Rista - JUSTIZ - DIGITAL - DRB NRW

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                                   BUND DER RICHTER
                                   UND STAATSANWÄLTE IN
                                   NORDRHEIN-WESTFALEN

rista
RICHTER UND STAATSANWALT IN NRW

3/
rista 3/2021
      1 /2015
                21    JUSTIZ – DIGITAL
                                   1
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INHALT

                                                                                            EDITORIAL                                                        3
                                  THEO ZIEGLER,
                                  STRAFRICHTER-                                             TITELTHEMA                                                       5
                                  LEITFADEN                                                 „Legal Tech – neue Wege auch für die Justiz?“                    5

                                                                                            Rezension: „Algorithmen in der Justiz“                           8

                                                                                            BERUF AKTUELL                                                    8

                                                                                            Interview mit Peter Finke, Vorsitzendem einer Kammer
                                                                                            für Handelssachen, Landgericht Bielefeld                        10
     „MANCHE BÜCHER SIND WIE GUTE
     FREUNDE, SIE SIND SCHON AUF DEN                                                        Gerichtsbibliotheken – Totgesagte leben länger                  12

     ERSTEN BLICK ANSPRECHEND, MAN                                                          Jahresgespräch mit dem Justizminister 2021                      14

     KANN SICH AUF SIE VERLASSEN,                                                           Zwischenergebnis Attraktivitätsoffensive                        16

     SIE SIND IN DEN VERSCHIEDENSTEN                                                        „Verkehrssünder erschrecken“ leicht(er) gemacht –
                                                                                            ein Zwischenstand                                               17
     SITUATIONEN HILFREICH …“
     (Harald Kloos, Rezensent)                                                              BERUF HUMORIG                                                   18

                                                                                            Schokoweihnachtsmänner und Gendersternchen                      18

                                                                                            BERUF AKTUELL                                                   20

                                                                                            Ziegler, Strafrichter-Leitfaden                                 20

HERAUSGEBER:
Der Vorstand des Bundes der Richter und Staatsanwälte in NRW,
                                                                                            rückBLICK: 60 Jahre Eichmann-Prozess                            20
Landesverband NRW des Deutschen Richterbundes
Martin-Luther-Str. 11, 59065 Hamm, Tel. (02381) 29814, Fax (02381) 22568
E-Mail: info@drb-nrw.de, Internet: www.drb-nrw.de                                           BLICK ÜBER DEN TELLERRAND                                       21
REDAKTION:
E-Mail: rista@drb-nrw.de                                                                    Es weht ein Wind in Österreich                                  21
Sylvia Münstermann (verantwortlich); Johannes Schüler (OStA a. D);
Dr. Einhard Franke (DAG a. D.); Jürgen Hagmann (RAG a. D.);
Harald Kloos (RAG); Lars Mückner (RAG); Inken Arps (RinAG);                                 AUFNAHMEANTRAG                                                  23
Dr. Simon J. Heetkamp (Ri)

VERLAG, ANZEIGEN UND HERSTELLUNG:
Wilke Mediengruppe GmbH
Oberallener Weg 1
59069 Hamm
Telefon: 0 23 85-4 62 90-0
Telefax: 0 23 85-4 62 90-90
E-Mail: info@einfach-wilke.de
Internet: www.einfach-wilke.de

BEZUGSBEDINGUNGEN:
Der Verkaufspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag abgegolten.
Bezugspreis für Nichtmitglieder jährlich 20,– € plus Versandkosten.
Konto des Landesverbandes NRW des Deutschen Richterbundes:
Sparkasse Hamm (BIC: WELADED1HAM),
IBAN DE58 4105 0095 0000 0702 27 – auch für Beitragszahlungen
Gläubiger-ID: DE64ZZZ00000532220

Die Formulierungen „Richter“ und „Staatsanwalt“ bezeichnen in rista
geschlechtsunabhängig den Beruf.

Namentlich gekennzeichnete Berichte entsprechen nicht immer der
Meinung der Redaktion.
Fotos: Titelbild, S. 12 (eins), 22 und Fotomontage, S. 2: Karikatur: Kannengießer, S. 13:
Inken Arps, S. 3, 10 und 11: Sylvia Münstermann, S. 5: Richterakademie Trier, S. 12
(sieben): OLG Düsseldorf, S. 14, DRB und Ministerium der Justiz, S. 16: DRB, S. 21:
Wilke-Verlag, Cover: C. H. Beck-Verlag (S. 2) Duncker & Humblot (S. 9)

                              2                                                                                                              rista 3/2021
Rista - JUSTIZ - DIGITAL - DRB NRW
EDITORIAL

WAS BEDEUTET "DIGITALER WERDEN"?

                           Liebe Leserinnen,
                           liebe Leser!
                            Wir müssen digitaler werden! In      Die Optimierung von Arbeitsabläufen durch IT und Algorith-
                            manchen Ohren klingt das wie         men birgt die Gefahr, dass alles diesen Prozessen unterge-
                            eine freundliche Aufforderung        ordnet wird. Wer jemals den Film von Ken Loach „I, Daniel
                            zur Modernisierung, in anderen       Blake“ über die rechnergestützte Optimierung der Arbeits-
                            wie ein Befehl, den Anschluss        vermittlung gesehen hat, bekommt einen Eindruck davon,
                            nicht zu verpassen. Als ob mit       wohin das führen kann. Und noch eines: Digitalisierung ent-
                            der Digitalisierung alle anderen     bindet nicht von der Pflicht der Nachwuchsgewinnung und
                            Baustellen in der Justiz beseitigt   einer entsprechenden Beförderung und Bezahlung.
                            werden könnten. Digitalisierung
Sylvia Münstermann
                            als Heilsversprechen sozusagen.      Der Verband hat bereits 2020 das Eckpunktepapier „Stellen-
Sicher ist, mit Digitalisierung müssen sich Staatsanwälte        hebungskonzept“ vorgelegt, das entsprechende Vorschläge
und Richter befassen. Wie bedeutend das Thema ist, zeigte        macht. Bislang war die Resonanz seitens des JM eher wol-
auch der Deutsche Anwaltstag. Gleich mehrere Online-             kig als heiter. Der Verband bleibt dran. „Wir werden das
Seminare befassten sich zum 150. Jubiläum des Deutschen          Stellenhebungskonzept jedoch nicht aufgeben und uns wei-
Anwaltsvereins mit dem Thema. Herzlichen Glückwunsch             ter für dessen Umsetzung einsetzen“, sagt der Landesvor-
zum Jubiläum auch von der rista.                                 sitzende Christian Friehoff. Im Heft finden Sie, liebe Leserin,
                                                                 lieber Leser, den entsprechenden Schnellbrief dazu. Der
Digitalisierung ist der Schwerpunkt in diesem Heft. Denn die     Vorsitzende sucht weiter das Gespräch mit dem Ministe-
Digitalisierung hat den Berufsalltag vieler Juristen bereits     rium. Wir werden das weiter beobachten.
verändert und wird ihn weiter verändern. Deutlich macht das
der Bericht zur „Legal Tech“-Tagung der Deutschen Rich-          Diese Ausgabe befasst sich aber nicht nur mit gewichti-
terakademie. Der Bericht zeigt, Legal Tech ist inzwischen        gen Themen. Etwas Launiges kommt aus Österreich und
Bestandteil unseres Rechtssystems; ob dabei auch künstli-        wir blicken (nicht ganz ernst gemeint natürlich) voraus. Auf
che Intelligenz eingesetzt werden kann, wird die Zukunft zei-    die richtige Verteilung von Schokoweihnachtsmännern und
gen. Passend zum Thema: die Rezension einer Dissertation         Gendersternchen.
„Algorithmen in der Justiz“. Verhandlungen per Videokonfe-
renz sind ein weiteres großes Thema, ebenso wie die Frage:       Die Redaktion wünscht Ihnen viel Freude beim Lesen und
Werden durch die immer größeren technischen Angebote             wir freuen uns über Anregungen, Lob und auch Kritik.
Bibliotheken in den Gerichten überflüssig?
                                                                 Ihre
Sie sehen, liebe Leserinnen und Leser: Viele Juristen
machen sich Gedanken über Veränderungen ihrer Arbeits-
plätze und die damit verbundenen beruflichen Anforderun-
gen. Eines ist sicher, die Digitalisierung verändert auch die
Justiz. Aber Digitalisierung ist nicht nur das technisch Mach-   Sylvia Münstermann
bare, dem alles andere unterzuordnen ist. Digitalisierung
muss mit Inhalt gefüllt werden. Da tauchen Fragen auf: Wie
erhalten Rechtsuchende Zugang zum Recht, auch wenn
sie nicht in das IT-System passen? Wie wird ein Richter, ein
Staatsanwalt dem Einzelfall gerecht?

  rista 3/2021                                                                                                3
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Gutachten für die Justiz


Betriebswirtschaftliche Sachverständigengutachten im
Rahmen von Rechtsstreitigkeiten und Strafverfahren

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       ͺ Insolvenzgutachten
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       ͺ Bewertungen
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       ͺ Schadensermittlung
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Individuelle Fragestellungen transparent und kompakt
aufgearbeitet
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                           Profil Guido Althaus                                                          Düsseldorf
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TITELTHEMA

ZWEITÄGIGE ONLINE-TAGUNG DER RICHTERAKADEMIE

„LEGAL TECH – NEUE WEGE AUCH FÜR DIE JUSTIZ?“

Das Buzzword „Legal Tech“ ist in aller Munde.
Die Digitalisierung hat die Rechtsberatung in
den vergangenen Jahren in Teilbereichen erheb-
lich verändert – zu denken ist nur an Anbieter
wie Flightright oder geblitzt.de. So bietet etwa
Flightright auf seiner Website eine summarische
Prüfung des Anspruchs auf eine Ausgleichs-
zahlung nach der Fluggastrechteverordnung bei
Annullierung oder großer Verspätung eines Flu-
ges und setzt etwaige Ansprüche (gerichtlich)
durch. Geblitzt.de prüft Bußgeldbescheide bei
Geschwindigkeits- oder Handyverstoß, legt Ein-
spruch für den Betroffenen ein und berät zum
weiteren Vorgehen.

Nach einer Begrüßung durch Philip Scholz vom
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucher-     Die Richterakademie Trier tagte online.

schutz (BMJV) starteten die über 100 Teilnehmer
in die Veranstaltung mit einem von Richterin am       wie möglichst gut (orientiert an den Bedürfnissen
Landgericht Sina Dörr geleiteten Parforceritt durch   des rechtsuchenden Bürgers) gearbeitet werden
die Entwicklung der Menschheit – vom Steinzeit-       könne. Auch Themen wie Change-Management
menschen bis zum Menschen 4.0.                        und agiles Arbeiten müssten in der Justiz Beach-
                                                      tung finden.
Vor- und Nachteile der
digitalen Revolution                                  Digitaler Rechtsmarkt –
Dörr, gerade abgeordnet an das BMJV, führte           bequemer Zugang zum Recht
in ihrem Vortrag „Digitaler Wandel und Justiz –       Sodann folgte der Vortrag „Legal Tech – Digita-
Mensch 4.0“ den Teilnehmern vor Augen, wel-           lisierung des Rechtsmarkts und Modernisierung
che Auswirkungen die digitale Revolution für die      der Justiz“ von der Legal-Tech-Koryphäe Markus
Menschheit im Ganzen und jeden Einzelnen hat.         Hartung, seines Zeichens Rechtsanwalt, Mediator
Während die Vorteile digitaler Neuerungen schnell     und Senior Fellow am Bucerius Center on the Legal
benannt seien (etwa gesteigerter Komfort und          Profession, Hamburg.
Lebensqualität, gesellschaftliche Teilhabe und
erhöhte Verfügbarkeit von Information), würden die    Ausgehend vom Rechtsmarkt – unter anderem
Nachteile bzw. Herausforderungen allzu schnell        unter Bezugnahme auf das schon genannte Unter-
vergessen: lebenslanger Lern- und Anpassungs-         nehmen Flightright – arbeitete Hartung heraus,
bedarf, (gesellschaftlicher) Stress und (gefühlter)   dass die Justiz für die Durchsetzung von Streu-
Kontrollverlust. Der Mensch 4.0 sei betroffen von     und Bagatellschäden – aus Sicht des einfachen
den immer schneller werdenden Veränderungen,          Bürgers – nicht geeignet sei. Das beim Bürger vor-
damit einhergehenden Unsicherheiten und der           herrschende rationale Desinteresse an der Durch-
immer höheren Komplexität des Alltags.                setzung von kleineren Geldbeträgen sei angesichts
                                                      von für den juristischen Laien oft abschreckend
Gesellschaft im Schleudergang                         wirkenden Justizverfahren und relativ hohen Kos-
Dass sich die Gesellschaft durch die Verände-         ten(-risiken) nachvollziehbar. Dabei gehe es – so
rungen der Digitalisierung im „Schleudergang“         Hartung – nicht um die häufig fälschlicherweise
befinde, wirke sich natürlich auch auf die Arbeit     so bezeichnete Frage des „Zugangs zum Recht“,
in der Justiz aus. Die Veränderungen durch die        sondern allein um den Zugang zum bequemen
Einführung der eAkte seien vielfältig besprochen,     Recht. So werbe die RightNow Group mit dem Slo-
doch müsse man sich grundlegend fragen, wie           gan: „Rechtsdurchsetzung – so einfach wie Pizza
und mit welchem Ziel man die Justiz weiter digita-    bestellen!“
lisiere. Entscheidend sei nicht die Frage, wie mög-
lichst digital gearbeitet werden könne, sondern

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Flaschenhals Justiz                                    in Society, TU München) begann mit einer Befra-
Die in den letzten Jahren erheblich gestiegene         gung der Teilnehmer. So wollte Paschke wissen,
Rechtsdurchsetzung durch Legal-Tech-Anbieter           wie sich die Anwesenheit der Öffentlichkeit auf den
(Fluggastrechte, Diesel-Klagen, anstehend: Wire-       Richter auswirkt. Der weit überwiegenden Mehr-
card-/E&Y-Klagen) treffe in der Justiz auf einen       heit der Teilnehmer war dies egal; manche sagten
doppelten Flaschenhals: Zum einen eine – bis-          gar: Erst die Öffentlichkeit macht die Verhandlung
lang noch weitgehend – analoge Ausstattung und         vollständig. Daran schloss sich die Frage an,
Arbeitsweise, zum anderen eine (gebotene) Ein-         wie sich denn der Richter fühlen würde, wenn im
zelfallorientierung. Beides stehe in diametralem       Gerichtssaal eine Kamera aufgebaut wäre, über
Gegensatz zur Arbeitsweise von Legal-Tech-Anbie-       die Zuschauer dem Prozess digital folgen könnten.
tern.                                                  Hier gab nur eine Minderheit an, davon nicht beein-
                                                       druckt zu sein, während die meisten angaben, sich
Möglichkeiten und Grenzen                              davon verunsichert zu fühlen.
der Digitalisierung
Die – auch aus den jeweiligen „Rollen“ zu erklä-       Mit diesen Fragen war das Themenfeld abgesteckt.
rende – unterschiedliche Sicht auf die Möglichkei-     Ausgehend von dem seit Corona-Beginn viel dis-
ten, Notwendigkeiten und Grenzen der Digitalisie-      kutierten § 128 a ZPO (Verhandlung im Wege
rung der Rechtspflege wurden in der anschließen-       der Bild- und Tonübertragung) arbeitete Paschke
den Paneldiskussion mit Isabelle Biallaß (Richterin    Möglichkeiten einer digitalen Verhandlung de lege
am AG, derzeit abgeordnet an das Ministerium der       lata und de lege ferenda heraus. Dabei war sich
Justiz NRW), Dr. Benedikt Quarch (Mitgründer und       die Referentin sicher: Die Digitalisierung sei ein
Geschäftsführer der RightNow Group) und Sven           Verstärker der verfassungsrechtlich garantierten
Lastinger (Rechtsanwalt und Director EU Com-           Öffentlichkeitsgewähr. Eine digitale Gerichtsöffent-
mercial Legal bei PayPal) vertieft. Biallaß sprang     lichkeit könne die verschiedenen Dimensionen der
für die bis zu diesem Zeitpunkt der Tagung häufig      Öffentlichkeit in einem bisher nicht gekannten Maße
mehr schlecht als recht weggekommene Justiz in         ausfüllen. Dabei gebe es schon jetzt die erforder-
die Bresche und betonte die großen Schritte, die in    lichen öffentlichkeitsermöglichenden und -begren-
der Justiz im elektronischen Rechtsverkehr und der     zenden technischen Lösungen (etwa Uploadfilter
elektronischen Akte in den letzten Jahren schon        und digitales Fingerprinting). Aus dem die Vorträge
erfolgt seien und in den nächsten Jahren abge-         begleitenden Teilnehmer-Chat wurde eine gewisse
schlossen wären. Quarch stellte die Arbeitsweise       Zurückhaltung der lauschenden Richter deutlich.
seines Legal-Tech-Start-ups vor, das Ansprüche
nach automatisierter Vorprüfung abkaufe. Teil die-     Künstliche Intelligenz in der Justiz (?)
ser Vorprüfung sei auch, an welchem Gericht die        Den ersten Tagungstag beschloss Tianyu Yuan
Ansprüche durchzusetzen seien – denn es lägen          (Rechtsanwalt, Mitgründer und Geschäftsführer der
intern natürlich Daten vor, wie und mit welcher Ver-   Codefy GmbH) mit dem Vortrag „Über den (un-)
fahrensdauer ein Gericht bisher entschieden habe.      praktischen Einsatz von KI im Recht“. Dabei ging
                                                       es Yuan, der auch Robotik studiert hat, zunächst
Lastinger erläuterte den PayPal-Käuferschutz, der      einmal darum, die „Nur-Juristen“ mit einem Grund-
bisweilen das Prädikat einer „Parallel-Justiz“ ver-    verständnis für künstliche Intelligenz (KI) auszu-
liehen bekommen habe. Erhalte etwa der Käufer          statten und Anwendungsszenarien darzustellen.
einer über PayPal abgewickelten Online-Trans-          Die schon bestehenden Möglichkeiten von KI
aktion seine Ware nicht, könne er dies online im       verdeutlichte Yuan an einem Artikel aus The Guar-
Käuferschutz-Portal anklicken. Sollte der Verkäu-      dian, der im September 2020 vollständig von einer
fer sodann keinen Versand- oder Zustellnachweis        KI geschrieben worden war („A robot wrote this
hochladen, buche PayPal den Kaufpreis auf das          entire article. Are you scared yet, human?“). Um
Konto des Käufers zurück. Das alles erfolge auto-      die KI zu diesem Glanzstück zu befähigen, musste
matisch. Erst wenn der Verkäufer einen Nachweis        sie allerdings mit 499.000.000.000 „Tokens“ (=
hochlade und der Käufer daraufhin weiter an seiner     einzigartigen Wörtern) trainiert werden – das sind
Forderung festhalte, komme es auf zweiter Stufe        570 GB purer Text. Und natürlich kosten die Ent-
zu einer menschlichen Beteiligung in der Streitbei-    wicklung und das Training dieser KI ein paar
legung.                                                Millionen Euro. Beides – die notwendige Daten-
                                                       menge und das erforderliche Geld – sei im Rechts-
Digitale Gerichtsöffentlichkeit                        markt wohl nicht verfügbar. Das – je nach Sicht-
Der nachfolgende Vortrag „Digitalisierung und          weise – Schreckgespenst oder der Heilsbringer
Gerichtsöffentlichkeit“ von Dr. Anne Paschke (Bun-     KI sei damit auf Sicht nicht zu erwarten. Möglich
deskanzleramt und Munich Center for Technology         seien allerdings juristische Datenstrategien in der

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Aktendurchdringung oder Vertragsprüfung, die die          noch Verbesserungsbedarf. So sei hinsichtlich
Arbeit deutlich erleichterten.                            des beschleunigten Online-Verfahrens der sach-
                                                          liche und persönliche Anwendungsbereich ange-
Digitalisierung des Zivilprozesses                        sichts der recht niedrigen Streitwertgrenze und
Auch der zweite Tag der Tagung hielt Spannendes           der Beschränkung auf Verbraucherklagen deutlich
bereit. Eröffnet wurde er durch einen Impulsvortrag       zu eng ausgefallen. Auch sei der beabsichtigte
von Frau Prof. Giesela Rühl (Lehrstuhl für Bürger-        niedrigschwellige Zugang wahrscheinlich – ins-
liches Recht, Zivilverfahrensrecht, Europäisches          besondere im Vergleich zur herkömmlichen Klage-
und Internationales Privat- und Verfahrensrecht und       erhebung – zu hoch. Denn ein potenzieller Kläger
Rechtsvergleichung an der Humboldt-Universität            müsse sich vor Einleitung eines Online-Verfahrens
zu Berlin) mit dem Titel „Digitalisierung des Zivilpro-   eindeutig identifizieren (etwa per Personalausweis
zesses: Evolution oder Revolution?“ zu dem auch           mit freigeschalteter Online-Ausweisfunktion oder
aus ihrer Sicht erforderlichen Digitalisierungsschub      qualifizierter elektronischer Signatur), während bei
für die Justiz. Die Covid-19-Pandemie habe wie ein        der herkömmlichen Klage eine bloße Unterschrift
Brennglas in vielen gesellschaftlichen Bereichen          genüge.
gezeigt, dass Deutschland nicht auf der Höhe der
Zeit sei – dies gelte auch für die Justiz und hier ins-   Trend: Online-Streitbeilegung
besondere für den Zivilprozess. Rühl wagte einen          Rühl gab sodann das digitale Mikrofon an Frau Dr.
Blick ins europäische Ausland, wo etwa in England         Wiebke Voß, Habilitandin an der Ruprecht-Karls-Uni-
und Irland Online Court Services zumindest in Teil-       versität Heidelberg, weiter, die dem internationalen
bereichen der Ziviljustiz schon gestartet sind und        Trend zu Online-Streitbeilegungs- und -Gerichts-
in Dänemark ein vollständig digitales Zivilgerichts-      verfahren nachging. Voß betonte, wichtig sei, nicht
verfahren möglich ist.                                    nur das bisherige Verfahren auf die digitale Welt zu
                                                          übertragen, sondern eine digitale Verfahrenserwei-
„Modernisierung des Zivilprozesses“                       terung zu betreiben. Als Musterbeispiel einer sol-
Sodann besprach Rühl das 120 Seiten starke                chen gerichtsverbundenen Online-Streitbeilegung
Diskussionspapier der Arbeitsgruppe „Moderni-             besprach sie sodann das Civil Resolution Tribunal
sierung des Zivilprozesses“, in dem im vergan-            (CRT) der kanadischen Provinz British Columbia.
genen Jahr im Auftrag der Präsidentinnen und              Entscheide sich ein Bürger für die Rechtsdurch-
Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kam-              setzung durch das CRT, durchlaufe er zunächst
mergerichts, des Bayerischen Obersten Landes-             den Solution Explorer, der auf eine Selbsthilfe zur
gerichts und des Bundesgerichthofs eine Vielzahl          Streitbeilegung und Streitprävention durch Rechts-
an Reformvorschlägen für einen modernen Zivilpro-         information setze. Diese Rechtsinformationen seien
zess zusammengetragen wurde. Die wesentlichen             in für Laien verständlicher Weise aufbereitet. Durch
Vorschläge, die die Arbeitsgruppe formuliert hat,         Multiple-Choice-Fragenkataloge werde der Nutzer
um Gerichtsverfahren bürgerfreundlicher, effizien-        zu den für ihn relevanten Informationen und Ver-
ter und ressourcenschonender zu gestalten, sind:          fahrensalternativen geleitet. Anschließend erfolge
ein erleichterter elektronischer Zugang der Bürger        sodann eine freiwillige Phase der direkten Verhand-
zur Ziviljustiz (etwa durch eine „virtuelle Rechtsan-     lungen zwischen den Beteiligten mit dem Ziel einer
tragsstelle“), eine Optimierung des elektronischen        gütlichen Einigung.
Rechtsverkehrs (unter Abschaffung des Fax als
zulässigen Übermittlungsweges), Einführung eines
beschleunigten Online-Verfahrens (für Streitwerte
bis 5.000 EUR), Strukturierung des Parteivortrags
und des Verfahrens (durch ein von den Parteien
gemeinsam zu nutzendes „Basisdokument“ anstatt
von Schriftsätzen), Videoverhandlungen und Pro-
tokollierungen (etwa zwingendes Wortprotokoll für
Beweisaufnahmen), effizientere Verfahren durch
Einsatz technischer Möglichkeiten (neues Beweis-
mittel der „elektronischen Datei“) und die Stär-
kung des Vertrauens in die Justiz durch stärkere
Transparenz (Veröffentlichung von grundsätzlicher
Bedeutung mit automatisierter Anonymisierung).

Während Rühl die Vorschläge der Arbeitsgruppe
einerseits deutlich lobte, sah sie andererseits

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      Komme diese nicht zustande oder willigten die            Windau begab sich in die (teils ungeahnten) Untie-
      Parteien nicht in direkte Verhandlungen ein, folge       fen des § 128 a ZPO. Zudem bot sich Raum für
      eine obligatorische Schlichtungsphase. Habe auch         einen Erfahrungsaustausch zu Vor- und Nachteilen
      diese keinen Erfolg, werde als letzte Stufe ein strei-   von Videoverhandlungen.
      tiges Online-Verfahren durchgeführt.
                                                               Nach der Tagung – die Wirklichkeit
      Erfahrungen mit Videoverhandlungen                       Nach dieser „Druckbetankung“ mit neuesten Legal-
      Den Abschluss der Tagung bildete der Vortrag zu          Tech-Ideen und einem regen Austausch zur digita-
      „Videoverhandlungen im Zivilprozess: Erfahrun-           len Arbeit von morgen machte sich der Verfasser
      gen, Chancen, Herausforderungen“ von Benedikt            hoch motiviert an die Dezernatsarbeit, war aber
      Windau (Richter am Landgericht Oldenburg), der           – angesichts eines sich endlos lange drehenden
      als Gründer und Herausgeber des zpoblog.de               Wartesymbols bei TSJ – schnell wieder im Hier und
      bekannt ist. Wie eine Umfrage unter den Teilneh-         Jetzt des Justizalltags angekommen ...
      mern zeigte, hatte ein Großteil der Anwesenden –
      im mittlerweile zweiten Jahr der Pandemie – schon                                       Dr. Simon J. Heetkamp
      eine oder mehrere mündliche Verhandlungen im                                                  Landgericht Köln
      Wege der Bild- und Tonübertragung durchgeführt.

REZENSION

ALGORITHMEN IN DER JUSTIZ

      Das Wichtigste vorab: Jeder Richter sollte diese         worden war. Die Studienteilnehmer erkannten, dass
      Dissertation gelesen haben. Oder sich jedenfalls         diese Information für die zu beurteilende Fahr-
      mit den Einsatzmöglichkeiten von Algorithmen in          lässigkeitshaftung des Beklagten juristisch voll-
      der Justiz und deren Auswirkungen auf die Rechts-        kommen irrelevant war. Dennoch entschieden die
      findung beschäftigt haben. Näher am Puls der Zeit        Studienteilnehmer, die von der strafrechtlichen
      als Nink, der als Rechtsanwalt in Frankfurt arbeitet,    Verurteilung wussten, auf einen um zwölf Prozent
      kann man mit einer Dissertation kaum sein (siehe         niedrigeren Schadensersatz. Dies zeigt: Selbst das
      auch die Dissertation von Rollberg, Algorithmen          positive Wissen, dass eine Information juristisch
      in der Justiz, Nomos 2020, rezensiert von Saam,          irrelevant ist, führt nicht dazu, dass diese Informa-
      DRiZ 2020, 409; Dörr, Algorithmen in der Justiz,         tion in der Entscheidungsfindung tatsächlich keine
      Rethinking Law 2.2021, 43; Neubert, Der Einsatz          Rolle spielt. Dies erklärt auch, warum viele Rechts-
      von Künstlicher Intelligenz in der deutschen Justiz,     anwälte gerne „colorandi causa“ Negatives über
      DRiZ 2021, 108).                                         den Gegner ausführen.

      Der erste Teil der Dissertation zum Status quo           Ein zweites Beispiel beschäftigt sich mit dem
      der richterlichen Entscheidungsfindung dürfte            Ankereffekt im Rahmen der Strafzumessung. Als
      auch gestandene Richterpersönlichkeiten in ihren         Ankereffekt beschreibt man in der Kognitionspsy-
      Grundfesten erschüttern. Dass die richterliche           chologie die (systematische) Verzerrung (numeri-
      Rechtsfindung fehleranfällig ist – etwa durch Emo-       scher) Urteile in Richtung eines (willkürlich als Aus-
      tionen, Müdigkeit, Denkfehler oder Stress –, ist         gangspunkt) vorgegebenen Zahlenwertes – des
      ein Allgemeinplatz. Wie leicht allerdings sich die       Ankers. Eine Studie untersuchte die Auswirkungen
      menschliche (und damit auch richterliche) Psy-           eines zuvor gesetzten Zahlenankers auf die Höhe
      che in die Irre führen lässt, wird aus den von Nink      einer vom Probanden (Richter und Staatsanwälte
      zusammengetragenen Studien deutlich:                     einerseits, Referendare andererseits) auf eine zu
                                                               verhängende Freiheitsstrafe. Bei einer von einem
      Als erstes Beispiel sei ein fiktiver Produkthaftungs-    Journalisten geforderten Strafhöhe entschieden
      prozess genannt. Dort erhielten die Richter die          Teilnehmer, die zuvor mit einem höheren Anker
      Information, dass das vermeintliche Opfer (Kläger)       konfrontiert wurden, auf signifikant höhere Stra-
      zu einem früheren Zeitpunkt strafrechtlich verurteilt    fen (Durchschnitt: 33 Monate Freiheitsstrafe) als

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diejenigen, die mit niedrigerem Anker konfrontiert      Hürden, die einer automatisierten Rechtsfindung im
wurden (Durchschnitt: 25 Monate).                       Wege stehen. Erläuternd nimmt Nink den Leser mit
                                                        auf eine Reise möglicher (computerseitiger) Ver-
Dabei zeigte sich zudem, dass keine „Anker-Rele-        ständnisprobleme menschlicher (Fach-)Sprache.
vanz“ bestand: Es war egal, ob der Anker (ver-          Wie soll ein Computer etwa den Sachverhalt richtig
meintlich) von einem Journalisten, einem Staats-        erfassen, Gesetze auslegen, zutreffend subsumie-
anwalt oder – wie den Teilnehmern bekannt war           ren und seine Entscheidung (nachvollziehbar) juris-
– durch Würfeln gesetzt wurde. Die Teilnehmer           tisch argumentativ begründen?
wurden auch dazu befragt, ob sie bei ihrer Ent-
scheidung sich von dem (bei dem Würfeln erkenn-         Sodann tritt Nink einen Schritt zurück und fragt
bar willkürlichen) Anker hätten beeinflussen lassen.    sich, welche verfassungsrechtlichen Parameter bei
Das erschreckende Ergebnis: Die von den Teil-           dem Einsatz neuer Informations- und Kommunika-
nehmern geschätzte Sicherheit bzw. Überzeugung          tionstechnologien in der Justiz zu beachten sind.
von der Richtigkeit und Unabhängigkeit ihrer Ent-       Das Ergebnis ist klar (und wenig überraschend):
scheidung stand nicht in Relation mit der (objek-       Eine vollständige Automatisierung der Rechtspre-
tiven) Anfälligkeit für den Ankereffekt. Experten       chung wäre verfassungsrechtlich nicht zulässig,
(hier: die Richter und Staatsanwälte) schätzten sich    etwa da der Richterbegriff des Art. 92 Hs. 1 GG ein
fälschlicherweise als weniger anfällig für Rationali-   personales Element enthält, also Entscheidungen
tätsschwächen ein als (relative) Laien (hier: die       durch eine natürliche Person zu treffen sind. Dage-
Referendare).                                           gen ist die Unterstützung richterlicher Entschei-
                                                        dungen durch technische Systeme grundsätzlich
Dies alles wirft die Frage auf, ob und wie Ratio-       im Einklang mit der Verfassung möglich, soweit
nalitätsschwächen der menschlichen Entscheider          die richterliche Unabhängigkeit gewahrt bleibt und
durch den Einsatz neuer Technologien ausge-             die unterstützenden Systeme verfassungskonform
schlossen oder zumindest vermindert werden kön-         gestaltet sind (Stichwort: Transparenz).
nen. Im zweiten Teil der Arbeit geht es nun also
genau darum: Welche neuen Technologien könnten          Im dritten Teil der Dissertation stellt Nink Möglich-
die richterliche Entscheidungsfindung unterstützen      keiten für eine algorithmenbasierte Entscheidungs-
und welche Grenzen eines solchen „Smart Jud-            unterstützung in der Strafrechtspflege dar und
ging“ wären zu beachten? Denn auch Algorith-            wagt einen Ausblick.
men haben Schwächen. Etwa wenn Korrelationen
auf nur scheinbare Kausalitäten hindeuten. Auch         Ein auch medial bekannter Anwendungsfall ist
können einmal trainierte (statische) Algorithmen        ein US-amerikanischer Algorithmus zur Berech-
sich nicht von selbst weiterentwickeln – etwa ver-      nung der Wahrscheinlichkeit erneuter Straffällig-
änderte Ansichten in der Bevölkerung zu einem           keit. Weniger spektakulär wären (Entscheidungs-)
rechtsrelevanten Thema berücksichtigen. Zudem           Unterstützungswerkzeuge beim Termins- und Fris-
gilt es zu bedenken, dass die Programmierer eines       tenmanagement oder Ex-post-Kontrollsysteme
gerichtlichen Entscheidungsalgorithmus einen gro-       richterlicher Entscheidungen.
ßen – und rechtsstaatlich bedenklichen – tatsäch-
lichen Einfluss auf die Resultate der Rechtsanwen-      Abschließend wirbt Nink für eine offene Diskussion
dung und -findung hätten (den sie – als juristische     von algorithmenbasierten Unterstützungsmöglich-
Laien – vielleicht gar nicht erkennen). Unter dem       keiten richterlicher Tätigkeit – (auch) um den
Stichwort „Machine Bias“ werden unbeabsichtigte         Schwächen menschlicher Entscheidungen ent-
diskriminierende Effekte von Algorithmen vielerorts     gegenzuwirken. Letztlich könnte jede Automation
diskutiert (etwa ein Fall, in dem ein von Amazon        auch eine Verfahrens-
eingesetzter Algorithmus Männer in der Bewer-           humanisierung brin-
bungsphase bevorzugte, da in der Vergangenheit          gen, indem der Richter
mehr Männer eingestellt worden waren; siehe auch:       seine durch Automa-
Steege, Algorithmenbasierte Diskriminierung durch       tion gesparte Zeit dort
Einsatz von Künstlicher Intelligenz, MMR 2019,          einsetzt, wo es notwen-
715).                                                   dig und sinnvoll ist.

                                                        Dr. Simon J. Heetkamp                                   David Nink, Justiz und Algo-
Systeme maschinellen Lernens könnten die vorge-                                                                 rithmen. Über die Schwächen
                                                        Landgericht Köln
nannten Schwächen gegebenenfalls teilweise aus-                                                                 menschlicher Entscheidungs-
                                                                                                                findung und die Möglichkeiten
gleichen, eine auf Einzelfallgerechtigkeit abzielende                                                           neuer Technologien in der
gerichtliche Entscheidung damit aber (noch) nicht                                                               Rechtsprechung, 1. Auflage
                                                                                                                2021, 533 Seiten, Duncker &
ermöglichen. Auch bestehen (noch) technische
                                                                                                                Humblot Verlag, 119,90 EUR

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Rista - JUSTIZ - DIGITAL - DRB NRW
BERUF AKTUELL

INTERVIEW

PETER FINKE, VORSITZENDER EINER KAMMER FÜR
HANDELSSACHEN, LANDGERICHT BIELEFELD

                                                            der Videokonferenz-Anlage. Diese Anfrage wird
                                                            dann weitergeleitet an das Oberlandesgericht.
                                                            Sie wird dort bearbeitet durch einen Rechtspfle-
                                                            ger, der dann einen virtuellen Videokonferenz-
                                                            raum zuweist oder, falls nicht vorhanden, eben
                                                            auch nicht zuweist. Und dann bekomme ich – in
                                                            der Regel erst einige Tage später – die Rück-
                                                            meldung, ob und wann ich eine Videokonferenz
                                                            abhalten kann.

                                                            Peter Finke hält es für anachronistisch, wenn man
                                                            bedenkt, wie schnell Videokonferenzen in der freien
                                                            Wirtschaft anberaumt und gestartet werden können.
                                                            Er beteiligt sich deshalb an einem vom Justizminis-
      Als an diesem Morgen Peter Finke in den Saal 32       terium angebotenen Modell der Online-Zusammen-
      des Bielefelder Landgerichts kommt, ist die mobile    arbeit, um sich den Verwaltungsweg zu ersparen.
      Videokonferenz-Anlage bereits aufgebaut. Es dau-
      ert nur wenige Augenblicke, dann sind die Anwälte     Peter Finke:
      aus Dortmund und Köln in dem Verfahren über           Jitsi heißt die Videoplattform, mit der man direkt
      einen Dienstleistungsvertrag zugeschaltet. An die-    eine Videokonferenz aufsetzen und den Parteien
      sem Morgen ist die Verbindung nach Köln etwas         den Link mitteilen kann, wie auf jeder anderen
      wackelig. Der Vorführeffekt, sagt Peter Finke. Nor-   gängigen Videokonferenz-Plattform.
      malerweise seien die Verbindungen in den Video-       Das hat allerdings den Nachteil, dass ich dafür
      konferenzen stabil.                                   derzeit nur mein eigenes Dienstnotebook nutzen
                                                            kann, also nicht die Kameratechnik verwenden
      Bevor die Sitzung beginnt, verkündet er einen         kann, die bei uns im Sitzungssaal vorhanden
      Beschluss nach § 128 a Abs. 1 ZPO. Dann geht es       ist. Die ist wichtig, um die Öffentlichkeit herzu-
      los, für Peter Finke inzwischen Routine:              stellen. Ein Zuschauer im Saal kann ja nicht auf
                                                            mein Notebook schauen, um dort die Parteien
      Peter Finke:                                          zu sehen.
      Ich habe jetzt seit Dezember 2020 nahezu in allen
      Sachen Videokonferenzen angeboten. D. h., die         Dazu hat Peter Finke eine Kennung bekommen
      Parteien bekommen per E-Mail die Zugangs-             und kann so per Video Besprechungen über sein
      daten für die Videokonferenz. Und ich teile mit,      Dienstnotebook durchführen.
      dass es jedem freisteht, auch persönlich hier im
      Gerichtssaal zu erscheinen.                           Peter Finke:
                                                            Ich benutze es im Wesentlichen dann, wenn
      Normale Videokonferenzen erfordern viel an orga-      außerhalb der Verhandlung eine Besprechung
      nisatorischer Vorleistung. Doch die hat er in Kauf    stattfindet, was durchaus auch mal der Fall ist,
      genommen, denn so konnte er während des harten        dass man Vergleichsgespräche führt außerhalb
      Lockdowns fast sein gesamtes Verhandlungspro-         der mündlichen Verhandlung. Das ist dann eine
      gramm aufrechterhalten.                               praktikable Möglichkeit, kurz einen Link rumzu-
                                                            schicken, und man kann sich innerhalb weniger
      Peter Finke:                                          Minuten mit den Prozessbevollmächtigten und
      Es ist bei unserer normalen Videoplattform so,        den Parteien unterhalten.
      dass relativ umständlich die Videokonferenzen
      beantragt werden müssen. D. h., ich muss an           Verhandelt wird per Videokonferenz aber im Sit-
      eine Mitarbeiterin der Verwaltung eine E-Mail         zungssaal, dort, wo die großen Monitore ange-
      schreiben, in der ich ihr mitteile: Datum, Uhrzeit,   bracht sind. Eine fest installierte und zwei mobile
      Aktenzeichen und Zeitrahmen für den Aufbau            Anlagen gibt es im Bielefelder Landgericht.

      10                                                                                           rista 3/2021
BERUF AKTUELL

Peter Finke:                                          „Wir können uns das so vorstellen“, ein Nicken,
Die Videokonferenzen finden im Sitzungssaal           ein Kopfschütteln, so etwas. Das geht bei Video-
statt, weil auf dem großen Monitor die potenziel-     konferenzen nicht.
len Zuschauer die Beteiligten sehen und hören         Und das nächste Problem, wenn beantragt wird,
können, die sich zugeschaltet haben, und durch        einen Zeugen zu vereidigen, kann ich mir schwer
die Videokamera, die schwenkbar ist, können           vorstellen, das anzuordnen, während der Zeuge
auch die per Videokonferenz Zugeschalteten            zum Beispiel bei sich zu Hause im Wohnzimmer
verschiedene Winkel des Saals sehen.                  sitzt. Das halte ich doch für sehr schwierig.

Es müssen sich auch nicht alle Verfahrensbeteilig-    Darin sieht Peter Finke auch die Grenzen von Ver-
ten an der Videokonferenz beteiligen.                 handlungen per Videokonferenz. Er wünscht sich
                                                      auch einen Kapazitätsausbau. Denn wollten alle
Peter Finke:                                          Zivilrichter per Videokonferenz verhandeln, wäre
Es gibt jede erdenkliche Mischform von Video-         die Grenze schnell erreicht. Er wünscht sich, dass
konferenzen. Entweder alle Beteiligten loggen         jeder Sitzungssaal über eine Videokonferenzanlage
sich per Videokonferenz ein oder eine Partei          verfügt und eine Konferenz schnell und unbüro-
erscheint mit Anwalt im Sitzungssaal und die          kratisch und ohne großes Genehmigungsverfahren
andere loggt sich ein. Teilweise befinden sich        per Mausklick gestartet werden kann. Aber auf Ver-
Partei und Anwalt am selben Ort, teilweise schal-     handlungen in Präsenz, so sein Fazit, werde man
ten sie sich auch von verschiedenen Orten aus         nicht verzichten können. Er bezweifelt auch, dass
zu. Sämtliche Mischformen von sogenannten             Videokonferenzen in sämtlichen Verfahren ange-
hybriden Videokonferenzen sind denkbar.               wendet werden (können). Es gibt auch viele Vorbe-
                                                      halte. Schon bei Kammersachen, sagt Peter Finke,
Als Vorsitzender einer Kammer für Handelssachen       wenn drei Richter vorne sitzen müssen und dann
hat er die Erfahrung gemacht, dass die meisten        Parteien per Videokonferenz zugeschaltet werden,
Anwälte und Parteien die Möglichkeit begrüßen, per    seien die Meinungen geteilt. Aber für Gütetermine
Videokonferenz zu verhandeln.                         und einfach gelagerte Sachen seien die erzielten
                                                      Ergebnisse mit einer Verhandlung in Präsenz ver-
Peter Finke:                                          gleichbar.
Verfahren vor einer Kammer für Handelssachen
sind nahezu prädestiniert für Videokonferenzen,       Peter Finke:
weil erstens die Anwälte und Parteien über die        Auch wenn kein Vergleich geschlossen wird
erforderliche technische Ausstattung verfügen         und auch kein Urteil gesprochen werden kann,
und auch mit dem Umgang geübt sind. Und               man kommt in aller Regel mit dem Verfahren
zweitens werden die Sachen selten emotional           weiter, indem man verschiedene Punkte mit den
geführt. Es geht meistens um Geld und der emo-        Parteien klären kann und das Verfahren für den
tionale Konflikt steht da eher im Hintergrund.        nächsten Schritt, z. B. die Beweisaufnahme, vor-
                                                      bereitet.
Das bedeutet allerdings nicht, dass jede Klage sich
für eine Videokonferenz eignet. Grenzen sieht Peter   Wie an diesem Mor-
Finke immer dann:                                     gen. Der Vergleichs-
                                                      vorschlag vom Vor-
Peter Finke:                                          sitzenden in dem
... wenn Beweisaufnahmen anstehen. Da würde           Rechtsstreit     wird,
ich mich wirklich schwertun, Zeugenbeweisauf-         nachdem sich die
nahmen per Videokonferenz durchzuführen. Und          Anwälte mit ausge-
auch, wenn Verhandlungen sehr komplex sind,           schaltetem     Mikro-
da kommt man, glaube ich an seine Grenzen.            fon und per Telefon
Ein wesentlicher Nachteil ist, dass diese kleinen     mit ihren Mandanten
Gesten und die Mimik verloren gehen und, ganz         besprochen haben,
wichtig, auch das Geschehen vor dem Sitzungs-         akzeptiert. Nach nicht
saal.                                                 einmal einer halben
Wenn man einen Vergleichsvorschlag unterbrei-         Stunde ist der Ver-
tet hat und die Parteien rausgehen, dann redet ja     gleich protokolliert,
nicht nur der Anwalt mit seiner Partei, sondern       das Diktat vorgespielt
man beobachtet sich ja auch untereinander. Die        und genehmigt wor-
eine Seite gibt der anderen Seite einen Wink:         den.

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BERUF AKTUELL

GERICHTSBIBLIOTHEKEN

TOTGESAGTE LEBEN LÄNGER

      Gerichtsbibliothek? Was ist das denn, werden viele     am Amtsgericht, geschweige denn am Landgericht
      jüngere Kolleginnen und Kollegen fragen. Doch, es      musste manche Rechtsfrage doch präziser beant-
      gibt sie noch in fast jedem Gericht, aber ihre große   wortet werden. Welcher Proberichter wollte sich vor
      Bedeutung ist dahin.                                   dem Kammervorsitzenden die Blöße geben, einer
                                                             zentralen Problematik nicht vertieft nachgespürt zu
      Früher war in jedem Gericht eine mehr oder weni-       haben?
      ger umfangreiche Bibliothek ein Muss. Sie war
      der Ort vertiefter Recherche und Wissensaneig-         Was der Handapparat an Büchern im Dienst-
      nung. Gut, bei den meisten amtsgerichtlichen           zimmer nicht hergab, suchte und fand man fast
      Entscheidungen im Zivil- oder Strafdezernat kam        immer in der Bibliothek. Vorausgesetzt, die Verwal-
      man mit Thomas/Putzo und Palandt bzw. Dreher/          tung hatte für das erforderliche Personal gesorgt.
      Tröndle und Schönke-Schröder klar. Aber selbst         Engagierte „Bibliothekarinnen“ und „Bibliothekare“

      12                                                                                            rista 3/2021
BERUF AKTUELL

waren Gold wert bei der Suche nach Monogra-
fien oder Zeitschriften, deren Standort sich nicht
auf den ersten Blick erschloss. Sie hielten auch
die vielen Loseblattsammlungen akkurat auf dem
Laufenden. Man war versucht, sie zu bitten, doch
auch die im Schreibtisch gestapelten Ergänzungs-
lieferungen in den Dienst-Schönfelder einzuordnen.
Bis in die Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts
erledigten das tatsächlich Hilfskräfte für die Richter,
dann wurde der sogenannte Büro- und Kanzlei-
dienst radikal ausgedünnt. Auf einmal gehörte das
Aussondern und Einordnen zu den richterlichen
Tätigkeiten.

Auch Juristen sind Menschen ...                           Sind die Bibliotheken durch die juristischen Daten-
Die Bibliothek war zugleich eine Art Sozialraum,          banken überflüssig geworden? Können die nicht
ein Ort der Begegnung ohne den kantinenüblichen           unerheblichen Mittel für die Anschaffung immer
Trubel. Hier trafen sich zufällig Kollegen, die sich      neuer Auflagen sündhaft teurer Kommentare und
ohne besonderen Grund nie im Dienstzimmer auf-            Periodika nicht besser verwendet werden?
gesucht hätten. Es tauchten junge, interessante
Gesichter auf, man wechselte freundliche Blicke.          Das mag man so sehen. Allerdings verfolgen die
Gelegentlich tauschten sich Kollegen leise aus,           Betreiber der Datenbanken natürlich wirtschaftliche
zumeist über juristische Fragen, aber nicht nur           Interessen und stellen keineswegs alles online zur
darüber.                                                  Verfügung, was man als Richter zwar nicht oft, aber
                                                          ab und zu eben doch braucht.
In der staubigen Stille der Bibliotheken herrschte
eine ganz besondere Aura. Was von schüchter-              Der Kommentar zum Nachbarrechtsgesetz NRW
nen Seelen gesagt werden wollte, aber nicht über          zum Beispiel ist, obwohl von C. H. Beck ver-
die Lippen kam, fand hier einen stummen Weg               legt, „leider nicht vom (beck-online)-Abonnement
zum Glück. Beim gemeinsamen Griff nach dem                umfasst“. Pech gehabt. Wenn die Amtsgerichts-
Reichsgerichtsräte-Kommentar trafen sich biswei-          bibliothek den Kommentar nicht vorhält, muss man
len Hände, die sonst schwerlich zueinandergefun-          zum Landgericht tigern ...
den hätten.
                                                          Auch viele gar nicht exotische Zeitschriften bleiben
Es gibt keine Statistik, aber bei so manchem Juris-       im Justiz-Abonnement außen vor. Die Zeitschrift für
tenbund fürs Leben war die Gerichtsbibliothek             Transportrecht beispielsweise wird bei juris lediglich
gewissermaßen der Geburtshelfer.                          in unergiebigen Kurzreferaten wiedergegeben, bei
                                                          beck-online werden nur ausgewählte Entscheidun-
Tempi passati?                                            gen präsentiert. Wer hier etwas Bestimmtes sucht,
In Zeiten von juris und beck-online hat sich die          etwa eine Quellenangabe überprüfen will, dem
Bedeutung der Bibliothek vollkommen gewandelt.            bleibt auch in diesem Fall die Suche nach einer
Zu jedem Paragrafen, zu fast jedem Stichwort fin-         entsprechend bestückten Bibliothek nicht erspart.
det man in den Rechtsprechungsaufsatz- und kom-
mentarbanken eine Fülle von Antworten.                    Wir von rista wollen uns kein abschließendes
                                                          Urteil anmaßen, aber es scheint, als ob auch
Einfacher geworden ist die juristische Goldgräberei       in digitalisierten Zeiten und „smartem“ Richterof-
dadurch schon, vor allem kann mit entsprechen-            fice Bibliotheken ihre Daseinsberechtigung haben.
dem Zugang viel im Homeoffice erledigt werden,            Sie dürfte umso größer sein, je feiner juristisch
was zuvor den Gang in die Bibliothek unabdingbar          gedrechselt werden muss. Kein Oberlandesge-
machte. Die im Vergleich zu „früher“ überbordende         richt, geschweige denn ein Bundesgericht käme
Fülle an bereitgestellten Informationen birgt aller-      auf die Idee, seine Bibliothek aufzulösen. Weiter
dings eine oft unterschätzte Gefahr. Die Gefahr, im       unten, vor allem in den Niederungen der Amtsge-
juristischen Unterholz aus dem Blick zu verlieren,        richtsebene, sieht es allerdings nicht selten finster
welche juristische Nuss man eigentlich knacken            aus. Dort soll trotz aller gegenteiligen Beteuerun-
wollte. In der Einsamkeit des Homeoffice kann auch        gen ja auch und vor allem „in Masse gemacht“
niemand um Rat gefragt werden, es sei denn, man           werden, da müssen die zur Verfügung gestellten
lebt in einer Juristenehe ...                             Zugänge zu den Datenbanken eben ausreichen.

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BERUF AKTUELL

EINE ONLINE-VERANSTALTUNG

JAHRESGESPRÄCH MIT DEM JUSTIZMINISTER 2021

                            Ging es bei dem Jahresge-        aber vielfach an der fehlenden Technik scheitere.
                            spräch 2020 noch darum,          Der Vorsitzende Christian Friehoff stellte heraus,
                            die Abstände zwischen den        dass es nicht förderlich für die Akzeptanz von
                            Gesprächsteilnehmern ein-        Videoverhandlungen sei, wenn sich Amtsgerichte
                            zuhalten, fand das Gespräch      teilweise die Systeme teilen müssten. Der Vorstand
                            mit dem Ministerium am 5.        führte als weiteres Hindernis aus, dass § 128 a ZPO
                            Mai rein virtuell statt.         letztlich nur für die Anwaltschaft eine Erleichterung
                                                             sei, die sich eine eventuell weite Anreise sparen
                            Erster Tagesordnungspunkt        könne. Das „Nadelöhr“ der in einem Sitzungssaal
                            war die Personal- und Belas-     erforderlichen Verhandlung bestehe fort.
                            tungslage. Ohne im Einzel-
                            nen auf die Zahlen einzu-        Seitens des Ministeriums wurde auf das Erreichte
                            gehen, ergab sich im Jahr        hingewiesen und: Die Ausstattung benötige Zeit,
                            2020 nach den Erhebungen         und trotz Bereitstellung von Finanzmitteln sei die
                            des Ministeriums eine Ver-       Beschaffung von Notebooks und Videotechnik
                            minderung der Belastung.         schwierig, weil der Markt knapp und die Justiz
                            Vor allem in der ordentlichen    durch Rahmenverträge gebunden sei.
                            Gerichtsbarkeit, aber auch
                            in den Fachgerichtsbarkei-       Beim Thema Bewerber ergab sich für das Jahr
                            ten. Das senke auch den          2020 eine leicht verbesserte Situation, allerdings
                            Personalbedarf.                  auf niedrigem Niveau. Trotz sinkender Absolven-
                                                             tenzahlen stellte Justizminister Peter Biesenbach
      Im Gegensatz zu den Generalstaatsanwaltschaften        fest, dass auch im Jahr 2020 alle besetzbaren
      sei die Belastung im vergangenen Jahr bei den          Stellen besetzt werden konnten. Gerade in diesen
      Staatsanwaltschaften jedoch angestiegen.               schwierigen Zeiten steige die Nachfrage bei der
                                                             Justiz.
      Ob diese Entwicklung pandemiebedingt sei,
      mochte das Ministerium noch nicht abschließend         Auf die Frage von Christian Friehoff, warum es
      bewerten.                                              seit 2016 einen deutlichen Abwärtsknick in der
                                                             Bewerberlage gebe, hieß es seitens des Ministe-
      Der Vorsitzende Christian Friehoff bilanzierte, dass   riums: Das sei derzeit nicht aufzuklären. Auch die
      es bei den Fachgerichtsbarkeiten zurzeit keinen        Bemerkung, dass es bei den Staatsanwaltschaften
      Handlungsbedarf gebe, auch wenn für die Arbeits-       im Bezirk Hamm relativ wenige Bewerber gebe im
      gerichte aufgrund zu erwartender Insolvenzanträge      Vergleich zu den Bezirken Düsseldorf und Köln,
      steigende Zahlen wahrscheinlich seien.                 konterte das Ministerium mit dem Hinweis: Es gebe
                                                             keine Signale aus Hamm, dass es Schwierigkeiten
      Im Übrigen rechnete der Vorsitzende hinsicht-          mit Stellenbesetzungen gebe.
      lich der ordentlichen Gerichtsbarkeit nach dem
      Ende der Pandemie wieder mit anderen Zahlen,           Gesprächsbedürftig war auch die Pandemiebe-
      und er betonte, dass es sowohl hier als auch bei       kämpfung. Es ging um Sammeltermine für ein-
      den Staatsanwaltschaften trotz erheblicher Ver-        zelne Behörden in den Impfzentren. Probleme der
      besserungen immer noch deutliche Personallücken        Vergangenheit wurden weitgehend ausgespart.
      gebe.                                                  Erörtert wurde allerdings die Frage, ob es Mög-
                                                             lichkeiten gebe, die Vorzuführenden zu testen. Im
      Zwar konnte Justizminister Peter Biesenbach zur        Einzelfall sei das durchaus auf freiwilliger Basis
      Haushaltsplanung 2022 noch nichts sagen. Er ver-       möglich, systematisch gehe das allerdings schon
      sprach aber, sich weiterhin für Personalzuwächse       rechtlich nicht.
      einzusetzen. Darüber hinaus warb er dafür, Video-
      technik für Verhandlungen einzusetzen.                 Besprochen wurden auch Probleme bei der Perfor-
                                                             mance und dem Support der IT. Störungen führte
      Der Vorstand merkte hierzu an, dass das Interesse      das Ministerium auf den Ausbau der IT zurück. Sie
      bei den Kollegen deutlich zugenommen habe, es          blieben meistens auch auf Einzelfälle beschränkt.

      14                                                                                              rista 3/2021
BERUF AKTUELL

  Die Situation sei im Moment sicherlich nicht opti-    nicht zu besetzen sein. Hier würden die Verwal-
  mal. Die auftretenden Probleme seien schon wegen      tungsgerichte entscheiden. Auch in der Sozialge-
  der Zahl der Beteiligten (IT.NRW, ITD, Telekom) und   richtsbarkeit werde es nach einer Entscheidung
  Problemebenen leider sehr komplex. Der Vorsit-        wahrscheinlich ein Klageverfahren geben.
  zende Christian Friehoff mahnte hier mit Nachdruck
  deutliche Verbesserungen an.                          Hinsichtlich der Überbeurteilungen der Spitzenäm-
                                                        ter durch das JM kündigte Peter Biesenbach eine
  Thematisiert wurde auch noch die bauliche Situ-       Änderung des ursprünglich geplanten Erlasses an.
  ation in den Gerichtsgebäuden, namentlich Köln        Angedacht sei, eine Überbeurteilung durch das
  und Duisburg. Während in Duisburg handwerkliche       Justizministerium nur noch für die Leiter der Mittel-
  Fehler beim Trockenbau dazu führten, dass eine        behörden vorzusehen.
  abgehängte Decke herunterstürzte, werde das
  Dauerproblem Köln wahrscheinlich nicht vor 2028       Das Gespräch endete mit dem Hinweis, alsbald die
  gelöst werden können.                                 Gespräche zwischen Ministerium und dem DRB in
                                                        Gestalt der Arbeitsgruppe Aufgabenkritik fortzu-
  Zu den unbesetzten Stellen der Oberlandesge-          setzen.
  richte Köln und Hamm sagte Minister Biesenbach:
  Beide würden wahrscheinlich auf längere Sicht

WIR GRATULIEREN ZUM GEBURTSTAG IM JULI/AUGUST 2021

 Zum 60. Geburtstag                      Zum 65. Geburtstag                        Zum 75. Geburtstag
 02.07. Volker Bittner                   03.07. Barbara Mayen                      01.07. Reinhard Hörschgen
 05.07. Peter Klaus Schulz               06.07. Dr. Birgit Einhoff                 13.07. Günther Hallermeier
 07.07. Sylvia Behrend                   09.07. Joachim Schaefer
 10.07. Ullrieke Mühleisen               10.07. Regina Helmke                      Zum 80. Geburtstag
 10.07. Thomas Holz                      27.07. Andrea Schubert                    01.07. Reiner Capito
 12.07. Ulrich Oehrle                    27.07. Claudia Kersebaum                  07.07. Dr. Bruno Terhorst
 13.07. Stefan Hanck                     28.07. Norbert Koster                     16.07. Alfred Klimmer
 21.07. Christoph Tambour                04.08. Michael Hammeke                    27.07. Dr. Herbert Schäfer
 22.07. Christoph Gast                   06.08. Ulrike Grave-Herkenrath            16.08. Barbara Helfert
 01.08. Dr. Jens Degner                  06.08. Boris Meyer
 01.08. Petra Klostermann                08.08. Dr. Ralph Oscar Achterrath         Zum 85. Geburtstag
 02.08. Dirk Salzenberg                  09.08. Helmut Bracun                      14.07. Ibo Minssen
 04.08. Frank Walter                     15.08. Klaus Peter Hückert                30.07. Otto Nohlen
 07.08. Ralf Möllmann                    17.08. Dr. Christa Geuenich-Cremer        31.07. Erika van Laak
 13.08. Ute Ebert                        20.08. Barbara Müller                     20.08. Klaus Urselmann
 19.08. Sibylle Plate                    21.08. Christian Schmitz-Justen
 21.08. Ruth-Maria Eulering              25.08. Dr. Wolfgang Jäger                 und ganz besonders
 21.08. Ursula Kreifels                  29.08. Heinrich-Jo-Jos Meissner           07.07. Bruno Peters (99 J.)
 25.08. Dr. Matthias Quarch                                                        08.07. Dr. Friedo Ribbert (89 J.)
 26.08. Petra Heinrichs                  Zum 70. Geburtstag                        14.07. Rolf Bachmann (86 J.)
 26.08. Andreas Dittert                  01.07. Burkhart Asbeck                    03.08. Dr. Klaus Tilkorn (87 J.)
 26.08. Ina Humberg                      05.07. Dr. Wolfgang Pruskowski            10.08. Ingeborg Loos (87 J.)
 26.08. Monika Freitag                   11.07. Rita-Elisabeth Crynen              11.08. Heinrich Zilkens (88 J.)
 28.08. Ulrich Metzler                   20.07. Peter Kamp                         12.08. Peter Zeidler (88 J.)
 30.08. Heike Kinner                     01.08. Horst Warda                        13.08. Dr. Dieter Superczynski (89 J.)
                                                                                   15.08. Kurt Stollenwerk (92 J.)
                                                                                   20.08. Barbara Pegenau (89 J.)
                                                                                   23.08. Hermann Weissing (86 J.)

  rista 3/2021                                                                                            15
BERUF AKTUELL

SCHNELLBRIEF VOM 20.05.2021

ZWISCHENERGEBNIS ATTRAKTIVITÄTSOFFENSIVE

       Liebe Kolleginnen und Kollegen!
                          Bei den letzten Besoldungs-          Aber spezifisch für den richterlichen und staatsan-
                          gesprächen, die bekanntlich          waltschaftlichen Dienst sind zwei Punkte zu nennen:
                          zu einer zügigen Eins-zu-eins-
                          Umsetzung des Tarifabschlusses       Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sollen künftig
                          für die Jahre 2019, 2020 und         nicht nur nach allgemeiner Überzeugung, sondern
                          2021 geführt haben, haben wir        auch de jure dieselben freien Dienstzeiten wie Rich-
                          (DBB NRW, DGB NRW und DRB            terinnen und Richter haben! Die Regelungen der
                          NRW) mit der Landesregierung         AZVO, die eine regelmäßige wöchentliche Arbeits-
                          vereinbart, noch in der laufen-      zeit von durchschnittlich 41 Wochenstunden und
                          den Legislaturperiode Gesprä-        den Ort der Dienstleitung vorschreiben, sollen für
                          che über eine Attraktivitätsoffen-   Staatsanwältinnen und Staatsanwälte nicht mehr gel-
                          sive für den öffentlichen Dienst     ten. Damit würde für das, was allgemein anerkannt
                          (Beamte und ausdrücklich auch        ist, dass nämlich Staatsanwältinnen und Staatsan-
                          Richter) zu führen. Wir haben        wälte genauso wie Richterinnen und Richter freie
       hierüber berichtet. Diese Gespräche sind nun im         Dienstzeiten haben, Rechtssicherheit geschaffen.
       Rahmen einer Videokonferenz am 18.05.2021 mit           Es ist eine wirklich gute Nachricht, dass diese For-
       dem Ministerpräsidenten und dem Finanzminister          derung, für die wir uns sehr lange eingesetzt haben,
       fortgesetzt worden.                                     endlich umgesetzt wird. Wir sind der Bund der Rich-
                                                               ter UND Staatsanwälte!
       Das Ergebnis, das für Richter und Staatsanwälte
       erreicht werden konnte, ist ernüchternd. Vor allem      Erfreulich ist auch die vorgesehene Streichung von
       mit dem von uns erarbeiteten Stellenhebungskon-         § 7 Abs. 3 LRiStAG. Wer Teilzeitbeschäftigung oder
       zept, dessen Umsetzung für uns an erster Stelle         Beurlaubung aus familiären Gründen beantragt,
       stand, konnten wir nicht durchdringen. Die Landes-      muss sich nach dieser Norm bislang damit einver-
       regierung gab diesbezüglich klar zu erkennen, dass      standen erklären, ggf. (vor allem bei Rückkehr) auch
       in Anbetracht der Besoldungsentscheidung für die        in einem anderen Gericht desselben Gerichtszwei-
       Jahre 2019 bis 2021 und der in den letzten Jahren       ges verwendet zu werden. Zwar ist ein Fall einer
       geschaffenen neuen Stellen für Richter und Staats-      anderweitigen Verwendung bislang nicht bekannt
       anwälte sowie wegen der – auch coronabedingt –          geworden. Aber die theoretische Möglichkeit ver-
       bestehenden angespannten Haushaltslage aus ihrer        ursacht immer wieder Sorgen und ist geeignet,
       Sicht hierfür (und auch bei der kommenden Besol-        Kolleginnen und Kollegen von derartigen Anträgen
       dungsrunde!) kein Spielraum bestehe.                    abzuhalten. Dass die Rechtslage nun der gelebten
                                                               Wirklichkeit angepasst werden soll, schafft auch hier
       Dies ist enttäuschend, zumal der mit dem Stellen-       Rechtssicherheit.
       hebungskonzept einhergehende Kostenaufwand
       gegenüber dem gesamten Justizhaushalt keine                                             Mit kollegialen Grüßen
       erheblichen Mehrkosten verursachen dürfte. Wir                                                Christian Friehoff
                                                                                                          Vorsitzender
       werden das Stellenhebungskonzept jedoch nicht
       aufgeben und uns weiter für dessen Umsetzung ein-
       setzen. Wir hoffen, dass das noch nicht das letzte
       Wort war.

       Bei aller Enttäuschung sind aber auch einige allge-
       meine Verbesserungen, u. a. im Bereich der Beihilfe
       und im Landesreisekostenrecht, vorgesehen.

       16                                                                                               rista 3/2021
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