Karneval) sowie der Durchdringung von
Ausgelassenheit und Rebellion, Folklore und Avantgarde wird dabei nicht nur historisch,
sondern insbesondere in Bezug auf die Gegenwart ausgelotet. Dabei verbindet die
Ausstellung bildende Kunst, Musik und Tanz ebenso miteinander wie die avancierten
Künste und Populärkultur vom 19. Jahrhundert bis heute.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Erfahrungen von Lockdown und Abstandsregeln hat
das thematische Feld der Ausstellung eine neue Bedeutung erhalten: Ist doch das Fest,
das für soziale und körperliche Nähe schlechthin steht, derzeit Inbegriff des
pandemischen Sündenfalls. Darüber hinaus sind bestimmte soziale Gruppen wie die
Rom*nja von der Corona-Pandemie und ihren Folgen besonders stark betroffen und hat
sich ihre bereits lange davor bestehende gesellschaftliche Ausgrenzung noch verschärft.
Insofern greift die Ausstellung auch raumpolitische Aspekte auf.

Unter dem Titel Una forma de ser geht es den Kurator*innen, María García Ruiz und Pedro
G. Romero, darum, die Gemeinschaften der Rom*nja, Flamencos und Bohèmes jenseits
von Identitätspolitiken im Hinblick auf Formen und Strategien der politischen
Subjektivierung zu verhandeln. Selbstbilder, Fremdbilder und deren verkehrende
Aneignung erzeugen dabei eine Reihe von Spannungsverhältnissen, die kaum aufzulösen
sind, aber vielleicht einen Beitrag zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit diesen
Bildern leisten können.

Zur Ausstellung erscheint eine Broschüre. Das geplante Diskurs-, Performance- und
Vermittlungsprogramm wird gemäß der pandemischen Entwicklungen online und / oder
onsite stattfinden. Bereits im Rahmen der ersten Ausstellung der Reihe, die aufgrund der
Pandemie unterbrochen und verlängert wurde, hat der Kunstverein ein Shutdown
Programm initiiert, das die Fragen und Themen des Projektes in verschiedenen
Onlineformaten vertieft.

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Actually, the Dead Are Not Dead. Una forma de ser
Einführung

Mit Una forma de ser (Eine Form des Seins, des Lebens) setzt der Württembergische
Kunstverein seine Ausstellungreihe Actually, the Dead Are Not Dead fort, die auf die
gleichnamige Bergen Assembly 2019 zurückgeht.

Die Ausstellung, die vom 17. Oktober 2020 bis 25. April 2021 (inklusive Pandemie
bedingter Schließungen) stattfindet, beschäftigt sich mit den Beziehungen zwischen dem
Fest und dem Feld des Politischen. Sie untersucht das Fest als soziale und kollektive
Bühne der Emanzipation und Selbstbestimmung und geht den ästhetischen und
poetischen Formen nach, die sich daraus seit dem 19. Jahrhundert insbesondere im
Umfeld der Subkulturen der Rom*nja, Flamencos und Bohèmes gebildet haben. Das Fest
als ästhetischer Rahmen der Verkehrung sozialer Verhältnisse (Karneval) sowie der
Durchdringung von Ausgelassenheit und Rebellion, Folklore und Avantgarde wird dabei
nicht nur historisch, sondern insbesondere in Bezug auf die Gegenwart ausgelotet.

Dabei verbindet die Ausstellung bildende Kunst, Musik und Tanz ebenso miteinander wie
die avancierten Künste und Populärkultur: Francisco de Goya mit dem vielfach
preisgekrönten zeitgenössischen Flamencotänzer Israel Galván; August Sander und seine
Fotografien der Kölner „Lumpenbälle“ mit dem spanischen Undergroundkünstler Ocaña;
die modernistischen Grafiker Gerd Arntz und Helios Gómez mit Ceija Stojka; die
andalusische Bohèmekultur des 19. Jahrhunderts mit einem an neuer Musik geschulten
Flamenco.

Die Kurator*innen der Ausstellung, Pedro G. Romero und María García Ruiz, beschäftigen
sich seit Jahrzehnten mit Flamenco und den Beziehungen zwischen der Stereotypisierung,
Romantisierung und Ausgrenzung europäischer Rom*nja. Zugleich geht es ihnen darum,
aufzuzeigen, welche entscheidende Rolle Rom*nja und andere marginalisierte Gruppen
für die Entwicklung der Avantgarden gespielt haben. So ist der Flamenco Mitte des 19.
Jahrhunderts im urbanen Umfeld der Rom*nja, Bohème und des sogenannten
Lumpenproletariats der Vororte Sevillas und anderer andalusischer Städte entstanden: als
Gegenbewegung zu einem damals wachsenden Folklorismus in Andalusien.

Diese moderne, avantgardistische künstlerische Manifestation wird erstmals von Serafín
Estébanez Calderón 1838 in seinem Text Asamblea General (Generalversammlung)
beschrieben. Was Calderón hier im Wesentlichen beobachtet, ist eine Reihe von Kris, den
politischen Versammlungen der andalusischen Rom*nja, bei denen die Gemeinschaften
aus Málaga, Cádiz und Sevilla ihre Angelegenheiten und Streitigkeiten regelten und die
immer mit einem Fest verbunden waren.

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Actually, the Dead Are Not Dead. Una forma de ser
Dieser Text sowie eine der Grafiken, die der Goya nahestehende Künstler Francisco
Lameyer dafür anfertigte, sind Ausgangspunkt der Ausstellung, ebenso wie die Serie Los
Disparates von Francisco de Goya selbst: Eine Serie düsterer, karnevalesker und grotesker
Szenarien mit vielfältigen Anspielungen auf die damalige politische Situation. Von hieraus
spannt die Ausstellung mit Künstler*innen wie Delaine Le Bas, Daniel Baker, Robert Gabris
oder Teresa Lanceta den Bogen zur zeitgenössischen Kunst.

Eine wichtige lokale Referenz stellt der Stuttgarter Vagabundenkongress dar, der 1929
von Gregor Gog einberufen worden war und unweit der damals neuen
Weißenhofsiedlung auf dem Killesberg stattfand. Bereits 1982 haben sich der
Württembergische Kunstverein und weitere Kunstinstitutionen im Rahmen der Ausstellung
Wohnsitz: Nirgendwo mit diesem Kongress und seinen Umfeldern beschäftigt. 2014
widmete ihm das Stuttgarter Theater Rampe ein Reenactment.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Erfahrungen von Lockdown und sozialer Distanz hat
das thematische Feld der Ausstellung eine neue Bedeutung erhalten: Ist doch das Fest,
das für soziale und körperliche Nähe schlechthin steht, derzeit Inbegriff des
pandemischen Sündenfalls. Darüber hinaus sind bestimmte soziale Gruppen wie die
Rom*nja von der Corona-Pandemie und ihren Folgen besonders stark betroffen und hat
sich ihre bereits lange davor bestehende gesellschaftliche Ausgrenzung noch verschärft.
Insofern greift die Ausstellung auch raumpolitische Aspekte auf.

Unter dem Titel Una forma de ser geht es den Kurator*innen darum, die Gemeinschaften
der Rom*nja, Flamencos und Bohèms jenseits von Identitätspolitiken im Hinblick auf
Formen und Strategien der politischen Subjektivierung zu verhandeln. Selbstbilder,
Fremdbilder und deren verkehrende Aneignung erzeugen dabei eine Reihe von
Spannungsverhältnissen, die kaum aufzulösen sind, aber vielleicht einen Beitrag zu einer
differenzierten Auseinandersetzung mit diesen Bildern leisten können.

Zur Ausstellung erscheint eine Broschüre. Das geplante Diskurs-, Performance- und
Vermittlungsprogramm wird gemäß der pandemischen Entwicklungen online und / oder
onsite stattfinden. Bereits im Rahmen der ersten Ausstellung der Reihe, die aufgrund der
Pandemie unterbrochen und verlängert wurde, hat der Kunstverein ein Shutdown
Programm initiiert, das die Fragen und Themen des Projektes in verschiedenen
Onlineformaten vertieft.

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Actually, the Dead Are Not Dead. Una forma de ser
Die Kurator*innen

María García Ruiz
geb. 1981, lebt in Barcelona, Spanien

María García Ruiz ist Künstlerin, Kuratorin und Forscherin. Von 2015 bis 2016 war sie
Research Fellow in Residence am Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía in Madrid.
Ihre künstlerische Arbeit wurde unter anderem in der Wiener Sezession (2014), dem
MUSAC in Leon (2018) und Fabra i Coats in Barcelona (2018) gezeigt. Gemeinsam mit
Pedro G. Romero kuratierte sie verschiedene Ausstellungen über die Beziehungen
zwischen Flamenco, Rom*nja-Kulturen und Moderne, unter anderem im
Württembergischen Kunstverein im Rahmen der Ausstellung Utopian Pulse. Flares In The
Darkroom (2015). García Ruiz war Ko-Kuratorin der Bergen Assembly 2019.

Pedro G. Romero
geb. 1964 in Aracena, Spanien; lebt in Sevilla und Barcelona, Spanien

Pedro G. Romero arbeitet in den Bereichen Kunst, Theorie, Literatur, Film, Musik, Theater
und Tanz. Er ist Kunst- und Literaturkritiker, Essayist und Flamenco-Experte. Seit 2000
arbeitet er am Archivo F.X., das Dokumente des antiklerikalen Bildersturms während des
spanischen Bürgerkriegs mit avantgardistischen und zeitgenössischen künstlerischen
Positionen verbindet, und an Máquina P.H., das sich den Beziehungen zwischen Flamenco
und der Moderne widmet.
Der Württembergische Kunstverein hat bereits mehrfach mit Romero
zusammengearbeitet, wie im Rahmen der Ausstellung Utopian Pulse. Flares In The
Darkroom (2015) und widmete ihm 2012 die Einzelausstellung Archivo F.X. Wirtschaft,
Ökonomie, Konjunktur. Er war Ko-Kurator der Bergen Assembly 2019.
Romeros Projekte wurden u. a. auf der documenta 14 in Athen und Kassel (2017), der 31.
Bienal de São Paulo (2014), der Manifesta 8 in Murcia und Cartagena (2010), dem
katalanischen Pavillon auf der 53. Biennale in Venedig (2009) und dem Sculpture Center in
Long Island City (2008) präsentiert. Er hat zahlreiche Choreografien für den Flamenco-
Tänzer Israel Galván geschrieben und Ausstellungen wie Poesía Brossa im MACBA in
Barcelona (zusammen mit Teresa Grandas, 2017–18), Friedensvertrag für DSS 2016 in San
Sebastian (2016) und Die spanische Nacht: Flamenco, Avantgarde und Populärkultur im
Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía in Madrid (2007) kuratiert.
Er war Ko-Kurator der Bergen Assembly 2019.

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Actually, the Dead Are Not Dead. Una forma de ser
Werke in der Ausstellung
Courtesy (wenn nicht anders erwähnt): Die Künstler*innen

Daniel Baker
geboren 1979 in Bath, Großbritannien, lebt in London, Großbritannien

Mirrored Library (Gespiegelte Bibliothek), 2008
Serie aus Hinterglasmalereien, Emailfarbe und Blattsilber auf Plexiglas
Courtesy: Stiftung Kai Dikhas, Berlin

Die Mirrored Library des Künstlers und Rom*nja-Aktivisten Daniel Baker basiert auf einer
Sammlung von Büchern über „Gypsies“, deren Titel jeweils seitenverkehrt als Hinterglasmalerei auf
eine Plexiglasplatte übertragen wurden. Jede Platte, die dem Originalformat des ursprünglichen
Buches entspricht, ist zudem mit Blattsilber vergoldet, wodurch ein spiegelnder Effekt entsteht.
Baker verhandelt in dieser Arbeit die vielschichtigen Barrieren der Wissensaneignung, denen
Rom*nja ausgesetzt sind, und zugleich die Erfahrung, das stumme Subjekt eines Diskurses, eines
Wissens über anstatt von Rom*nja, zu sein.

Serafín Estébanez Calderón / Francisco Lameyer
S.E.C.: geboren 1799 in Málaga, Spanien, gestorben 1867 in Madrid, Spanien;
F.L.: geboren 1825 in El Puerto de Santa María, Spanien, gestorben 1877 in Madrid, Spanien

Asamblea general (General Assembly), 1883-1847
Veröffentlicht in Serafín Estébanez Calderón, Escenas andaluzas, Don Baltasar González Presse,
Madrid, 1847, 1. Ausgabe, Courtesy: Pedro González Romero

Der Text Asamblea general von Serafín Estébanez Calderón (auch El Solitario genannt) entstand
zwischen 1838 und 1847 in verschiedenen Versionen, die von einem Bericht über das Leben der

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Actually, the Dead Are Not Dead. Una forma de ser
Rom*nja bis zu einer touristischen Schilderung Andalusiens reichen. Was Calderón hier eigentlich
beschreibt, ist eine Reihe von kris, den politischen Zusammenkünften andalusischer Rom*nja, bei
denen die Gruppen aus Málaga, Cádiz und Sevilla über verschiedene Angelegenheiten
verhandelten. Diese kris waren auch Feste, bei denen kein Unterschied zwischen den politischen,
wirtschaftlichen und festlichen Bereichen gemacht wurden. Da Francisco de Goya als idealer
Künstler galt, Calderóns Erzählung zu illustrieren, wurde der Goya-Anhänger Francisco Lameyer
damit beauftragt. Calderón und Lameyer zählten zu den Künstlern, die zu Beginn des 19.
Jahrhunderts der Bohème in Spanien angehörten. Ihr Werk ist ein direktes Zeugnis des Lebens der
damals neuen städtischen Unterschicht, die vor allem in Andalusien einen Artikulationsraum schuf,
der als Flamenco bekannt werden sollte.

Joy Charpentier
geboren 1991, lebt und arbeitet in Montpellier, Frankreich

Auswahl von 7 Fanzines und 5 Postkarten, 2016–2020
darunter Fags Hate God, Cold Dish, Retour à Dale Farm, Nous les Gitans, Fiona Book Pro
Verschiedene Formate, Faksimiles
Courtesy: Galerie Alarcón Criado, Sevilla

Flamenco ist ein Begriff, der, wie queer, zunächst eine abwertende Bedeutung hatte, als
Beleidigung und Demütigung gemeint war und mit Minderwertigkeit, Verbrechen und Prostitution
gleichgesetzt wurde. Mittlerweile wird er von seinen Repräsentant*innen mit Stolz verwendet. Die
Arbeiten von Joy Charpentier greifen diese Verschiebung und positive Aneignung auf. Als
Manouche und Homosexueller erlebt er Ausgrenzung, Verachtung sowie das emanzipierende
Potential der Verkehrung ursprünglich verletzender Fremdbezeichnungen auf doppelte Weise.

Ines Doujak
geboren 1959 in Klagenfurt, Österreich, lebt in Wien, Österreich

Sing Along! (Sing mit!), 2019
Skulptur, verschiedene Materialien, 180 x 100 x 140 cm; Heftreihe

Ausstellungsansicht Bergen Assembly 2019, Bergen Kjøtt

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Actually, the Dead Are Not Dead. Una forma de ser
Die eine kranke Kartoffel gebärende transsexuelle Figur in dieser mehrschichtigen Klang-Skulptur
basiert auf einer Collage von Zeichnungen aus medizinischen Büchern des 19. Jahrhunderts über
Hautkrankheiten: Bücher, die mit ihren gleichermaßen Schauer und Lust erzeugenden Bildern die
Konstruktion des Monströsen wesentlich hervorgebracht haben. Die Figur steht auf einer
überdimensionalen mumifizierten Ratte: dem Tier, das in europäischen Erzählungen als Inbegriff
der Angst vor Krankheitsübertragung erscheint, am prominentesten in Bram Stokers Roman
Dracula. Die Skulptur spielt ein Repertoire von neuen Liedern ab, die den derzeitigen
Arbeiter*innenkämpfen gewidmet sind und von verschiedenen Künstler*innen geschrieben und
interpretiert wurden. Diese musikalischen Elemente rücken die Skulptur auch in die Nähe der
Legende des Rattenfängers von Hameln, dessen Musik nicht nur die Ratten, sondern auch die
Kinder der Stadt verführte. Eine der Stimmen gehört dem Sänger Niño de Elche, der sich selbst als
Ex-Flamenco bezeichnet und den erhabenen quejío jondo – eine besonders schmerzbetonte Form
des Flamencogesangs – zu einer Groteske verschoben hat.

Toto Estirado
geboren 1939 in Usagre, Spanien, gestorben 1994 in Badajoz, Spanien

Schizoide Zeichnungen (Das Denkmal 1, 1978; Das Denkmal 5, 1977; Persönliche Notizen, 1977;
Persönliche Notizen 3), 1978
4 Zeichnungen, je 30 x 20 cm
Courtesy: Pedro González Romero

Bar in Alameda, 1978                                 Dämmerung am Teich, 1978
Zeichnung, 30 x 20 cm                                Zeichnung, 30 x 20 cm
Courtesy: Pedro González Romero                      Courtesy: Pedro González Romero

Schattenzeit, 1978                                   Gras und Tau, 1978
Zeichnung , 30 x 20 cm                               Zeichnung, 30 x 20 cm
Courtesy: Pedro González Romero                      Courtesy: Pedro González Romero

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Actually, the Dead Are Not Dead. Una forma de ser
Toto Estirado war ein schizophrener Künstler, der sich in psychiatrischer Behandlung befand. Die
Werke, die er von 1968 bis 1977 unter der Einwirkung verschiedener Psychopharmaka schuf,
verhandeln politische Themen als Praktiken des Festes. Sein Schwerpunkt hatte sich verlagert: von
der Suche nach Selbsterkenntnis hin zu einer Interpretation der Zeitgeschehnisse – die Unruhen
von 1968, der Anti-Franco-Kampf, der politische Übergang etc. – als Krankheit. In diesem Sinne
kann sein Werk als das Symptom einer bestimmten Epoche und eines bestimmten Ortes betrachtet
werden: eines politischen Widerstands, der in Form von rauschenden Festen, Karneval und
Rummel erlebt wurde.

Flo6X8
Kollektiv, gegründet 2008, Spanien

Voz flamenca en el parlamento (Flamencostimme im Parlament), 2014
Videodokumentation einer Intervention im Andalusischen Parlament, Farbe, Sound, 3’10”

Flo6x8 ist ein Kollektiv von Aktivist*innen, das in seinen öffentlichen Aktionen und Interventionen
Flamenco als Protestform einsetzt. Am 24. Juli 2014 drangen Mitstreiter*innen der Gruppe,
zunächst unbemerkt, in das andalusische Parlament in Sevilla ein, als dieses den so genannten „Sitz
110“ einführte, der die Bürger*innenbeteiligung fördern soll. Drei Flamencosänger*innen, zwei
Frauen und ein Mann, unterbrachen die Sitzung, als der Sprecher der sozialistischen Fraktion das
Wort ergriff. Ihr Gesang richtete sich gegen die von der Regierung geplanten Sparmaßnahmen.
Alle drei wurden noch während des Gesangs vom Ordnungspersonal aus dem Saal entfernt. Das
Video zeigt eine Dokumentation dieser Aktion. Mit dieser Aktion weist Flo6x8 auf die Widersprüche
und Ausschlüsse der Volksvertretung hin.

Robert Gabris
geboren 1986 in Hnúšťa, Slowakei, lebt in Wien, Österreich

You Will Never Belong Into My Space (Replica of My Father‘s House. Model 1:20), 2020
Fotografie nach Modell, 293 x 454 cm

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© VG Bild-Kunst, Bonn 2020

„Das Foto illustriert eine komplett verzerrte Realität und hinterfragt, ob wir nur glauben, behaupten
oder wissen. Wie funktioniert die Übermittlung von falschen, illustrativen, völlig absurden Bildern
und wie schnell werden sie von uns als Wahrheit akzeptiert?
Auf diesem Foto thematisiere ich eine unerträglich harte Form der Ausgrenzung meines
biologischen Vaters aus der Gesellschaft. Er selbst hat es als die „absolute Raumtrennung“
bezeichnet und gemeint „Du [an die slowakische weiße Gesellschaft gerichtet] wirst nie in meinen
Raum gehören“, so wie er nie ein gleichwertiger Teil dieser Gesellschaft sein durfte. Ich bediene
mich eines total übertriebenen Narrativs über uns – grelle Farben, Magie und Aberglaube – und
übermittle somit die Absurdität dieser zwei Gegenpole.
Das Model des Hauses meines Vaters wurde im Maßstab 1:20 gebaut, abfotografiert und ein
Abzug in Originalgröße gedruckt. Alles was auf diesem Abzug zu sehen ist, hat nichts mit der
Realität zu tun. Trotzdem bleibt die Frage offen: wie real kann man eine Illusion übermitteln?“
(Robert Gabris)

Gonzalo García Pelayo
geboren 1947 in Madrid

Vivir en Sevilla, 1978
Video, Farbe, Ton, 108‘

Vivir en Sevilla gilt als Schlüssel- und Meisterwerk des Musikproduzenten, Radiosprechers,
Filmemachers und zeitweise professionellen Glückspielers Gonzalo García Pelayo. Der Film steht
für jene Generation der spanischen Übergangszeit zwischen Diktatur und Demokratie, der

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sogenannten Transicíon, die es in ihrer gegenkulturellen Lebensweise nach Sevilla führte. Die
Erzählung über die Beziehung, das Beziehungsende und die neuen Liebschaften von Ana und
Miguel sowie über einen Maler, der aus seinem Londoner Exil zurück nach Sevilla kehrt, bilden den
Rahmen für ein dichtes Gewebe aus Spielszenen, dokumentarischen und musikalischen Elementen.
Dabei werden zahlreiche damals aktuelle Geschehnisse aufgegriffen, wie die Besetzung der
Giralada, des Glockenturms (und ehemaligen Minaretts) der Kathedrale von Sevilla, durch
Werftarbeiter*innen, dem durch einen Polizisten verübten Mord an Enrique Mesa (alias Quique)
oder die Machenschaften der in Palmar de Troy nahe Sevilla angesiedelten Sekte namens
Palmarianisch-katholische Kirche. Der Film ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein Flamenco-Kino, das
auf flamencoweise gemacht ist, sein sollte: Ein Kino, das über die Darstellung von Musik und Tanz
hinausgehend eine Raum-Zeit sowie bestimmte Gesten und Lebensweisen aufruft, die dem
Flamenco ähnlich sind. In den Politiken der Freude, die den gesamten Film durchdringen,
manifestiert sich die Konfrontation zwischen bestimmten Haltungen und der historischen Zeit, der
Zeit des politischen Übergangs, in der sie sich bildeten.

María García Ruiz
geboren 1981 in Valdepeñas, Spanien, lebt in Barcelona

Virgencica, Virgencica!, 2016
Videoinstallation, 13’

María García Ruiz’ Video kreist um das Dorf La Virgencica, das 1963 gebaut wurde, um die
Rom*nja, die nach der Überschwemmung der Höhlen von Sacromonte in Granada evakuiert
werden mussten, aufzunehmen. Die Architekt*innen entwarfen ein modernes System aus
vorgefertigten Modulen, das einige der räumlichen Qualitäten des Gemeinschaftslebens in den
Höhlen aufgriff. Ruiz führte mit einigen ehemaligen Bewohner*innen von La Virgencica ein
Reenactment durch. Zunächst wurde eines der architektonischen Module nachgebaut, dieses
bewohnt und schließlich mit einem Bulldozer zerstört. Der gesamte Prozess wurde zum Fest, Ritus,
Denkmal und zur Pilgerfahrt. Der ephemere Charakter der Konstruktion und die Leichtigkeit der
Materialien verweisen auf die Zerbrechlichkeit der Erinnerung, insbesondere bei bestimmten
Gemeinschaften.

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Israel Galván
geboren 1973 in Sevilla, Spanien

La Fiesta, 2017
Videodokumentation der gleichnamigen Performance
Video, Farbe, Ton, 90‘
Courtesy: Israel Galván Company

Der Tänzer und Choreograph Israel Galván zählt zu den herausragenden Figuren des
zeitgenössischen Flamencos. Über La Fiesta (Das Fest) schreiben García Ruiz und Romero:
„Und so stellt sich heraus, dass es da ein Gespür für das Gemeinsame gibt, für Kollektivität, dafür,
wie sich Namen im Rausch des Festes auflösen und verschwinden. Die Feiernden sind nicht mehr
sie selbst, und ihr Selbstverlust ist der Gewinn des Festes … Wie löst man sich auf und bewahrt
seine Singularität? … Dein Bauch ist zu klein, nimm meinen. Nimm meinen Hintern, schau, wie er
sich bewegt! Reicht dein Arm, dein Bein, dein Ohr nicht aus? Hier sind meine. Ich reiße mir die
Augen aus und leihe sie dir … In der chaotischen Welt der Feste trägt der Mensch den Esel, aber
hier sind Mensch und Esel Brüder und Schwestern. Ein Fest, ja, aber machen wir uns nichts vor.
Feste sind das Leben selbst. Kriege sind es auch. Ein Kampf. Kampfszenen. Sieh nur, wie diese
sieben, die sieben in unserer Fiesta, dem Raum gegenüberstehen. Gegen was können sich sieben
auf einer Theaterbühne ruhende Körper auflehnen? Gegen den Boden, gegen die Schwerkraft.
Architektur ist reine Diktatur. Sie stellen alles auf den Kopf, weil auch sie sich durch den Raum,
durch die Materialität unterdrückt fühlen. Die Struktur eines Gebäudes ist am deutlichsten zu
sehen, wenn es brennt. Launen und revolutionäres Geschwätz vermischen sich im Unsinn. Es ist ein
Fest und es ist ein Krieg gegen den Raum und gegen die Zeit. So viele Dinge! Hass und Lebenslust
zugleich. Das gleiche Leben.“

Tony Gatlif
geboren 1948 in Algier, Algerien, lebt in Paris

Vengo, 2000
Film, Farbe, Ton, 90'

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Vengo ist ein gefeierter Film des in Algerien geborenen französischen Filmemachers Tony Gatlif. Er
besteht im Wesentlichen aus einer Aneinanderreihung großartiger Darbietungen von Flamenco-
und Nicht-Flamenco-Künstler*innen mit Orestes Villasan Rodríguez als Star dieses intensiven
Musicals. Auf der einen Seite ist es interessant zu sehen, wie Gatlif die orientalistischen Fantasien
einsetzt, die seit Prosper Mérimées Roman Carmen im mythologisierten Andalusien spielen und
deren Versatzstücke Banditen, Schmuggler, verhängnisvolle Liebe, Prostituierte, Randexistenzen
und Kriminelle sind. Was diese vertraute Ordnung stört ist Orestes, dessen antinormativer Gang
das eigentliche Leitmotiv und die zentrale Metapher des Films darstellt. Mit einer manifestartigen
Kraft führt Vengo den behinderten Helden in die Kultur des Flamencos ein, die eine Tradition von
Tänzer*innen mit Behinderung aufweist, die von Balthasar Maté, El Mate sin pies (der fußlose Mate),
bis zum Maestro Enrique El cojo (der Krüppel), dem Gründer der sevillanischen Tanzschule, reicht.
Während des gesamten Films nimmt niemand aus der Welt der marginalen Rom*nja Notiz von der
angeblichen Beeinträchtigung durch Orestes. Seine Behinderung wird nur innerhalb der
Mainstream-Gesellschaft und des Wohlfahrtsstaates diskriminiert, was Vengo subtil kritisiert.

Helios Gómez
geboren 1905 in Sevilla, Spanien, gestorben 1956 in Barcelona, Spanien

Días de Ira (Tage des Zorns), 1930
Mappe mit 28 Drucken, publiziert von der Internationalen Arbeiter-Assoziation Berlin (Faksimiles)

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Besinnung und Aufbruch: Monatsblätter freiheitlicher Bücherfreunde, August 1930
Willi Jadau (Hrsg.); Gestaltung Titelblatt: Heliós Gomez
Courtesy: Deutsche Schillergesellschaft e. V. / Deutsches Literaturarchiv Marbach

Helios Gómez war eine Schlüsselfigur der libertär-anarchistischen und kommunistischen Agitprop,
die während der Zweiten Republik und des Spanischen Bürgerkriegs entstand. Die Mappe Días de
Ira schuf er zur Unterstützung der Internationalen Arbeitervereinigung (IWA) 1930 in Berlin und als
Teil der deutschen konstruktivistisch-sozialistischen Avantgarde. In seinem Selbstporträt als
Flamencogitarrist für das Titelbild der Zeitschrift Crónica (Oktober 1936) verband Gómez seine
künstlerische Sprache mit der Kultur jener Gemeinschaft, aus der er stammte. Helios Gómez war
stets offen für einen feierlichen Charakter seiner Werke, die Kritik und Fest in einer Weise
verbanden, die den reimenden Couplets der blinden Bänkelsänger ähnelt, die eine der poetischen
Quellen des Flamencos sind. Dieser doppelte Charakter bringt die Bedeutung von Künstler*innen
wie Helios Gómez perfekt zum Ausdruck, der nicht nur ein persönliches Werk schuf, sondern auch
an verschiedenen Kunstszenen teilnahm und diese etablierte. Gómez war ein aktiver Kämpfer,
stand zu verschiedenen Zeiten mit der CNT (Nationaler Gewerkschaftsbund), der IWA und der
Kommunistischen Partei in Verbindung und wurde des Terrorismus und der politischen Rebellion
beschuldigt. In seinen letzten Lebensjahren, als er im Modelo-Gefängnis in Barcelona einsaß und
nachdem er die Konzentrationslager in Südfrankreich und Nordalgerien überstanden hatte, wurde
Gómez sich der Notwendigkeit einer politischen Subjektivierung der Rom*nja bewusst und begann
eine Reihe von Forschungsprojekten zu diesem Thema.

Francisco de Goya
geboren 1746 in Fuendetodos, Spanien, gestorben 1828 in Bordeaux, Frankreich

Nr. 21 aus der Serie Tauromaquia (1. oder 4. Auflage), Radierung, 1814-16
Courtesy: Privatsammlung Berlin

Félix Augustin Milius, Porträt Francisco de Goyas (nach Goya), o.J.
Courtesy: Privatsammlung Berlin

Los Proverbios (Die Sprichwörter), auch bekannt als Los Disparates (Die Torheiten), 1815-23
18 Radierungen, je 30 x 43 cm, 3. Auflage, 1903
Courtesy: Privatsammlung Berlin

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Die Serie Los Disparates radikalisiert eines der Charakteristika im Spätwerk von Francisco de Goya:
die Darstellung traumartiger oder karnevalesker Szenen mit starkem, oft rätselhaftem politischem
Inhalt. Aufgrund der oft erwähnten Zweideutigkeit dieser Serie hat dessen Interpretation die
ideologische Skala von rechts nach links und umgekehrt durchlaufen, während Goya eine
Polyphonie aus Stimmen, Perspektiven und Vorstellungen geschaffen hat. Träume und Fantasie
erlauben es ihm, verschiedene Welten zu kombinieren. In den Blättern tauchen oft Randfiguren aus
der Unterwelt auf (Rom*nja, Hexen, Banditen, Prostituierte, Zuhälter, Kriminelle). Die Frauen,
Männer und Monster, die im Kreis tanzen oder auf einer Decke in die Luft geworfen werden,
illustrieren beliebte Spiele, aber sie verweisen auch auf die revolutionäre Zeit, in der die
Zeitgenossen Goyas lebten, und den damit verbundenen Rollentausch. Goyas festliche, humorvolle
Szenen sind lebendige Aufrufe zum politischen Handeln und eine Einladung, neue Lebensformen
auszuprobieren.

Francisco de Goya / Rosario Weiss
R.W.: geboren 1814 in Madrid, Spanien; gestorben 1843 in Madrid, Spanien

Dibujos dobles (Doppelte Zeichnungen), 1821-1824
Tinte und Gouache auf Papier
7 Blätter, je 15 x 10 cm, Faksimile-Reproduktionen

Das Interessante an diesen Zeichnungen, die Rosario Weiss im Alter von knapp zehn Jahren auf der
Rückseite der Skizzenbücher ihres Paten (oder Vaters?) Francisco de Goya anfertigte, ist die
Möglichkeit, dass es sich dabei durchaus um Kommentare zu den Zeichnungen ihres Lehrers auf
der Vorderseite handeln könnte. In vielerlei Hinsicht beeinflusste das Traumhafte ihrer kindlichen
Kritzeleien Goyas eigene fantastische Vorstellungskraft. Auf einer Seite malte Goya einen wilden
Soldaten, auf der Rückseite zeichnete Rosario eine Frau mit Fächer. Der tattrige geisterhafte Mönch
ist von Goya, die beiden toten Mönche auf der Rückseite von Rosario. Ein bequemer Schlitten
scheint die Antwort des Mädchens auf die seltsame Figur zu sein, die Goya schreien lässt, dass sie
sehr müde sei. Diese Skizzen scheinen eine Verspieltheit zwischen Meister und Schülerin

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anzudeuten, eine Version des Spiels der Gegensätze, der auf dem Kopf stehenden Welt, die Goya
gegen Ende seines Lebens interessierten. Dies Zeichnungen sind auf die Zeit datiert, kurz bevor
Goya in Begleitung der jungen Rosario und ihrer Mutter, die damals wahrscheinlich seine
Lebensgefährtin war, ins Exil nach Frankreich ging. Als sie in Bordeaux ankamen, bestand Goya mit
außerordentlicher Leidenschaft und Vehemenz auf Rosarios künstlerischer Professionalisierung. Er
war sich des damals politischen Charakters dieses Ansinnens sehr bewusst.

Isaías Griñolo
Geboren 1963 in Bonares, Huelva, Spanien, lebt und arbeitet in Sevilla, Spanien

Utopía Pueblo (Stadt der Utopie), 2014
Malerei auf Leinwand, 200 x 300 cm

La FIERA en SEVILLA (Utopía pueblo), 1652-1917-2013
Video, Farbe, Ton ,33‘43‘‘

Die Videoarbeit von Isaías Griñolo basiert auf den Erfahrungen der Gruppe Los Flamencos, die aus
dem Sänger Niño de Elche, dem Dichter Antonio Orihuela und Griñolo selbst bestand, mit den
Schnittstellen von Flamenco und Aktivismus. Konkret geht es um die Corrala Utopia: einem von
verschiedenen Familien besetzten und selbst verwalteten Raum in Sevilla, der zu einem Emblem
des Kampfes gegen die Privatisierung von und Spekulation mit Immobilien sowie für das Recht auf
Wohnraum wurde. Der Flamenco und der (liturgische) Ort des Festes fungierten dabei als soziales
Bindeglied.

Julio Jara
geboren 1971 in Toledo, Spanien

Los Mil y Un Cartones (Tausendundein Pappkartons), 2019
Interventionen am Robin Hood Huset und in der Stadtmission, Bergen
Videodokumentation; Serie von Kartons (Rekonstruktionen der Originale)

Julio Jara arbeitet für ein Wohnungslosenheim der katholischen Stiftung San Martín de Porres im
Stadtviertel Caño Roto in Madrid, das sich um Transgendermenschen kümmert. Er ist dort für
Pflege, Verwaltung und Kochen zuständig. In diesem Zusammenhang bietet er auch künstlerische
Workshops an. So ist das Projekt Los Mil y Un Cartones entstanden, bei dem die Teilnehmer*innen
ihre Erfahrungen der ersten Nacht auf der Straße artikulieren. Der gleichwertige Austausch
zwischen jenen, die helfen, und jenen, den geholfen wird, ist für ihn ausschlaggebend. Im Rahmen
der Bergen Assembly 2019 hat er in Zusammenarbeit mit der Stiftung Robin Hood Huset für
Menschen in Not und der Stadtmission diesen Workshop in Bergen durchgeführt. Dabei sind das in
der Ausstellung zu sehende Video und die Papptafeln entstanden.

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Hiwa K
geboren 1975 in Sulaimaniyya, Irak

Moon Calendar (Mondkalender), 2007
Video, Farbe, 12‘16‘‘
Courtesy: der Künstler, Prometeo Gallery di Ida Pisani, Milan, Lucca; KOW, Berlin, Madrid

Hiwa K tanzt auf dem Gelände von Amna Souraka, einem der berüchtigten politischen Gefängnisse
des Regimes von Saddam Hussein, auch bekannt als Red Security Building (rotes
Sicherheitsgebäude), Flamenco. Er tanzt im Rhythmus seines eigenen Herzschlags, den er immer
wieder durch ein Stethoskop abhört. Sein Herzrhythmus und das Trommeln seiner Füße
harmonieren miteinander. Hiwa Ks Aktion hat etwas von einem psycho-geographischen Sensor, als
sei sein Körper eine Art Schmerzdetektor. Selten war die Politisierung von Rhythmus so deutlich.
Beim Flamenco steht der Rhythmus gleichermaßen für das Fest wie für die Tragödie.

Teresa Lanceta
geboren 1951 in Barcelona, Spanien, lebt in Mutxamel, Spanien

8, rue de la Bahía, Barcelona; Plaça real, 13; Bonaire, 46; Don Felipe, 13; Gardunya, 9; Hospital, 56;
Jerusalem, 8; Montera, 43; Obrador, 5; Santísima faz, 3, seit den 1980er Jahren
Diverse Wandteppiche, variierende Maße

© VG Bild-Kunst, Bonn 2020

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Teresa Lanceta hat viele Jahre in der Nähe des Barrio Chino in Barcelona, des Flohmarktes El
Rastro in Madrid, in den Stadtvierteln Arenal und Triana in Sevilla oder den Hügeln von Granada
mit Rom*nja-Gemeinschaften zusammengelebt, -gearbeitet und gefeiert. Dies hat sich nachhaltig
auf ihre künstlerische Praxis ausgewirkt. In jedem Haus, in dem sie wohnte, ist ein Wandteppich
entstanden, der nach der jeweiligen Adresse benannt ist. Momente eines Lebens, biografische
Schnipsel, Freude und Trauer haben sich in diese eingeschrieben.

Los Putrefactos (Die Verfaulenden)
Pepín Bello, Luis Buñuel, Salvador Dalí und Federico García Lorca
Diverse Materialien

Um 1925, nachdem Federico García Lorca, Luis Buñuel, Salvador Dalí und Pepín Bello sich durch
ihre geneinsame Zeit in der Residencia de Estudiantes in Madrid näher gekommen waren, entstand
der Name Los Putrefactos, die Verfaulenden. Er diente als Bezeichnung für alles, was der Gruppe
altmodisch, bürgerlich, rührselig, akademisch und hegemonial vorkam. Ihre Karikaturen,
humorvollen Texte und Gedichte vereinte sie auf nahezu geheimbündlerische Weise. Der
berühmte Film Un Chien Andalou von Buñuel und Dalí aus dem Jahr 1929 spiegelt die Ideen der
Gruppe geradezu sprichwörtlich wider, wenn er zum Beispiel die verrottenden Esel auf den
Klavieren zeigt: wobei die Kritik hier einem der Gründer der Gruppe, García Lorca, galt. Wie der
Kritiker Rafael Santos Torroella schrieb, waren homosexuelle Beziehungen das unterdrückte
Thema, das die Gruppe verband und spaltete. Bello hinterließ verschiedene schriftliche Berichte
darüber, wie der Geist von Los Putrefactos die drei Künstler dauerhaft beeinflusst hat. So finden
sich Spuren davon in Werken wie Lorcas Dichter in New York (1936-40), Buñuels Der Würgeengel
(1862) und Dalís Der tragische Mythos von Millets Angelus (1935-63).

Lumpenbälle
Gerd Arntz / August Sander / Franz Wilhelm Seiwert

Gerd Arntz, Zwölf Häuser der Zeit, 1927
Serie von 12 Holzschnitten, Faksimile-Nachdrucke

Franz Wilhelm Seiwert, Hochdruck-Postkarten für Lumpenbälle, um 1925-32
Auswahl von fünf Exemplaren, Faksimile-Nachdrucke

August Sander, Köln wie es war, 1929-31
Lumpenball-Serie, Auswahl von zehn, und Coellen aus Rand und Band,
Faksimile-Nachdrucke, mit freundlicher Genehmigung des Kölnischen
Stadtmuseum, Köln

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August Sander, Köln wie es war, 1929-31, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Die Fotografien von August Sander, die Grafiken von Franz Wilhelm Seiwert und die Illustrationen
von Gerd Arntz, die hier unter dem Titel Lumpenbälle zusammengefasst sind, spiegeln das
Interesse eines Teils der konstruktivistisch-sozialistischen Avantgarde an den subalternen,
unterprivilegierten Klassen wider. Der Titel bezieht sich auf die Kostümfeste, die die Gruppe Kölner
Progressive während des Kölner Karnevals von 1925 bis 1933 in der Kneipe Em Dekke Tommes
durchführten. In diesen Werken manifestiert sich der Wunsch, eine Form des Festes
auszuprobieren, die mit der Unterwanderung der sozialen Ordnung einhergeht, die dem Karneval
seit jeher innewohnt: die Umkehrung der Geschlechter, Transvestismus, die Zerrüttung der sozialen
Rollen oder das auf den Kopf stellen der politischen Ordnung. Der Begriff Lumpenbälle, den die
Kölner Progressiven für ihre Feste wählten, verweist nicht nur auf das von Karl Marx und Friedrich
Engels so verhasste Lumpenproletariat, sondern auch auf das ‚schlechte‘ Kostüm, das in einer
Ökonomie des Widerstands aus Resten, Fetzen und Abfallstoffen zusammengeschustert wurde.
Tatsächlich war der Kölner Karneval vor den Lumpenbällen eine recht steife Angelegenheit.

Pedro G. Romero nach Guy Debord mit verschiedenen Künstler*innen
P.G.R.: geboren 1964 in Aracena, Spanien, lebt in Sevilla, Spanien

Canciones de la Guerra Social Contemporánea (Lieder des zeitgenössischen sozialen Krieges),
2019
Diverse Materialien (Dokumente, Publikationen, Videodokumentationen von Performances)
Mit: Niño de Elche, Javiera de la Fuente, Isaías Griñolo, Los Planetas, María Marín, Tomás de
Perrate, Proyecto Lorca, María Salgado / Fran MM Cabeza de Vaca, José lsmael Sierra

Canción para los obreros de Seat (Lied für
die Seat-Arbeiter*innen), 2019
Los Planetas, Niño de Elche, Performer
Andrés Duque, Video
Video, 6:35’

                                                                                                     20
Nana de esta pequeña era (Wiegenlied             Canción Luis Gillardini González (Lied für Luis
dieses kleinen Zeitalters), 2019                 Gillardini González), 2019
María Salgado, Fran MM Cabeza de Vaca,           Tomás de Perrate, Performer
Performance, Musik, Video                        Isaías Griñolo, Video
Video, 13:28’                                    Video von einem Konzert im Rahmen der
                                                 Bergen Assembly 2019, 4:50’
Gracias a la vida (Dank an das Leben), 2019
Javiera de la Fuente, José lsmael Sierra,        Canción Gabriel Botifoll Gómez (Lied für
Performer                                        Gabriel Botifoll Gómez), 2019
Isaías Griñolo, Video                            Tomás de Perrate, María Marín, Proyecto
Video von einem Konzert im Rahmen der            Lorca, Performer
Bergen Assembly 2019, 11:52’                     Isaías Griñolo, Video
                                                 Video von einem Konzert im Rahmen der
Epitafio para un extranjero (Epitaph für einen   Bergen Assembly 2019, 6:59’
Fremden), 2019
María Marín, Performer                           Presos de Segovia (Die Gefangenen von
Isaías Griñolo, Video                            Segovia), 2019
Video von einem Konzert im Rahmen der            María Marín, Proyecto Lorca, Performer
Bergen Assembly 2019, 5:48’                      Isaías Griñolo, Video
                                                 Video von einem Konzert im Rahmen der
Canción de parla (Sprechendes Lied), 2019        Bergen Assembly 2019, 9:09’
Tomás de Perrate, Performer
Isaías Griñolo, Video                            La cárcel de Segovia (Das Gefängnis von
Video von einem Konzert im Rahmen der            Segovia), 2019
Bergen Assembly 2019, 5:25’                      Proyecto Lorca, Performer
                                                 Isaías Griñolo, Video
Canción de las barricadas de Cádiz (Lied der     Video von einem Konzert im Rahmen der
Barrikaden von Cádiz), 2019                      Bergen Assembly 2019, 6:45’
Tomás de Perrate, María Marín, Performer
Isaías Griñolo, Video
Video von einem Konzert im Rahmen der
Bergen Assembly 2019, 9:45’

                                                                                              21
In den späten 1970er-Jahren unternahm Guy Debord zahlreiche Reisen auf der Iberischen
Halbinsel. In Spanien und Frankreich stand er in Kontakt mit Gruppierungen der
Autonomiebewegung. Vor diesem Hintergrund beschloss er, ein Liederbuch über das zu verfassen,
was er euphemistisch "spanische Neodemokratie" nannte. Debord dachte an die Lieder des
Spanischen Bürgerkriegs, die er auswendig kannte, an die von Federico García Lorca
zusammengestellten und von La Argentinita gesungenen Volkslieder sowiedie in Paris lebenden
spanischen, lateinamerikanischen und europäischen Liedermacher*innen. Bereits 1968 hatte
Debord eine französische Version des populären Liedes ¡Ay Carmela! verfasst, das er dem
Gedenken an die stalinistische Unterdrückung der CNT und POUM auf den Straßen von Barcelona
im Mai 1937 widmete. Debord veröffentlichte 1981 eine erste Liedersammlung unter dem Titel
Canciones de la Guerra Social Contemporánea (Lieder des zeitgenössischen sozialen Krieges) und
schrieb die Autorenschaft Unos Iconoclastas, einer Gruppe aus der Autonomiebewegung, zu.
Canciones de la Guerra Social Contemporánea ist ein Projekt von Pedro G. Romero, das sich der
Rekonstruktion und Verbreitung des von Debord unter diesem Titel zusammengestellten
Liederbuchs widmet. Siebenundzwanzig Lieder wurden bislang auf unterschiedliche Weise neu
interpretiert.

Pedro G. Romero und María García Ruiz

Machines For Living (Wohnmaschinen), 2018
Mehrteilige Installation mit Modellen, Plänen, Fotos und Videos diverser Stadtentwicklungsprojekte
Modelle von MedioMundo Arquitectura

Ausstellungsansicht CentroCentro, Madrid, 2017, Foto: Lukasz Michalak

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Homes for a Gypsy Community von César Portela und Pascuala Campos, 1970-72, Campañó,
Pontevedra, Spanien

Foto: Anna Turbau

Motor dieses Wohnprojektes war die Idee, die Gemeinschaft der Rom*nja in die Landschaft zu
integrieren, basierend auf der Metapher der Karawane und des Kornspeichers. Pilotis, die Säulen,
die in der modernistischen Architektur so häufig zu finden sind, wurden verwendet, um die Häuser
vom feuchten Boden zu isolieren und eine vielseitige Nutzung zu ermöglichen, mit Gehegen für die
Tiere in den unteren und trocknen Lagerräumen im oberen Teil des Hauses. Methodisch sollte der
Grundriss kreisförmig und auf die Schule und andere öffentliche Räume, die nie gebaut wurden,
ausgerichtet sein. Die Struktur der Anlage war den Veränderungen, die jede lebendige Wohnkultur
mit sich bringt, auf Dauer nicht gewachsen. Heute ist sie ein marginalisierter Ort, der von
Kriminalität und Drogenhandel dominiert ist.

Quinta da Malagueira von Álvaro Siza, 1977-1988, Évora, Portugal
Álvaro Sizas Projekt zielte darauf ab, einen Teil der portugiesischen Stadt Malagueira, der zu jener
Zeit hauptsächlich eine Mülldeponie und das Zuhause wechselnder Rom*nja-Gemeinschaften war,
zu sanieren. Die Landschaft mit einem See, Wald und einigen Wiesen gab dabei die Anordnung
der Häuser vor. Der Plan sah den Bau von Reihenhäusern entlang diverser Infrastrukturen vor:
einem Kanal aus vorgefertigten Betonblöcken, mit Leitungen für Wasser und Elektrizität, der von
dem Modell des antiken römischen Aquädukts inspiriert war. Der Entwurf sah überdies kleine
Variationsmöglichkeiten in der Kombination von Innen- und Außenmauern sowie Innenhöfen in
verschiedenen Konfigurationen vor. So sollte eine gewisse Monotonie der Anlage durchbrochen
werden. Die Häuser konnten je nach Wachstum der Familien in Breite und Höhe erweitert werden.
Einige der Häuser wurden Rom*nja-Familien zugeteilt.

Cité du soleil von Georges Candilis, 1961-69, Avignon, Frankreich
Die erste Rom*nja-Stadt, die in den 1960er-Jahren in Frankreich gebaut wurde (lässt man das
Konzentrationslager Saliers, das auch als Cité de gitans bekannt war, außer Acht), basierte auf der
Form des Kreises, der auf die Gemeinschaft, die sich um das Feuer versammelt – ein Feuer, das im
öffentlichen Raum schon damals nicht mehr erlaubt war – sowie auf das Speichenrad als Symbol
der Rom*nja verweisen sollte. Alle Anstrengungen dieses Projektes konzentrierten sich auf die

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Form als primäres Mittel zur Raumdisziplinierung. Die Folge davon war eine Instabilität des Lagers,
die schließlich zu dessen Verschwinden führte.

Gao Lacho Drom von Enrique Marimón, 1969, Álava, Spanien
Inspiriert von Georges Candilis Cité du soleil wurde das Projekt Gao Lacho Drom von Enrique
Marimón in einem doppelten Ring organisiert. Wie fast alle utopischen Modelle scheiterte es, da es
die Veränderungen durch die Bewohner*innen nicht verkraftete: Schwimmbäder, die an
unerwarteten Orten geschaffen wurden, Kochen im Freien, die Haltung von Tieren in Bereichen,
die dafür nicht vorgesehen waren, erweiterter Raumbedarf durch Familienzuwachs.

La Virgencica von Cruz López Müller, Santiago de la Fuente Viqueira, Miguel Seisdedos González,
Luis Labiano Regidor de Vicuña, José Luis Aranguren Enterría y Antonio Vallejo Acevedo,1963,
Granada, Spanien
Modell von MedioMundo Arquitectura
Das Modell einer Höhle ist der Ausgangspunkt für dieses futuristische Stadtentwicklungsprojekt,
das an die Häuser der Rom*nja in den Höhlen von Sacromonte erinnert. Dies erklärt die
sechseckigen Module, die auf den kreisförmigen Grundriss und die Tiefe einer Höhle, eines Hauses
ohne Fenster, verweisen sollen. Nach den Überschwemmungen in den Jahren 1962 und 1963
wurden die Höhlen von Sacromonte als Wohnungen aufgegeben, so dass nur noch die Häuser
übrigblieben, die zur Unterhaltung dienten. Der Übersiedlung nach La Virgencica – einem Komplex
von Plattenbauten, der von Beginn an als Provisorium gedacht war – dauerte mehr als zwanzig
Jahre, in denen die Gebäude stark verfielen. Die Bienenstock-Struktur des Projektes ist typisch für
eine modernistische Stadtentwicklung, die versuchte, die Einheit und Autonomie von
Gemeinschaften durch biologistische Metaphern zu verwirklichen. La Virgencica war die Heimat
einer starken lokalen Bewegung, die sich gegen die Franco-Diktatur erhob. 1970 wurde – mit Hilfe
der HOAC (der Bruderschaft der Arbeiter der Katholischen Aktion), der Jesuiten und anderer
religiöser Organisationen – ein berühmter Baustreik organisiert, bei dem drei Arbeiter von der
Polizei des Franco-Regimes getötet wurden. Lange Zeit fungierte sie als vorübergehende
Unterkunft für Rom*nja-Familien, die auf eine Wohnung in einer der neuen Wohnsiedlungen der
Stadt warteten.

Darcy Lange und Maria Snijders
D.L.: geboren 1946 in Urenui, Neuseeland, gestorben 2005 in Auckland, Neuseeland
M.S.: geboren 1957 Tilburg, Niederlande, lebt in Auckland, Neuseeland

Aire del Mar, 1988-94/2019
Multimedia-Performance, Rekonstruktion der Arbeit
Mit freundlicher Genehmigung von Darcy Lange Estate und Maria Snijders
Produzent: Tabakalera, San Sebastian in Zusammenarbeit mit Govett Brewster Art Gallery,
Neuseeland, Darcy Lange Estate, Neuseeland; Technische Unterstützung: Tractora Koop. E;
Digitalisierung von Dias und Bildbearbeitung: Clara Sánchez-Dehesa, Jabi Soto; Digitalisierung von
Videos: Nga Taonga Sound and Vision, Wellington, Neuseeland; künstlerische Leitung: Pedro G.
Romero, Mercedes Vicente

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Der neuseeländische Künstler Darcy Lange reiste ab den 1970er Jahren häufig zum Cortijo
Espartero in Morón de la Frontera in Sevilla, um mit Diego del Gastor, dem damals bedeutendsten
Flamencogitarristen, zu arbeiten und bei ihm Flamencogitarre zu studieren. Unter dem Pseudonym
Paco Campaña trat Lange selbst bis zu seinem Tod 2005 als Flamencogitarrist auf. Er integrierte
den Flamenco überdies in zwei seiner großen Multimedia-Opern: People of the World (1983-84)
und Aire del Mar (1988-94). In der von Lange selbst so genannten audiovisuellen Umweltoper Aire
del Mar, in der Diego del Gastor und seine Leute sowie Paco Campaña auftraten, verglich er die
Kämpfe der Maori und der Rom*nja gegen die kolonialen Unterdrücker sowie im Hinblick auf die
Verteidigung der Natur miteinander. In San Sebastian, Bergen und Stuttgart wurde und wird diese
Performance als Installation und Live-Event wiederaufgeführt.

Delaine le Bas
geboren 1965 in Worthing, England, lebt und arbeitet in Worthing, England

Witch Hunt (Hexenjagd), 2009
Installation (Papier, Stoff, Stickereien, Objekte), Maße variabel
Courtesy: Stiftung Kai Dikhas, Berlin

Ausstellungansicht WKV, Foto: Florian Model

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Sprachliche Unterschiede sind in Großbritannien seit langem eine Quelle von Konflikten und
Misstrauen. Bis heute wird die Sprache der abertausenden Rom*nja, die hier leben, im offiziellen
Lehrplan nicht berücksichtigt. Im Umkehrschluss haben diejenigen, die diese Sprache nie
verstanden haben, sie für magische Zeichen und Hexerei gehalten. So wurden insbesondere die
britischen Rom*nja als Hexen bezeichnet wie Hunderte von Gerichtsverfahren und Romane
belegen. Delaine Le Bas greift diesen Kurzschluss auf und leitet daraus eine Vielzahl von
widerständigen Gesten, Zeichen und Handlungen ab. Sie richten sich gegen die Vereinnahmung
der Rom*nja als Sündenböcke in Krisenzeiten, die von den durch Pest oder Cholera verursachten
Pandemien bis zu den Wirtschaftskrisen der kolonialen und industriellen Phase des Kapitalismus
reichen; gegen Intoleranz, Vertreibung, Wohnungslosigkeit, mangelnde soziale Unterstützung,
Verzerrung der Geschichte und Identität der Rom*nja.

Ocaña y sus muchachas flamencas

Jornadas Libertarias Internacionales, 1977
Dokumentation einer Intervention während des Internationalen Anarchistenkongresses Jornadas
Libertarias in Barcelona, Spanien, 22.-25. Juli 1977
Digitale Diashow mit Fotografien von Eduard Omedes

Der 1977 von der Confederación Nacional del Trabajo (CNT) in Barcelona organisierte
Internationale Anarchistenkongress, zielte darauf ab, die anarchistische Tradition in Verbindung mit
den neuen libertären Denkrichtungen zu bringen. Die Zeitschrift Ajoblanco, die über den Kongress
berichtete, veröffentlichte einen Artikel, in dem die völlige Freiheit der sexuellen Praktiken
gefordert wurde. Als Zusatz zum offiziellen Programm improvisierten Ocaña und sein Ballett eine
Abschlussparty, die Fandangos und Fellatio, Sevillana-Tanz und Sexrausch, parodistische
Kundgebungen und öffentliches Urinieren umfasste. Der nationale Vorstand der CNT beschwerte
sich über diese Aktion, aber die Organisatoren drohten mit Rücktritt, wenn diese Vorführungen
nicht am Ende jedes abends fortgesetzt würden. Das Ausmaß des Skandals veranlasste Ocaña
dazu, den Begriff „Libertataria“ zu prägen. Er war der Ansicht, dass Geschlechterdebatten von
zentraler politischer Bedeutung seien, und bestand darauf, sein eigenes, anzügliches Vokabular
durchzusetzen: Schwuchtel statt Schwuler, Transvestit statt Drag Queen, Hure und Stricher statt

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Prostituierte und Gigolo. Ocaña y sus muchachas flamencas war der improvisierte Name für die
Aufführungen von Pepe Ocaña, Nazario, Camilo und anderen Freunden.

Otto Pankok
geboren 1893 in Mühlheim an der Ruhr, Deutschland, gestorben 1966 in Wesel, Deutschland

Diverse Kohlezeichnungen
Courtesy (alle): Pankok Museum Haus Esselt, Hünxe

Gaisa von Auschwitz zurück, 1948

Roda steckt Zigarre an, 1929                        Pataran raucht, 1929
Kohlezeichnung, 120 x 100 cm                        Kohlezeichnung, 150 x 100 cm

Roda mit Hut, 1929                                  Zigeunerbursche Kartusch, 1931
Kohlezeichnung, 117 x 100 cm                        Kohlezeichnung, 100 x 120 cm

Pataran mit offenem Mund, 1929                      Zigeunerin, 1931
Kohlezeichnung, 118 x 100 cm                        Kohlezeichnung, 108 x 100 cm

Patum, 1929                                         Zigeuner, 1931
Kohlezeichnung, 120 x 100 cm                        Kohlezeichnung, 118 x 89 cm

Tomasa Büste, 1929                                  Zigeuner Bubala, 1931
Kohlezeichnung, 100 x 120 cm                        Kohlezeichnung, 120 x 100 cm

Patum mit losem Haar, 1929                          Junger Zigeuner Kartusch, 1931
Kohlezeichnung, 100 x 117 cm                        Kohlezeichnung, 120 x 100 cm

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Raklo liest, 1933                                     Gaisa von Auschwitz zurück, 1948,
Kohlezeichnung, 100 x 120 cm                          Kohlezeichnung,100 x 120 cm

Fisili, 1933
Kohlezeichnung, 100 x 118 cm

Der expressionistische Künstler Otto Pankok, der sich 1919 in Düsseldorf niederließ, trat noch im
selben Jahr der Künstler*innengruppe Junges Rheinland bei. Insgesamt 56 seiner Gemälde sollen
später von den Nationalsozialist*innen aus deutschlandweiten Museen beschlagnahmt und einige
davon 1937 in der Ausstellung Entartetet Kunst in München gezeigt werden.
1929 unternahm der Künstler eine Reise nach Spanien, um sich von den Schrecken des ersten
Weltkriegs zu erholen. Etwa die Hälfte der Werke Pankoks, die hier zu sehen sind, entstanden
während dieser Zeit. Die Eindrücke aus dem Museum Prado mit seinen Meisterwerken von
Francisco de Goya und Diego Velázquez haben sich in diese ebenso eingeschrieben wie die
Lebensweisen der Landarbeiter*innen und katalanischen Bauern und Bäuerinnen aus dem
Empordà. Zurück in Deutschland freundete sich Pankok zwei Jahre später mit den Sinti*zze an, die
in der sogenannten „wilden Siedlung“ Heinefeld (heute Unterrath) in Düsseldorf lebten. Seit 1925
hatte sich auf dem Gebiet der Golzheimer Heide diese informelle Siedlung etabliert, in der
Wohnungs- und Arbeitslose, Künstler*innen sowie Sinti*zze-Familien lebten. Pankok hatte hier von
1931 bis 1934 ein Atelier, wodurch er die Sinti*zze kennenlernte. Die Siedlung wurde ab 1935 von
den Nationalsozialist*innen geräumt, die auf dem Gelände im Rahmen der Ausstellung
Schaffendes Volk (1937) ein neues Stadtviertel, die Schlageterstadt, errichteten – unter anderem mit
Musterwohnungen, die die Vorstellungen der Faschist*innen vom „neuen Bauen“ repräsentierten.
Die Sinti*zze-Familien wurden zunächst in einer Baracken-Siedlung isoliert und später in
verschiedene Konzentrationslager gebracht. Nur wenige überlebten den Holocaust. Nach dem
Zweiten Weltkrieg nahm Pankok Kontakt zu ihnen auf und unterstützte sie in ihrem Kampf um
Entschädigung. Die andere Hälfte der hier von Pankok gezeigten Werke spiegeln seine
Verbundenheit zu den Sinti*zze wider.

PEROU / Sébastien Thiéry
PEROU – Pôle d’Exploration des ressources urbaines (Cluster zur Erforschung städtischer
Ressourcen)

Considérant … (In Anbetracht dessen… ), 2013
Video, 28’35”
Regie: Sébastien Thiéry, Stimme: Yves-Noël Genod

PEROU ist ein Kollektiv, das sich mit Prozessen urbaner Ausgrenzung beschäftigt. Das Video
Considérant dokumentiert den Prozess, das Gelingen und die Zerstörung eines Projektes in einer
Rom*nja-Siedlung in Ris-Orangis nahe Paris an dem Rom*nja, Einheimische, Künstler*innen,
Architekt*innen, Student*innen und andere beteiligt waren. Gemeinsam hatten sie die Siedlung
saniert, eine Versammlungsstätte errichtet, gearbeitet und Feste gefeiert: unter anderem mit dem
Flamencotänzer Israel Galván. Auf der Bildebene wird dieser Prozess – bis zum brutalen Abriss der
Siedlung durch die Polizei – nachgezeichnet. Auf der Tonebene wird der Brief vorgelesen, den die

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