Analysen und Konzepte - Bertelsmann ...

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Analysen und Konzepte

                 LebensWerte Kommune | Ausgabe 1 | 2021

SDGs und kommunale Gemeinwohl-Bilanz
 Wie die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development
  Goals, SDGs) der Vereinten Nationen mit der Gemeinwohl-Bilanz von
       Städten, Kreisen und Gemeinden verknüpft werden können

         Anke Butscher, Matthias Kasper, Sigrid Koloo, Henrik Riedel
Inhalt | Analysen und Konzepte 1 | 2021

Inhalt

1.	Einleitung – SDGs, Gemein­wohl-Bilanz und ihre
    Verknüpfung                                            4

2.	Gemeinwohl-Ökonomie in Kommunen –
     Ansatz, Instrumente und Beispiele                     5
2.1 Gemeinwohl-Ökonomie                                    5
2.2	Gemeinwohl-Ökonomie und -Bilanzierung in
     Kommunen                                              5

3.	Agenda 2030 für nach­haltige Entwicklung und
     die Rolle von Kommunen                               11
3.1	Agenda 2030 und Sustainable Development Goals        11
3.2	Bedeutung der Sustainable Development Goals
     für Kommunen                                         12

4.	Zusammenhang von Gemeinwohl-Bilanz und
    Sustainable Development Goals                         13
4.1 Vision und Ziele                                      13
4.2 Werte und Inhalte                                     14
4.3 Vernetzung                                            14
4.4 Komplexität und Vollständigkeit                       15
4.5 Sprache                                               16

5.	Wege zur Verknüpfung von Gemeinwohl-Bilanz und
    Sustainable Development Goals in Kommunen      16

6.	Instrumente, Vorhaben und Projekte                    18
6.1 Projekte und Vorhaben                                 18
6.2 Instrumente                                           20

7.	Fazit – Potenziale und Herausforderungen              22

Quellenverzeichnis                                        23
Anhang                                                    25
Autor:innen                                               26
Ausblick                                                  27
Impressum                                                 27

                                                           3
Analysen und Konzepte 1 | 2021 | Einleitung – SDGs, Gemein­wohl-Bilanz und ihre Verknüpfung

           1.	Einleitung – SDGs, Gemein­                                     Werte, der Staatsprinzipien und der sogenannten

               wohl-Bilanz und ihre                                           „Berührungsgruppen“ (= Anspruchsgruppen bzw.
                                                                              Stakeholder), die die Gemeinwohl-Ökonomie der
               Verknüpfung                                                    Bilanzierung als verpflichtende Strukturelemente
                                                                              zugrunde legt.
           Im September 2015 haben die Vereinten Nationen
           die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für eine nach-                 Anschließend werden in Kapitel 3 die Sustaina-
           haltige Entwicklung (Sustainable Development                       ble Development Goals (SDGs) und deren Einbet-
           Goals, SDGs) verabschiedet. Und obwohl sich                        tung in die Agenda 2030 der Vereinten Nationen
           die SDGs primär an die nationalen Regierungen                      im Überblick vorgestellt. Außerdem wird erläu-
           richten, sind doch alle Ziele und ein Großteil der                 tert, welche Rolle Kommunen bei der Umsetzung
           Unterziele auch für die regionale und lokale Ebene                 der SDGs spielen.
           relevant. Dies wird nicht zuletzt dadurch deutlich,
           dass immer mehr Kommunen ihre Nachhaltig-                          Das hierauf folgende Kapitel 4 beschäftigt sich
           keitsstrategien an den SDGs ausrichten.1 Gleich-                   mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden
           zeitig orientiert sich eine wachsende Zahl an Städ-                von Gemeinwohl-Bilanz und SDGs – sowohl auf
           ten, Kreisen und Gemeinden an den Eckpunkten                       einer inhaltlichen als auch auf einer werteorien-
           der Gemeinwohl-Ökonomie und erstellt entspre-                      tierten Ebene. Dabei werden die jeweils zugrunde
           chende Gemeinwohl-Bilanzen.2 Da nun einerseits                     liegende Vision und die Ziele, Werte und Inhalte,
           mit der Umsetzung der SDGs eine ökonomisch,                        Vernetzungsaspekte, Komplexität und Vollstän-
           ökologisch und sozial ausgeglichene und somit                      digkeit sowie die Sprache analysiert.
           gemeinwohlorientierte Entwicklung verfolgt, und
           andererseits mit der Realisierung der Gemein-                      In Kapitel 5 geht es darum aufzuzeigen, wie sich
           wohl-Ökonomie auch eine nachhaltige Entwick-                       eine Kommune an den Eckpunkten der Gemein-
           lung gefördert wird, stellt sich die Frage, wie die                wohl-Ökonomie und an den SDGs orientieren
           SDGs und die Gemeinwohl-Bilanz im Einzelnen                        kann. Dabei wird zum einen das Instrument der
           miteinander verknüpft werden können. Mit dem                       Wirtschaftsförderung beleuchtet und zum ande-
           vorliegenden Beitrag versuchen wir, erste Ant-                     ren auf die Vorbildwirkung durch eine Gemein-
           worten auf diese Frage zu geben. Nur so viel vorab:                wohl-Bilanzierung der kommunalen Eigenbe-
           Alle SDGs werden durch die einzelnen Themen der                    triebe eingegangen.
           Gemeinwohl-Bilanz abgedeckt. Eine Kommune,
           die sich mit der Gemeinwohl-Bilanz beschäftigt,                    Daraufhin werden in Kapitel 6 verschiedene Bei-
           erarbeitet dadurch automatisch auch ihren Beitrag                  spiele kommunaler Projekte beschrieben, die die
           zur Erreichung der      SDGs.3                                     SDGs und Ansätze der Gemeinwohl-Ökonomie
                                                                              bzw. der Gemeinwohl-Bilanz mit durchaus diver-
           Im nächsten Kapitel werden zuerst die Gemein-                      sen Herangehensweisen kombinieren. Des Wei-
           wohl-Ökonomie           und     deren      Herzstück,        die   teren werden Instrumente vorgestellt, die bei der
           Gemeinwohl-Bilanz, vorgestellt. Es folgt eine                      Verknüpfung beider Ansätze in der Praxis unter-
           detaillierte Erläuterung der Grundlagen und des                    stützen können.
           Prozesses der Gemeinwohl-Bilanzierung sowie der
           1   Vgl. Übersicht der Kommunen, die die Musterresolution          Im Fazit werden Potenziale und Herausforderun-
               „2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung: Nachhal-             gen bei der Stärkung von Gemeinwohl-Ökonomie
               tigkeit auf kommunaler Ebene gestalten“ des Deutschen
               Städtetags und des Rats der Gemeinden und Regionen             und SDGs in Kommunen dargestellt.
               Europas/Deutsche Sektion bisher unterzeichnet haben:
               https://skew.engagement-global.de/zeichnungskom-
               munen-agenda-2030.html.
           2   Vgl. u. a. die Beispiele in Kapitel 6 dieses Beitrags.
           3   Vgl. Fachhochschule Burgenland 2019.

4
Gemeinwohl-Ökonomie in Kommunen – Ansatz, Instrumente und Beispiele | Analysen und Konzepte 1 | 2021

2.	Gemeinwohl-Ökonomie                                    Das Kerninstrument der GWÖ besteht in der

    in Kommunen – Ansatz,                                  Gemeinwohl-Bilanz. Sie soll den Beitrag einer
                                                           Organisation zum Gemeinwohl sichtbar und
    Instrumente und Beispiele                              bewertbar machen und dient gleichzeitig der
                                                           ethischen Organisationsentwicklung. Die Bilan-
                                                           zierung kann sowohl von privatwirtschaftlichen
2.1 Gemeinwohl-Ökonomie                                    Unternehmen als auch von anderen Organisati-
                                                           onen (z. B. Kommunen oder Bildungseinrichtun-
Es scheint immer klarer, dass die gegenwärtige             gen) vollzogen werden. Bisher erstellten etwa 500
Wirtschaftsordnung und die damit auch unmit-               Organisationen eine Gemeinwohl-Bilanz auf frei-
telbar verbundenen ökonomischen und sozia-                 williger Basis, darunter auch zehn Kommunen.7
len Entwicklungen nicht nur einen Beitrag zum
gesellschaftlichen Wohlstand leisten, sondern              Perspektivisch wirbt die GWÖ für eine verbind-
auch sozial-ökologische Krisen erzeugen. Diese             liche und an Rechtsfolgen gekoppelte Gemein-
werden ergänzt durch ein immer deutlicher wahr-            wohl-Bilanzierung, z. B. in Form von Steuerver-
nehmbares Gefühl, dass es Defizite an demokra-             günstigungen, Bevorzugung bei der öffentlichen
tischen Gestaltungs- und Mitbestimmungsmög-                Auftragsvergabe oder günstigeren Kreditkonditi-
lichkeiten   gibt.4                                        onen, je nach Ergebnis der Gemeinwohl-Bilanz.
                                                           Dadurch erhofft sich die Bewegung eine Hebel-
Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) ist eine sozi-               wirkung für eine Wirtschaftspolitik, die gemein-
ale Bewegung, die sich auf gesellschaftlicher,             wohlorientierte Organisationen und nachhaltiges
politischer und wirtschaftlicher Ebene für ein             Wirtschaften konsequent fördert.
sozial-ökologisch nachhaltiges und demokrati-
sches Wirtschaftssystem einsetzt und dabei einen           Weitere Informationen unter: https://www.ecogood.org/
ganzheitlichen und werteorientierten Ansatz ver-
folgt.5 Aus Sicht der GWÖ sollte sich wirtschaftli-
cher Erfolg nicht am reinen Finanzergebnis oder            2.2	Gemeinwohl-Ökonomie und
der Bilanzsumme, sondern am Beitrag einer Orga-                 -Bilanzierung in Kommunen
nisation zum Gemeinwohl bemessen. Im Fokus
stehen somit Wirtschaftsweisen, die Menschen               Kommunen sind die dem Menschen am nächs-
und Natur, nicht Wachstum und Profit in den Mit-           ten stehenden öffentlich-rechtlichen Gebietskör-
telpunkt rücken. Dabei beruft sich die GWÖ auch            perschaften in einem Staatsgebilde und als solche
auf die verfassungsrechtliche Verankerung des              dem Gemeinwohl nach dem Grundgesetz ver-
Gemeinwohls als oberstes Ziel des Wirtschaf-               pflichtet. Sie sind sowohl wirtschaftliche Akteu-
tens. Als Beispiel dient die Verfassung des Frei-          rinnen als auch Gestalterinnen des normativen
staates Bayern:                                            Rahmens und des Sozialraums. In den Kommu-
                                                           nen fließen die Bedürfnisse und das Potenzial
„Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient               von Bürger:innen, Unternehmen und Organisa-
dem Gemeinwohl, insbesondere der Ge­währ­                  tionen zusammen. Zudem tragen sie Verantwor-
leistung eines menschenwürdigen Daseins                    tung für die Sicherung der sozialen und ökologi-
für alle und der allmählichen Erhöhung der                 schen Lebensqualität und der Daseinsvorsorge
Lebenshaltung aller Volksschichten.“6                      ihrer Bürger:innen. Dieses Verständnis aufgrei-
                                                           fend, analysieren und bewerten die Kommunen
                                                           mit der Gemeinwohl-Bilanz nicht nur ihre eigene
4   Vgl. Felber 2008: 9.                                   wirtschaftliche und Verwaltungspraxis, sondern
5   Vgl. Felber 2012: 35 ff.                               7   Vgl. International Federation for the Economy for the
6   Verfassung des Freistaates Bayern, Artikel 151 (1).        Common Good e. V. 2021, Stand: März 2020.

                                                                                                                        5
Analysen und Konzepte 1 | 2021 | Gemeinwohl-Ökonomie in Kommunen – Ansatz, Instrumente und Beispiele

ABBILDUNG 1 Die Gemeinwohl-Matrix für Kommunen (vgl. Gemeinwohlbericht für Gemeinden – Version 2.0 – Arbeitsbuch)

    WERTE                          MENSCHEN­                   SOLIDARITÄT             ÖKOLOGISCHE             SOZIALE               TRANSPARENZ UND
                                   WÜRDE                                               NACHHALTIGKEIT          GERECHTIGKEIT         DEMOKRATIE
    Berührungsgruppe
    A – Lieferant:innen           A1 – Grundrechts­­          A2 – Nutzen für         A3 – Ökologische        A4 – Soziale          A5 – Öffentliche
         Dienstleister:innen       schutz und                  die Gemeinde            Verantwortung für die   Verantwortung         Rechenschaft und
         Eigene Betriebe           Menschen­würde in                                   Lieferkette             für die Lieferkette   Mitsprache
                                   der Lieferkette
    B – Finanzpartner:innen       B1 – Ethisches              B2 – Gemeinnutz         B3 – Ökologische        B4 – Soziale          B5 – Rechenschaft
         Geldgeber:innen           Finanzgebaren/Geld          im Finanzgebaren        Verantwortung der       Verantwortung         und Partizipation in
                                   und Mensch                                          Finanzpolitik           der Finanzpolitik     der Finanzpolitik
    C – Politische Führung        C1 – Individuelle           C2 – Gemeinsame         C3 – Förderung          C4 – Gerechte         C5 – Transparente
         Verwaltung                Rechts- und                 Zielvereinbarung        ökologischen            Verteilung von        Kommunikation
         Koordiniertes             Gleichstellung              für das                 Verhaltens              Arbeit                und demokratische
         Ehrenamt                                              Gemeinwohl                                                            Prozesse

    D – Bevölkerung               D1 – Schutz des             D2 – Gesamtwohl         D3 – Ökologische        D4 – Soziale          D5 – Transparente
         Wirtschaft                Individuums,                in der Gemeinde         Gestaltung der          Gestaltung der        Kommunikation
                                   Rechtsgleichheit                                    öffentlichen Leistung   öffentlichen          und demokratische
                                                                                                               Leistung              Einbindung
    E – Staat                     E1 – Gestaltung der         E2 – Beitrag zum        E3 – Verantwortung      E4 – Beitrag          E5 – Transparente
         Gesellschaft              Bedingungen für ein         Gesamtwohl              für ökologische         zum sozialen          und demokratische
         Natur                     menschenwürdiges                                    Auswirkungen            Ausgleich             Mitbestimmung
                                   Leben – zukünftige
                                   Generationen
    STAATSPRINIZIEN DES            RECHTSSTAATS­               GEMEINNUTZ              UMWELT­                 SOZIALSTAATS­         DEMOKRATIE
    GEMEINWOHLS                    PRINZIP                                             VERANTWORTUNG           PRINZIP

Quelle: Gemeinwohlbericht für Gemeinden – Version 2.0 – Arbeitsbuch, Darstellung A. Butscher/C. Einsiedel

              vor allem, wie gut sie Rahmenbedingungen für das                         •	Soziale Gerechtigkeit und Sozialstaatsprinzip;
              Gemeinwohl setzen und die Gesellschaft mit ein-                          •	Transparenz und Mitbestimmung zur Demo-
              beziehen. Die Gemeinwohl-Bilanz fragt danach,                                 kratie.
              wie die Praxis der Kommune aussieht und welche
              Entscheidungskriterien auf kommunaler Ebene                              Anhand dieser Werte und Staatsprinzipien wer-
              zugrunde gelegt werden: Dienen diese wirklich                            den die fünf sogenannten „Berührungsgruppen“
              dem Gemeinwohl, auch über die Grenzen der Kom-                           (= Stake­
                                                                                               holder bzw. Bezugsgruppen) der Kom-
              mune hinaus, oder stehen „Sachzwänge“ oder Kri-                          mune betrachtet und bilanziert:
              terien der Wirtschaftlichkeit im Vordergrund?
                                                                                       •	
                                                                                         Lieferant:innen, Dienstleister:innen, eigene
              Aus Sicht der Gemeinwohl-Ökonomie sind des-                                   Betriebe;
              halb folgende Werte und Staatsprinzipien Grund-                          •    Finanzpartner:innen, Geldgeber:innen;
              lage der Betrachtung von           Kommunen:8                            •	Politische Führung, Verwaltung, koordiniertes
                                                                                            Ehrenamt;
              •    Menschenwürde und Rechtsstaatsprinzip;                              •    Bevölkerung, Wirtschaft;
              •    Solidarität und Gemeinnutz;                                         •    Staat, Gesellschaft, Natur.
              •	Ökologische Nachhaltigkeit und Umweltver-
                   antwortung;                                                         Die Werte, Staatsprinzipien und Berührungsgrup-
                                                                                       pen werden im Kapitel 1.3 ausführlich beschrieben.
              8    Zur Beschreibung des Gemeinwohl-Bilanzierungs-Pro-
                                                                                       Durch die Verbindung der Werte, der Staatsprinzi-
                   zesses in Gemeinden, Vgl. Matrix-Entwicklungsteam
                   Gemeinden (2020).                                                   pien und der Berührungsgruppen ergeben sich 25

6
Gemeinwohl-Ökonomie in Kommunen – Ansatz, Instrumente und Beispiele | Analysen und Konzepte 1 | 2021

Themenfelder in Form einer Matrix, der Gemein-            •	Im ersten Schritt hat die Kommune die Mög-
wohl-Matrix für Kommunen (Abbildung 1).                      lichkeit, sich grundsätzlich zu den Themen-
                                                             feldern zu äußern und dabei ihre Haltung zum
Verpflichtend für alle, die unter dem Dach der Ge-           Thema zu beschreiben.
meinwohl-Bilanz für Kommunen mit der Matrix
arbeiten, sind somit folgende Strukturelemente:           •	Im zweiten Schritt richtet die Kommune den
                                                             Blick darauf, was sie schon konkret in diesem
•   fünf Werte;                                              Themenfeld leistet.
•   fünf Staatsprinzipien;
•	fünf Berührungsgruppen als Stakeholder der             •	Im dritten Schritt überlegt sich die Kommune,
    Kommune;                                                 an welcher Zielsetzung sie sich zu diesem
•   25 Themenfelder.                                         Thema zukünftig messen möchte und welche
                                                             Maßnahmen dazu umgesetzt werden könnten.
Diese sind die Grundlage des Gemeinwohl-Bilan-
zierungsprozesses. Mitarbeiter:innen der Verwal-          Damit startet die Kommune einen sinnstiftenden
tung zeichnen sich für den Prozess der Analyse            Lernprozess, steigert die Gemeinwohl-Motiva-
bzw. Bilanzierung verantwortlich und bereiten die         tion aller Beteiligten, die für die Kommune haupt-
jeweiligen Themenfelder der Matrix anhand kon-            amtlich und ehrenamtlich tätig sind, und schafft
kreter Leitfragen in ihren Verwaltungszusammen-           einen Kompass für die zukünftige Ausrichtung
hängen vor. Sie werten qualitative und quantita-          und eine integrierte Strategie.
tive Daten aus und tauschen sich mit Kolleg:innen
über Vorgehensweisen, soziale, ökologische und            So setzt sich die Kommune bei der Gemeinwohl-
ökonomische Handlungsspielräume der Kommu-                Bilanzierung aktiv mit ihrer öffentlichen Beschaf-
nen in den Themenfeldern aus. Diese Informati-            fung auseinander, analysiert ihre Beschaffungs-
onen führen sie in sechs Workshops zusammen,              praxis nach ethischen Kriterien und übernimmt
bewerten sie nach einer vorgegebenen Punkte-              Verantwortung für die vorgelagerte Wertschöp-
skala, entwickeln Ansätze für Verbesserungs-              fungskette. Sie betrachtet ihr Finanzmanage-
potenziale und verschriftlichen die Ergebnisse.           ment und fragt nach einem sinnstiftenden und
Ein siebter Workshop fasst die 25 Themenfel-              nachhaltigen Einsatz ihrer finanziellen Res-
der in einer Gesamtschau zu einem Gemeinwohl-             sourcen. Im Umgang mit Mitarbeiter:innen,
Bericht zusammen. Anleitung und Hintergrund-              Mandatsträger:innen sowie koordinierten Ehren-
informationen bietet das „Gemeinwohlbericht für           amtlichen werden Werte, wie die Rechte auf
Gemeinden – Version 2.0 – Arbeitsbuch“9, das die          Unversehrtheit, freie Entfaltung der Persönlich-
Themenfelder der Matrix erläutert und Beispiele           keit und Gleichberechtigung, zugrunde gelegt.
aus der kommunalen Praxis kurz beschreibt. Im             Die Kommune setzt sich mit der Beziehung zu
gesamten Prozess werden die Kommunen von zer-             ihren Bürger:innen auseinander und hinterfragt,
tifizierten Gemeinwohl-Berater:innen begleitet            ob ihre Dienstleistungen an sozialen und ökolo-
und unterstützt.                                          gischen Kriterien ausgerichtet sind. Sie beschäf-
                                                          tigt sich nicht zuletzt damit, ob ihre Aktivitäten
Das Arbeitsbuch 2.0 für Gemeinden regt somit              Sinn für die Menschen und für das gesellschaftli-
Kommunen verstärkt an, sich bei der Bearbeitung           che Umfeld stiften: in den Nachbargemeinden, in
der Themenfelder in einen Prozess zu begeben:             der Region, im Land und Staat sowie für zukünf-
                                                          tige Generationen.

9   Das Arbeitsbuch steht unter folgender URL kostenlos
    zum Download verfügbar: https://web.ecogood.org/      Die wesentlichen Werte und Staatsprinzipien
    media/filer_public/2e/cd/2ecdda59-1127-421f-bd79-
                                                          können wie in Abbildung 2 dargestellt beschrie-
    5de7d96a9acf/2020_04_24_arbeitsbuch_gemeinden_
    v2-0-endfassung.pdf                                   ben werden:

                                                                                                                     7
Analysen und Konzepte 1 | 2021 | Gemeinwohl-Ökonomie in Kommunen – Ansatz, Instrumente und Beispiele

          ABBILDUNG 2 Der Prozess der Gemeinwohl-Bilanzierung für Kommunen

                  Entscheidung              Verantwortliche        Auftakt +          Mitglied im
                zur Gemeinwohl-               für Prozess        7 Workshops          GWÖ e. V.                   Feiern!
                  Bilanzierung                 benennen        in Fokusgruppen         werden

                             VORBEREITUNG                       WORKSHOPS                     ABSCHLUSS

                  Finanzierung                Fokusgruppe     Verstehen, sammeln,                   Bericht
                 diskutieren und            zusammenstellen       diskutieren,                  abstimmen und
                  sicherstellen               und ergänzen    bewerten, schreiben               veröffentlichen

          Quelle: Darstellung A. Butscher/C. Einsiedel

          Menschenwürde und Rechtsstaatsprinzip: Die                     antwortung verpflichtet. Eine gemeinwohlorien-
          Würde des Menschen ist die ethische Grund-                     tierte Kommune strebt eine positive Ökobilanz all
          lage seiner persönlichen Freiheit. Das Prinzip des             ihrer Tätigkeiten an. Das kann bedeuten, dass der
          Rechtsstaates verpflichtet eine gemeinwohlori-                 Verbrauch natürlicher Ressourcen begrenzt wird.
          entierte Kommune dazu, die Menschenrechte zu
          achten und faire Verfahren zu befolgen. Die Ver-               Soziale Gerechtigkeit und Sozialstaatsprinzip:
          waltungen achten und schützen die individuellen                Eine gemeinwohlorientierte Kommune verpflich-
          Rechte ihrer Bürger:innen. Kollektive Interessen               tet sich zum Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit
          berechtigen nicht dazu, Rechte von einzelnen Per-              sowie zum Sozialstaatsprinzip. Bei allen Handlun-
          sonen zu übergehen.                                            gen, die einen Nutzen versprechen, ist die Frage
                                                                         zu stellen, ob das Ergebnis auch jenen zumutbar
          Solidarität und Gemeinnutz: Eine gemeinwohl-                   ist, die davon weniger oder gar nicht profitieren.
          orientierte Kommune verpflichtet sich dazu, im                 Die Kommune korrigiert das Ergebnis des „Mark-
          öffentlichen Interesse zu handeln. Dazu definiert              tes“ durch eine zwischenmenschliche Gerechtig-
          sie, was der gemeinsame Nutzen ist bzw. was Soli-              keit. Das kann bedeuten, dass Schwächere bevor-
          darität bedeutet – gemeinsam mit Partner:innen,                zugt behandelt werden.
          wie anderen Kommunen, Kommunalverbän-
          den, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) oder                 Von Transparenz und Mitbestimmung zur Demo-
          Unternehmen. Damit optimiert und garantiert sie                kratie: Die ethischen Prinzipien der Transparenz
          den gemeinsamen Nutzen aller Beteiligten.                      und Mitbestimmung sowie das Staatsprinzip der
                                                                         Demokratie verpflichten eine gemeinwohlori-
          Ökologische Nachhaltigkeit und Umweltverant-                   entierte Kommune, Betroffene zu Beteiligten zu
          wortung: Eine gemeinwohlorientierte Kommune                    machen. Die Kommune ist aufgerufen, in all ihrem
          achtet darauf, dass die Auswirkungen ihres Han-                Handeln die angemessene Form von Partizipation
          delns für die Umwelt langfristig tragbar sind. Dazu            der Betroffenen zu schaffen und zu pflegen.
          ist die Kommune durch das ethische Prinzip der
          Nachhaltigkeit und ihre rechtliche Umweltver-

8
Gemeinwohl-Ökonomie in Kommunen – Ansatz, Instrumente und Beispiele | Analysen und Konzepte 1 | 2021

Bei der Analyse aller Themenfelder der Gemein-       •	auf der Verwaltungsebene: alle Mitarbei­ter:in­
wohl-Matrix werden die Tätigkeiten bei den fol-          nen, die Entscheidungen der kommunalen
genden Berührungsgruppen genauer betrachtet.             Exekutive und Legislative umsetzen;
Dabei sind die Stakeholder einer Kommune im          •	auf politischer Ebene: die gewählten Mandats­
Arbeitsbuch 2.0 für Gemeinden wie folgt definiert:       träger:innen der Legislative und Exekutive;
                                                     •	auf zivilgesellschaftlicher Ebene: alle Ehren-
Lieferant:innen, Dienstleister:innen, eigene             amtlichen, die von der Gemeinde koordiniert
Betriebe: Eine gemeinwohlorientierte Kommune             werden.
übernimmt Verantwortung für die Folgen, die in
der Beschaffung von Produkten und Dienstleis-        Bevölkerung, Wirtschaft: Die Bevölkerung bezieht
tungen entlang der Lieferkette entstehen. Kon-       sich in erster Linie auf die Einwohner:innen, die in
kret wird die Beziehung der Gemeinde zu den fol-     der Kommune leben und von der Kommunalpolitik
genden Untergruppen beschrieben:                     und dem Verwaltungshandeln unmittelbar betrof-
                                                     fen sind. Neben der Bevölkerung als Individuen
•	Lieferant:innen von Roh-, Hilfs- und              werden auch die Organisationen der Zivilgesell-
   Betriebsstoffen sowie Handelswaren;               schaft, die die Interessen der Bevölkerung bündeln,
•	externe Dienstleister:innen;                      also etwa Vereine, Genossenschaften, Bürgeriniti-
•	eigene, ausgelagerte oder selbstständige          ativen etc., betrachtet. Diese Organisationen fun-
   Betriebe.                                         gieren als Mittler:innen zwischen der Bevölkerung
                                                     auf der einen sowie Politik und Verwaltung auf der
Dabei wird zwischen Lieferant:innen von laufen-      anderen Seite. Wer in der Kommune arbeitet oder
den Sach- und Dienstleistungen – dazu zählen         investiert, ist von den wirtschaftlich bedeutsamen
auch Finanzdienstleister:innen wie Versicherun-      Handlungen der Kommunalverwaltung unmittel-
gen – und Lieferant:innen von Investitionsgütern     bar betroffen. Der Begriff der Wirtschaft umfasst
unterschieden. Der Fokus der Analyse liegt auf       Unter­
                                                          nehmer:innen, Arbeitgeber:innen, Arbeit­
den zehn bis 15 größten Lieferant:innen bzw. Pro-    nehmer:innen und Konsument:innen gleicher-
duktgruppen bezogen auf den Anteil am Einkaufs-      maßen. Neben diesen werden auch die Organisa-
volumen. Dabei werden sowohl die zuliefernden        tionen betrachtet, die die Interessen der Einzelnen
Unternehmen analysiert als auch die zugekauften      bündeln und zu Politik und Verwaltung in der
Produkte und Dienstleistungen.                       Gemeinde vermitteln. Dazu zählen die Verbände
                                                     und Kammern sowie die Gewerkschaften etc.
Finanzpartner:innen, Geldgeber:innen: Die
Kommune analysiert ihren Umgang mit öffent-          Staat, Gesellschaft, Natur: In dieser Berührungs-
lichen Geldmitteln im Verhältnis zu ihren            gruppe betrachtet die Gemeinwohl-Bilanz die
Finanzpartner:innen (Banken, Versicherungen,         ethische Verantwortung über die eigenen kom-
Staat etc.), Geldgeber:innen sowie der sozialen      munalen Gebietsgrenzen hinaus. Es geht um
und ökologischen Verwendung ihrer Geldmittel.        das Verhältnis der Kommune zu Staat, Gesell-
Es wird betrachtet, woher das Geld kommt, das        schaft und Natur. Gemeint sind damit insbeson-
die Bank der Kommune zur Verfügung stellt und        dere andere Kommunen, ebenso das gesellschaft-
wie die Finanzpartner:innen die Gelder der Kom-      liche und politische Umfeld. Im Fokus stehen
mune verwenden.                                      dabei auch zukünftige Auswirkungen. Das ethi-
                                                     sche Verhältnis der Kommune zu ihrem Umfeld
Politische Führung, Verwaltung, koordinierte         wird für jede der folgenden Untergruppen pas-
Ehrenamtliche: Diese Berührungsgruppe umfasst        send beschrieben:
folgende Untergruppen:

                                                                                                                  9
Analysen und Konzepte 1 | 2021 | Gemeinwohl-Ökonomie in Kommunen – Ansatz, Instrumente und Beispiele

          •	„Politisches Umfeld“: Hier werden die Rück-         und die Vollständigkeit des Gemeinwohl-Berichts
              sichtnahme auf andere Gemeinden, die kons-         werden final durch kommunale Gemeinwohl-
              truktive Zusammenarbeit mit den übergeord-         Expert:innen überprüft.
              neten politischen Ebenen und die Förderung
              der weltweiten Solidarität verlangt.               Mittlerweile haben sich zehn Kommunen in
                                                                 Deutschland und Österreich nach den Werten der
          •	„Gesellschaftliches Umfeld“: Hier werden die        Gemeinwohl-Ökonomie bilanzieren lassen. Wei-
              Achtung, der Schutz und die Förderung der          tere Kommunen in Italien, der Schweiz, in Luxem-
              zwischenmenschlichen Beziehungen, ein-             burg und in Spanien sind auf dem Weg.
              schließlich der wirtschaftlichen Verhältnisse
              über die kommunalen Gebietsgrenzen hin-
              aus gefordert. Dies gilt besonders für das Ver-
              hältnis zu zivilgesellschaftlichen Organisatio-
              nen im regionalen, nationalen und weltweiten
              Kontext.

          •	
            „Natur und Zukunft“: Hier wird eine lang-
              fristige Politik zum Erhalt der natürlichen
              Lebensgrundlagen des Menschen im regiona-
              len, nationalen und weltweiten Kontext gefor-
              dert. Darüber hinaus gilt es, den Rechten der
              Natur gegenüber dem Menschen Geltung zu
              verschaffen.

          Nachdem alle Themenfelder analysiert und bear-
          beitet wurden, ist die Kommune eingeladen, eine
          Selbsteinschätzung abzugeben. Diese zeigt an,
          welche Strecke sie auf dem Weg in Richtung auf
          eine systematische Gemeinwohl-Verankerung
          und -Steigerung zurückgelegt hat. Die Bewer-
          tungsskala reicht von null bis zehn Punkten.
          Kommunen, die ausschließlich die gesetzlichen
          Anforderungen erfüllen und sich keine Gedan-
          ken über darüber hinaus gehende Maßnahmen
          machen, erhalten entsprechend null Punkte. Zehn
          Punkte können vergeben werden, wenn die Kom-
          mune die derzeit „bestmöglichen“ Maßnahmen
          bezogen auf das Gemeinwohl umgesetzt hat. Die
          Gemeinwohl-Bilanzierung gibt derzeit keine Vor-
          gaben, anhand welcher Kriterien diese Einstu-
          fung erfolgt, sondern die Kommune begründet
          ihre Selbsteinschätzung argumentativ. Es wird auf
          die Fähigkeit der Kommune vertraut, eine realis-
          tische Einstufung im Austausch mit den Gemein-
          wohl-Berater:innen und im Einklang mit Bedarf
          und Anspruch der Stakeholder vornehmen zu
          können. Die Selbsteinschätzung der Kommunen

10
Agenda 2030 für nach­haltige Entwicklung und die Rolle von Kommunen | Analysen und Konzepte 1 | 2021

3.	Agenda 2030 für nach­                                   Neben allen 193 UN-Mitgliedsstaaten waren bei

    haltige Entwicklung und die                             der Erarbeitung auch diverse zivilgesellschaftli-
                                                            che Organisationen und Unternehmen beteiligt.
    Rolle von Kommunen                                      Im Zentrum der Agenda stehen die 17 Sustainable
                                                            Development Goals (SDGs)16 mit ihren 169 Unter-
                                                            zielen17. Sie adressieren diverse globale Heraus-
3.1	Agenda 2030 und Sustainable                            forderungen und dienen als Wegweiser für deren
     Development Goals                                      Bewältigung bis zum Jahr 2030.

Im Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen die               In Anlehnung an die “5Ps” haben die SDGs den
Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verab-              Anspruch, allen Menschen weltweit ein Leben in
schiedet und damit zur „Transformation unserer              Würde, Freiheit und gesunder Umwelt zu ermög-
Welt“ bis zum Jahr 2030 aufgerufen. Die Eckpfeiler          lichen, betont wird dies auch durch das Prinzip
der Agenda bilden die sogenannten “5Ps”: people,            „Leave no one behind“ (zu deutsch: „Niemanden
planet, prosperity, peace und partnership. Sie die-         zurücklassen“).18 Gleichzeitig symbolisieren sie in
nen auch als wesentliche Handlungsprinzipien bei            gewisser Weise einen Paradigmenwechsel. Denn
der Umsetzung:10                                            sie richten sich explizit an alle Staaten der „Welt-
                                                            gemeinschaft“, während die Millennium Deve-
People: Hunger und Armut beenden und sicher-                lopment Goals (MDGs) als Vorgängerinnen noch
stellen, dass alle Menschen ein Leben in Würde,             vor allem auf die Länder des Globalen Südens aus-
Gleichheit und gesunder Umwelt leben können.11              gerichtet waren.19 Damit einher geht ein Perspek-
                                                            tivwechsel, der die hierarchische Unterscheidung
Planet: Umgehende Maßnahmen gegen den Kli-                  in angeblich „entwickelte“ und „noch zu entwi-
mawandel ergreifen und die Umwelt durch eine                ckelnde“ Länder auflösen soll.20
nachhaltige Bewirtschaftung der Ressourcen
schützen, sodass die Bedürfnisse heutiger und               Die 17 Ziele (Abbildung 3) sind ganzheitlich zu
zukünftiger Generationen gedeckt werden kön-                verstehen und umfassen sowohl soziale und öko-
nen.12                                                      logische als auch ökonomische Zielsetzungen.
                                                            Dadurch entsteht eine hohe Interdependenz zwi-
Prosperity: Allen Menschen ein erfülltes Leben in           schen den Zielen, was bei der Umsetzung zu
Einklang mit der Natur ermöglichen.13                       Synergien, aber auch zu potenziellen Konflikten
                                                            führen kann. So leisten bspw. wesentlich nach-
Peace: Friedliche, gerechte und inklusive Gesell-           haltigere Konsum- und Produktionsmuster (SDG
schaften fördern, die allen Menschen ein Leben              12) und Energiesysteme (SDG 7) einen wichtigen
ohne Angst und Gewalt ermöglichen.14                        Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels (SDG
                                                            13), während es durchaus fraglich ist, ob dauerhaf-
Partnership: Umsetzung der Agenda 2030 durch                tes Wirtschaftswachstum (SDG 8) mit dem Schutz
eine globale und solidarische Partnerschaft.15              des Klimas (SDG 13) und der Ökosysteme (SDG 14
                                                            und 15) vereinbar ist.

                                                            16   Zu deutsch: Ziele für nachhaltige Entwicklung. Eine
                                                                 ausführliche Übersicht der 17 SDGs findet sich im
10   Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammen-        Anhang.
     arbeit und Entwicklung 2021.
                                                            17   Eine ausführliche Übersicht zu den Unterzielen liefert
11   Vgl. Vereinte Nationen 2015: 2.                             bspw. SDG Watch Austria unter folgender URL:
12   Vgl. ebd.                                                   https://www.sdgwatch.at/de/ueber-sdgs/
13   Vgl. ebd.                                              18   Vgl. Vereinte Nationen 2015: 3 ff.
14   Vgl. ebd.                                              19   Vgl. Sachs 2012: 3.
15   Vgl. ebd.                                              20 Vgl. Schneidewind 2018: 118.

                                                                                                                          11
Analysen und Konzepte 1 | 2021 | Agenda 2030 für nach­haltige Entwicklung und die Rolle von Kommunen

ABBILDUNG 3 Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung

Quelle: Vereinte Nationen

              Angesichts der immensen Herausforderungen,           Handeln von Staaten, Kommunen sowie wirt-
              die die Agenda 2030 umfasst, wird deutlich,          schaftlichen und zivilgesellschaftlichen Orga-
              dass eine erfolgreiche Umsetzung nur durch ein       nisationen.
              hohes Maß an Kooperation gelingen kann. Für
              eine Transformation im Sinne der SDGs braucht
              es eine globale, partnerschaftliche Zusammen-        3.2	Bedeutung der Sustainable
              arbeit zwischen Staaten, Kommunen, Zivilge-               Development Goals für
              sellschaft und Wirtschaft. Ein nicht zu ver-              Kommunen
              nachlässigender Aspekt ist dabei, die Agenda
              2030 als Ganzes im Blick zu behalten und nicht       Die Umsetzung der Agenda 2030 liegt in erster
              auf „Einzellösungen“ zu setzen. Dazu gehört          Linie in der Verantwortung der nationalen Regie-
              auch, dass potenziell auftretende Konflikte oder     rungen. Die Kommunen spielen bei der angestreb-
              Widersprüche zwischen den SDGs transparent           ten Transformation eine zentrale Rolle als Brücke
              gemacht und deren Bearbeitung demokratisch           zwischen nationalen und regionalen Regierun-
              ausgehandelt wird.                                   gen, Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Städte,
                                                                   Kreise und Gemeinden sind die entscheidenden
              Die SDGs besitzen zwar keine rechtliche Ver-         Akteur:innen auf dem Weg zu einer nachhaltigen
              bindlichkeit, haben aber dennoch eine wichtige       Gesellschaft. Die Rolle von Kommunen wird auch
              Signalwirkung. Zum einen wurde durch sie das         dadurch gestärkt, dass sie als Akteurinnen auf der
              Thema der „globalen nachhaltigen Entwicklung“        lokalen Ebene oft am nächsten an den Lebens-
              wieder stärker auf die politische Agenda gesetzt     wirklichkeiten der Bürger:innen anknüpfen. Mit
              und zum anderen bieten sie in diesem Kontext         SDG 11 „Städte und Siedlungen inklusiv, sicher,
              einen sinnvollen Orientierungsrahmen für das         widerstandsfähig und nachhaltig gestalten“ wird

12
Zusammenhang von Gemeinwohl-Bilanz und Sustainable Development Goals | Analysen und Konzepte 1 | 2021

die gestaltende Schlüsselfunktion der Kommunen        4.	Zusammenhang von
in der Agenda 2030 explizit hervorgehoben.                Gemeinwohl-Bilanz und
Die Anknüpfungspunkte zu Kommunen weisen
                                                          Sustainable Development
aber weit über SDG 11 hinaus. Prinzipiell hat kom-        Goals
munales Handeln entscheidenden Einfluss auf
sämtliche SDGs. Ob beim Abbau von Armut (SDG 1)
und Ungleichheiten (SDG 10) oder bei der Förde-       4.1 Vision und Ziele
rung von Gesundheit (SDG 3), guter Bildung (SDG
4) und Klimaschutz (SDG 13). Durch den Auf-           Das Ziel der Gemeinwohl-Ökonomie ist es, ein ethi-
und Ausbau nachhaltiger Infrastrukturen leisten       sches Wirtschaftssystem aufzubauen. Dabei steht
Städte, Kreise und Gemeinden durch eine entspre-      das Wohl von Menschen und Umwelt statt quan-
chende Daseinsvorsorge einen wichtigen Beitrag        titatives Wachstum im Zentrum.21 Ein Mittel zur
zur Umsetzung der SDGs. Des Weiteren können           Zielerreichung stellt die Gemeinwohl-Bilanz dar.
Kommunen durch eine Verankerung von mög-
lichst nachhaltigen Verwaltungspraktiken, einer       Das Ziel der Agenda 2030 mit dem Orientierungs-
entsprechenden Wirtschaftsförderung und einer         rahmen der SDGs liegt darin, weltweiten, wirt-
Beteiligung der Zivilgesellschaft wichtige Impulse    schaftlichen Fortschritt im Einklang mit sozialer
für eine zukunftsfähige Kommunalentwicklung           Gerechtigkeit und im Rahmen der ökologischen
setzen. Durch den Austausch mit anderen Kom-          Grenzen der Erde zu gestalten.
munen können Lernräume, Partnerschaften und
Netzwerke entstehen, deren Bedeutung für die          Sowohl die Gemeinwohl-Ökonomie als auch die
Umsetzung der Agenda 2030 von großer Bedeu-           Agenda 2030 haben die Vision, „ein gutes Leben“
tung sein sollte.                                     für alle Menschen zu ermöglichen – sowohl in
                                                      wirtschaftlicher als auch in sozialer und ökologi-
Eine gute Grundlage dafür bietet die Entwicklung      scher Hinsicht. Beide Ansätze stellen die Würde
einer ambitionierten und transparenten Nach-          des Menschen, die Einhaltung der planetaren
haltigkeitsstrategie, die das kommunale Handeln       Grenzen und gute Beziehungen der Menschen
ganzheitlich am Orientierungsrahmen der SDGs          untereinander in den Mittelpunkt. Eine koope-
ausrichtet. Möglichst breite Beteiligungs- und        rative Haltung sowie demokratisches, solidari-
Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bürger:innen          sches und ökologisches Verhalten – unter Berück-
sind dabei entscheidend für die Akzeptanz und         sichtigung einer globalen Perspektive – werden
Wirkung im Sinne einer nachhaltigen Kommu-            zugrunde gelegt.22
nalentwicklung.
                                                      Gleichzeitig gibt es auch Unterschiede zwischen
                                                      beiden Ansätzen. So nimmt Wirtschaftswachs-
                                                      tum, im Sinne der Steigerung des Bruttoinlands-
                                                      produkts, im Rahmen der SDGs weiterhin eine
                                                      wichtige Rolle ein und wird konkret als Zielset-
                                                      zung in SDG 8, vor allem unter dem Subziel 8.1,
                                                      festgehalten (wobei explizit von einem „inklu-
                                                      siven“ und „nachhaltigen“ Wirtschaftswachs-
                                                      tum die Rede ist). Hingegen plädiert die Gemein-
                                                      wohl-Ökonomie für eine Wirtschaftspolitik, die

                                                      21   Vgl. Felber 2012: 24.
                                                      22 Vgl. Butscher 2019: 11 f.

                                                                                                                 13
Analysen und Konzepte 1 | 2021 | Zusammenhang von Gemeinwohl-Bilanz und Sustainable Development Goals

          Wirtschaftswachstum nicht als zentrales Poli-            menarbeit umzusetzen, liefert die Ebene „Part-
          tikziel begreift – zumindest nicht für eine Volks-       nerships“, genauso wie die Gemeinwohl-Werte
          wirtschaft, die ihre materiellen Grundbedürfnisse        Solidarität, Transparenz und Demokratie.
          bereits befriedigen kann. Vielmehr werden eine
          wachstumsunabhängige Wirtschaft und Gesell-              Die letzte Kerndimension „Peace“ bezieht sich
          schaft angestrebt.23                                     darauf, faire oder gerechte Institutionen und Poli-
                                                                   tik zu fördern, Menschenrechte zu stärken und
                                                                   Frieden herzustellen. Im Rahmen der Gemein-
          4.2 Werte und Inhalte                                    wohl-Bilanzierung gelingt dies über die Bearbei-
                                                                   tung der Berührungsgruppe „Gesellschaft“.
          Sowohl die Gemeinwohl-Bilanzierung als auch die
          SDGs stellen ähnliche Werte in den Fokus. Beide          Es zeigt sich somit, dass sich die SDGs zum einen
          Ansätze rücken die Würde des Menschen in den             mit den Gemeinwohl-Werten und zum anderen
          Mittelpunkt – mit dem Ziel, ein Leben in Chan-           mit den Inhalten der Gemeinwohl-Bilanz zu einem
          cengerechtigkeit für alle zu sichern und nieman-         hohen Grad decken. Dabei übernehmen Kom-
          den zurückzulassen. Im Rahmen der SDGs betrifft          munen die Funktion, für alle Akteur:innen einen
          das jene SDGs, die sich der Kerndimension „Peo-          (politischen) Rahmen herzustellen und anzubie-
          ple“ zuordnen lassen; im Rahmen der Gemein-              ten. Sie setzen sich dafür ein, diese Werte auf kom-
          wohl-Bilanzierung geht es hier um die Themen,            munaler Ebene umzusetzen und zu leben und sind
          die die Werte Menschenwürde und Gerechtigkeit            dadurch für andere ein Vorbild, geben Orientierung
          betreffen.                                               und ermutigen zum Handeln. Organisationen –
                                                                   sowohl zivilgesellschaftliche als auch wirtschafts-
          Eine weitere Gemeinsamkeit liegt in den Zielen,          treibende – sind als Stakeholder Teil der Kommune
          die sich dem Schutz des Planeten widmen: mit             und benötigen genau diese Orientierung, Rahmen-
          Ressourcen verantwortungsvoll umzugehen sowie            bedingungen und Möglichkeiten, um ihren Beitrag
          die Ökosysteme und das Klima des Planeten für            zur Erreichung der SDGs bzw. zu einem ethischen
          die nachkommenden Generationen zu schützen.              Wirtschaften leisten zu können.
          Der Gemeinwohl-Wert „ökologische Nachhaltig-
          keit“ beschäftigt sich mit den gleichen Themen           Auch in diesem Kontext lassen beide Ansätze feine
          wie jene SDGs, die der Kerndimension „Planet“            Unterschiede erkennen. Die SDGs thematisieren
          zugeordnet sind.                                         z. B. kaum Fragen bzw. Strategien von Suffizienz.
                                                                   Im Rahmen der Gemeinwohl-Bilanz werden diese
          Im Sinne aller drei Kerndimensionen der Nach-            dahingegen ausdrücklich adressiert, z. B. über den
          haltigkeit – soziale, ökologische und ökonomi-           Wertebereich „Ökologische Nachhaltigkeit“.
          sche Nachhaltigkeit – gilt es, Wohlstand für alle
          zu fördern und eine nachhaltige Wirtschaftsweise
          zu etablieren. Dies gelingt über die SDGs der Kern-      4.3 Vernetzung
          dimension „Prosperity“. Da der Gemeinwohl-
          Bilanz per se ein nachhaltiges Wirtschaftssystem         Sowohl die Gemeinwohl-Bilanz als auch die SDGs
          zugrunde liegt, gestaltet eine Kommune bzw. eine         zeigen eine starke Vernetzung von aktuell bren-
          andere Organisation, die sich am Gemeinwohl ori-         nenden Herausforderungen auf, mit denen sich
          entiert, eine nachhaltige Wirtschaft mit.                die Bewohner:innen der Erde früher oder später
                                                                   konfrontiert sehen. So wird bei näherer Betrach-
          Eine kooperative Haltung, (globale) Partnerschaf-        tung schnell erkennbar, dass Aktivitäten in einem
          ten aufzubauen und (internationale) Zusam-               Bereich auch Einfluss und Wirkung auf einen
                                                                   oder mehrere andere Bereiche haben: So wirken
          23   Vgl. zum Ansatz der Wachstumsunabhängigkeit z. B.
               Umweltbundesamt 2018.                               sich z. B. Besuche von älteren Menschen posi-

14
Zusammenhang von Gemeinwohl-Bilanz und Sustainable Development Goals | Analysen und Konzepte 1 | 2021

tiv auf deren Gesundheit (SDG 3) aus, da sie sich     (Themen „A.1.1 Grundrechtsschutz in der Liefer-
nicht alleine bzw. alleine gelassen fühlen. Dies      kette“, „A1.2 Verfahrensrechte aller Betroffenen
führt dazu, dass sie in der Gesellschaft integriert   in der Lieferkette“, „A4.1 Sozialstandards in der
sind und bleiben (SDG 10.2). Wenn eine Kom-           Lieferkette“).
mune nun dafür sorgt, dass die Menschen diese
Besuche – auf umweltfreundliche Art und Weise –       Diese Querverbindungen zwischen den einzelnen
mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut, einfach und     (Sub)Zielen bzw. den unterschiedlichen Gemein-
rasch durchführen oder gemeinsam zur Erholung         wohl-Themen sind für die Erfüllung von Ziel und
in den Park fahren können, trägt die Kommune zu       Zweck der Agenda 2030 sowie des Aufbaus eines
weiteren SDGs (11.2, 11.7) bei.                       nachhaltigen und gemeinwohlorientierten Wirt-
                                                      schafts- und Lebenssystems notwendig und aus-
Genauso verhält es sich mit der Gemeinwohl-           schlaggebend. Diese Verschachtelungen und Ver-
Bilanzierung der Kommune. Die Gemeinwohl-             linkungen machen die Umsetzung der Agenda
Bilanz fragt danach, wie die Mitarbeiter:innen        2030 bzw. die Förderung des Gemeinwohls aller-
der Verwaltung den Service der Kommune am             dings auch sehr komplex.24
Gemeinnutz ausrichten. Arbeitet die Kommune
hier intensiv mit der Zivilgesellschaft zusammen,
fördert sie wiederum die demokratische Beteili-       4.4 Komplexität und Vollständigkeit
gung und Mitbestimmung. Werden zudem öko-
logische bzw. soziale Aspekte adressiert, korres-     Die 17 Ziele und 169 Unterziele der Agenda 2030
pondieren diese wiederum mit der sozialen bzw.        können auf den ersten Blick genauso überfor-
ökologischen Gerechtigkeit öffentlicher Leistun-      dern wie die 20 Gemeinwohl-Themen im Falle
gen (Themen „D3.1.1 Dimension der Nachhal-            der Unternehmensbilanz bzw. die 25 Gemein-
tigkeit öffentlicher Leistungen“, „D4.1.1 Sozi-       wohl-Themen im Falle der kommunalen Bilanz.
ale Gerechtigkeit öffentlicher Leistungen“) und       Daher ist es wichtig, sich zu überlegen, was jede:r
der Förderung einer ökologischen Kultur (Thema        Einzelne und jede Organisation bzw. jede Kom-
„D3.1.2 Schaffung einer ökologischen Kultur“). In     mune im Allgemeinen zu einem oder mehreren
Bezug auf die Wirtschaft fragt die Gemeinwohl-        Zielen bzw. zu einem oder mehreren Themen der
Bilanz, welche Rahmenbedingungen die Kom-             Gemeinwohl-Matrix beitragen kann.
mune schafft, um die wirtschaftlichen Aktivitäten
auf dem Gebiet der Kommune an den Anforde-            Die einzelnen Ziele bzw. Themen bedingen einan-
rungen der Menschenrechte (Thema „D1.2 Men-           der, sind manchmal nicht ganz klar voneinander
schenwürdiges Wirtschaften in der Gemeinde“)          zu trennen. Bei genauerer Betrachtung lässt sich
auszurichten. Diese Betrachtung verschränkt           erkennen, dass manche Ziele widersprüchlich sind
sich wiederum mit dem Thema „D2.2 Solidari-           oder sein könnten: Wenn SDG 8 „Menschenwürde
sches Wirtschaften“ in der Kommune, wenn sie          Arbeit und Wirtschaftswachstum“ für sich alleine
eine Plattform für Unternehmen etabliert, die die     betrachtet wird, könnte es z. B. negative Auswir-
menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von Unter-        kungen auf SDG 13 „Maßnahmen zum Klima-
nehmen adressiert bzw. im Rahmen der Wirt-            schutz“ haben. Oder es wird übersehen, wie mit
schaftsförderung Strategien und Maßnahmen zur         kleinen Änderungen die Arbeit in der Wirtschaft
sozial-ökologischen Förderung der Wirtschaft          auch positive Auswirkungen auf andere SDGs wie
entwickelt. Versteht sich die Kommune als eigene      SDG 1 „Keine Armut“ haben kann.
wirtschaftliche Akteurin, erarbeitet sie eine wer-
teorientierte Beschaffungsrichtlinie und veran-       Wichtig ist daher, das gesamte System im Blick
kert u. a. die Menschenwürde, Kernarbeitsnormen       zu haben und letztlich alle Themen der Gemein-
der Internationalen Arbeitsorganisation und Ver-
fahrensrechte systematisch in ihrer Vergabepraxis     24 Vgl. Institut für Umwelt, Friede und Entwicklung 2020.

                                                                                                                  15
Analysen und Konzepte 1 | 2021 | Wege zur Verknüpfung von Gemeinwohl-Bilanz und Sustainable Development Goals

           wohl-Bilanz zu bearbeiten. Wie bei einem Mara-         5.	Wege zur Verknüpfung von
           thon ist es dabei vorteilhaft, sich Etappenziele zu        Gemeinwohl-Bilanz und
           setzen und gleichzeitig das Gesamtziel nicht aus
           den Augen zu verlieren.
                                                                      Sustainable Development
                                                                      Goals in Kommunen

           4.5 Sprache
                                                                  Hier sollen nun Wege aufgezeigt werden, wie
           Die SDGs fordern im Rahmen der Agenda 2030 alle        Kommunen die Eckpunkte der Gemeinwohl-Öko-
           Staaten auf, die Welt gemeinsam nachhaltig zu          nomie und der SDGs konkret umsetzen kön-
           gestalten und die aktuellen sozialen, ökologischen     nen. Dabei wird exemplarisch auf das Instrument
           und ökonomischen Herausforderungen gemein-             der Wirtschaftsförderung und die Vorbildwirkung
           sam zu lösen. Die einzelnen SDGs sind gemein-          von Gemeinwohl-Bilanzen kommunaler Eigen-
           sam mit den Unterzielen in ihren Formulierungen        betriebe eingegangen. Standen bisher Wettbe-
           nicht an der Praxis von Stakeholdern innerhalb         werb und Wachstum im Fokus von kommunaler
           von Staaten ausgerichtet. So fällt es Unterneh-        Wirtschaftsförderung, interessieren sich immer
           men, Kommunen oder anderen Organisationen              mehr Kommunen für alternative Ansätze, um
           auf den ersten Blick nicht immer leicht, einen         die Nachhaltigkeit von Betrieben und ihre Ver-
           direkten Bezug zur eigenen Praxis herzustellen.        antwortung für eine lebenswerte und zukunfts-
           Die SDGs sind per se weder ein weiterer Nachhal-       fähige Region zu fördern. Mit dem Ansatz der
           tigkeitsstandard noch ein Standard der Berichter-      Gemeinwohl-Bilanz kann die Wirtschaftsförde-
           stattung. Die SDGs stellen vielmehr gemeinsame         rung „dabei vom reagierenden zum vorsorgen-
           globale Ziele dar, zu denen Unternehmen, Kom-          den Akteur der Standortentwicklung, vom Wirt-
           munen oder andere Organisationen ihren eigenen         schaftsförderer zum Werteförderer werden“.26
           Beitrag formulieren und leisten sollen. Die SDGs
           können dabei als ein international verbindender,       Eine gemeinwohlorientierte Wirtschaftsförde-
           gemeinsamer Orientierungsrahmen verstanden             rung zeichnet sich durch die Orientierung an den
           werden, der zumindest weithin akzeptierte ethi-        Werten Menschenwürde, Solidarität, ökologische
           sche Vorstellungen vom „guten Leben“ bzw. von          Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, Transpa-
           universellen Grundbedürfnissen vereint.25              renz und Demokratie aus. Eine Kommune kann
                                                                  dabei mehrere Rollen einnehmen.
           Die Gemeinwohl-Bilanz kann diese Brücke schla-
           gen und Unterstützung für eine nachhaltige Ent-        Erstens wirkt sie als Vorbild für alle örtlichen
           wicklung liefern, die sich sowohl am Gemeinwohl        Organisationen, zum einen durch das Bekennt-
           orientiert als auch einen Beitrag zur Erreichung       nis zu den bereits genannten Werten, zum ande-
           der SDGs sichtbar macht. So bietet die kom-            ren, indem die Verwaltung der Kommune oder ihre
           munale Gemeinwohl-Bilanz für Städte, Kreise            Eigenbetriebe bzw. ihre Beteiligungsgesellschaf-
           und Gemeinden und die Gemeinwohl-Bilanz für            ten gemeinwohlorientiert ausgerichtet werden.
           Kleinst- ebenso wie für Großbetriebe einen roten
           Faden und Unterstützung bei einer nachhaltigen         So bilanzierte z. B. die Landeshauptstadt Stutt-
           Entwicklung.                                           gart vier Eigenbetriebe nach der Gemeinwohl-
                                                                  Bilanz. Bei den städtischen Unternehmen han-
                                                                  delt es sich um die Hafen Stuttgart GmbH, die
                                                                  Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesell-
                                                                  schaft, die Stadtentwässerung und den städti-

           25   Vgl. Jakob et al. 2020: 12.                       26 Dewald und Rother 2020: 366.

16
Wege zur Verknüpfung von Gemeinwohl-Bilanz und Sustainable Development Goals | Analysen und Konzepte 1 | 2021

schen Eigenbetrieb Leben und Wohnen. Zusätz-              Ansätze, in deren Rahmen die Unternehmenskul-
lich legte die Landeshauptstadt Stuttgart 2018            tur und -praxis „unter die Lupe“ genommen wird.
das Förderprogramm „Nachhaltig fit für morgen“
auf, um lokale Unternehmen für eine Gemein-               Die Kommune kann die nachhaltige Entwicklung
wohl-Bilanzierung zu gewinnen. Gefördert wird             örtlicher Organisationen unterstützen, indem
die Erstellung des ersten Gemeinwohl-Berich-              Möglichkeiten geschaffen werden, um sich mit
tes nach der Gemeinwohl-Bilanz 5.0 „kompakt               Gemeinwohlorientierung auseinanderzusetzen.
für Unternehmen“ im Rahmen einer Beratung                 Für Unternehmen besteht die Chance darin, ein
durch zertifizierte Gemeinwohl-Berater:innen27.           Geschäftsmodell mit positiver Wirkung für mehr
Auch die Stadt Mannheim befasst sich mit der              Nachhaltigkeit aufzubauen. Dabei gilt es, sich
Gemeinwohl-Ökonomie im Sinne eines qualitati-             möglichst frühzeitig mit Chancen und Risiken
ven Wachstums. Sie definierte eigene Indikatoren          auseinanderzusetzen, um die eigenen Geschäfts-
zur Messbarkeit des Wohlbefindens der Bevölke-            modelle laufend gemeinwohlorientiert anzupas-
rung. Zudem wurde die Gemeinwohl-Bilanzierung             sen. Dadurch bietet sich die Möglichkeit einer
in vier Eigenbetrieben als Pilotprojekt getestet.         klaren Positionierung und guten Sichtbarkeit als
                                                          gemeinwohlorientierte Organisation – und dies
Zweitens agiert die Kommune als Förderin bzw.             in Zeiten, in denen Kund:innen immer häufiger
Multiplikatorin, z. B. durch die Bekanntmachung           nachhaltige Produkte und Dienstleistungen nach-
von Themen rund um die Gemeinwohl-Bilanz in               fragen. Gerade die positive Auseinandersetzung
lokalen Medien oder auf Veranstaltungen, um Pio-          mit Gemeinwohl-Themen schärft das Bewusst-
nier-Organisationen stärker sichtbar zu machen            sein für Nachhaltigkeit in der Wertschöpfungs-
und gemeinwohlorientierte Projekte und Initia-            kette.
tiven von Organisationen zu unterstützen und zu
fördern.

Drittens tritt die Kommune als Hüterin der
Gemeinwohl-Werte auf. Sie setzt den rechtlichen
Rahmen, z. B. im Zuge der öffentlichen Beschaf-
fung, indem gemeinwohlorientierte Standards im
Vergaberecht implementiert und so Aspekte der
Nachhaltigkeit und Gemeinwohlorientierung bei
der öffentlichen Beschaffung berücksichtigt wer-
den. Darüber hinaus gilt es, bei sämtlichen kom-
munalen Investitionen die Auswirkungen auf das
Gemeinwohl zu prüfen.28

Mittlerweile engagieren sich mehr und mehr
Unternehmen in der Privatwirtschaft für Nach-
haltigkeit, genauso wie Non-Profit-Organisatio-
nen und Soziale Unternehmen – sowohl mit ein-
zelnen Maßnahmen als auch durch ganzheitliche

27 Weitere Informationen zur Gemeinwohl-Bilanz von Un-
   ternehmen sowie das Arbeitsbuch zur Bilanzierung von
   Unternehmen stehen kostenlos unter folgender URL zur
   Verfügung: https://web.ecogood.org/de/unsere-arbeit/
   gemeinwohl-bilanz/gemeinwohl-matrix/arbeitsmateri-
   alien/.
28 Vgl. Dewald und Rother 2020: 360 f.

                                                                                                                   17
Analysen und Konzepte 1 | 2021 | Instrumente, Vorhaben und Projekte

           6.	Instrumente, Vorhaben und                              Berliner Bezirk Treptow-Köpenick: SDGs und
               Projekte                                               Gemeinwohl-Ökonomie29

                                                                      Im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick wurde im
                                                                      Jahr 2017 ein Prozess zur Bearbeitung der SDGs
           6.1 Projekte und Vorhaben                                  angestoßen, bei dem die Bürger:innen wesent-
                                                                      lich beteiligt waren. In mehreren Veranstaltun-
           Nordfriesland und Höxter: Peer-Evaluierung                 gen und Workshops wurden die einzelnen SDGs
           und Gemeinwohl-Bilanz                                      vorgestellt, mit den Bürger:innen aus dem Bezirk
                                                                      diskutiert und Maßnahmen zur Umsetzung der
           Veränderung und Transformation vor Ort: Dies               SDGs auf lokaler Ebene erarbeitet. Die Umsetzung
           haben sich 2018 die Gemeinden Bordelum, Bre-               der Maßnahmen wird bis dato durch ein Moni-
           klum und Klixbüll im Kreis Nordfriesland (Schles-          toringsystem begleitet, das – gefördert durch
           wig-Holstein) und 2019 die Städte Willebadessen            Engagement Global – in einer Kooperation des
           und Brakel im Kreis Höxter (Nordrhein-Westfa-              Bezirksamtes mit der Hochschule für Technik und
           len) gedacht und in enger Zusammenarbeit eine              Wirtschaft Berlin entwickelt wurde.
           kommunale Gemeinwohl-Bilanz erarbeitet. Die
           Kommunen haben dabei gemeinsam eine soge-                  Der Ansatz der Gemeinwohl-Ökonomie wurde
           nannte Peer-Evaluierung durchlaufen. In meh-               vor allem bei der Bearbeitung von SDG 8 („Men-
           reren Workshops stellten sie sich gegenseitig              schenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“)
           die kommunale Praxis anhand der Gemeinwohl-                im Prozess integriert. Mit einer kritischen Haltung
           Bilanz vor, erarbeiteten gemeinsam wichtige                gegenüber einer Wirtschaft, die sich vor allem an
           Aspekte zur Verbesserung und bewerteten sich               Wirtschaftswachstum orientiert, soll die Gemein-
           gegenseitig. Dabei stand das gegenseitige Lernen           wohl-Ökonomie (GWÖ) dem Bezirk als Kompass
           voneinander im Fokus.                                      für eine Wirtschaftsweise dienen, die an Nach-
                                                                      haltigkeit und fairem Handel ausgerichtet ist.
           Auf diese Weise identifizierten die Kommunen               Gleichzeitig wurden Maßnahmen formuliert, wie
           Veränderungspotenziale und entwickelten Ideen              z. B. die Integration des Ansatzes der GWÖ in die
           für eine stärker werteorientierte Tätigkeit und            Gründungsberatung vor Ort oder Veranstaltungs-
           bessere Zusammenarbeit in der Region. Der Kreis            und Weiterbildungsangebote zur GWÖ für lokale
           Höxter will sich noch stärker zu einer Gemein-             Unternehmer:innen. Es kam auch der Wunsch
           wohl-Region entwickeln, sodass weitere Unter-              auf, im Rahmen eines zukünftigen Projektes, eine
           nehmen eine eigene Gemeinwohl-Bilanz erstel-               Gemeinwohl-Bilanz für eine Organisationseinheit
           len. Klixbüll richtete einen eigenen Haushaltstitel        des Bezirksamts zu erstellen.
           für die aktive Begegnung und den Austausch zwi-
           schen den Bürger:innen inner- und außerhalb                Freie und Hansestadt Hamburg: Corporate
           der Gemeinde ein. Darüber hinaus stellte Klix-             Governance Codex, SDGs und Gemeinwohl-
           büll die SDGs als kommunales Leitbild ins Zen­             Bilanz
           trum und bedient sich eines „Werkzeugkastens“
           auf Basis der Gemeinwohl-Bilanz. Breklum etab-             Hamburg verständigte sich bereits im Jahr 2017
           lierte ein interkommunales Kooperationsprojekt             mit der Senatsdrucksache 21/9700 auf die Umset-
           für die Beteiligung von Bürger:innen.
                                                                      29 Die Beschreibung des Prozesses basiert auf einem In-
                                                                         terview vom 13.01.21 mit dem Koordinator für kom-
                                                                         munale Entwicklungspolitik des Berliner Bezirks Trep-
                                                                         tow-Köpenick, Dennis Lumme. Die Dokumentation
                                                                         des Prozesses ist derzeit in Bearbeitung und wird unter
                                                                         dem Titel „Kommunale Nachhaltigkeitsstrategie Trep-
                                                                         tow-Köpenick“ voraussichtlich im zweiten Quartal
                                                                         2021 veröffentlicht.

18
Instrumente, Vorhaben und Projekte | Analysen und Konzepte 1 | 2021

ABBILDUNG 4 Ökologische und finanzielle Einsparungen der OekoBusiness-Betriebe in Wien

                                        Saubere Gewinne
                                             für Unternehmen und Umwelt
                                      Einsparungen der 1.334 OekoBusiness Wien Betriebe in 22 Jahren

                WASSER                                 ENERGIE                           ABFALL                      MOBILITÄT

        3.001.000 m3                             2,28 TWh                           127.370 t                215,6 Mio. km
       12,16 Tage Wasserverbrauch         Damit könnte man 6,42 Jahre lang       297,2 mal so schwer wie         5.379,9 mal um die
      für alle EinwohnerInnen Wiens       alle Wiener Kühlschränke betreiben      das Wiener Riesenrad           gesamte Erdkugel

                         BETRIEBSKOSTEN                                                                            CO2
                     166,9 Mio. €                                                                           692.000 t
                      457.260 Jahreskarten                                                                    3.844,4 mal das
                        der Wiener Linien                                                                   Fassungsvermögen
                                                                                                           des Wiener Gasometer

Quelle: © ÖkoBusiness Wien

zung der SDGs und sieht sich hier als „Metropole                               positiven Evaluierung soll die Gemeinwohl-Bilan-
in der Verantwortung, bei den von der Agenda                                   zierung auf alle öffent­lichen Unternehmen ausge-
2030 adressierten langfristigen Transformations-                               dehnt werden.
erfordernissen eigene Beiträge zu entwickeln”.30
Dementsprechend passte der Hamburger Senat                                     Stadt Wien: ÖkoBusiness – Wirtschaft fürs
den Hamburger Corporate Governance Kodex                                       große Ganze
(HCGK), das Regelwerk für gute Führung öffent-
licher Unternehmen, an. Seit Januar 2020 müssen                                Unter dem Motto „Wirtschaft fürs große Ganze“
alle Unternehmen die SDGs verbindlich berück-                                  bietet die Stadt Wien niederschwellige Ange-
sichtigen und dazu gegenüber ihrem Aufsichtsrat                                bote für Unternehmen und Non-Profit-Organi-
Rechenschaft ablegen. Außerdem sind Unterneh-                                  sationen, um (wirtschaftlich) nachhaltiger tätig
men verpflichtet, alle zwei Jahre einen Nachhal-                               zu sein. Dabei werden Initiativen, Projekte und
tigkeitsbericht nach den Kriterien des Deutschen                               Maßnahmen gefördert, die Umweltschutz, sozi-
Nachhaltigkeitskodex zu veröffentlichen. Zudem                                 ale Nachhaltigkeit und erfolgreiches Wirtschaf-
sieht der Koalitionsvertrag zwischen den Regie-                                ten kombinieren, wie bspw. die Erstellung einer
rungsparteien seit 2019 vor, diese Verpflichtung                               Gemeinwohl-Bilanz oder einer SDG-orientierten
auf eine Gemeinwohl-Bilanzierung auszuweiten.                                  Organisationsstrategie.
Im Rahmen eines ersten Pilotprojektes soll die
Implementierung im Jahr 2021 starten. Nach einer                               „OekoBusiness Wien will sichtbar machen, dass
                                                                               sich eine nachhaltige Wirtschaftsweise auch
30   Vgl. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg
     2017: Drucksache 21/9700, S. 3.                                           betriebswirtschaftlich rechnet und in vielen Fäl-

                                                                                                                                        19
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