Rechts der Isar - August / September 2020 - MRI TUM

 
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Rechts der Isar - August / September 2020 - MRI TUM
Klinikum rechts der Isar
Technische Universität München

                                                    rechts der Isar

                                                             August / September 2020

1 rechts der isar aktuell August / September 2020
Rechts der Isar - August / September 2020 - MRI TUM
Wissenschaftsminister B. Sibler     Prof. M. Schwaiger

2 rechts der isar aktuell August / September 2020
Rechts der Isar - August / September 2020 - MRI TUM
Dr. Ch. Spinner

Covid-19 am Klinikum:
Erfolgreiches Krisenmanagement

D
            ie vergangenen Monate waren        Expertenteam aus unterschiedlichen Be-
            eine besondere Zeit – herausfor-   reichen des Klinikums (u.a. aus Hygiene,
            dernd und kräftezehrend, aber      Infektiologie und Virologie) zusammen.
auch ermutigend: Die Mitarbeiter*innen         Das Team traf sich zeitweise täglich, in-
des Klinikums haben unter Beweis ge-           zwischen finden die Treffen einmal pro
stellt, wie gut sie Krisensituationen bewäl-   Woche statt. Die Experten beobachten
tigen. Sie haben gemeinsam angepackt,          nach wie vor kontinuierlich die Lage, be-
über die Disziplinen hinweg zusammen-          sprechen gemeinsam mit dem Vorstand
gearbeitet, haben Kompetenz, Engage-           des Klinikums, was zu tun ist und bringen
ment und Flexibilität gezeigt und haben        entsprechende Schritte auf den Weg. Ins-
mit viel Kreativität neue und manchmal         besondere in den ersten Monaten muss-
auch ungewöhnliche Lösungen gefunden.          ten im Sinne von Mitarbeiter- und Pati-
Als sich im Januar abzeichnete, dass           entensicherheit zahlreiche Abläufe am
die Pandemie auch uns in Deutschland           Klinikum komplett umstrukturiert werden.
betreffen würde, stellte das Klinikum ein

                                                                 rechts der isar aktuell August / September 2020   3
Rechts der Isar - August / September 2020 - MRI TUM
Über 200 Patient*innen mit Covid-19
                                                                  zwischen Mitte März und Ende Juli
                                                                  Zwischen Mitte März und Ende Juli haben die
                                                                  Mitarbeiter*innen des Klinikums über 200 Patient*innen mit
                                                                  Covid-19 behandelt. Der Höchststand war Mitte April mit
                                                                  über 80 Patienten am Klinikum, 30 von ihnen auf einer In-
                                                                  tensivstation. 27 Patienten mit Covid-19 sind am Klinikum
                                                                  verstorben.
                                                                  In der Intensivmedizin wurden insgesamt 61 Patienten we-
                                                                  gen Covid-19 behandelt. 77 Prozent davon waren Männer,
                                                                  23 Prozent Frauen. 80 Prozent der intensivmedizinisch
                                                                  behandelten Patient*innen mussten beatmet werden, 25
    Vieles wurde neu geregelt                                     Prozent benötigten eine Nierenersatztherapie (Dialyse).

    • Erarbeitung und Umsetzung von Empfehlungen zur dia-
      gnostischen Abklärung, zum Umgang mit Verdachtsfäl-
      len und mit erkrankten Patient*innen in Anlehnung an die
      Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts
    • Einrichtung separater Covid-19-Stationen, neue Zusam-
      mensetzung der Mitarbeiter-Teams
    • Deutliche Einschränkung des elektiven Behandlungsan-
      gebots
    • Kurzfristige Einrichtung neuer Räumlichkeiten, z.B. sepa-
      rater Wartebereich für Verdachtsfälle, Räume für Testung
      von Patient*innen und Mitarbeiter*innen, Schaffung zu-
      sätzlicher Lagerflächen für Schutzkleidung
    • Zeitweise Schließung des Klinikums für Besucher*innen,
                                                                  Das mittlere Alter der Intensivpatienten lag bei 65 Jahren.
      Einrichtung von Einlasskontrollen an den Eingängen
                                                                  Die überwiegende Anzahl von ihnen war schwer von der
    • Umsetzung diverser Hygienemaßnahmen (Schutzklei-            Erkrankung betroffen und musste über mehrere Wochen
      dung, Abstand in allen Bereichen, Umorganisation von        intensivmedizinisch versorgt werden. Hierbei zeigte sich,
      Arbeitsplätzen, Umstellung der Kantinenversorgung, Ab-      dass Covid-19 nicht nur eine schwere Lungenerkrankung
      sage von Veranstaltungen,…)                                 ist, sondern das gesamte Organsystem betrifft. Neben den
    • Umsetzung diverser neuer Regelungen für                     bereits initial auftretenden neurologischen Symptomen (Ge-
      Mitarbeiter*innen (Home-Office, Kinderbetreuung, Urlaub,    schmacksverlust) waren etliche Patienten von multiplem Or-
      Dienstreisen,…)                                             ganversagen, Gerinnungs- und Blutungskomplikationen bis
    • Einrichtung einer zen-                                      hin zur Hirnblutung betroffen.
      tralen Hotline für                                          Prof. Gerhard Schneider, Direktor der Klinik für Anästhesi-
      Mitarbeiter*innen,                                            ologie: „Dank guter logistischer Vorbereitung und der ho-
      kontinuierliche In-                                            hen Anzahl von Intensivbetten in Deutschland waren wir
      formation der                                                   zu jedem Zeitpunkt in der Lage, die erforderlichen inten-
      Mitarbeiter*innen                                               sivmedizinischen Behandlungen durchzuführen. Dies
      über Neuerungen                                                 dürfte wesentlich zum Erfolg der medizinischen
                                                                      Maßnahmen in Deutschland beigetragen haben.
                                                                     In Zusammenspiel mit den Infektionsschutz-Maß-
                                                                   nahmen wurde so unser Gesundheitssystem nicht
                                                                  überlastet, und jeder betroffene Patient konnte mit der
                                                                  medizinisch indizierten Therapie behandelt werden.“

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Rechts der Isar - August / September 2020 - MRI TUM
Covid-19 – auch eine                                                             Forschung zu Covid-19
logistische Herausforderung                                                   Das Klinikum rechts der Isar und die Fakultät
                                                                         für Medizin sind im Nationalen Forschungsnetz-
• Rund 190 Pflegekräfte waren vorübergehend auf
                                                                werk an 19 Projekten beteiligt und koordinieren Projekte in
  einer anderen Station tätig.
                                                                den Bereichen Surveillance und Testung, Telemedizin und
• 70 Mitarbeiter*innen wurden im Umgang mit Beatmungs-
                                                                -diagnostik, Radiologie und Pathologie.
  geräten und beatmeten Patienten geschult.
                                                                Eines der Forschungsprojekte ist „SeCoMRI“, eine der
• Rund 160 Medizinstudierende wurden befristet als Unter-
                                                                deutschlandweit größten Antikörperstudien gegen SARS-
  stützung für den Pflegedienst eingestellt.
                                                                CoV-2. Ziel dieser Studie ist die Bestimmung des spezifi-
• Das Institut für Virologie machte über 10.000 PCR-Tests       schen Antikörperstatus für SARS-CoV-2 und dessen Stabi-
  und über 6.000 Antikörpertest für Patient*innen und           lität über zwei Jahre der rund 6.000 Mitarbeiter*innen des
  Mitarbeiter*innen.                                            Klinikums. Zudem soll in einem Fragebogen erhoben wer-
• Die Klinikhygiene schulte Mitarbeiter*Innen aller Berufs-     den, welchen Infektionsrisiken die Mitarbeiter*innen des Kli-
  gruppen in über 70 Schulungen zu Covid-19 Maßnahmen.          nikums ausgesetzt waren – sowohl auf Covid-Stationen als
                                                                auch auf Normal-Stationen oder in anderen Bereichen wie
                                                                Logistik oder Verwaltung.
                                                                „Da wir weitere Wellen der Pandemie erwarten, werden die
                                                                Untersuchungen mehrfach im Verlauf durchgeführt“, erklärt
                                                                Prof. Percy Knolle, Direktor des Instituts für Molekulare Im-
                                                                munologie und gemeinsam mit Prof. Paul Lingor, Oberarzt in
                                                                der Klinik für Neurologie, einer der Studienleiter.
                                                                Die Studienergebnisse werden wichtige Informationen zum
                                                                Mitarbeiterschutz liefern und werden es ermöglichen, die
                                                                umfangreichen Schutzmaßnahmen für Patient*innen und
                                                                Mitarbeiter*innen in deutschen Krankenhäusern zu optimie-
                                                                ren.

• In den Monaten März-Juni wurden am Klinikum monatlich
  durchschnittlich rd. 14.000 FFP 2-Masken und rd. 200.000
  Mund-Nasen-Schutz-Masken verbraucht. Zum Vergleich:
  Im Jahr 2019 lag der Verbrauch bei rd. 2.000 bzw. rd.
  70.000 Masken monatlich. Insbesondere im April waren
  Masken zudem so gut wie nicht lieferbar – eine Heraus-
  forderung, die die Wirtschaftsabteilung mit viel Engage-
  ment bewältigte.
• Die Unternehmenskommunikation verschickte zunächst
  tägliche, später wöchentliche E-Mail-Updates für alle
  Mitarbeiter*innen und stellte zahlreiche weitere Informa-
  tionen u.a. über Intranet und Mitarbeiter-Plattform bereit.
                                                                Die spezifische Immunität gegen SARS-CoV2 nach einer
                                                                überstandenen Infektion wird eine Abschätzung ermögli-
                                                                chen, wie lange die Antikörper gegen eine erneute Infektion
                                                                schützen können – zum jetzigen Zeitpunkt ist die Datenlage
                                                                hierzu weltweit noch sehr gering.

              Ein dickes Dankeschön!
             Wir sind froh, dass das Klinikum rechts der Isar die Corona-Pandemie bisher vergleichsweise gut bewältigt hat.
             Dazu haben zahlreiche Menschen einen Beitrag geleistet. Wir danken:
           •    Unseren Patient*innen, die die Hygieneauflagen umgesetzt haben und Verständnis für eingeschränkte
          Besuchsregelungen und das zeitweise reduzierte Leistungsspektrum hatten
       • Unseren Mitarbeiter*innen, die in den vergangenen Monaten über sich hinausgewachsen sind
   •     Unseren Kooperationspartnern und Lieferanten, die uns nach Kräften unterstützt haben
• Den Privatpersonen und Firmen, die unsere Mitarbeiter*innen mit Zuspruch und Spenden bedacht haben

                                                                                           rechts der isar aktuell August / September 2020   5
Rechts der Isar - August / September 2020 - MRI TUM
„Die Behandlung von Covid-19
    ist besser beherrschbar“

                                                    Infektiologe und Oberarzt PD Dr. D. Chris-
                                                    toph Spinner ist ein gefragter Interviewpart-
                                                    ner während der Corona-Pandemie. Unter
                                                    seiner Leitung laufen am Klinikum mehre-
                                                    re klinische Studien zu Arzneimitteln im
                                                    Kampf gegen das neuartige Coronavirus
                                                    SARS-CoV-2. Wirksame Medikamente sind
                                                    – neben einem Impfstoff – das wichtigste In-
                                                    strument gegen Covid-19. Darüber hinaus
                                                    beschäftigt Mediziner*innen auf der ganzen
                                                    Welt vor allem die Behandlung der Sympto-
                                                    me von schwer erkrankten Patient*innen. Ein
                                                    Überblick über die Behandlung am Klinikum
                                                    rechts der Isar nach einigen Monaten Erfah-
                                                    rung mit Covid-19.

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Covid-19-Patienten                                              zündungsreaktionen hervorrufen und ist nur schwer in den
                                                                Griff zu bekommen. „Ganz wichtig bleibt darum, dass der
„Wir haben inzwischen einen routinierten Umgang mit der         Körper und das Immunsystem wieder lernen, ihre Funktio-
Covid-19-Erkrankung und dem Erreger“, sagt Dr. Christoph        nen selbst zu übernehmen.“ Ob mit Spätfolgen einer Sars-
Spinner. Neue Erkenntnisse machen die Erkrankung je-            CoV-2-Infektion zu rechnen sei? „In der Mehrheit der Fälle
den Tag etwas besser beherrschbar. „Trotzdem wissen wir         scheint die Infektion folgenlos auszuheilen“, sagt Spinner.
noch sehr wenig darüber, warum manche Menschen nahe-            Die Patient*innen mit komplizierten Verläufen müssten nach
zu symptomfrei bleiben, während andere, selbst junge Pa-        ihrer Genesung engmaschig untersucht werden. Erst im
tienten, auf der Intensivstation behandelt werden müssen        Rückblick nach einiger Zeit könne man genau sagen, ob
und manche sterben.“ Sorge bereite außerdem, dass Co-           wirklich keine Folgeschäden zurückbleiben.
vid-19-Patient*innen meist spät ins Krankenhaus kommen.
„Im April – zum bisherigen Höhepunkt der Pandemie in Mün-       Medikamente
chen – hatten wir an einem einzigen Tag fünf Fälle in unse-
                                                                Das Klinikum rechts der Isar ist beteiligt an internationalen
rer Notaufnahme, die wenige Stunden später alle intubiert,
                                                                Arzneimittelstudien gegen Covid-19, u.a. mit dem Medika-
kritisch krank in Bauchlage, auf der Intensivstation versorgt
                                                                ment Remdesivir. Es ist ein direkt antiviral wirksames Mit-
werden mussten.“ Patient*innen mit akutem Lungenversa-
                                                                tel, das die Vermehrung des Virus hemmt. „Es ähnelt der
gen (ARDS) werden in Bauchlage gelagert, um die Sauer-
                                                                RNA der Viren, deshalb baut der Erreger den Wirkstoff als
stoffversorgung zu verbessern. Von den über 200 Covid-
                                                                ‚falschen Baustein’ ein und die Viren können sich nicht mehr
19-Patient*innen, die am MRI stationär behandelt
                                                                            vermehren“, erklärt Spinner. Ursprünglich für die
wurden, konnte der überwiegende Teil wieder
                                                                                 Ebola-Behandlung geprüft, aber nicht da-
geheilt entlassen werden.
                                                                                     für zugelassen, erwies sich Remdesivir
Das Sars-CoV-2-Virus                                                                    in Labortests bereits als wirksam ge-
                                                                                          gen SARS-CoV-2. Am MRI wurden
„Sars-CoV-2 kann fast jede                                                                  Patient*innen mit moderater bis
menschliche Zelle im Körper be-                                                              schwerer Covid-19-Erkrankung
treffen“, erklärt Spinner. „Es ist                                                            nach ihrer Einwilligung unter
keine isolierte Erkrankung der                                                                anderem im Rahmen der inter-
Lunge, sondern eine virale Sys-                                                                nationalen SIMPLE-Studie mit
temerkrankung.“ Das erklärt                                                                    Remdesivir behandelt. „Die Er-
auch die möglichen Komplikati-                                                                krankungsdauer konnte durch
onen. „Von der Lungenentzün-                                                                  Remdesivir in einer ande-
dung bis zur Entzündung des                                                                  ren Studie um rund 30 Prozent
Herzmuskels oder des Gehirns                                                                von 15 auf elf Tage verkürzt wer-
beobachten wir sehr unterschied-                                                           den. Die Verträglichkeit war gut“,
liche Krankheitsbilder.“ Zunehmen-                                                       sagt Spinner. „Remdesivir hat einen
des Alter und Vorerkrankungen u.a.                                                    günstigen Einfluss auf den Krankheits-
der Lunge oder des Herz-Kreislaufsys-                                             verlauf und es gibt Hinweise auf eine ge-
tems sind Risikofaktoren. Eines der Ziele sei                                ringere Sterblichkeit.“ Zwischenzeitlich zeigte
es, die Patient*innen mit erhöhter Wahrscheinlich-                   sich auch für Dexamethason bei schwer kranken Co-
keit für eine schwere Erkrankung schneller zu identifizie-      vid-19 Patienten eine geringere Sterblichkeit.
ren. Dabei könne z.B. die Studie von Prof. Georg Schmidt
helfen. Mit Hightech-Sensoren im Ohr werden rund um die         Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat eine beding-
Uhr die Vitalparameter von Covid-19 Erkrankten in häusli-       te Zulassung für Remdesivir ausgesprochen und das Arz-
cher Isolation gemessen. Neben der Körpertemperatur wer-        neimittel ist am Klinikum rechts der Isar zum Einsatz bereit.
den die Sauerstoffsättigung des Blutes, Atemfrequenz und
Puls überwacht und geprüft, wie gut der Körper die Auswir-      Es gibt darüber hinaus einige hundert Arzneimittel, die der-
kungen der Erkrankung kompensieren kann.                        zeit im Kontext von Covid-19 untersucht werden. Auch am
                                                                MRI laufen zwei weitere Studien mit APN01 und Selinex-
Intensivmedizin                                                 or. Ergebnisse stehen noch aus. APN01 ahmt das huma-
                                                                ne Enzym ACE2 nach, das Sars-CoV-2 zum Eindringen in
„Moderne Intensivmedizin bedeutet, lebensnotwendige Kör-
                                                                Zellen benötigt. Wenn das Virus an das Medikament bindet
per- oder Organfunktionen für einen begrenzten Zeitraum
                                                                anstatt an das menschliche Enzym der Zellen, kann es die
zu ersetzen“, erklärt Dr. Spinner das Prinzip der Best Sup-
                                                                Zellen nicht mehr infizieren. Gleichzeitig reduziert APN01
portive Care-Therapie. Mit künstlicher Beatmung bei Lun-
                                                                Entzündungsreaktionen in der Lunge. „Vielversprechend ist
genversagen z.B., oder mittels einer Blutwäsche (Dialyse).
                                                                auch Selinexor, weil es antiviral und anti-entzündlich wirkt.“
Auch Nierenversagen kann zu den Covid-19 Komplikationen
                                                                Christoph Spinner ist optimistisch: „Ich bin beeindruckt, wie
gehören, genauso wie eine überschießende Reaktion des
                                                                schnell die Forschung auf der ganzen Welt vorangeht.“
Immunsystems auf SARS-CoV-2. Diese kann starke Ent-

                                                                                           rechts der isar aktuell August / September 2020   7
Rechts der Isar - August / September 2020 - MRI TUM
„Wir waren der Entwicklung zum Glück immer einen Schritt voraus“, sagt PD Dr.
    Fabian Geisler. Als Leitender Oberarzt der Klinik für Innere Medizin II hat er viele
    Covid-19-Patient*innen behandelt – insgesamt zählte das Klinikum zwischen
    Anfang März und Ende Juli über 200 stationäre Patient*innen, die schwer an
    Covid-19 erkrankt waren. Fabian Geislers Blick auf die Coronavirus-Pandemie,
    auf medizinische Herausforderungen, helle und dunkle Momente an vorderster
    Front – und Erkenntnisse aus der Krise.

    Herr Dr. Geisler, ein Rückblick – wie hat das Klinikum          tionen vorübergehend geschlossen werden, wir brauchten
    rechts der Isar die Coronavirus-Pandemie aus Ihrer              Arzt- und Pflegepersonal aus anderen Bereichen für die Co-
    Sicht bislang bewältigt?                                        vid-19-Patient*innen. Die Solidarität der gesamten Klinik war
    Dr. Fabian Geisler: Als ab Mitte März immer mehr Covid-         sehr gut. Alle haben uns grenzenlos unterstützt.
    19-Patient*innen zu uns kamen, hat es sehr gut funktioniert.
    Das haben wir der guten Strukturierung und Vorbereitung         Hat sich der Stufenplan bewährt, der für die Pandemie
    des Expertenteams im Vorfeld zu verdanken. Es hat sich ge-      entwickelt wurde?
    zeigt: Wir sind eine große Klinik, aber wir sind sehr schnell   Dr. Fabian Geisler: Absolut. Wir waren der Entwicklung da-
    handlungsfähig, wenn es darauf ankommt.                         durch eigentlich immer einen Schritt voraus und haben uns
                                                                    Bett für Bett an die Patientenzahl angepasst. Außerdem
    Was hat Sie besonders beeindruckt?                              haben wir sehr schnell Behandlungsstandards und Hygie-
    Dr. Fabian Geisler: Wir hatten zu Hochzeiten über 80 Co-        nestandards etabliert und z.B. vor den offiziellen Empfeh-
    vid-19-Patient*innen stationär zu versorgen und haben da-       lungen des Gesundheitsamtes im ganzen Haus eine Mund-
    für drei Normal- und zwei Intensivstationen freigemacht und     schutzpflicht eingeführt. Ich bin überzeugt, dass uns diese
    die Notaufnahme zweigeteilt. Dafür mussten anderen Sta-         Maßnahmen vor größeren klinikinternen Clustern verschont

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Rechts der Isar - August / September 2020 - MRI TUM
Stark durch
                                                              die Krise

haben. Die Hygiene- und Schutzmaßnahmen waren wir-            Aber dann entspannte sich die Lage merklich – Auswir-
kungsvoll.                                                    kungen des Lockdowns?
                                                              Dr. Fabian Geisler: Ich bin überzeugt, dass der Lockdown ef-
Es gab aber sicher auch dunkle Momente?                       fektiv war. Zwei Wochen nach den Beschränkungen ist die
Dr. Fabian Geisler: An einem Wochenende Anfang April ha-      Kurve merklich abgeflacht. Die frühen Hochrechnungen im
be ich gedacht: Wir packen es nicht. Die Patienten kamen im   März haben sich zum Glück nicht bestätigt. Sie besagten,
30-Minuten-Takt aus der Notaufnahme auf die Covid-Statio-     dass wir im schlimmsten Fall zwischen 1.000 und 20.000 In-
nen. Viele davon schwer krank.                                tensivbetten in München benötigen würden. Das hätten die
                                                              Münchner Krankenhäuser nicht leisten können.

                                                              Wie haben Ihre Mitarbeiter*innen die Herausforderung
                                                              gemeistert?
                                                              Dr. Fabian Geisler: Wir haben gerade in der II. Medizinischen
                                                              Klinik sehr viele junge Kolleg*innen. Sie haben die Arbeit toll
                                                              gemeistert, jeder hat sehr schnell Verantwortung übernom-
                                                              men und seinen Platz an vorderster Front gefunden. Wir
                                                              mussten alle erst einmal lernen, uns vor Dienstbeginn minu-
                                                              tenlang korrekt zu „verkleiden“, also die Schutzausrüstung
                                                              anzulegen. Gerade zu Beginn der Erkrankungswelle hatten
                                                              alle anfangs schon ein mulmiges Gefühl.

                                                              Es ging phasenweise sicherlich hoch her hinter den ge-
                                                              schlossenen Türen der Covid-Stationen..?
                                                              Dr. Fabian Geisler: Natürlich, wir befanden uns in einer Aus-
                                                              nahmesituation. Dass es nach außen für die Bevölkerung
                                                              nicht so dramatisch aussah, spricht für uns.

                                                                                          rechts der isar aktuell August / September 2020   9
Rechts der Isar - August / September 2020 - MRI TUM
So funktioniert Beatmung

     Covid-19-Patient*innen leiden häufig an Atem-                  per mit Kalorien. „Eine künstliche Beatmung
     not und Lungenentzündung. Bei der nicht-inva-                  ist bei Menschen mit Lungenversagen zwin-
     siven Beatmung über eine Mund-Nasen-Maske                      gend notwendig, aber sie kann nicht immer
     erhalten die Patient*innen mit reinem Sauer-                   dauerhaft lungenschonend durchgeführt wer-
     stoff angereicherte Umgebungsluft bei leich-                   den, auch wenn Sauerstoffkonzentration und
     tem Überdruck von etwa 30 Millibar. Normale                    Druck optimal eingestellt sind“, sagt Dr. Geis-
     Luft enthält 21 Prozent Sauerstoff, dieser Anteil              ler. Patient*innen mit akutem Lungenversagen
     wird auf 30 bis 40 Prozent erhöht.                             (ARDS) werden 16 Stunden am Tag in Bauch-
     Bei der invasiven oder künstlichen Beatmung                    lage gedreht, weil das die Sauerstoffversor-
     muss der Patient in ein künstliches Koma ver-                  gung und die Druckverhältnisse in der Lunge
                       setzt und intubiert werden.                  verbessert.
                            Ein Schlauch, der Tu-                   Lungenersatzverfahren ECMO: Wenn die Lun-
                               bus, wird über den                   ge so schwer geschädigt ist, dass auch die in-
                                  Mund in die Luft-                 vasive Beatmung nicht mehr hilft, kommt die
                                   röhre bis unter                  Extrakorporale Membranoxygenierung, kurz
                                     den Kehlkopf                   ECMO, als letzter Versuch zur Lebensrettung
                                      geführt. Eine                 in Betracht. Das Blut wird durch die Maschine
                                        Magenson-                   geleitet und mit Sauerstoff angereichert. ECMO
                                        de versorgt                 bedeutet eine Ruhepause für die Lunge, in der
                                        den      Kör-               Hoffnung, dass sie sich erholt.

     Was hat sie besonders erschreckt?                                 unterschiedlich sein. Manchen Patient*innen geht es nach
     Dr. Fabian Geisler: Unter den schwer Erkrankten waren             zehn Tagen auf der Intensivstation schon deutlich besser.
     auch Menschen unter 40 Jahren ohne Vorerkrankungen. Ei-           Andere liegen zwei Monate und länger auf Intensiv und sind
     nige dieser jungen Patienten sind gestorben. Wir konnten          immer noch schwer krank.
     sie trotz Hochleistungsmedizin nicht retten.
                                                                       Was nehmen Sie Positives mit aus der Coronakrise?
     Was ist bei der Behandlung für Patienten mit schweren             Dr. Fabian Geisler: Ich war positiv überrascht, wie schlag-
     Verläufen besonders wichtig?                                      kräftig unsere Klinik sein kann. Wendig trifft es am besten. In
     Dr. Fabian Geisler: Gute und moderne Intensivmedizin ist si-      wenigen Stunden wurden ganze Stationen freigemacht für
     cher mitentscheidend, vor allem, solange wir noch kein gut        Covid-19-Patient*innen. Die Arbeit in den interdisziplinären
     wirksames Medikament gegen Covid-19 haben. Das be-                Teams war und ist hochkompetent – von den Ärztinnen, Ärz-
     deutet: die Organe unterstützen, die zu versagen drohen.          ten und Pflegenden über die Hygiene-Experten bis zur Wirt-
     Die rechtzeitige und richtige Beatmung ist wahnsinnig wich-       schaftsabteilung.
     tig. Aber z.B. auch Nierenersatzverfahren, also die Dialyse.
     Die Komplikationen und Verläufe bei Covid-19 können ganz

10 rechts der isar aktuell August / September 2020
„Covid 19
                                     wird nie reine
                                     Routine sein.“

                                     Frau Ruiz Carot, was war die größte Veränderung durch
                                     die Corona-Pandemie?
                                     Mich traf das alles aus heiterem Himmel: aus dem Urlaub,
                                     rein in die Pandemie. Selbst für mich als Intensivpflegerin
                                     war das eine Umstellung. Allein die Schutzkleidung: Kittel,
                                     Doppelhandschuhe, FFB2-Maske, Brille, Kopfbedeckung –
                                     das erfordert Übung beim Anziehen. Außerdem fühlte sich
                                     die Situation so fremd an, täglich kamen neue Informatio-
                                     nen. Das macht nervös, man will ja alles richtig machen.
                                     Mittlerweile fühle ich mich sicher, reine Routine wird es aber
                                     wohl nie.
                                     Welchen Moment möchten Sie nicht noch einmal erle-
                                     ben?
                                     Den ersten Dienst im Covid-Bereich. Ich war bei einer sehr
                                     jungen Patientin, die intubiert werden musste. Sie war noch
                                     wach und hatte Angst. Auch mir war nicht wohl in meiner
                                     Haut: Die Schutzbrille drückte und ich schwitzte wahnsin-
             Africa Ruiz Carot ist   nig unter der Schutzkleidung. Doch ich wollte, dass sie sich
   Intensivpflegerin am Klinikum     aufgehoben fühlt. Ich sprach ihr gut zu und hoffte, alles rich-
                                     tig zu machen.
  rechts der Isar. Vom neuartigen
                                     Gab es auch schöne Momente?
Coronavirus wurde die gebürtige      Viele sogar. Jedes Mal, wenn wir einen ECMO-Patienten de-
Spanierin kalt erwischt: Aus dem     kanülieren konnten. Manche waren dann schon ansprech-
                                     bar und freuten sich. Als es der jungen Covid-Patientin bes-
    Urlaub zurück, landet sie am     ser ging, meinte sie, dass sie mein Gesicht nicht erkenne,
Beginn einer Pandemie. Und alles     aber meine Stimme sei ihr vertraut. Wir sprechen ja immer
                                     mit den Patienten, auch wenn sie bewusstlos sind. Das war
      fühlt sich plötzlich neu an.   ein echter Glücksmoment!
                                     Wie ging es Ihnen beim Anblick der Bilder aus den Kran-
                                     kenhäusern in Madrid?
                                     Ich war in großer Sorge. Vor allem seit ich wusste, dass sich
                                     mein Bruder – er ist ebenfalls Intensivpfleger – freiwillig als
                                     Helfer in Madrid gemeldet hatte. Zum Glück war es in Mur-
                                     cia, wo meine Familie lebt, eher ruhig. Keiner meiner Ange-
                                     hörigen und Freunde ist erkrankt.
                                     Wie leben Sie privat mit dem neuen Coronavirus?
                                     Ich bin voller Respekt. Ich erlebe ja, dass das
                                     Virus jeden treffen kann: junge Menschen
                                     genauso wie alte, Menschen mit Vorer-
                                     krankung, aber auch sehr gesunde. Der
                                     Alltag ist jetzt etwas mühseliger, weil
                                     viele Dinge nicht spontan möglich
                                     sind. Das vermisse ich.

                                                                 rechts der isar aktuell August / September 2020   11
„Der Zusammenhalt im
                 Team ist sehr, sehr gut.“

12 rechts der isar aktuell August / September 2020
Ihr Job ist immer wichtig – aber während der Corona-Pandemie
ist er es ganz besonders: Den Pflegekräften und Ärzt*innen in
Krankenhäusern und Pflegeheimen fliegen gerade die Herzen
nur so zu. Wie es ist, auf einer Covid-Station zu arbeiten,
erzählt Carolin von Ritter-Zahony (34) Mitte April 2020, zum
Höhepunkt der Coronavirus-Pandemie in Deutschland. Sie
ist Fachpflegekraft für Intensivpflege und Anästhesie und
Stationsleiterin der Covid-Intensivstation R3a.

Frau von Ritter, wie geht es Ihnen und Ihren Kolleg*innen       rus-Pandemie vor. Fühlen Sie sich von Ihrem Arbeitge-
auf einer von zwei Covid-Intensivstationen am Klinikum          ber gut unterstützt?
rechts der Isar?
                                                                Carolin von Ritter: Ja, absolut. Ich muss wirklich sagen, dass
Carolin von Ritter: Wir haben 14 Patient*innen und sind da-     es bei uns sehr gut läuft. Wir fühlen uns umsorgt und ge-
mit voll belegt. Die meisten liegen im künstlichen Koma und     schützt. Die Vorbereitungen auf allen Ebenen sind durch-
werden beatmet. Es ist für uns alle eine sehr herausfordern-    dacht. Wir haben viele Hilfsangebote für Mitarbeiter*innen,
de Situation mit dieser neuen Krankheit, über die man noch      ein tolles Catering für die Covid-Stationen und stehen im gu-
nicht viel weiß.                                                ten Dialog mit unseren Pflegedienstleitungen.

Welche Schwierigkeiten gibt es denn zum Beispiel?               Die Arbeit ist ja nicht ohne Risiko, Sie könnten sich trotz
                                                                Schutzausrüstung mit dem Coronavirus anstecken. Ha-
Carolin von Ritter: Weil wegen der Infektionsgefahr bei-        ben Sie Angst?
de Türen zu den Patientenzimmern – auf Intensivstationen
nennt man das Boxen – geschlossen sein müssen, hören            Carolin von Ritter: Angst habe ich keine. Aber großen Respekt
wir die Signaltöne der Geräte nicht, wenn wir mal kurz nicht    – obwohl ich es gewohnt bin, mit infektiösen Patienten zu ar-
im Zimmer sind. Eine Kollegin hatte jetzt die super Idee, Ba-   beiten. Wir alle halten uns wirklich akkurat an die Hygienevor-
byphone in die Boxen zu stellen. Problem gelöst! Natürlich      schriften. Ich kann verstehen, dass sich Kolleg*innen, die mit
ist es nicht immer so einfach.                                  Kindern oder Risikopersonen im selben Haushalt leben, mehr
                                                                Sorgen machen als ich. Ich bin sehr vorsichtig, falls ich mich
Ein interdisziplinäres Expertenteam bereitet das Klini-         anstecken sollte und es nicht gleich bemerke. Ich arbeite und
kum rechts der Isar seit Ende Januar auf die Coronavi-          gehe ab und zu einkaufen. Ansonsten bleibe ich zu Hause.

                                                                                            rechts der isar aktuell August / September 2020   13
Wie geht Ihr Team mit dem Risiko um?            Verletzte zu sorgen, gehört zum Anforde-
                                                                                                rungsprofil unseres Berufes.
                                                Carolin von Ritter: Der Zusammenhalt im
                                                Team ist wirklich sehr, sehr gut. Alle sind     Ihre Botschaft aus einer Covid-Intensiv-
                                                hilfsbereit und voll motiviert. Ich habe mei-   station in die Welt?
                                                nen Leuten angeboten, dass sie sich ver-
                                                setzen lassen können, wenn jemanden             Carolin von Ritter: Haltet Euch an die
                                                das Risiko zu hoch ist, auf einer Covid-In-     Regeln und nehmt die Corona-Pande-
                                                tensivstation zu arbeiten. Aber das wollte      mie ernst. 95 Prozent der Infizierten ha-
                                                niemand. Alle helfen mit.                       ben einen milden Verlauf. Aber fünf Pro-
                                                                                                zent erkranken schwer. Und darunter sind
                                                Deutschlandweit werden Pflegekräf-              nicht nur Risikopersonen. Wir haben auch
                                                te zurzeit als Helden gefeiert und be-          30-Jährige ohne Vorerkrankungen auf In-
                                                klatscht. Wie finden Sie das?                   tensiv. Das Gerede um die Risikogruppen
                                                                                                finde ich ohnehin entsetzlich. Auch Men-
                                                Carolin von Ritter: Ich finde es schön, dass    schen mit Vorerkrankungen wollen nicht
                                                 wir so viel Wertschätzung erfahren. Die-       an Covid sterben! Ich würde das Durch-
                                                   se Wertschätzung sollten wir weiterge-       schnittsalter auf unserer Intensivstation auf
                                                      ben an andere. Jeder Mensch ist von       60 Jahre schätzen. Das ist kein Alter heut-
                                                       der Coronakrise betroffen. Wir al-       zutage.
                                                        le sind systemrelevant. Sehr vie-
                                                         le Menschen in Deutschland leis-       Was belastet Sie persönlich im Moment
                                                          ten gerade hervorragende Arbeit.      am meisten?
                                                          Wir tun alle unseren Job – auch
                                                          wir Pflegekräfte. Pflege ist natür-   Carolin von Ritter: Das Besuchsverbot fin-
                                                         lich wichtig für eine Gesellschaft,    de ich wirklich traurig, obwohl es nötig ist.
                                                         aber das war sie schon immer. Ich      Ehepartner und Kinder, die nicht zu ihren
                                                        empfinde uns Pflegende nicht als        schwer kranken oder sterbenden Liebsten
                                                       Helden. Auch nicht als Opfer. Wir        können. Meine Kolleg*innen und ich ver-
                                                    brauchen kein Mitleid.                      suchen das ein bisschen aufzufangen, in
                                                                                                dem wir engen Kontakt zu den Angehöri-
                                                Wie sehen Sie sich selbst?                      gen halten und alles für unsere Patienten
                                                                                                tun – fachlich, pflegerisch und menschlich.
                                                Carolin von Ritter: Ich kann wirklich nur für   Das hat mir meine Oma schon als junge
                                                mich sprechen. Natürlich hätte ich zu Be-       Krankenschwester gesagt: „Carolin, ver-
                                                ginn meiner Berufstätigkeit nicht im Traum      giss nicht mit den Leuten zu reden.“ Ich
                                                daran gedacht, mal eine Intensivstation mit     kann nicht die Liebe eines nahen Verwand-
                                                Covid-Patienten zu leiten. Aber eine Tätig-     ten ersetzen, aber ich kann Zuwendung
                                                keit in der Pflege war schon immer mit viel     geben und menschliche Wärme in einer
                                                Verantwortung verbunden. Das weiß ich,          schweren Zeit.
                                                wenn ich mich für diesen Beruf entschei-
                                                de. In einer Krisensituation für Kranke oder

14 rechts der isar aktuell August / September 2020
„Uns erlebt man
                                                                         wenigstens live!“
                                    Bertram Linsenmeyer

  Thomas Kammerer

S
        echs hauptamtliche Seelsorger*innen arbeiten            Linsenmeyer: Das stimmt. Uns erlebt man wenigstens live!
        am Klinikum rechts der Isar. Für Corona-Patien-         Selbst Patienten, die gut mit digitalen Medien umgehen kön-
        ten gehörten sie zu den wenigen persönlichen            nen, vermissten die direkte menschliche Zuwendung. Auch
Ansprechpartnern. Ein Gespräch mit Pfarrer Thomas               wenn die Schutzkleidung eine gewisse Distanz schafft, der
Kammerer, dem seelsorgerischen Leiter (rk), und Bert-           Qualität der Gespräche tut das keinen Abbruch.
ram Linsenmeyer, Theologe (ev.), über eine besondere            Wie steht es um die Angehörigen?
Situation.                                                      Kammerer: Die litten unter dem Kontaktverbot vielleicht noch
                                                                stärker als die Patienten. Der geliebte Mensch war aus dem
Herr Linsenmeyer, Sie haben in den vergangenen Wo-              Blickfeld verschwunden, sie konnten nichts für ihn tun. Das
chen zahlreiche Covid-19-Erkrankte betreut. Haben die           erzeugt Verunsicherung, Ohnmacht. Es war deshalb unser
besondere Bedürfnisse?                                          Angebot, dass wir mit den Angehörigen von Intensivpatien-
Bertram Linsenmeyer: Corona-Patienten litten hauptsäch-         ten, die nicht selbst telefonieren konnten, Kontakt hielten.
lich darunter, dass sie Angehörige und Freunde wegen des        Für diese war es beruhigend zu wissen, dass es uns gibt
Kontaktverbots nicht sehen durften. Ansonsten haben sie         und sie jederzeit auf uns zugehen können.
die gleichen Fragen wie andere Patienten: Wie lange muss
                                                                Was ist für ein Krankenhaus in einer so schwierigen
ich im Krankenhaus bleiben? Komme ich wieder zu Kräften
                                                                Phase wichtig?
etc. Und vor allem wollen sie als Person wahrgenommen
                                                                Kammerer: Gute Vorbereitung, und die hatten wir. Un-
und nicht in die Schublade Corona einsortiert werden.
                                                                sere bestehenden Gremien und Strukturen für Krisenfäl-
Herr Kammerer, wie leisten Sie und Ihr Team seelsorge-          le sind rasch ins Laufen gekommen. Die Mitarbeiter haben
rische Hilfe?                                                   sich schnell zusammengefunden und Dinge hochgezogen,
Thomas Kammerer: „Raum haben, Hoffnung schöpfen, We-            wie man das vorher nicht für möglich gehalten hätte. Unser
ge geben“ – so haben wir das für uns formuliert. Wir hel-       Haus hat mit Bedacht und Vernunft gehandelt. Kritisch war
fen, indem wir zuhören, der Patient gibt die Richtung vor. Im   nur die Frage, ob für alle genug Schutzkleidung vorhanden
Verlauf des Erzählens merkt er von allein, was ihm am Her-      ist. Der gesamte Apparat gibt sein Bestes – inklusive der
zen liegt.                                                      zahlreichen Putzkräfte, Logistiker und Laboranten, die lei-
Wegen des Kontaktverbots waren Sie als Ansprechpart-            der nicht so viel öffentliche Anerkennung erfahren! Ihnen al-
ner bei Patienten vermutlich recht gefragt …                    len gilt auch unser Dank.

                                                                                           rechts der isar aktuell August / September 2020   15
16 rechts der isar aktuell August / September 2020
C   O   R   O   N   A     K      R            I            S               E

                    Wann
                    kommt
                    die
                    Impfung?
                    Mit globaler Kraft gegen die
                    Coronavirus-Pandemie: Forschende
                    auf der ganzen Welt designen
                    Impfstoffe, testen vorhandene und
                    entwickeln neue Medikamente gegen
                    das Coronavirus SARS-CoV-2 und
                    die Krankheit Covid-19. „Trotzdem
                    werden wir lernen müssen, mit dem
                    Virus zu leben und rational damit
                    umzugehen“, sagt Prof. Ulrike Protzer.

                                     rechts der isar aktuell August / September 2020   17
„Ein wirksames Medikament wird schneller verfügbar sein als ein Impfstoff“,
     prognostiziert die Virologin. „Bis große Teile der Weltbevölkerung gegen SARS-
     CoV-2 geimpft sind und damit eine Herdenimmunität erreicht ist, wird es selbst
     unter idealen Bedingungen noch einige Zeit dauern.“ Die Direktorin der Institute
     für Virologie der TUM und des Helmholtz Zentrum München gibt einen Überblick
     über die Impfstoffentwicklung und die Zukunftsaussichten der Coronakrise.

     Mehr als 160 Impfstoffprojekte                                    die Herstellung wurde mit Hochdruck vorangetrieben. Bis
                                                                       vor wenigen Jahren dauerte die Entwicklung einer neuen
     in der Entwicklung                                                Vakzine 15 bis 20 Jahre.
                                                                       Einige wenige der Impfstoffkandidaten haben sogar schon
     Die WHO zählte Ende Juli 2020 mehr als 160 Impfstoffpro-
                                                                       die letzte der insgesamt drei Phasen der klinischen Studi-
     jekte gegen SARS-CoV-2. Auch das Institut für Virologie am
                                                                       en erreicht und werden gesunden Freiwilligen verabreicht,
     Klinikum rechts der Isar arbeitet an verschiedenen Impfstra-
                                                                       um ihre Wirksamkeit zu testen. Diese Phase dauert mehrere
     tegien mit. „Wir charakterisieren derzeit die Virus-Wirt-Inter-
                                                                       Monate und erfordert, dass einige der Probanden dann auch
     aktion. Wie sah die Immunantwort von Patient*innen und
                                                                       tatsächlich dem Virus ausgesetzt sind.
     Ausgeheilten aus, die das Virus ausschalten konnte? Das
     muss man genau verstehen, um wirksame und sichere Impf-
     stoffe zu entwickeln“, erklärt Prof. Protzer. „Der Schwerpunkt
     unserer Forschung liegt auf der Entwicklung von Immunthe-         Im Idealfall mehrere
     rapien wie therapeutische Impfungen, T-Zell-Therapien oder        unterschiedliche Impfstoffe
     antikörperbasierte Therapien für Infektionserkrankungen.
     Für das neuartige Coronavirus sind wir gerade in der De-          „2021 können mehrere unterschiedliche Impfstoffe in die
     signphase eines proteinbasierten Totimpfstoffes.“                 letzte Phase der klinische Prüfung gehen“, sagt Protzer.
                                                                       „Idealerweise würde man das in vergleichenden Studien tun
     Impfstoffdesign:                                                  um schnell herauszufinden, welcher Impfstoff der beste ist.“
                                                                       Das würde auch helfen, Produktionsstätten rund um den
     wirksam und sicher muss es                                        Globus bestmöglich zu nutzen. Parallel zur milliardenfachen
     sein                                                              Herstellung von Impfdosen müsse die nötige Infrastruktur für
                                                                       eine weltweite Impfkampagne geschaffen werden. Nieder-
     Wichtig ist das „targeted design“, so nennt man die zielge-       gelassene Ärzte in Deutschland und der Welt werden diese
     richtete Entwicklung eines Impfstoffs. Dieser muss zuver-         Mammutaufgabe nicht alleine stemmen können.
     lässig eine Infektion mit SARS-CoV-2 verhindern, also die         „Im besten Fall stehen Mitte / Ende 2021 die ersten Impfun-
     richtige – jedoch nicht krank machende – Immunantwort her-        gen zur Verfügung. Entweder als Injektion oder als Nasen-
     vorrufen. Die ersten 30 Impfstoffprojekte sind bereits in der     spray“, wagt die Virologin den Blick in die Zukunft. Zuerst
     frühen klinischen Prüfung der Phase I oder II, in denen die       werde wohl medizinisches Personal und danach systemkri-
     Sicherheit überprüft und die Dosis bestimmt wird. Das Impf-       tische Berufsgruppen wie Polizisten geimpft. Auf freiwilliger
     stoffdesign hat häufig nur zwei Monate gedauert – das ist         Basis, versteht sich. „Ich gehe davon aus, dass wir frühes-
     rasend schnell und dank neuer genetischer Methoden und            tens 2022 soweit sind, dass sich alle Menschen, die das wol-
     des Wissens aus vorherigen Impfstoffprojekten zu älteren          len, auch impfen lassen können.“
     SARS- und MERS-Coronaviren heute möglich. Und auch

18 rechts der isar aktuell August / September 2020                                                rechts der isar aktuell August / September 2020   18
Impfstoffe
Totimpfstoffe:
  Diese Art der Impfung kennt man
  schon lange, z.B. von Polio oder          Phasen der Impfstoffentwicklung
  Hepatitis A. In den Impfstoffen              • Analyse des Virus: Was ruft Immunreaktionen
  ist das ganze, inaktivierte Virus              hervor?
  enthalten. Problem: die Herstellung          • Design des Impfstoffes: Was muss enthalten
                                                 sein?
  sehr großer Mengen von SARS-
                                               • Erprobung mit Tieren
  CoV-2-Viren in kurzer Zeit könnte            • Erprobung mit Freiwilligen
  schwierig werden, da umfangreiche               • Phase I: 10 bis 30 Menschen: Verträglich-
  Sicherheitsvorkehrungen dafür nötig               keit, Sicherheit
  sind.                                           • Phase II: 50 – 500 Menschen: Verträglich-
                                                    keit, Dosierung, Immunantwort
                                                  • Phase III: > 1000 Menschen: Zuverlässigkeit
Rekombinante Impfstoffe mit                         des Schutzes
Virusproteinen:                                • Zulassungsverfahren: Für die EU bei der EMA
  Viele, sehr sichere Impfstoffe nutzen          (Europäische Arzneimittel Agentur)
                                               • Impfkampagnen weltweit
  dieses Prinzip, z.B. gegen Tetanus oder
  Hepatitis-B. Ausgewählte Virusproteine
  werden mit Hilfe von Coli-Bakterien
  oder der Bäckerhefe in großen Mengen
  synthetisiert und nach Aufreinigung,      Immunität gegen SARS-CoV-2
  versehen mit einem Wirkstoffverstärker    Wie lange eine Impfung wirksam sein wird, lasse
  (Adjuvans), verabreicht.                  sich noch nicht abschätzen. „Die Immunität gegen
                                            die normalen zirkulierenden Coronaviren, die Erkäl-
                                            tungskrankheiten auslösen, hält ein bis zwei Jahre.
Lebendimpfstoffe mit Vektorviren:           Die Immunität gegen das erste SARS-Coronavirus
  Vektorviren sind harmlose Viren oder      war länger anhaltend, mindestens drei Jahre“, sagt
  so verändert, dass sie selbst nicht       Prof. Ulrike Protzer. In Experimenten mit Rhesusaf-
                                            fen konnte man keinen einzigen Affen nach überstan-
  krank machen. Diese Vektorviren kann
                                            dener Infektion mit SARS-CoV-2 erneut mit dem neu-
  man mit biotechnischen Mitteln als        artigen Coronavirus infizieren. „Deswegen glauben
  Coronavirus „verkleiden“, indem man       wir als Wissenschaftler*innen, dass eine schützen-
  Oberflächenproteine von SARS-CoV-2        de Immunität entsteht – sowohl durch Antikörper als
  einsetzt. Sie sind bisher im Menschen     auch durch Immunzellen.“
  nur gegen das Ebolavirus im Einsatz.

Genbasierte Impfstoffe:
 Die Impfstoffe enthalten ausgewählte
 Gene des Virus in Form von mRNA
 oder DNA. Diese sollen im Körper
 Virusproteine kodieren, die dann wie
 bei einem konventionellen Impfstoff
 einen Immunschutz bewirken. Die
 Methode ist neu. Derzeit gibt es
 noch keinen für den Menschen
 zugelassenen, genbasierten Impfstoff.

                                                                  rechts der isar aktuell August / September 2020   19
E P Y L O G E

20 rechts der isar aktuell August / September 2020
Palliativversorgung bei
fortgeschrittener Demenz:
Ergebnisse der EPYLOGE-Studie
„Mein Mann ist nicht palliativ, das lehne                            In der Summe gute Lebensqualität
ich entschieden ab“. Pflegende Angehö-                               und „Comfort of dying“
rige von Menschen mit Demenz reduzie-
ren Palliativmedizin häufig auf Sterbehil-
                                                              Ein etwas überraschendes, jedoch beruhigendes Studien-
fe. Dieser Irrglaube (der nicht selten auch
                                                              ergebnis: Auch bei fortgeschrittener Demenz scheint die Le-
bei Professionellen vorherrscht) führt zur                    bensqualität überwiegend gut bis sehr gut zu sein. „Der Pa-
Ablehnung einer Palliativversorgung bei                       tient war die meiste Zeit des Tages ruhig und zufrieden“, so
Demenz, zumal Palliativmedizin nach wie                       die Einschätzung von über zwei Drittel der pflegenden An-
vor eher bei Tumorerkrankungen verortet                       gehörigen. Auch das Sterben scheint meistens wenig leid-
                                                              voll zu sein. Dennoch gibt es einige Betroffene, denen es
wird: „Palliativ, das wäre ein Thema, wenn
                                                              am Lebensende und beim Sterben nicht gut geht. Die Ana-
er Krebs hätte“.                                              lysen aus EPYLOGE weisen darauf hin, dass bei diesen
                                                              Patient*innen quälende Symptome zum Teil nicht als solche
                                                              identifiziert werden. Außerdem scheint die medikamentöse
                                                              wie auch nicht-medikamentöse Therapie somatischer (z.B.
   Prof. Janine Diehl-Schmid, Leiterin des Zentrums für Ko-   Atemnot) und psychischer Symptome (z.B. Angst) bei die-
    gnitive Störungen, und ihr wissenschaftliches Team ha-    sen Patient*innen häufig nicht ausreichend.
     ben sich dieses Themas angenommen und eine vom           Es gilt, genauer hinzusehen: Diejenigen Patient*innen,
     BMBF geförderte Studie zur Palliativversorgung von       die am Lebensende leiden, müssen sicher identifiziert
     Menschen in Deutschland mit früh und spät beginnen-      und besser behandelt werden! Dabei sind das Pflege-
     der fortgeschrittener Demenz in der letzten Lebenspha-   personal (ambulant wie stationär) und die behandeln-
     se, die EPYLOGE-Studie, abgeschlossen. Zwei Neu-         den Ärzt*innen in der Pflicht. Informationen für die An-
    rologinnen haben von 2017 bis 2019 insgesamt 192          gehörigen, bei welchen Symptomen sie ärztliche und/
   Menschen mit fortgeschrittener Demenz und deren pfle-      oder pflegerische Unterstützung einholen sollten, wä-
  gende Angehörige im Heim oder zu Hause besucht. Sie         ren zudem hilfreich, um ggf. eine Therapienotwendig-
haben eine umfangreiche Bestandsaufnahme der Sympto-          keit rechtzeitig zu identifizieren.
me der Menschen mit Demenz, der (palliativen) Versorgung
und zur Beschreibung der letzten Lebensphase bzw. der To-
desumstände erstellt. Zusätzlich führten sie ausführliche
Interviews mit 100 Angehörigen von bereits verstorbenen              Kaum Unterschiede zwischen früh und
Menschen mit Demenz, nicht zuletzt um von spezifischen               spät beginnender Demenz
Problemen, Bedürfnissen und Wünschen der Angehörigen
von Menschen mit Demenz am Lebensende zu erfahren.
                                                              Bei der Planung von EPYLOGE war der Grundgedanke, dass
EPYLOGE ist die erste Studie weltweit, in der Demenzbe-       Menschen mit früh beginnender Demenz, die also auch am
troffene mit früh und spät beginnender Demenz – also mit      Lebensende noch vergleichsweise jung sind, eine deutlich
Symptombeginn vor und nach dem 65. Lebensjahr – vergli-       schlechtere Lebensqualität bzw. „Sterbequalität“ aufweisen,
chen wurden. Außerdem wurde in EPYLOGE besonderes             als Menschen mit spät beginnender Demenz. Entgegen die-
Augenmerk auf Menschen mit fortgeschrittener Demenz,          ser Erwartungen unterschieden sich die Lebens- und „Ster-
die nicht im Heim, sondern zu Hause leben, gelegt.            bequalität“, die Symptome, die Versorgung und Behandlung
                                                              sowie die Todesumstände zwischen früh und spät Erkrank-
                                                              ten nicht. Einziger Unterschied: in der letzten Lebenswoche
                                                              scheinen spät (!) Betroffene eine etwas schlechtere Lebens-
                                                              qualität zu haben als Patienten mit frühem Symptombeginn.

                                                                                        rechts der isar aktuell August / September 2020   21
Ein wichtiges Ergebnis von EPYLOGE ist, dass es
                                                     den Menschen mit früh beginnender Demenz nicht,
                                                     wie befürchtet, am Lebensende sehr schlecht geht.
                                                     Sie scheinen im System, das ja für alte Menschen
                                                     mit Demenz zugeschnitten ist, gut versorgt zu sein.

     Wenig überraschend zeigte sich, dass früh Betroffene viel      weniger pflegebedürftig als Patienten im Heim – versterben
     weniger körperliche Begleiterkrankungen haben und deut-        häufiger im Krankenhaus. Vorausschauende Anweisungen
     lich mobiler sind – letzteres möglicherweise ein Grund da-     wie z.B. die Festlegung von Therapiezielen oder „Keine Wie-
     für, dass sie im Heim häufiger auf beschützenden Stationen     derbelebung“ finden sich seltener als bei Heimpatienten.
     untergebracht sind als spät Betroffene. Ein deutlicher Un-
                                                                    Viele Angehörige, die Menschen mit fortgeschrittener De-
     terschied ließ sich bei den pflegenden Angehörigen nach-
                                                                    menz zu Hause versorgen, erscheinen einerseits stark be-
     weisen: Die Angehörigen von Menschen mit frühem Erkran-
                                                                    lastet, andererseits schlecht informiert und unterstützt. Dies
     kungsbeginn waren durch die Pflege viel mehr belastet als
                                                                    ist wenig überraschend, da gerade Menschen mit fortge-
     die Angehörigen von spät Betroffenen.
                                                                    schrittener Demenz, die nicht oder nur mit Schwierigkeiten
     Ein wichtiges Ergebnis von EPYLOGE ist, dass es den            zum Arzt gebracht werden können, aus dem System fallen.
     Menschen mit früh beginnender Demenz nicht, wie be-            Hier ist eine aktiv aufsuchende Beratung und Betreuung er-
     fürchtet, am Lebensende sehr schlecht geht. Sie schei-         forderlich, die die Bedarfe und Probleme in der Versorgung
     nen im System, das ja für alte Menschen mit Demenz zu-         analysiert und die Angehörigen durch Information über und
     geschnitten ist, gut versorgt zu sein. Allerdings besteht      Anpassung von Versorgungsleistungen entlastet.
     Verbesserungsbedarf bei der Unterstützung der pfle-
     genden Angehörigen von Menschen mit früh beginnen-
     der Demenz, die zum Teil an ihrer Belastungsgrenze zu          Behandlung mit Psychopharmaka –
     sein scheinen.
                                                                    zu viel und zu wenig

     Pflegende Angehörige zu Hause:
                                                                    40 Prozent der Menschen mit Demenz, die in die EPYLO-
     Zu oft alleine gelassen?                                       GE-Studie eingeschlossen wurden, wurden mit Schlaf- und/
                                                                    oder Beruhigungsmittel behandelt, hauptsächlich aus der
                                                                    Substanzgruppe der Antipsychotika. Hier zeigte sich, dass
     Es gibt diverse Unterstützungsmöglichkeiten (z.B. ambulan-
                                                                    offensichtlich einerseits zu großzügig über Jahre hinweg
     te Pflegedienste, 24h-Pflege, Tagespflege, ehrenamtliche
                                                                    verordnet wurde, ohne dass im Verlauf geprüft wurde, ob
     Helfer u.v.m.) für die häusliche Versorgung von Demenz-
                                                                    Beruhigungsmittel überhaupt noch nötig sind. Andererseits
     betroffenen. Dennoch nehmen 17 Prozent der pflegenden
                                                                    wurden Patienten mit quälenden psychischen Symptomen
     Angehörigen aus verschiedenen Gründen zu Hause keiner-
                                                                    (z.B. Angst und Unruhe) mit zu niedrigen Dosierungen oder
     lei professionelle Hilfe in Anspruch. Die pflegenden Ange-
                                                                    gar nicht medikamentös behandelt. Hier scheint es vor al-
     hörigen zu Hause – überwiegend die Ehepartner – sind im
                                                                    lem in der häuslichen Pflegesituation am Zugang zu ärztli-
     Schnitt älter als die Angehörigen von Heimpatienten. Sie ha-
                                                                    cher Expertise zu fehlen.
     ben vergleichsweise weniger Lebensqualität, sind depres-
     siver, belasteter und weniger in Entscheidungen eingebun-
     den. Die Patienten zu Hause – jünger, weniger dement und

22 rechts der isar aktuell August / September 2020
Zusammengefasst zeigte sich in EPYLOGE, dass die                besser über die Voraussetzungen, den Sinn und die Be-
psychopharmakologische Behandlung von Menschen                  deutung der Patientenverfügungen aufgeklärt werden.
mit fortgeschrittener Demenz z.T. verbesserungswürdig           Vertreterverfügungen könnten möglicherweise ein ge-
ist. In vielen Fällen mangelt es an Ärzten, die in der Be-      eignetes Instrument darstellen, um flexibel auf sich ver-
handlung mit Psychopharmaka erfahren sind und Haus-             ändernde Situationen reagieren zu können.
und Heimbesuche mit regelmäßigen Verlaufskontrollen
und Anpassung der Medikation durchführen.
                                                                Die Anregungen der Angehörigen
Wie sorgen Menschen mit Demenz vor?
                                                                Viele der interviewten Angehörigen wiesen auf ein Defizit
                                                                von Krankenhaus-Stationen, die Erfahrung im Umgang mit
Im Rahmen von EPYLOGE wurden die vorliegenden Vor-              dementen Patienten haben, hin. Ein einheitlicher Wunsch
sorgedokumente genau analysiert. Bei gut zwei Drittel der       bestand zudem nach mehr und besser ausgebildetem Pfle-
lag eine Patientenverfügung vor, meist wurden die gängigen      gepersonal, sowohl im Heim als auch im Krankenhaus. Der
Vordrucke verwendet. Bemerkenswert ist, dass – so die Be-       Wunsch nach einer besseren häuslichen Versorgung durch
richte der Angehörigen – in mehreren Fällen Patientenver-       Fachärzte wurde geäußert ebenso wie nach einem besse-
fügungen auf Initiative der Familien erstellt wurden, als der   ren Kontakt der Angehörigen zum behandelnden Arzt im
Betroffene offensichtlich demenzbedingt nicht mehr einwilli-    Heim.
gungsfähig war. Mitunter haben Notare und Ärzte bei diesen
„verspäteten“ Patientenverfügungen mitgewirkt.
Aus den Angehörigen-Interviews wurde offensichtlich, dass       Die Wahrnehmungen der
Patientenverfügungen häufig nur vermeintliche Klarheit          Studienärztinnen
schaffen. Der Zeitpunkt der Anwendung – z.B. des Unter-
lassens lebensverlängernder Maßnahmen – ist oft unklar.
Manchmal ist das Wissen zu Inhalt und Geltung – auch bei        Die beiden Neurologinnen erhielten einen außergewöhnlich
Professionellen – fehlerhaft.                                   tiefen Einblick in die Versorgung. Ihr gemeinsames Fazit ist,
                                                                dass die „Sterbequalität“ von Menschen mit fortgeschritte-
Neben den Patientenverfügungen fanden sich eine Vielzahl
                                                                ner Demenz am höchsten ist, wenn am Lebensende eine Art
anderer Dokumente, wie die Festlegung von Therapiezie-
                                                                erfahrener „Koordinator“ involviert ist. Dabei ist es unerheb-
len, Krisenpläne oder Anweisungen wie „Keine Reanimati-
                                                                lich, zu welcher Berufsgruppe der Koordinator gehört. Stellt
on“, die z.T. von Professionellen (mit-) verfasst und von den
                                                                er die Weichen für die bedarfsgerechte Betreuung und Be-
Angehörigen unterschrieben wurden. Die Anzahl und kreati-
                                                                handlung, ist er kompetent, jederzeit erreichbar und ggf. prä-
ve Vielfalt dieser Dokumente war überraschend.
                                                                sent, so ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Mensch
Die Erkenntnisse aus EPYLOGE legen nahe, dass Pa-               mit Demenz ohne hohe Symptomlast verstirbt und die Ange-
tienten, Familien und besonders Professionelle noch             hörigen den Sterbeprozess als friedlich wahrnehmen.

                                                                                           rechts der isar aktuell August / September 2020   23
Neu am Klinikum

                                                     Neues Gerät für Hochpräzisions-
                                                     Strahlentherapie

                                                     Mit dem neuen Gamma Knife®-System der Klinik für Radi-
                                                     oonkologie und Strahlentherapie – dem ersten seiner Art in
                                                     Bayern – baut Klinikdirektorin Prof. Stephanie E. Combs das
                                                     Behandlungsangebot im Rahmen des Neuroonkologischen
                                                     Zentrums aus. Hier können Patient*innen mit Hirntumoren,
                                                     Hirnmetastasen oder Tumoren an der Schädelbasis eine in-
                                                     dividualisierte Behandlung mit größtmöglicher Präzision er-
                                                     halten. Das neue Gerät ist eingebettet in das Zentrum für
                                                     Stereotaxie und Personalisierte Hochpräzisionsstrahlenthe-
                                                     rapie (StereotakTUM), in dem hochpräzise Strahlentherapie
                                                     für Tumore und Metastasen in allen Körperregionen ange-
                                                     boten wird.
                                                     Die stereotaktische Radiochirurgie ist eine Bestrahlungs-
                                                     methode, bei der der Tumor in einer einmaligen oder in nur
                                                     wenigen Sitzungen mit hochfokussierter Strahlentherapie
                                                     behandelt wird. Das umliegende, gesunde Gehirn wird ge-
                                                     schont, so dass Nebenwirkungen vermieden werden kön-
                                                       nen. Die Strahlung erfolgt aus verschiedenen Richtungen
                                                               und ist in einem Punkt fokussiert. Durch verschie-
                                                                    dene Positionen der Strahlenquellen lässt sich
                                                                       der Fokuspunkt verändern. Dadurch kann
                                                                          eine optimale Dosisverteilung im Tumor
                                                                            bei möglichst geringer Belastung für
                                                                             das gesunde Gewebe erzielt werden.
                                                                              Die Methode kann nach einer bzw.
                                                                               in Kombination mit einer Operati-
                                                                                on, als Alternative zu einer OP, als
                                                                                Rezidivtherapie oder begleitend zu
                                                                                einer Chemo-, Strahlen- oder Im-
     Einige Fotos auf diesen Seiten                                            muntherapie eingesetzt werden.
     wurden vor Beginn der Corona-
     Pandemie erstellt – manche der
     abgebildeten Personen tragen
     daher keine Schutzmasken.                                                Anlieferung Gamma Knife®-System

24 rechts der isar aktuell August / September 2020
Prof. Combs

Zusätzliches CT-Gerät für die Diagnostik                         Erkenntnisse über den Gesundheitszustand des Patienten,
                                                                 insbesondere bei Patienten mit akutem oder drohendem
von Covid-19
                                                                 Lungenversagen. Mit Hilfe des neuen Computertomogra-
                                                                 phens kann die Lunge von Covid-19-Patienten innerhalb
Für die Diagnostik von Covid-19 hat das Institut für diagnos-
                                                                 von rund zwei Sekunden gescannt und beurteilt werden. Bei
tische und interventionelle Radiologie (Direktor Prof. Marcus
                                                                 dem speziell für die Lungendiagnostik ausgestatteten Sys-
R. Makowski) einen zusätzlichen Computertomographen
                                                                 tem Somatom go.Top lassen sich die Scan-Protokolle vorab
(CT) installiert. Er ist eines von 25 Geräten, die das Bayeri-
                                                                 programmieren und die Untersuchung mit nur einem Knopf-
sche Gesundheitsministerium im Kampf gegen Corona bei
                                                                 druck starten. Dies reduziert die Einarbeitungszeit für das
der Firma Siemens Healthineers erworben hat.
                                                                 Personal und macht die standardisierte Untersuchung vieler
Die Computertomographie spielt sowohl in der Diagnose
                                                                 Patienten in kurzer Zeit möglich. Die spezielle Vorfilterung
als auch der Verlaufskontrolle von Patienten mit einer Co-
                                                                 dieses modernen CT-Gerätes unterstützt zudem eine hohe
vid-19 Infektion eine große Rolle. Die CT-Aufnahmen des
                                                                 Bildqualität bei sehr niedrigen Dosiswerten und ist daher
Brustkorbs liefern bereits im frühen Krankheitsstadium cha-
                                                                 auch für Verlaufskontrollen gut geeignet.
rakteristische Anzeichen einer Virus-bedingten Lungenent-
zündung. Im weiteren Krankheitsverlauf ermöglichen sie

                                 Prof. Schwaiger                       Prof. Makowski

                                                                                           rechts der isar aktuell August / September 2020   25
Urologische Stationen frisch saniert

                                                Die Station H1a der Klinik für Urologie ist nach einer um-
                                                fassenden Generalsanierung wieder in Betrieb gegangen. In
                                                den vergangenen beiden Jahren wurde die Station komplett
                                                entkernt, die Zimmer und Bäder wurden vollständig erneuert,
                                                auch die Fenster wurden ausgetauscht. Die gesamte Tech-
                                                nik ist neu – von der Lüftung bis hin zur Elektrik – ebenso die
                                                Ausstattung der Räume, die Platz für 31 Patienten bieten.
                                                Leitmotiv für die Gestaltung ist das Thema „Gewässer“: Die
                                                Patientenzimmer heißen beispielsweise „Sternbergersee“
                                                oder „Ammersee“ – und die passenden Fotos schmücken
                                                die Wände und erfreuen die Augen. Auch auf der zweiten
                                                urologischen Station, der H2a, wurde in den vergangenen
                                                Monaten eine Oberflächensanierung durchgeführt.

                                                                Prof. Machens

     Einige Fotos auf diesen Seiten
     wurden vor Beginn der Corona-
     Pandemie erstellt – manche der
     abgebildeten Personen tragen
     daher keine Schutzmasken.

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