Fit for Purpose? Die WHO auf der Suche nach einer neuen Rolle in der globalen Gesundheit
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A N A LY S E Fit for Purpose? Die WHO auf der Suche nach einer neuen Rolle in der globalen Gesundheit von Cornelia Ulbert 1 ABSTRACT Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die internationale The World Health Organization (WHO) is the international Organisation mit dem Mandat, die internationale Gesundheits- organization with the mandate to coordinate and lead in- zusammenarbeit zu koordinieren und zu führen. Diese Rolle ternational collaboration in health matters. In the global konnte sie aber im System globaler Gesundheit bislang nicht health system of today, however, WHO has not been able to angemessen ausüben. Verantwortlich dafür ist unter anderem fulfill this role adequately yet. This is partly due to a long eine lang andauernde Finanzierungskrise, die Ausdruck des lasting financing crisis, which reflects the member states’ mangelnden Vertrauens der Mitgliedsstaaten in die Leistungs- lack of confidence in the efficiency and capacities of the fähigkeit der Organisation ist. Mit dem laufenden Arbeitspro- organization. With its current General Program of Work the gramm unter dem neuen Generaldirektor Tedros Adhanom WHO under Director-General Tedros Adhanom Ghebreyesus Ghebreyesus strebt die WHO an, diesen Führungsanspruch seeks to realize its claim to leadership and to increase its umzusetzen und ihre Wirksamkeit zu steigern. Dazu sind effectiveness. For this, various changes are currently under weitreichende Änderungen geplant. Die Transformation der way. However, the transformation can only be successful, WHO kann jedoch nur gelingen, wenn die Mitgliedsstaaten if member states increase the percentage of unearmarked den Anteil der frei verwendbaren Mittel im Budget erhöhen, funds to provide WHO with the necessary leeway to carry um der WHO den notwendigen Gestaltungsspielraum für die out the projected reforms. Reformen zu verschaffen. Schlüsselwörter: Weltgesundheitsorganisation, Reform, Keywords: World Health Organization, reform, global health globale Gesundheit 1 Einleitung tungsfähigkeit der Organisation ist. Daran konnten auch wie- derholte Reforminitiativen nichts ändern. Mit dem Amts- Die Architektur, innerhalb derer Gesundheitsfragen behan- antritt des gegenwärtigen WHO-Generaldirektors Dr. Tedros delt werden, hat sich vor allem in den vergangenen 20 Jahren Adhanom Ghebreyesus im Jahr 2017 setzte ein neuer Reform- von einem eher zwischenstaatlich geprägten in ein globales prozess ein, durch den die WHO wieder eine stärkere Füh- System gewandelt. Dadurch wurde die Weltgesundheitsorga- rungsrolle übernehmen will. Gleichzeitig soll sie in die Lage nisation (World Health Organization, WHO) zu einem von versetzt werden, besser mit anderen Akteuren der globalen vielen – teilweise konkurrierenden – Akteuren. Obwohl mit Gesundheitspolitik zu kooperieren. Der vorliegende Beitrag der Zunahme an Akteuren auch die finanziellen Mittel für die erläutert den Kontext des aktuellen Reformprozesses, skiz- Gesundheitszusammenarbeit stiegen, befindet sich die WHO ziert zentrale Reformaspekte und diskutiert die Erfolgsaus- seit Jahren in einer Finanzierungskrise, die auch Ausdruck sichten, die Rolle der WHO als führende Gesundheitsorgani- des mangelnden Vertrauens der Mitgliedsstaaten in die Leis- sation zu stärken. 1 Dr. rer. pol. Cornelia Ulbert, Institut für Entwicklung und Frieden (INEF), Universität Duisburg-Essen · 47048 Duisburg · Telefon 0203-3794422 E-Mail: cornelia.ulbert@inef.uni-due.de 24 © GGW 2019 · Ulbert: Fit for Purpose? Die WHO auf der Suche nach einer neuen Rolle in der globalen Gesundheit · Jg. 19, Heft 2 (April), 24–30
A N A LY S E 2 Die WHO im System globaler Der Bedeutungsverlust der WHO zeigt sich nicht nur an der Ausweitung der Zahl der Akteure, die sich mittlerweile Gesundheit mit Gesundheitsfragen beschäftigen, sondern auch daran, wie sich diese an der Gestaltung globaler Gesundheitspolitik Die WHO nahm 1948 ihre Arbeit mit dem Ziel auf, dass alle beteiligen. Mittlerweile spielen viele sogenannte private Ak- Völker ein „Höchstmaß an Gesundheit“ („highest possible le- teure eine hervorgehobene Rolle – allen voran die finanzstar- vel of health“) erreichen sollten (WHO 2006, Article 1), wobei ke Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung (Bill & Melinda Gates Gesundheit definiert wurde als der Zustand vollkommenen Foundation, BMGF). Diese haben eine Reihe von Funktionen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens („state of übernommen, die bislang den staatlichen und zwischenstaat- complete physical, mental and social well-being“), also mehr lichen Akteuren vorbehalten waren. Nicht zuletzt die Grün- umfasste als die Abwesenheit von Krankheit (WHO 2006, 1). dung zahlreicher öffentlich-privater Partnerschaften (public Mit diesem Mandat war eine lange Liste von Aufgaben ver- private partnerships – PPPs) im Gesundheitsbereich zeigt, bunden, allen voran, als führende und koordinierende Ins- dass private und nicht staatliche Akteure Steuerungsdefizite tanz in der internationalen Gesundheitsarbeit zu wirken klassischer staatlicher und zwischenstaatlicher Akteure ver- (WHO 2006, Article 2 (a)). stärkt durch ihr Engagement ausgleichen. Dies hat vor allem seit Beginn der 2000er-Jahre – angeregt durch die Millenni- Bis in die 1990er-Jahre hinein war die WHO auch unhin- um-Entwicklungsziele (Millenium Development Goals, terfragt die führende Organisation im Bereich der interna- MDGs) der Vereinten Nationen (United Nations, UN) – zu tionalen Gesundheitspolitik. Doch in den vergangenen einer deutlichen Ausweitung der Mittel geführt, die Ländern Jahrzehnten haben sich die Bedingungen, unter denen Ge- mit niedrigem und mittlerem Einkommen global für die Be- sundheitsprobleme global bearbeitet werden, grundlegend arbeitung von Gesundheitsproblemen bereitgestellt werden. verändert. Jahrzehntelang war internationale Gesundheits- Nach Berechnungen des Institute for Health Metrics and Eva- politik durch staatliche und zwischenstaatliche Akteure luation (IHME), das mit Mitteln der BMGF an der University wie die WHO oder das Kinderhilfswerk der Vereinten Na- of Washington in Seattle gegründet wurde, stiegen diese als tionen (United Nations Children’s Fund – UNICEF) ge- development health assistance bezeichneten Mittel von prägt. Doch mittlerweile werden Gesundheitsprobleme in 12 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 auf 37 Milliarden US- einem System globaler Gesundheitspolitik bearbeitet. Dollar im Jahr 2017 an, mit einem Höhepunkt von etwa Deutlichstes Kennzeichen hierfür ist die Zunahme der Ak- 40 Milliarden US-Dollar im Jahr 2013 (Institute for Health teure, Finanzierungsmechanismen und Programme, wo- Metrics and Evaluation 2018). durch die WHO zu einem unter vielen Spielern wurde. Der Wandel zu globaler Gesundheitspolitik steht in engem Zu- Die Bereitschaft vieler Staaten, mehr Mittel für die globale sammenhang mit größeren politischen, ökonomischen Gesundheitszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen, und sozialen Abhängigkeiten, die Folge von Globalisie- schlug sich jedoch nicht im gleichen Maß in einem stärkeren rungsprozessen mit einem steigenden grenzüberschreiten- finanziellen Engagement bei der WHO nieder. Diese befindet den Austausch von Gütern, Personen, aber auch Ideen und sich vielmehr seit Jahrzehnten in einer Finanzierungskrise, Werten sind. Augenfällig wird dies an der weiträumigen nachdem trotz gestiegener Anforderungen die Finanzausstat- Verbreitung von Infektionserkrankungen wie HIV/Aids, tung über Jahre hinweg nahezu konstant blieb und der Anteil verschiedenen Formen der Influenza oder in jüngerer Zeit der frei verwendbaren Pflichtbeiträge im Vergleich zu zweck- des Zika-Virus. Im Endeffekt verlieren staatliche Grenzen gebundenen freiwilligen Zuwendungen stetig sank. Die dadurch an Bedeutung. Zurückhaltung der Mitgliedsstaaten, die Pflichtbeiträge zu erhöhen, ist Ausdruck eines mangelnden Vertrauens in die Gleichzeitig nahm auch die Privatisierung von Gesund- Leistungsfähigkeit der WHO. Die Grenzen dieser Leistungs- heitsdienstleistungen deutlich zu, die in den 1980er-Jahren fähigkeit wurden im Zuge der Ebola-Epidemie 2014/15 in politisch initiiert wurde und über die Strukturanpassungs- Westafrika drastisch deutlich. programme von Weltbank und Internationalem Währungs- fonds (IWF) vorangetrieben wurde. So übernahm seither auch die im Vergleich zur WHO ungleich finanzkräftigere Weltbank eine starke und in Teilen konkurrierende Rolle im 3 Ebola-Krise 2014/15 offenbart Gesundheitsbereich, wodurch diese vor allem seit den 1990er- eklatante Schwächen Jahren einen dominierenden Einfluss auf internationale Ge- sundheitspolitik erhalten konnte. Während die Weltbank als Die Ebola-Epidemie 2014/15 in den westafrikanischen Staa- finanziell und konzeptionell starker Akteur auftrat, reduzier- ten Guinea, Liberia und Sierra Leone markiert mit circa te sich die Rolle der WHO auf die technische Expertise in 28.600 Krankheits- und rund 11.300 Todesfällen (WHO 2016 b) Gesundheitsfragen. eine der schwersten Gesundheitskrisen der jüngeren Zeit. Der © GGW 2019 · Ulbert: Fit for Purpose? Die WHO auf der Suche nach einer neuen Rolle in der globalen Gesundheit · Jg. 19, Heft 2 (April), 24–30 25
A N A LY S E WHO waren zwar bereits im März 2014 erste Infektionsfälle allem das kollektive Versagen der Weltgemeinschaft in der Ebo- gemeldet worden, einen Gesundheitsnotfall von internationa- la-Krise zeigte deutlich, dass der WHO-Reformprozess, der seit ler Tragweite (Public Health Emergency of International Con- 2011 unter der vorherigen Generaldirektorin Margaret Chan cern, PHEIC) rief diese jedoch erst im August 2014 aus. Eine angestoßen worden war, nicht ausreichend war, um der WHO konzertierte internationale Hilfsaktion lief allerdings erst an, zu einer klaren und wirksamen Rolle in der globalen Gesund- als sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Septem- heitsarchitektur zu verhelfen. Umso entscheidender wird es ber desselben Jahres erstmalig in seiner Geschichte mit einem sein, dass der nun unter dem neuen Generaldirektor Tedros ini- akuten Gesundheitsnotfall beschäftigte und feststellte, dass tiierte Reformprozess zu einer Stärkung der WHO führen wird. der Ausbruch von Ebola in Westafrika eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit darstellte. Der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon setzte daraufhin eine Sondermission zur Bekämpfung von Ebola (UN Mission 4 Ansatzpunkte zur Reform der WHO for Ebola Emergency Response, UNMEER) ein und einen Sonderbeauftragten für Ebola, um die internationalen Hilfs- Am Beispiel der Ebola-Krise lässt sich der Handlungsbedarf maßnahmen besser zu koordinieren. ablesen, an dem die Reform der WHO verstärkt ansetzen muss: Stärkung nationaler Gesundheitssysteme und Zugang Der Ebola-Ausbruch in Westafrika zeigte deutlich, dass die zu allgemeiner Gesundheitsversorgung, Aufbau eines effekti- existierenden Strukturen zur Bekämpfung globaler Gesund- ven Pandemie-Notfallsystems, Verbesserung der Koordinati- heitskrisen große Defizite aufwiesen. Eigentlich wäre es Aufga- on innerhalb der WHO über die verschiedenen Strukturebe- be der WHO gewesen, im UN-System eine steuernde und ko- nen hinweg und innerhalb des UN-Systems mit klaren Ver- ordinierende Funktion zu übernehmen. Dazu dienen auch die antwortlichkeiten, Förderung von Kooperationen mit internationalen Gesundheitsvorschriften, die 2005 überarbei- weiteren Akteuren im globalen Gesundheitssystem, Überprü- tet wurden und in denen verbindliche Maßnahmen zur inter- fung der Wirksamkeit der eigenen Arbeit sowie eine ausrei- nationalen Bekämpfung von Infektionserkrankungen nieder- chende Finanzierung zentraler Aufgaben und Programme. gelegt sind. Die seit Jahren chronische Unterfinanzierung der WHO trug unter anderem dazu bei, dass die Organisation nicht In dem nun bis 2023 laufenden Arbeitsprogramm (WHO in der Lage war, zügig und angemessen auf die Ebola-Infekti- 2018 a) will die WHO ihre Vision einer Welt, in der alle onswelle zu reagieren. Aufgrund von Sparmaßnahmen wur- Menschen ein Höchstmaß an Gesundheit und Wohlbefin- den ausgerechnet in dem damals laufenden Haushalt die Mit- den erlangen, über drei zentrale Grundsätze realisieren: Ge- tel für die Notfallreaktion beim Ausbruch von Epidemien und sundheit fördern – die Welt sicher halten – den Verwundba- Gesundheitskrisen um die Hälfte gekürzt. Daher war die WHO ren helfen (siehe Abbildung 1). Die entscheidende Neue- nicht einmal in der Lage, ihren eigenen Notfallplan vom Au- rung besteht darin, dass die mit dieser Mission verbundenen gust 2014 zügig umzusetzen, weil sie dazu zunächst Mittel strategischen Prioritäten und Ziele eng mit der Umsetzung einwerben musste. Hinzu kam die historisch gewachsene, aber der Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen schon seit Jahren bemängelte organisatorische Struktur der (Sustainable Development Goals, SDGs) verbunden sind, WHO mit dem Hauptquartier in Genf und sechs weitgehend allen voran SDG 3 zu Gesundheit („Ein gesundes Leben für autonom agierenden Regionalbüros. Etwa 70 Prozent des alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohl- WHO-Personals arbeitet in den Regional- und Länderbüros ergehen fördern“) sowie weiteren gesundheitsrelevanten (WHO 2016 a) und ist dem zentralen Zugriff des Genfer Haupt- Zielen. Da sich die SDGs, anders als die Millennium-Ent- quartiers weitgehend entzogen. Daher war das Hauptquartier wicklungsziele (MDGs), nicht nur auf Länder mit niedrigem in Genf auch nicht in der Lage, das theoretisch vorhandene, oder mittlerem Einkommen beziehen, sondern auch auf die aber nicht immer hinreichend qualifizierte Personal schnell in entwickelten Länder, betont die WHO damit ihren An- die von Ebola betroffenen Länder abzustellen. spruch, normativ und operativ in alle Mitgliedsstaaten hin- einzuwirken. Die Wirkungsorientierung, die sich mit dem Im Nachgang zur Ebola-Krise attestierten eine Reihe von neuen Arbeitsprogramm verbindet, ist daher eng mit den Experten-Kommissionen und Berichten der WHO einen Man- Diskussionen im UN-System zur Umsetzung und Überprü- gel an technischen Kapazitäten, gepaart mit einer fehlenden fung der SDGs verbunden. „Notfall-Kultur“, also der Fähigkeit, schnell Entscheidungen zu treffen, mit anderen Organisationen zusammenzuarbeiten 4.1 Die „Triple Billion“-Ziele und flexibel auf Anforderungen vor Ort zu reagieren. Zudem wurden die unsichere Finanzierung der WHO, der unklare Das Reformprogramm konzentriert sich auf drei ehrgeizige Fokus der Organisation auf mögliche Aufgabengebiete sowie Ziele: Jeweils eine Milliarde Menschen mehr soll bis zum fehlende Transparenz und nicht existierende Rechenschafts- Jahr 2023: 1) in den Genuss einer allgemeinen Gesundheits- pflichtigkeit für Fehlleistungen beklagt (Moon et al. 2017). Vor versorgung kommen, 2) vor Gesundheitsnotfällen geschützt 26 © GGW 2019 · Ulbert: Fit for Purpose? Die WHO auf der Suche nach einer neuen Rolle in der globalen Gesundheit · Jg. 19, Heft 2 (April), 24–30
A N A LY S E ABBILDUNG 1 Strategische Prioritäten und neue Schwerpunktsetzungen im WHO-Arbeitsprogramm 2019–2023 Mission Gesundheit fördern – die Welt sicher halten – den Verwundbaren helfen Gewährleistung eines gesunden Lebens und Förderung von Wohlbefinden aller Menschen jeglichen Alters durch: Schaffung einer allgemeinen Gesundheitsversorgung Strategische Zusätzlich 1 Milliarde Menschen profitieren von allgemeiner Gesundheitsversorgung. Prioritäten (und Ziele) Adressierung von Gesundheitsnotfällen Zusätzlich 1 Milliarde Menschen sind besser gegen Gesundheitsnotfälle geschützt. Förderung einer gesünderen Bevölkerung Zusätzlich 1 Milliarde Menschen genießen eine bessere Gesundheit und ein erhöhtes Wohlbefinden. Führung stärken: Steuerung der Wirkung von öffentlicher Gesundheit in Globale öffent- •Diplomatie und jedem Land – ausdifferenzierter Ansatz, basierend auf Kapazi- liche Güter auf Überzeugungs- täten und Verwundbarkeit Wirkung ausrich- arbeit ten: •Geschlechter- Politikdialog Strategische Technische Bereitstellung •Normative gleichstellung, (um zukunfts- Unterstützung Unterstützung von Dienstleis- Führung und Strategischer gesundheitliche fähige Systeme (um hoch- (um nationale tungen Abkommen Wandel Chancengleich- zu entwickeln) leistungs- Institutionen (um kritische •Daten, heit und Men- fähige Systeme aufzubauen) Lücken in Not- Forschung und schenrechte aufzubauen) fällen zu füllen) Innovation •Multisektorale Arbeit •Finanzierung Ausgereiftes Fragiles Quelle: WHO (2018 a) 7 (eigene Übersetzung), Grafik: G+G Wissenschaft 2019 Gesundheitssystem Gesundheitssystem ‣ Wirkungsmessung, um rechenschaftspflichtig zu sein und ergebnisorientiert zu handeln ‣ Operatives Handeln umgestalten, um auf der Ebene von Ländern und Regionen sowie global Wirkungen zu erzielen Organisa- torischer ‣ Partnerschaften, Kommunikation und Finanzierung so umgestalten, dass die strategischen Prioritäten Wandel mit Ressourcen unterfüttert werden ‣ Kritische Systeme und Prozesse stärken, um die Organisationsleistung zu optimieren ‣ Kulturellen Wandel fördern, um eine reibungslos funktionierende, leistungsstarke WHO zu gewährleisten werden und 3) einen verbesserten Gesundheitsstatus errei- Der Zugang zu UHC, welche vor allem eine primäre Grund- chen. Diese drei Ziele beziehen sich auf Unterziele von SDG 3, versorgung einschließt, zielt auf den Abbau von Zugangs- so etwa SDG 3.8, nach dem eine allgemeine Gesundheitsver- barrieren („leave no one behind“) und die Vermeidung sorgung (Universal Health Coverage, UHC) angestrebt wird. finanzieller Härten. Um dies zu erreichen, will die WHO den © GGW 2019 · Ulbert: Fit for Purpose? Die WHO auf der Suche nach einer neuen Rolle in der globalen Gesundheit · Jg. 19, Heft 2 (April), 24–30 27
A N A LY S E Mitgliedsstaaten technische Hilfe zur Verfügung stellen und 4.3 Kultureller und organisatorischer Wandel mit Partnern zusammenarbeiten, um für jedes Land ein ent- Auch wenn im Laufe der Jahre unzählige Expertenkommissio- sprechendes UHC-Angebot zu gestalten. Die Ausgestaltung von nen die Arbeit der WHO in unterschiedlichen Bereichen immer nationalen Gesundheitssystemen umfasst darüber hinaus Fra- wieder überprüften und kritisch begleiteten, bedingt die neue gen von Gesundheitspersonal, vom Zugang zu Medikamenten, Wirkungsorientierung jedoch einen kulturellen Wandel in der Impfstoffen und Medizinprodukten sowie der Finanzierung WHO. Mit der neuen Logik des Arbeitsprogramms soll das bis- und Regierungsführung (Governance) in den jeweiligen Län- her praktizierte Silo-Denken in isolierten Themenbereichen auf- dern. gebrochen werden. Aber auch die vertikale Fragmentierung der WHO in Hauptquartier, eigenständige Regionalbüros und Län- Beim Umgang mit Gesundheitsnotfällen kann die WHO derbüros soll einer zielorientierten Zusammenarbeit der ver- auf den Reformen aufbauen, die noch unter der Vorgänger- schiedenen Ebenen weichen. Geplant ist vor allem eine Stärkung Generaldirektorin Margaret Chan umgesetzt wurden. So er- der Länderbüros – eine Maßnahme, die an Reformprozesse im möglicht beispielsweise ein Notfallfonds (Contingency Fund gesamten UN-Entwicklungssystem anknüpft. Zudem kündigte for Emergencies, CFE) der WHO mittlerweile, umgehend auf Generaldirektor Tedros Anfang März 2019 auch größere Verän- Gesundheitsnotfälle zu reagieren. Weitere finanzielle Unter- derungen in der Organisationsstruktur der WHO an, die zu stützung erhält die WHO bei humanitären Gesundheitskri- klareren Verantwortlichkeiten entlang der neuen strategischen sen zudem durch Finanzierungsinstrumente der UN und der Ziele und zu direkteren Berichtsstrukturen führen sollen (Lancet Weltbank, die nach der Ebola-Epidemie 2014/15 geschaffen Editorial 2019). wurden (WHO 2017). Mit Blick auf Gesundheitsnotfälle sol- len nun aber auch die Gesundheitssysteme vor allem in fragi- len Staaten und in Konfliktländern gestärkt werden. 4.4 Neue Wege der Ressourcenmobilisierung Auch nach Jahren des intensiven Dialogs mit den Mitglieds- Das dritte Ziel, den Gesundheitsstatus von Bevölkerungen staaten sind diese nicht bereit, die Pflichtbeiträge, die der zu verbessern, ist ein relativ umfassendes. Im Verlauf des WHO zur flexiblen Verausgabung zur Verfügung gestellt wer- Reformprozesses ist hier eine weitere Fokussierung ange- den, signifikant zu erhöhen (Reddy et al. 2018). Das bedeutet, strebt. Zunächst geht die WHO in diesem Bereich noch von dass auch im laufenden Haushalt der Anteil der nicht zweck- fünf Bereichen aus, die dabei in den Blick genommen werden gebundenen Beiträge (Pflichtbeiträge und freiwillige Kern- müssen. Dies sind die Verbesserung von Humanressourcen beiträge) weiter bei lediglich knapp 20 Prozent liegen wird über den Lebensverlauf hinweg, die verstärkte Befassung mit (siehe Abbildung 2). Das ambitionierte Reformprogramm nicht übertragbaren Erkrankungen und geistiger Gesundheit, wird jedoch nicht ohne zusätzliche Ressourcen umzusetzen die Ausrottung hochinfektiöser Erkrankungen, der Kampf sein. Daher verknüpft die WHO das neue Arbeitsprogramm gegen Antibiotikaresistenzen und die Bekämpfung der nega- mit einem Plädoyer für den „Investment Case“, um von staat- tiven gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels in lichen und nicht staatlichen Geldgebern vor allem weitere kleinen Inselstaaten und weiteren verwundbaren Staaten. nicht zweckgebundene Mittel einzuwerben (WHO 2018 b). Um die immer wieder geforderte Transparenz bei der Mittel- 4.2 Fokus auf Wirkung in den Ländern verausgabung herzustellen, hat die WHO inzwischen ein In- ternetportal eingerichtet, in dem Details zur Zusammenset- Im Unterschied zum vorangegangenen (zwölften) Arbeits- zung und Verausgabung des aktuellen Zweijahres-Budgets programm stehen nun nicht mehr Themenbereiche und Pro- abgerufen werden können (open.who.int/2018-19/budget- gramme im Vordergrund. Vielmehr richtet sich der Blick im and-financing/gpw-overview). neuen Arbeitsprogramm zentral auf die Wirkungen, die die WHO insbesondere in den Mitgliedsstaaten erzielen will. Da- durch soll es leichter möglich werden, auf Länderebene Prio- ritäten zu setzen und die entsprechenden Programme zu 5 Erfolgsaussichten der aktuellen Reform entwickeln (WHO 2018 a, 45). Die Wirkungsorientierung be- dingt jedoch auch, dass die möglichen Ziele, die erreicht wer- Die Arbeit strategisch an der Erreichung der SDGs auszurich- den, operationalisiert und messbar gemacht werden (kön- ten, bietet der WHO grundsätzlich einen breiteren Spielraum, nen). Dies macht ein aufwendiges Berichtssystem und um- als dies unter dem globalen Vorgänger-Zielekatalog, den MDGs, fangreiche Datenerhebungen notwendig. Transparenz der Fall war. Insbesondere die Fokussierung der MDGs auf herzustellen und Rechenschaft darüber abzulegen, wofür einzelne Erkrankungen (HIV/Aids, Tuberkulose, Malaria) und Mittel verausgabt wurden und was mit diesen erreicht wurde, Bevölkerungsgruppen (Kinder, Mütter) hatte über Jahre hin- vor allem auf Länderebene, ist eine entscheidende Vorausset- weg dazu beigetragen, dass die Förderung von Gesundheitssys- zung dafür, das verloren gegangene Vertrauen der Mitglieds- temen vernachlässigt wurde und die sozialen Determinanten staaten wiederzugewinnen. von Gesundheit aus dem Blick gerieten. Der SDG-Katalog re- 28 © GGW 2019 · Ulbert: Fit for Purpose? Die WHO auf der Suche nach einer neuen Rolle in der globalen Gesundheit · Jg. 19, Heft 2 (April), 24–30
A N A LY S E ABBILDUNG 2 Das WHO-Budget 2018–19 nach Finanzierungsart Zugesagte Finanzierung Pflichtbeiträge 828,8 Millionen Dollar 956,9 Millionen Dollar Beiträge zur Influenza- 14,2 % Pandemievorsorge 16,39 % 152,6 Millionen Dollar Freiwillige Kernbeiträge 2,61 % 112,0 Millionen Dollar 1,92 % Quelle: open.who.int/2018-19/contributors/contributor, Grafik: G+G Wissenschaft 2019 64,88 % Zweckgebundene freiwillige Beiträge 3.787,6 Millionen Dollar Der überwiegende Teil des WHO-Budgets stammt aus zweckgebundenen freiwilligen Beiträgen. Davon kommen 590 Millionen Dollar aus den USA, 488 Millio- nen Dollar von der Bill & Melinda Gates Foundation und 327 Millionen Dollar aus dem Vereinigten Königreich. Deutschland (Rang 5) zahlt 186 Millionen Dollar. präsentiert stärker das Verständnis von Gesundheit, das in der vollen Unterstützung der Mitgliedsstaaten umsetzen kann. WHO-Verfassung niedergelegt ist. Die Umsetzung der SDG- Das laufende Budget, in dem einflussreiche Mitgliedsstaaten Agenda wird jedoch nur gelingen, wenn alle beteiligten Akteu- und große nicht staatliche Geber wie die BMGF durch zweck- re, also relevante Organisationen innerhalb und außerhalb des gebundene freiwillige Beiträge der WHO vorschreiben, wofür UN-Systems, stärker miteinander kooperieren. Insofern ist es diese Mittel auszugeben hat, zeigt, wie weit die WHO noch zu begrüßen, dass elf Gesundheits- und Entwicklungsorganisa- davon entfernt ist, die Akzente setzen zu können, die der neue tionen im Oktober 2018 einen globalen Aktionsplan für gesun- Generaldirektor im Sinn hat. Auch wenn das Arbeitsprogramm des Leben und Wohlbefinden für alle (Global Action Plan for von der Weltgesundheitsversammlung, dem Organ, in dem Healthy Lives and Well-being for All) veröffentlich haben, um alle Mitgliedsstaaten Entscheidungen treffen, einstimmig an- in einer ersten Phase einen konzertierten Umsetzungsplan zur genommen wurde, klafft zwischen dieser Zustimmung und schnelleren Erreichung der gesundheitsbezogenen SDGs zu dem finanziellen Bewegungsspielraum, den die Auftraggeber erarbeiten (WHO 2018 c). Die WHO hat hierbei die Koordinie- gewähren, eine deutliche Lücke. rungsrolle übernommen und reklamiert damit den Führungs- anspruch für sich. Bedenklich stimmt zudem, dass das Werben um weitere Mittel in eine ökonomische Sprache verpackt wird, in der der Eine wirkliche Führungsrolle setzt allerdings voraus, dass Mehrwert von Investitionen in Gesundheit ausgedrückt wird die WHO die von ihr formulierten strategischen Ziele mit der als „30 Millionen Leben gerettet“, „zusätzlich 100 Millionen © GGW 2019 · Ulbert: Fit for Purpose? Die WHO auf der Suche nach einer neuen Rolle in der globalen Gesundheit · Jg. 19, Heft 2 (April), 24–30 29
A N A LY S E Jahre gesunden Lebens“ und „zusätzlich 2–4 Prozent Wirt- Moon S et al. (2017): Post-Ebola Reforms: Ample Analysis, schaftswachstum in Ländern niedrigen und mittleren Einkom- Inadequate Action. BMJ, Vol. 356, No. 8090, 280 mens“ (WHO 2018 b, 5). Dies steht im Gegensatz dazu, dass die Reddy SK, Mazhar S, Lencucha R (2018): The Financial Sustaina- WHO immer betont, Gesundheit sei ein Menschenrecht. bility of the World Health Organization and the Political Economy of Global Health Governance: A Review of Funding Proposals. Globali- Zivilgesellschaftliche Akteure kritisieren daher zu Recht, dass zation and Health, Vol. 14; globalizationandhealth.biomedcentral. die WHO mit dieser ökonomischen Rhetorik vor allem private com Articles Search Geldgeber ansprechen möchte und Gefahr läuft, sich immer Schwarz T (2019): Civil Society Engagement with the World Health stärker von diesen abhängig zu machen. Die bisherigen Überle- Organization: Towards a new Era of Partnership or Defending a gungen zur besseren Einbindung der Zivilgesellschaft stießen Shrinking Space; g2h2.org/posts/shrinking-space bei dieser bislang nicht auf uneingeschränkte Zustimmung. Viel- WHO (World Health Organization) (2006): Constitution of the World mehr wurde der Vorschlag, den Generaldirektor Tedros zur Health Organization. Basic Documents, Forty-fifth Edition, Supple- 144. Sitzung des Verwaltungsrats Ende 2018 vorlegte, „die“ Zivil- ment, 1–18 gesellschaft zu ermutigen, als eine Gruppe in den WHO-Gremi- WHO (World Health Organization) (2016 a): Human Resources: en zu sprechen (WHO 2018 d, 12), als weitere Einengung des Update. Workforce Data, as at 31 December 2015; who.int/about/ Spielraums zivilgesellschaftlicher Akteure verstanden, die in der finances-accountability/budget/ Previous bienniums Regel ein sehr breites Meinungsspektrum abdecken (Schwarz WHO (World Health Organization) (2016 b): Situation Report. Ebola 2019). Die kontroverse Debatte um die Einbindung der nicht Virus Disease, 10 June 2016; who.int/csr/disease/ebola/situation- staatlichen Akteure in die Arbeit der WHO wird damit weiterhin reports/archive/en einen vertrauensvollen Umgang behindern. Auch wenn die Zi- WHO (World Health Organization) (2017): Contingency Fund for vilgesellschaft nicht der finanzkräftigste Akteur ist, wird es not- Emergencies. Report of the WHO Health Emergencies Programme; wendig sein, diese in die Arbeit der WHO einzubeziehen – vor who.int Emergencies Funding Contingency Fund for allem, wenn Wirkungen auf Länderebene erzielt werden sollen. Emergencies WHO (World Health Organization) (2018 a): Draft Thirteenth Gene- Das ehrgeizige Arbeitsprogramm der WHO betont den ral Programm of Work, 2019–2023. Report by the Director General Transformationscharakter, der mit diesem Wandel einher- (A71/4); who.int/gb/ebwha/pdf_files/WHA71/A71_4-en.pdf?ua=1 geht. Damit verbunden sind jedoch auch geteilte Verantwort- WHO (World Health Organization) (2018 b): A Healthier Humanity. lichkeiten zwischen der Organisation und ihren Mitglieds- The WHO Investment Case for 2019–2023; who.int/iris/bitstream/ staaten. Der neue Generalsekretär Tedros hat deutlich ge- handle/10665/274710/WHO-DGO-CRM-18.2-eng.pdf macht, dass er bereit ist, seinen Teil der Verantwortung für WHO (World Health Organization) (2018 c): Towards a Global Action die Organisation anzunehmen. Ein ebenso deutliches Zei- Plan for Healthy Lives and Well-Being for All. Uniting to Accelerate chen der Mitgliedsstaaten steht demgegenüber noch aus. Progress towards the Health-Related SDGs; who.int/docs/default- source/global-action-plan/global-action-plan-phase-1-final.pdf WHO (World Health Organization) (2018 d): WHO Reform Pro- Literatur cesses, Including the Transformation Agenda, and Implementa- tion of United Nations Development System Reform. Report of the Institute for Health Metrics and Evaluation (2018): Financing Executive Board Chairperson on the Outcome of the Informal Con- Global Health 2017. Funding Universal Health Coverage and the sultation on Governance Reform (EB 144/34); who.int/gb/ebwha/ Unfinished HIV/AIDS Agenda, healthdata.org Results Policy pdf_files/EB144/B144_34-en.pdf Reports April 17, 2018 Lancet Editorial (2019): WHO Reform Continues to Confuse. The Lancet, Vol. 393, No. 10176; thelancet.com The Lancet View archive (letzter Zugriff auf alle Internetquellen: 21. März 2019) DIE AUTORIN Dr. rer. pol. Cornelia Ulbert, Jahrgang 1965, ist Politikwissenschaftlerin und seit 2006 wissenschaftliche Geschäftsführerin des Instituts für Entwicklung und Foto: Jochen Hippler Frieden (INEF), Universität Duisburg-Essen. Sie studierte Politikwissenschaft, Germanistik und Philosophie an den Universitäten Tübingen, Heidelberg und der London School of Economics und promovierte an der Universität Mannheim. Im Anschluss daran war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Konstanz, dem Europäischen Hochschulinstitut Florenz sowie der Freien Universität Berlin tätig. 30 © GGW 2019 · Ulbert: Fit for Purpose? Die WHO auf der Suche nach einer neuen Rolle in der globalen Gesundheit · Jg. 19, Heft 2 (April), 24–30
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