Reben Genuss-Rendite in den - Caro Maurer

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Reben Genuss-Rendite in den - Caro Maurer
Genuss-Rendite
in den
Reben
Sie sind abenteuerlustig und lieben den Wein: deutsche Manager,
die als Winzer eine zweite Karriere starten. Beim Aufbau eines Weinguts
finden sie oft einen neuen Lebensmittelpunkt, der sinnlich und
genussorientiert ist. Dazu kommt die Freude, endlich sein eigener Chef zu sein
TEXT: CARO MAURER
Reben Genuss-Rendite in den - Caro Maurer
UNTERNEHMER SPITZMARKE
            ALS WINZER

             THOMAS HENSEL UND
     ANDREAS SCHUMANN sind ein
                                         F OTO: FA B I A N H E N S E L

       eingespieltes Team. Hensel (r.)
   gehört das Weingut Odinstal, sein
 Kellermeister arbeitet biodynamisch

        11/2019 DER FEINSCHMECKER 93
Reben Genuss-Rendite in den - Caro Maurer
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                                2

                                    1 THOMAS UND UTE HENSEL
                                    genießen gemeinsam ihren
                                    Wein in ihrem Traumhaus in
                                    der Pfalz

                                    2 MARKUS CONRAD ist ein
                                    Multitalent. Er spielt auf pro-
                                    fessionellem Niveau Trompete
                                    – heute übt er auch schon
                                    mal in den Wein­bergen, wo
                                    er niemanden stört –, war
                                    er­folgreicher Manager bei
                                    Tchibo und leitet heute in
                                    der Provence das Weingut
                                    Domaine des Féraud, von
                                    dem wunderbare Rosés und
                                    Weißweine kommen

94  DER FEINSCHMECKER 11/2019
Reben Genuss-Rendite in den - Caro Maurer
„Heim und Wein, das ist jetzt                                               1998 konnte Hensel das Haus erwerben. Die
                                                                                                                                                                                                                                                      Renovierung erwies sich als größere Heraus­
                                                                                                                                                                            unser Lebensmittelpunkt.“                                                 forderung als erwartet. Aber aufgeben kam
                                                                                                                                                                                                                  THOMAS HENSEL                       für Thomas Hensel nie infrage. Es gehörte
                                                                                                                                                                                                                                                      schon viel Kapital, Geduld, Durchhaltever­
                                                                                                                                                                                                                                                      mögen und Liebe zum Detail dazu, um aus
                                                                                                                                                                                                                                                      dem vernachlässigten Anwesen über die Jah­
                                                                                                                                                                                „Bauer, Handwerker,                                                   re ein Schmuckstück zu machen. 2003 zog
                                                                                                                                                                                                                                                      das Paar mit den drei Söhnen ein. Das Häu­
                                                                                                                                                                     Verkäufer – ich nutze die ganze

w
                                                                                                                                                                                                                                                      serensemble betritt man heute durch die hel­
                                                                                                                                                                      Wertschöpfungskette bei mir.“                                                   le, gemütliche Küche. Im Wintergarten da­
                                                                                                                                                                                                                                                      hinter haben sich Hensels das Wohnzimmer
                                                                                                                                                                                                                 MARKUS CONRAD                        in geschmack­vollen Grautönen eingerichtet.
                                                                                                                                                                                                                                                      Durch das Esszimmer geht es auf eine riesi­
                                                                                                                                                                                                                                                      ge Terrasse, wo private Grillpartys und pro­
                                                                                                                                                                                                                                                      fessionelle Weinproben stattfinden.
                                                                                                                                                                                                                                                         Aber Hensel hatte ja nicht nur einen
                                                                                                                                                                                                                                                      Baumeister gebraucht, sondern auch einen
                                                                                                                                                                                                                                                      Kellermeister für Riesling, Weißburgunder,
                                                                                                                                                                                                                                                      Auxerrois, Gewürztraminer und Silvaner,
                                                                                                                                                                                                                                                      die davor auf Muschelkalk, Keuper und
                                                                                                                                                                                                                                                      Buntsandstein über vulkanischem Basal­t­
                                                                                                                                                                                                                                                      gestein wuchsen – und fand ihn in Andreas
                                                                                                                                                                                                                                                      Schumann. Der steckte 2003 nach der Win­
                                                                                                                                                                                                                                                      zerlehre zwar noch im Studium in Geisen­
                                                                                                                                                                                                                                                      heim, war aber bereit, das Weingut zu leiten,
                                                                                                                                                                                                                                                      wenn Hensel seinerseits bereit wäre, ihn bio­
                                                                                                                                                                                                                                                      logisch arbeiten zu lassen.
                                                                                                                                                                                                                                                         „Das kam uns gerade recht“, sagt Hensel,
                                                                                                                                                                                                                                                      „weil wir nicht wollten, dass Chemie rund
                                                                                                                                                      Wie macht ein Unternehmer ein kleines Ver­     tal von seinem Wohnzimmerfenster aus fo­         ums Haus verspritzt wird.“ Seit dem Jahr­
F OTOS: M A R T I N D E J O I E – L E S E D I T I O N S D’AU T I L S , H E R V E FA B R E ( 2), FA B I A N H E N S E L ( 2), S H U T T E R S TO C K

                                                                                                                                                      mögen? Indem er ein großes in ein Weingut      tografiert hat. 350 Meter hoch liegt sein Haus   gang 2006 arbeitet Andreas Schumann bio­
                                                                                                                                                      steckt. Das ist zwar ein alter Witz, aber es   in der Mittelhaart in einer Waldschneise         dynamisch. Auf ihre puristische und eigen­
                                                                                                                                                      steckt so viel Wahrheit darin, dass er heute   über Wachenheim. Manchmal klart die Aus­         willige Art erzählen die Weine vom Weingut
                                                                                                                                                      quasi als Winzerweisheit durchgeht. Ein        sicht auf bis nach Mannheim im Osten, wo         Odinstal heute eine Erfolgsgeschichte. Am
                                                                                                                                                      Weingut als Investment bedeutet in der Re­     er sein Büro als Projektentwickler für die In­   2016er Weißburgunder lässt sich diese gut
                                                                                                                                                      gel: viel Arbeit, wenig Gewinn – und im        dustrie hat. Und selbst wenn es einmal trüb      nachvollziehen: Er zeigt keine vordergrün­
                                                                                                                                                      Hintergrund immer das Risiko, dass es ei­      sein sollte, über die fünf Hektar Reben und      dige Frucht, sondern Eindrücke von Kamil­
                                                                                                                                                      nem die nächste Ernte verhagelt.               die Wiesen und den Wald drumherum reicht         le, Honigblüten und gerösteten Nüssen – und
                                                                                                                                                         Dennoch sind fünf bekannte Manager ge­      sein Blick allemal: „Heim und Wein – das ist     mit jedem Schluck lässt sich darin noch
                                                                                                                                                      nau in dieses Risiko gegangen, um ihren        jetzt unser Lebensmittelpunkt“, sagt das         etwas Neues entdecken. Für den stolzen
                                                                                                                                                      ganz persönlichen Lebenstraum vom eige­        Ehepaar Hensel.                                  Eigner Thomas Hensel ist dies eine Win-
                                                                                                                                                      nen Weingut zu verwirklichen. Unsere fünf         Ins Heim haben sich der 65-jährige Unter­     win-­Situation: Das Weingut macht Gewinn
                                                                                                                                                      Geschichten über Seiteneinsteiger beweisen:    nehmer und seine Frau Ute in den 90er-Jah­       – und er braucht am Abend nur in den eige­
                                                                                                                                                      Ohne Risiko und Einsatz keinen Preis – den     ren zuerst verliebt. Dieses aus hellem Sand­     nen Keller zu gehen, um eine gute Flasche
                                                                                                                                                      Mut von Wolfgang Reitzle, Thomas Hensel        stein erbaute Haus konnte Hensel jeden Mor­      Wein zu finden.

                                                                                                                                                                                                                                                      2
                                                                                                                                                      & Co belohnt heute die schönste Rendite, die   gen sehen, wenn er von Deidesheim, wo sie
                                                                                                                                                      es gibt: Genuss und Lebensfreude.              früher wohnten, nach Mannheim ins Büro                    MARKUS CONRAD,

                                                                                                                                                      1
                                                                                                                                                                                                     fuhr. Erbaut um 1820, lag es verlassen und                einst Tchibo-Manager,
                                                                                                                                                             THOMAS HENSEL,                          heruntergekommen in einer Lichtung am                     Domaine des Féraud,
                                                                                                                                                             Projektentwickler,                      Odinstalweg oberhalb des alten Basaltstein­               Provence
                                                                                                                                                             Weingut Odinstal,                       bruchs am Pechsteinkopf. Der frühere Ei­
                                                                                                                                                             Wachenheim, Pfalz                       gentümer hat davor auch Weinberge anlegen        DIE DRITTE KARRIERE
                                                                                                                                                                                                     lassen. Ein gewagtes Unternehmen auf die­        Die Geschichte von Markus Conrad wäre ei­
                                                                                                                                                      LEBENSMITTELPUNKT                              ser Höhe, kaum einer glaubte, dass die Trau­     gentlich der ideale Stoff für den bekannten
                                                                                                                                                      Thomas Hensel schätzt, dass er schon mehr      ben dort ausreifen könnten. Heute, in wär­       britischen Autor Peter Mayle. Der Titel des
                                                                                                                                                      als tausend Sonnenaufgänge über dem Rhein­     meren Zeiten, ist die Lage ein Vorteil.          Romans könnte dann „Meine dritte Karriere

                                                                                                                                                                                                                                                                    11/2019 DER FEINSCHMECKER 95
Reben Genuss-Rendite in den - Caro Maurer
„Das Weingut ist
   unser beider Herz-                               „Bauer, Handwerker, Verkäufer – ich nut­           Im März 2015 wurden Eichbauers Besit­
   stück, weil es ganz                           ze die ganze Wertschöpfungskette bei mir“,
                                                 sagt Conrad heute. Der Vertrieb – das ist sei­
                                                                                                    zer der Podere Salicutti und damit von ins­
                                                                                                    gesamt elf Hektar Land, rund um einen 470
allein unser Ding ist.“                          ne Expertise. 120 000 Flaschen, weiß, rosé         Meter hohen Hügel bei Montalcino. Dieses
                                                 und rot, werden auf der Domaine des Féraud         Jahr im März ist Leanza ausgezogen – auf
                      SABINE EICHBAUER
                                                 produziert und müssen auch verkauft wer­           eigenen Beinen.
                                                 den. Conrad hat bereits zehn Exportmärkte             Ein steiniger Feldweg führt hinunter zum
                                                 erschlossen, 50 Prozent der Flaschen gehen         rustikalen Farmhaus, nebenan ist Baustelle,
                                                 in die USA. „Ich arbeite jetzt als Vertreter       der neue Keller entsteht. Sabine Eichbauer
                                                 meines eigenen Weinguts.“ Und das sei der          hat die alten Baupläne korrigiert. Sie ist Ar­
                                                 schönste Job, den er jemals gemacht habe.          chitektin, spricht fließend Italienisch. Das
                                                 Etwas aus der Vergangenheit hat er jedoch          und ihr bayerisches Temperament kann sie
in der Provence“ lauten. In seiner ersten Kar­   immer dabei: seine Trompete. Jeden zweiten         bei den Auseinandersetzungen mit der itali­
riere spielte der gebürtige Hamburger pro­       Tag spielt er darauf, selbst im Weinberg: „Da      enischen Bürokratie gut brauchen.
fessionell Trompete. In seiner zweiten wech­     störe ich immerhin keinen.“                           Sie will zupacken, nicht nur zuschauen.

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selte er ins Wirtschaftsfach: Auf ein BWL-­                                                         Für ihre Aufgabe als Weingutsbesitzerin hat
Studium und den Abschluss als MBA in                      FELIX EICHBAUER,                          sie die italienische Bauernprüfung abgelegen
Frankreich folgten unter anderem Führungs­                Bauunternehmer,                           müssen „und dafür auch Traktor fahren ge­
positionen beim Buchgroßhändler Libri und                 Podere Salicutti,                         lernt“. Das Team um den neuen Kellermeis­
der Unternehmensgruppe Tchibo. Mit 50                     Toskana                                   ter arbeitet jetzt biodynamisch. Und wenn
dachte er: „Ich muss raus aus dem Manager­                                                          mal ein Problem auftaucht, dann wird es ei­
leben.“ Er entschied sich, Winzer zu werden.     DIE ERGÄNZUNG                                      genhändig bekämpft. „Dann setzen wir uns
Womit wir quasi schon zum Happy End              Wirt und Winzer – eine berufliche Kombi­           Stirnlampen auf“, sagt Sabine Eichbauer,
kommen. Markus Conrad kaufte sich 2011           nation, von der sicherlich viele träumen. Vor      „und zupfen nachts schon mal die Raupen
ein Weingut in der Provence. Und er hat es       allem, wenn es sich dabei um ein vielfach          von den Reben.“ Derzeit verbringt sie rund
seither keinen Tag bereut.                       ausgezeichnetes Gourmetrestaurant handelt          fünf Monate im Jahr in Montalcino, nächs­
   Das Ziel war von Anfang an klar: die Pro­     und um ein Weingut in Montalcino in der            tes Jahr zieht Familie Eichbauer mit den bei­
vence. Der Großvater war Franzose, und seit      Toskana. Felix Eichbauer wurde in diesen           den Töchtern sogar für ein ganzes Jahr nach
30 Jahren besaß Conrad in Ramatuelle an          Traum quasi hineingeboren. Das weltbe­             Salicutti: „Wir möchten einmal den vollen
der Côte d’Azur einen Zweitwohnsitz. Aber        rühmte Münchner Restaurant „Tantris“, ge­          Wachstumszyklus miterleben.“ Anders als
die Suche nach einem Weingut gestaltete          baut vom Vater Fritz, ist ein Jahr älter als er:   ihr Vorgänger werden sie die drei Lagen
sich schwierig: Er wollte einen funktionie­      „Ich bin dort aufgewachsen.“ Der Vater – le­       rund um das Anwesen getrennt ausbauen.
renden Landwirtschaftsbetrieb und kein ro­       gendärer Bauunternehmer – hatte das futu­          „Sorgente, Piaggione und Teatro bringen
mantisches Château oder blanke Felder.           ristisch-poppig gestaltete Restaurant 1971         ganz individuelle Weintypen hervor“, sagt
   Erst nach zweieinhalb Jahren wurde er         eröffnet, und Felix hat dort nicht nur eine        Eichbauer. Wobei der Brunello vom Teatro,
fündig. Nördlich von Saint-Tropez, etwa 35       Expertise für Essen entwickelt, sondern auch       einer steilen Lage in der Form eines Am­
Kilometer von Ramatuelle, erwarb Markus          eine Kenner- und Leidenschaft für Wein, die        phitheaters, ihr persönlicher Liebling ist: der
Conrad die Domaine des Féraud mit 50 Hek­        er mit seiner Ehefrau Sabine teilt.                2016er mit intensiver Frucht, sehr stoffig und
tar, rund die Hälfte davon bestockt mit den         Auf einer Weinmesse trafen die beiden           zugleich auch seidig elegant. Das Weingut,
dort heimischen Sorten wie Syrah und Gre­        Francesco Leanza von dem Podere Salicutti,         sagt sie, „ist unser beider Herzstück, weil es
nache Noir, dazu etwas Cabernet Sauvignon        einen Biowinzer aus Montalcino. Es entstand        ganz allein unser Ding ist“.

                                                                                                    4
und weiße Rolle. „Mein Weg zur Arbeit“,          die Idee: Ein eigenes Weingut würde gut
sagt Conrad, „ist heute genauso weit wie frü­    zum Restaurant passen. Nur wo? Das Ehe­                      WOLFGANG REITZLE,
her zu Tchibo, nur herrscht weniger Ver­         paar sah sich in Spanien und sogar Australi­                 Aufsichtsratsvorsitzender
kehr.“ Der Keller neben dem alten provenza­      en um, vergeblich, und fuhr anschließend in                  der Linde AG,
lischen Langhaus war funktionstüchtig,           die Toskana in Urlaub. Beim Besuch jenes                     Villa Santo Stefano,
überhaupt: „Landwirtschaft ist ja keine Ra­      Francesco Leanza ergab es sich, dass der ei­                 Toskana
ketentechnik“, sagt Conrad, „es ist vor allem    genbrötlerische, damals 71 Jahre alte Italie­
manuelle Arbeit.“ Er will so wenig wie mög­      ner zu ihnen sagte: „Ich will hier noch raus­      DAS REFUGIUM
lich eingreifen in die Natur und hat seine       laufen und nicht herausgetragen werden.“ Er        Was kommt dabei raus, wenn ein Top-Ma­
Weinberge umgestellt auf biologische Bear­       hatte gerade den verregneten Jahrgang 2014         nager ein „Ferienhäusle“ sucht? Ein Para­
beitung. Er hat sich ein Team aus Profis zu­     hinter sich gebracht, die Pläne für den Bau        dies, in dem man sich verlaufen kann. Die
sammengestellt, die nach seinen Vorstellun­      eines neuen Kellers lagen in der Schublade,        große ockerfarbene Villa Santo Stefano im
gen arbeiten – „bei ihnen gehe ich seit sieben   hätten also eine größere Investition verlangt,     toskanischen Stil in den Hügeln über Lucca
Jahren sozusagen wieder in die Lehre“.           als es ihm möglich war.                            ist heute fast Beiwerk – neben einem Wein­

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Reben Genuss-Rendite in den - Caro Maurer
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                                                                             4
                                                                                 3 SABINE UND FELIX
                                                                                 EICHBAUER haben sich in
                                                                                 der herrlichen Landschaft
F OTOS: M A S S I M O T E S S A N D O R I B E R N I N I , M E H AU KU LY K

                                                                                 des Podere Salicutti wenige
                                                                                 Kilometer von Montalcino in
                                                                                 der Toskana ihren Traum vom
                                                                                 Weingut erfüllt (Fotos oben).
                                                                                 Sie produzieren hervorragen-
                                                                                 den Brunello di Montalcino

                                                                                 4 NINA RUGE UND
                                                                                 WOLFGANG REITZLE (l.)
                                                                                 keltern in ihrem toskanischen
                                                                                 Anwesen Villa Santo Stefano
                                                                                 bei Lucca ambitionierte Rote
                                                                                 aus besten Lagen – und gutes
                                                                                 Olivenöl

                                                                                              11/2019 DER FEINSCHMECKER 97
Reben Genuss-Rendite in den - Caro Maurer
5 GÜNTER SCHULZ           akkurat gepflegten Garten. Fünf Monate            vestierte nur in Blue Chips: Margaux, La­
                          mag lieber Burgun-        bleibt sie über den Sommer dort – und pen­        tour, Le Pin, Yquem, Romanée-Conti – und
                          der als Riesling –        delt nur kurzzeitig nach Deutschland.             davon ganze Kisten, original verpackt. In­
                          so pflanzte der
                          Unternehmer
                                                       Reitzle machte sich sogleich daran, das        nerhalb von zehn Jahren kamen so rund
                          Spätburgunder im          Weingut akribisch auf Vordermann zu brin­         26 000 Flaschen zusammen. Ende der 90er-
                          Johannisberg im           gen. Sein Wein sollte seinen Idealen nahe­        Jahre ließ er einen Großteil davon verstei­
                          Rheingau an. Mit          kommen, ein Guado al Tasso aus den Colline        gern. Das Londoner Auktionshaus Chris­
                          Erfolg: Seine Weine       Lucchesi sozusagen. Und nach Reitzles Er­         tie’s, so erzählt er, schickte drei Lkw, um
                          sind exzellent
                                                    fahrung kann das Beste nur mithilfe der Bes­      sein zerbrechliches Vermögen zu verladen.
                                                    ten entstehen: Er engagierte den bekannten        „Das fühlte sich so an, als würden sie mir
                                                    Önologen Carlo Ferrini als Berater. Auf des­      mein Baby wegnehmen“, sagt Schulz. Da

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                                                    sen Vorschlag hin legte er neue Weinberge         war es schon ein großer Trost, dass er das
                                                    am Fuße der Hügel an, wo ein drei bis vier        Vierfache seines ursprünglichen Einsatzes
                                                    Grad wärmeres Mikroklima zu finden ist,           zurückbekam. Jetzt war er wieder am An­
                                                    und baute dort auf sandigeren Böden Caber­        fang, hatte Geld, aber keinen Wein mehr.
                                                    net Sauvignon an. Weiter oben wachsen Mer­           Der Zufall führte ihn in den Rheingau, in
                                                    lot und Cabernet Franc und Petit Verdot für       das Weingut Schamari-Mühle des Winzers
                                                    den Spitzenwein „Loto“, außerdem Sangio­          Erik Andersson. Die beiden taten sich zu­
                                                    vese für den Lokalmatador „Sereno“ und            sammen und wollten ausgerechnet im Rhein­
                                                    Vermentino für den Weißwein „Gioia“. Ins­         gau Pinot Noir und Chardonnay anbauen.
                                                    gesamt 7,5 Hektar Rebfläche.                      Schulz, der knorrige Hanseate, be­vorzugt
                                                       Im Keller konnte Reitzle, der Maschinen­       eben Burgunder – und wo keiner wächst,
                                                    bau studiert hat, sich selbst verwirklichen. Er   lässt er ihn halt pflanzen: In seinem ersten
gut, 2000 Olivenbäumen, einem geometrisch           analysierte, forschte, plante – und ließ neue     Weinberg, 4000 Quadratmeter in der Lage
angelegten Barockgarten und einem kleinen,          Tanks installieren samt computergestützter        Johannisberger Hölle, ersetzte er die Ries­
mit Lotusblüten bedeckten Teich. Ein Rück­          Anlage für die Vergärung. Daneben blickt          lingreben durch Spätburgunder. Die ersten
zugsort auf 18 Hektar für Wolfgang Reitzle,         man durch eine Glastür auf den Raum für die       Jahrgänge machte noch Andersson, das aber
Aufsichtsratsvorsitzender der Linde AG (An­         französischen Barriques. Reitzle sieht zwar       ganz nach der Anleitung von Schulz. Intui­
lagenbau), und seine Frau Nina Ruge (Mo­            alles als Investitionen in die Lebensqualität,    tiv hat der alles richtig gemacht, schon der
deratorin und Autorin, „Alles wird gut“).           aber „die laufenden Kosten soll der Weinver­      2005er-Jahrgang heimste viel Lob ein.
   Der Wein war schon vor ihnen da, wenn­           kauf schon irgendwann decken“.                       2010 ließ er ein eigenes Betriebsgebäude
gleich nicht in den Ausmaßen von heute.                Kellermeister ist Alessio Farnesi, aber        errichten. Am Rande des Johannisbergs
Reitzle ist Weinliebhaber, sammelte seit An­        kein Wein wird hier ohne den Segen des            thront jetzt die Vinothek des Weinguts Chat
fang der 80er-Jahre neben Franzosen aus             Hausherrn zusammengestellt. Die Cuvée für         Sauvage als burgunderroter Kubus, im Kel­
Bordeaux und Burgund vor allem Italiener,           den „Loto“ zu komponieren ist Reitzles Lei­       ler lagern die Fässer, zu 80 Prozent gefüllt
bevorzugt aus der Maremma von Sassicaia,            denschaft. Von den derzeit insgesamt etwa         mit Spätburgunder, 20 Prozent Chardonnay.
Ornellaia und Guado al Tasso. So war die            33 000 Flaschen jährlich (bald sollen es             Schulz besitzt inzwischen acht Hektar
Toskana bei der Suche nach einem Ferien­            50 000 Flaschen sein), macht er gut die Hälf­     Weinberge – verteilt über den Rheingau von
domizil ohnehin ganz nach dem Geschmack             te aus: der 2016er noch saftig, mit einer         Winkel bis Lorch – in renommierten Lagen
des Paares. „Lucca allerdings“, erinnert sich       Frucht aus Cassis und Kirsche, dazu die           wie Rüdesheimer Drachenstein, Assmanns­
Reitzle, „wurde es eher aus Zufall.“ Erst ver­      Würze von roter Paprika. Der 2015er zeigt         häuser Höllenberg und Lorcher Kapellen­
liebten sie sich in die mittel­alterliche Seiden­   schon mehr Reifenoten mit etwas Leder und         berg. Typisch Schulz: Sein bester Wein heißt
handelsstadt, dann in das Anwesen des Oli­          Rosenpaprika. Luccheser Supertuscans, die         „Rouge de Schulz“, seine persönliche Cuvée,
venölproduzenten Bertolli. Signor Bertolli          es mit den Nachbarn aus der Maremma               die seinen Namen trägt, nicht den einer
hatte sein Haus mit italienischer Nachlässig­       durchaus aufnehmen können.                        Lage. Ein burgundischer Pinot Noir, sehr

                                                    5
keit gepflegt, der Wein von den Reben, die                                                            elegant, sehr imposant.
dort wuchsen, entstand en passant und nur                     GÜNTER SCHULZ,                             In Verena Schöttle hat Schulz eine hervor­
für den eigenen Verbrauch.                                    Unternehmer,                            ragende Betriebsleiterin gefunden, sie ist
   Eine saloppe Unvollkommenheit, die dem                     Chat Sauvage,                           auch am Weingut beteiligt. Im August 2019
Naturell des gebürtigen Schwaben und prak­                    Rheingau                                wurde Günter Schulz 81 Jahre alt, so ist die
                                                                                                                                                      F OTO: M I C H A E L B E R N H A R D I

tizierenden Perfektionisten Wolfgang Reitz­                                                           Zukunft des Betriebs gesichert. Ob er sein
le und seiner Natur liebenden Frau so gar           DAS INVESTMENT                                    Investment jemals bereut hat? Schulz muss
nicht entsprach. Als die beiden 2001 einzo­         Andere legen ihr Geld in Aktien an, Günter        dann doch kurz überlegen. Nein, sagt er. „Ich
gen, richtete Nina Ruge ihre Schreibstube in        Schulz in Wein. In den 80er-Jahren fing der       habe alles cash bezahlt, und das Weingut
einem romantischen alten Gewächshaus ein,           Hamburger Unternehmer (Dienstleistungen           schreibt heute schwarze Zahlen.“ Der Innen­
gesäumt von blühenden Kamelienbüschen               im Innenausbau) an, Wein zu sammeln.              ausbau, fügt er hinzu, war seine Arbeit, und
und Azaleenpflanzen, mit Blick auf den jetzt        Schulz war dabei nie ein Hasardeur: Er in­        der Wein ist jetzt seine Freude.           r

98  DER FEINSCHMECKER 11/2019
Reben Genuss-Rendite in den - Caro Maurer Reben Genuss-Rendite in den - Caro Maurer Reben Genuss-Rendite in den - Caro Maurer
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