Recycling unmöglich - Freie Liste

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Recycling unmöglich - Freie Liste
Magazin der Freien Liste

No. 28, Juni 2019

freieliste.li

Recycling
unmöglich
Jugend an die Macht!
Beim Klimaschutz zeigen die
Jungen politische Haltung.

       Wir sind alle Migranten                Selbstversuch                          Nachhaltig leben
       UN-Migrationspakt ohne Liechtenstein   Ist ein Alltag ohne Plastik möglich?   Gartenkooperative und GemüseAckerdemie
Recycling unmöglich - Freie Liste
Aus dem Inhalt                                                                                  Editorial

05
	
– Das Gespenst des Populismus – Liechten-
stein hat sich beim UN Migrationspakt der
Stimme enthalten. Warum? Der Abgeordnete
Thomas Lageder zeigt auf, dass Politik und
Medien zunehmend von rechtspopulistischen
Parteien beeinflusst werden.

08
  – Plastik im Alltag – ein Selbstversuch –
Plastikmüll verseucht die Meere. Ute Jastrzab,                            HALTUNG
                                                                          zeigen
Vorstandsmitglied der Freien Liste, berichtet
von ihrem Versuch, Plastik vollständig aus dem
Alltag zu verbannen.

13
  – Casinos stärker besteuern – Leicht verdien-                           Text Pepo Frick, praesidium@freieliste.li
tes Geld. Die Geldspielabgabesätze für Casinos
sind in den Augen der Freien Liste zu tief.
Der Staat sollte den Höchstabgabesatz auf 60%
erhöhen.                                                                  Ich lebe in einer Zeit, in der viele Frauen und Männer auf inter-
                                                                          nationaler Ebene Zivilcourage und vorbildliche Haltung zeigen
15                                                                        und sich vorbehaltlos für die 1948 definierten UNO-Menschen-
  – 500 Franken «geschenkt» und 800 Kurse zur                             rechte einsetzen. Ich wurde dahingehend erzogen, mich gegen
Auswahl – Der Abgeordnete Georg Kaufmann                                  Ungerechtigkeit im Alltag zur Wehr zu setzen, gegebenenfalls
hält die Initiative ‚Weiterbildungsgutschein’                             auch bei massivem Gegenwind. Meine frühere berufliche Tätig-
für einen Schritt in die richtige Richtung.                               keit im Afrika der Apartheid stellte meine Toleranzgrenze und
                                                                          meinen Gerechtigkeitssinn arg auf die Probe.
16                                                                            Auch bei uns sind auf Verfassungsebene die gemeinsamen
  – Ernsthafte Loyalitätssorgen? – Die Behaup-                            Grundrechte aufgeschrieben und garantiert. Trotzdem braucht
tung, dass es Doppelbürgerinnen und –bür-                                 es auch bei uns immer wieder Menschen, welche sich für spezifi-
gern an Loyalität mangle, führt der Politik-                              sche politische Herausforderungen mit ihrer Haltung einsetzen.
student Samuel Schurte ad absurdum.                                       Ein Beispiel ist die Auseinandersetzung um den Migrationspakt,
                                                                          den die Regierung nicht unterzeichnet hat – wohl nicht zuletzt
18                                                                        aufgrund von diffamierenden Leserbriefen, welche MigrantInnen
  – Kompromittierte Werte – Wenn Werte selbst                             als Unrechtsmenschen abgestempelt haben. Viele Menschen sind
grundlegend sind, haben sie selbst keinen                                 diesen diskriminierenden Gedanken öffentlich entgegengetre-
Grund mehr. Richard Brunhart behandelt                                    ten. Die Aufarbeitung der weiter bestehenden Diskriminierung
das Thema des Hefts «Haltung zeigen, Werte                                von Frauen in Politik und Arbeitsleben zeigt Erfolg, zuletzt bei
leben» in Form einer Glosse.                                              den diesjährigen Gemeinderatswahlen. Vor allem viele Frauen
                                                                          zeigten hier klare Haltung, selbst angesichts von herabwürdigen-
                                                                          den Kommentaren. Die Diskussionen um die Umwelt scheinen
                                                                          beherrscht zu sein von «Klimaleugnern», welche alle wissenschaft-
                                                                          lichen Erkenntnisse negieren. Die Diskussion um die Sperrung
                                                                          des Rheindamms ist ein Beispiel. Hier stützt der VCL mit klarer
Impressum                                                                 Positionierung die einstimmige Haltung des Vaduzer Gemeinde-
   Herausgeberin Freie Liste, Liechtenstein                               rates. Den teils persönlichen Angriffen auf den VCL-Präsidenten
Redaktion WEISS, Birkenweg 6, 9490 Vaduz                                  wird öffentlich widersprochen. Beim Thema Klimawandel legen
Redaktionsleitung Alexa Ospelt, info@weissmagazin.li                      auch hierzulande Jugendliche ihre politische Zurückhaltung ab
Gestaltung Mathias Marxer, Gregor Schneider, Triesen                      und finden deutliche Worte.
Druck LAMPERT Druckzentrum AG, Vaduz
Schrift Univers und New Baskerville                                       Viele Menschen zeigen klare Haltung und Zivilcourage. Das er-
Papier Bavaria, 80 g/m2, FSC Auflage 20’100 Ex.                           füllt mich mit Zuversicht.
Titelbild Mathias Marxer, Gregor Schneider, Triesen                           				                                    Co-Präsident Pepo Frick

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Demokratie im Wandel

Jugend an die Macht!
                          Text Sebastian Sele, sebastian.jb.sele@gmail.com Foto zvg

                          Jugendliche nehmen immer weniger an Politik teil – trotzdem gehen Hunderttausende von
                          ihnen bei den Klimastreiks auf die Strasse. Was wir daraus lernen müssen.

                                                         den», stellte sich eines dieser Kinder und       «Das grösste Problem unserer Zeit»
                                                         Kindeskinder im Dezember 2018 an der             Dafür sind die Fakten zu klar: Über 26 000
                                                         UN-Klimakonferenz im polnischen Katowi-          Wissenschaftler aus dem deutschsprachi-
                                                         ce vor. Die Jugendliche – wer eine 15-Jähri-     gen Raum haben sich den Forderungen
                                                         ge als Mädchen bezeichnet, beweist schon         der Klimabewegung um Greta Thunberg
                                                         mal, recht viel nicht verstanden zu haben        angeschlossen: «Die derzeitigen Massnah-
                                                         – dürfte wohl die Geschichte der aufmüp-         men zum Klima-, Arten-, Wald-, Meeres-
                                                         figen Jugend weiterführen. Denn auch sie         und Bodenschutz reichen bei weitem nicht
                                                         hat vieles gesagt, das vielen nicht gepasst      aus.» Der Generalsekretär der Weltorgani-
                                                         hat. Etwa als sie der versammelten Macht         sation für Meteorologie sagte 2018 sogar,
                                                         am WEF «Ich möchte, dass ihr in Panik            «dass wir die letzte Generation sind, die in
                                                         geratet!» um die Ohren warf. Oder als sie        der Lage ist, etwas gegen den Klimawandel
                                                         den Klimastreikenden in Helsinki «Wir            zu tun». Der Klimawandel ist unbestritten
                                                         können die Welt nicht retten, indem wir          das drängendste Problem unserer Zeit –
                                                         uns an die Spielregeln halten» mit auf den       und Greta Thunberg bereitet es mit den
                                                         Weg gab. Und sogar im kleinen Liechten-          Klimastreikenden medienwirksam auf. In
                                                         stein scheint ihre Botschaft angekommen          den letzten zwölf Jahren haben Deutsch-
                                                         zu sein: «Was hältst du von Greta?», fragt       schweizer Medien laut dem Wissenschafts-
                                                         mich meine Mutter am Küchentisch – und           magazin higgs bei Weitem nie so ausgiebig
                                                         ich verstehe die Frage erst nicht, weil sich     über den Klimawandel berichtet wie in
                                                         diese Frage für mich nicht stellt.               den letzten Monaten.
Sebastian Sele, freier Journalist
und Unternehmer

Das Thema dieses Textes dürfte so alt sein
wie die Menschheit – und doch muss es
wieder und wieder und wieder angespro-
chen werden: Erwachsene verstehen nicht
mehr, was ihre Kinder und Kindeskinder
machen. Instagram, Snapchat, TikTok –
was? Man könnte an dieser Stelle dieses
eine Zitat von Sokrates anbringen, das
schon hunderte Male in diesem Kontext
genannt wurde (das mit der Jugend, ihren
schlechten Manieren und ihrer Verach-
tung für Autoritäten). Oder man könnte
einen Blick in die Leserbriefspalten der
heutigen Tageszeitung werfen. Das Resul-
tat dürfte das Gleiche sein, seit Jahrhun-
derten.
    «Mein Name ist Greta Thunberg, ich
bin 15 Jahre alt und komme aus Schwe-

                                                                                        WEISS – Magazin der Freien Liste – 28/19 – 3
Recycling unmöglich - Freie Liste
Demokratie im Wandel

                                                                                                   Hunderttausende Klimastreikende auf

«Wer aus der Politik
                                                                                                   den Strassen dieser Welt.
                                                                                                       Sollten Sie also Politiker sein und sich
                                                                                                   beim dritten Satz dieses Textes gefragt ha-
                                                                                                   ben, was zur Hölle Instagram, Snapchat

macht einen Schritt
                                                                                                   oder TikTok sind, sollten Sie vielleicht mal
                                                                                                   wieder mit Ihren jugendlichen Kindern
                                                                                                   oder Kindeskindern sprechen. Deren In-
                                                                                                   formationen dürften auch in Liechtenstein

auf die Jugend zu?»
                                                                                                   zu einem grossen Teil von einer dieser drei
                                                                                                   Social-Media-Plattformen stammen, auf
                                                                                                   der sie wohl lieber Influencer verfolgen,
                                                                                                   als Ihren Phrasen zuzuhören.
                                                                                                       Solltest du hingegen einer dieser jun-
                                                                                                   gen Menschen sein: Lass dir nie mehr ir-
                                                                                                   gendetwas von irgendwem ausreden, nur
                                                                                                   weil er älter ist. Auch nicht Klimastreiks
                                                                                                   an einer Liechtensteiner Schule. Du be-
                                                                                                   stimmst, in welcher Zukunft du leben
Trotzdem findet die öffentliche Debatte           und 25 Jahren zu ihrem Verhältnis zur Poli-      willst. Denn du bist es, die darin leben
gerne mal auf Nebenschauplätzen statt:            tik befragt. Andere wichtige Ergebnisse da-      wird.
Darf man die Schule schwänzen, um auf             raus: Junge beteiligen sich an Politik, wenn
die Strasse zu gehen? Darf man den Wider-         ihnen der Einfluss auf ihren Alltag klar ist
spruch wagen, mit CO2-Schleudern in den           – oft sei er das aber nicht. Ein möglicher
Urlaub zu fliegen und auf der Strasse «Run-       Grund dafür: Selbst Influencer geniessen
ter mit dem CO2!» zu schreien? Werden             ein höheres Vertrauen als Politiker.
Greta Thunberg und die Klimabewegung                  «Woher soll man wissen, was richtig
gar von irgendwem instrumentalisiert?             und was falsch ist?», fragt Nicola Bossard,
Alles Fragen, die irrelevant werden, wenn         der im Social-Media-Team der Schweizer
man tatsächlich daran interessiert ist, sich      Klimastreiks mitmischt. «Viele Jugendli-
der grossen, über allen anderen thronen-          che sind überfordert, wenn Rechte etwas
den Frage zu widmen: Was können wir tun,          behaupten und Linke etwas Anderes.» Auf
um gegen den Klimawandel anzukämpfen,             Greta Thunberg werde aber gehört, weil
den Tausende Wissenschaftler als das drän-        sie in klaren, deutlichen Worten spreche
gendste Problem unserer Zeit benennen?            und weil sie jung und authentisch sei – im
Alles, das in dieser Debatte nicht auf das        Gegensatz zu vielen Politikern. «Das Top-
Beantworten dieser Frage ausgerichtet ist,        Down-Prinzip von irgendwelchen älteren
erfüllt bloss den Zweck einer Nebelpetar-         Politikern kann Junge nicht bewegen»,
de. Und wird darum in diesem Text nicht           sagt Bossard. Jugendliche scheinen vielen
weiter behandelt.                                 Politikern also gar nicht erst zuzuhören.
    Die einzige Antwort auf diese eine            Passend dazu ist die Wahlbeteiligung jun-
grosse Frage liefert wiederum bereits die         ger Wählerinnen und Wähler seit Jahren
Klimajugend selbst: «System Change not            um ein Vielfaches tiefer als bei älteren Ge-
Climate Change.» Widmen wir uns also ei-          nerationen.
ner anderen, fast so relevanten Frage: Was                                                                      Zur Person
können wir langfristig, auch über den Me-         Ach, die Realität                                             Sebastian Sele wurde vor 30 Jah-
dienhype hinaus, von der Klimabewegung            Man kann sich nun über diese Realität är-                     ren in Liechtenstein geboren. Nach
lernen?                                           gern oder sie ignorieren – oder man kann                      der Matura brach er aus nach Wien
                                                  konstruktiv werden und sich ernsthaft fra-                    und Zürich, wo er zuerst ziellos
Influencer vs. Politiker                          gen: Wie gehen wir diesen Missstand in un-                    Soziologie studierte und anschlies-
«Knapp die Hälfte aller Jugendlichen fin-         serer Demokratie an? Wer aus der Politik                      send als Reporter und Redakti-
det, dass keine etablierte Partei ihren In-       macht einen Schritt auf die Jugend, auf                       onsleiter eines Jugend-Mediums
teressen entspricht», schreibt das Partizi-       die Zukunft zu? Wer übersetzt die Sprache                     arbeitete. Heute ist er als freier
pationsprojekt easyvote im April 2019 zu          der institutionalisierten Politik in die Spra-                Journalist und Unternehmer sowie
seiner neusten Studie. Easyvote hat in der        che der Jugend? Denn dass die Jugend an                       als Content Strategist tätig.
Schweiz rund 1800 Menschen zwischen 18            Politik interessiert ist, beweisen gerade

                     4 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 28/19
Recycling unmöglich - Freie Liste
Demokratie im Wandel

                       WEISS – Magazin der Freien Liste – 28/19 – 5
Recycling unmöglich - Freie Liste
Migrationspakt der Vereinten Nationen

Ein Gespenst geht um in Europa
– das Gespenst des Populismus
                     Text Thomas Lageder, thomas.lageder@landtag.li

                     «Die Sorge, dass Liechtenstein eben doch versucht, den ‹Rückwärtsgang› einzulegen,
                     äusserte ein Zuhörer in der anschliessenden Fragerunde. An der Debatte um den UN-Migra-
                     tionspakt machte er fest, dass der Rechtspopulismus in Liechtenstein Einzug gehalten habe.
                     Die Politik habe sich von einzelnen Leserbriefschreibern treiben lassen.»

«Das Gespenst des Populismus», so lautete           im Liechtensteiner Vaterland unterirdisch    unverbindliche, sogenannte Best-Practice-
der Untertitel des oben in der Einleitung           war. Anstatt den Inhalt des Migrationspak-   Guidelines. Der UN-Migrationspakt ist
zitierten Zeitungstexts (Liechtensteiner            tes zu erklären, Pro und Contra abzuwä-      also nichts weiter als eine gemeinsame
Volksblatt vom 21. März 2019) bezüglich             gen und die Bevölkerung zu informieren,      Verständigung darauf, wie die Staaten die-
eines Vortrags zur liechtensteinischen              wusste das VU-Parteiorgan nichts Besse-      ser Welt mit dem Phänomen der Migrati-
Aussenpolitik von Regierungsrätin Aure-             res, als im November 2018 eine Online-       on umzugehen gedenken. Und zweitens
lia Frick. Die Aussenministerin rief dar-           Umfrage mit folgender Fragestellung zu       wird und wurde nichts unterzeichnet, von
aufhin sehr treffend zu mehr Sachlichkeit           unterbreiten: «Soll Liechtenstein den Mig-   keinem Staat. Kann auch gar nicht, weil
auf: «Ich glaube, wir müssen es wieder              rationspakt unterzeichnen?» Dabei bleibt     die Prinzipien, die der Pakt beschreibt,
schaffen, emotionale politische Themen              festzustellen, dass nicht einmal die Frage   rechtlich nicht bindend sind und es auch
auf der sachlichen Ebene zu diskutieren.»           sachlich richtig formuliert ist. Denn beim   nie sein werden.
    Sachlich oder eben objektiv betrach-            UN-Migrationspakt handelt es sich weder          Aber gerade für Liechtenstein ist das
tet scheint die Sachlage so «klar», wie die         um einen Staatsvertrag noch um eine in-      sowieso ohne jegliche Relevanz. Denn wie
Berichterstattung zum UN-Migrationspakt             ternationale Konvention, sondern um          dem Bericht der Regierung zu entnehmen
                                                                                                 ist, richtet sich der Staat Liechtenstein
                                                                                                 bereits heute zu 99,5 Prozent nach den
                                                                                                 Richtlinien, die im UN-Migrationspakt be-
                                                                                                 schrieben sind. Dies ist so, auch wenn das
                                                                                                 einigen Abgeordneten bei der Landtags-
                                                                                                 diskussion am 5. Dezember 2018 gar nicht
                                                                                                 recht war. Oder sollte man besser sagen:

«Sind wir nicht alle                                                                             «nicht rechts genug» war?

                                                                                                 Stimmenthaltung kommt einem «Nein» gleich
                                                                                                 Warum also das Theater? Warum hat

irgendwie Migranten?»                                                                            sich die Regierung schliesslich entschie-
                                                                                                 den, dem UN-Migrationspakt am 19. De-
                                                                                                 zember 2018 bei der Versammlung der
                                                                                                 Vereinten Nationen in New York nicht

                     6 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 28/19
Recycling unmöglich - Freie Liste
Liechtenstein und die Vereinten Nationen

zuzustimmen, sondern sich der Stimme            von kurzfristiger Herkunft ist? Die provo-
zu enthalten? Warum hat die Regierung           kative Frage sei erlaubt: Sind wir nicht alle
Liechtensteins entschieden, sich auf der        irgendwie Migranten?
Seite von Ländern wie Italien, Österreich,          Warum die Stimmenthaltung in New
der Schweiz, Australien, Algerien, Bulga-       York? Liegt der zu Beginn erwähnte Zuhö-
rien, Chile, Lettland, Libyen, Rumänien         rer wohl doch richtig?
sowie Singapur und inhaltlich damit nä-
her an Ländern wie Ungarn, Polen, der
Tschechischen Republik, Israel und den
USA, die den UN-Migrationspakt allesamt
ablehnten, zu positionieren? Warum nicht
bei den 152 anderen Staaten, die Ja gesagt
haben?
    Liechtenstein gehört damit zu einem
exklusiven Club von Ländern, die – gera-
de in Sachen Umgang mit Migration und
Fremdenfeindlichkeit – immer wieder
von sich reden machen. Auch scheint den
meisten dieser Länder gemein, dass ihre
Politik zunehmend von Parteien domi-
niert wird, die deutlich im rechten Spek-
trum zu verorten sind, um es vorsichtig
zu formulieren. Parteien in unserer un-
mittelbaren Nachbarschaft wie die FPÖ,
die SVP, die AFD, die Lega haben sich
dezidiert gegen den UN-Migrationspakt
gestellt. Wollen wir wirklich, dass Politi-
ker wie der ungarische Ministerpräsident
Orban, der Bundestagsabgeordnete Gau-
land oder der inzwischen zurückgetrete-
ne FPÖ-Vize-Bürgermeister von Braunau
Schilcher in einem Atemzug mit Adrian
Hasler genannt werden? Schilcher hat sei-
ne Gesinnung bekanntlich gerade kürz-
lich mit einem Gedicht mit dem Titel «Die
Stadtratte» eindeutig offen gelegt: «So,
wie wir hier unten leben, müssen and’re
Ratten eben, die als Gäst’ oder Migranten,
auch die, die wir noch gar nicht kannten,
die Art zu leben mit uns teilen! Oder rasch
von dannen eilen!»
    Wollen wir das? Ist Liechtenstein nicht
ein weltoffenes Land, das wie wahrschein-
lich kaum ein anderes seit Jahrzehnten
von einer geordneten, sicheren und re-
gulären Migration profitiert? Ist Liech-
tenstein nicht ein Musterbeispiel dafür,
wie der fortwährende, zugegebenermas-
sen auch anstrengende Prozess von Inte-
gration gelingt? Integration bedeutet im
Übrigen nichts Anderes als «Vervollstän-
                                                                                                                              www.123rf.com

digung» oder «Einbezug in ein grösseres
Ganzes». Basiert Liechtensteins Wohl-
stand nicht zu einem ganz wesentlichen
Teil auf Zuwanderung, die sich entweder
schon vor längerer Zeit vollzogen hat oder

                                                                               WEISS – Magazin der Freien Liste – 28/19 – 7
Recycling unmöglich - Freie Liste
Nachhaltige Entwicklungsziele

Plastik im Alltag –
ein Selbstversuch
                    Text und Foto Ute Jastrzab, jastrzab.ute@outlook.com

                     Weltweit gelangen laut der Meeresschutzorganisation Oceana stündlich 675 Tonnen Müll in
                     die Meere – rund die Hälfte davon sei Plastik. Ein Kommentar auf Twitter lautet: «Früher war
                     der Fisch in der Verpackung, heute ist die Verpackung im Fisch.» Da will ich als umweltbe-
                     wusste Bürgerin nicht länger tatenlos zusehen und starte einen Selbstversuch.

Alle kennen mittlerweile die Bilder von             steht man im Laden und kauft haufenwei-       packen – einfach. Im Unverpackt-Laden
Schildkröten in Plastikgebinden, welche             se Plastik ein, um dann wieder zu recyclen,   können auch viele Produkte ohne Plastik-
einmal Getränkedosen zusammenhielten,               was eigentlich reduziert und vermieden        verpackung erstanden werden. Aber schon
von geöffneten Fischbäuchen, in welchen             werden sollte. Meine Frustration darüber      beim Metzger wird es verzwickt. Natürlich
sich Plastikmüll angesammelt hat, oder              hat ihren Höhepunkt erreicht. An mir soll     nimmt man keine Plastiktasche, aber an
von schwimmenden Plastikinseln im Meer.             es also nicht liegen – von nun an wird kein   das beschichtete Papier haben wir nicht
Die (Um-)Welt ist aus den Fugen und alle            Plastik mehr gekauft.                         gedacht. Am Wochenende soll ein Ku-
tragen ihren Teil dazu bei. Auch als um-                                                          chen gebacken werden, aber Quark und
weltbewusster Mensch kommt man an sei-              An mir soll es nicht liegen, aber…            Joghurt gibt es nur im Plastikbehälter. Es
ne Grenzen. Da fährt man mit dem Rad                Das Brot vom Bäcker – easy. Das Gemü-         gäbe Quark im Offenverkauf in Feldkirch;
zur Arbeit, fährt mit dem Zug in die Feri-          se von der Gartenkooperative und vom          aber für Quark schnell mit Bus, Auto oder
en, recycelt mit grosser Sorgfalt und dann          Gemüseladen in mitgebrachte Taschen           Fahrrad dorthin? Die täglichen Einkäufe
                                                                                                  werden normalerweise auf dem Weg von
                                                                                                  der Arbeit nach Hause im Dorf erledigt.
                                                                                                  Der Alltag hat sich zu einem echten Hür-
                                                                                                  denlauf entwickelt: Kosmetik im Gläschen
                                                                                                  – leider mit Plastikdeckel. Der Kaffeerahm

«Vielleicht wäre ein Verbot                                                                       im Restaurant, das Nasenspray in der Apo-
                                                                                                  theke, Hygieneartikel im Allgemeinen …
                                                                                                  das plastiklose Leben so fern wie das pa-
                                                                                                  pierlose WC.

von Plastiktüten …                                                                                Konsumenten haben Einfluss
                                                                                                  Konsequent plastikfreies Einkaufen im
                                                                                                  Alltag ist heute praktisch unmöglich. Aber

ein erster Schritt»                                                                               auch wenn die Suche nach Alternativen
                                                                                                  zeitaufwändig ist, überwiegt nach einem
                                                                                                  Monat das Gefühl einer gewissen Befriedi-
                                                                                                  gung. Der Plastikmüll im Haushalt hat sich

                    8 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 28/19
Recycling unmöglich - Freie Liste
Leben unter Wasser

                                                                                Globaler politischer Zusammenhang
                                                                                Im September 2015 wurde von den
                                                                                Vereinten Nationen die Sustai-
                                                                                nable Development Agenda 2030
                                                                                verabschiedet. Diese enthält 17
                                                                                nachhaltige Entwicklungsziele
                                                                                (engl. Sustainable Development
                                                                                Goals – SDGs), welche die Welt
                                                                                verändern sollen. Alle 193 Länder
                                                                                der UNO-Generalversammlung,
                                                                                auch Liechtenstein, haben sich
                                                                                dieser Agenda verpflichtet. Das
                                                                                SDG 14 «Leben unter Wasser» war
                                                                                eine Idee der kleinen Inselstaaten.
                                                                                Dieses Ziel beinhaltet u.a., dass die
                                                                                Verschmutzung der Meere durch
                                                                                Plastikmüll bis zum Jahre 2025
                                                                                signifikant gesenkt wird. Vom 5.
                                                                                bis 9. Juni 2019 findet dazu die
                                                                                erste Ozeankonferenz der Vereinten
                                                                                Nationen mit Wissenschaftlern,
                                                                                Unternehmern und Akteuren der
                                                                                Zivilgesellschaft statt.

in der Tat erheblich reduziert und das be-
wusstere Einkaufen wirkt sich ausserdem
positiv auf das Haushaltsbudget aus. Ich
bin davon überzeugt, dass ein «Nein» der
Konsumenten zu unnötigen Plastikverpa-
ckungen mittel- bis langfristig vom Handel
gehört wird.
    Allerdings ist es unabdingbar, dass auch
die Politik die richtigen Signale sendet
und Akzente setzt. Vielleicht wäre ein Ver-
bot von Plastiktüten wie in Kenia, Ruanda
und Indien auch für Liechtenstein ein ers-
ter Schritt. An uns soll es nicht liegen!

                                               WEISS – Magazin der Freien Liste – 28/19 – 9
Recycling unmöglich - Freie Liste
Ökologische Landwirtschaft

«Essen ist politisch»
                      Interview Alexa Ospelt, info@weissmagazin.li Foto zvg

                      Wüssten Sie auch zu gerne, wo und wie Ihr Gemüse angebaut wird und wie frisch es tat-
                      sächlich ist? Stephan Gstöhl, Mitgründer Gartenkooperative, und Sandra Fausch, Gründerin
                      GemüseAckerdemie Liechtenstein, machen es möglich. Sie sensibilisieren und begeistern
                      mit ihren Projekten Jung und Alt für einen bewussten Umgang mit Ernährung und Umwelt.
                      Beide Initiativen inspirieren auch zum lustvollen Gärtnern und zum umweltschonenden,
                      biologischen Gemüseanbau.

Weiss: Sandra Fausch, Du bist Mitglied der           unsere Abonnentinnen und Abonnenten           der jungen Generation die Weichen für
Gartenkooperative? Warum hast du den                 erhalten wöchentlich eine Gemüsetasche        einen gesunden Lebensstil gestellt. Das er-
Schritt gemacht?                                     (44x pro Jahr), jedes Mitglied leistet je     achte ich als enorm wichtig.
Sandra Fausch: Essen ist politisch, und Mit-         nach Abo pro Jahr zwischen 0 und 22 Ein-
glied in einer Gartenkooperative zu sein,            sätzen zu je vier Stunden. Für die Einsätze   Sandra, worum geht es in deinem Projekt?
ist ein politisches Statement. Die Garten-           kann man sich online einschreiben. Mit        Sandra Fausch: Viele junge Menschen ha-
kooperative passt zu meiner ökologischen             jedem Einsatz im Freien verbringt man/        ben heute den Bezug dazu verloren, wie
Lebensanschauung. Die Initianten haben               frau einen gemeinsamen Nachmittag an          Lebensmittel entstehen, wo sie herkom-
dieses Projekt erstaunlich rasch realisiert.         der frischen Luft, in Kontakt mit der Erde.   men und was ihre Qualität ausmacht. In
Dank der Anpassung der Abo-Modelle                   Das empfinden die meisten als erholsam.       der GemüseAckerdemie setzen wir uns
bin ich nun seit ca. 1.5 Jahren zufriedene                                                         auseinander mit der Verschwendung von
Abonnentin des Single-Abos. Die Garten-              Wer bestimmt, was angebaut wird?              Lebensmitteln oder Begriffen wie Ernäh-
arbeit tut mir gut und ich komme mit mei-            Nach welchen Kriterien?                       rungssouveränität.
ner Gemüsetasche pro Woche durch. Ein                Stephan Gstöhl: Der Anbauplan wird durch
gesunder Nebeneffekt meiner Mitglied-                unsere Gärtner bzw. Gärtnerinnen erstellt     Was genau heisst «Ernährungssouveränität»?
schaft ist mein wöchentlicher Dorfspazier-           und in der Generalversammlung bespro-         Sandra Fausch: Ernährungssouveränität ist
gang zur Ausgabestelle. Ich spare Zeit, re-          chen. Wir bauen, wo immer möglich, alte       das Recht der Völker auf gesunde und kul-
duziere meinen Abfall wesentlich und alles           und samenfeste Sorten an und achten da-       turell angepasste Nahrung, nachhaltig und
ist frisch, lokal und biologisch. Und ich            rauf, dass wir auch jedes Jahr wieder neue    unter Achtung der Umwelt hergestellt. Sie
trage zum Gelingen eines solchen Ansatzes            kulinarische Highlights ausprobieren, die-    ist das Recht auf Schutz vor schädlicher
und zu einer nachhaltigeren Gesellschaft             ses Jahr pflanzen wir beispielsweise zum      Ernährung. Sie ist das Recht der Bevölke-
bei. Das stimmt mich sehr zufrieden.                 ersten Mal Edamame an.                        rung, ihre Ernährung und Landwirtschaft
                                                                                                   selbst zu bestimmen.
Stephan Gstöhl, wie funktioniert die                 Was hältst du von der GemüseAckerdemie?           Die GemüseAckerdemie ist ein Bil-
Gartenkooperative?                                   Stephan Gstöhl: Die GemüseAckerdemie          dungsprogramm, das im Klassenzimmer
Stephan Gstöhl: Die Gartenkooperative ba-            sensibilisiert Kinder und Jugendliche rund    und im eigenen Schulgarten stattfindet
siert auf der Idee des nachhaltigen Wirt-            um das Thema Ernährung, Sandra stellt         und weit über das Thema «gesunde Ernäh-
schaftens bzw. der Solidarischen Landwirt-           ein handlungsorientiertes Bildungspaket       rung» hinausgeht. Wir arbeiten theore-
schaft. Wir bauen gemeinsam ökologisches             für unsere Schulen bzw. interessierte Leh-    tisch und praktisch, mit Bildungsmateria-
Gemüse auf unserem Acker in Schaan an,               rerInnen bereit. Hier werden bereits bei      lien und Sinneserfahrungen. Lehrerinnen

                      10 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 28/19
Sandra Fausch, diplomierte Umweltingenieurin und Initiantin der GemüseAckerdemie Liechtenstein, arbeitet bei der CIPRA und ist seit April
Vorstandsmitglied der Freien Liste. Stephan Gstöhl ist Mitgründer der Gartenkooperative und seit Mai für die Freie Liste Mitglied des Vaduzer
Gemeinderats. Beide setzen sich für eine gesunde Umwelt und Ernährung sowie für eine nachhaltige Gesellschaft ein. Sie unterstützen die Ökologi-
sierung der Landwirtschaft, für die sich auch die Freie Liste engagiert.

und Lehrer unterstützen wir bei der Um-          der Familie und verbringen einen halben
setzung des Programms, sie erhalten Lehr-        Tag bei der Gartenarbeit mit ihren Kin-
mittel und Anleitung via Login-Bereich.          dern. Gemeinsames Gärtnern ist heutzuta-
    Ich biete ein fertiges Bildungspro-          ge schon idyllisch und eine Seltenheit. Alle
dukt mit Erfahrungswerten aus der Ge-            verbringen gemeinsam Zeit im Freien und
müseAckerdemie Deutschland und der               bauen ihre eigenen Lebensmittel an. Wir
Schweiz. Das alles ermöglicht es Lehrerin-       tun etwas für unsere eigene Gesundheit
nen und Lehrern, ihren Schülerinnen und          und gleichzeitig leisten wir einen Beitrag
Schülern Themen rund um Nachhaltigkeit           für die Gesundheit unseres Planeten.
über den Garten näherzubringen. Erfor-
derlich ist auch ein Gartenbeet im Schula-       Du hast im Rahmen Deines Studiums ein
real, das kann natürlich längst nicht jede       bioveganes Düngekonzept entwickelt, das
Schule stellen. Alternativ arbeiten wir mit      die Gartenkooperative testen und einsetzen
Hochbeeten                                       will. Was sind die Vorteile?
                                                 Sandra Fausch: Im Falle der Gartenkoope-
Werden die zusätzlichen Wochenlektionen in       rative: Pflanzliche Düngemittel können
den Unterricht integriert?                       selbst hergestellt werden. Dadurch kann si-
Sandra Fausch: Grundsätzlich ist alles abge-     chergestellt werden, dass kein mit beispiels-
stimmt mit und auf den neuen Lehrplan.           weise Antibiotika belasteter Hofdünger auf                       Pflückgarten in Vaduz
Die Lehrpersonen können sich unterein-           die Felder gelangt. Die gängige Meinung                          Im Juni finden Sie Stephan
ander auch absprechen, wer wann und mit          besagt, dass man immer noch Hofdünger                            Gstöhl mitunter auf dem Vaduzer
welchem Fokus in den Garten geht. Ver-           (z.B. Mist) braucht, um Ackerbau im gros-                        Rathausplatz bei bei den Gemüse-
schiedene Fächer bieten sich an. Die op-         sen Stil zu betreiben. Rein pflanzlicher                         Hochbeeten der Gartenkooperative
timale Umsetzung erfolgt im individuellen        Dünger mit Brennnesseln und Co. reiche                           Gemüse-Hochbeeten. Dort können
Gespräch zwischen der GemüseAckerde-             nicht, so lautet die Konvention. Die Fra-                        Sie sich von seinem ökologischen
mie und der betreffenden Schule.                 gen, die mich hier als Umweltingenieurin                         Ansatz selbst überzeugen. Weitere
                                                 bewegen, sind, a) stimmt das denn über-                          Informationen zu den Projekten und
Stellt die Gartenkooperative auch Ackerland      haupt und b) welche pflanzlichen Alterna-                        Kontaktdaten finden Sie auf den je-
für das Bildungsprojekt zur Verfügung            tiven bieten sich mir, und was sind deren                        weiligen Webseiten der Initiativen:
Stephan Gstöhl: Nein, aber eine Zusammen-        Vor- und Nachteile?                                              www.gemueseackerdemie.li
arbeit wäre durchaus zu überlegen. Un-                                                                            www.gartenkooperative.li
sere Abonnenten kommen teilweise mit

                                                                                WEISS – Magazin der Freien Liste – 28/19 – 11
Aktuelle Stunde

Casinos stärker besteuern
                      Text Thomas Lageder, thomas.lageder@landtag.li

                      Ertragen Liechtenstein, seine Bevölkerung und seine Reputation so viele Casinos, wie
                      rentabel betrieben werden können? In der Aktuellen Stunde vom April 2019 diskutierten
                      wir im Landtag auf Antrag der Freien Liste die aktuellen Entwicklungen rund um die
                      Ansiedlung weiterer Casinos in Liechtenstein. Das Thema ist hochaktuell und von
                      landespolitischer Bedeutung.

Die aktuellen Entwicklungen sind aus der             sehr gut gebrauchen. Die untenstehenden
Sicht vieler Abgeordneten kaum mehr im               Zahlen sprechen für sich. Eine stärkere Be-
Einklang mit den Intentionen bei der Ein-            steuerung hätte automatisch eine ausglei-
führung des Geldspielgesetzes im Jahre               chende Wirkung auf die Anzahl Konzessi-
2010/11, respektive den Gesetzesanpas-               onsgesuche.
sungen 2016. Das damalige Ziel war die
Etablierung eines renommierten Casinos
im Land. Inzwischen haben aber das libe-
rale Geldspielgesetz und die attraktiven
Steuersätze eine Eigendynamik ausgelöst,
und es liegen weitere Konzessionsgesuche
auf dem Tisch der Regierung. Viele fürch-
ten nun um den Ruf des Landes, denn
noch können Spielerinnen und Spieler,                Faktenübersicht zu den Casinos in Liechtenstein 2018
die in der Schweiz oder Österreich meist
aufgrund ihrer Schuldenlage gesperrt                 Anzahl Casinos:                                                       2
sind, in Liechtenstein problemlos ihr                Bruttospielertrag für beide Casinos (Einsätze minus Gewinne):      +55 Mio. Franken
Glück versuchen.                                     In Liechtenstein verspieltes Geld (Gewinne minus Einsätze):        - 55 Mio. Franken
    Die Freie Liste betont in der Casino-Dis-        Geldspielabgabe auf Bruttospielertrag für beide Casinos:             19.3 Mio. Franken
kussion, dass die Abgabesätze zu tief sind
und die Erhöhung des oberen Abgabesat-               Geldspielabgabesatz: Für die erste Million Franken Bruttospielertrag beträgt der Abgabesatz
zes gerechtfertigt wäre. Meiner Meinung              17.5%, für jede weitere Mio. Bruttospielertrag beträgt er 2.25% mehr, der Satz steigt bis maximal
nach ist es erstrebenswert, dass der Staat           40% (der maximale Abgabesatz wird bei 10 Mio. Franken Bruttospielertrag erreicht, ab dann
von diesen offensichtlichen Goldgruben               gehen für jeden weiteren verspielten Franken folglich 40% an den Staat und 60% an die Casinos).
noch stärker profitieren soll. Die Gewinne
der Casinos sind offensichtlich enorm (sie-          Durchschnittlicher Geldspielabgabesatz:                       Ca. 36.5%
he Faktenübersicht). Die Erhöhung des                Tagesumsatz für beide Casinos bei 365 Tagen Betrieb pro Jahr: Ca. 150‘000 Franken am Tag
oberen Abgabesatzes auf z.B. im Vergleich            Gewinn pro Jahr für beide Casinos: 		35 Mio. Franken minus
immer noch moderate 60 Prozent würde                 		Aufwand = 30 Mio. Franken
absolut keinen Schaden verursachen. Im               Zusammengestellt von Thomas Lageder                           (geschätzt)
Gegenteil, der Staat könnte dieses Geld

                      12 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 28/19
Gemeinderats- und Vorstandswahlen

Die Freie Liste wächst weiter
                      Text Alexa Ospelt, info@weissmagazin.li Foto Klaus Schädler und andere

Die Freie Liste (FL) hat Zuwachs erhalten.
Bei den Gemeinderatswahlen hat sie fünf
Sitze zugelegt – von drei auf neu acht Ge-
meinderätinnen und -räte. An der Gene-
ralversammlung im vergangenen April hat
die Mitgliederversammlung zudem vier
neue bzw. zusätzliche Mitglieder in den
Vorstand gewählt, insgesamt besteht der
FL-Vorstand nun aus zehn Personen, fünf
Frauen und fünf Männern.

                                                     Co-Präsident Pepo Frick begrüsst die vier neuen Vorstandsmitglieder (von links nach rechts):
                                                     Harry Hasler, Sandra Fausch, Ute Jastrzab und Manuel Kieber.

Neu gewählte Gemeinderätinnen
und -räte der Freien Liste

Bettina Eberle-Frommelt           Stephan Gstöhl                         Katja Langenbahn-Schremser               Andrea Matt
Balzers                           Vaduz                                  Planken                                  Mauren-Schaanwald

                Corina Vogt-Beck                      Stefanie Hasler                           Andreas Heeb                        Patrick Risch
                Triesenberg                           Vaduz                                     Schaan                              Schellenberg

                                                                                               WEISS – Magazin der Freien Liste – 28/19 – 13
Gesundheitskosten und OKP-Staatsbeitrag

OKP-Staatsbeitrag: Erneuter
Antrag auf Verdoppelung
                      Text Thomas Lageder, thomas.lageder@landtag.li Foto Alexa Ospelt

                       Am 4. April und 11. Mai gingen insgesamt fast 300 Menschen trotz Regen auf die Strasse
                       und demonstrierten vor dem Regierungsgebäude für mehr bzw. eine neue Solidarität im
                       Gesundheitswesen. Die Regierung erachtete die Demos letztlich als unnötig. Die Freie Liste
                       hingegen sieht die friedlichen Kundgebungen als natürliche Reaktion auf versäumte staatli-
                       che Reformen.

Die Fraktion der Freien Liste wird im Juni-
Landtag wieder den Antrag einbringen,
den Staatsbeitrag an die OKP von 29 Mio.
Franken auf 58 Mio. Franken, auf das Ni-
veau des Jahres 2010, zu verdoppeln.
    Die Gesundheitskosten, zusammenge-
setzt aus Prämie, Franchise und Selbstbe-
halt, stellen für den Mittelstand, der nicht
mehr von der Prämienverbilligung profi-
tieren kann, eine zunehmende Belastung
dar. Um Gegensteuer zu geben, beantragt
die Freie Liste seit Jahren jeweils im Juni
eine substantielle Erhöhung des Staatsbei-
trags an die OKP. Bisher erfolglos. Doch
der politische Druck auf die Regierung               In der liechtensteinischen Bevölkerung regt sich Unmut über die hohen Gesundheitskosten. Im
wächst.                                              April und Mai fanden Demonstrationen statt. Die Freie Liste unterstützt die Forderungen der
                                                     Demonstrantinnen und Demonstranten.
905 Franken weniger im Jahr
Wie bereits in der Parteienbühne vom
18. Mai erwähnt, würde dies eine Reduk-              Richtung erwerbsabhängiger Prämien ge-          tivvorschlag der VU zur Ausweitung der
tion der Monatsprämie für Erwachsene                 ändert werden. Dies kann im bestehenden         Prämienverbilligung unterstützen. Weiter
von rund 75 Franken pro Monat und 905                System zum einen mit der Erhöhung des           wird die Fraktion der Freien Liste auch je-
Franken pro Jahr bedeuten. Die dringend              OKP-Staatsbeitrags bewerkstelligt werden        den anderen Vorschlag zur Erhöhung des
notwendige Entlastung würden aber nicht              und zum anderen mit der Ausweitung der          OKP-Staatsbeitrags unterstützten. Dabei ist
nur die Versicherten spüren. Da sich die             Prämienverbilligung, die sich bereits heute     nicht von Interesse «wer’s erfunden hat»,
Arbeitgeber zur Hälfte an der Kranken-               am Erwerb orientiert. Waren bei der einfa-      sondern dass endlich die Prämienlast ver-
kassenprämie beteiligen, würden auch sie             chen Volksinitiative zu erwerbsabhängigen       mindert wird und das unsoziale System der
mit monatlich rund 37 Franken pro be-                Krankenkassenprämien der Freien Liste           Kopfprämien gelindert wird. Es tut not, ge-
schäftige Person (452 Franken pro Jahr)              im Jahr 2016 mit Ausnahme von Wende-            meinsam zu handeln.
entlastet. Das stellt, in Zeiten der sich ab-        lin Lampert sämtliche Abgeordnete gegen
schwächenden wirtschaftlichen Konjunk-               dieses Ansinnen, scheint sich nun immer-
turaussichten, eine willkommene Entlas-              hin durchzusetzen, dass die Prämienverbil-
tung auch der Wirtschaft dar.                        ligung, die erwerbsabhängig ausgestaltet
    Die Freie Liste kritisiert seit Jahren die       ist, zu erweitern ist.
unsoziale Verteilung der Gesundheitskos-                  Die Fraktion der Freien Liste wird so-
ten über die Kopfprämie. Die Verteilung              wohl die Initiative des Abgeordneten Kai-
der Gesundheitskosten muss endlich in                ser als auch einen eventuellen Alterna-

                      14 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 28/19
Weiterbildungsgutscheine für Personen mit niedrigem Einkommen

500 Franken «geschenkt» und
rund 800 Kurse zur Auswahl
                       Text Georg Kaufmann, georg.kaufmann@landtag.li

                       Mit dem Pilotprojekt «Weiterbildungsgutschein» möchte die Stiftung Erwachsenenbildung
                       Menschen, die es sich sonst nicht leisten können, den Zugang zu Weiterbildung ermög-
                       lichen. Sie können auf der Homepage der Stiftung Erwachsenenbildung einen Gutschein
                       in der Höhe von 500 Franken beantragen und diesen für ihre persönliche Weiterbildung
                       verwenden. Diese sinnvolle Initiative ist jedoch kein Selbstläufer, sondern erfordert mehr
                       Beratung und Hilfestellungen als angenommen.

Im Rahmen des Pilotprojekts, welches im               Handlungsfelder erkannt
März startete und noch das ganze Jahr läuft,          Angelika Vonlanthen-Biedermann sieht
werden insgesamt 100 Gutscheine ausgege-              auch Herausforderungen: «Die Informa-
                                                                                                            CHF 500 für Ihre
ben. Nun sind zwei Monate der Projektpha-             tion und Beratung unserer Zielgruppe                   Weiterbildung.
se verstrichen, Zeit für eine erste Bilanz: Wie       muss intensiviert werden. Sowohl für die
kommt das Angebot der Stiftung an? Wie                Antragstellung wie für die Kursauswahl
viele Gutscheine wurden beantragt? Gibt es            benötigen viele Menschen mehr Unter-
erste Erfahrungen und Erkenntnisse?                   stützung. Sie kennen das Angebot nicht
    Angelika Vonlanthen-Biedermann, Ge-               oder können sich schlecht orientieren.
schäftsführerin der Stiftung, nimmt dazu              Sie sind nicht geübt im Umgang mit dem
Stellung: «Wir sind mit dem Start insgesamt           Computer und haben teilweise Mühe, das
sehr zufrieden. Die technische Umsetzung              elektronische Antragsformular selbststän-
funktioniert ausgezeichnet und wir werden             dig auszufüllen. Mit einer verstärkten Zu-
gerade von den Bildungsanbietern und ver-             sammenarbeit mit allen Partnern und ei-
schiedenen Organisationen, die in Kontakt             genen neuen Ansätzen möchten wir diese
mit unserer Zielgruppe sind, sehr unter-              Unterstützung bieten.»
stützt.»                                                   Das zweite Handlungsfeld sieht Von-
    Die Geschäftsführerin freut sich, dass            lanthen-Biedermann in der Angebotspa-
über 20 Weiterbildungsgutscheine bereits              lette der Weiterbildung: «Ein sicherer
beantragt wurden und 19 davon freigege-               Job und mehr Flexibilität auf dem Ar-
ben werden konnten. Mehrheitlich seien es             beitsmarkt sind gemäss Selbstauskunft
Frauen im Alter zwischen 25 und 62 Jahren,            die Hauptmotivation für die Nutzer des
die mit einer Weiterbildung ihre Chancen              Weiterbildungsgutscheins. Es ist deshalb
auf dem Arbeitsmarkt verbessern möchten               über das Projekt Weiterbildungsgutschein       www.weiterbildungsgutschein.li
oder den Wiedereinstieg in die Erwerbsar-             hinaus wichtig, dass wir uns verstärkt Ge-     Wer kann den Gutschein nutzen? In Liech-
beit planten. Zwei Drittel der Antragstel-            danken über Möglichkeiten einer beruf-         tenstein wohnhafte Personen, zwischen 25
lenden sind laut Vonlanthen-Biedermann                lichen Erstqualifikation von Erwachsenen       und 64 Jahre alt, mit einem maximalen zu
Menschen mit Migrationshintergrund. Sie               machen. Wir hoffen, dass noch viele Men-       versteuernden Einkommen von CHF 45’000
lebten häufig bereits seit zehn bis fünfzehn          schen vom Weiterbildungsgutschein pro-         pro Jahr. Bei Verheirateten oder Personen in
Jahren in Liechtenstein und hätten mit                fitieren und wir diesen weiterentwickeln       einer Lebensgemeinschaft beträgt es maximal
dem Weiterbildungsgutschein eine Chance,              können. Das Potenzial ist vorhanden.»          CHF 57’000 pro Haushalt. Der Gutschein
ein Bildungsangebot zu besuchen, welches              Tolle Initiative und ein erster Schritt in     muss im Vorfeld beantragt werden und muss
sie weiterbringt.                                     die richtige Richtung.                         2019 eingelöst werden.

                                                                                  WEISS – Magazin der Freien Liste – 28/19 – 15
Doppelte Staatsbürgerschaft

Ernsthafte Loyalitätssorgen?
                     Text Samuel Schurte, samschurte@gmail.com Foto zvg

                     «S’Fritzle» ist leidenschaftlicher Fussballspieler und ist auch recht gut darin. Eines Tages
                     entscheidet es sich dazu, neben dem Fussball noch mit Tennis anzufangen. Nach dem ersten
                     Training kommt der Trainer vorbei und fragt s’Fritzle: «So, hat’s Dir gefallen?» S’Fritzle
                     stimmt zu und sagt, dass es wieder zum Training kommen will. Das findet der Trainer super,
                     weil der Junge auch beim Tennis Talent hat und das auch unter Beweis gestellt hat.

«Super, Fritzle. Dann melde Dich einfach           Ungleichheiten fangen da an, dass jeder      ohnehin schon lange im Land wohnen etc.
beim Fussballverein ab, dann kannst du             Liechtensteiner und jede Liechtensteine-     Diese Argumente sind auch wissenschaft-
nächste Woche wieder ins Training kom-             rin aber das Recht dazu hat, sich in ande-   lich belegt, unter anderem von Martina
men!»                                              ren Staaten einbürgern zu lassen, ohne       Sochin D’Elia vom Liechtenstein-Institut1.
   Fritzle ist verwirrt. «Wieso muss ich           den Liechtensteiner Pass abzugeben, ähn-     Die Gegenargumente allerdings scheinen
mich jetzt beim Fussball abmelden? Ich             lich wie im «Witz» oben. Zwar wurde das      etwas schwerer nachvollziehbar. Die Re-
hab eine Menge Freunde, die im Fussball-           Ganze im Landtag schon mehrmals disku-       gelung, nach der man den alten Pass ab-
club und im Tennisclub dabei sind! Die             tiert, eine Mehrheit für die sinnvolle Ge-   geben muss, soll nämlich Loyalität gegen-
mussten sich auch nirgends abmelden!»              setzesänderung lässt sich aber immer noch    über Liechtenstein zeigen und als «letzter
   «Na ja», meint der Trainer, «die Clubre-        nicht finden. Die Argumente für eine dop-    Beweis» für eine 101-prozentige «Integra-
geln sagen, dass die Neuen bei keinem an-          pelte Staatsbürgerschaft bei Einbürgerung    tionswilligkeit» gelten. Die Loyalität und
deren Sportclub dabei sein dürfen. Weisst          sind bekannt: bessere Integration, Gleich-   der Integrationswille sind sicherlich zwei
Du, Tennis muss deine erste Priorität wer-         behandlung gegenüber den Staaten, die        wichtige Punkte in der Frage um die Staats-
den, wenn du bei uns mitspielen willst. Wir        LiechtensteinerInnen aufnehmen, ohne         bürgerschaft, aber schaut man sich dieses
wollen nicht, dass du in drei Wochen wie-          dass diese ihren FL-Pass abgeben müssen,     Argument etwas genauer an, so fallen eini-
der abspringst, weil du endlich bei den C-         politischer Einbezug von Menschen, die       ge Lücken auf: Zum einen handelt es sich
Junioren mitspielen darfst. Aber sobald du
im Tennisclub bist, kannst du dann ja zu
jedem anderen Verein, bei dem du mitma-
chen willst! Ist ja logisch.»
   Dass dieser Witz zum einen paradox
und zum anderen auch noch schlecht ist,
da wird mir wohl jeder zustimmen. Trotz-

                                                                          «101-prozentige
dem lohnt es sich, ihn zu erzählen. Denn
manchmal muss man einfach die simpels-
ten Ungleichheiten noch simpler erklären.
Die Rede ist natürlich von der doppelten

                                                                          Integrationswilligkeit »
Staatsbürgerschaft. Immer noch ist es in
Liechtenstein nicht möglich, sich einbür-
gern zu lassen und dabei seine angestamm-
te Staatsbürgerschaft beizubehalten. Die

                     16 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 28/19
Doppelte Staatsbürgerschaft

bei den in Liechtenstein einzubürgernden          Zahlen von Doppelbürgern weltweit, aber
Menschen um solche, die schon 30 Jahre            auch spezifisch in Liechtenstein. Denn
im Land wohnen, hier arbeiten und Steu-           rund ein Fünftel der LiechtensteinerIn-
ern zahlen. Somit ist ein gewisses Mass           nen, die im Land wohnen(!), besitzen
an Integration bereits erreicht worden,           mehr als einen Pass 2. Da hat das Gesetz
ob gewollt oder nicht. Zudem muss trotz           nämlich keine Loyalitätssorgen mehr. Die
dieser langen Aufenthaltsdauer noch ein           Leute, die kommen, müssen strengstens
Sprach- und ein Staatskundetest bestanden         auf ihre Loyalität geprüft werden. Wenn
werden. Zumindest der Staatskundetest ist         aber jemand von Geburt an Liechten-
ohne gründliche Vorbereitung nur schwer           steinerIn ist, dann vertrauen wir dieser
zu bestehen. Mit diesen Massnahmen al-            Person. Das Gesetz erlaubt es ihr, jede
leine wird bereits sichergestellt, dass die       Anstrengung zu unternehmen, einen an-
Menschen, die den FL-Pass erlangen wol-           deren Pass zu ergattern, ohne sich Sorgen
len, einiges dafür tun müssen und ihre            um die liechtensteinische Staatsbürger-
Loyalität und den Willen zur Integration          schaft machen zu müssen. Und das ist ja
unter Beweis stellen. Denn was bringt eine        auch gut so. Dieser Fakt macht einfach
Einbürgerung den neuen Staatsbürgern              die gesamte Argumentationskette bezüg-
im Endeffekt? Sie möchten nicht nur Teil          lich Loyalität inkonsistent. Es scheint fast
der Gesellschaft sein, in der sie seit Jahren     so, als wäre es ein (beinahe verzweifelter)
– wenn nicht Jahrzehnten – leben, sondern         Versuch, die liechtensteinische Staats-                  Quellen:
                                                                                                           1
                                                                                                             Martina Sochin D’Elia et al. «Bürgerschaft und Demokratie in Zei-
auch mitbestimmen, was in dieser Gesell-          bürgerschaft zu etwas noch Speziellerem                  ten transnationaler Migration: Hintergründe, Chancen und Risiken
schaft vor sich geht. Sie wollen also politi-     – und ehrlich gesagt Elitärerem – zu ma-                 der Doppelbürgerschaft». Studie im Auftrag der Eidgenössischen
                                                                                                           Migrationskommission EKM. Bern 2018.
sches Mitbestimmungsrecht, und zwar in            chen, als sie es ohnehin schon ist.                      2
                                                                                                             Martina Sochin D’Elia «Doppelte Staatsbürgerschaft bei Natu-
dem Land, in dem sie zu Hause sind.                                                                        ralisierung – eine europäische Situationsanalyse unter spezieller
                                                                                                           Berücksichtigung Liechtensteins». Arbeitspapiere Liechtenstein-
    Dass man an mehreren Orten gleich-                                                                     Institut, 37. Bendern 2012.
zeitig zuhause sein kann, das beweisen die

Podiumsdiskussion zur doppelten Staatsbürgerschaft am 25. September 2018 im Schlösslekeller: Conny Büchel Brühwiler (links aussen) und Ecki
Hermann (rechts aussen) moderieren das Gespräch zwischen Helen Konzett, Stv. Abgeordnete FL, Befürworterin der doppelten Staatsbürgerschaft
und Ralph Wagner, Rechtsanwalt, Gegner der doppelten Staatsbürgerschaft.

                                                                                  WEISS – Magazin der Freien Liste – 28/19 – 17
Haltung zeigen, Werte leben

Kompromittierte Werte
                    Text Richard Brunhart, richard.brunhart@gmx.net Foto Richard Brunhart

                     Werte wären praktisch, wenn man sie ablesen könnte wie ein Techniker – der weiss, was
                     mit welchem Massstab gemessen wird und welche Bedeutung die Werte haben und was
                     man sonst noch wissen muss …Also wenn selbst technische Werte so schwierig sind, dann
                     schreibe ich lieber eine Glosse.

In Liechtenstein werden zu einem gros-              Zur Quelle von Werten                         Streitwert erstritten
sen Teil konservative Werte vertreten. Das          Aber unsere Wertegemeinschaft schöpft         Zudem hat der Humanismus gegenüber
zeigt sich unter anderem an den traditio-           eben aus unterschiedlichen Quellen, die       anderen Quellen von Werten einen ent-
nellen Geschlechterrollen – zum Beispiel            auch unvereinbar sein können. Wenn Wer-       scheidenden Vorteil: Um den eigenen
daran, dass nur das schöne Geschlecht bei           te sich nicht auf den Menschen, sondern       Wert zu beanspruchen, kann der Mensch
der Fleischbeschau einer Jury seine oder            auf den Schöpfer – einen Mann, der eben       auch mit Worten streiten. Die Natur, die
besser ihre Euter präsentieren und sich             den Menschen nach seinem Ebenbild und         wie einst die Sklaven nur dann einen Wert
anschliessend im besten Fall Miss Liech-            die Frau nach wer-weiss-welchem Bild ge-      zu haben scheint, wenn es sich um einen
tenstein nennen darf. Und ja, Geschlech-            schaffen hat – berufen, dann ist das auch     Preis handelt, tut sich schwer damit mit-
terquoten sind nur dann undemokratisch,             Wertekonservatismus, dann ist eben nicht      zuteilen, dass sie einen Wert für sich hat.
wenn es sich nicht um eine 100-Prozent-             die Gleichheit als fundamentale soziale       Da müssten schon Menschen für sie einste-
Männerquote handelt. In letzterem Fall              Organisationsform ein Wert, sondern die       hen, was noch schwieriger sein dürfte, als
– der einzigen Geschlechterquote, die in            soziale Ungleichheit, so wie sie der Schöp-   sich mit theologischen Argumenten ausei-
Liechtenstein auf gesetzlicher Ebene exis-          fer vorgesehen hat. So steht es auch in der   nanderzusetzen, die immerhin eine lange
tiert – handelt es sich aber auch nicht um          Präambel der liechtensteinischen Verfas-      Tradition und etliche Anhänger haben.
eine demokratische Errungenschaft. Zu               sung: von Gottes Gnaden.
früh gefreut.                                                                                     Kompromiss oder Kuhhandel?
                                                    Preiswert oder wertvoll                       Wie nun damit umzugehen ist, mit ganz
Für die Nachwelt konserviert                        Nun, Werte sind immer problematisch, da       unterschiedlichen Werteschemata, kann
Das kommt manchmal vor, dass man zu                 sie fundamental sind, mit anderen Wor-        ich nicht beantworten. Bei so fundamen-
schnell aus der eigenen Perspektive he-             ten: Wenn sie selbst grundlegend sind,        talen Widersprüchen ist ein Kompromiss
raus argumentiert. So kann es auch dazu             haben sie selbst keinen Grund mehr. Und       – ein demokratisches Mittel gegen die
kommen, dass ein Unterschied zwischen               dass sich der Mensch als Quelle für Werte     Diktatur der Mehrheit – kaum möglich.
Wertekonservatismus und Strukturkonser-             durchgesetzt hat, dürfte vor allem daran      Das kann nur auf einen Kuhhandel hin-
vatismus gemacht wird. Aus einer humanis-           liegen, dass er sich seinen Wert erkämpft     auslaufen, was wohl irgendwie ein Beschiss
tischen Perspektive – hier und im Folgen-           hat. Für den eigenen Wert mussten jene        an den eigenen Werten ist. Und mit dem
den verstanden in der vorherrschenden               kämpfen, deren Wert bis dahin ein Markt-      Kuhhandel wäre ich wieder am Anfang.
moderat sozial-liberalen Prägung – ver-             wert war, bei denen andere Angebot und            Ich wünsche frohes Ablesen von Tempe-
treten diejenigen, die ein traditionelles           Nachfrage bestimmten. Ja, ein Akt der         ratur und Strombezug, ob in Celsius oder
Geschlechterverhältnis aufrechterhalten             Enteignung kann durchaus als Akt der          Fahrenheit, Hauptsache Sie wissen, was
wollen, auch keinen humanistischen Wert             Freiheit interpretiert werden. Die Kolo-      diese Werte bedeuten und können sie an-
oder sogar einen Unwert, weil das traditi-          nialvölker mussten für ihren Wert kämp-       deren vermitteln, wenn Ihnen danach ist.
onelle Geschlechterverhältnis dem Gleich-           fen, dass auch ihnen Freiheit und damit
heitsgebot widerspricht. Aus einer Pers-            Selbstbestimmung zuteil werden konnte.
pektive heraus, in der der Mensch das Mass          Die Frauen mussten dafür kämpfen. Alle
aller Dinge und Gott eher von den Men-              haben sich ihren Wert mehr oder weniger       Naturwerte: Je nach Weltanschauung ist die
schen als umgekehrt geschaffen worden               selbst erstritten und damit dem Huma-         Natur schützenswert, weil sie Gottes Schöpfung
ist, dient der Strukturerhalt dem eigenen           nismus Geltung verschafft, einem Huma-        ist, gilt es, sie insoweit zu erhalten, wie der
Machterhalt, ein Unwert aus humanisti-              nismus, in dem alle Menschen Menschen         Mensch ihr Wert zuweist, oder zeigt die Natur
scher Perspektive.                                  sind.                                         selbst, dass sie wertvoll ist.

                    18 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 28/19
WEISS – Magazin der Freien Liste – 28/19 – 19
Manifest Frauenstreiktag Liechtenstein 14. Juni 2019*

300 Jahre Liechtenstein –
 35 Jahre Demokratie
                     *Gekürzte Version, das Manifest in seiner Gesamtlänge veröffentlichen wir auf www.freieliste.li

Seit Jahren stellen wir einen Stillstand in           1. Forderung                                                     5. Forderung
der Gleichstellungspolitik der Regierung              Care-Arbeit ist Wirtschaft                                       Vereinbarkeit Familie und Beruf
fest. Die wesentlichen Massnahmen, wel-                   Wir fordern das Sichtbarmachen der                               Wir fordern von den Wirtschafts-, In-
che zu einer verbesserten Gleichstellung              unbezahlten Arbeit durch eine Studie,                            dustrie- und Bankenverbänden lösungs-
unbedingt und zeitnah von der Regierung               welche das Ministerium für Gesellschaft in                       orientierte und praktikable Ansätze für
eingeleitet werden müssten, sind immer                Auftrag gibt. Wir fordern eine angemesse-                        Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
noch nicht in einem Strategiepapier for-              ne Verteilung der unbezahlten Care-Arbeit                        Wir fordern von der Politik und den Wirt-
muliert. Der kürzlich veröffentlichte Mass-           zwischen Frauen und Männern und die                              schaftsverbänden zusätzlich zum bezahl-
nahmenplan Chancengleichheit 2019 ist                 Anerkennung, Wertschätzung sowie den                             ten Mutterschaftsurlaub eine bezahlte
eine sich wiederholende Auflistung der                Einbezug der unbezahlten Care-Arbeit in                          Elternzeit von mindestens einem halben
gleichen Projekte, die seit Jahren vor allem          die Sozialversicherungen.                                        Jahr, qualifizierte Teilzeitstellen für Frauen
von Nichtregierungsorganisationen durch-                                                                               und Männer, keine Diskriminierung von
geführt werden.                                                                                                        Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
    Wir prangern Missstände an, die eben-             2. Forderung                                                     aufgrund des familiären Engagements.
falls seit Jahren bekannt sind, aber durch            Gleichstellungsstrategie für Liechtenstein
die Untätigkeit der Regierung an Dring-                   Wir fordern von der Regierung und dem
lichkeit zunehmen: fehlende Lohngleich-               Landtag die Einführung einer umfassen-                           6. Forderung
heit, mangelnde soziale Absicherung der               den Gleichstellungs- und Gender-Mainstre-                        Lohngleichheit
unbezahlten Care-Arbeit und ungenügen-                aming-Politik. Sie soll die Bereitstellung                           Wir fordern den Abbau der Lohnun-
de politische Teilhabe der Hälfte der Be-             struktureller und personeller Ressourcen,                        gleichheit und die Unterstützung im Kampf
völkerung. Wie lange noch werden unsere               Budgetierung sowie Überwachungsmass-                             gegen die Lohnungleichheit von den Wirt-
Bemühungen um gleichen Lohn, soziale                  nahmen und Rechenschaftspflichten in                             schaftsverbänden und der Politik. Die Loh-
Absicherung und gleiche politische Teil-              allen staatlichen Sektoren und Stufen ein-                       nungleichheit ist in Liechtenstein im Jahr
habe ignoriert?                                       schliessen.                                                      2022 besiegt!
    Wir fordern von der Regierung eine zu-
kunftsgerichtete Ausrichtung ihrer Politik,
um wichtige genderpolitische Massnah-                 3. Forderung                                                     7. Forderung
men endlich auf den Weg zu bringen:                   Rollenbilder aufbrechen                                          Mehrfachdiskriminierung beenden
                                                          Wir fordern von der Politik, der Verwal-                         Wir sind gegen Diskriminierung jegli-
                                                      tung, Wirtschaftsverbänden, Organisatio-                         cher Art und für Chancengerechtigkeit für
                                                      nen und Privatpersonen das Aufbrechen                            alle! Wir fordern einen barrierefreien Zu-
                                                      von überholten Rollenbildern und altmo-                          gang in allen Lebensbereichen der Gesell-
                                                      dischen Strukturen, damit die wirtschaftli-                      schaft, Chancengerechtigkeit und Teilhabe
                                                      che Unabhängigkeit und soziale Absiche-                          unabhängig von Religion, Herkunft, Zuge-
                                                      rung aller Frauen möglich wird.                                  hörigkeit, sexueller Orientierung oder Be-
                                                                                                                       hinderung!

                                                      4. Forderung                                                                    Für das Aktionskomitee
                                                      Gewalt gegen Frauen stoppen                                                     Conny Büchel Brühwiler,
                                                          Wir fordern die Ratifizierung der Istan-                                       Co-Präsidentin Freie Liste
                                                      bul-Konvention noch in diesem Jahr (2019)                                       Petra Eichele,
                                                      durch den Landtag.                                                                 Geschäftsführerin infra

                     20 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 28/19
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