Magazin für faire Arbeitsbedingungen weltweit - Südwind

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Magazin für faire Arbeitsbedingungen weltweit - Südwind
2 /2015

                                                                                                   Magazin für faire Arbeitsbedingungen weltweit
© Christina Schröder

                                                                                                    Thema
                                                                                                    Von guten und bösen Flüchtlingen
                                                                                                    Interview
                                                                                                    Hat Solidarität eine Zukunft?
                                                                                                    Guerilla Aktionsidee
                                                                                                    Im Dienst der Menschlichkeit:
                                                                                                    Die Jean-Monnet-Brücke

                       Südwind Aktuell Nr. 4/2015 · Dezember 2015 · Erscheinungsort Wien · Verlagspostamt 1080 Wien · P.b.b. · Zulassungsnr. 02Z031329M
Magazin für faire Arbeitsbedingungen weltweit - Südwind
Kampagnen dieser Ausgabe                                                                           Zur Zeitschrift

                              Clean Clothes Kampagne                                               Weltverbesser n versteht sich als offenes Medium sowohl für die Kampagnen                                Inhalt
                              für faire Arbeitsbedingungen in der Bekleidungs-                     von Südwind als auch für andere, die sich mit dem Thema faire Arbeits-
                              und Sportartikelproduktion                                           bedingungen beschäftigen (siehe Links). WeltverbesserIn erscheint zwei Mal                               Editorial                                           4
                                   www.cleanclothes.at                                             jährlich (Frühling und Herbst) und wird allen InteressentInnen kostenlos per Post                        Facts                                               5
                                                                                                   zugesendet.                                                                                              Kurzmeldungen                                       6
                              Clean-IT                                                             Personen und Organisationen, die noch nicht in die Verteilerliste aufgenommen                            Thema
                              Kampagne zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen                     sind und die Zeitschrift beziehen wollen, mögen uns dies unter Angabe der                                Von guten und bösen Flüchtlingen                    8
                              in der Computerproduktion                                            Postadresse mitteilen. weltverbesserin@suedwind.at                                                       Interview
                                  www.clean-it.at                                                                                                                                                           Hat Solidarität eine Zukunft?                     12
                                                                                                                                                                                                            „Arbeit, Weisheit und Hingabe“                    16
                              Verantwortliche öffentliche Beschaffung und                                                                                                                                   Aktionen
                              menschenwürdige Arbeit JETZT!                                        Mit freundlicher Unterstützung von                                                                       Kampagnen-Aktionen                                14
                              Initiative zu sozial fairer Beschaffung durch die öffentliche Hand                                                                                                            Guerilla Aktionsidee:
                                   www.fairebeschaffung.at                                                                                                                                                  Eine Brücke nach Europa                           18
                                                                                                                                                                                                            Shopping                                          19
                              Make Chocolate Fair!                                                                                                                                                          Reise
                              Europäische Kampagne für faire Schokolade                                                                                                                                     Forschungsreise nach Brasilien                    20
                                  http://at.makechocolatefair.org                                                                                                                                           Reise ins Ungewisse                               22
                                                                                                                                                                                                            Zum Weiterlesen                                   24
                MAK E FRUIT
                 FAIR!
                              Make Fruit Fair!                                                                                                                                                              Vision
                              Europaweite Kampagne für die Einhaltung von Sozial- und              Diese Publikation wurde mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union und der Österreichischen   Weltverbesserer mit Lebenslust                    26
                                                                                                   Entwicklungszusammenarbeit erstellt. Die darin vertretenen Standpunkte geben die Ansicht der Südwind
                              Umweltstandards im Handel mit tropischen Früchten                    Agentur wieder und stellen somit in keiner Weise die offizielle Meinung der FördergeberInnen dar.
                                  www.suedwind.at/fruechte
                                                                                                                                                                                                             Impressum Verlegerin Südwind
                                                                                                                                                                                                            Herausgeber Südwind Verein für Entwicklungspolitik
                              SUSY                                                                                                                                                                          Redaktion Christina Schröder und Christina Bell (Chef-
                              Europaweite Initiative für Sozial- und Solidarökonomie als                                                                                                                    redaktion), Andrea Ben Lassoued, David Horvath,
                                                                                                                                                                                                            ­Michaela Königshofer, Sabine Klapf, Kathrin Pelzer,
                              Wegbereiter einer nachhaltigen Entwicklung
                                  www.suedwind.at/solidaroekonomie                                 Ihre Spende hilft!                                                                                        Konrad Rehling, Stefan Robrecht-Roller,
                                                                                                                                                                                                             Bernhard Zeilinger.
                                                                                                                                                                                                             Layout Julia Löw, www.weiderand.net,
                                                                                                                                                                                                             Hintergrundmuster www.3achs.net.
                              SupplyChainge - Make Supermarkets Fair!                              Südwind setzt sich für faire Arbeitsbedingungen ein und unterstützt damit                                 Druck Resch, www.resch-druck.at, gedruckt mit
                              Europäische Kampagne für faire Eigenmarken                           unzählige Menschen und Organisationen weltweit in ihrem Engagement für                                    Ökostrom auf FSC-zertifiziertem Papier.
                                                                                                                                                                                                             Anschrift der Redaktion Laudongasse 40, A-1080 Wien
                                  www.suedwind.at/supermaerkte                                     ein menschenwürdiges Leben. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung! Bitte                                  Telefon 01 4055515-0, Fax 01 4055519,
                                                                                                   verwenden Sie den beiliegenden Erlagschein (Rückseite) für Ihre Spende!                                   E-Mail weltverbesserin@suedwind.at.
Magazin für faire Arbeitsbedingungen weltweit - Südwind
4   Editorial                                                                                                                                                                                                F   acts   5

                Liebe Leserin, lieber Leser:                                                     Kinderarbeit nimmt zu                   „Serversklaven“                         Wem der Schuh passt…
                Menschen haben sich schon immer bewegt, auch in Massen. Seit letztem             Obwohl sich Schokoladenindustrie         4,27 Milliarden Euro geben Hoch-       In Auftrag von Südwind untersuchte
                Sommer aber bewegen sie sich auch durch Österreich und sind damit in den         und Regierungen bereits 2001 und         schuleinrichtungen in Westeuropa       das Meinungsforschungsinstitut
                Massenmedien angekommen – um vorerst mal da zu bleiben. Auch uns in              neuerlich 2010 verpflichtet haben,       jährlich für IT-Hardware, Software     Nielsen in 20 EU-Ländern die
                der WeltverbesserInnen-Redaktion beschäftigt das Thema. So haben wir             Maßnahmen zur Reduzierung von            und Dienstleistungen aus. Für die      Ansprüche von KonsumentInnen
                für das Titelbild diesmal einen Koffer als Sinnbild für Ortswechsel gewählt      Kinderarbeit zu setzen, arbeitet         Herstellung der Produkte schuften      bezüglich der Herstellung ihrer
                und mit dem Schild am Henkel die Annahme ausgedrückt, dass das Ziel aller        in der Elfenbeinküste und Ghana          chinesische Studierende in Fabriken    Schuhe. 95 Prozent der 10.000
                Menschen auf der ganzen Welt dasselbe ist: ein gutes Leben.                      jedes dritte Kind zwischen fünf und      von IT-Riesen wie HP, Dell und         Befragten sahen es als Aufgabe der
                                                                                                 17 Jahren im Kakaoanbau. Laut            Lenovo. Das dokumentiert der kürz-     Europäischen Union, Import und
                Inhaltlich berichten wir von denen, die dieses Ziel noch nicht erreicht haben,   einer aktuellen Studie der Tulane        lich erschienene Bericht „Die Ser-     Produktion von Schuhen für den
                von dort, wo Menschen- und Arbeitsrechte mit Füßen getreten werden, wo           Universität aus New Orleans stieg        versklaven“. Tausende Studierende      Europäischen Markt zu regulieren.
                Ausbeutung, Krieg und Armut vorherrschen und dieses gute Leben nicht zu          die Anzahl der KinderarbeiterInnen       werden im Rahmen von „Praktika“        Die Einhaltung von Arbeitsrechten
                führen ist. Von dort, woher die kommen, die es schaffen, sich aufzumachen,       in den beiden Ländern in der Ernte-      gezwungen, unter menschenunwür-        ist für 76 Prozent der befragten
                um ein besseres Auskommen zu finden.                                             saison 2013/2014 um rund 443.000         digen Bedingungen, die gegen           ÖsterreicherInnen wichtig; dicht
                Migration von Arm nach Reich, von Krieg nach Frieden sind weder Natur-           auf den Höchstwert von 2.26 Milli-       ­chinesische Arbeitsrechtsstandards    gefolgt vom Schutz ihrer Rechte als
                gewalt noch Angstgespenst, sondern eine Folge von menschengemachten              onen. Neun von 10 der befragten           und die ILO-Konvention gegen          KonsumentInnen. 70 Prozent der
                politischen und wirtschaftlichen Interessen, die wir nicht einfach hinnehmen     Kinder gaben zudem an, Arbeiten           Zwangsarbeit verstoßen, in Elektro-   ÖsterreicherInnen wären bereit,
                müssen. Wir können gegensteuern, indem wir politisch aktiv werden, das           zu verrichten, die laut den Vereinten     nikunternehmen zu arbeiten. Ver-      10 Prozent mehr für Schuhe bei
                vorherrschende Wirtschaftsmodell und unser Konsumverhalten hinterfragen          Nationen für Kinder verboten sind:      weigern sie das Praktikum, können       deren Herstellung ökofaire Krite-
                und ändern.                                                                      schwere Säcke schleppen, Arbeiten       sie ihr Studium nicht abschließen.      rien erfüllt werden zu zahlen.
                                                                                                 mit Macheten und Hantieren mit          Ähnliche Fälle gibt es auf den Phil-    Den Wunsch nach vertrauensvoller,
                Wie das gehen kann, beschreiben wir in dieser Ausgabe, wie auch in den           Chemikalien.                            ippinen und in Thailand. Solange        unabhängiger Kennzeichnung,
                vorhergehenden und den zukünftigen. Seit 35 Jahren machen wir das im             Die Lage wurde vor allem durch die      ­IT-Firmen keine Verantwortung über-    sowie mehr Information und Trans-
                Rahmen der Südwind Kampagnenarbeit ohne müde zu werden.                          Armut der Bäuerinnen und Bauern          nehmen und nicht gegen Zwangs-         parenz entlang der Produktions-
                Wir wollen bewegen – auch und erst recht in dieser Ausgabe.                      und die Ausweitung des Kakaoan-          arbeit bei ihren Zulieferern vorzu-    kette äußern fast 60 Prozent der
                                                                                                 baus verschärft. Da die Einkünfte        gehen, wird die Ausbeutung der         Befragten. Die Kampagne „Change
                Christina Schröder                                                               der Erwachsenen nicht ausreichen,        Studierenden für die Elektronikaus-    your Shoes“ geht genau in diese
                Chefredakteurin                                                                  müssen auch Kinder mitarbeiten.          stattung europäischer Hochschulen      Richtung. Mehr Infos:
                                                                                                                                          weitergehen.                                www.cleanclothes.at/schuhe
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    Neues aus den Kampagnen

                                                                                                                       © Martin Krennbauer
     MA KE FRUI T
       FAIR!        Make Fruit Fair!        bereits eine Petition mit rund                                                                   Entschädigung für Opfer                                                           gibt es viele, aber sie zu finden
                Die Banane ist die zweit-   50.000 Unterschriften zur Unterbin-                                                              von Rana Plaza                                                                    oder sich ihnen anzuschließen,

                                                                                                                                                                                                                       © CCC
                beliebteste Frucht in       dung unfairer Handelspraktiken an                                                                Beim Einsturz des Rana Plaza-Fab-                                                 kann noch mühsam sein. Die neue
                Österreich, gleich nach     EU-Kommissarin Bienkowska über-                                                                  rikgebäudes in Bangladesch kamen                                                  Südwind-Initiative SUSY – Sustain-
                dem Apfel. Ein Großteil     geben. Aktuell untersuchen wir vor    heimische Schokoladenhersteller                            im April 2013 über 1.100 Men-         Modemarken beharrlich auf, für              able and Solidarity Economy will
                davon wird in Ländern       Ort in Ecuador Arbeits- und           haben bereits versprochen, bis                             schen ums Leben. Zwei Jahre hat es    die Entschädigung der Opfer                 das ändern. Den Anfang macht
    wie Ecuador für den Export ange-        Gesundheitsbedingungen in der         2020 nur mehr nachhaltig produ-                            gedauert bis die 31 internationalen   aufzukommen. Über eine Million              Andreas Exner mit einer aktuel-
    baut und nicht fair gehandelt. Die      Bananenproduktion. 2016 starten       zierte und fair gehandelte Kakao-                          Bekleidungsunternehmen, die dort      KonsumentInnen in ganz Europa               len Feldstudie, die den österrei-
    Verletzung von Arbeitsrechten von       wir mit Politik und Supermarktket-    bohnen zu verarbeiten, einiges                             T-Shirts, Hosen und Jacken nähen      haben dieses Anliegen mitgetra-             chischen Diskurs auf den Punkt
    kleinbäuerlichen ProduzentInnen         ten konkrete Verhandlungen, um        wurde schon umgesetzt: Manner                              ließen, die erforderlichen 30 Mil-    gen. Danke für die Unterstützung,           bringt: Neben der Vorstellung eini-
    und ArbeiterInnen auf Plantagen         Verbesserungen für eine faire Lie-    stellte 2012 die „Mannerschnitte“                          lionen US-Dollar für den Entschä-     sie hat geholfen!                           ger AkteurInnen der Solidarischen
    und mangelhafter Umweltschutz           ferkette zu bewirken. Mehr Infos:     auf UTZ und mit April 2015 die                             digungsfonds aufstellten. Durch          www.cleanclothes.at                      Ökonomie werden Problemfelder
    stehen an der Tagesordnung.                 www.suedwind.at/fruechte          „Casali-Schokobananen“ auf FAIRT-                          eine anonyme Einzahlung konnte                                                    aufgezeigt und Schlüsse gezogen,
    Wenige Fruchtkonzerne und Super-                                              RADE um. Hofer produziert seit                             endlich die Finanzierungslücke von                                                was zu tun ist, um die Solidarische
    marktketten dominieren den Markt                                              2012 großteils nach UTZ Standards                          2,4 Millionen US-Dollar geschlos-                  Solidarökonomie in             Ökonomie in Österreich zu stärken.
    und drücken die Preise. Mit der         19.872 Stimmen für faire Schokolade   und brachte 2015 mit „Gourmet“                             sen werden. Am Tag des Einstur-                    Österreich                     In über 55 Beispielen weltweit
    neuen internationalen Kampagne          Fast 20.000 ÖsterreicherInnen haben   eine Schokolade mit FAIRTRADE-                             zes waren die NäherInnen von den                      Die Wirtschaft ori-         werden solidarökonomische Hand-
    setzt sich Südwind gemeinsam mit        die Forderungen der Südwind-          Zertifizierung auf den Markt. Seit                         Fabrikbetreibern unter Entlassungs-                   entiert sich heute          lungsalternativen aufgezeigt und
    19 Partnerorganisationen in der EU,     Kampagne „Make Chocolate Fair!“       dem Frühjahr 2015 ist das gesamte                          Drohungen gezwungen worden, zur                       mehr denn je an den         deren entwicklungspolitischer Bei-
    Lateinamerika und Westafrika für        unterstützt und somit für einen       Sortiment der Marken „Heindl“ und                          Arbeit zu erscheinen, obwohl das      Bedürfnissen der Unternehmen und            trag hervorgehoben. Das alles und
    faire tropische Früchte ein und for-    Großteil der EU-weit gesammelten      „Pischinger“ und „Heidi Chocolat“                          Gebäude wegen schwerer Baumän-        nicht an jenen der Menschen. Als            noch viel mehr zum Nachschauen,
    dert existenzsichernde Löhne und        116.434 Unterschriften gesorgt.       mit den „Niemetz Schwedenbom-                              gel am Vortag behördlich gesperrt     Alternative dazu wird immer wieder          Nachlesen und Mitmachen gibt es
    faire Preise, die Einhaltung von        Das hat unsere Position gegenüber     ben“, „Manja“ und „Swedy“ auf                              worden war. Die Clean Clothes         der Begriff „Solidarische Ökono-            auf der Webseite:
    Arbeitsrechten und den Schutz der       europäischen Schokoladeunter-         FAIRTRADE-Kakao umgestellt.                                Kampagne forderte in den letz-        mie“ genannt, selten aber genau                 www.solidaroekonomie.at
    Umwelt. Anfang November wurde           nehmen erheblich gestärkt. Viele         http://at.makechocolatefair.org                         ten zwei Jahren die internationalen   definiert. Solidarische Initiativen
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                              Von guten und
                              bösen Flüchtlingen
                              Die Diskussion rund um Flüchtlinge ist
                              geprägt von Metaphern, die an Naturereignisse
                              erinnern und zu hinterfragenden Begriffen wie
                              „Wirtschaftsflüchtling“. Beide verschleiern –
                              bewusst oder unbewusst – globale Realitäten.
                              Von Christina Bell

                              Die Bilder dieser Tage lassen niemanden kalt: Männer,
                              Frauen und Kinder, die bei eisigen Temperaturen und
                              Regen im Freien schlafen müssen. Konvois verzweifelter
                              Menschen, die zu Fuß ganze Länder durchqueren, ihre
                              wenigen Habseligkeiten in Plastiksäcken verstaut. Spä-
                              testens seit Sommer ist die so genannte „Flüchtlings-
                              krise” in Mitteleuropa angekommen. Eine Erholung
                              der Situation? Nicht in Sicht. Während die Regierungen
                              der Nationalstaaten und die EU um Lösungen ringen,
                              stemmt die Zivilgesellschaft den neuen Krisen-Alltag,
                              empfängt, versorgt und verpflegt die ankommenden
                              und durchreisenden Menschen. Gleichzeitig nutzen
                              rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien in ganz
                              Europa die Verunsicherung angesichts der unübersicht-
                              lichen Situation, schüren Angst und Vorurteile in der
                              Bevölkerung und tragen zu Hass und Polarisierung bei.
                              Die ankommenden Flüchtlinge werden in Kategorien
                              eingeteilt: „Gute“ Kriegsflüchtlinge auf der einen Seite,
                              „böse“ Wirtschaftsflüchtlinge auf der anderen. Die
                              Unterscheidung benutzen PolitikerInnen wie Journalis-
                              tInnen, sie fällt auf der Straße und am Stammtisch. Der
© UNHCR /Achilleas Zavallis

                              scheinbar sachliche Begriff „Wirtschaftsflüchtling“ wird
                              dabei oft bewusst verwendet, warnt der Sprachphilo-
                              soph Gerhard Posselt in der österreichischen Tageszei-
                              tung „Kurier“ – um einem großen Teil der Flüchtlinge
                              die Notwendigkeit ihrer Flucht abzusprechen.
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                              Macht der Sprache                                           Neoliberale Logik                                           Löhne, die im Rahmen des „Living Wage Now Forum“
                              Die weit verbreitete Kategorisierung provoziert auch        Menschenrechtsexperte Manfred Nowak lässt in                in Brüssel an PolitikerInnen und VertreterInnen großer
                              Widerspruch. „Die Trennung in Wirtschafts- und              seinem neuesten Buch keinen Zweifel daran, wie es           Bekleidungsfirmen übergeben wurden.
                              Kriegsflüchtlinge ist falsch“, sagt Kilian Kleinschmidt,    dazu kommt: „Die neoliberale Wirtschaftspolitik,            Die Verhältnisse in der Textilindustrie sind nur ein Bei-
                              der lange für die Vereinten Nationen tätig war – zuletzt    die in den letzten Jahrzehnten die Globalisierung           spiel für die Verweigerung von Menschenrechten, die
                              als Leiter des jordanischen Flüchtlingslagers Saatari –     bestimmt hat, stellt die Hauptursache für die wach-         weltweit zu beobachten ist. Die wachsende Ungleich-
                              und nun das österreichische Innenministerium in Flücht-     sende Ungleichheit in der Welt dar“. Die Bekleidungs-       heit des Einkommens und Vermögens geht gleich mit
                              lingsfragen berät. Um zu präzisieren: „Auch Armut ist       industrie illustriert diese Ungleichheit besonders          der Verletzung mehrerer Rechte einher, argumentiert
                              eine Menschenrechtsverletzung.“                             drastisch: Die meisten Modekonzerne lagern arbeits-         Nowak, etwa auf Gleichheit, auf soziale und persönli-
                              Mehr als 60 Millionen Menschen waren laut UN-Flücht-        intensive Produktionsschritte in so genannte Billig-        che Sicherheit, Gesundheit und angemessenen Lebens-
                              lingshilfswerk UNHCR Ende 2014 auf der Flucht. 2015 wird    lohnländer aus, um ihre Kosten möglichst gering zu          standard. Diese Ungleichheit sei kein naturgegebenes
                              diese Zahl weiter steigen – wie und wer welcher Kategorie   halten. Die teils großen Gewinne der Branche stehen         Phänomen, sondern durch bewusste wirtschaftspoliti-
                              zuzurechnen ist, ist noch ungewiss. Die Menschen fliehen    dabei in eklatantem Gegensatz zur Situation der             sche Entscheidungen der Staaten verursacht worden,
                              vor Gewalt, Bürgerkrieg, Elend oder Perspektivlosigkeit.    ArbeiterInnen. Von den 60 Millionen Menschen, die           so der Jurist. Deshalb müsse man auch die Verantwor-
                              Vor menschenunwürdigen Bedingungen, die oft auch mit        laut Schätzungen der Weltarbeitsorganisation ILO            tung für die Folgen tragen.
                              uns zu tun haben. „Der Kapitalismus produziert Flücht-      weltweit in der Schuh- und Textilindustrie arbeiten,
                              linge“, so formulierte es der slowenischstämmige Philo-     erhält kaum wer einen existenzsichernden Lohn. Die          Nicht isoliert betrachten
                              soph Slavoj Žižek kürzlich im Interview mit der deutschen   gesetzlichen Mindestlöhne, egal ob in Asien, Latein-        All dies sollte angesichts der Fluchtbewegungen nicht
                              Wochenzeitung „Die Zeit“. Und konkretisiert: „Wir sind      amerika, Afrika oder Osteuropa, decken meist nur            vergessen werden. Dass Europa und die Welt sich nur
                              mitverantwortlich für die neuen Formen von Sklaverei, die   zwischen 15 und 60 Prozent der täglichen Ausgaben.          auf die Behandlung von Symptomen konzentrieren statt
                              viele Menschen in die Flucht treiben. Man denke nur an      Dies zwingt die ArbeiterInnen vielfach, unmenschliche       Lösungen für menschengemachte Ursachen zu suchen
                              die Fabriken, wo unsere Kleidung genäht wird“.              und gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen zu            greift zu kurz. Die Menschen verlassen ihre Heimat aus
                                                                                          akzeptieren, um sich und ihre Familien zumindest mit        „existenziellen Gründen“, schreibt Migrationsforscher
                              Theorie und Praxis                                          dem Nötigsten versorgen zu können.                          Klaus Jürgen Bade in „Zeit Online“. Eine differenzierte
                              Theoretisch sind globale wirtschaftliche Zusammen-                                                                      Flüchtlingspolitik muss den komplexen Ursachen Rech-
                              hänge bei vielen Menschen angekommen – nicht nur            Systematische Ausbeutung                                    nung tragen – Nur „nach akzeptablen und nicht-akzep-
                              bei interessierten IdealistInnen. Selbst der konserva-      Dabei geht es bei der Entlohnung nicht etwa um freiwil-     tablen Wanderungsmotiven“ zu sortieren sei künftig
                              tive deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller nimmt        lige Verpflichtungen oder Ermessenspielraum der Unter-      nicht zulässig, so Bade. Auch Kilian Kleinschmidt betont,
                              neuerdings öfters Bezug auf die Beziehung zwischen          nehmen. Das Recht auf einen Existenzlohn ist im Artikel     die Welt brauche eine neue Ordnung, da die Fluchtbe-
                              westlichem Konsumhunger und den Ressourcen ande-            23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ver-        wegungen nicht aufhören, sondern – Stichwort Klima-
                              rer Länder, auf Konflikt-Mineralien in unseren Handys,      ankert. Demzufolge hat jeder, der arbeitet, ein Recht auf   flüchtlinge – eher noch zunehmen werden. Gemeinsam
                              auf von Kindern gepflückte Kakaobohnen und Kleidung         gerechte Entlohnung, die eine der Existenz in Würde         müssen wir uns dafür einsetzen, dass diese neue Ord-
© UNHCR /Achilleas Zavallis

                              aus Bangladesch. Er fordert faire Handelsbeziehungen,       sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale        nung weltweit bessere Arbeitsbedingungen und die
                              da derzeit der Wohlstand der Industriestaaten auf der       Schutzmaßnahmen. „Den Näherinnen und Nähern                 Einhaltung der Menschenrechte mit sich bringt. Ange-
                              Ausbeutung der Ressourcen anderer, vor allem Afri-          wird dieses Menschenrecht systematisch verweigert“,         sichts der derzeitigen Situation sollte die Notwendigkeit
                              kas, beruhe. In der Praxis sind wir davon freilich weit     hält Michaela Königshofer, Leiterin der österreichischen    einleuchtender sein als je zuvor: Wo ein menschenwür-
                              entfernt – nicht zuletzt weil die europäischen Staaten      Clean Clothes Kampagne, fest. Europaweit sammelte die       diges Leben und soziale Sicherheit gewährleistet sind,
                              kohärentes Handeln vermissen lassen.                        Initiative kürzlich 150.000 Stimmen für existenzsichernde   müssen sich weniger Menschen auf den Weg machen.
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     Hat Solidarität eine Zukunft?
     Diese Frage stellt sich Paul Singer schon lange.                              darüber zu publizieren. Danach schufen immer mehr         VertreterInnen des Forums machen mehr als die Hälfte
     Er erzählte COSPE, Südwind-Partner der Initiative                             Gruppen von Arbeitslosen ihre eigene Kooperative und      der Mitglieder des Rates aus. Außerdem wird alle vier
     „SUSY – Sustainable and Solidarity Economy“                                   trugen so zur Entstehung der Bewegung der Solidari-       Jahre eine Nationale Konferenz für Solidarische Ökono-
     in Italien, die Erfolgsgeschichte der Solidarischen                           schen Ökonomie in Brasilien bei.                          mie veranstaltet. Sie finden an den verschieden Orten
     Ökonomie in Brasilien. Als brasilianischer                                                                                              des Landes statt, wo das Konzept „Solidarische Öko-
     Staatssekretär für Solidarökonomie ist er ein                                 Solidarökonomie involviert verschiedene Institutionen     nomie“ umgesetzt wird: in Gemeinden, Bezirken, Bun-
     ganz besonderer Teil dieser Geschichte.                                       und Einzelpersonen: Kooperativen, Universitäten,          desstaaten usw. An der letzten Konferenz im Jahr 2014
                                                                                   Konsumentinnen und Konsumenten, etc. Wie können           nahmen fast 20.000 Delegierte teil.
     Was waren die Voraussetzungen für die                                         diese effektiv zusammenarbeiten, um das gegenwär-
     Entwicklung der Solidarischen Ökonomie                                        tige Sozial- und Wirtschaftssystem zu beeinflussen?       Wie beurteilen Sie die momentane Situation der
     in den 1990ern in Brasilien?                                                  2002 wurde Luis Inácio Lula da Silva von der Arbei-       Solidarökonomie in Europa und welche Politik sollte
     Nach der zweiten Ölkrise war Brasilien stark von der                          terpartei PT, der bereits die Solidarische Ökonomie       ihrer Meinung nach implementiert werden, um das
     Erhöhung des Ölpreises betroffen. Die brasilianische                          unterstützte, zum Präsidenten Brasiliens gewählt. Nach    Konzept auf die bestmögliche Art umzusetzen?
     Militärregierung führte damals strikte Sparmaßnahen                           seinem Amtsantritt schuf er 2003 das Nationale Sekre-     Ich weiß nur wenig über die aktuellen Umstände. Aller-
     ein und kürzte sämtliche öffentlichen Ausgaben, um                            tariat für Solidarische Ökonomie innerhalb des Ministe-   dings scheinen sie mir sehr vielversprechend zu sein,
     die Zahlungsfristen der Gläubigerbanken einzuhalten.                          riums für Arbeit und Beschäftigung. Das war das erste     weil sie vor allem junge Leute ermutigen, die bekannt-
     Daraus resultierte eine Wirtschaftskrise: Viele Betriebe                      Mal, dass sich die Bundesregierung zur Unterstützung      lich sehr kreativ sind. Letzten Monat war ich beim Euro-
     mussten schließen und Millionen Menschen wurden                               der Solidarischen Ökonomie entschloss. Zu dieser Zeit     päischen Kongress für Solidarische Ökonomie in Berlin.
     arbeitslos. Sie verloren bald ihre Häuser und in den                          war diese Alternative noch relativ neu und wurde nur      Ich habe viel über Innovationen und Ideen aufstreben-
     Städten schliefen Millionen Familien auf der Straße.                          in sehr weit entwickelten, städtischen Regionen des       der, junger Leute erfahren, die die Mängel des jetzigen
     Öffentliche Institutionen waren darauf nicht vorberei-                        Landes angewandt. Durch das rechtzeitige Eingreifen       Systems zu beheben versuchen. Man muss bedenken,
     tet. Wer zur Hilfe kam, waren Gewerkschaften und die                          von Lulas Regierung wurde die Solidarische Ökonomie       dass die jungen Leute am meisten unter der Arbeitslo-
     Katholische Kirche, etwa durch die Caritas. Mit deren                         zu einer brasilianischen Bewegung. Bei einem Treffen in   sigkeit leiden.
     Unterstützung bildeten ArbeiterInnen einiger Betriebe,                        Brasília mit 800 Delegierten wurde entschieden, dass      Ich denke sowohl in Brasilien als auch in Europa sollten
     die geschlossen werden sollten, Kooperativen. Somit                           für eine Zusammenarbeit mit dem Nationalen Sekre-         wir unsere Unterstützung auf die Jugend konzentrieren,
     konnten sie die Produktionsmaschinen und Produk-                              tariat und der Regierung ein brasilianisches Forum für    die den gegenwärtigen Sozial- und Wirtschaftssystem
     tionsstätten mieten und den Betrieb fortführen. Der                           Solidarische Ökonomie geschaffen wird. Darin können       kritisch gegenüber stehen. Ich glaube, wonach sich die
     Erfolg solcher Projekte motivierte wiederum andere                            Kooperativen, Universitäten, KonsumentInnen, etc.         Jugendlichen am meisten sehnen, sind die klassischen
     dazu, dasselbe zu versuchen.                                                  effektiv miteinander arbeiten.                            Werten der Demokratie: Freiheit, Gleichheit und Brü-
     Damals unterrichtete ich an der Universität São Paulo,                        Abgesehen davon wurde auch der Nationalrat für            derlichkeit. Das Hauptziel, so denke ich, sollte sein,
     aber die Medien veröffentlichten nichts über diese Bei-                       Solidarische Ökonomie, dessen Mitglieder die Zivil-       unsere Bewegungen so demokratisch wie möglich zu

                                                                ©Roberto Barroso
     spiele. Auf Einladung der Caritas erfuhr ich von der                          gesellschaft sowie verschiedene Sektoren der Bun-         machen. Wenn wir das erreichen, wird Solidarität eine
     Situation und entschloss mich, einen Zeitungsartikel                          desregierung repräsentieren, ins Leben gerufen. Die       Zukunft haben.
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14                                                                                                                                                                                                                                Aktionen   15

                                                                                                                                                           D
                                                                                                                                                  AB LE AN    Y
                                                                                                                                         SU ST AIN ITY ECONOM
                                                                                                                                         SOLID AR

     Kreativ aktiv                                             Ausgepresst! Für Fairen Orangensaft                        Lade SUSY zu dir ein!                                    Für Transparenz und faire Schuhe!
     Es gibt viele Wege, um sich für soziale Gerechtigkeit     Durch den Verkauf hauseigener Orangensaftmarken            Ausbeutung, Umweltverschmutzung und Verarmung in         Weißt du, wie deine Schuhe produziert werden? Ob
     und eine bessere Welt einzusetzen. Am Anfang steht        erzielen Supermarktketten in ganz Europa enorme            Billiglohnländern, aber auch bei uns, sind Folgen des    Gift und ausbeuterische Arbeitsbedingungen an
     die Information. Dann versuchen wir, eigene Verhal-       Gewinne. Die Mehrheit der ArbeiterInnen und BäuerIn-       kapitalistischen Wirtschaftssystems. Gleichzeitig ent-   deinen Schuhen „kleben“? Am Schuh selber oder auf
     tensweisen und (Konsum-)Gewohnheiten zu ändern.           nen, die die Orangen dafür großteils in Brasilien ernten   stehen in den letzten Jahren immer mehr Projekte für     der Verpackung sucht man vergeblich nach diesen
     Wir fragen nach Produktionsbedingungen oder nutzen        und verarbeiten, lebt hingegen in bitterer Armut. Darü-    einen nachhaltigen und solidarischen Lebensstil: Haus-   Informationen. KonsumentInnen haben aber ein Recht
     Soziale Medien im Internet, um gegen Unrecht zu pro-      ber hinaus schädigt die Orangensaftproduktion insbe-       und Gartenprojekte, Tauschkreise, Kostnix-Läden,         zu wissen, unter welchen Bedingungen das Leder für
     testieren. Wer noch weiter gehen will, kann sich auch     sondere durch den massiven Einsatz von Pestiziden in       Open-Source-Projekte oder Reparatur-Cafés sind nur       ihre Schuhe produziert wird, welche Giftstoffe darin
     mit anderen zusammentun und sich an Straßenakti-          erheblichem Maße die Umwelt.                               einige Beispiele dafür, dass alternatives Wirtschaften   stecken können und wer unter welchen Bedingungen
     onen beteiligen oder diese sogar organisieren. Dass       Deshalb ist es an der Zeit, dass die Handelskonzerne       immer vielfältiger wird. Und genau dafür interessiert    die Schuhe genäht hat. Wir fordern daher von der EU,
     das nicht nur viel bewirken, sondern auch mit viel Spaß   Verantwortung für die Arbeitsbedingungen und die           sich SUSY, das Maskottchen der neuen Südwind-Initi-      dass SchuhherstellerInnen und –HändlerInnen ein-
     verbunden sein kann, zeigen die Südwind AktivistIn-       ökologischen Auswirkungen in sämtlichen Stufen der         ative „Sustainable and Solidarity Economy“. Um Ideen     fach zugängliche und nachvollziehbare Informationen
     nen jedes Mal aufs Neue. Aktionen sind ein guter Weg,     Lieferkette übernehmen, existenzsichernde Löhne            und gute Beispiele zu sammeln, schicken wir SUSY quer    über die Produktion der Schuhe zur Verfügung stellen
     zum Nachdenken anzuregen oder Unterschriften zu           zahlen und effiziente Kontrollmechanismen einführen.       durch Österreich.                                        müssen. Die gesamte Zulieferkette muss transparent
     sammeln. Wer mehr darüber wissen möchte, findet           Im Rahmen der europaweiten Initiative SUPPLY                                                                        sein: von der Lederherstellung in den Gerbereien über
     Berichte und Fotos auf dem AktivistInnen-Blog unter       CHA!NGE wurde eine Petition an europäische Super-              Du kennst ein Projekt, von dem auf www.soli-         die Schuh-Fabriken bis zum Ladentisch. Dafür machen
     suedwindaktivistinnen.org                                 märkte gestartet. Die gesammelten Unterschriften               daroekonomie.at erzählt werden soll? Hol dir         wir uns mit unserer App „Change your Shoes“ auf zu
     Wer selbst Aktionen initiieren möchte, findet einen       werden dann zentralen VertreterInnen der Branche               die SUSY aus Karton bei der nächst gelegenen         einem virtuellen Marsch in Richtung Brüssel. 11 Millio-
     Leitfaden im neuen Methodenhandbuch zum Globalen          überreicht.                                                    Südwind Regionalstelle ab. Stell uns das Pro-        nen Schritte haben wir bereits alle zusammen gemacht
     Lernen. In einem eigenen Kapitel steht dort eine einfa-                                                                  jekt und die Menschen dahinter mit einer kurzen      und täglich setzen mehr Menschen starke Zeichen –
     che Schritt-für-Schritt Anleitung bereit. Nutzt sie und       Unterstütze unsere Petition an Europäische                 Beschreibung vor, mach ein gemeinsames Foto          und Schritte.
     werdet kreativ aktiv!                                         Supermärkte und engagiere Dich für fair und                mit SUSY und schick beides an sabine.klapf@
     Download unter        www.suedwind.at/jugendarbeit            nachhaltig produzierten Orangensaft!                       suedwind.at (max. 1000 Zeichen, plus Adresse,            Mach mit und hol dir
                                                                   Die genauen Forderungen und die Petition                   Kontakt und Weblink).                                    die App im Apple- oder
     David Horvath                                                 findest du unter                                           Mehr Info findest du unter                               „Googleplay“-Store
     Südwind AktivistInnen-Koordinator                                 supplychainge.org/                                          www.solidaroekonomie.at                             oder auf
                                                                       kampagne-at/ausgepresst                                     –> In deiner Nähe                                       www.cleanclothes.at
Magazin für faire Arbeitsbedingungen weltweit - Südwind
16                                                                                                                                                                                                                                                            Interview   17

                                                                                                                         © Julia Löw
                                                                                                                                                   zum Einkaufswagen. Die großen Supermarktketten               Die Banane war in der Vergangenheit immer
                                                                                                                                                   haben heute so viel Macht wie nie zuvor. Es wird sich        wieder auch Gegenstand von Kämpfen, vor allem
                                                                                                                                                   nichts ändern, solange diese nicht gebrochen wird,           einiger lateinamerikanischer Länder gegen die USA.
                                                                                                                                                   vor allem auch durch die Konsummacht der Menschen            Ist die Banane eine Art Symbol?
                                                                                                                                                   im Supermarkt!                                               Für uns ist die Banane ein Symbol für permanenten
                                                                                                                                                                                                                Kampf. Außerdem hängen etwa in Ecuador zweieinhalb
                                                                                                                                                   Was braucht es, damit sich die Bedingungen                   Millionen Menschen von der Banane ab, sie ist ein wich-
                                                                                                                                                   in der Branche bessern?                                      tiger Wirtschaftsfaktor. Wenn wir als kleiner Akteur
                                                                                                                                                   In Ecuador gibt es eine Absichtserklärung der Regierung      durch internationale Politik bedroht werden, müssen
                                                                                                                                                   für mehr fairen Handel. Das ist ein guter Anfang, aber       wir uns wehren, oft wie David gegen Goliath. Aber wir
                                                                                                                                                   wir bräuchten ein Gesetz. Darüber hinaus ist die öffent-     sind viele Davide auf der Welt, die gegen Goliath
     „In einer Banane steckt

                                                                                                                         © Peter Tuma /FAIRTRADE
                                                                                                                                                   liche Beschaffung ein großes Thema. Wir hoffen, dass         kämpfen. Das darf man nicht vergessen.
                                                                                                                                                   der Staat künftig den ganzen Bedarf an Bananen für die
     Arbeit, Weisheit und Hingabe“                                                                                                                 Schulen aus fairer und biologischer Produktion deckt.        Schon in den 1970ern wurde versucht, Bewusst-
                                                                                                                                                   International müssen wir uns vor allem auf die Konsu-        sein für die Ausbeutung in der Bananenproduktion
                                                                                                                                                   mentinnen und Konsumenten konzentrieren. Sie                 zu schaffen. 40 Jahre später hat sich nicht allzu viel
                                                                                                                                                   müssen ganz klar zwischen den angebotenen Früchten           verbessert. Wird man da nicht müde?
                                                                                                                                                   unterscheiden können, und wissen, dass hinter einer          Ja natürlich, aber es geht ums Überleben. Das heißt,
                                                                                                                                                   Fairtrade-Banane ein sozialeres, humaneres und               wir werden weitermachen. Klar wäre es ideal, wenn die
     Das Geschäft mit Bananen ist hart. Kleinbäuerliche           werden, aber die Nachfrage entwickelt sich nicht so                              umweltfreundlicheres Konzept steht. Sie müssen die           ganze Welt fairen Handel betreiben würde – aber das
     ErzeugerInnen haben es besonders schwer, dem Konkurrenz-     schnell. Die größte Herausforderung ist, die Lebensbe-                           Gewissheit haben, mit diesem Produkt die Lebensbe-           ist eine Utopie. Aber wir haben schon viel erreicht,
     und Preisdruck von Großkonzernen und Supermarktketten        dingungen für möglichst viele zu verbessern.                                     dingungen von vielen Familien zu verbessern. Stellen         trotz all der Schwierigkeiten. Es geht um Ideale, die
     standzuhalten. Joaquín Vásquez, Präsident des ecuadoria-     Und es geht darum, auf Basis des fairen Handels ein                              Sie sich vor, was wir weltweit alles erreichen könnten,      kann man nicht so einfach aufgeben.
     nischen Kleinbauern-Dachverbandes UROCAL, sprach mit         System nachhaltiger Bananenproduktion aufzubauen –                               wenn jede Europäerin und jeder Europäer im Jahr 40
     Christina Bell über Fortschritte und Rückschläge.            in Ecuador und in der ganzen Welt. Das heißt gerechte                            Euro für Fairtrade-zertifizierte Produkte ausgeben           Wenn Sie an alle, die in Österreich eine Banane im
                                                                  Bedingungen für alle in der Produktionskette sowie                               würde. Allerdings müsste auch die Politik steuernd ein-      Supermarkt kaufen, eine Botschaft richten könnten,
                                                                  eine faireres Verhältnis zwischen Produktions- und Ver-                          greifen, indem sie die Dynamik des fairen ­Handels           wie würde sie lauten?
     Was sind die größten Herausforderungen für                   kaufspreis. Hier haben wir noch viel Arbeit vor uns: Der                         unterstützt. Das ist ein wichtiger Faktor im Kampf           Eine Banane ist eigentlich ein sehr komplexes Produkt:
     Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Ecuador?                  Verkaufspreis einer Banane in Europa ist niedriger als                           gegen die Armut.                                             man muss sich vorstellen, was sie alles erlebt von der
     Die Bedingungen in der Bananenproduktion sind hart. Im       er sein sollte. Das verursacht viele Probleme. Jeder will                                                                                     Ernte bis zur Ankunft in Europa. Es steckt viel Arbeit
     konventionellen Anbau geben viele kleine Produzentin-        für sich so viel wie möglich herausholen, dem Arbeiter                           Kann man in Quito im Supermarkt fair                         und Weisheit dahinter. Und viel Hingabe. Daran sollte
     nen und Produzenten auf, da sie nicht mehr davon leben       als letztem Glied in der Kette bleibt nur Ausbeutung.                            gehandelte Produkte kaufen?                                  man denken, wenn man eine Banane kauft und sie ver-
     können. Fairer Handel verbessert die Situation, ist aber                                                                                      Biologisch angebaute Produkte kann man kaufen, fair          antwortungsvoll konsumieren.
     auch nicht die alleinige Lösung: Von unseren 620 Gesell-     Wer steuert die Preise?                                                          gehandelte kaum. Es gibt ein paar Heilpflanzen, vielleicht
     schaftern sind derzeit nur 140 in den Fairen Handel invol-   Die Supermärkte. Sie entscheiden, sie kontrollieren                              noch Schokolade. Ich glaube, die haben Leute aus Europa      Weiter Informationen:  www.makefruitfair.org
     viert. Viele Familien wollen Teil des Fairtrade-Systems      ­Einkaufs- und Verkaufspreise, von der Plantage bis                              mitgebracht. Die Idee muss sich hier erst verbreiten.           www.suedwind.at/fruechte
Magazin für faire Arbeitsbedingungen weltweit - Südwind
18         Aktionen                                                                                                                                                                                                                                               19

                                                                                                                                                                                                                                                         S hoppin
                                                                                                                                                                                                                                                                    g

                      Guerilla Aktionsidee

                      Im Dienst der Menschlichkeit: Die Jean-Monnet-Brück        „Wienwoche“ – beworben. Auch erste bauliche Maß-

                                                                                                                                                                                                                             © ChristophSchnabl
                      „Die Humanität der Europäischen Union ertrinkt in den      nahmen wurden verkündet : „Da die Menschheit nicht
                      Opferzahlen des 21. Jahrhunderts.“ So erklärt das Berli-   auf die Fertigstellung der Brücke warten kann, hat das
                      ner Künstlerkollektiv „Zentrum für politische Schönheit“   Zentrum für politische Schönheit die erste von 1.000
                      seine Aktion, die Ende September in Österreich für Auf-    Rettungsplattformen als Ad-hoc-Maßnahme fest im                                       Kraftstoff für Nähideen                                                    Taiwishi
                      sehen sorgte. Um „dem sinnlosen Sterben im Mittel-         Mittelmeer verankert; ausgestattet mit Notruftelefon,
                      meer ein Ende zu bereiten“ – ließ man österreichische      Rettungsringen, Positionslichtern, Photovoltaikanlage       Biostoffgeschäft und Nähladen in einem: In Wels, direkt      „May the wind always be at your back”, ein keltischer
                      AkteurInnen ein fiktives „Jahrhundertwerk                                  (…).“ Die ins Netz gestellten Bilder tru-   an der Westbahnstrecke beim Bahnhof, kann man sich           Spruch der Seefahrern auf See mitgegeben wurde, ist
                      der Humanität“ leisten: In einem eigens                                    gen die Botschaft: „Danke, Österreich!“     stundenweise in die Nähwerkstatt einmieten oder einen        der Grundstein von Taiwishi. Die Designs für Shirts,
                      produzierten Video erklärt ein angebli-                                                                                der zahlreichen Näh-Workshops besuchen. Biostoff für         Hoodies, Beanies, Taschen, Rucksäcke und Schmuck
                      cher Christian Konrad, Flüchtlingskoor-                                    Das Kollektiv, nennt die Aktion einen       die Nähideen gibt es in Hülle und Fülle: Von Jersey,         sind allesamt selbst entworfen, inspiriert von meteo-
                      dinator der österreichischen Regierung,                                    „Denkanstoß für das, was möglich            Plüsch und Frottee bis zu Leinen, Canvas und Wollstof-       rologischen Wind- und Wettersymbolen, produziert
                      als Stimme aus dem Off man wolle eine                                      wäre, wenn wir unsere Kapazitäten in        fen ist alles da und fachliche Beratung gibt es noch dazu.   ist alles fair und nachhaltig. Der Heimathafen ist in der
                      230 Kilometer lange Brücke als sicheren                                    den Dienst der Menschlichkeit stellten.“    www.kraftstoff.co.at                                         Wiener Kirchengasse 43: www.dock7.at
                      Fluchtweg von Tunesien bis Sizilien bauen                                  Reaktionen Christian Konrads oder der
                      und beweisen, dass die Alpenrepublik über den Teller-                      Bundesregierung sind leider keine
                      rand schauen kann. Unterstützt werde man vom Bauun-                        bekannt.
                      ternehmen STRABAG sowie den Raiffeisenbanken.
                                                                                 Das Berliner „Zentrum für Politische Schönheit“, seines
                      Utopie als Realität                                        Zeichens „Sturmtruppe zur Errichtung moralischer
                      Die Brücke nach Europa wurde mittels Pressearbeit          Schönheit, politischer Poesie und menschlicher Groß-
                      – als Absender diente Christian Konrad, die österrei-      gesinntheit“ ist bekannt für politische Aktionskunst.
                      chische Bundesregierung, das ZPS und das Festival          www.politicalbeauty.de                                                                Spielereien                               © Think Schuhwerk GmbH                Denkbar gute Schuhe

                                                                                                                                             Spielzeug „Made in Europe“, zum Beispiel aus Frank-          Die „Chilli Schnürer“ des oberösterreichischen Unter-
© Alexander Lehmann

                                                                                                                                             reich, Holland und Spanien, gibt es seit Juni im ober-       nehmens Think! sind die ersten Schuhe, die mit dem
                                                                                                                                             österreichischen Ottensheim. Vom zwei Meter langen           Österreichischen Umweltzeichen ausgezeichnet
                                                                                                                                             Puzzle über Spieluhren, die aus Stoff-E-Gitarren             wurden. Das Modell besteht aus chromfrei gegerb-
                                                                                                                                             tönen, bis zu Kaleidoskopen und temporären Piraten-          tem Leder und einer Latexsohle. Darüber hinaus setzt
                                                                                                                                             Tattoos reicht das kunterbunte öko-faire Angebot,            das Gütesiegel hohe soziale Standards voraus, wie
                                                                                                                                             das Kindern und Erwachsenen Freude macht und die             die Bezahlung eines existenzsichernden Lohns für die
                                                                                                                                             Kreativität anregt. www.spielereien.at                       NäherInnen. www.thinkshoes.com
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     Forschungsreise nach
     Brasilien

                                                                                                                                                                                                                                                © LeuboltStelczenmayr
     Von einer Forschungsreise nach Brasilien
     rund um das Thema „Solidarische
     Ökonomie“ berichtet Bernhard Leubolt von der
     Wirtschaftsuniversität Wien.

     Zwei wissenschaftliche Projekte, eine Freistellung für   als Reaktion auf die Schuldenkrisen der 1980er und           über elf Millionen Menschen, die täglich etwa 20.000      GesprächspartnerInnen diese. „Es gibt keinen Chef,
     Forschungszwecke seitens der Wirtschaftsuniversität      1990er Jahre und den daraus resultierenden Anstieg der       Tonnen Müll produzieren. Die Stadtverwaltung kann         also müssen wir das gemeinsam lösen“, erklärten sie
     Wien und eine Einladung als Gastwissenschafter an        Arbeitslosigkeit. Solidar-ökonomische ‚Kooperativen‘         aktuell nicht einmal zwei Prozent dieses Mülls wieder-    uns in Interviews die Wichtigkeit ihres wöchentlichen
     der renommierten Universität von Campinas führten        wurden als Möglichkeit begriffen, gleichzeitig soziale und   verwerten. Diese Lücke wird teilweise von den Mate-       Plenums. Gleicher Lohn auf Basis der verrichteten Stun-
     mich im Mai 2015 nach Brasilien. Das von der EU-Kom-     ökonomische Exklusion zu bekämpfen. Brasilien gilt als       rialsammlerInnen aufgefüllt. Neben dem Beitrag zum        den ist auch selbstverständlich in der mehrheitlich aus
     mission geförderte Projekt „ImPRovE“ untersucht u.a.     „Vorreiterin“, 2003 wurde dort sogar ein eigenes „Staats-    Umweltschutz ermöglichen sie auch soziale Inklusion.      Frauen zusammengesetzten „Coopamare“.
     den Beitrag von sozialer Innovation zu Armutsbekämp-     sekretariat für solidarische Ökonomie“ gegründet, das        Trotz der Verbesserungen durch die solidarische Öko-      Obwohl es weiter Vorurteile gegen die Materialsamm-
     fung. Gesucht werden neue Wege der Zusammenarbeit        vom in Österreich geborenen emeritierten Universitäts-       nomie bleibt die Arbeit relativ prekär und das Einkom-    lerInnen gibt, hat sich die gesellschaftliche Wahrneh-
     von Staat, Unternehmen und Zivilgesellschaft bei der     professor Paul Singer (siehe Interview auf Seite 12)         men ist trotz Verbesserungen weiterhin relativ niedrig.   mung gebessert. Die Kooperativen erhalten auch
     Lösung gesellschaftlicher Probleme. Das zweite Projekt   geleitet wird, der seit 2009 Träger des Großen Ehren-        In den Interviews hoben die Beteiligten aber als wich-    staatliche Unterstützungen, damit sie ihre Arbeit unter
     wird auch von der EU-Kommission gefördert und u.a.       zeichens für Verdienste um die Republik Österreich ist.      tigsten Punkt die Steigerung der Würde hervor. Bei        besseren Bedingungen fortsetzen können. Denn ihr
     von „Südwind“ geleitet. “SUSY – Sustainable and Soli-    Als „good practice“ wählten wir die MaterialsammlerIn-       einem gemeinsamen Interviewtermin, siehe Foto, bei        Beitrag zur Entwicklung ist enorm – verbinden sie doch
     darity Economy” geht der Frage nach möglichen Wech-      nen. Dabei handelt es sich um eine besonders margi-          Paul Singer bestätigten das auch die renommierte bra-     soziale Inklusion mit einem wichtigen Beitrag zur ökolo-
     selwirkungen zwischen Entwicklungspolitik und sozialer   nalisierte Gruppe von Menschen, die vom Einsammeln           silianische Expertin für Mülltrennung und soziale Bewe-   gischen Nachhaltigkeit. „Soziale Inklusion + Demokra-
     und solidarischer Ökonomie nach. In 46 europäischen      verwertbarer Materialien aus dem Müll und ihrem Wei-         gungen, Elisabeth Grimberg und der „Coopamare“-           tisierung + Umweltschutz“, eine „Formel“, die auch für
     und 9 außereuropäischen Länder werden „Good              terverkauf leben. Diese Menschen sind oft besonders          Aktivist der ersten Stunden und nationale Vertreter       Europa interessant ist.
     practice“-Modelle gesucht. Mit lokalen PartnerInnen –    stigmatisiert, da sie mit Alkohol- und Drogenmissbrauch      der MaterialsammlerInnen, Eduardo Ferreira.
     dem Professor für Politikwissenschaft Wagner Romão       und einer besonders schmutzigen Arbeit assoziiert wer-       Auch vor Ort, im Umgang mit den MaterialsammlerIn-        Weiterführende Infos
     und der Filmemacherin Florence Rodrigues – durfte ich    den. In Brasilien wurden die ersten Kooperativen der         nen der „Coopamare“, waren die demokratische Selb-        ImPRovE – Forschungsprojekt der Europäischen
     Brasilien beforschen.                                    MaterialsammlerInnen im Jahr 1989 gegründet. Die Pio-        storganisation und das neue Selbstbewusstsein der         Kommission zu sozialer Innovation:
     Die Bewegung der solidarischen Ökonomie setzt auf        nierin, „Coopamare“, entstand in São Paulo.                  lange Zeit marginalisierten Menschen beeindruckend.       http://improve-research.eu
     betriebliche Selbstverwaltung, gegenseitige Unterstüt-   Der Beitrag der MaterialsammlerInnen zu nachhaltiger         Trotz teilweise fehlender Kenntnisse abstrakter Kon-      SUSY – Sustainable and Solidarity Economy:
     zung und Demokratie. In Brasilien etablierte sie sich    Entwicklung ist enorm. In São Paulo leben aktuell etwas      zepte wie der solidarischen Ökonomie praktizierten alle   www.solidarityeconomy.eu
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                                                                                                                                                         Emmanuel Mbolelas Reise zum Nachlesen
                                                                                                                                                         Emmanuel Mbolela
                                                                                                                                                         Mein Weg vom Kongo nach Europa, Zwischen Widerstand, Flucht und Exil
                                                                                                                                                         Mandelbaum Verlag, 4. überarbeitete Auflage 2015
                           Reise ins Ungewisse                                                                                                           Das Buch von Emmanuel Mbolela soll auch dazu dienen, Debatten
                           Emmanuel Mbolela wurde als politisch aktiver Student in der                                                                   anzustoßen. Wir freuen uns daher über Rückmeldungen und Einladungen
                           Demokratischen Republik Kongo verfolgt und musste 2002 aus seiner                                                             zu Lesungen und Diskussionen mit dem Autor – auch an Schulen und
                           Heimat fliehen. Nachdem er die Sahara durchquert hatte, saß er vier                                                           anderen Bildungseinrichtungen.
                           Jahre in Marokko fest. 2008 erhielt er Asyl in den Niederlanden. Hier                                                         Bitte wenden Sie sich an den Übersetzer des Buches Dieter Alexander Behr:
                           ein Auszug aus seiner Geschichte:                                                                                             da.behr@reflex.at

     „Die Reise von Algerien nach Marokko war keines-            im Fastenmonat Ramadan befanden. Er forderte uns          Zum Glück tauchte schließlich das Auto unseres Fah-      heraus, dass es sich bei den jungen Leuten um Sub-
     wegs so einfach, wie man denken möchte – sie erfor-         auf, in einem Hotel zu warten. Meine drei Mitreisen-      rers auf. Er hupte, wir eilten zu dem Wagen und stie-    saharier handelte. Sie begrüßten uns auf Lingala und
     derte penibelste Vorbereitungen. Man musste zunächst        den hatten dafür aber nicht genug Geld. (…) Schließlich   gen ein. (…) Unterwegs erzählte uns unser Fahrer – er    begannen uns zu erklären, wie wir die Grenze nach
     warten, bis der Chairman einen Konvoi zusammenge-           brachten wir ihn dazu, uns bis zu einem Wald am Stadt-    mochte um die fünfzig sein –, dass er schon seit fünf-   Marokko überqueren sollten. Sie wiesen uns darauf
     stellt hatte. Mindestens vier Personen mussten sich zur     rand zu fahren. Dort sollten wir uns verstecken und bis   zehn Jahren als Schlepper zwischen Algerien und          hin, dass die Straßenlaternen auf der algerischen Seite
     Reise angemeldet haben. (…)                                 zum Abend auf ihn warten. Der Fahrer bestand darauf,      Marokko arbeiten würde (…) Später, als ich in Rabat      weiß, auf der marokkanischen Seite hingegen rot seien.
     Eines Sonntags, gegen 21 Uhr, kam der Chairman, um          dass wir uns auf den Boden legen sollten, um nicht von    angekommen war, sollte ich feststellen, dass ihn alle    Dann gaben sie uns Anweisungen, was wir beim Mar-
     mich nach Dely Ibrahim mitzunehmen. Von dort sollte         den Polizeihelikoptern, die die Region nach Terroris-     meine FreundInnen kannten und dass er unter ihnen        schieren zu beachten hätten und wie wir uns verhalten
     die Reise losgehen. Ein Taxi brachte uns um 4.30 Uhr        ten absuchten, entdeckt zu werden. Man darf sich den      einen guten Ruf genoss. So waren wir unterwegs Rich-     sollten, wenn wir von Gewalttätern oder von der Polizei
     morgens zum Bahnhof von Algier. Wir waren eine              Wald, von dem ich hier spreche, nicht wie einen Wald      tung Marokko. Wir wurden von unserem Fahrer ange-        überrascht würden. So brachen wir Richtung Oujda auf.
     Gruppe von drei Kongolesen und einem Nigerianer.            vorstellen, wie man ihn im holländischen Nunspeet         wiesen, seinen Instruktionen punktgenau zu folgen.       Wir gingen einer hinter dem anderen. Zwei der Sub-
     (…) Wir wurden angewiesen, einen Mantel und ein Paar        findet, mit hohen Bäumen und dicht bewachsen. Wir         Sollte er stehenbleiben und die Worte »Camarade Aya      saharier, die uns empfangen hatten, begleiteten uns.
     Pantoffeln mitzunehmen sowie einen Rucksack, in dem         befanden uns praktisch in der Wüste und die Bäume,        Aya« aussprechen, so sollten wir, so schnell es ging,    Einer ging voran, der zweite ging in der Mitte. Keiner
     wir Brot, Joghurt und andere Lebensmittel einpacken         die uns umgaben, waren klein und boten kaum Schutz.       aussteigen und uns verstecken.                           sprach. Einzig unsere Schritte waren zu hören. Ab und
     sollten. Zusammen mit unserem Reiseorganisator stie-        Über uns kreisten die Hubschrauber. Wir hatten unge-      Um 22.30 Uhr hielt der Fahrer plötzlich das Auto an      zu fiel einer von uns und richtete sich wieder auf. Auf
     gen wir in den Zug nach Oran. Die Zugfahrt war auf          meine Angst, dazu kamen der Hunger und der Durst.         und befahl uns, auszusteigen und uns unverzüglich        den rund zwölf Kilometern, die die beiden Grenzstädte
     acht Stunden angesetzt und verlief reibungslos. Am          Obwohl wir in Oran Brot und Saft gekauft hatten,          hinter einem Haus zu verstecken. Es war bereits ziem-    voneinander trennen, lauert eine Vielzahl an Gefahren:
     Bahnhof von Oran verließen wir unbehelligt den Zug.         wagten wir nicht, zu essen und zu trinken. Drei Stun-     lich dunkel und wir sahen das Haus kaum. Wenige          Dornen, Steine und Löcher im Weg, jedoch vor allem
     Unser Chairman rief von Algier aus einen Taxifahrer         den lang blieben wir regungslos liegen und warteten.      Minuten, nachdem wir uns versteckt hatten, hörten wir,   die Wachhunde der umliegenden Bauernhöfe, Banditen
     an, der uns von Oran nach Maghnia, der Grenzstadt zu        Die schmerzlichen Erinnerungen an die Reise durch         wie ein paar junge Leute ankamen und mit dem Fahrer      oder Polizeieinheiten. Drei Mal griffen uns Hunderudel
     Marokko, bringen sollte. Der Taxifahrer kam, war aber       die Sahara kamen in mir hoch. Erneut waren wir allen      zu diskutieren begannen.                                 mit bis zu sieben Tieren an. (…) In dieser Nacht spürte
     nicht bereit, uns vor 18 Uhr mitzunehmen, da wir uns        Gefahren schutzlos ausgeliefert.                          Kurze Zeit später wurden wir gerufen. Es stellte sich    ich den Tod ganz nah.“
24                                                                                                                                                                                  Infomaterial   25

     Zum Weiterschauen   Supermarkt-Eigenmarken                   Billig. Billiger. Banane              Folge der Geschichte deiner Schuhe!   Menschen am Markt

                         Billig ist in – der Anteil der günsti-   Der Dokumentarfilm von Sarah          Eine Frau im Schuh-Geschäft: fröh-    Menschen wanderten schon immer
                         gen Supermarkt-Eigenmarken am            Zierul aus 2012 und ihr gleichna-     liche Musik und ein vorfreudiges      – die Gründe für Migration sind
                         Umsatz des Lebensmitteleinzel-           miges neues Buch (oekom-Verlag,       Lächeln ob der neuen Schuhe, die      dabei so vielfältig wie sie selbst.
                         handels wird mittlerweile europa-        2015) zeigen, welche Folgen hiesige   über den Ladentisch gehen. Aber       Weltweit leben über 232 Millionen
                         weit auf rund 40 Prozent geschätzt.      Tiefstpreise für Bäuerinnen und       dann ist da ein nicht enden wol-      Menschen in einem Staat, in dem
                         Ob Orangensaft, Thunfisch oder           Bauern sowie Plantagen-Arbeite-       lendes Schuhband… Wohin soll          sie nicht geboren wurden. Immer
                         Schoko-Müsli, der Trend ist ver-         rInnen in Ländern wie Costa Rica      das führen? Zu einem weiteren         mehr verlassen ihre Heimat und
                         lockend für die KonsumentInnen,          haben: nämlich Hungerlöhne und        Schnäppchen? Nein, raus geht´s        begeben sich auf eine Reise ins
                         und problematisch für ArbeiterIn-        Ausbeutung. Die Südwind-Kam-          aus dem Geschäft und immer dem        Ungewisse.
                         nen und Umwelt. Denn der rück-           pagnenpartnerInnen BanaFair und       Schuhband nach auf eine fordernde     Der animierte Film von weltumspan-
                         sichtslose Kampf um den niedrigs-        Oxfam Deutschland liefern darin       Reise durch unwegsames Gelände.       nend arbeiten und ­Kronosmedia
                         ten Preis kann meist nur gewonnen        Informationen über das Preisdiktat    Es gilt Berge zu überwinden und       Filmproduktion spielt auf einem
                         werden, wenn Menschenrechte              der Supermärkte und die vielfach      Insekten abzuwimmeln, um die          Marktplatz irgendwo auf dieser
                         und Umweltstandards missachtet           unmenschlichen und gesundheits-       Wahrheit über die Schuhe zu ent-      Welt und beschreibt eindrucksvoll
                         werden. Ein neuer Spot von Süd-          gefährdenden Produktionsbedin-        decken. Wo wird die Geschichte mit    die persönlichen Geschichten von
                         wind und PIPE – Digital Art Studio       gungen. Positivbeispiele, mögliche    dem Schuhband enden? Finde es         fünf Menschen, deren Wege sich
                         zeigt auf, was oft im Supermarkt-        politische Rahmenbedingungen          heraus auf ­w ww.cleanclothes.at.     dort kreuzen. Die DVD ist kostenlos
                         wagerl steckt, und wie wir für einen     und der große Einfluss von Kon-       Teile das Video mit FreundInnen       zu bestellen:
                         fairen Einkauf in Aktion treten          sumentInnen zeigen auf, wie die       auf Facebook und erzähle ihnen die    www.weltumspannend-arbeiten.at/
                         können. Zum Ansehen:                     Negativspirale gestoppt werden        wahre Geschichte unserer Schuhe!      materialien
                         www.suedwind.at/supermaerkte             kann. Buch bzw. Film sind z.B. in
                                                                  der Südwind-Buchwelt und bei
                                                                  baobab erhältlich.
26           Vision

                                                                                                                          © Irmgard Kirchner
     Weltverbesserer mit
     Leichtigkeit und Lebenslust

     Christina Schröder im Namen der Redaktion

     Für gewöhnlich bringen hier wir hier Visionen für die
     Zukunft. Diesmal blicken wir hier auf einen ungewöhn-
     lichen Visionär und Weltverbesserer der ersten Stunde     Um fünf Uhr in der Früh war er meist der erste im
     zurück, der letzten Sommer ganz unerwartet von uns        Büro und saß gut gelaunt an seinem Schreibtisch. Das
     gegangen ist. Seitdem vergeht kein Tag, an dem wir        Lächeln ist ihm nur vorübergehend vergangen, zum
     Werner Hörtner nicht vermissen. Sein Tun war so viel-     Beispiel, wenn er uns immer wieder ermahnte, sparsam
     seitig, dass es unmöglich ist, diesem mit einer Seite     mit dem Papier im Drucker umzugehen – grenzenlos
     gerecht zu werden. Genau aber das hat er uns doch         war seine Motivation – im Großen wie im Kleinen und
     immer gezeigt: – auch als Redakteur auf vielen Seiten     Alltäglichen – das Weltverbessern ernst zu nehmen
     von „WeltverbesserIn“ – dass es mit Einsatz und Viel-     und auszuleben. Auch Menschen, die um Asyl war-
     seitigkeit möglich ist, Dinge zu verändern. In diesem     ben, haben bei Werner daheim schon seit langem und
     Sinne war Werner von Anfang an dabei – ob bei der         immer wieder Zuflucht gefunden. Das war für Werner
     Gründung von Südwind, der Clean Clothes Kampagne          viel mehr Selbstverständlichkeit als Ausnahmezustand.
     oder beim Clean Clothes Rundbrief, aus dem später         Werner legte beim Weltverbessern auch immer eine
     und eben mit seiner Mithilfe „WeltverbesserIn“ hervor-    Leichtigkeit und Lebenslust an den Tag, die ihn Feste                           Ihre Spende schenkt
     ging. Was Werner schon 1998 zur damals neuen Clean        feiern ließen, wann immer sich die Gelegenheit ergab.                           Straßenkindern ein Zuhause!
     Clothes Kampagne in Worte fasste, ist heute immer         Und so dürfen sich manche von uns an Betriebsaus-
     noch, das was wir in dieser und den anderen Kampag-       flüge erinnern, bei denen wir mit ihm in entlegenen
     nen tun, um unsere Vision von fairen Arbeitsbedingun-     Tanzcafes zu Shakira „shakten“ oder auch ans letzte
     gen umzusetzen, nämlich „ … die Ausbeutungsmecha-         Südwind-Straßenfest in Wien, bei dem viele von uns
     nismen von der anderen Seite, der Produktionskette,       ihn zum letzten Mal trafen … mit einem breiten Lächeln
     vom Letztverbraucher her, zu ändern.“                     im Gesicht und trotz Pensionierung, voller Tatendrang
     Den Südwind-Kampagnenbereich hat Werner nicht nur         und Zukunftspläne. Auch wenn es zu vielem nicht mehr
     mitbegründet und fortwährend mit seiner Expertise         kam, was du dir vorgenommen hast, Werner, vieles, für
     bereichert, sondern uns alle auch mit seinem Drang tag-   das du dich eingesetzt hast, ist fest verankert in unse-                        Alle Informationen und Materialien:
     täglich die Welt zu verbessern gelehrt und motiviert.     rem Tun und wir werden es in deinem Sinne fortführen.                           www.tagderstrassenkinder.at
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