Religiöse Diversität in der politischen Bildungsarbeit - Empowerment migrantischer Eigenorganisationen - Ein HESSENCAMPUS-Projekt der - KEB ...

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Religiöse Diversität in der politischen Bildungsarbeit - Empowerment migrantischer Eigenorganisationen - Ein HESSENCAMPUS-Projekt der - KEB ...
Dokumentation

    Religiöse Diversität in der
    politischen Bildungsarbeit
    Empowerment migrantischer Eigenorganisationen

                          Ein HESSENCAMPUS-Projekt der
Religiöse Diversität in der politischen Bildungsarbeit - Empowerment migrantischer Eigenorganisationen - Ein HESSENCAMPUS-Projekt der - KEB ...
Impressum
Herausgeber  Katholische Erwachsenenbildung Hessen
             Landesarbeitsgemeinschaft e. V.
             (KEB Hessen)
             Domplatz 3 60 311 Frankfurt/Main
             Tel.: 069 80 08 71 84 63
             E-Mail: info@keb-hessen.de                          Gefördert aus den Mitteln des
             www.keb-hessen.de                                  Landes Hessen im Rahmen von
Redaktion   Dr. Frank van der Velden                                   HESSENCAMPUS 2020
             KEB Hessen e. V.
	Domplatz 3 60 311 Frankfurt/Main
Satz/Layout                      meinhardt Verlag und Agentur
Titelfoto	  Bild oben: © Levartravel – unsplash.com
             Bild links: © James Coleman – unsplash.com
             Bild rechts: © picture alliance – Uwe Anspach
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Religiöse Diversität in der
politischen Bildungsarbeit
Empowerment migrantischer Eigenorganisationen

Kooperationspartner:
Religiöse Diversität in der politischen Bildungsarbeit - Empowerment migrantischer Eigenorganisationen - Ein HESSENCAMPUS-Projekt der - KEB ...
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Religiöse Diversität in der politischen Bildungsarbeit - Empowerment migrantischer Eigenorganisationen - Ein HESSENCAMPUS-Projekt der - KEB ...
Grußwort
Liebe Leserin, lieber Leser,

Mit dem HESSENCAMPUS-Projekt »Religiöse Diversität in der
politischen Bildungsarbeit. Empowerment migrantischer
Eigenorganisationen« hat die Katholische Erwachsenenbil-
dung Hessen im Jahr 2020 die Frage nach der Art und Weise
interreligiöser Kompetenzvermittlung im Bereich der Bildungs­
arbeit grundsätzlich thematisiert.

Häufig sehen Kooperationen mit migrantischen Eigenorgani­
sationen im Bildungsbereich so aus, dass die üblichen For-
mate von Bildungsarbeit – Vorträge, Podiumsdiskussionen,
Seminare, Workshops etc. – um Referent*innen aus den
migrantischen Communities erweitert werden. Häufig sitzen
auch Vertreter*innen migrantischer Eigenorganisationen mit
in der Planungsgruppe und sind mit eigenem Logo auf den
Werbemitteln vertreten. Genauso häufig werden aber mittler­
weile Zweifel geäußert, ob Themen wie »Migration und Re-
ligion« in den üblichen Formaten von Expertenvorträgen
oder Podiumsdiskussionen – also in Diskussion und Streit­
gesprächen zwischen ausgewählten Expert*innen – über-
haupt so dargestellt werden können, dass sich daraus ein
Lernen der Menschen voneinander und eine Befähigung der
Teilnehmer*innen für das gemeinsame Zusammenleben er-
geben können.

An dieser Stelle sucht das Hessencampus-Projekt 2020 nach
einem alternativen Setting für Erwachsenenbildungsver­
anstaltungen im interreligiösen Kompetenzbereich. Ich freue
mich, dass an diesem wichtigen und spannenden Projekt die
Arbeitsgemeinschaft der Muslime Limburg als Kooperations-
partnerin von Beginn an mit beteiligt ist. Dazu gehört, dass
ein Team von jungen muslimischen Professionals, koordiniert
vom Imam einer lokalen muslimischen Gemeinde in Limburg,
in dieser Broschüre auch als Autorenkollektiv hervortritt, um
die geleisteten Vorarbeiten für ein erweitertes Bildungskon-
zept vorzustellen.

Weiterhin bin ich dankbar, dass die Volkshochschule Limburg-­
Weilburg, als eine der Kerneinrichtungen des HC Limburg-­
Weilburg, das Projekt unterstützt und den notwendigen
lokalen Bezug gewährleistet. Wir danken besonders dem
hessischen Kultusministerium für die finanzielle Förderung.

Johannes Oberbandscheid
Vorsitzender der Katholischen Erwachsenenbildung Hessen

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Religiöse Diversität in der politischen Bildungsarbeit - Empowerment migrantischer Eigenorganisationen - Ein HESSENCAMPUS-Projekt der - KEB ...
Inhaltsverzeichnis

 Kapitel 1                                                            Seite 7

 Religiöse Diversität in der politischen Bildungsarbeit.
 Empowerment migrantischer Eigenorganisationen
 Frank van der Velden

 Kapitel 2                                                          Seite 11

 Islam als Thema der Erwachsenenbildung. Vorschläge für ein
 erweitertes Bildungskonzept
 Gülistan Bağcı, Samet Gülen, Samed Maraşlıoğlu, Esat Öztürk,
 Lisa Thielsch, Frank van der Velden

 Kapitel 3                                                          Seite 17

 Zur Bildungsarbeit im Islamischen Kulturzentrum Limburg
 Imam Esat Öztürk

 Kapitel 4                                                          Seite 20

 Zur kulturellen Teilhabe koptisch-orthodoxer Christ*innen in Deutschland
 Frank van der Velden

 Kapitel 5                                                          Seite 23

 Über die eigene Religion reden. Gespräche mit christlichen und
 muslimischen Migrant*innen
 Lisa Thielsch
Religiöse Diversität in der politischen Bildungsarbeit - Empowerment migrantischer Eigenorganisationen - Ein HESSENCAMPUS-Projekt der - KEB ...
Kapitel 1

Religiöse Diversität in der
politischen Bildungsarbeit                                                                                             Autor: Frank van der Velden

                                                                                                                       Das Hessencampus-­
Empowerment migrantischer Eigenorganisationen                                                                          Projekt 2020 der
                                                                                                                       Katholischen Erwachsenen­
                                                                                                                       bildung Hessen e. V. wurde
                                                                                                                       gemeinsam mit Professor
Ausgangslage                                                treter*innen der bürgerlichen Mitte. Und auch die          Dr. Harry Harun Behr,
                                                                                                                       Professurinhaber für
                                                            religiösen Gemeinschaften, Kirchen- und Moschee-           Erziehungswissenschaft
In religiösen Gemeinschaften wird die Religion ge-          gemeinden selber sind vor dieser Gefahr nicht gefeit.      mit Schwerpunkt
meinsam mit migrierten und geflüchteten Menschen            Häufig ist damit eine ablehnende Haltung verbunden,        Islamische Religions­
                                                                                                                       pädagogik und
gelebt. Dies gilt nicht nur für Muslim*innen oder orie­     die mit stereotypen Zuschreibungen von Gruppen­            Fachdidaktik des
ntalische Christ*innen. Auch 15 % aller Katholik*innen      identitäten agiert. Als »europäisch« behauptete christ-    Islamischen Religions­
in Deutschland sind Migrierte ( im Rhein-Main-Gebiet        liche und jüdische Lebenspraktiken werden ressourcen­      unterrichts an der Goethe
                                                                                                                       Universität Frankfurt am
sogar über 35 %). Dazu kommen die seit 2015 zu uns          orientiert angesehen. Hingegen wird die Religiosität
                                                                                                                       Main durchgeführt. Als
geflüchteten Menschen. Dies bedeutet für alle Reli-         von Menschen, die zu uns aus außereuropäischen             Kooperationspartner
gionsgemeinschaften eine große Diversität. Religion         Krisenlandschaften geflüchtet sind, vorwiegend in          waren der Hessencampus
gibt es also immer nur im Plural ihrer individuellen,       Bezug auf ihr Risikopotential betrachtet. Bei musli-       Limburg-Weilburg und der
                                                                                                                       Arbeitskreis der Muslime
kulturell geprägten Lebenspraktiken.                        mischen Lebenspraktiken gilt dies auch für deutsche        (AdM) Limburg beteiligt.
                                                            und allgemein europäische Muslime.
In Teilen unserer Gesellschaft wird dagegen mit einem
vereinfachenden und verzerrenden, sog. essentialis-         In diesem Kontext fehlt bisher in der gesellschaftspoli­
tischen Religionsbegriff hantiert (»Der Islam«, »Das        tischen Bildung ein Konzept, um Wechselwirkungen
Christentum«). Dieser findet sich explizit in den Partei­   solcher Narrative auf die religiösen Gemeinden wie
programmen populistischer Parteien, wie der »Alter-         auf die Gesamtgesellschaft einzugrenzen und diese
native für Deutschland«, implizit aber auch bei Ver-        Gruppen nach innen (gegen die Nationalisierung und

                                                                                                                                  7
Religiöse Diversität in der politischen Bildungsarbeit - Empowerment migrantischer Eigenorganisationen - Ein HESSENCAMPUS-Projekt der - KEB ...
Ethnisierung der eigenen Religionen) und nach außen      Die wichtige Position der Projektkoordination wurde
    (gegen gruppenbezogene Religionsfeindlichkeit) zu        an zwei Personen anteilmäßig vergeben. Dadurch
    stärken.                                                 konnte diese sowohl gendergerecht als auch kulturell
                                                             divers besetzt werden. Lisa Thielsch (M.Ed. kath. Theo-
    Insbesondere kommen bisher die migrierten und ge-        logie u. a., JGU Mainz) und Esat Öztürk (MA Islam­
    flüchteten Menschen selbst kaum zu Wort, um ihre         wissenschaften, Uni Marburg) nahmen diesen Auf-
    eigenen religiösen und kulturellen Kompetenzen zu        gabenbereich wahr. Die Projektleitung lag bei Dr.
    dokumentieren und als integrative Ressource zu nutzen.   Frank van der Velden (Studienleiter Interreligiöses
    Gegen die gewöhnliche Wahrnehmung sind diese in          der KEB im Bistum Limburg und Islambeauftragter).
    den Herkunftsländern häufig die Grundlage eines
    friedlichen Zusammenlebens unterschiedlicher gesell­
    schaftlicher Gruppen. Und auch in Deutschland kann       Projektziele
    dadurch ein wichtiger Beitrag zum gesellschaftlichen
    Frieden geleistet werden, um mit den diversen religi-    1. Das erste Ziel des Projekts war die Entwicklung
    ösen Identitäten im Land kompetent umzugehen.               eines Bildungskonzepts zum Thema Religiöse
                                                                ­Diversität, das die Bildungsarbeit migrantischer
                                                                 Eigenorganisationen in den Bereich kommunaler
    Projektpartnerschaft und Teilhabe                            Bildungsträger öffnet. Dieses Konzept und seine
                                                                 Bildungsziele sollten von der KEB Hessen e. V.
    Als Kooperationspartner wurde zum ersten Mal eine            ­gemeinsam mit migrantischen Eigenorganisationen
    migrantische Eigenorganisation als zivilgesellschaft-         erarbeitet (Kooperationspartner AdM Limburg)
    liche Repräsentanz der Limburger Muslim*innen                 und von kommunalen Bildungsträgern in Limburg
    eingebunden. Der Arbeitskreis der Muslime Limburg             durch ein Peer-Review begleitet werden (Hessen-
    (AdM) entstand im Jahr 2017 auf Initiative des Lim-           campus Limburg-Weilburg). Das Konzept wird in
    burger Stadtverordneten Hüseyin Kaya (CDU) als ein            der Projektdokumentation dokumentiert.
    Zusammenschluss aus vier islamischen Vereinen und
    Gemeinden in Limburg. Der AdM Limburg hat sich           2. Aus dem Konzept sollten innovative Veranstal-
    zum Ziel gesetzt, in vielfältiger Weise die Zusammen-       tungsformate gemeinsam entwickelt und geplant
    arbeit der Gemeinden zu fördern und gleichzeitig die        werden (zweisprachige Tandemvorträge). Dazu
    gemeinsamen Ziele der in Limburg lebenden Musli-            sollten mindestens 4 migrantische Referent*innen
    me gegenüber verschiedener Gremien, Institutionen           in 2 Tandemteams geschult werden. In diesen
    und öffentlichen Einrichtungen zu vertreten. Der AdM        Teams arbeiten migrierte und geflüchtete Men-
    Limburg ist weiterhin Ansprechpartner für den inter-        schen unterschiedlicher Religionszugehörigkeiten
    religiösen Dialog.                                          zusammen. Diese sollen die Veranstaltungen noch

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im Projektzeitraum erproben und auch dazu ein          die Anschaffung einer digitalen Flipchart und durch
   Feedback von kommunalen Bildungsträgern er-            drei digitale Ersatzveranstaltungen konnten aber
   halten. Nach dem Projektzeitraum stehen die            ­wesentliche Teile der Projektziele gesichert werden.
   entwickelten Formate und die Referent*innen
   sowohl den migrantischen Eigenorganisationen
   selber als auch den kommunalen Bildungsträgern         Der Ablauf der einzelnen Steps
   für Bildungsveranstaltungen zur Verfügung. Auch
   diese Veranstaltungsformate sollten dokumentiert       1. Zwei Werkstattgespräche zur Entwicklung eines
   werden.                                                   Bildungskonzeptes zum Thema Religiöse Diversi-
                                                             tät wurden planmäßig durchgeführt. Für den länd-
3. Ein wesentliches Ziel der zu planenden Bildungs-          lichen Raum geschah dies im Landkreis Limburg-­
   formate ist nicht die Information über Religion,          Weilburg unter Einbindung des Arbeitskreises der
   sondern der kompetente Umgang mit diversen                Muslime (AdM) in Limburg am 02. 07. 2020 mit 6
   religiösen Lebenspraktiken in unserer Gesellschaft.       Teilnehmer*innen. Für die Landeshauptstadt Wies-
   Dazu sollten religiöse Lebenspraktiken migrierter         baden geschah dies am 01. 07. 2020 mit 7 Teilneh-
   und geflüchteter Menschen dokumentiert und in             mer*innen aus sechs unterschiedlichen christlich-­
   geeigneter Form in den Tandemvorträgen thema-             orientalischen Ortsgemeinden.
   tisiert werden. An diesem Punkt waren wir zur
   Sicherstellung der Qualität unseres Projektes auf      2. Ein Fragebogen für qualitative Interviews wurde
   ein Feedback aus den Fachwissenschaften ange-             erstellt und in die Herkunftssprachen (arabisch,
   wiesen. Eine Fachtagung sollte daher den Ertrag           türkisch, eritreisch) übersetzt. 4 migrantische Inter­
   des Projektes im Bereich der pädagogischen Wis-           viewer*innen wurden ausgewählt. Der Frauen­anteil
   senschaften reflektieren. Das Ergebnis war in der         lag bei 75 %.
   Projektdokumentation zu veröffentlichen.
                                                          3. Mit dem aktualisierten Fragebogen fand am
                                                             21. 08. 2020 ein Workshop unter der Leitung von
Planungen in Zeiten der Pandemie                             Gundula Grebner (Hofheim a.Ts.) zur Qualifizierung
                                                             der 4 migrantischen Interviewer*innen im Roncalli-­
Die ursprüngliche Planung sah einen gestuften Ab-            Haus Wiesbaden als Präsenzveranstaltung statt.
lauf des Projekts vor (s. u. Step 1 bis 7), dessen ur-       Im Anschluss begann die Interviewphase, in der
sprüngliche Terminierung im Meilensteinplan in der           bis zum 01. 10. 2020 acht leitfadengestützte Inter-
Fassung vom 13. 02. 2020 vorlag. Durch den ersten Lock­      views geführt werden sollten. Parallel dazu wurden
down im Frühjahr 2020 wurde eine Änderung dieser             die Anleitungen und Übungen zur Transkription
Terminierung notwendig. Dadurch verschoben sich              der Interviews durchgeführt. Dies geschah auf-
die geplanten Meilensteine um mehrere Monate nach            grund der Hygienevorschriften nicht mehr als
hinten. Die neue Terminierung wurde im Meilenstein-          Präsenzveranstaltung, sondern durch Zoom-­
plan in der Fassung vom 31. 03. 2020 noch vor Geneh-         Konferenzen und durch einen zusätzlich angebo-
migung des Projekts bekannt gegeben. Auf dieser              tenen digitalen Workshop am 11. 09. 2020. Die
Grundlage erging der Zulassungsbescheid. In dieser           Durchführung der Interviews konnte jedoch nur
Form konnten alle bis zum 01. 11. 2020 terminierten          in Präsenz geschehen.
Meilensteine (Step 1 bis 4) wie geplant durchgeführt
werden.                                                   4. In weiteren Werkstattgesprächen – am 08. 09. und
                                                             27. 10. 2020 in Limburg mit jeweils 6 Teilnehmer­
Im Oktober 2020 mussten wir aufgrund der ver-                *innen, am 16. 09. 2020 in Wiesbaden mit vier Teil-
schärften Hygienemaßnahmen im Landkreis Limburg-­            nehmer*innen – sichteten die am Projekt betei-
Weilburg sowie im Rhein-Main-Gebiet von reinen               ligten migrantischen Partner*innen die Ergeb­nisse
Präsenzveranstaltungen Abstand nehmen und ent-               aus Step 1 bis 3 und wählten Inhalte für die ge-
wickelten für die ausstehenden Meilensteine daher            planten Tandemvorträge aus.
ein neues, kleineres Setting im hybriden Format. So
wurde für Step 5 das Peer-Review in Limburg als           5. Aufgrund des Lockdown ab November 2020 konn-
Hybrid-­Veranstaltung mit nur 8 Teilnehmer*innen             te die bis zum 01. 12. 2020 geplante Qualifizierung
durchgeführt, und für Step 6 wurde statt der Fach­           von 2 interreligiösen Tandemteams für Vorträge
tagung eine Hybrid-Veranstaltung in Form einer               nicht vorgenommen werden – diese Maßnahme
Fach­exkursion mit max. 10 Teilnehmer*innen ge-              kann nur in Präsenz erfolgen. Die bereits ausge-
plant.                                                       wählten Referent*innen werden nach Projektende
                                                             qualifiziert, je nach den Hygienevorschriften im
Durch den erneuten Lockdown ab November 2020                 Jahr 2021.
wurde die weitere Durchführung auch dieser Hybrid-­
Formate unmöglich gemacht. Größere Teile der Meilen­         Da die Themenauswahl zur Erarbeitung der Tan-
steine von Step 5 bis 7 konnten in dieser Form bis zum       demvorträge aber bereits geschehen war, konnte
Jahresende 2020 nicht mehr erreicht werden. Durch            entsprechend den Zielvorgaben (Step 1-4) zwei

                                                                                                                      9
Religiöse Diversität in der politischen Bildungsarbeit - Empowerment migrantischer Eigenorganisationen - Ein HESSENCAMPUS-Projekt der - KEB ...
Formate von Bildungsveranstaltungen konzipiert              f ür muslimische Teilnehmer*innen solcher Bil-
        werden. Es handelt sich um die folgenden drei                 dungsveranstaltungen
        Veranstaltungen:                                           für nicht-muslimische Teilnehmer*innen solcher
                                                                      Bildungsveranstaltungen
         wei digitale Formate zweisprachiger Vorträge
        Z                                                          für säkulare / konfessionsfreie Teilnehmer*innen
        für Tandemreferent*innen:                                     solcher Bildungsveranstaltungen
         ተዋህዶ ቤተ ክርስትያን ኤርትራ (Die Eritreisch-                 c. einem Vorschlag für ein alternatives Setting sol-
        Orthodoxe Kirchel) »Hüter des Verlorenen Schat-           cher Bildungsveranstaltungen
        zes«: zweisprachiger Vortrag (tigrinya / deutsch)          zur Inszenierung alternativer Diskurse
         ‫ اليوم معنا في أوروبا‬- ‫المسيحية في الشرق األوسط‬          zur Implementierung und Didaktisierung alter-
        (Christen des Orients – gestern dort und heute bei            nativer Bildungsformate zum Thema ­Religion
        uns): zweisprachiger Vortrag (arabisch / deutsch)          zur Nutzung alternativer Bildungsorte zum The-
        »Was uns eint, und was uns trennt. Muslime und               ma Religion
         Nicht-Muslime im Gespräch« – Eine Präsenzver-         d. zwei Niveaukonkretisierungen im Hinblick auf die
         anstaltung zum nachbarschaftlichen Zusam-                geplanten Tandemvorträge:
         menleben von Muslim*innen und Nicht-Mus-                  eine Präsenzveranstaltung zum nachbarschaft-
         lim*innen in Limburg (bei Bedarf zweisprachig:               lichen Zusammenleben von Muslim*innen und
         türkisch / deutsch).                                         Nicht-Muslim*innen in Limburg (»Was uns eint,
                                                                      und was uns trennt. Muslime und Nicht-Muslime
        Diese letztgenannte Veranstaltung ist als Begeg-              im Gespräch«)
        nungslernen von Nachbar*innen / Mitbürger*in-              zwei digitalen zweisprachigen Veranstaltungen
        nen konzipiert und wartet aufgrund des Lockdown               zu kulturellen und religiösen Lebenspraktiken
        noch auf Hygienebedingungen, welche erste                     orientalischer Christ*innen in Deutschland und
        Durchführungen erlauben.                                      in ihren Herkunftsländern.

        Ebenfalls digital wurden wie geplant die Grund-        Diese Grundlagen eines Bildungskonzepts wurden
        lagen eines Bildungskonzepts erarbeitet und von        auf dem Peer-Review am 19. 11. 2020 in Limburg kol-
        der Limburger Gruppe auf einer Hybrid-Veranstal-       legial beraten. Die Schriftfassung (s. u.) wurde von
        tung am 19. 11. 2020 mit 8 Teilnehmer*innen vor-       allen Teilnehmer*innen des Limburger Gesprächs-
        gestellt. Diese Grundlagen wurden durch ein            kreises auf einem Miro-Pad als Autorengemeinschaft
        Peer-Review kommentiert. Als Peers trugen der          erarbeitet und wird im folgenden Artikel dieser Bro-
        Direktor der VHS Limburg-Weilburg (Michael             schüre vorgestellt.
        Schneider) und die WIR-Koordinatorin des Land-
        kreis Limburg-Weilburg (Marie Ostermann) ihr           Ziel (2) konnte in der Pandemie in Bezug auf die Quali­
        Feedback bei, das in den Grundlagen des Bildungs-      fizierung von Tandemteams nicht im Projektzeitraum
        konzepts dokumentiert ist (s. u.).                     erreicht werden (Begründung s. o.). Sehr wohl erreicht
                                                               wurde die Aufstellung von Bildungsveranstaltungen,
     6. Die geplante Fachtagung konnte aufgrund des            die zukünftig von den Tandemteams realisiert werden
        Lockdown ab November 2020 nicht als Präsenz-           sollen. Die Veranstaltung »Was uns eint, und was uns
        veranstaltung stattfinden. Auch die für den            trennt. Muslime und Nicht-Muslime im Gespräch« ist
        14. 11. 2020 angesetzte Ersatzveranstaltung in hy-     als Präsenz-Veranstaltung (Begegnungslernen) kon-
        brider Form (Fachexkursion »Narrative religiöser       zipiert und wartet auf die erste Möglichkeit zur Durch-
        Diversität des christlichen Orients« in Kloster Arn-   führung in Limburg, sobald die Hygienevorschriften
        stein) musste aufgrund der Hygienevorschriften         es zulassen. Die beiden zweisprachigen digitalen
        kurzfristig zweimal abgesagt werden.                   Formate (tigrinya/dt. und arabisch/dt.) wurden von
                                                               den Projektverantwortlichen in einem Probedurch-
     7. Das komplette Ergebnis des Projektes wird mit          lauf vorgestellt und warten nun auf ihre Tandemteams.
        ­ er vorliegenden Broschüre (print- und online-­
        d
        Versionen) dokumentiert.                               Ziel (3) wurde insofern erreicht, als dass die individu-
                                                               ellen religiösen Lebenspraktiken und Formen des
                                                               Umgangs mit ihnen in sieben leitfadengestützten
     Ergebnisdarstellung                                       Interviews dokumentiert und für die Aufstellung der
                                                               beiden o.g. Bildungsformate ausgewertet werden
     Die Ergebnisdarstellung erfolgt anhand der Zielvor-       konnten. Ziel (3) wurde insofern nicht erreicht, als die
     gaben (Kap. Ziele). Das erste Ziel wurde vollständig      Veranstaltung einer Fachkonferenz während des
     erreicht. Die gemeinsam erarbeiteten Grundlagen           Lockdown im November 2020 nicht möglich war.
     für ein Bildungskonzept bestehen aus:
     a. einer kompetenzorientierten Diskussion von Bil-
        dungszielen zum Thema Religion
     b. einer zielgruppenspezifisch differenzierten Prob-
        lemanalyse

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Kapitel 2

© picture alliance – Flashpic | Jens Krick

                                             Islam als Thema der Erwachsenenbildung
                                                                                                                                                               Autoren: Gülistan Bağcı,
                                             Vorschläge für ein erweitertes Bildungskonzept                                                                    Samet Gülen, Samed
                                                                                                                                                               Maraşlıoğlu, Esat Öztürk,
                                                                                                                                                               Lisa Thielsch, Frank van
                                             Bilder von Bildung                                      der Gruppe auch in den Arbeitskreis der Muslime
                                                                                                                                                               der Velden

                                                                                                     Limburg (AdM) hineinwirkt. Innerhalb der lokalen
                                             Mit den Büchern »Das Integrationsparadox« von Alad-     migrantischen Eigenorganisationen tritt so eine jün-
                                             din el-Mafaalani und »Klartext zur Integration« von     gere Generation hervor, für deren Selbstverständnis
                                             Ahmed Mansour wurden im Jahr 2018 zwei sehr un-         »Integration« kein Begriff mehr ist. Für die Fallstudie
                                             terschiedliche Sichtweisen auf das Thema »gesell-       bedeutet dies – im Sinne von Aladdin el-Mafaalani –
                                             schaftliche Teilhabe« vorgestellt. Aladdin el-Mafaa-    eine Teilhabe auf Augenhöhe am gemeinsamen Tisch
                                             lani hat dabei das Bild eines ›Aushandlungsprozess      konsequent anzustreben.
                                             am gemeinsamen Tisch‹ im Kopf, Ahmed Mansour
                                             hingegen das Bild der ›Schulklasse mit gemeinsam        Gleichzeitig wird durch die Zusammensetzung der
                                             eingehaltenen Regeln‹. Wenn diese Bilder auf »Islam     Gruppe eine gewisse Grenze des Vorhabens deutlich:
                                             als Thema der gesellschaftlichen Erwachsenen­bildung«   In ihr sind die Stimmen der sozial Verletzlichen, der
                                             übertragen werden, so stellen sich folgende Fragen:     formal weniger Gebildeten, der Menschen mit eige-
                                             Wo werden die Konzepte und Settings solcher Bil-        ner Flucht- oder Migrationserfahrung, sowie die Stim-
                                             dungsveranstaltungen unter Beteiligung der musli-       men der älteren Generation nicht repräsentiert.
                                             mischen Community ausgehandelt? Oder werden sie
                                             gar nicht ausgehandelt, sondern durch die Regeln,
                                             Bildungsvorstellungen und medialen Diskurse der         Werkstattgespräche
                                             Mehrheitsgesellschaft vorgegeben?
                                                                                                     Zwischen Juli und Oktober 2020 traf sich die Gruppe
                                                                                                     zu drei Werkstattgesprächen, in denen einzelne The-
                                             Die Gruppe der Verfasser*innen                          menblöcke behandelt wurden: Bedarfsanalyse (kom-
                                                                                                     petenzorientierte Frage nach möglichen Bildungs-
                                             Was würde passieren, wenn Mitglieder der lokalen        zielen), zielgruppenspezifische Problemanalyse (wel-
                                             muslimischen Communities selbst die Konzepte und        che Schwierigkeiten haben die einzelnen Zielgruppen
                                             das Setting solcher Bildungsveranstaltungen zum         mit den bisherigen bekannten Formaten und Settings
                                             Thema Islam entwickeln? Dieser Beitrag liefert dazu     von Veranstaltungen?), Vorschläge für ein alternatives
                                             eine Fallstudie. Seine Autor*innen sind überwiegend     Setting von Bildungsveranstaltungen (Wie können
                                             Young Muslim Professionals – junge Akademiker­          bereits existierende Veranstaltungsformate beraten
                                             *innen mit einem lokalen Bezug zum Landkreis            und optimiert werden?). Das erste Werkstattgespräch       Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani
                                                                                                                                                               im Podiumsgespraech zum
                                             Limburg-­Weilburg (Frauenanteil der Gruppe 40 %).       im alten Rathaus Limburg wurde von Ursula Hötter-
                                                                                                                                                               Thema Einwanderung
                                             Koordinator der Gruppe ist Imam Esat Öztürk (Bil-       ges (LEA – Limburger Ehrenamtsagentur) über ein           beim Kirchentag 2019 in
                                             dungs- und Kulturverein Limburg), über den die Arbeit   fachliches Feedback begleitet.                            Dortmund

                                                                                                                                                                           11
Die Ergebnisse wurden protokolliert und zum Entwurf      Frommer Wunsch – oder relevantes
     eines Bildungskonzepts zusammengefasst. Um für           Bildungsziel?
     die endgültige Schriftfassung eine möglichst gleich-
     berechtigte Autorenschaft zu ermöglichen, wurden         Im Peer-Review wurde deutlich, dass sich diese Bil-
     alle Protokolle und Dokumente auf einem Miro-Pad         dungsziele mit den Bedarfen anderer Bildungsträger
     abgelegt. Alle Autor*innen trugen hier ihre persön-      im Landkreis Limburg-Weilburg durchaus treffen. So
     lichen Priorisierungen von Aussagen und Zielen des       betonte Michael Schneider die Bedeutung der Begeg-
     Konzepts ein, korrigierten und ergänzten die Doku-       nung von und mit Menschen aus diversen familiären,
     mente zu eigenen Rechten. Das dadurch entstandene        ethnischen und religiösen Hintergründen in den Kur-
     Textgewebe bildet also den Prozess eines gemeinsa-       sen der VHS. Neben der Vermittlung formaler Kennt-
     men Schreibens ab.                                       nisse, z. B. der deutschen Sprache, nutze man die Ge-
                                                              legenheit, um die Teilnehmenden über ihre Wertevor-
                                                              stellungen, und damit auch über ihre Feiertage und
     Zur Rolle des Peer-Review                                Feste in den jeweiligen Kulturen/Religionen und deren
                                                              Hintergründe berichten zu lassen. Auch Erfahrungen
     Für den Abschluss der Werkstattgespräche wurde ein       von geflüchteten Menschen, ihr Leben vor dem Krieg,
     fachliches Feedback von Limburger Bildungsträgern        das Leiden und der Fluchtweg werden thematisiert.
     erbeten. Anhand des Konzeptentwurfes wurde dabei         Marie Ostermann regte hingegen eine größere Sicht-
     die Frage beraten, ob die Gruppe ihre selbst gesteck-    barmachung der ehrenamtlichen Bildungs- und Sozial­
     ten Ziele konsequent verfolgt hat. Zudem sollte die      arbeit migrantischer Eigenorganisationen an. Von
     Relevanz der Gruppenergebnisse für die Veranstal-        außen sei die intensive Jugendarbeit, Frauenarbeit
     tungsformate anderer Bildungsträger gespiegelt           und Erwachsenenbildung z. B. der Moscheegemeinden
     werden. Dies geschah am 19. 11. 2020 in Form eines       kaum erkennbar. Daher würden diese in der Außen-
     (digitalen) Peer-Review, für das sich Marie Ostermann    wahrnehmung meist auf die Vermittlung von Glau-
     (Koordinatorin des WIR-Projekts im Landkreis Limburg-­   benslehren und -praktiken beschränkt.
     Weilburg) und Michael Schneider (Direktor der VHS
     im Landkreis Limburg-Weilburg) zur Verfügung stell-      Bildungsveranstaltungen zum Thema Islam sollten
     ten.                                                     also die Wahrnehmungskompetenz stärken, um die
                                                              Vielfalt der muslimischen Lebenspraktiken und Ge-
                                                              meinschaften und ihren positiven Beitrag zur Gesamt-
     Bildungsziele und Kompetenzen                            gesellschaft in den Blick nehmen zu können. Sie soll-
                                                              ten weiterhin die kommunikativen Kompetenzen
     Das Thema Religion, insbesondere der Islam, erscheint    stärken, um ein empathisches Interesse zwischen
     in vielen Bildungsangeboten und in ihrer medialen        allen Teilnehmer*innen zu ermöglichen, das einen
     Aufbereitung als Risikofaktor und wird aus einem         kritischen Diskurs durchaus einschließt.
     Blickwinkel der Gefährdung individueller oder gesell-
     schaftlicher Freiheiten in Augenschein genommen.
     Die Autor*innen vermissen dabei den ressourcenori-       Eine zielgruppenspezifisch differenzierte
     entierten Blick auf das Thema: Wir sollten (auch) über   Problemanalyse
     den Nutzen reden, den die Gesellschaft und der Ein-
     zelne durch die Religion, also auch durch den Islam      Nicht-muslimische Teilnehmer*innen solcher
     haben.                                                   Bildungsveranstaltungen
                                                              Die Problemanalyse beschäftigt sich in einem ersten
     Im Kontext solcher Bildungsveranstaltungen sollten       Schritt mit der Frage, was auf Seiten der Nichtmusli-
     muslimische Teilnehmer*innen primär als Menschen         me eine gelungene Kommunikation zwischen den
     und Mitbürger*innen wahrgenommen werden, die             verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Mi-
     eine Religion haben. Häufig werden sie anders herum      lieus zum Thema Religion behindert. Es herrscht oft
     als Vertreter*innen einer Religion wahrgenommen –        wenig eigenes Wissen zum Thema Islam. Die mediale
     und der Mensch verschwindet dahinter. Dabei geht         Behandlung der Thematik und dadurch angeeignetes
     es in solchen Bildungsveranstaltungen nicht darum,       Wissen ist nicht ausreichend und eher ungünstig für
     islamische Lehrsätze zu verteidigen oder bestimmte       einen fundierten Wissenserwerb. Oft wird dort auf-
     individuelle Glaubenspraktiken gegenüber der Mehr-       grund der politischen Aufladung des Themas Islam
     heitsgesellschaft einzufordern. Es soll vielmehr Inte-   sowie der negativen Konnotation einiger Begriffe
     resse am anderen und seiner Religiosität geweckt         (z. B. ‚Kopftuch‘), in erster Linie der Austausch von
     werden, die in ihrer individuellen Vielfalt erfahrbar    vorgefassten Meinungen gesucht. Fraglich ist, wie
     ist. Neugier ist eine gute Voraussetzung für ein sol-    viele Menschen die nächstgelegene Moschee in ih-
     ches Gespräch – und auch Kritik an der Religiosität      rem Umfeld kennen oder wissen, was dort gemacht
     des anderen ist legitim, solange sie mit Empathie        wird? Es kann sicherlich niemandem vorgeschrieben
     verbunden ist. Dafür aber braucht es Übung im Dis-       werden, in eine Moschee zu gehen. Wenn Menschen
     kurs, damit solche Kritik nicht verletzend wirkt, son-   aber durch die Medien mit einem Thema konfrontiert
     dern angenommen werden kann.                             sind und sich darüber Gedanken machen, wäre es

12
zumindest hilfreich, sich persönlich vor Ort mit dem    menschlich vorgegeben ist. Um diese Hindernisse zu
Thema auseinander zu setzen und sachliches Wissen       überwinden oder zu minimieren, würde es aber hel-
anzueignen. Diese persönliche Auseinandersetzung        fen, die meist übersehene Vielfalt wahrzunehmen, die
mit dem Thema fehlt zumeist. Vielmehr erwarten          Individualität und Diversität in der muslimischen Com-
viele Teilnehmer*innen, dass Stereotype und vor­        munity zu erkennen und zu respektieren. So kann man
gefasste Meinungen bestätigt werden. Die Bildungs-      mühelos ein viel besseres Einfühlvermögen gewinnen,
arbeit soll hier mit Veranstaltungen gezielt gegen-     insbesondere um die Menschen einfach persönlich
steuern.                                                zu verstehen. Es geht eigentlich um das Menschliche
                                                        und zweitrangig um das Religiöse. Aber das Mensch-
Der zweite Punkt ist, dass das, was ein*e Muslim*in     liche wird unbewusst in den Hintergrund gestellt und
sagt, automatisch »dem Islam« zugeschrieben wird.       das Religiöse tritt sodann in den Vordergrund.
Die Erklärungen einer ausgebildeten Islamtheologin
oder eines Imams müssen hier aber eine stärkere         Zudem ist die Gleichstellung der islamischen Religion
Aussagekraft haben als die einer muslimischen Einzel­   mit einer auf den Islam bezogenen, politischen Ideo-
person, die in Bezug auf den Islam kein akademisches    logie ein weiteres Hindernis für eine konstruktive
Studium gehabt hat. Überwiegend nehmen viele            Debatte. Der Islam ist ein Glaube und keine Ideologie.
Menschen den Glauben ihrer Eltern oder Vorfahren        Allerdings gibt es Ideologien, die dem Islam zuge-
an, und auch Muslim*innen haben dadurch einen           ordnet werden oder der Islam wird als Grund für diese
vorgegebenen Rahmen, in dem sie ihren Glauben           Weltsicht angesehen. Demokratie und Islam werden
leben. In den Stellungnahmen solcher Personen wird      gegenübergestellt. Dies führt häufig zu einer sehr
auch das, was vielleicht einen kulturellen oder einen   destruktiven Debatte. Demokratie ist kein exklusiv
traditionellen Hintergrund hat, so betrachtet, als ob   »westlicher« Wert. Demokratie ist ein Wert aller und
es notwendig ‚zum Islam‘ gehöre. Dies führt zu einer    für alle. Die Grundannahme, Muslime seien nicht fä-
Verallgemeinerung und häufig zu Stigmatisierungs-       hig für die Demokratie oder demokratiefeindlich, ist
erfahrungen anderer Muslim*innen.                       kontraproduktiv.

Bis zu einem gewissen Grad sind der Austausch von       Im Gegensatz zu einer ergebnisoffenen und sachli-
stereotypen, vorgefassten Meinungen: »Der Muslim        chen Begegnung geht es in solchen Diskussionen zu
ist aber doch so …!« und die Suche nach einer Bestä-    oft darum, Recht haben zu wollen. Dies gilt sowohl
tigung derselben unvermeidbar, weil dieses Verhalten    für Nichtmuslime als auch für Muslime. Mit dieser

                                                                                                                 13
Grundhaltung ins Gespräch zu gehen, erschwert die          bringt später einige Probleme mit sich. Das Selbst-
     Diskussion. Es sollte in erster Linie nicht darum gehen,   wertgefühl ist beeinträchtigt, weil es im frühen Kin-
     sich zu verteidigen, sondern vielmehr zu versuchen,        desalter durch die fehlende Ausdrucksfähigkeit ge-
     den Anderen zu verstehen. Dafür ist es von enormer         schwächt wird. Aber auch durch einige kulturelle
     Bedeutung, in Bildungsveranstaltungen die Situation        Aspekte der deutschen Gesellschaft, die man zuhause
     von »Angriff und Verteidigung« zu vermeiden oder           nicht mitbekommt. Dies bringt eine gewisse Angst
     erst gar nicht herzustellen.                               hervor. Weiterhin gibt es den Aspekt der Vorurteile –
                                                                sowohl aus nichtmuslimischer als auch aus musli­
                                                                mischer Sicht.
     Muslimische Teilnehmer*innen solcher
     Bildungsveranstaltungen                                    All dies führt zu einer Angst vor der Erfolglosigkeit
                                                                des Gesprächs. Fast jede*r hat schon einmal damit
     In einem zweiten Schritt setzt sich die Problem­analyse    schlechte Erfahrungen gemacht, manchmal auch
     mit der Frage auseinander, was auf Seiten der Musli-       Diskriminierungserfahrungen. Es ist somit schwierig,
     me eine produktive Kommunikation behindert. Es ist         auf Vorbehalte oder Vorurteile von Nichtmuslim­*innen
     festzuhalten, dass nach wie vor eine mangelnde             richtig zu reagieren. Zwei typische Verhaltensweisen
     Sprachfähigkeit bei vielen Muslimen, insbesondere          von Muslim*innen, die beide problematisch erschei-
     zum Thema Religion vorherrscht (»Drücke ich mich           nen, sind: Das sich Zurückziehen in die Opferrolle,
     sachlich richtig und verständlich für mein Gegenüber       wenn der Islam unfair angegangen wird. Alternativ:
     aus?«). Die älteren Generationen sind eingewandert         Wenn der Islam unfair angegangen wird, rutscht man
     und hatten beschränkte Möglichkeiten die deutsche          oft in eine Verteidigerrolle. Für Bildungsveranstaltun-
     Sprache zu lernen, da sie sich um Haushalt und Fa-         gen erscheint dieses Problem in Bezug auf Kompetenz
     milie kümmerten oder auch in türkischer Nachbar-           und Auskunftsfähigkeit der muslimischen Teilnehmer­
     schaft nicht Deutsch sprechen mussten.                     *innen äußerst relevant.

     Die bestehende Sprachbarriere auf muslimischer
     Seite ist somit der erste kommunikationshindernde          Säkulare / konfessionsfreie Teilnehmer­
     Punkt. Es fällt vielen Muslimen schwer, türkische oder     *innen solcher Bildungsveranstaltungen
     arabische Wörter ins Deutsche zu übersetzen. Zudem
     reicht eine einfache Übersetzung für das religiöse         Der dritte Teil der Zielgruppenanalyse fragt nach
     Fachvokabular nicht aus. Es sind Definitionen und          Schwierigkeiten im Gespräch mit säkularen/konfes-
     semantische Begriffsfüllungen notwendig. Dies ist          sionsfreien Teilnehmer*innen. Es wird unterstrichen,
     für den Großteil der Muslime nicht möglich, der über       dass der Austausch mit christlichen und jüdischen
     keine fachliche formale Ausbildung verfügt, z. B. weil     Mitbürger*innen leichter fällt, da dort trotz der dog-
     es keinen oder zu wenig islamischen Religionsunter-        matischen Unterschiede die gleiche religiöse Grund-
     richt an den Schulen gibt. Auch in Freitagspredigten,      haltung erwartet wird – im Gegensatz zum Gespräch
     die auf Deutsch gehalten werden, trifft man auf solche     mit atheistischen und agnostischen Teilnehmer*innen,
     Wörter, die nicht einfach ins Deutsche zu übersetzen       in deren Kreisen Religion häufig ein Tabuthema des
     sind. Daher steht die Frage im Raum, wie man diese         säkularen Diskurses ist.
     Begriffe denn überhaupt vermitteln kann. Viele Mus-
     lime empfinden deshalb eine Konversation mit Nicht-        Vernunft und Glaube werden häufig gegeneinander
     muslimen als eine große Hürde.                             ausgespielt. Religion scheint einer Sphäre der Irrati-
                                                                onalität zugehörig, der die rationale Welt entgegen-
     An zweiter Stelle kommt das Wissen über die eigene         steht. Im Gespräch mit säkularen Menschen wird oft
     Religion. Dementsprechend nehmen, wie bereits              eine Infragestellung der Religion erfahren: »Wenn es
     erwähnt, viele Muslime das religiöse Wissen eher aus       Gott gibt, warum gibt es dann so viel Leid auf der
     der Familie und dem erweiterten Haushalt als aus der       Erde?« »Die Religionen waren so oft die Ursache für
     Schule mit. Häufig reicht das für einen gelungenen         Kriege.« »Ich habe an einen Gott geglaubt, jetzt nicht
     Informationsaustausch nicht aus. Viele Muslime sind        mehr. Wie kann man so naiv sein?« Es wird befürchtet,
     nicht in der Lage zu sagen, dass sie kein Wissen ha-       dass manche konfessionsfreie Diskussionspartner­
     ben, wenn sie zum Islam befragt werden. Dies ist ein       *innen daraus eine Abwertung von Religion ableiten
     generelles Problem. Man fühlt sich gezwungen, eine         (nach dem Motto: »Ich bin vom Glauben zum Wissen
     Antwort auf die Fragen zu geben und kann dann              konvertiert«). So wie religiöse Menschen sich in dieser
     nicht einfach sagen, dass er oder sie dazu kein Wissen     Gesprächssituation oft stigmatisiert fühlen, geht es
     hat, zumal wenn Personen mit ‚typischen Merkmalen‘         umgekehrt auch atheistischen und agnostischen
     die Rolle als Expert*in automatisch zugeschrieben          Menschen, die sich in ihrer Nicht-Religiosität ab­gelehnt
     wird.                                                      fühlen. In dieser Situation fehlen häufig die gegen-
                                                                seitige Sensibilität und das Verständnis.
     Ein weiterer wichtiger Punkt: Viele muslimische Kin-
     der wachsen mit zwei Sprachen auf. Im Kindergarten         In der säkularen Gesellschaft gibt es Schwierigkeiten,
     sind sie mit einer neuen Sprache konfrontiert. Dies        Spiritualität, Religiosität und Vernunft miteinander

14
in Harmonie zu bringen. Es fehlt oft an Verständnis,       veranstaltung, in der Referent*innen frontal reden –
was Glaube heute bedeuten kann und die Sensibili-          und der Rest zuhört. Die Tandem- oder Kleingruppen­
sierung für Menschen, die an eine Religion glauben.        gespräche werden dabei um einen vorgegebenen
Welche Religion auch immer diese ist. Für einen ers-       thematischen Inhalt geführt.
ten Zugang zu diesem Thema sind z. B. die Angebote
der vhs Limburg-Weilburg (s. o.), über religiöse Feste     Nicht nur die hohe Theologie, sondern vor allem der
zu sprechen, begrüßenswert. Weiterführend wäre es          gelebte Islam findet in der Veranstaltung Platz. Dies
wünschenswert, diese Veranstaltungen so anzupas-           gibt für viele Menschen die Gelegenheit, an solchen
sen, dass sie auch für ein breiteres Publikum, z. B. für   Veranstaltungen aktiv teilzunehmen. Gemeinsame
Jugendliche, attraktiver werden.                           Betroffenheit im Sinne des kollektiven Gedächtnisses
                                                           zu artikulieren, kann dabei ein guter thematischer
Dennoch fehlt auch hier der gewisse, tiefer gehende        Ansatz auch für Gruppen sein, die noch wenig mitei-
Austausch, der über Sachinformationen hinausgeht:          nander vertraut sind. Zum Beispiel sind wir alle in der
Es wird über die eigenen individuellen Überzeugun-         Corona-Zeit gleichmäßig betroffen und in gleicher
gen nur sehr oberflächlich oder gar nicht geredet.         Weise herausgefordert – etwa was den Besuch von
Über die eigene Religiosität mit nichtreligiösen Men-      Gotteshäusern und das einsame Verbringen von Fes-
schen zu reden, ist häufig aber grenzwertig. Man will      ten und Feiertagen angeht. Dies kann zum Anlass
weder missionieren, noch verletzt werden. Mangels          eines Austauschs genommen werden: Wie bestimmt
einer überzeugenden »Geschäftsordnung« für einen           dies unser Leben? Wie gehen wir damit in unserer
solchen Austausch ziehen sich religiöse Menschen           Glaubenspraxis um?
dann oft aus solchen Diskussionen zurück. Die fol-
genden Vorschläge für ein alternatives Setting möch-
ten eine »Geschäftsordnung« anregen, die Bildungs-         Das Setting: Über Religion reden heißt
veranstaltungen zum Thema Islam für alle genannten         Beziehung gestalten
Zielgruppen – konfessionell gebundene und konfes-
sionsfreie Menschen – angenehm und sinnvoll macht.         Um alternative Diskurse in Bildungsveranstaltungen
                                                           zum Thema inszenieren zu können, werden abschlie-
                                                           ßend Stichpunkte für ein alternatives Veranstaltungs-
Vorschlag für ein alternatives Setting                     design zusammengetragen. Um die Relevanz der
von Bildungsveranstaltungen zum                            einzelnen Punkte zu klären, werden die Kommenta-
Thema Religion                                             re aus dem Peer-review beigefügt.

Um den genannten Schwierigkeiten der Zielgruppen
zu begegnen, empfehlen die Autor*innen nicht die
üblichen Fachvorträge auswärtiger Expert*innen oder
die bekannten konfrontativ aufgestellten Podien.
Vielmehr steht die aktive Begegnung von Nachbar­
*innen und Mitbürger*innen im Vordergrund des
empfohlenen Veranstaltungsdesigns. Es wird versucht,
menschliche Beziehungen und lokale Verortungen
in den Vordergrund zu stellen. Dazu müssen persön-
liche Vertrautheit und eine geschützte Atmosphäre
geschaffen und vertraute Orte genutzt werden.

Um Teilnehmer*innen aus der muslimischen Commu-
nity zu ermutigen, werden idealerweise lokale und
regionale Vertreter*innen der Glaubensgemeinschaften
als Referent*innen eingeladen: Vertreter*innen, die man
persönlich kennt und denen man auf der Straße begeg-
nen kann. Dafür wird vorgeschlagen, dass persönliche
Einladungen in der eigenen Gemeinde hilfreich seien.

Es bietet sich weiterhin an, nicht auf Einzelveranstal-
tungen zu setzen, sondern über eine Reihe von Veran-
staltungen in der Gruppe der Teilnehmer*innen ein
Wir-Gefühl herzustellen. Erst dann wird es möglich sein,
sich persönlich zu öffnen und in die Tiefe zu gehen.

Der persönliche Austausch – in Tandems oder Klein-
gruppen wird gefördert. In einer privaten Atmosphäre
ist die Interaktion viel leichter als in einer Plenums-

                                                                                                                     15
a. Warm werden miteinander, Beziehung steht vor               ( Peer-Comment): Dieses Potenzial von Bildungs-
        dem Reden über Religion. Es muss über das Persön-            veranstaltungen zum Thema Religion sollte für
        liche gehen und es muss sich etwas entwickeln kön-           die Gesamtgesellschaft gesichert werden.
        nen, die Teilnehmer*innen müssen sich Zeit lassen.    f. Entwickeln einer fairen Geschäftsordnung
         (Peer-Comment): Bildungsveranstaltungen zum            Vielfalt von Deutungsmöglichkeiten eines Ver-
           Thema Religion sollten die Teilnehmer*innen               haltens über Mitglieder aus der Community
           in persönlichen Kontakt bringen, um den ein-              klären
           zelnen Menschen hinter den Fremdzuschrei-              Sensibilisierung gegenüber religiösem Mobbing
           bungen zu erkennen (vs. Veranstaltungen über       g. Entwickeln von Routinen (was empfindet der ein-
           »den Islam«).                                         zelne angenehm, was als zudringlich).
     b. Gemeinschaft schaffen in der Nachbarschaft, ge-       h. Beziehung pflegen durch Essen-Teilen (z. B. regel-
        meinsames Tun, Freizeit verbringen, Sport.               mäßiger Apéro nach einer Veranstaltung).
         (Peer-Comment): Bildungsveranstaltungen zum        i. Darüber hinaus ist es wichtig, von diesen positiven
           Thema Religion sollten einen lokalen Impact           Begegnungen zu berichten (z. B. Zeitung, Fern­
           haben (Kristallisationskeime für die Annäherung       sehen, Radio, Social Media, etc.). Denn es braucht
           zwischen unterschiedlichen Menschen, die in           in der öffentlichen Wahrnehmung positive Vorbil-
           der Nachbarschaft, im Fußballverein der Kinder        der, um das Ganze nachahmenswert zu machen.
           etc. zusammenkommen).
     c. Vertrautheit schafft offene Räume, Beziehungen
        und Möglichkeiten                                     Nutzung alternativer Bildungsorte zum
         Essen verbindet, z. B. durch gemeinsames Fasten­
                                                              Thema Religion
           brechen.
         Sich gegenseitig zu den Festen gratulieren (Re-    Neutrale oder vertraute Orte sollten den Vorzug er-
           spekt / Interesse am anderen)                      halten.
     d. Gegenseitiger Respekt in hybriden Konstellationen /    Orte vertrauter Gruppen, z. B. in Kitas / Schulen
        Entwicklung von Hybrid-Kulturen                          (und diese Gruppen als Teilnehmer*innen der Ver-
         (Peer-Comment): Bildungsveranstaltungen zum           anstaltung)
           Thema Religion sind ein Generationenthema.          Hier wäre die VHS als potenzieller Veranstaltungs-
           Es werden andere Diskurse im Freundeskreis            ort gut, da sie »vertraute Gruppen« in Limburg
           bedient als gegenüber Angehörigen der älteren         versammelt (Teilnehmer*innen von Sprachkursen
           Generationen.                                         als potenzielle Zielgruppe)
                                                               Auch die Moschee als gewohnten Bildungsort nut-
                                                                 zen (vertrautes Umfeld macht Mut, etwas zu sagen).
     Vertrautheit und geschützte Atmosphäre
     schaffen
                                                              Die Autor*innen
     a. Daher kleine Gruppen, mehrere Termine
          ( Peer-Comment): Bildungsveranstaltungen zum      Gülistan Bağcı, studiert Biologie, Chemie und Latein
            Thema Religion in kleinen Gruppen sollten ge-     auf Gymnasiallehramt an der Goethe-Universität
            fördert werden (vs. die bereits bestehenden       Frankfurt am Main
            größeren Veranstaltungen mit prominenten
            konfrontativen Podien).                           Lisa Thielsch, studierte Master of Education (kath.
     b. Schaffen eines offenen Raumes für Gespräche.          Theologie u. a.) an der Johannes-Gutenberg-Univer-
         (Peer-Comment): Eine Begegnung mit Glaubens-       sität in Mainz und konvertierte 2018 zum Islam. For-
            und Wertevorstellungen anderer Menschen           schungsinteresse u. a. Empowerment von muslimi-
            erfordert eine geschützte Atmosphäre.             schen Jugendlichen.
     c. Sich gegenseitig zeigen, wie man mit seinen reli-
        giösen Traditionen umgeht                             Samet Gülen, studiert Rechtswissenschaft an der
         (Peer-Comment): Bildungsveranstaltungen zum        Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Daneben
            Thema Religion sollten einzelne Menschen dazu     ehrenamtlich tätig in der Arbeit mit Kindern im res-
            ermutigen, mit anderen Menschen ins Gespräch      sourcen- und defizitorientierten Bereich sowie in der
            zu kommen.                                        muslimischen Jugendarbeit.
     d. Sachwissen über Religion soll mit dabei sein, aber
        interaktive Vermittlung und nicht als frontaler Ex-   Samed Maraşlıoğlu, studiert Wirtschaftsingenieur-
        pertenvortrag                                         wesen an der Technischen Universität in Darmstadt.
         (Peer-Comment): Bildungsveranstaltungen zum
            Thema Religion sollten die Teilnehmer*innen       Esat Öztürk, schloss seine Imam-Ausbildung beim
            aktiv miteinbeziehen.                             Verband der Islamischen Kulturzentren 2008 ab und
     e. Kollektives Gedächtnis als Gegenstand der Veran-      studierte Master Islamwissenschaft an der Philipps-­
        staltung (Bsp. Wir und unsere Nachbarn, als wir in    Universität in Marburg. Er leitet die Bildungsarbeit im
        Deutschland ankamen)                                  Bildungs- und Kulturverein mit Moschee in Limburg.

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Kapitel 3

Zur Bildungsarbeit im Islamischen
Kulturzentrum Limburg                                                                                              Autor: Imam Esat Öztürk

Kurzer Rückblick                                         Öffentlichkeitsarbeit
Der Verein »Bildungs- und Kulturverein Limburg e. V.«,   Regelmäßig besuchen verschiedene Schulen, Kirchen,
unter dem Dach des VIKZ-Bundesverbandes und sei-         Kindergärten und interessierte Personen die Räum-
nes hessischen Landesverbandes dient der umfas-          lichkeiten und der offene Austausch wird angeregt.
senden Glaubensverwirklichung. Zu Beginn der 1980er      Zusätzlich bietet der Verein jedes Jahr am 3. Oktober –
Jahre kamen muslimische, überwiegend türkische           dem Tag der Deutschen Einheit – Moscheeführungen,
»Gastarbeiter« zusammen, mieteten ein Haus im Lim-       Vorträge, Ausstellungen, Informationsmaterialien und
burger Ortsteil Elz und bauten es um in ein Gebets-      Begegnungsmöglichkeiten an, die von vielen Besu-
haus, um dort ihren religiösen Bedürfnissen nachzu-      chern wahrgenommen werden. Dieser bewusst ge-
gehen. Die Angebote Gemeinde nahmen mehr Men-            wählte Termin für den Tag der offenen Moschee soll
schen als erwartet wahr, sodass die Gemeindearbeit       das Selbstverständnis der Muslime als Teil der deut-
im Laufe der Zeit den Bedürfnissen der Muslime           schen Gesellschaft und ihre Verbundenheit mit der
entsprechend ausgebaut wurde. Die Räumlichkeiten         Gesamtbevölkerung zum Ausdruck bringen. Im Fasten­
für die Arbeit der Gemeinde reichten jedoch nicht        monat Ramadan lädt der Verein Interessierte zum
mehr aus. Der heutige Sitz der Gemeinde, das in der      Fastenbrechen ein. Dabei wird zusammen gegessen,
Kernstadt Limburg auf der Westerwaldstraße ansäs-        aber auch über unterschiedliche Themen diskutiert.
sige Haus, wurde 2000/2001 erworben. Die einstige        Es geht darum, den Dialog mit den Nachbarn zu för-
Lagerhalle dort wurde abgerissen und das derzeitige      dern und sie über den Islam zu informieren, dabei
Haus wurde neu gebaut.                                   bestehende Vorurteile über muslimisches Leben und
                                                         Kultur abzubauen, sowie die Gemeinde vorzustellen.
Im Mai 2004 fand die Einweihungsfeier statt. Seitdem
führt die Gemeinde ihre Arbeit fort. Neben der reli-
giösen Gemeindearbeit wurde über die Jahre die           Bildungsarbeit
Notwendigkeit der fehlenden Bildungsarbeit gesehen.
Durch die Umstrukturierung des Bundesverbandes           Zweck des Vereins ist die Förderung der Religion, der
für die selbstständige Gemeinde- und Bildungsarbeit      Erziehung und Bildung, der Jugendfürsorge sowie
wurde der Bildungs- und Kulturverein Limburg e. V.       der Kultur. Soziale, kulturelle sowie religiöse Dienste
                                                                                                                   Imam Esat Öztürk (links)
(BKV) am 12.06.2005 gegründet und kurz darauf beim       gehören zur Gemeindearbeit und die Angebote er-           und Weihbischof Dr.
Amtsgericht Limburg eingetragen.                         strecken sich auf die Bereiche der Jugendförderung,       Thomas Löhr

                                                                                                                              17
der Bildung und Erziehung, sowie der Integration.            Der Verein befindet sich fortwährend im engen Kon-
                          Der Verein setzt insbesondere in den Bereichen der           takt mit Eltern und Erziehungsberechtigten, um in-
                          Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit einen Schwer-            dividuelle Wünsche der Jugendlichen in der Vereins­
                          punkt. Dazu hat der BKV Limburg ein Konzept ent-             arbeit zu berücksichtigen und die Erziehung in der
                          wickelt und führt seine Bildungsarbeit fort.                 Familie zu fördern. Regelmäßig werden mit Kindern
                                                                                       und Jugendlichen altersgerechte Ausflüge veranstal-
                          Das Ziel der Jugendarbeit ist die Förderung der Sprach-      tet, um ihre Umwelt besser kennenzulernen und sich
                          und Schulbildung, die gesellschaftliche Integration          in Limburg heimisch zu fühlen. Dies dient der Erwei-
                          und die Identitätsentwicklung von Jugendlichen. Da           terung ihrer sozialen Kompetenz, Entfaltung ihrer
                          Religion ein wichtiger Bestandteil der Identität ist, ver-   persönlichen Fähigkeiten und zu besseren Integra­tion
                          dient die Orientierungshilfe in religiösen Fragen einen      in die hiesige Gesellschaft.
                          besonderen Fokus. Darüber hinaus brauchen Jugend-
                          liche Gleichaltrige, mit denen sie sich austauschen und      Im Rahmen seiner religiösen Bildungsarbeit bietet
                          gegenseitig unterstützen können. Mit speziellen An-          der Verein für Jugendliche religiöse Unterweisung in
                          geboten trägt der Verein dazu bei, dass die Jugendli-        Form von Wochenend- und Ferienangeboten an.
                          chen zu einem selbstverständlichen Teil der Gesellschaft     Durch die Kombination von religiöser Bildungs- und
                          werden, sich mit den von den Eltern mitgebrachten            Integrationsarbeit möchte der Verein sowohl die
                          Kulturen und religiösen Prägungen weitgehend selbst-         ­religiöse und kulturelle Identität von muslimischen
                          bewusst auseinandersetzen, um sich eine selbst­               Kindern und Jugendlichen als auch deren interkultu-
                          bestimmte Orientierung anzueignen.Durch deutsch-              relle Kompetenz stärken, um Kinder und Jugendliche
                          sprachige qualifizierte Kräfte werden den Jugendlichen        zu befähigen, als aktive Muslime in der deutschen
                          Nachhilfeunterrichte angeboten, Seminare organisiert          Gesellschaft zu leben. Die Zielgruppe für die Wochen-
                          sowie Sportturniere veranstaltet, um ihre Integration         end- und Ferienangebote bilden Kinder und Jugend-
                          sowohl in den Arbeitsmarkt als auch in das soziale            liche zwischen 10 – 18 Jahren. Die Teilnahme ist frei-
                          ­Leben zu erleichtern. In diesem Zusammenhang bietet          willig und setzt das Einverständnis der Eltern sowie
                           der Verein breitflächig schulische Unterstützung für         der Jugendlichen voraus. Neben dem Religions­
                           Jugendliche an (Mo.–Do.: 14.00–17.00Uhr), insbeson-          unterricht stehen verschiedene Kurse wie beispiels-
                           dere Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfe, Deutsch-           weise Einführung in die Koranrezitation und arabische
                           und Computerkurse. Ziel und Zweck dieser Angebote            Phonetik auf dem Stundenplan. Zur Mittags- und
                           ist es, schulische Defizite von Kindern und Jugendlichen     Abendzeit steht den Jugendlichen freie Zeit für
                           auszugleichen, ihre Bildungsentwicklung zu unterstüt-        ­Hobbys und Gruppenaktivitäten zur Verfügung.
                           zen, um ihnen eine qualifizierte berufliche Ausbildung
                           und somit eine bessere Zukunftsperspektive zu er-
                           möglichen. Die Jugendlichen sollen somit zu gesell-         Impact des HC-Projekts 2020 für Arbeit
                           schaftlicher Mitverantwortung und sozialem Engage-          der Moschee
                           ment angeregt werden.
                                                                                       Das Hessencampus-Projekt 2020 ermöglichte der
                                                                                       Moschee und dem Arbeitskreis der Muslime Limburg
Der Verband der Islamischen Kulturzentren e. V. ist eine bereits im Jahr 1973          (AdM) als migrantische Selbstorganisation erstmals
in Köln gegründete islamische Religionsgemeinschaft und ein unabhängi-                 eine Zusammenarbeit auf institutioneller Ebene mit
ger und überparteilicher gemeinnütziger Verein. Ziel und Zweck der Ver-                der Kreisvolkshochschule als Bildungsträger und dem
bandsarbeit des VIKZ ist die religiöse, soziale und kulturelle Betreuung von           Bistum Limburg als Kooperationspartner. Als Vertre-
Muslimen in Deutschland. Weitere Kernaufgabe ist der Einsatz für die Ak-               ter der Moschee und im Namen des Arbeitskreises
zeptanz des Islam und der Muslime als Teil der deutschen Gesellschaft sowie            der Muslime mit dem Hessencampus für die Erarbei-
der interkulturelle Austausch. Hierzu arbeitet der VIKZ als anerkannter Part-          tung eines Bildungskonzeptes mit dem Fokus auf die
ner mit vielen anderen religiösen, gesellschaftlichen und staatlichen Insti-           religiöse Diversität auf Augenhöhe zusammen zu
tutionen der Bundesrepublik Deutschland auf Kommunal-, Landes- und                     kommen, ist ein sehr wichtiger und großer Schritt für
Bundesebene zusammen. Der VIKZ finanziert sich ausschließlich über Mit-                alle Teilnehmenden. Dieser Schritt zeichnet auch den
gliedsbeiträge und Spenden. Ihm sind bundesweit 9 Landesverbände und                   Verein als lokaler Bildungsvermittler und Gesprächs-
ca. 300 selbständige Gemeinden und Bildungsvereine angeschlossen.                      partner aus. Als muslimische Gemeinde im Limburger
                                                                                       Kreis mit einer über vierzigjährigen Geschichte als
Der VIKZ bildet als erster und ältester Dachverband seit den 1980er Jahren             Kooperationspartner für Bildungsvermittlung wahr-
seine Imame und muslimische Theologinnen in Deutschland aus. Diese Ab-                 genommen und ins Bildungsnetzwerk aufgenommen
solventen sind hier in Deutschland sozialisiert und sind der deutschen Spra-           zu werden, verändert das Selbstbild selbstverständ-
che mächtig.                                                                           lich im konstruktiven Sinne. Nicht zuletzt ist diese
                                                                                       Entwicklung auf den Generationenwechsel zurück-
Nach einer Umfrage der Deutschen Islamkonferenz (DIK) fühlen sich 7 %                  zuführen. Seinen Platz als Akteur in der Bildungsland-
der Muslime in Deutschland vom VIKZ, der den drittgrößten Dachverband                  schaft anzutreten, hat sowohl für den Verein und
darstellt, vertreten. Der Anteil der Muslime in Deutschland beträgt ca. 6 %.           seine zukünftige Arbeit eine enorme Bedeutung.
                                                             Quelle: www.vikz.de       Dieses positive Signal ruft eine neue Sicherheit hervor
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