Reformfähig oder irrelevant? - Die WHO auf der Suche nach einer neuen Rolle in der globalen Gesundheitspolitik - Zeitschrift Vereinte Nationen

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Ulbert | Reformfähig oder irrelevant?

Reformfähig oder irrelevant?
Die WHO auf der Suche nach einer neuen Rolle in der globalen Gesundheitspolitik

                         Cornelia Ulbert

                         Die Rolle der Weltgesundheitsorganisation (WHO)        nationalem Währungsfonds (IWF) vorangetrieben
                         hat sich seit ihrer Gründung stark gewandelt. Bis in   wurde. So übernahm seither auch die im Vergleich
                         die neunziger Jahre hinein war sie ungefragt die       zur WHO ungleich finanzstärkere Weltbank eine
                         führende Organisation im Bereich der internationa-     bedeutende und in Teilen konkurrierende Rolle im
                         len Gesundheitspolitik. Doch in den letzten Jahr-      Gesundheitsbereich. Vor allem in den neunziger Jah­-
                         zehnten haben sich die Bedingungen, unter denen        ren hat die Weltbank die internationale Gesund­
                         Gesundheitsprobleme bearbeitet werden, grund-          heitspolitik maßgeblich beeinflusst. Während die
                         legend verändert. Ob ein nun in Gang gekommener        Bank als finanziell und konzeptionell starker Ak­
                         Reformprozess tatsächlich dazu führen kann, dass       teur auftrat, reduzierte sich die Rolle der WHO auf
                         die WHO wieder der maßgebliche Akteur im Sys-          die Bereitstellung ›technischer Expertise‹.
 Dr. Cornelia Ulbert,    tem globaler Gesundheitspolitik wird, hängt ent-
        geb. 1965, ist   scheidend davon ab, welche Rolle die Mitgliedstaa-     Neue Akteure, neue Steuerungsinstrumente
   Wissenschaftliche     ten ihr inhaltlich zuweisen und wie glaubwürdig sie    und mehr finanzielle Ressourcen
   Geschäftsführerin     diese Rolle materiell und institu­tionell absichern.   Der Bedeutungsverlust der WHO zeigt sich nicht
     des Instituts für                                                          nur an der Ausweitung der Zahl der Akteure, die
    Entwicklung und
                         Der Wandel von internationaler                         sich mittlerweile mit Gesundheitsfragen beschäfti­
Frieden (INEF) an der
                         zu globaler Gesundheitspolitik                         gen, sondern auch daran, wie sich diese an der Ge­
    Universität Duis-                                                           staltung globaler Gesundheitspolitik beteiligen. Mitt­
          burg-Essen.    Jahrzehntelang war die internationale Gesundheits­     lerweile spielen viele ›private‹ Akteure eine hervor­-
                         politik durch staatliche und zwischenstaatliche Ak­    gehobene Rolle und haben eine Reihe von Funktio­
                         teure wie die Weltgesundheitsorganisation oder         nen übernommen, die bislang den staatlichen und
                         UNICEF geprägt. Doch mittlerweile werden Ge­           zwischenstaatlichen Akteuren vorbehalten waren.
                         sundheitsprobleme in einem System globaler Ge­         Nicht zuletzt die Gründung zahlreicher öffentlich-
                         sundheitspolitik bearbeitet. 1 Deutlichstes Zeichen    privater Partnerschaften (Public-Private Partnerships
                         hierfür ist die Zunahme der Akteure, Finanzierungs­    – PPPs) im Gesundheitsbereich zeigt, dass private
                         mechanismen und Programme, wodurch die WHO             und nichtstaatliche Akteure Steuerungsdefizite klas­
                         zu einem Spieler unter vielen wurde. Der Wandel zu     sischer staatlicher und zwischenstaatlicher Akteure
                         globaler Gesundheitspolitik steht in engem Zusam­      zunehmend durch ihr Engagement ausgleichen. Dies
                         menhang mit größeren politischen, wirtschaftlichen     hat zwischenzeitlich zu einer deutlichen Ausweitung
                         und sozialen Abhängigkeiten, die Folge von Globa­      der Mittel geführt, die global für die Bearbeitung
                         lisierungsprozessen mit einem steigenden grenzüber­    von Gesundheitsproblemen bereitgestellt werden.
                         schreitenden Austausch von Gütern, Personen, aber      Diese Entwicklungen sollen im Folgenden kurz an
                         auch Ideen und Werten sind. Augenfällig wird dies      drei Funktionen illustriert werden, die für ein gut
                         an der weiträumigen Verbreitung von Infektionser­      funktionierendes System globaler Gesundheitsver­
                         krankungen wie HIV/Aids, verschiedenen Formen          sorgung maßgeblich sind: 1. Themensetzung, 2. Fi­-
                         der Influenza oder auch dem schweren akuten Atem­      nanzierung und Ressourcenzuteilung sowie 3. For­
                         wegssyndrom (SARS), was auf die zunehmende Mo­         schungs- und Entwicklungsleistungen. 2
                         bilität von Gütern und Personen zurückzuführen
                         ist. Staatliche Grenzen verlieren dadurch an Bedeu­    1. Themensetzung
                         tung. Verstärkt wird diese Entwicklung durch die       Widmeten sich nichtstaatliche Organisationen
                         Tatsache, dass der staatliche Einfluss auf die Pro­    (NGOs) wie Ärzte ohne Grenzen oder Oxfam tra­
                         duktion und den gesellschaftlichen Zugang zu Me­       ditionell eher der Bereitstellung von Gesundheits­
                         dikamenten abgenommen hat. Verantwortlich da­          dienstleistungen und der Umsetzung von Gesund­
                         für sind die stetige Liberalisierung des Welthandels   heitsprojekten, so sind NGOs und private Stiftungen
                         und die Regulierung von Eigentumsrechten im Ab­        seit etwa einem Jahrzehnt immer stärker daran
                         kommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte         beteiligt, einzelne Gesundheitsprobleme auf die po­
                         an geistigem Eigentum (TRIPS). Gleichzeitig hat        litische Tagesordnung zu setzen. Diese haben mit
                         auch die Privatisierung von Gesundheitsdienstleis­     ihrem Engagement dafür gesorgt, dass dem Thema
                         tungen deutlich zugenommen, die in den achtziger       Gesundheit sowohl in den zwischenstaatlichen De­
                         Jahren politisch initiiert wurde und über die Struk­   batten als auch im globalen politischen Diskurs
                         turanpassungsprogramme von Weltbank und Inter­         weitaus mehr Aufmerksamkeit zuteil wurde.

202 			                                                                                                Vereinte Nationen 5/2012
Ulbert | Reformfähig oder irrelevant?

    Allerdings kann man hierbei auch feststellen, dass   heiten und Organisationen mit gesundheitsrelevan­
›Gesundheit‹ in sehr unterschiedlichen Kontexten         ten Fragen befassen. Notwendig wäre die Koordi­
diskutiert wird. Die Diskurse lassen sich danach un­     nierung der unterschiedlichen Diskurse und Themen                             Die globalen,
terscheiden, ob Gesundheit als Wert an sich angese­      innerhalb und außerhalb des UN-Systems. Eine Ko­                              politischen Diskurse
hen wird oder als Mittel zum Zweck. 3 Eine starke        ordinierung und teilweise Harmonisierung der zahl­                            lassen sich danach
zivilgesellschaftliche Bewegung, die sich im Jahr 2000   reichen voneinander unabhängigen Aktivitäten wird                             unterscheiden, ob
als ›Weltgesundheitsbewegung‹ (People’s Health           aber nur dann möglich sein, wenn zwischen den                                 Gesundheit als Wert
Move­ment) institutionalisierte, tritt für die Durch­    beteiligten Akteuren Einigkeit hinsichtlich der zu­                           an sich angesehen
setzung des Rechts auf Gesundheit für alle ein. 4 Aus    grundeliegenden Normen, Rollen und wechselsei­                                wird oder als Mittel
dieser Bewegung heraus entstand auch die Idee, al­       tigen Erwartungen besteht. 9                                                  zum Zweck.
ternative Weltgesundheitsberichte zu verfassen, die
seit dem Jahr 2005 bereits dreimal unter dem Titel       2. Finanzierung und Ressourcenzuteilung
›Global Health Watch‹ veröffentlicht wurden. 5 Der       Der fehlende normative Konsens im System globa­
starke menschenrechtliche Bezug des Themas Ge­           ler Gesundheitspolitik macht sich insbesondere bei
sundheit schlug sich im Jahr 2002 in der Einsetzung      Finanzierungsfragen negativ bemerkbar, wenn es
eines Sonderberichterstatters für das Recht auf Ge­      darum geht, wie einzelne Ressourcen auf unterschied­
sundheit durch die damalige Menschenrechtskom­           liche Gesundheitsbereiche verteilt werden sollen.
mission nieder. 6 Auch die Definition von Gesundheit     Die Mittel, die für gesundheitsbezogene Entwick­                              Notwendig wäre
als öffentliches Gut betrachtet Gesundheit als einen     lungsaufgaben und -projekte global zur Verfügung                              die Koordinierung
Wert an sich. Diese Interpretation von Gesundheit        gestellt werden, sind in den letzten zwei Jahrzehn­                           der unterschiedli-
wurde stark vom UN-Entwicklungsprogramm pro­             ten deutlich gestiegen. Nach Berechnungen des ›Ins­                           chen Diskurse und
pagiert.7 Im Mittelpunkt steht hierbei die Beobach­      titute for Health Metrics and Evaluation‹ (IHME) 10                           Themen innerhalb
tung, dass Leistungen der Gesundheitsvorsorge und        ist ein Anstieg dieser als ›development health assis­                         und außerhalb des
-versorgung nicht in ausreichendem Maße durch den        tance‹ bezeichneten Mittel von 5,82 Mrd. US-Dol­                              UN-Systems.
Markt allein bereitgestellt werden. Dies lasse sich      lar im Jahr 1990 auf 27,73 Mrd. US-Dollar im Jahr
beispielsweise daran ablesen, dass vielen Erkrankun­     2011 zu verzeichnen, wobei sich die Summe allein
gen, die besonders in den Entwicklungsländern auf­       zwischen den Jahren 2001 und 2008 verdoppelte. 11
treten, im Bereich Forschung und Entwicklung von
Behandlungsmethoden und Medikamenten keine
oder nur geringe Beachtung geschenkt wird.                 1 Siehe hierzu beispielsweise Kelley Lee, Globalisation and Health:
    Aus zwei anderen Perspektiven gilt Gesundheit        An Introduction, Basingstoke 2003; Ichiro Kawachi/Sarah Wamala
als Mittel zum Zweck: zum einen im Kontext von           (Eds.), Globalization and Health, Oxford 2007.
Entwicklung, zum anderen aus Sicherheitserwägun­           2 Vgl. hierzu Suerie Moon et al., The Global Health System: Lessons
gen. In ihrem Weltentwicklungs­bericht von 1993          for a Stronger Institutional Framework, PLOS Medicine, 7. Jg., 1/2010,
thematisierte die Weltbank erstmalig unter dem Ti­       S. e1000193, die als weitere wichtige Funktionen noch Umsetzung/
tel ›Investing in Health‹ die wichtige Rolle von Ge­     Bereitstellung von Gesundheitsdienstleistungen und Monitoring/
sundheit zur Förderung von wirt­schaftlicher Ent­        Evaluierung/Lernen nennen.
wicklung. Seither wurde die funktionale Bedeutung          3 Ausführlicher hierzu Elena Heßelmann/Cornelia Ulbert, Globale Ge-
von Gesundheit in Entwicklungsprozessen durch            sundheitspolitik im Wandel, in: Tobias Debiel/Dirk Messner/Franz Nu-
zahlreiche prominente Berichte und nicht zuletzt auch    scheler/Michèle Roth/Cornelia Ulbert (Hrsg.), Globale Trends 2010: Frie-
in den Millenniums-Entwicklungs­zielen (MDGs) her­       den, Entwicklung, Umwelt, Frankfurt a.M. 2009, S. 223–245, hier S. 229–233.
vorgehoben. Drei der MDGs widmen sich explizit             4 Siehe www.phmovement.org
dem Thema Gesundheit, einige andere weisen einen           5 Siehe www.ghwatch.org/ghws
deutlichen Bezug zu Gesundheit auf. Sicherheitsre­         6 Siehe auch den Beitrag von Anand Grover/Fiona Lander, Das
levant wurden Gesundheitsthemen vor allem durch          Recht auf Gesundheit in Theorie und Praxis, in diesem Heft, S. 214–
die rasche Ausbreitung einzelner hoch anstecken­         218. Zum Mandat und den bisherigen Ergebnissen der Arbeit der je-
der Infektionserkrankungen der letzten Jahre (neben      weiligen Sonderberichterstatter siehe http://unsrhealth.org
SARS auch die Vogelgrippe und die Schweinegrippe).         7 Siehe Inge Kaul/Isabelle Grunberg/Marc Stern/Priya Gajraj (Eds.),
Außerdem befürchtete man terroristische Anschlä­         Global Public Goods: International Cooperation in the 21st Century,
ge mit Biowaffen im Nachgang der Anschläge vom           Oxford 1999.
11. September 2001. Im Rahmen der Diskussion um            8 Commission on Human Security: Human Security Now, New York
ein erweitertes Sicherheitskonzept wurde Gesund­         2003, Kap. 6.
heit auch als Bestandteil sogenannter menschlicher         9 Vgl. Moon et al., a.a.O. (Anm. 2), S. 2.
Sicherheit (human security) bewertet. 8                  10 Das IHME wurde mit Mitteln der Bill-und-Melinda-Gates-Stif-
    Die Einbettung des Themas Gesundheit in unter­       tung an der ›University of Washington‹ in Seattle gegründet.
schiedliche, sich teilweise überlappende Diskurse        11 Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME), Financing
hat mit dazu beigetragen, dass sich auch innerhalb       Global Health 2011: Continued Growth as MDG Deadline Approaches,
des Systems der Vereinten Nationen immer mehr Ein­       Seattle 2011, S. 15.

Vereinte Nationen 5/2012										                                                                                                                     203
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Zunahme der Mittel für gesundheitsbezogene                                                                                                            Die Beispiele GFATM, GAVI oder auch ein gro­
Entwicklungszusammenarbeit 1990–2011 (ausgewählte Geber)                                                                                          ßer bilateraler Finanzierungsfonds der USA, der
                                                                                                                                                  United States President’s Emergency Plan for Aids
               8.000,00

                                                                                                                                          USA
                                                                                                                                                  Relief (PEPFAR), spiegeln den Trend wider, Mittel
               7.000,00
                                                                                                                                                  für bestimmte vertikale Programme zur Verfügung
                                                                                                                                                  zu stellen, die der Bekämpfung einzelner ausgewähl­
               6.000,00                                                                                                                           ter Erkrankungen dienen. Darunter fällt auch, dass
                                                                                                                                                  staatliche und nichtstaatliche beziehungsweise pri­
               5.000,00
                                                                                                                                                  vate Geber in immer größerem Maße freiwillige Zu­
                                                                                                                                                  wendungen zweckgebunden an multilaterale Orga­
 US-$ (Mio.)

               4.000,00
                                                                                                                                                  nisationen wie die WHO oder die Weltbank geben.
               3.000,00
                                                                                                                                                  Dies hat nicht nur dazu geführt, dass der Haushalt
                                                                                                                                          GFATM   der WHO in den Jahren 2010/2011 zu 75 Prozent
               2.000,00                                                                                                                   WHO     aus freiwilligen Beiträgen bestand, sondern diese
                                                                                                                                          IBRD
                                                                                                                                          BMGF
                                                                                                                                                  Mittel von den Gebern auch noch in großem Um­
               1.000,00                                                                                                                   UK
                                                                                                                                          GAVI    fang als zweckgebunden deklariert wurden. 16
                                                                                                                                          IDA

                     -                                                                                                                            3. Forschung und Entwicklung (F&E)
                          1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011

                                                                                                                                                  Die skizzierte Tendenz zu ›Multi-Bi-Finanzierung‹ 17
Quelle: Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME), Financing Global Health                                                               hat auch Auswirkungen auf die Gesundheitsfor­
2011: Continued Growth as MDG Deadline Approaches, Seattle 2011, S. 64f.                                                                          schung und Entwicklung von Behandlungsmetho­
                                                                                                                                                  den und Medikamenten. Die starke Ausrichtung auf
                                                                                                                                                  schnelle und vorzeigbare Ergebnisse birgt jedoch die
                                                     Die vom IHME veröffentlichten Zahlen veranschau­                                             Gefahr in sich, dass lediglich die Gesundheitspro­
                                                     lichen im Zeitverlauf gut den Bedeutungsverlust der                                          bleme bearbeitet werden, bei denen sich schnell ein
                                                     WHO, die in den neunziger Jahren noch über das                                               Erfolg einstellt, denn insbesondere die neuen Initi­
                                                     größte Budget zur Bearbeitung von Gesundheitsfra­                                            ativen und PPPs beziehen ihre Legitimität aus ihrer
                                                     gen verfügte. Seit Anfang dieses Jahrhunderts haben                                          Effektivität. Entscheidungen darüber, wofür For­
                                                     nicht nur die USA und Großbritannien ihre Mittel                                             schungs- und Entwicklungsgelder zur Verfügung
                                                     für Gesundheitsprojekte deutlich aufgestockt, be­                                            gestellt werden, fallen aber nicht unbedingt unter
                                                     reits in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre hat­                                         Berücksichtigung der Interessen der Betroffenen.
              Es gibt klare                          ten auch die Finanzierungsinstitutionen der Welt­                                            Deren Beteiligung, also die Input-Legitimität, tritt
         Hinweise darauf,                            bank12 vermehrt Mittel zur Förderung von Ge­sund-                                            demgegenüber in den Hintergrund.
       dass die Gates-Stif-                          heitsprogrammen und -projekten zur Verfügung ge­                                                Der Ansatz, schnellen Erfolg zu erzielen, hatte in
            tung über ihre                           stellt. Mit dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von                                            den ersten Jahren des gesundheitspolitischen Engage­
        Finanzmacht auch                             Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) gibt es                                                ments der neuen Geber dazu geführt, sich stärker auf
             die politische                          seit dem Jahr 2002 einen neuen Finanzierungsme­                                              die Behandlung von Infektionserkrankungen zu kon­
       Agenda bestimmt.                              chanismus, über den Projekte zur Bekämpfung der                                              zentrieren. Nicht zuletzt die Diskussion um ›ver­
                                                     drei namensgebenden Erkrankungen gefördert wer­                                              nachlässigte‹ Krankheiten und die globalen Gesund­
                                                     den. Auch eine PPP wie die ›GAVI Alliance‹, die                                              heitslasten (global burden of diseases) durch nicht­-
                                                     Globale Allianz für Impfstoffe und Immunisierung,                                            übertragbare Krankheiten wie Herz-/Kreislauf- oder
                                                     die im Jahr 2000 mit einer Anschubfinanzierung der                                           Krebserkrankungen, die auch zunehmend die Ge­
                                                     Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung (BMGF) gegrün­                                               sundheitssysteme von Ländern mit mittlerem Ein­
                                                     det wurde, gehört mittlerweile zu den größten Ge­                                            kommen betreffen, haben mittlerweile zu einer leich­
                                                     bern in der globalen Gesundheitspolitik. Die BMGF                                            ten Korrektur bei den Finanzierungsentscheidungen
                                                     selbst ist seit einigen Jahren der größte private Fi­                                        geführt. Dennoch stehen längerfristige Ziele einer
                                                     nanzier. Sie setzt ihre Mittel einerseits dazu ein,                                          breiten öffentlichen Gesundheitsversorgung, insbe­
                                                     um bestimmte Erkrankungen zu bekämpfen – wie                                                 sondere mit Blick auf Entwicklungsländer, immer
                                                     die meisten ›neuen‹ Geber überwiegend Infektions­                                            noch nicht im Mittelpunkt weltweiter Forschungs­
                                                     erkrankungen 13 – andererseits um bestimmte Inter­                                           anstrengungen, weil durch das bestehende System
                                                     ventionsformen wie Impfstoffe und Immunisierun­                                              geistiger Eigentumsrechte kein Marktanreiz geschaf­
                                                     gen zu propagieren. 14 Es gibt klare Hinweise darauf,                                        fen wird, Forschungs- und Entwicklungsarbeit in de­
                                                     dass die Gates-Stiftung über ihre Finanzmacht auch                                           ren spezifische Gesundheitsprobleme zu investieren.
                                                     die politische Agenda bestimmt: So werden staatli­                                              Der Versuch, bei der 65. Weltgesundheitsver­
                                                     che Mittel entweder in Bereiche, die von der BMGF                                            sammlung im Mai 2012 zu einem Konsens über die
                                                     gefördert werden, umgeleitet oder die Mittel der                                             Aushandlung eines Vertrags über Forschung und
                                                     Stiftung dazu verwendet, ehemals staatliche Fi­                                              Entwicklung zu gelangen, ist vorläufig gescheitert.
                                                     nanzierungen zu ersetzen. 15                                                                 Durch diesen Vertrag hätten die notwendigen Mit­

204 			                                                                                                                                                                  Vereinte Nationen 5/2012
Ulbert | Reformfähig oder irrelevant?

tel für die Erforschung von Erkrankungen, die in          Jahre wurde der WHO bescheinigt, sich in einer
Entwicklungsländern auftreten, bereitgestellt sowie       Krise zu befinden. 21 Schon damals zeichnete sich ab,
die Forschungsanstrengungen besser koordiniert wer­       dass freiwillige zweckgebundene Zuwendungen zu
den sollen. 18 Denn die Zunahme an F&E-Mitteln            einer – mehr oder weniger unkontrollierten – Aus­
in der globalen Gesundheitspolitik hat bislang nicht      weitung des Aufgabenportfolios der WHO führen
dazu geführt, dass sich der Anteil an Gesundheits­        würden. Darin war keine Prioritätensetzung mehr                            Die Diskussion hat
forschung signifikant von den USA, Europa und Ja­         erkennbar, und es war der Steuerung durch die                              gezeigt, dass die
pan in andere Länder verschoben hätte. Auch soge­         WHO-Führungsgremien entzogen. Damals wie heute                             WHO in den letzten
nannte Produktpartnerschaften wie die ›Inter­natio-       verursacht die Struktur der WHO mit dem Amts­                              Jahrzehnten nur
nal Aids Vaccine Initiative‹ (IAVI), durch die Wis­       sitz in Genf und den autonom handelnden Regio­                             noch begrenzt
sensaufbau und die Nutzung vorhandener Wissens­           nalbüros, die wiederum nicht gut mit den Länder­                           Führungsaufgaben
ressourcen in den Entwicklungsländern gefördert           vertretungen vernetzt sind, Schwierigkeiten, Ent­­-                        übernommen hat.
wird, 19 haben trotz gewisser Erfolge das Gesamt­         schei­dungen innerhalb der Organisation stringent
bild nicht verändern können.                              durchzusetzen. Die heutige Kritik an der WHO be­
    Die Diskussion einiger maßgeblicher Steuerungs­       zieht sich daher sowohl auf die Führungsstruktur
funktionen im System globaler Gesundheitspolitik          der WHO, auf Management-Prozesse, die als zu bü­
hat gezeigt, dass die WHO in den letzten Jahrzehn­        rokratisch gelten, als auch auf die Qualität ihrer
ten nur noch begrenzt Führungsaufgaben übernom­           Arbeit, zumal sich die WHO als Gesamtorganisati­
men hat. Ein Grund dafür liegt auch darin, dass sie       on bislang keiner externen Evaluierung gestellt hat.
als Organisation nicht in der Lage war, hinreichend
auf die veränderten Bedingungen und Anforderun­           Der Beginn eines Reformprozesses
gen zu reagieren, die sich seit den neunziger Jahren      Nachdem WHO-Generaldirektorin Margaret Chan
im Übergang von internationaler zu globaler Ge­           im Januar 2010 einen Diskussionsprozess zur Zu­
sundheitspolitik ergeben hatten.

Finanzkrise der WHO als Vertrauenskrise
                                                          12 Das sind die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwick-
Im Nachgang zur Weltfinanzkrise von 2007/2008             lung IBRD) und die Internationale Entwicklungsorganisation (IDA).
musste die WHO Kürzungen hinnehmen. Sie ist               13 Siehe David McCoy/Sudeep Chand/Devi Sridhar, Global Health
seither in noch stärkerem Maße darauf angewiesen,         Funding: How Much, Where it Comes from and Where it Goes, Health
weitere freiwillige Zuwendungen einzuwerben, die          and Policy Planning, 24. Jg., 6/2009, S. 407–417; Nirmala Ravishankar et
sie nicht nur von ihren Mitgliedstaaten erhält. Le­       al., Financing of Global Health: Tracking Development Assistance for
diglich 54 Prozent der freiwilligen Beiträge stamm­       Health from 1990 to 2007, Lancet, 373. Jg., 9681/2009, S. 2113–2124.
ten im Zweijahreshaushalt 2010/2011 von den Staa­         14 Siehe David McCoy/Gayatri Kembhavi/Jinesh Patel/Akish Luintel,
ten, 21 Prozent wurden von den Vereinten Nationen         The Bill & Melinda Gates Foundation’s Grant-Making Programme for
und anderen zwischenstaatlichen Organisationen            Global Health, Lancet, 373. Jg., 9675/2009, S. 1645–1653.
aufge­bracht, 18 Prozent von Stiftungen (allen vor­       15 Siehe Marwa Farag et al., Does Funding from Donors Displace
an der BMGF), sechs Prozent von NGOs und ein              Government Spending for Health in Developing Countries?, Health
Prozent von Unternehmen. 20 In Anbetracht der ins­        Affairs, 28. Jg., 4/2009, S. 1045–1055.
gesamt deutlich gestiegenen Mittel in der globalen        16 Der WHO-Programmhaushalt in den Jahren 2010/2011 betrug
Gesundheitspolitik ist die Finanzkrise, in der sich die   (ohne den Wert freiwilliger Sachspenden wie Impfmittel) 3,866 Mrd.
WHO befindet, jedoch auch als Zeichen des Ver­            US-Dollar. Davon stammten 945 Mio. aus den ordentlichen Beiträgen
trauensverlustes von Seiten der Mitgliedstaaten und       der Mitgliedstaaten und 2,899 Mrd. aus freiwilligen Zuwendungen.
anderer Geber zu werten. Indem die WHO-Mit­               Siehe WHO, Financial Report and Audited Financial Statements for
gliedstaaten und private Geber Mittel als freiwilli­      the Period 1 January 2010 to 31 December 2011, Genf 2012, WHO Doc.
ge zweckgebundene Zuweisungen deklarieren, er­            A65/29, S. 3.
halten sie die Möglichkeit, einerseits ihre jeweils       17 Vgl. hierzu Devi Sridhar, Who Sets the Global Health Research
eigenen Finanzierungsprioritäten zu verfolgen und         Agenda? The Challenge of Multi-Bi Financing, PLOS Medicine, 9. Jg.,
andererseits die Vergabe der Mittel an Leistungs­         9/2012, S. e1001312.
kriterien zu knüpfen und die Überprüfung von Er­          18 Consultative Expert Working Group on Research and Develop-
gebnissen einzufordern. Die mangelhafte Grund­            ment: Financing and Coordination, WHO Doc. A65/24 v. 20.4.2012.
ausstattung führt allerdings bereits jetzt dazu, dass     19 Siehe Joanna Chataway/James Smith, The International AIDS Vac-
die WHO Gefahr läuft, bestimmte Kernaufgaben              cine Initiative (IAVI): Is It Getting New Science and Technology to the
nicht mehr hinreichend erfüllen zu können, und durch      World’s Neglected Majority?, World Development, 34. Jg., 1/2006,
vermehrten Stellenabbau langjährig aufgebaute Ex­         S. 16–30.
pertise verloren geht.                                    20 WHO, Financial Report, a.a.O. (Anm. 16), S. 5.
    Viele der Probleme, mit denen die WHO zu kämp­        21 Fiona Godlee, The World Health Organisation: WHO in Crisis, Bri-
fen hat, sind nicht neu. Bereits Mitte der neunziger      tish Medical Journal, 309. Jg., 6966/1994, S. 1424–1428.

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Ulbert | Reformfähig oder irrelevant?

                       kunft der Finanzierung der WHO angestoßen hat­              die WHO künftig in der komplexen Netzwerk­
                       te, wurde schnell klar, dass die Mitgliedstaaten die        struktur übernehmen soll. Dabei gilt eine grundle­
                       Frage der Finanzierung mit Forderungen nach weit­           gende Bedingung: »Um zu diesem Konsens zu gelan­
  Der Vorschlag, ein   reichenderen Reformen innerhalb der Organisation            gen, müssen sich die Beteiligten über die Ziele einig
   Weltgesundheits­    verbanden. Als Ergebnis längerer interner Beratun­          sein und den Prozess als inklusiv, transparent, tech­
  forum zu gründen,    gen legte Chan dem Exekutivrat und der 65. Welt­            nisch durchführbar und fair betrachten.«26 Dazu ge­
 wurde bislang nicht   gesundheitsversammlung eine Reihe konkreter Re­             hört auch, dass die WHO wichtige Akteure über
     weiterverfolgt.   formvorschläge vor, die auf einer ersten internen           die Mitgliedstaaten hinaus besser in ihre program­
                       Evaluierung der Arbeit der WHO beruhten. 22 Die             matische Arbeit einbindet.
                       umfangreichen Reformvorschläge beziehen sich auf               Der noch nicht sehr ausgereifte Vorschlag der
                       die Inhalte der Arbeit (Programme und Prioritäten­          WHO-Generaldirektorin, ein Weltgesundheitsfo­
                       setzungen), die Lenkungsstruktur und konkrete               rum (World Health Forum) zu gründen, 27 über das
                       Management-Prozesse. 23 Insgesamt scheinen die Re­          weitere Akteure an der Arbeit der WHO beteiligt
                       formvorhaben sehr ambitioniert zu sein; erste Be­           werden sollen, wurde bislang nicht weiterverfolgt.
                       schlüsse wurden bereits gefasst. 24 Dazu gehört auch        Zum einen befürchten die Mitgliedstaaten eine
                       die Festlegung einiger Kernaufgaben, auf die sich           Aushöhlung ihrer Entscheidungsmacht, zum ande­
                       die WHO bei der Erarbeitung eines neuen Rahmen­             ren meldeten auch zivilgesellschaftliche Organisa­
                       plans für die Jahre 2014 bis 2019 konzentrieren             tionen scharfen Protest an. Bei NGOs lautet der
                       soll: 25 eine Führungsrolle zu übernehmen, die For­         Vorbehalt, dass Unternehmen und private Stiftun­
                       schungsagenda zu bestimmen, Normen und Stan­                gen einen zu großen Einfluss auf die Arbeit der WHO
                       dards zu setzen, konkrete politische Handlungs­             nehmen könnten. Damit würde es zu Interessen­
                       empfehlungen zu formulieren, technische Hilfe zu            konflikten kommen, für die es bislang keinerlei Ver­
                       leisten und den Kapazitätsaufbau in den Mitglied­           haltensrichtlinien oder institutionelle Vorkehrungs­
                       staaten zu fördern sowie eine Überwachungsfunk­             maßnahmen gebe. 28 Dass das Thema möglicher In­-
                       tion einzunehmen und Gesundheitstrends heraus­              teressenkonflikte offen diskutiert und wirksame Ver­
                       zuarbeiten. Wie es der WHO gelingen kann, diese             fahren gefunden werden müssen, wie die WHO da­
                       Kernaufgaben tatsächlich erfolgreich zu erfüllen,           mit umgehen kann, steht außer Frage. 29 Kritiker ei­
                       bleibt in diesem Stadium jedoch weiterhin unklar.           ner stärker formalisierten institutionellen Einbindung
                                                                                   anderer wichtiger Akteure in der globalen Gesund­
                       Welche Rolle ist für die WHO denkbar?                       heitspolitik lassen jedoch außer Acht, dass diese
                                                                                   Akteure bereits über freiwillige Zuwendungen an
                       Der eingeleitete Reformprozess wird nur dann er­            die WHO deren Agenda bestimmen – und darüber
                       folgreich sein, wenn sich die WHO-Mitgliedstaaten           hinaus die globale politische Tagesordnung –, ohne
                       und die anderen Akteure im System globaler Ge­              dass sie sich dafür in irgendwelchen Gremien recht­
                       sundheitspolitik darauf verständigen, welche Rolle          fertigen müssten. Zudem kann die WHO eine Steu­
                                                                                   erungsfunktion nur dann übernehmen, wenn sie alle
                                                                                   relevanten Akteure institutionell einbinden kann.
                                                                                      Die Entscheidung, welche Funktionen der WHO
                                                                                   zugewiesen werden sollten, in denen sie tatsächlich
                                                                                   künftig (wieder) eine Führungsrolle übernehmen
                                                                                   kann, hängt davon ab, worin deren ›Alleinstellungs­
                                                                                   merkmale‹ beziehungsweise ›komparativen Vorteile‹
                                                                                   liegen. Diese liegen eindeutig nicht darin, eine Or­
                                                                                   ganisation zur Finanzierung von Gesundheitspro­
                                                                                   jekten zu sein. Ebenso wenig liegen die Stärken der
                                                                                   WHO darin, in größerem Umfang selbst Projekte
                                                                                   vor Ort durchzuführen. Im Gegensatz zu den zahl­
                                                                                   reichen neuen Initiativen und PPPs, deren Legitimi­
                                                                                   tät auf den Ergebnissen ihrer Arbeit (Output-Legiti­
                                                                                   mität) beruht, bezieht die WHO ihre Legitimität aus
                                                                                   dem Umstand, dass sie die Organisation im System
                                                                                   der Vereinten Nationen ist, die sich ausschließlich
                                                                                   dem Thema Gesundheit widmet. Zudem ist es ihr
                                                                                   am ehesten möglich, durch ihre universelle Mitglied­
                                                                                   schaft, einen Einblick in die globalen Gesundheits­
WHO-Generaldirektorin Margaret Chan und Bill Gates während eines Treffens          bedürfnisse zu erhalten. Dieser Umstand würde da­
auf der 64. Weltgesundheitskonferenz im Mai 2011 zum Thema Ausrottung              für sprechen, für die WHO vor allem drei wesent­-
der Kinderlähmung. 				                                 Foto: WHO/ Pierre Albouy   liche Funktionen im System globaler Gesundheits­

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Ulbert | Reformfähig oder irrelevant?

politik ins Auge zu fassen: 1. Die Identifizierung maß­   oritäten in der Aufgabenstellung zu setzen und her­
geblicher Gesundheitsprobleme und Normsetzung,            auszufinden, in welche Richtung sich Reformen im
2. technische Unterstützung über die Erarbeitung          Bereich Programm, institutionelle Struktur und
von Regeln und Richtlinien sowie 3. ein Forum zur         Management-Prozesse bewegen sollten. Nur weil
Verfügung zu stellen, auf dem bindende Entschei­          Themen ›wichtig‹ sind, heißt das nicht, dass sie auch
dungen getroffen werden können.                           von der WHO bearbeitet werden müssen.32 Die Frage
                                                          ist, welchen ›Mehrwert‹ die Behandlung von The­
1. Die Identifizierung maßgeblicher                       men innerhalb der WHO im Vergleich zu anderen
Gesundheitsprobleme und Normsetzung                       Institutionen haben könnte. Dazu ist eine verlässli­                      Wenn die WHO
Viele Beobachter betrachten die Verabschiedung der        che Grundfinanzierung notwendig, die die WHO-                             eine Führungsrolle
Erklärung von Alma-Ata im Jahr 1978, 30 in der die        Mitgliedstaaten aber nur zur Verfügung stellen wer­                       übernehmen soll,
WHO das Recht auf Gesundheit für alle festschrieb,        den, wenn sie vom Wert der Organisation und dem                           dann müssen sich
als einen Meilenstein in der Geschichte der Organi­       Erfolg des Reformprozesses überzeugt sind. Aller­                         ihre Mitglieder
sation. Damit gelang es ihr, internationale Gesund­       dings sind die Mitgliedstaaten damit noch nicht                           darauf einlassen,
heitspolitik unter ein gemeinsames normatives Dach        aus ihrer Verantwortung entlassen. Wenn die WHO                           für alle verbindliche
zu stellen, das große Mobilisierungskraft entfaltete.     wirklich eine Führungsrolle in der globalen Gesund­                       Regeln zu formu­
Wie »ein bestmöglicher Gesundheitszustand« erreicht       heitspolitik übernehmen soll, dann müssen sich ihre                       lieren.
werden kann, hat die WHO gezeigt, indem sie in dem        Mitglieder auch darauf einlassen, für alle verbind­
Bericht der Kommission für Gesundheitsforschung           liche Regeln zu formulieren, die einmal eingegan­
für Entwicklung darauf hingewiesen hat, dass es           genen Verpflichtungen einzuhalten und deren Ein­
vernachlässigte Krankheiten gibt.31 Auch in der Un­       haltung systematisch überprüfen zu lassen.
tersuchung globaler Gesundheitsbelastungen leiste­
te die WHO Pionierarbeit, durch die langfristige
Trends in der Entwicklung möglicher Gesundheits­
probleme aufgezeigt wurden, worauf nationale Ge­
sundheitssysteme vorausschauend reagieren können.

2. Technische Unterstützung über die
Erarbeitung von Regeln und Richtlinien
Kritik an der Qualität der Arbeit der WHO bezieht
sich insbesondere darauf, dass es der Organisation
nicht immer gelingt, rechtzeitig Richtlinien im Um­
gang mit bestimmten Erkrankungen oder konkrete
Therapievorschläge zu formulieren. Dass es hierzu         22 WHO Reform: Independent Evaluation Report: Stage One, WHO
Kritik gibt, zeigt aber auch, dass genau diese Leis­      Doc. A65/5 Add.2 v. 18.5.2012.
tung von der WHO erwartet wird. Keine andere              23 WHO Reform: Consolidated Report by the Director-General, WHO
Organisation bietet sich aufgrund ihrer universalen       Doc. A65/5 v. 25.4.2012.
Mitgliedschaft an, einen Vorsorgeplan im Umgang           24 Decisions and List of Resolutions, WHO Doc. A65/DIV/3 v. 5.6.2012.
mit Grippe-Pandemien zu entwickeln oder Internati­        25 WHO Reform: Draft Twelfth General Programme of Work and Ex-
onale Gesundheitsvorschriften zu erlassen, die im         planatory Notes, WHO Doc. A65/5 Add.1 v. 26.4.2012.
Jahr 2005 erfolgreich überarbeitet wurden.                26 Moon et al., a.a.O. (Anm. 2), S. 2.
                                                          27 WHO, World Health Forum, Concept Paper, 22.6.2011, www.who.
3. Forum, auf dem bindende Entscheidungen                 int/dg/reform/en_who_reform_world_health_forum.pdf
getroffen werden können                                   28 Siehe etwa Judith Richter, WHO Reform and Public Interest Safe-
Das Mandat der WHO ermöglicht es ihr theoretisch,         guards: An Historical Perspective, Social Medicine, 6. Jg., 3/2012,
Verhandlungsprozesse anzustoßen, an deren Ende            S. 141–150.
für die Mitglieder bindende Entscheidungen ste­           29 Siehe hierzu beispielsweise die Vorschläge von David Stuckler/
hen. Interessanterweise hat die WHO in ihrer Ge­          Sanjay Basu/Martin McKee, Global Health Philanthropy and Institutio-
schichte bislang nur einen einzigen Vertrag verab­        nal Relationships: How Should Conflicts of Interest Be Addressed,
schiedet, nämlich im Jahr 2003 das Rahmen­über-           PLOS Medicine, 8. Jg., 4/2011, S. e1001020.
einkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs.              30 Erklärung von Alma-Ata, www.euro.who.int/__data/assets/pdf_
Mit diesem Vertrag ist auch ein Berichtssystem ver­       file/0017/132218/e93944G.pdf
bunden, ein Novum in der Geschichte der WHO, in           31 Commission on Health Research for Development, Health Re-
der die Einhaltung von Regeln bislang den Mit­            search, Essential Link to Equity in Development, Oxford 1990.
gliedstaaten anheim­gestellt war.                         32 Vgl. hierzu etwa den Vorschlag von Gaudenz Silberschmidt, eher
   Sich über die Stärken der WHO im Vergleich zu          einen ›Matrix-Ansatz‹ für die Reform der WHO zu wählen. Gaudenz
anderen Akteuren im globalen Gesundheitssystem            Silberschmidt, How to Set Priorities for the World Health Organization,
im Klaren zu werden, scheint unerlässlich, um Pri­        Global Health Programme Working Paper No. 6, Genf 2011, S. 6.

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