Sichere Energieversorgung als Ziel - Bundesamt für Energie

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Sichere Energieversorgung als Ziel - Bundesamt für Energie
Newsletter des Bundesamtes für Energie BFE
                                                                Nummer 3 | Mai 2015

Sicherheit

Sichere Energieversorgung als Ziel
Interview
Werner Meier über die wirtschaftliche Landesversorgung bei Energiekrisen

Marktkoppelung
Europäischer Strommarkt der Zukunft

Risiko Sicherheit
Sichere Energieversorgung als Ziel - Bundesamt für Energie
Sichere Energieversorgung als Ziel - Bundesamt für Energie
Editorial

                                                                                                                   Sicherheit und
                                                                                                                  ­Wirtschaftlichkeit
                                                                                                                   sind vereinbar
Editorial1                                                                                                       Es sind wirtschaftlich schwierige Zeiten für viele Energieversorger,
Interview
                                                                                                                  wie BKW-CEO Suzanne Thoma erklärt (S. 11). Im Spannungsfeld von
Werner Meier von der landwirtschaftlichen                                                                         Wirtschaftlichkeit versus Sicherheit wird entschieden, welches Mass
Landesversorgung über Energiemangel                                                                        2     an Sicherheitsmassnahmen erforderlich ist. Dabei besteht die Gefahr,
Selbstlernende Systeme
                                                                                                                  kurzfristige Minimallösungen zu favorisieren und andere sicherheits-
Vertraglich gesichert Energie sparen                                                                       4     relevante Faktoren angesichts der hohen Investitionskosten weniger
                                                                                                                  stark zu berücksichtigen.
St illlegung
Kernkraftwerk Mühleberg vor dem Aus                                                                        6
                                                                                                                  Die zentrale Frage bleibt: Wie viel Sicherheit brauchen wir? Und wel-
Gesetzeslage
                                                                                                                  chen Preis sind wir bereit dafür zu zahlen? Gerade in wirtschaftlich
Wer haftet für Kernkraftwerke?                                                                             7
                                                                                                                  schwierigen Zeiten wie diesen dürfen wir die Bedeutung von Begriffen
Eidgenössisches Nuklearinspektorat
                                                                                                                  wie «Sicherheitszuschlag» (S. 7) nicht lockern. Behörden sind aller-
Über 350 Inspektionen im Jahr                                                                              8
                                                                                                                  dings gesetzlich angehalten, die Verhältnismässigkeit von Massnah-
Kilometerlanges Netz                                                                                              men zu prüfen. Als Aufsichtsorgan haben wir daher auch die Pflicht,
Aufsicht über Rohrleitungen                                                                                9
                                                                                                                  innerhalb dieses Ermessensspielraums einen vernünftigen Weg einzu-
Verkehrssicherheit                                                                                                schlagen und Risiken gegen Sicherheitsgewinne abzuwägen.
Unterwegs mit dem E-Bike	                                                                               10
Poi nt d e v u e d ’e x p e r t                                                                                   Wirtschaftlichkeit ist meiner Ansicht nach durchaus vereinbar mit
Suzanne Thoma über die Herausforderungen                                                                          einem hohen Mass an Sicherheit: Beispielsweise ist nur eine siche-
der Energiebranche                                                                                      11       re Anlage bzw. ein sicherer Betrieb einer Anlage letztlich auch eine
Forschung und Innovation                                                                                          ­wirtschaftliche Anlage. Die Investitionskosten für die Sicherheit mö-
Market Coupling	                                                                                        12        gen für viele Unternehmen kurzfristig hoch sein. Aber auf lange Sicht
Wissen                                                                                                             sind sie weitaus geringer als jene Kosten, die für das Unternehmen bei
Adaptives Lenkungssystem von Zügen                                                                      14        einem vermeidbaren Unfall aufgrund mangelnder Sicherheitsinvesti­
Kurz gemeldet	                                                                                          15        tionen anfallen würden. Bei Kernkraftwerken beispielsweise haften in
Aus der Redaktion                                                                                        17       erster Linie die Betreiber. Wird die Situation für diese wirtschaftlich
                                                                                                                   untragbar, kann der Bund jedoch über eine Kostenbeteiligung ent-
Impressum                                                                                                          scheiden (S. 7).
energeia – Newsletter des Bundesamts für Energie BFE
Erscheint 6-mal jährlich in deutscher und französischer Ausgabe.                                                  Versorgungssicherheit bleibt ein wichtiges Thema – auch für das
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                                                                                                                  Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL). Wie sich
Postanschrift: Bundesamt für Energie BFE, 3003 Bern
Tel. 058 462 56 11 Fax 058 463 25 00 energeia@bfe.admin.ch                                                        die Schweiz gegen anhaltende Energieengpässe wappnet, erklärt
Chefredaktion: Angela Brunner (bra), Marianne Zünd (zum)                                                          Werner Meier, Bereichschef Energie beim BWL, im Interview (S. 2).
Redaktion: Fabien Lüthi (luf), Cédric Thuner (thc), Basil Weingartner (bwg)                                       Wirtschaftlichkeit und Sicherheit stehen auch für ihn nicht miteinan-
Layout und Druck: Stämpfli AG, Wölflistrasse 1, 3001 Bern, www.staempfli.com                                      der im Widerspruch.
Blog: www.energeiaplus.com
Twitter: www.twitter.com/@energeia_plus
Online-Archiv: www.bfe.admin.ch/energeia                                                                          Marc Kenzelmann,
Agenda: www.bfe.admin.ch/kalender                                                                                 Vizedirektor und Leiter Aufsicht und Sicherheit
Informations- und Beratungsplattform: www.energieschweiz.ch

Quellen des Bildmaterials
Titelseite: Fotalia
                                                                                        PERFOR MANCE
S. 2–3: BFE; S. 4–5: Shutterstock; S. 6: BKW AG; S. 8: Axpo;
S. 9: Transitgas; S. 10: NewRide.ch; S. 11: BKW AG;                                            neutral
S. 12–13: Stämpfli AG; S. 14: Infel;                                                        Drucksache
S. 15: Regio Energie Solothurn, Jean Revillard/Rezo.ch;        No. 01-15-485876 – www.myclimate.org
                                                               © myclimate – The Climate Protection Partnership
S. 16: BFE, Shutterstock; S. 17: BFE.

1
Sichere Energieversorgung als Ziel - Bundesamt für Energie
Interview mit Werner Meier

«Der Bund befähigt die Wirtschaft,
möglichst lange zu funktionieren»
Werner Meier, Bereichschef Energie der wirtschaftlichen Landesversorgung, engagiert sich dafür,
dass die Schweiz für anhaltende Energieengpässe gut gerüstet ist.

Herr Meier, warum arbeiten Sie als Leiter         Problem schon da ist. Die Freiwilligkeit funk­   ebenfalls periodische Stromabschaltungen
Energie beim Bundesamt für wirtschaftliche        tioniert zwar gut, aber künftig möchten wir      vorgesehen.
Landesversorgung (BWL)?                           rascher eingreifen können. Das Leben ist
Als Vertreter der Energiewirtschaft ist es für    vernetzter geworden. Ohne Energie läuft          Wie funktioniert das?
mich eine interessante Aufgabe in Zusam-          fast nichts mehr. Wir beobachten daher die       Die Ostral setzt mit den rund 780 Energieun-
menarbeit mit dem Staat, die Widerstands-         Energiemärkte bzw. Entwicklungen betref-         ternehmen die Massnahmen um. Dabei ist
fähigkeit der kritischen Infrastruktur zu         fend Strom, Gas, Erdöl, Holz und Wasser,         die Schweiz in vier Regionen aufgeteilt. Ziel
stärken, damit die Wirtschaft anhaltende          um mögliche Mangellagen frühzeitig zu            ist es, dass es in der Schweiz nie ganz dunkel
Mangellagen möglichst unbeschadet über-           erkennen.                                        wird, aber die Regionen abwechselnd für eine
stehen kann. Hierfür bereiten wir mögliche                                                         bestimmte Anzahl Stunden ohne Strom aus-
Massnahmen vor, um eine ausreichende Ener-        Angenommen, es kommt zu einem anhalten-          kommen können. Dann gibt das Departement
gieversorgung zu gewährleisten, auch wenn         den Stromengpass. Wie gehen Sie vor?             die Pflichtlager frei. Während dreier Monate
die Ressourcen knapp werden. Bei Alpiq bin        Die Wirtschaft ist für Sondermassnahmen          können wir mit den vorhandenen Reserven
ich Leiter der Konzernsicherheit, das passt gut   zu legitimieren. Hierfür haben wir eine ent-     eine Vollversorgung sicherstellen, danach
zusammen.                                         sprechende Verordnung vorbereitet, z. B. für     eine eingeschränkte Versorgung. Im Gasbe-

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen
im Energiebereich bei einem solchen Engpass?      «Bei Mangellagen wird der Markt praktisch ausser Kraft gesetzt. Damit dies
Die grösste Herausforderung besteht bei           möglich ist, muss der Bundesrat dies zuerst mit einer Verordnung beschliessen.»
leitungs­gebundenen Energien. Strom etwa
kann man nicht lagern. In diesem Geschäft
kommt es auf Millisekunden an: Angebot            den Fall, dass in Europa 30 oder 50 Prozent      reich sind wir dabei, eine Ostral-ähnliche Or-
und Nachfrage müssen stets stimmen, selbst        weniger Strom verfügbar ist. Ostral, die         ganisation aufzubauen. Für Holzenergie sind
wenn die verfügbare Energiemenge plötzlich        Umsetzungsorganisation vom Branchenver-          Forstverbände zuständig, um das Holz im
abnimmt. Nur dann wird das Netz nicht zu-         band VSE, würde aktiv werden. Angebotssei-       Notfall für die Energiegewinnung möglichst
sammenbrechen. Bei Gas hingegen hat das           tig etwa wird man die Bewirtschaftung der        schnell aus dem Wald zu bringen.
Netz gewisse Puffermöglichkeiten. Für Die-        Speicherseen im Krisenfall zentralisieren.
sel, Benzin und Heizöl gibt es Pflichtlager.      Verbrauchsseitig wird man zum Stromspa-          Gibt es Beispiele für ein gelungenes Krisen-
D. h., die Wirtschaft muss stets bestimmte        ren aufrufen und den Verbrauch allenfalls        management in dem Energiebereich?
Mengen einlagern, um sie in Mangellagen           beschränken, z. B. betreffend Saunabetrieb       Ja, während eines Streiks in Frankreich im
nutzen zu können. Das BWL setzt hier auf          oder Schaufensterbeleuchtung. Als weitere        Jahr 2010 beispielsweise mussten wir Pflicht-
Public-­private-Partnership. Die gesetzliche      Massnahme ist eine Kontingentierung mög-         lager freigeben, da die Versorgung des Flug-
Grundlage dafür bilden die Verfassung, Ar-        lich. Mit grossen Stromkonsumenten wird          hafens Genf über eine Pipeline nicht wie
tikel 102, und das Landesversorgungsgesetz.       abgestimmt, wie sie ihren Stromverbrauch         gewohnt funktionierte. 2005 mussten wir
                                                  auf 70 Prozent beschränken können. Gross-        den Umgang mit Mineralöl einschränken
Was bedeutet das?                                 bäckereien beispielsweise könnten nicht wie      aufgrund des Hurrikans Katharina. Auch im
Der Bund soll die Wirtschaft befähigen, mög-      gewohnt 25 Sorten Brot backen. Als letzte        Ausland gab es kürzlich Beispiele: Südafrika
lichst lange zu funktionieren, auch bei Wid-      Massnahme denkbar wäre ein Ausfuhrver-           beispielsweise musste wegen Trockenheit die
rigkeiten. Derzeit befasst sich das Parlament     bot, d. h., Branchenunternehmungen würde         Wasserkraftproduktion drosseln. Die Schweiz
mit der Revision des Landesversorgungsge-         man den Export blockieren. Der Markt wird        ist allerdings in der Mitte von Europa in einer
setzes, um die Präventionsmöglichkeiten           ausser Kraft gesetzt. Damit dies möglich         relativ guten Situation als Drehscheibe des
in dem Bereich auszubauen. Heute können           ist, muss der Bundesrat zuerst die Verord-       Stromnetzes. Wir sind jedoch gut beraten,
wir im Grunde erst aktiv werden, wenn das         nung in Kraft setzen. Darin sind bei Bedarf      für den Fall des Falles vorzusorgen.

                                                                                                                                                2
Sichere Energieversorgung als Ziel - Bundesamt für Energie
Zur Person
                                                                                                     Werner Meier leitet seit 2013 den Bereich Ener-
                                                                                                     gie der wirtschaftlichen Landesversorgung. Bei
                                                                                                     der Alpiq AG ist er seit 2012 für die Konzern­
                                                                                                     sicherheit und das Betriebskontinuitätsma-
                                                                                                     nagement verantwortlich. Meier hat an der ETH
                                                                                                     Zürich Elektro­ingenieurwissenschaften studiert.

Wie schätzen Sie die Auswirkungen einer         Wie ist die wirtschaftliche Landesversorgung      Gibt es in Mangellagen eine Priorisierung der
Mangellage ein?                                 organisiert?                                      Energie für bestimmte Verbraucher?
Die Auswirkungen können gigantisch sein.        Sie ist eine Milizorganisation bestehend aus      Dies ist ein heikler Punkt. Sicherheitsrelevan-
Denken Sie nur an den Verkehr oder die Te-      etwa 300 Vertretern der Wirtschaft. Unterstützt   te Verbraucher müssen daher technische Vor-
lekommunikation. Daher werden viele Kri-        werden wir vom Bundesamt für wirtschaftli-        kehrungen treffen, um ihren Betrieb sicherzu-
senorganisationen aktiv werden. In einer        che Landesversorgung mit rund 35 Personen.        stellen. Spitäler beispielsweise setzen auf eine
strategischen Sicherheitsübung des Bundes       In meiner Expertengruppe arbeite ich mit ver-     eigene Notstromgruppe. Auch bei der Alpiq
wurden wir kürzlich mit dem Szenario einer      schiedenen Bundesämtern, Konsumentenver-          verfügen wir über zwei Dieselnotstromgene-
                                                                                                  ratoren, um unsere technischen Einrichtungen
                                                                                                  bei Stromausfall weiterbetreiben zu können.
«Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung setzt
auf Public-private-Partnership.»                                                                  Wie schätzen Sie neue technische Entwicklun-
                                                                                                  gen wie Smart Grids ein?
Mangelsituation konfrontiert, überlagert mit    tretern und Verbänden zusammen, damit die         Wir beobachten derartige Entwicklungen auf-
einer Pandemie. Ziel war es, die zuständigen    erforderlichen Massnahmen im Ernstfall von        merksam. Smart Grids erlauben eine feinere
Stellen zu befähigen, zusammenzuarbeiten        den Betroffenen mitgetragen werden.               Bewirtschaftung, schaffen aber auch neue
und die Folgen zu bewältigen.                                                                     Verletzlichkeiten, etwa durch die Abhängig-
                                                Wie planbar sind diese Notfallmassnahmen?         keit von Kommunikationssystemen. Alle vier
Was bringen derartige gemeinsame Sicher-        Vieles ist planbar, alles lässt sich jedoch       Jahre überprüfen wir unsere Strategie und
heitsübungen für den Ernstfall?                 nicht vorbereiten. In der Krise müssen wir        passen die Massnahmen bei Bedarf an Markt-
Grundsätzlich funktionieren sie gut. Uns geht   auch improvisieren können. Wie die Feuer-         veränderungen an. Momentan sind Smart
es darum, den operativen Dialog zu üben. Wer    wehr trainieren wir regelmässig verschiede-       Grids für uns operativ noch kein Thema. Das
redet mit wem über welche Möglichkeiten? Wie    ne Szenarien für den Ernstfall. Die Wirklich-     könnte sich jedoch bald ändern.
geht man mit den Ressourcen des Kantons und     keit wird sich dann irgendwo dazwischen
des Bundes in derartigen Situationen um?        bewegen.                                          Interview: Angela Brunner

3
Sichere Energieversorgung als Ziel - Bundesamt für Energie
Investitionssicherheit

Energiesparen als Geschäftsmodell
Sie übernehmen für ihre Kunden die energetische Gebäudesanierung und finanzieren die Investitions­
kosten vor. Dabei sichern die Energiedienstleister ihren Kunden über ein sogenanntes Einsparcontracting
eine vertraglich festgeschriebene Reduktion des Energieverbrauchs zu, von der die Kunden spätestens
nach Vertragsablauf finanziell profitieren. Das Bundesamt für Energie befürwortet dieses noch wenig
bekannte Finanzierungsinstrument.

Rund 125 000 Franken spart ein Genfer Hotel       gelangen. Als solche sieht Sidler in erster Li-     rund 140 000 kWh thermische Energie und
im Jahr seit einer aufwendigen energetischen      nie Gemeinden und öffentliche Institutionen.        5300 kWh Strom einsparen. Nach zwei Jah-
Gebäudesanierung. Durch eine solche lässt         Durch die Finanzierung über EPC müssten            ren des auf zwölf Jahre ausgelegten EPC-Ver-
sich langfristig Energie und Geld sparen; zu-     diese ihre Bilanzen nicht belasten. Dies sei ein   trags zieht Stephan Buser, Abteilungsleiter
vor muss aber erst einmal kräftig investiert      wichtiges Verkaufsargument. Private Firmen         Liegenschaft/Bau der Gemeinde Kriens, ein
werden. Dies bindet beim Bauherrn lang-           könnten dagegen oft nicht garantieren, dass        «grundsätzlich positives Zwischenfazit»:
fristig Geldmittel. Ist die Kapitaldecke dünn,    sie einen Standort auch in fünf Jahren weiter-     Er erachte diese Finanzierungslösung als
kann eine eigentlich sinnvolle Sanierung          betreiben würden, so der Siemens-Manager.          «nachhaltig und sicherer». So profitiere man
durch die hohen nicht finanzierbaren Inves-       «Eine Vertragsdauer zwischen fünf und zwölf        etwa von den Datenanalysen zum Energiever-
titionen gar gänzlich verunmöglicht werden.       Jahren ist aber notwendig.» Ansonsten rentie-      brauch und der Fernüberwachung der Anlage
                                                  ren laut Sidler jene baulichen Massnahmen          von und durch Siemens. Man sei an weite-
Um beides zu verhindern, kann ein Ener-           nicht, welche die grösste Energieeinsparung        ren EPC-Verträgen interessiert. Das Projekt
gieeinsparcontracting (siehe Kasten) zum          ermöglichen würden.                                in Emmen scheiterte dagegen an einem zu
Einsatz kommen, so auch bei der erwähnten                                                            ­geringen Sanierungsvolumen. «Dieses sollte
Sanierung des Starling Hotels in Genf. Die-       Die langen Laufzeiten bergen für die EPC-           mindestens 200 000 Franken betragen», sagt
ses zählt mit rund 500 Zimmern zu einem           Anbieter aber ein erhöhtes Risiko: In Zeiten        Hansjörg Sidler. Deshalb ist das EPC für das
der grössten Hotels der Schweiz. Ansonsten        volatiler Energiepreise drohen kostspieli-          Kleingewerbe oder private Bauherren meist
werden Einsparcontractings (EPC) hierzulan-       ge Fehlkalkulationen. Diese Gefahr ist laut         keine Option.
de aber noch kaum angewendet. Als eine der        ­BKW-Mediensprecherin Murielle Clerc einer
Ursachen für den marginalen Anteil der EPC         der Gründe, weshalb ihre Firma kein EPC           Pioniere aus der Romandie
unter den Finanzierungsmodellen für ener-          anbiete. Dieses Risiko werde auch durch den       Der EPC-Vertrag zwischen den Services In-
getische Sanierungen wird die im internatio-       aus EPC-Geschäften resultierenden Vorteil         dustriels de Genève (SIG), EPC-Pioniere der
nalen Vergleich bereits überdurchschnittlich       der Kundenbindung nicht aufgewogen. Auch          Schweiz, und dem Starling Hotel zeigt aber,
hohe Energieeffizienz von Schweizer Gebäu-         andere grosse Energiekonzerne zeigen sich         dass das Instrument durchaus in der Wirt-
den vermutet. Denn je geringer die potenzielle     in Sachen EPC zurückhaltend. Axpo-Medien-         schaft zum Einsatz kommen kann. Für seine
Energieersparnis bei einer Sanierung ist, des-     sprecherin Daniela Zivadinovic sagt auf An-       Bemühungen, gemeinsam mit den Kunden
to unrentabler ist ein EPC. Hansjörg Sidler ist    frage, man habe den Geschäftsbereich Con-         aktiv Energie einzusparen, wurde der staat-
gleichwohl überzeugt, dass das EPC auch in         tracting im vergangenen Jahr verkauft; er habe    liche Energiekonzern 2013 mit dem Watt d’Or
der Schweiz eine Zukunft hat. Der Verkaufsdi-      nicht zum Kerngeschäft gehört. Gesamthaft         des Bundesamtes für Energie (BFE) ausge-
rektor für Energie- und Umweltdienstleistun-       ist derzeit nur rund eine gute Handvoll Ener-     zeichnet. Gemäss Mediensprecherin Véro-
gen der Siemens Schweiz AG hat in Deutsch-         gieanbieter auf dem Schweizer EPC-Markt           nique Tanerg Henneberg hat das Energieun-
land und Österreich bereits mehrere EPC            tätig.                                            ternehmen bereits 13 weitere EPC-Vorverträge
umgesetzt. Nun bietet Siemens das aus dem                                                            mit anderen Firmen abgeschlossen – neben
angelsächsischen Raum stammende Finan-            Um Kunden zu gewinnen, schrieb Siemens vor         weiteren Hotels sind auch Industrie- und Pro-
zierungsinstrument auch in der Schweiz an.        einigen Jahren mehrere Luzerner Gemeinden          duktionsbetriebe darunter.
                                                  an. Doch nur in Emmen und in Kriens konn-
Lange Laufzeiten erhöhen Erfolg                   te das Unternehmen Verträge abschliessen.          Gemäss Armin Eberle, Geschäftsführer der
«Von einem rentablen Geschäftszweig kann          In Kriens wurde in einem Schulhaus die Hei-        Energieagentur der Wirtschaft (EnaW), ist
man zurzeit sicher noch nicht sprechen», sagt     zung inklusive der Steuerung ersetzt und in        das Einsatzgebiet von EPC aber im Bereich
Sidler. So sei bereits ein «enormer Aufwand»      der dazugehörenden Turnhalle die Lüftung           der Wirtschaft beschränkt. «Für schlecht ka-
nötig, um überhaupt an potenzielle Kunden zu      saniert. Die Gemeinde soll dadurch jährlich        pitalisierte Firmen kommt ein EPC meist nicht

                                                                                                                                                4
Sichere Energieversorgung als Ziel - Bundesamt für Energie
infrage, da die Risikoanalyse der Contracting-   aktuell durch das unbekannte und komplexe       So funktioniert
firmen negativ ausfällt.» Bei Firmen mit guter   Thema oft überfordert. Weiss Di Spirito sagt    Energieeinsparcontracting
Eigenkapitaldecke stehe dagegen meist eine       dazu, dass das BFE aktuell keine derartigen
                                                                                                 Im Rahmen eines Energieeinsparcontractings
Eigenfinanzierung im Vordergrund. Gleich-        Richtlinien plane. «Doch falls die Branche
                                                                                                 (EPC) übernimmt eine externe Firma die Planung
wohl sieht er im EPC ein probates Mittel, um     nach solchen verlangt, würden wir sicher un-
                                                                                                 und Ausführung einer energetischen Gebäude­
Energiesparmassnahmen zu finanzieren. EPC        terstützend wirken.»
                                                                                                 sanierung. Dabei sichert sie ihrem Kunden, dem
sei in der Schweiz allerdings noch zu wenig
                                                                                                 eigentlichen Bauherrn, während einer bestimm-
bekannt.                                         «Ein häufigerer Einsatz von EPC würde mit-
                                                                                                 ten Laufzeit vertraglich eine definierte jährliche
                                                 helfen, Investitionen in Energieeffizienz zu
                                                                                                 Energieersparnis zu. Wird diese nicht erreicht,
«Dies wollen wir ändern», sagt Gabriela Weiss    finanzieren, um dadurch den Energiever-
                                                                                                 verpflichtet sich die Contractingfirma, die Diffe-
Di Spirito vom BFE. Noch seien bezüglich         brauch zu senken», sagt Weiss Di Spirito. Ge-
                                                                                                 renz finanziell zu begleichen. Wird das Energie-
EPC einige Sachverhalte zu klären, so Weiss      mäss der Energiestrategie des Bundes soll der
                                                                                                 sparziel dagegen übertroffen, teilen sich Kunde
Di Spirito. Aufgrund mangelnder Referenz-        Energieverbrauch pro Kopf bis ins Jahr 2050
                                                                                                 und Contracter den resultierenden Gewinn meist
projekte fehlen bisher etwa Richtlinien, wie     halbiert werden. In Bezug auf den Effekt des
                                                                                                 auf. Teil eines EPC kann auch ein fest definierter
man EPC mit einem grösseren Auftragsvolu-        EPC dämpft Weiss Di Spirito aber zu hohe Er-
                                                                                                 Strompreis sein.
men WTO-konform ausschreibt. Siemens-Ma-         wartungen: «Auch wenn EPC künftig häufiger
                                                                                                 Während der Laufzeit des Contractings zahlt der
nager Sidler würde deshalb das Erstellen von     zum Einsatz kommt, wird es eine von vielen
                                                                                                 Kunde die Kosten für Umbau und Unterhalt der
EPC-Leitfäden begrüssen. Die meisten Ge-         Massnahmen bleiben, die zum Erreichen der
                                                                                                 Anlage ab. Dieser wird in der Regel von einem
meinden ohne eigene Fachspezialisten seien       Energieziele 2050 nötig sind.»  (bwg)
                                                                                                 Finanzdienstleister vorfinanziert. Üblicherweise
                                                                                                 sind die beim Kunden anfallenden Kosten tiefer
                                                                                                 als die monetäre Einsparung, die er durch den
                                                                                                 reduzierten Energieverbrauch bereits während
                                                                                                 der Laufzeit des EPC-Vertrags erzielt. Im ange-
                                                                                                 strebten Idealfall profitieren also sowohl der
                                                                                                 Kunde als auch der Anbieter vom EPC.

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Sichere Energieversorgung als Ziel - Bundesamt für Energie
Stilllegung                                                                                       2019

Abbruch von Kernkraftwerk                                                                         Endgültige
                                                                                                  Ausser­betriebnahme

Mühleberg ­geplant
2019 geht das Kernkraftwerk Mühleberg freiwillig vom Netz – für immer.
Die Stilllegung wird voraussichtlich 15 Jahre dauern. Was die nächsten
Schritte sind, erklärten die Betreiberin BKW, das BFE und das ENSI der
lokalen Bevölkerung an drei gut besuchten Informationsanlässen.                                   2020 – 2024

                                                                                                  Entladung Reaktor
Das Kernkraftwerk Mühleberg ist das erste        ins zentrale Zwischenlager in Würenlingen
kommerzielle Kernkraftwerk der Schweiz,          erfolgen bereits heute regelmässig. Sicherge-
das 2019 stillgelegt wird – nach 47 Betriebs­    stellt sei auch die Finanzierung der geschätz-
jahren. Die BKW entschied sich gegen eine        ten Stilllegungskosten von 800 Millionen
«Einmottung» des Kernkraftwerks während          Franken, und zwar durch Rückstellungen der
mindestens 50 Jahren und für einen di­rekten     BKW und durch Einzahlungen in den Still-
Rückbau. So soll die Fläche ab 2034 neu ver-     legungsfonds (siehe S. 7). Bis Ende Jahr will
wendbar sein. Über 1000 Personen nutzten         die Betreiberin ihr Stilllegungsprojekt beim
im März die drei Infoanlässe in der Region       BFE einreichen. Das ENSI wird diese Unterla-     ~ 2024
Mühleberg, um sich aus erster Hand über          gen danach sicherheitstechnisch prüfen, wie
die Stilllegung zu informieren. In der Aula      ENSI-Direktor Hans Wanner ausführt.              Abtransport
Allenlüften war der Andrang so gross, dass                                                        Brennelemente
ein Teil der Gäste die Veranstaltung via Live-   Hohe Sicherheitsstandards                        abgeschlossen
schaltung in einem Zelt vor dem Schulhaus        Viele der Anwesenden nutzten anschliessend
verfolgen musste.                                die Chance, ihre Sorgen zu äussern und Fra-
                                                 gen zu stellen. Warum das Kernkraftwerk
200 000 Tonnen Baumaterial                       Mühleberg erst 2019 abgestellt werde, wollte
BFE-Direktor Walter Steinmann erläuterte         jemand wissen. Um eine geordnete Stilllegung
zu Beginn das rechtliche Verfahren – von der     nach hohem Sicherheitsstandard zu ermögli-
Ausserbetriebnahme bis zur grünen Wiese.         chen, kam sogleich die Antwort. Eine weite-      bis 2030
Anschliessend erklärte BKW-CEO Suzan-            re Frage, die viele Gäste beschäftigte, wurde
ne Thoma, wie man sich dies in der Praxis        ebenfalls intensiv diskutiert: Wird die BKW      Rückbau nuklearer
­vorstellen muss (siehe Video auf http://www.    weiter in die Sicherheit des Kernkraftwerks      Anlageteile
 bkw.ch/stilllegung): Rund 200 Mitarbeitende     Mühleberg investieren, wenn das Betriebsen-
 werden in den nächsten 15 Jahren im Schnitt     de schon absehbar ist? «Ich baue ja auch kei-
 die Anlage zurückbauen. «Für die Anwohner       ne neue Kuppelung mehr ein, wenn ich mein
 hat die Stilllegung kaum Auswirkungen auf       Auto verschrotten will», veranschaulichte
 den Alltag», sagt Suzanne Thoma. Zwischen       ein Fragesteller. Suzanne Thoma ver­sicherte
 2021 und 2024 rechnet sie beispielsweise mit    jedoch, dass die Sicherheitsstandards unver-
 rund 30 Transporten von radioaktiven Ab-        ändert hoch bleiben würden – im Interesse
 fällen pro Jahr. 2031 soll der konventionelle   aller Beteiligten.                               ab 2034
 Rückbau der Anlage starten. Dabei werden
 rund 200 000 Tonnen Baumaterial anfallen.       Das Kernkraftwerk Mühleberg liefert heute        Neue Nutzung des Areals
                                                 Strom für rund 400 000 Haushalte. Viel zu re-
«Abgesehen vom Rückbau des Kernkraft-            den gab an dem Abend daher auch, wie man
werks haben wir in allen erforderlichen Tä-      diesen Strombedarf nach der Ausserbetrieb-
tigkeiten schon Erfahrung», beruhigt sie. So     nahme decken soll. Für Suzanne Thoma und
werden Brennelemente jedes Jahr zu Beginn        die übrigen Referenten ist der Weg klar: durch
der Revision in ein Kühlbecken transferiert.     Importe und die schrittweise Umsetzung der
Auch Transporte ausgedienter Brennelemente       Energiestrategie 2050.  (bra)

                                                                                                                            6
Sichere Energieversorgung als Ziel - Bundesamt für Energie
Hintergrund

Wer haftet für Kernkraftwerke?
Die Betreiber von Kernkraftwerken sind für deren Sicherheit verantwortlich. Gesetzlich sind die Verantwort-
lichkeiten im Schadensfall klar geregelt. Zudem müssen die Betreiber laufend in spezielle Fonds einzahlen,
um Stilllegungs- und Entsorgungsarbeiten zu finanzieren.

Der Inhaber eines Kernkraftwerks haftet un-     Derartige Lösungen würden in der Schweiz         So sind allfällige Mehrkosten gegenüber der
beschränkt für nukleare Schäden, so schreibt    im Vergleich zur geltenden Versicherungs-        Kostenstudie durch die Betreiber zu decken.
es das Kernenergiehaftpflichtgesetz (KHG)       lösung, wenn überhaupt, nur einen geringen       Falls die Nachschüsse für die Beitragspflich-
seit über 30 Jahren vor. Die Versicherungs-     Mehrwert bringen, führt Plaschy aus.             tigen wirtschaftlich untragbar sind, kann der
deckung beträgt zurzeit eine Milliarde Fran-                                                     Bund entscheiden, ob er sich an den Kosten
ken. «Der Betreiber haftet mit seinem ganzen    Stilllegungs- und Entsorgungsfonds               beteiligen will.  (bra)
Vermögen für nukleare Schäden. Erst wenn        In der Schweiz dürfen die Kernkraftwerke so
kein sogenanntes Haftungssubstrat mehr          lange laufen, wie das Eidgenössische Nukle-
da ist, also die Versicherungssumme und         arsicherheitsinspektorat (ENSI) deren Betrieb
das Betreibervermögen aufgebraucht sind,        als sicher einstuft (siehe Seite 8). Das Kern-
entscheidet das Parlament, ob es zusätzli-      kraftwerk Mühleberg geht 2019 freiwillig vom
che Mittel sprechen will», erklärt Christian    Netz. Die Betreiberin BKW hat der lokalen
Plaschy, Fachspezialist für Kernenergierecht    Bevölkerung kürzlich ihr Stilllegungsprojekt
beim BFE.                                       vorgestellt (siehe S. 6). Finanziert wird das
                                                Vorhaben u. a. durch eigene Rückstellungen
Hoher Standard in der Schweiz                   und den Stilllegungs- und Entsorgungsfonds,
Mit dem 2008 totalrevidierten, aber noch        welcher 1984 bzw. 2000 gegründet wurde. Die
nicht in Kraft gesetzten KHG soll die Versi-    Betreiber der fünf Schweizer Kernkraftwerke
cherungsdeckung künftig auf 1,2 Milliarden      zahlen laufend in diese beiden Fonds ein. Die
Euro steigen. Es ist zudem vorgesehen, dass     Fonds sollen zusammen rund 11,4 Milliarden
die Vertragsparteien des Brüsseler Zusatz-      Franken sicherstellen.
übereinkommens im Schadensfall weitere
300 Millionen Euro bereitstellen. Diese Neu-    Der Stilllegungsfonds dient dazu, die Still-
erungen werden laut Plaschy jedoch frühstens    legungs- und Abbruchkosten der Schweizer
2016 in Kraft treten, wenn genügend Vertrags-   Kernkraftwerke und des Zwischenlagers Zwi-
staaten die internationalen Abkommen von        lag in Würenlingen von schätzungsweise rund
Paris und Brüssel ratifiziert haben.            drei Milliarden Franken zu decken (Fondska-
                                                pital Ende 2014: CHF 1,951 Mrd.).
Mit der höheren Versicherungsdeckung lassen
sich laut Plaschy die zu erwartenden Schäden    Der Entsorgungsfonds kommt für die Kos-             Höhere Beiträge und
von geringfügigen nuklearen Störfällen ab-      ten der Entsorgung von Betriebsabfällen und         bessere Aufsicht
decken. Klar ist für ihn aber auch, dass die    Brennelementen auf, nachdem die Kernkraft-          Seit Anfang 2015 sollen die Betreiber von Kern-
Kostenfolgen eines Ereignisses wie Tscherno­    anlage nicht mehr in Betrieb ist (Fondskapi-        kraftwerken höhere jährliche Beiträge leisten,
byl oder Fukushima die Höhe der Versiche-       tal Ende 2014: CHF 4,114 Mrd.). Dies umfasst        weil neu ein Sicherheitszuschlag von 30 Pro-
rungsdeckung für nukleare Schäden und die       den Umgang mit radioaktiven Abfällen – vom          zent auf die berechneten Stilllegungs- und Ent-
finanziellen Möglichkeiten der Betreiber bei    Kernkraftwerk via Zwischenlager bis ins geo-        sorgungskosten angewendet wird. Der Sicher-
Weitem überschreiten würden.                    logische Tiefenlager.                               heitszuschlag trägt der heutigen Unsicherheit
                                                                                                    Rechnung betreffend die tatsächlich anfallenden
In wenigen Ländern geht die Gesetzgebung        Alle fünf Jahre werden die Stilllegungs- und        zukünftigen Kosten. Mit der laufenden Revision
in einzelnen Punkten über die Regelungen in     Entsorgungskosten im Rahmen einer Kos-              der Stilllegungs- und Entsorgungsfondsverord-
der Schweiz hinaus. In Deutschland und den      tenstudie neu berechnet, das nächste Mal im         nung (SEFV) soll zudem die Governance der
USA haften die Betreiber von Kernkraftwer-      Jahr 2016. Die Betreiber haben sämtliche Kos-       Fonds bzw. deren Aufsicht gestärkt werden. Die
ken beschränkt solidarisch untereinander.       ten der Stilllegung und Entsorgung zu tragen.       entsprechende Anhörung endet am 8. Mai.

7
Sichere Energieversorgung als Ziel - Bundesamt für Energie
Sicherheit durch Aufsicht

  Im Dienst
  der nuklearen
  Sicherheit
  Das Eidgenössische Nuklear­
  sicherheitsinspektorat (ENSI) ist
  die Aufsichtsbehörde des Bundes
  im Bereich der nuklearen Sicher-
  heit der Schweiz. Es begutachtet
  und überwacht u. a. den Betrieb
  der Schweizer Kernanlagen.

Um Brennstäbe auszutauschen und andere Un-          Teil ohne Vorankündigung statt. Laut David         ENSI als Aufsichtsbehörde
terhaltsarbeiten sowie Reparaturen durchzu-         Suchet, Mediensprecher des ENSI, werden
führen, werden die Schweizer Kernkraftwerke         es dieses Jahr voraussichtlich über 350 Ins-       Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspekto-
(KKW) jedes Jahr für eine bestimmte Zeit vom        pektionen sein. Dabei geht es vor allem um         rat (ENSI) wurde im Jahre 2009 gegründet – als
Netz genommen. Normalerweise dauert eine            sicherheitstechnische Aspekte. Aber die Be-        Nachfolgeorganisation der Hauptabteilung für
solche Jahresrevision rund einen Monat. Das         triebsorganisation und Arbeitsabläufe inner-       die Sicherheit der Kernanlagen (HSK). Es hat die
KKW Beznau produziert in diesem Jahr aber           halb eines Kraftwerks sind ebenfalls wichtig.      Arbeiten und Pflichten als Aufsichtsbehörde für
während rund vier Monaten keinen Strom, da                                                             nukleare Sicherheit und Sicherung der schwei-
auch der Deckel des Reaktordruckbehälters           Begutachtung der Kernanlagen                       zerischen Kernkraftwerke übernommen. Das
präventiv ersetzt wird. Im Vergleich zum Aus-       Eine weitere Kernaufgabe des ENSI ist das          ENSI ist eine unabhängige öffentlich-rechtliche
tausch einer Heizung in einem Einfamilienhaus       Erstellen von Gutachten und sicherheitstech-       Anstalt mit Sitz in Brugg (AG) und beschäftigt
sind Revisionen an einem Kernkraftwerk sehr         nischen Stellungnahmen. Die Beurteilun-            rund 140 Mitarbeitende. Im jährlich erscheinen-
anspruchsvolle und delikate Angelegenheiten.        gen beruhen auf Gesetzen, Richtlinien und          den Aufsichtsbericht informiert das ENSI über
Insbesondere wenn es um kontaminiertes Ma-          ­w issenschaftlichen Grundlagen. Falls es ei-      das Betriebsgeschehen, die Anlagetechnik, den
terial geht. Daher begleitet, beurteilt und über-    nen Mangel entdeckt, fordert es den Anlagen-      Strahlenschutz und die Betriebsführung der
wacht das ENSI (siehe Kasten) das Projekt von        betreiber dazu auf, geeignete Massnahmen          Kernanlagen (siehe www.ensi.ch).
der Planung bis zum Wechsel vor Ort.                 innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu
                                                     treffen und unter Beobachtung des ENSI umzu-      Auch auf internationaler Ebene setzt sich die
Über 350 Inspektionen pro Jahr                       setzen. Werden die Forderungen nicht zufrie-      ­Institution für die Stärkung der Sicherheit im
Auch während des Jahres kontrolliert das             denstellend realisiert, hat es die Möglichkeit,    ­Nuklearbereich ein. So hat das ENSI im Nach-
ENSI den Betrieb der Kernanlagen, z. B.              entsprechende Massnahmen zu ergreifen – bis         gang zu Fukushima bei der Internationalen
durch wöchentliche Werkinspektionen. Da-             hin zur vorläufigen Ausserbetriebnahme. Zu          Atomenergieagentur (IAEA) einen Änderungs-
bei prüfen die Fachkräfte nicht nur die fünf         Letzterem ist es jedoch laut dem ENSI noch        vorschlag für die «Convention on Nuclear Safety»
Kernkraftwerke, sondern auch das zentrale            nie gekommen. Auch in Zukunft hat die Si-         eingereicht. Die internationale Gemeinschaft ist
Zwischenlager für radioaktive Abfälle sowie          cherheit der Kernanlagen für die Aufsichtsbe-     der Schweizer Idee gefolgt und hat dies in einer
die Forschungsreaktoren des Paul Scherrer            hörde höchste Priorität, wie Suchet sagt. «Die    entsprechenden Erklärung festgehalten. Künftig
Instituts (PSI), die nuklearen Forschungsein-        ENSI-Fachkräfte sorgen täglich dafür, dass die    soll unter anderem die Sicherheit von bestehen-
richtungen der Universität Basel und der ETH         Anforderungen an den Schutz von Mensch und        den kerntechnischen Anlagen systematisch und
Lausanne. Diese Inspektionen finden zum              Umwelt eingehalten werden.»  (thc)                regelmässig neu bewertet werden.

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Erdgas- und Erdölleitungen

Sicherer Transport unter unseren Füssen
In der Schweiz erstreckt sich ein kilometerlanges Netz von Erdgas- und Erdölleitungen. Ein leckendes Rohr
könnte schwerwiegende Folgen für Mensch und Umwelt haben. Um derartige gefährliche Situationen zu verhin-
dern, überwachen BFE-Spezialisten und das Eidgenössische Rohrleitungsinspektorat, ob die gesetzlichen
Bestimmungen erfüllt werden.

Millionen Kubikmeter Erdgas und Erdöl wer-          beiträgt. «Nur selten gibt es Probleme mit den   die Trassees der Rohrleitungen langfristig zu
den täglich durch die Pipelines der Schweiz         technischen Anforderungen.»                      sichern. Streitfälle können laut Binder v. a.
geleitet. Diese stehen unter ständiger Beob-                                                         dann weitgehend vermieden werden, wenn
achtung – in erster Linie durch die Betreiber.      Stellen ERI-Inspektoren bei einer techni-        die Kantone Sicherheitsaspekte betreffend
Doch auch der Dienst «Aufsicht Rohrleitun-          schen Kontrolle vor Ort dennoch Mängel           Rohrleitungen bei kantonalen Baubewilli-
gen» des BFE engagiert sich dafür, dass die         fest, kann das BFE den Betreiber auffordern,     gungsverfahren frühzeitig berücksichtigen.
gesetzlichen Bestimmungen eingehalten               diese zu beheben. Kompliziert wird dies laut     Vielen ist häufig gar nicht bewusst, wie viel
werden, um die Betriebssicherheit zu ge-            Wendelspiess eher bei den Baubewilligun-         Erdgas und Erdöl täglich unter ihren Füssen
währleisten (siehe Kasten). Ein dreiköpfiges        gen und Markierungen. Das Eidgenössische         hindurchfliesst.  (luf )
Juristenteam übernimmt daher die adminis­           Rohrleistungsinspektorat erstellt pro Jahr
trative Aufsicht in erster Instanz und stellt       rund 70 Kontrollberichte und erteilt über 700
u. a. Betriebsbewilligungen aus.                    Baubewilligungen.                                   Über 2500 Kilometer
                                                                                                        Rohrleitungen beaufsichtigen
Kontrollen vor Ort                                  Raumplanerische Herausforderungen                   Laut der Rohrleitungsverordnung (RLV) stehen
Ergänzt wird die Arbeit der BFE-Spezialisten        In diesem Zusammenhang kommt den BFE-               Rohrleitungen mit einem Druck von mindestens
durch die technische Aufsicht des Eidgenös-         Spezialisten eine weitere wichtige Aufgabe          fünf Bar (Transportleitungen) grundsätzlich un-
sischen Rohrleitungsinspektorats (ERI). Die-        zu: die Lösung von Konflikten zwischen den          ter direkter Aufsicht des BFE. Insgesamt verfügt
se Zusammenarbeit besteht bereits seit über         Betreibern der Rohrleitungsanlagen und den          die Schweiz über 196 Kilometer Erdölleitungen,
50 Jahren. Inzwischen kontrollieren acht ERI-       Kantonen, in deren Kompetenz die Raum-              hauptsächlich in der Romandie, und 2300 Kilo-
Inspektoren die Leitungen vor Ort anhand von        planung fällt. «Die verdichtete Bauweise in         meter Erdgasleitungen. Die Transitgasleitung ist
Checklisten, in Anwesenheit der Betreiber.          den Agglomerationen ist für die Sicherheit          die grösste Erdgasleitung der Schweiz. Sie führt
«Dank präzisen Techniken können sie heute           der Rohrleitungen eine grosse Herausfor-            von der Region Basel bis zum Griespass (VS/Ita-
bei Kontrollen strikter sein», sagt Ruedi Wen-      derung», sagt Hans-Peter Binder, Leiter der         lien) und erreicht einen Durchmesser von rund
delspiess, Leiter des ERI. Er meint, dass die Zu-   Sektion ­R isikomanagement und Aufsicht             1,2 Metern. Das Verteilnetz von rund 16 825 Ki-
verlässigkeit der Betreiber zur Netzsicherheit      Rohrleitungen des BFE. Hier gehe es darum,          lometern beaufsichtigen die Kantone.

Bauarbeiten an der Transitgasleitung

9
Verkehrssicherheit

Sicher mit dem E-Bike unterwegs
Wie lassen sich Unfälle mit Elektrovelos verhindern? Klare Sicherheitsbestimmungen sind bereits
in Kraft. Laut Experten könnten möglicherweise weitere Massnahmen helfen, um die Sicherheit der
Nutzer noch mehr zu erhöhen.

Rund 270 000 Elektrovelos fahren heute auf       Unfallverhütung (bfu) gab es 2013 rund 115        Sichtbarkeit beispielsweise könnten die Fah-
Schweizer Strassen (Stand 2014), gemäss          Unfälle mit E-Bikes. Dabei sind mehr als die      rer freiwillig eine Sicherheitsweste tragen.
Schätzungen rund 17 Prozent mehr als im          Hälfte der schweren E-Bike-Unfälle selbstver-
Vorjahr. Jedes sechste Schweizer Velo ist dem-   schuldet, weil der Fahrer die Kontrolle verlor,   Auswirkungen auf Pendlerverkehr
nach mit einem unterstützenden Motor aus-        wie aus den Statistiken ebenfalls hervorgeht.     Wenn die Verkehrssicherheit für E-Bike-Fah-
gerüstet. Ein E-Bike-Besitzer legt im Durch-     «Die Gesamtzahl liegt noch höher, denn sehr       rer stiege, würde sich dies gemäss dem BFE-
schnitt 2600 Kilometer pro Jahr zurück. Im       viele Velounfälle werden der Polizei gar nicht    Bericht auch positiv auf den Pendlerverkehr
Jahr 2013 konnten Emissionen in der Höhe         gemeldet», meint Gianantonio Scaramuzza,          auswirken: Die Befragten nannten eine höhere
von rund 42 000 Tonnen CO2-Äquivalente           wissenschaftlicher Mitarbeiter der bfu und        Strassenverkehrssicherheit als wichtigste Vor-
eingespart werden – primär dank der Ver-         Fachmann für E-Bikes.                             aussetzung, damit sie ihr E-Bike noch häufiger
lagerung von Autokilometern zum E-Bike.                                                            nutzen würden. «Bei geeigneten Massnahmen
Dies zeigt der vom BFE publizierte Bericht       Seit dem Auf kommen dieses neuen Trans-           zur Erhöhung der Verkehrssicherheit für Zwei-
«Verbreitung und Auswirkungen von E-Bikes        portmittels hat sich aber dessen Verkehrssi-      räder, wie z. B. mehr separaten Velowegen,
in der Schweiz».                                 cherheit erhöht, u. a. dank klareren Regeln       würden wohl mehr Personen vom Auto auf das
                                                 (siehe Kasten). «Die Sicherheitsnormen für        E-Bike umsatteln», sagt Stephan Walter, Fach-
Selbstunfälle an der Spitze                      Elektrovelos gehen bereits sehr weit, zusätz-     spezialist Mobilität beim BFE. Er hofft, dass
Allerdings sind die E-Bike-Fahrer z. T. sehr     liche Massnahmen werden schwierig durch-          künftig mehr Pendler auf das E-Bike umstei-
schnell und nahezu geräuschlos unterwegs,        zusetzen sein. Vielleicht müsste man in Zu-       gen, sicher ans Ziel kommen und dabei CO2
was im Verkehr gefährlich werden kann.           kunft an eine Schulung der E-Bike-Fahrer          einsparen helfen.  (luf )
Laut den Statistiken der Beratungsstelle für     denken», meint Scaramuzza. Für eine bessere

                                                                                                      Klare Regeln
                                                                                                      Zur Erhöhung der Sicherheit von E-Bike-
                                                                                                      Fahrern wurden per 1. Mai 2012 verschiede-
                                                                                                      ne Vorschriften angepasst: E-Bikes mit einer
                                                                                                      Höchstgeschwindigkeit bis 25 km/h gelten
                                                                                                      seither als Leicht-Motorfahrräder (Art. 18
                                                                                                      Bst. b Ziff. 1 VTS) und dürfen ab 14 Jahren
                                                                                                      gefahren werden (Helm empfohlen). Erreicht
                                                                                                      das E-Bike jedoch eine Höchstgeschwindig-
                                                                                                      keit von bis zu 45 km/h, fällt es unter die Kate-
                                                                                                      gorie der Motorfahrräder (Art. 18 Bst. a Ziff. 2
                                                                                                      VTS). Für Fahrer der letzteren Kategorie be-
                                                                                                      trägt das Mindestalter 16 Jahre. Sie müssen
                                                                                                      zudem mindestens über einen Führerausweis
                                                                                                      für Mopeds (Kategorie M) verfügen und einen
                                                                                                      Helm tragen. Ausserdem benötigen sie für
                                                                                                      diese Modelle einen Fahrzeugausweis, ein
                                                                                                      Kontrollschild und einen Rückspiegel.

                                                                                                                                                          10
Point de vue d’expert

Unternehmerisches Handeln
in einem Markt im Umbruch
                                                                                                 verpflichtet, erforderliche Massnahmen zu
                                                                                                 treffen, damit sie in ihrem Netzgebiet ihren
                                                                                                 Endverbrauchern jederzeit die gewünschte
                                                                                                 Menge an Elektrizität liefern können, und
                                                                                                 zwar mit der erforderlichen Qualität und zu
                                                                                                 angemessenen Tarifen. Sie können dies tun,
                                                                                                 indem sie selbst Strom produzieren oder
                                                                                                 Strom auf dem Markt beschaffen.

                                                                                                 Aufgrund der tiefen Marktpreise profitieren
                                                                                                 die Kunden sogar davon, wenn Strom anders-
                                                                                                 wo eingekauft wird. Langfristig kann dies
                                                                                                 nicht der einzige Weg sein. Was ist, wenn alle
                                                                                                 Marktteilnehmer so handeln? «Der Nachbar
                                                                                                 wirds richten» – ist das die Philosophie einer
                                                                                                 nachhaltigen Energieversorgung? Es stellt
                                                                                                 sich die Frage, ob die Politik nicht einen Leis-
                                                                                                 tungsauftrag anstelle eines Versorgungsauf-
                                                                                                 trags schaffen müsste.

                                                                                                 Irgendwann werden auf dem Markt wieder zu-
Die Energiebranche steht vor grossen Heraus-    Kostensenkungsprogramme durch und bauen          nehmend flexible Kapazitäten gefragt sein. Es
forderungen: Viele bedeutende Energieversor-    Stellen ab. Dies kann nur kurzfristig Erholung   wird wieder attraktiver werden, über Gross-
gungsunternehmen (EVU) mussten Verluste         verschaffen. Die Rahmenbedingungen der           wasserkraftwerke zu verfügen. Bis dahin müs-
ausweisen. Dies rührt daher, dass einige, vor   Energieversorgung sehen nicht rosig aus, wes-    sen viele EVU ihre Strategien anpassen: Wenn
allem neue Stromproduktionsanlagen in letz-     halb die EVU langfristig umdenken müssen.        die Stromproduktion nicht mehr rentiert,
ter Zeit rapide an Wert verloren haben. Neben   Es gilt, Risiken zu minimieren und Chancen       müssen sie sich neue Standbeine aufbauen. Bei
dem Netzbetrieb liegt insbesondere in der       zu identifizieren bzw. zu nutzen.                den meisten heisst das Zauberwort in diesem
Stromproduktion das Stammgeschäft vieler                                                         Zusammenhang: Energiedienstleistungen.
grosser Energieversorger. Ein sicheres Busi-    Was heisst das für die Strategie der EVU
ness, dachten viele. Die Nachfrage nach Strom   konkret? Neue Investitionen in Grossanla-        Im Zentrum der Geschäftsstrategie muss die
ist schliesslich immer gegeben.                 gen sind nicht attraktiv. Neue erneuerbare       Innovation von technologischen Gesamtlö-
                                                Energien sind zwar erwünscht, aber in der        sungen stehen, welche auf die individuellen
Der erhebliche Zuwachs an erneuerbaren          Praxis mit Stolpersteinen versehen, z.B. lan-    Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten sind.
Energien im Strommix führt jedoch zu Verzer-    gen Bewilligungsverfahren und der «Not In        Hierin liegt das Geschäft der Zukunft. Viele
rungen am Markt. Da sie stark subventioniert    My Backyard»-Problematik. Wenn die Eigen-        EVU haben diese Richtung bereits eingeschla-
werden und Einspeisevorrang ins Stromnetz       produktion von Strom nicht mehr attraktiv        gen und ihr Portfolio sowie ihre Organisa­t ion
geniessen, verdrängen sie immer mehr kon-       ist, wird der Versorgungsauftrag zum wirt-       verändert. In Zukunft möchten wir weniger
ventionelle Kraftwerke. Zudem haben sie dazu    schaftlichen Risiko. In der Schweiz gibt es      für unsere Strommasten und Kraftwerke be-
geführt, dass die Strompreise sinken und es     grundsätzlich keinen rechtlich verbindlichen     kannt sein, sondern für unsere innovativen
nicht mehr zu Preisspitzen kommt, wenn viel     Versorgungsauftrag für die Energieversorger.     Mitarbeitenden!
Strom gefragt ist.
                                                Tatsache ist aber, dass die Bevölkerung Ver-     Suzanne Thoma
Das Zusammenspiel von Markt, Regulie-           sorgungssicherheit erwartet und sich dies vie-   CEO, BKW AG
rung und Politik ist momentan alles an-         le EVU in den vergangenen Jahren selbst auf
dere als günstig für die Energiebranche.        die Fahne geschrieben haben. Verteilnetzbe-      Auszug aus dem Buch «Energie im Wandel» (2014),
Viele Unternehmen führen daher rigorose         treiber sind gemäss Stromversorgungsgesetz       erschienen im etv Energieverlag

11
Forschung und Innovation

Der europäische Strommarkt der Zukunft
Eine Marktkopplung mit 19 europäischen Ländern soll in der Schweiz für tiefere Strompreise und eine
­grössere Versorgungssicherheit sorgen. Wann die Schweiz beim sogenannten Market Coupling einsteigen
kann, entscheiden Verhandlungen mit der Europäischen Union.

«Nach zweijährigen Vorbereitungsarbeiten         jährlich ein «zweistelliger Millionenbetrag»
sind wir technisch bereit, den Schweizer         eingespart werden, sagt Adam.
Strommarkt im Rahmen einer Strommarkt-
kopplung mit Europa verbinden zu können»,        Limitierende Netzkapazitäten
sagt Kai Adam, Leiter Europäische Angelegen-     Wie gross der Effekt einer solchen Kopp-
heiten bei der Übertragungsnetzbetreiberin       lung sein kann, zeigt sich auch am Beispiel
Swissgrid AG. Die Schweiz wäre das 20. Land,     des Stromhandels zwischen Frankreich und
welches beim sogenannten Market Coupling         Deutschland. Im Jahr 2010 waren die Strom-
in Europa mitmacht. Zwar ist der Schweizer       marktpreise in den beiden Ländern zu kei-
Strommarkt auch jetzt, vor der Einführung der    nem Zeitpunkt identisch. Vier Jahre später
Marktkopplung, keineswegs autark. Doch zwi-      und nach der Einführung der Marktkopplung
schen der aktuellen Situation und derjenigen     herrscht nun auf beiden Märkten über das Jahr
nach erfolgtem Market Coupling findet sich ein   gesehen während 53 Prozent aller Stunden
entscheidender Unterschied in der Ausgestal-     Preisparität. Dass Letztere auch weiterhin
tung des Stromhandels (siehe Kasten).            nicht ständig erreicht wird, ist der limitierten
                                                 physischen Netzkapazität geschuldet. Diese
Wer heute kurzfristig Strom ins Ausland ver-     könnte durch einen Netzausbau erweitert
kaufen oder diesen in die Schweiz importieren    werden. Der marktlimitierende Effekt der
will, muss erst das Recht für die benötigten     begrenzten Kapazität lässt sich am Beispiel
Transportkapazitäten ersteigern. Durch dieses    Grossbritanniens aufzeigen: Der Strompreis
komplizierte zweistufige Verfahren kann die      auf den Britischen Inseln ist aufgrund der rela-
vorhandene Netzkapazität nicht effizient ge-     tiv geringen Leitungskapazitäten signifikant
nutzt werden. Als Folge davon entwickelt sich    höher als in den anderen am Market Coupling
trotz eines Handelsvolumens von 20,5 Tera-       teilnehmenden Ländern.
wattstunden (2014) und rund 70 Handelsteil-
nehmenden am Spotmarkt (Grosshandels-            «Nutzen überwiegt»
markt), auf welchem Stromgeschäfte für den       Obwohl der durch die Marktkopplung poten-
aktuellen und kommenden Tag abgewickelt          ziell entstehende Preisdruck auch Schweizer
werden, in der Schweiz kein optimal funktio-     Stromerzeuger betrifft, befürwortet der «Ver-
nierender grenzüberschreitender Markt.           band Schweizerischer Energieunternehmen»
                                                 (VSE) die Marktkopplung. In der Gesamtheit
Im Zuge des Market Coupling werden des-          überwiege der Nutzen, sagt VSE-Medien-
halb Strom und Übertragungsrechte im so-         sprecher Guido Lichtensteiger auf Anfrage.
genannten Day-Ahead-Markt, bei dem Strom         «Neben der Reduktion der Komplexität des
für den darauffolgenden Tag gehandelt wird,      Stromhandels bietet ein Market Coupling
zu einem integrierten Markt zusammengelegt       für die Schweizer Stromunternehmen auch
(siehe Kasten). Dies sorgt neben einer erhöh-    einen besseren Marktzugang und folglich
ten Versorgungssicherheit auch für eine effi-    bessere Marktchancen.» Bei Stromengpässen
zientere Nutzung der grenzüberschreitenden       können Länder mit hoher Nachfrage von aus-
Stromnetze. Die Ausnutzung der Netzka-           ländischen Anbietern einfacher mit Energie
pazität steigt. Marktmechanismen folgend         versorgt werden. Davon können nicht zuletzt
führt die Marktkopplung deshalb zu tenden-       die schweizerischen Wasserkraftwerke mit
ziell tieferen Kosten. In der Schweiz könnte     ihren Speichern profitieren. Der Bundesrat

                                                                                                       12
verspricht sich vom Market Coupling denn            (Stand März 2015). Kai Adam von Swissgrid
                                                      auch einen «optimierten Kraftwerkeinsatz».          betont, dass die europäischen Übertragungs-
                                                                                                          netzbetreiber eine Teilnahme der Schweiz
                                                      Einführungszeitpunkt noch ungewiss                  begrüssen würden. «Technisch bringt diese
                                                      «Nach einer Vorlaufzeit von maximal drei            für alle Vorteile.»
                                                      Monaten wären wir für das Market Coupling
                                                      bereit», sagt Davide Orifici, Leiter der Schwei-    Würde sich die Einführung des Market Coup-
                                                      zer Niederlassung der Strombörse Epex Spot          ling stark verzögern, könnte die Schweiz den
                                                      in Bern. Diese bereitet die Marktkopplung           technischen Anschluss verlieren, befürch-
                                                      der Schweiz gemeinsam mit Swissgrid vor.            tet Adam. Dann kämen hohe Kosten auf die
                                                      Doch noch ist unklar, wann die Ankopplung           Schweiz zu. Der Bundesrat teilte diese Sorge
                                                      der Schweiz erfolgen kann. Eine am 1. Juli in       in einer im Februar verfassten Antwort auf ei-
                                                      Kraft tretende EU-Verordnung hält fest, dass        nen parlamentarischen Vorstoss. Langfristig
                                                      die Schweiz nur dann am europäischen Mar-           drohe zudem das Ausscheiden von Swissgrid
                                                      ket Coupling teilnehmen kann, wenn ein über         aus dem Verbund europäischer Übertragungs-
                                                      die Marktkoppelung hinausgehendes Strom-            netzbetreiber oder der Ausschluss der Schweiz
                                                      abkommen abgeschlossen wird. In Bezug auf           von grenzüberschreitenden Regelenergie-
                                                      das Market Coupling geht es dabei etwa um           märkten. «Längerfristig könnten Stromlei-
                                                      Fragen der Gerichtsbarkeit. Die Ausarbeitung        tungen rund um die Schweiz herum gebaut
                                                      des Abkommens ist vor dem Hintergrund               werden», so die Regierung. Dies etwa bei ei-
                                                      der Differenz zwischen der Schweiz und der          ner fehlenden Einbindung in die strategische,
                                                      Europäischen Union bezüglich Personen-              länderübergreifende Planung von Strom­
                                                      freizügigkeit ins Stocken geraten. Es besteht       netzen, erklärt Aurelio Fetz vom Bundesamt
                                                      allenfalls die Möglichkeit, dass die Schweiz        für Energie. Eine nicht angekoppelte Schweiz
                                                      ein interimist­isches Stromabkommen mit der         drohe von neuen Vergütungsmodellen ausge-
                                                      EU unterzeichnen kann. In diesem Fall könn-         schlossen zu bleiben, bei denen neben dem Er-
                                                      te eine vorläufige Marktkopplung möglicher-         zeugen von Strom auch das Bereitstellen von
                                                      weise bereits in diesem Jahr Tatsache werden        Kraftwerkkapazitäten abgegolten wird.  (bwg)

                                                         Stromhandel und Market Coupling
                                                         Wird der Marktpreis für den kommenden Tag im Day-Ahead-Handel zurzeit im Rahmen einer täglichen
                                                         Auktion ermittelt, geschähe dies im Rahmen des Market Coupling durch einen komplexen, standardi-
                                                         sierten Algorithmus. Dabei werden das zu erwartende Angebot und die voraussichtliche Nachfrage
                                                         in den gekoppelten Ländern so lange miteinander abgeglichen, bis Preisgleichheit herrscht oder die
                                                         Netzkapazitäten ausgelastet sind (siehe Haupttext). Unter Miteinbezug der Netzkapazitäten wird dann
                                                         der durchschnittliche Handelspreis für den kommenden Tag berechnet.

                                                         Um die Netzkapazitäten für den kommenden Tag vorauszusagen, werden nicht nur Erfahrungswerte
                                                         herbeigezogen und Handelsentwicklungen beobachtet, sondern auch Wetterprognosen konsultiert.
                                                         Durch den steigenden Anteil neuer erneuerbarer Energien wie Sonne und Wind fällt dies immer stärker
                                                         ins Gewicht. Auch deshalb nimmt die Bedeutung des Intraday-Handels laut Aurelio Fetz vom Bundesamt
                                                         für Energie ständig zu. In diesem Markt wird Strom zeitnah und für den laufenden Tag gekauft bzw.
                                                         verkauft. Energiehändler können dadurch kurzfristig ihre Bilanzen ausgleichen und auf Einspeisungs-
                                                         schwankungen reagieren, wie sie etwa durch wechselhafte Windverhältnisse entstehen.

                                                         Im Jahr 2014 wurden an der Strombörse Epex Spot rund 1,1 Terawattstunden (TWh) im Intraday-Handel
                                                         gehandelt. Zusammen mit den am Day-Ahead-Markt gehandelten 20,4 TWh entspricht dies rund 33 Pro-
Market Coupling der Schweiz mit 19 Ländern möglich.      zent des nationalen Gesamtverbrauchs.

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Wissen

Grüne Welle auf dem Schweizer Schienennetz
Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) wollen ihren Stromverbrauch bis 2025 um 20 Prozent senken. Dazu
haben sie ein neues System – die «Adaptive Lenkung der Züge» (ADL) – eingeführt. Mit diesem System erhalten
die Lokführer Geschwindigkeitsempfehlungen, sodass sie energieaufwendige Stopps möglichst vermeiden und
so von einer grünen Welle profitieren können.

Wenn der Lokführer seinen 1000 Tonnen            Programms. «Die auf dem Tablet angezeigte        ? Wussten Sie, dass …
schweren Güterzug in Bewegung setzt, ver-        optimale Geschwindigkeit ist aber nur eine       … die SBB bis 2025 pro Jahr 600 GWh Strom einsparen
braucht dieser rund 77 kWh. Dies entspricht      Empfehlung und keine Pflicht», sagt er. «Aus     will? Dies entspricht ungefähr dem Energieverbrauch
dem durchschnittlichen wöchentlichen Ener-       Sicherheitsgründen haben die Signale entlang     des Kantons Tessin.
giekonsum eines Schweizer Haushalts. Wäh-        der Schienen immer noch Vorrang.»
rend der Fahrt erhält der Lokführer auf seinem
Tablet laufend Informationen, um die Ge-         Ermutigende erste Reaktionen
schwindigkeit den Verhältnissen entsprechend     Mit der definitiven Einführung des neuen
zu drosseln bzw. anzupassen. Durch dieses        ADL-Systems per 1. Januar 2015 hat die Anzahl
vorausschauende Fahren lassen sich unnötige      unnötiger Stopps stark abgenommen. «Wir
Stopps vermeiden, die den Energieverbrauch       haben festgestellt, dass diese Züge pünktli-
des Güterzugs erheblich erhöhen würden. Die      cher sind», sagt der Projektleiter.
SBB hat dafür eigens innerhalb von fünf Jahren
ein System namens ADL zur adaptiven Rege-        Zudem verbraucht die SBB heute rund
lung der Fahrgeschwindigkeit entwickelt.         120 000 kWh weniger pro Tag als vorher. Dank
                                                 ADL dürfte die SBB von insgesamt 1775 GWh/
Informationen auf dem Tablet                     Jahr Bahnstrom jährlich 71,7 GWh einsparen
Dank diesem ist der Lokführer ständig mit        können, dies betrifft vor allem Güter- und          Energie-Vorbild Bund
dem Betriebszentrum und dem Rail Control         Intercityzüge. In der Schweiz sind täglich          Im Rahmen der Energiestrategie 2050 ist ein
System (RCS) verbunden. Während der Fahrt        10 000 Züge mit ADL-System unterwegs.               Massnahmenpaket vorgesehen, das die Ener-
berechnet es mithilfe eines Algorithmus die      Davon erhalten im Schnitt 1200 Züge Ge-             gieeffizienz in der Bundesverwaltung und in
empfohlene Geschwindigkeit, damit der Zug        schwindigkeitsempfehlungen. Rolf Schmitz,           den bundesnahen Betrieben (SBB, Post, Swiss-
nicht vor einem roten Signal stoppen muss.       Leiter der Sektion Energieforschung beim            com und Skyguide) sowie im ETH-Bereich weiter
Dieses System scheint die Lokführer zu über-     BFE, begrüsst diese Effizienzmassnahmen             verbessern soll. Die SBB plant, ab 2025 nur noch
zeugen: Fast 100 Prozent von ihnen halten        der SBB: «Derartige Systeme könnten uns             mit erneuerbarem Strom zu fahren (unter ande-
sich laut dem SBB-Projektverantwortlichen        helfen, die Ziele der Energiestrategie 2050 zu      rem dank Strom aus dem Pumpspeicherkraftwerk
Médard Fischer an die Einschätzungen des         erreichen.»  (luf )                                 Nant de Drance).

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