Hape Kerkeling - CAROLINE LINK - Nach dem Bestseller von - INDIEKINO BERLIN
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JULIUS SÖNKE LUISE HEDI URSULA JOACHIM WECKAUF MÖHRING HEYER KRIEGESKOTTE WERNER KRÓL Nach dem Bestseller von Hape Kerkeling EIN FILM VON OSCAR®-PREISTRÄGERIN CAROLINE LINK P R E S S E I N F O R M A T I O N
WARNER BROS. PICTURES präsentiert in Zusammenarbeit mit UFA DISTRIBUTION eine UFA FICTION Produktion in Koproduktion mit WARNER BROS. FILM PRODUCTIONS GERMANY und FEINE FILME mit JULIUS WECKAUF LUISE HEYER SÖNKE MÖHRING HEDI KRIEGESKOTTE JOACHIM KRÓL URSULA WERNER RUDOLF KOWALSKI und als Gäste MAREN KROYMANN DIANA AMFT Regie CAROLINE LINK Drehbuch RUTH TOMA Produzenten SEBASTIAN WERNINGER, NICO HOFMANN Produzent HERMANN FLORIN Producer TOBIAS TIMME Produktionsleitung OLIVER LÜER Musik Supervisor DOMINIQUE KULLING, REGINA REIS Musik NIKI REISER Schnitt SIMON GSTÖTTMAYR, bvs Sound Design CHRISTOF EBHARDT Mischung TSCHANGIS CHAHROKH Originalton MAX-THOMAS MEINDL Maskenbild SABINE SCHUMANN, WALDEMAR POKROMSKI Szenenbild SUSANN BIELING Kostümbild BARBARA GRUPP Bildgestaltung JUDITH KAUFMANN, bfk Casting SABINE SCHWEDHELM, JACQUELINE RIETZ Lauflänge: ca. 95 Minuten Deutscher Filmstart: 25. Dezember 2018 im Verleih von Warner Bros. Pictures Germany a division of Warner Bros. Entertainment GmbH
3 inhaltsverzeichnis | der junge muss ... INHALT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .4 LANGINHALT .............................................................5 Regisseurin Caroline Link: „Ein sehr entspanntes Spiel“. . . . . . . . . . . . . . . 7 ÜBER DIE PRODUKTION Der Himmel über Recklinghausen: vom Buch zum Film. . . . . . . . . . . . . . 10 Achtjährige Genies und wo sie zu finden sind. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Familienbande: die Erwachsenen-Darsteller. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Ruhrpott gerührt, nicht geschüttelt: Kamera, Ausstattung, Schauplätze. . . 22 Du bist nicht allein: die Musik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 „Das ist alles, was ich bin“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Der Bestseller jetzt als Filmausgabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 DARSTELLER Julius Weckauf, Hans-Peter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Luise Heyer, Mutter Margret. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Sönke Möhring, Vater Heinz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Hedi Kriegeskotte, Oma Änne. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Joachim Król, Opa Willi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Ursula Werner, Oma Bertha. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Rudolf Kowalski, Opa Hermann. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 HINTER DER KAMERA Caroline Link, Regie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Hape Kerkeling, Buchvorlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Ruth Toma, Drehbuch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Nico Hofmann, Produzent, CEO UFA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Sebastian Werninger, Produktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Hermann Florin, Produzent und geschäftsführender Gesellschafter GESELLSCHAFT FÜR FEINE FILME MBH, FLORIN FILM KG und BENRAE FLORIN FILMS LTD.. . . . . . . . . . . . . . . . 41 Judith Kaufmann, Kamera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Niki Reiser, Musik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 DIE BESETZUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .44 DER STAB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .44
... an die frische luft | inhalt 4 Ruhrpott 1972. Der pummelige neunjährige Hans-Peter wächst auf in der INHALT Geborgenheit seiner fröhlichen und feierwütigen Verwandtschaft. Sein großes Talent, andere zum Lachen zu bringen, trainiert er täglich im Krä- merladen seiner „Omma“ Änne. Aber leider ist nicht alles rosig. Dunkle Schatten legen sich auf den Alltag des Jungen, als seine Mutter nach einer Operation immer bedrückter wird. Für Hans-Peter ein Ansporn, seine komödiantische Begabung immer weiter zu perfektionieren. Die berührende Kindheitsgeschichte eines der größten Entertainer Deutschlands, Hape Kerkeling.
5 langinhalt | der junge muss ... LANGINHALT Ruhrgebiet in den 1970er-Jahren. Der kleine Hans-Peter wohnt zusammen mit seinen Eltern Margret und Heinz sowie seinem Bruder Matthes im Haus von „Omma“ Bertha und „Oppa“ Hermann auf dem Land. Neugierig beobachtet er die Kundschaft im Lebensmittelladen seiner „Omma“ Änne. Die Großfamilie trifft sich häufig zu Familienfeiern. Hans-Peter, wegen seines leichten Übergewichts zuweilen von Mitschülern gehänselt, lernt es früh, seine pummelige Erscheinung gezielt einzusetzen: Mit Parodien von Kunden, Schlagersängern oder TV-Figuren unterhält er die Onkel und Tan- ten und verbucht damit bereits große Lacherfolge. Schon bald träumt er davon, seinen Fernsehidolen nachzueifern und selbst im Fernsehen auf- zutreten. Nach dem Umzug in das Haus der Großeltern Änne und Willi in Reckling- hausen darf Hans-Peter seine glückliche Kindheit im städtischen Milieu fortsetzen. Er wird von seiner Mutter durch den Garten gejagt, lernt reiten und freundet sich platonisch mit seiner Mitschülerin Sabine an. Während
... an die frische luft | langinhalt 6 des Karnevals besteht Hans-Peter darauf, sich als Prinzessin zu verkleiden, wofür ihm Tante Gertrud eigens ein Kostüm schneidern muss, weil sich für seine Figur kein passendes findet. Bei der folgenden Feier im Familien kreis gibt Tante Annemarie ein Lied von Zarah Leander zum Besten, was Hans-Peter nachhaltig beeindruckt. Hans-Peters Vater ist als Schreiner oft beruflich unterwegs, während sich Mutter Margret um ihre beiden Söhne und den Haushalt kümmert. Die Nervosität seiner Mutter bekommt auch Hans-Peter zu spüren – wegen einer chronischen Kieferhöhlenentzündung muss sie sich einer Operation unterziehen. Der Eingriff hat Folgen: Sie verliert dadurch ihren Geruchs- und Geschmackssinn. Dies und der Alltagsstress treiben sie zunehmend in die Depression. Wenn seine Mutter sauer auf ihn ist, weil er wieder etwas angestellt hat, flüchtet sich Hans-Peter stets in die Arme seiner gutmütigen Großeltern. Oma Änne prophezeit ihm kurz vor ihrem Tod eine große Zukunft: Er wird berühmt werden. Die Verwandten nehmen Anteil, als sich Mutter Margrets Zustand verschlechtert. Hans-Peters Vater ist verzweifelt, weil sie sich unter keinen Umständen psychologisch behandeln lassen will. Hans-Peter gelingt es gelegentlich, sie mit komischen Einlagen und Schlagern aufzu- heitern. Nach einem zweiwöchigen Ferienausflug mit Opa Willi ins Salzburger Land kehrt Hans-Peter zurück und merkt, dass es seiner Mutter nach wie vor sehr schlecht geht. Eines Abends erlaubt sie ihm, lange aufzubleiben und allein fernzusehen, während sie früh zu Bett geht. Später legt sich Hans-Peter beunruhigt zu seiner schlafenden Mutter und horcht die Nacht hindurch irritiert und alarmiert auf ihre ungewöhnlichen Atemgeräusche. Als frühmorgens der Vater von der Arbeit nach Hause kommt, wird deut- lich, dass die Mutter mit Schlaftabletten einen Selbstmordversuch unter- nommen hat. Sie kehrt nicht aus dem Krankenhaus zurück. Für Hans-Peter wird ihre Beerdigung zu einer schier unerträglichen emo- tionalen Prüfung. Oma Bertha und Opa Hermann erklären sich bereit, zu Heinz und seinen Söhnen nach Recklinghausen zu ziehen und sich um die beiden Jungen zu kümmern. Dennoch ist Hans-Peter zu bedrückt, um in dem von seiner Klasse aufge- führten Theaterstück aufzutreten – für ihn wäre die Hauptrolle eigentlich ein Selbstgänger. Sein Unternehmungsgeist erwacht erst wieder, als das Jugendamt sich einschaltet, um festzustellen, ob seine recht betagten Groß- eltern nicht schon zu gebrechlich sind, um für ihn zu sorgen. Die von Hans-Peter geschickt inszenierte „Familienpräsentation“ überzeugt die Frau vom Amt vollkommen davon, dass Hans-Peter durchaus in guten,
7 langinhalt | der junge muss ... robusten Händen geborgen ist. Jedenfalls geht Oma Bertha bald darauf ent- schieden dazwischen, als Tante Gertrud Hans-Peters Vater Heinz noch wäh- rend des Trauerjahres mit der heiratswilligen Frau Kolossa verkuppeln will. Allmählich beherzigt Hans-Peter Opa Willis Weisheit, dass „das Leben doch irgendwie weitergehen muss“ – sein Lebensmut kehrt zurück: Da alle großen Rollen in dem Schulstück bereits vergeben sind, akzeptiert Hans-Peter eine winzige Nebenrolle und verwandelt sie in einen begeistert aufgenommenen Auftritt. Daraufhin schreibt er einen Brief an Loriot und bewirbt sich um die Dicki-Hoppenstedt-Rolle in dessen Sketch „Weihnachten bei den Hoppenstedts“. Auch wenn er als Antwort eine erste Absage bekommt … die Weichen für seine Karriere sind gestellt. REGISSEURIN Am Neujahrstag 2017 lag ich mit einem frisch gerissenen Kreuzband in CAROLINE LINK: „EIN SEHR einem Tiroler Berghotel im Bett und habe mir das Drehbuch von Ruth ENTSPANNTES SPIEL“ Toma, das mir erst wenige Tage zuvor von dem Produzenten Hermann Florin zugeschickt worden war, durchgelesen. Vom ersten Moment hat mich diese Geschichte gepackt. Diese Kombina- tion aus Komik und Trauer hat mich sofort sehr gerührt. Da war dieser pummelige neunjährige Junge, der so verzweifelt, aber durchaus mit viel Talent seine Mutter aus ihrer Depression retten will. Das hatte etwas ganz Einzigartiges. Noch dazu war es ja eine wahre Geschichte. Ich hatte beim Lesen die ganze Zeit den erwachsenen Hape Kerkeling vor Augen. Ruth Toma hat ja viele Anleihen aus seinen bekannten Sketchen in seine Kind- heit übertragen. Und ich wusste damals kaum etwas über Hapes dramati- sche Kindheitsgeschichte. Für mich hat der Künstler Hape Kerkeling durch diese Erlebnisse eine ganz neue Tiefe bekommen, sein Humor eine andere Dimension. Als Kind ging es für ihn um Leben und Tod. Seine Fähigkeit und sein Wunsch, anderen Menschen glückliche Momente zu schenken, hatte auf einmal eine viel größere Bedeutung. Noch nie hatte ich bisher ein Drehbuch von einem anderen Autor verfilmt. Aber hier kam ein Stoff zu mir, der mir absolut lag. Die Beschreibung von Hapes Familie, die schrullige Herzlichkeit einer jeden Figur, die Geborgen heit im familiären Verbund, auch wenn jeder auf seine Art spinnt – das kenne ich aus meiner eigenen Geschichte, dazu fällt mir viel ein. Noch dazu ist Hape exakt mein Alter. Wir sind beide Kinder des geburten stärksten Jahrgangs 1964. Seine Zeit war meine Zeit. Wie er bin ich in der Provinz aufgewachsen. Zwar nicht im Ruhrgebiet, dafür in Hessen. Aber die Welt, die er erlebt hat, das Milieu der einfachen Leute, das alles kenne ich genau. Auch in meiner Familie gab es die kriegstraumatisierten
... an die frische luft | langinhalt 8 Großeltern, die exaltierten Tanten, die warmherzigen Verwandten, mit denen man prima feuchtfröhliche Familienfeste feiern konnte. Als ich das Drehbuch zugeklappt habe, wusste ich, dass ich das verfilmen wollte. Ich habe dann Hape in Berlin getroffen, und er hat mir sehr offen und ehr- lich meine verbliebenen Fragen beantwortet. Wir haben in Fotoalben Bilder angeguckt, und er hat mir seine Unterstützung in jeglicher Form zugesagt. Die schwierigste Aufgabe habe ich darin gesehen, die richtige Tonlage für diese Geschichte zu finden. Immerhin geht es auch um den Freitod einer jungen Mutter, da kann man nicht sagen: „Ist doch alles nicht so schlimm.“ Diese Tragödie muss der Film schon ernst nehmen. Und gleichzeitig gibt es in der Geschichte auch sehr viel zu lachen. Viel Optimismus, Humor und Zuversicht. Den Trost einer Großfamilie mit wunderbaren Charakte- ren. Ich habe versucht, eine Form zu finden, die das alles nebeneinander zulässt, ohne über den großen Schmerz in Hapes Kindheit oberflächlich hinwegzugehen.
9 langinhalt | der junge muss ... Parallel zum Schreiben meiner Regiefassung des Drehbuchs begann dann sofort das Kinder-Casting. Wir haben per Annoncen und Aufrufen an Schu- len etc. nach passenden Jungs zwischen acht und zehn Jahren gesucht. Das war natürlich um einiges schwieriger als bei meinen bisherigen Filmen. Dieser Junge musste sensibel sein und ein Spaßvogel zugleich. Er musste Hape irgendwie ähnlich sehen und unbefangen vor der Kamera Quatsch machen können. Das war nicht leicht. Julius’ Eltern haben einen Schreibwarenladen in der Nähe von Mönchen- gladbach. Eine Kundin hatte ihnen eines Tages von einem Casting-Aufruf im Radio erzählt, und glücklicherweise haben sie sich daraufhin bei uns gemeldet. Er kam nach ein paar Improvisationsübungen in die engere Favoriten-Runde und hat mich schlussendlich überzeugt, als er ein ziem- lich kompliziertes Lied, in dem er zwei verschiedene Rollen gleichzeitig spielen musste, sehr lustig dargestellt hat. Das haben nicht viele Jungs in seinem Alter so gut hingekriegt. Da war mir klar: Julius ist ein schlaues Kerlchen, auch wenn er über keinerlei Filmerfahrung verfügte, seine schnelle Auffassungsgabe würde das problemlos kompensieren. Grundsätzlich arbeite ich gerne mit Kindern, die noch nie vorher gedreht haben. Ich setze auch keine Coaches in der Vorbereitung ein. Worauf es mir ankommt, ist die größtmögliche Unbefangenheit und Natürlichkeit vor der Kamera. Kinder, die sich selbst noch nie auf einer Leinwand oder einem Monitor gesehen haben, die sich noch keine Gedanken gemacht haben über ihre Wirkung und ihr Aussehen, sind mir da die liebsten. Die Drehbedingungen mit Kindern in Hauptrollen finde ich in Deutsch- land schwierig. Die Tagespensen sind extrem limitiert. Medienpädagogen überwachen mit der Stoppuhr die Einhaltung der Arbeitszeiten. Aber Dreh arbeiten lassen sich nicht bis ins Detail durchplanen. Unkalkulierbare Ein- flüsse wie das Wetter oder organisatorische Abläufe machen einem Film- team nicht selten einen Strich durch die Rechnung. Meiner Meinung nach sollten Kinder individueller und je nach persönlicher Leistungsfähigkeit betreut werden. Filme mit Kindern in den Hauptrollen werden sonst in Deutschland unnötig kompliziert und von den Produzenten zunehmend ins weniger streng reglementierte Ausland verlagert. Das Casting für die Erwachsenen-Rollen hat Sabine Schwedhelm in Köln organisiert. Ich wollte keine Stars besetzen, sondern Darsteller, die der Fami- lie vor allem regionale Authentizität und Glaubwürdigkeit verleihen. Ich wollte in diesem Film so viel wie möglich Dialekt hören und das Ruhrgebiet spüren. Allein für die herausfordernde Rolle der Mutter habe ich mich für die Berlinerin Luise Heyer entschieden, weil mich im Casting ihre Zart- heit und Zerbrechlichkeit komplett überzeugt haben. Wir waren glücklich,
... an die frische luft | langinhalt/über die produktion 10 Hedi Kriegeskotte, Joachim Król, Rudolf Kowalski und Sönke Möhring als waschechte Ruhrpottler und starke Persönlichkeiten verpflichten zu können. Ursula Werner kommt zwar nicht aus dem Ruhrgebiet, war aber für mich sofort die ideale warmherzige, kluge und empfindsame „Omma“ Bertha. Die Zusammenarbeit mit diesen wunderbaren Darstellern, die sich bereit- willig einem komplett von unserem neunjährigen Hauptdarsteller dominier- ten Ablauf untergeordnet haben, hat mir riesengroßen Spaß gemacht. Sie alle haben sofort verstanden, dass es vor allem darum geht, Julius die ideale Plattform zu bereiten, um ihn zum Strahlen zu bringen. Und dass persön- liche Eitelkeiten oder Profilierungsambitionen hier keinen Platz hatten. Hape und Julius haben sich ein paar Wochen später in einem Tonstudio in Berlin kennengelernt. Für Julius war Hape Horst Schlämmer. Er wusste gar nicht, dass unter der lustigen Perücke und dem struppigen Oberlip- penbart ein anderer Mann steckte. Er war beeindruckt von Hapes freund- licher „Normalität“, dass dieser berühmte Entertainer keinerlei Allüren hatte und sehr offen auf ihn zukam. Wir haben gemeinsam ein paar Sprachaufnahmen gemacht für die Voiceover-Stimmen im Film und uns für eine Sketch-Probe in einem Probenraum einer Schauspielschule ver- abredet. Alles lief sehr entspannt ab. Hape hat die Fähigkeit, um sich herum eine lockere Atmosphäre entstehen zu lassen, in der keinerlei Leis- tungsdruck aufkommt. Er und Julius haben zusammen rumgealbert, und wir sind gemeinsam auf Bewegungen und Abläufe gekommen, die wir im Film einsetzen konnten. Es war wie ein Spiel. Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“ war mit mehr als fünf Millionen ÜBER DIE PRODUKTION Lesern das erfolgreichste deutsche Sachbuch der Nachkriegszeit. Nachdem die Produzenten Nico Hofmann (UFA FICTION), Sebastian Werninger DER HIMMEL ÜBER (UFA FICTION) und Hermann Florin (Feine Filme) es verfilmt hatten, RECKLINGHAUSEN: nahmen sie sich auch Kerkelings zweiten Bestseller „Der Junge muss an VOM BUCH ZUM FILM die frische Luft“ (verkaufte Auflage: über eine Million Exemplare) vor, um ihn auf die Leinwand zu bringen. Werninger sagt: „Wir hatten den Erfolg des Films ‚Ich bin dann mal weg‘ in dieser Größenordnung weder erhofft noch erwartet. Zwar wenden wir uns mit unseren Filmen grundsätzlich an ein Millionenpublikum, aber fast zwei Millionen Zuschauer war einfach sensationell. Natürlich waren wir begeistert und stolz – genau wie Hape Kerkeling, dem der Film sehr naheging. Er mochte ihn wirklich gern und war auch sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit mit unserem Team. Das ebnete natürlich den Weg für unser nächstes gemeinsames Projekt, die Verfilmung seines zweiten Buchs. Also hat er auch diese vertrauensvoll in unsere Hände gelegt.“
11 über die produktion | der junge muss ... Hermann Florin ergänzt: „Wir mussten uns beim ersten Film diese Koope- ration zunächst erarbeiten, was aber ausgesprochen gut klappte. Und schon bald formulierten wir für Hape Kerkeling eine Art Pitch, wie wir uns den Film zu ‚Der Junge muss an die frische Luft‘ vorstellten. Das gefiel ihm, und inzwischen hatten wir glücklicherweise auch sein Vertrauen.“ Nico Hofmann über Hape Kerkeling: „Hape ist sehr detailgenau und auch sehr begeisterungsfähig. Dass ich mich mit ihm so gut verstehe, liegt sicher auch daran, dass ich mich bereits bei unserer gemeinsamen Arbeit an ,Ich bin dann mal weg‘ sehr intensiv mit seiner Person und seiner Lebens philosophie beschäftigt habe.“ Über das beispiellose Phänomen Hape Kerkeling sagt Florin: „Hape ist ein perfekter Sympathieträger. Er will die Menschen unterhalten, er will nicht polarisieren. In unserem Fall porträtiert er die Menschen aus seiner Fami- liengeschichte derart liebevoll, dass man sich über sie totlacht, ohne sie je zu verachten. Viele andere Comedians gehen sehr anders vor. Hapes Beliebtheit hat vor allem damit zu tun, dass er die ‚Opfer‘ seiner Parodien
... an die frische luft | über die produktion 12 sehr, sehr ernst nimmt und auch sehr mag. Hinzu kommt, dass der Mann handwerklich über ein sensationelles Timing verfügt. Also er versteht sei- nen Job – und er liebt die Menschen.“ Joachim Król, der im Film den Großvater Willi verkörpert, bestätigt: „Das Spannende ist ja, dass wir in diesem Land kaum Leute haben, die eine sol- che kollektive Wertschätzung erfahren wie Hape Kerkeling. Obwohl er gar nicht mehr so aktiv ist in dem Medium Fernsehen, ist er im kollektiven Bewusstsein als der Sympathieträger schlechthin verankert – und mit Recht, meine ich. Wir haben uns jetzt gerade hier am Drehort wiedergese- hen: Er ist jemand, der eine ursympathische Ausstrahlung hat, auch großes Interesse signalisiert.“ Produzent Florin fährt fort: „Schon früh entwickelten wir ein Konzept, wie wir das Buch aufbereiten wollten. Hape stimmte zu – das war die Grund- lage. Prinzipiell sagte er: ‚Ich halte mich aus der Filmarbeit heraus, sage aber immer meine Meinung.‘ Also kommentierte er alle Drehbuchfassun- gen. Dabei behandelte er Drehbuchautorin Ruth Toma ebenso wie Caroline Link als Regisseurin mit großem Respekt. Seine Einstellung: ‚Es ist zwar meine Geschichte, aber ihr müsst sie umsetzen, denn ich selbst wäre viel zu befangen.‘“ Dazu Sebastian Werninger: „Der Unterschied zu Hapes früherer Fernseh arbeit besteht darin, dass es damals nie um seine private Person ging. Doch seine beiden Bücher tauchen tief in seine eigene Lebensgeschichte ein. In Bezug auf die Filme hat er von vornherein gesagt, dass er die Projekte nicht dominieren will und dass er auch als Darsteller nicht zur Verfügung steht. Er hat erkannt, dass man dramaturgisch einen gewissen Abstand braucht, um mit diesen Stoffen umzugehen – daraus hat er die Konsequenz gezo- gen. Das torpedierte damals auch Bernd Eichingers Option auf den ersten Film: Weil Hape nicht selbst auftreten wollte, verlor Eichinger das Interesse an dem Projekt. Insofern war für uns von vornherein klar, dass Hape von einem Schauspieler dargestellt werden würde.“ Florin ergänzt: „Hape hat mir mal gesagt: Was er in den Büchern formu- liert, bedarf der Interpretation in dem Sinne: Je größer das Publikum der ursprünglich sehr subjektiven Geschichte ist, desto deutlicher muss sie von außerhalb formuliert werden. Es ist also wichtig, dass wir als Filmemacher einen eigenen Ansatz finden und daraus eine packende Geschichte machen. Als Darsteller und Regisseur seiner selbst könnte Hape das gar nicht leis- ten. Er lässt uns also machen, wobei er aber immer darauf achtet, dass der Ton stimmt und die Emotionalität seines Originaltextes erhalten bleibt.“ Der nächste Schritt war die Filmadaption des Buchs. Florin berichtet: „Wenn ich die besten deutschen Filmautoren benennen sollte, gehört Ruth
13 über die produktion | der junge muss ... Toma auf jeden Fall dazu. Wir arbeiten sehr gern mit ihr. Es ist wunderbar, wie sie die perfekte Mischung aus Emotionalität und Humor herstellt. Sie hat Respekt vor der Figur Hape Kerkeling, aber sie hat keine Angst vor ihr. Tatsächlich waren zum Beispiel viele Schauspieler bei der Planung des ersten Films eher zurückhaltend, gerade weil es um die Figur des legen- dären Unterhaltungskünstlers ging. Damit hat Ruth aber keinerlei Problem. Und ich verbeuge mich vor ihrer großartigen Leistung.“ „Hinzu kommt, dass Ruth Toma mit ihrem Skript auch Regisseurin Caroline Link stark beeindruckt hat“, sagt Sebastian Werninger. „Caroline inszeniert hier also erstmals einen Film, den sie nicht selbst geschrieben hat – auch das ist eine besondere Auszeichnung für Ruth!“ Über die renommierte Regisseurin und Oscar®-Preisträgerin sagt Hermann Florin: „Ich kenne Caroline Link schon sehr lange, und sie hatte bereits mehrere Projekte abgelehnt, die ich ihr vorgeschlagen hatte. In diesem Fall hatten wir einfach das Glück, dass sie diese Geschichte zum richtigen Zeit- punkt auf den Tisch bekam. Nachdem ich ihr das Skript geschickt hatte, sagte sie nur wenige Tage später zu.“ Was schätzt der Produzent an der Regisseurin? „Caroline kämpft sehr um ihre Version der Geschichte. Sie geht hervorragend mit den Schauspielern um – ihr gelingt es mit den Dar- stellern zusammen, wirklich dreidimensionale Figuren auf der Leinwand zu erschaffen. Einerseits versteht sie ihr Handwerk in dem Sinne, wie eine Szene in Bilder aufgelöst wird, andererseits vermittelt sie den Schauspie- lern die entscheidenden Gefühle für die szenische Situation. Wie ich beob- achten konnte, fühlen sich die Schauspieler sehr wohl in dieser Zusam- menarbeit – Caroline fordert sie auf, ihr Bestes zu geben. Sie inspiriert alle Mitwirkenden und schart ein sensationelles Team um sich. Am liebsten arbeitet sie mit schon bewährten Crewmitgliedern zusammen. Die haben bereits einen eigenen Kommunikations-Code entwickelt, in den man sich zunächst einfinden muss, aber immer geht es sehr zielgerichtet um die Sache, um das bestmögliche Ergebnis.“ Hape Kerkeling sagt über die Regisseurin: „Ich weiß nicht, wie sie das hinbekommt, aber alle Szenen sind voller Seele, ob sie komisch sind oder traurig. Bis Caroline zum Projekt stieß, habe ich mich intensiv in das Pro- jekt eingebracht und die Drehbuchfassungen gelesen. Und als sie dann dazukam, habe ich mich entspannt zurückgelehnt, weil ich mir dachte: Die ist Oscar-Preisträgerin – da halt ich einfach mal die Klappe!“ Wie immer bei der Adaption einer Buchvorlage standen die Filmemacher vor der Aufgabe, den Stoff den Besonderheiten des Mediums anzupassen. Produzent Florin sagt: „Jedes Buch erfordert bei der Verfilmung ein an dem Projekt orientiertes Vorgehen. Allerdings trafen wir gleich zu Anfang
... an die frische luft | über die produktion 14 die Entscheidung, bestimmte Teile des Buchs nicht zu berücksichtigen: Auf etwa 60 Seiten des Buchs beschreibt Hape Kerkeling Erlebnisse aus seinem erwachsenen Leben, mit denen er sich seiner eigenen Biografie nähert. Wir entschieden jedoch, uns ausschließlich auf seine Kindheits geschichte zu konzentrieren: Geschildert werden im Wesentlichen Ereig- nisse, die Hape als etwa Achtjähriger erlebt hat. In der zweiten Phase gilt es dann, die ausgewählten Episoden in eine dramaturgische Form zu brin- gen, um eine Aneinanderreihung zufällig erscheinender Anekdoten zu vermeiden. Mit unserer Unterstützung war dies dann die Arbeit, die Ruth Toma in ihrem Drehbuch geleistet hat.“ „Es war schwierig, einen geeigneten Darsteller für den kleinen Hape zu ACHTJÄHRIGE finden“, erinnert sich Produzent Hermann Florin. „Denn viele Eltern, die GENIES UND WO SIE auf unsere Zeitungsanzeigen etc. reagierten, nahmen unsere Vorgaben ZU FINDEN SIND
15 über die produktion | der junge muss ... (‚ein eher rundlicher Achtjähriger‘) nicht ernst und erschienen teilweise mit schmächtigen 1,60 Meter großen Jungen zum Casting! Aber wir brauchten natürlich ein etwas pummeliges Kind, weil auch dieser Umstand dazu beigetragen hat, dass aus Hans-Peter eine Entertainment-Kanone geworden ist.“ Die Wahl fiel schließlich auf den kleinen Julius Weckauf. Er erzählt: „Also wir wohnen in einem kleinen Dorf, da haben wir ein Geschäft. Im Geschäft sind meine Eltern von einigen Kunden darauf angesprochen worden, dass sie im Radio von einem Casting gehört hatten, in dem die Rolle des kleinen Hape Kerkeling gesucht wird, und sie hätten dabei sofort an mich gedacht. Ich habe als Kind auch immer bei meinen Eltern auf dem Tresen gesessen und die alten Omas und Opas oder die anderen Kunden nachgemacht. Ich fand das sehr cool und bin dann mit meinem Vater zum Casting nach Wuppertal gefahren. Meiner Mutter habe ich gesagt: Wenn ich die Rolle bekomme, backst du mir aber Schoko-Soufflé. Es hat zwar eine Weile gedauert, bis ich die Rolle hatte, aber dann gab es auch Schoko-Soufflé.“ Produzent Sebastian Werninger berichtet: „Julius wurde aus 5000 Kandi daten ausgesucht. Das war ein langer Prozess – bestimmt 1000 Jungen haben wir uns näher angesehen. Mit der Zeit wurden wir nervös, denn Julius war zunächst nicht der Favorit für die Rolle, sondern profilierte sich erst in den späteren Auswahlphasen. Er steigerte sich derart, dass wir schließlich sagten: ‚Dieser Junge muss an die frische Luft!‘ Sehr glücklich waren wir über diese Entscheidung, weil sie nämlich erst etwa acht Wochen vor Drehbeginn fiel – es wurde zeitlich wirklich knapp. Ein echter Glücks- fall! Auch die Eltern sind mit dieser Situation sehr gut umgegangen. Das Kind gerät sehr plötzlich ins Rampenlicht, und dabei haben ihm seine Eltern, Caroline Link und auch unsere Betreuer und Medienpädagogen wunderbar geholfen. Er konnte dadurch eine außergewöhnliche Leistung zeigen, ohne die Bodenhaftung zu verlieren. Hinzu kommt, dass der Film inhaltlich für ein Kind auch gravierende Momente enthält, und wir mach- ten uns intensive Gedanken, wie wir Julius in dieser Situation optimal betreuen konnten. Er hat seine Aufgabe bravourös gemeistert, und ich hoffe, dass er weitermacht, denn er ist ausgesprochen talentiert.“ Nico Hofmann nennt Julius „eine echte Entdeckung und die perfekte Besetzung“. Regisseurin Caroline Link erinnert sich: „Wir haben in Berlin schon früh eine Tonaufnahme mit dem echten Hape Kerkeling gemacht, und ich habe den Julius mitgenommen – der wollte den Hape natürlich auch mal ken- nenlernen. Und dann standen sich die beiden auf einmal in dem Studio gegenüber. Es war wirklich ein sehr besonderer Moment, weil das für Hape
... an die frische luft | über die produktion 16 ja auch sehr viel bedeutet: Wer stellt mich als Kind dar? Und wird dieser Junge diese Rolle packen? Ist er begabt genug? Sensibel, aber auch witzig genug? Ich habe gemerkt, wie es Hape rührte, Julius kennenzulernen und zu spüren: ‚Du wirst ich sein!‘ Und das war auch für mich sehr anrührend, weil ich wusste, wie wichtig das für Hape ist.“ Hape Kerkeling sagt bewundernd: „Der Julius ist wirklich so, als hätte man sich ihn gebacken: Der ist smart, der ist clever, der ist charming, der ist witzig, und er ist auch noch diszipliniert und sehr begabt. Das alles kommt in diesem einen Kind zusammen – wirklich erstaunlich!“ Produzent Florin erlebte Julius so: „Er ist vorlaut und neugierig. Den Eltern ist es gelungen, den kleinen Mann wirklich angstfrei zu erziehen: eine wunderbare Familie – Hut ab! Er schaute sich schon vor dem Dreh das Set und die Kamera sehr genau an, reagierte sehr wach und sehr intelligent auf all das Neue, was auf ihn einstürmte.“ Sönke Möhring, der Hapes Vater Heinz darstellt, sagt über den kleinen Julius: „Er ist ein Newcomer, macht seine Sache sehr gut, weil Caroline es geschafft hat, genau den richtigen Knopf zu drücken: Julius ist regelrecht befreit, und das ist so bewundernswert. Davon würde ich mir gerne eine Scheibe abschneiden. Denn er kennt fast keine Scham, er bringt einfach alles mit, das ist wohl nur durch Caroline zustande gekommen, denn er war sich selber darüber gar nicht im Klaren, was er zu leisten imstande ist.
17 über die produktion | der junge muss ... Carolines Einfühlungsvermögen und natürlich auch Julius’ Fähigkeit – die beiden zusammen sind ein sehr gutes Team.“ Das bestätigt auch Ursula Werner, die Hapes Großmutter Bertha spielt: „Julius ist ein richtiger Glückstreffer. Erstens hat er wirklich große Ähn- lichkeit mit dem jungen Hape. Und dann spielt er natürlich aus dem Bauch heraus, aus reiner Spiellust. Wenn er Einstellungen wiederholen muss, was ja oftmals der Fall ist, macht er das wie ein Profi. Er ist konzentriert, er hat den Text drauf, und wenn es ‚Bitte!‘ heißt, dann fängt er an zu spie- len. Also wir haben große Freunde daran, ihn zu beobachten und mit ihm aufzutreten.“ Über die Dreharbeiten sagt Julius Weckauf: „Die schönsten Szenen sind immer die, wenn ich Streuselkuchen essen darf, den Hans-Peter sehr oft gegessen hat. Streuselkuchen ist auch mein Lieblingskuchen, abgesehen von Schoko-Soufflé oder Zimtschnecken. Es ist halt cool, wenn man den dann essen darf in jeder Szene.“ Über die besonderen Herausforderungen des Drehs mit einem achtjährigen Hauptdarsteller sagt Produzent Werninger: „Dass die Kinderarbeit am Set gesetzlich stark reglementiert ist, erfordert vom Filmteam eine ganz spezielle Planung. Caroline Link kennt diese Situation und geht sehr professionell
... an die frische luft | über die produktion 18 damit um. Natürlich ist es wichtig, dass die Medienpädagogen die Drehar- beiten beobachten und ausschließlich das Wohl des kleinen Julius im Auge behalten – denn das muss im Vordergrund stehen. Sonst würden die Filme- macher leicht Gründe finden, die Szene durch eine weitere Wiederholung noch besser machen zu wollen und dadurch Julius’ Arbeitszeit zu überzie- hen. Dass das nicht passiert, darauf achten diese unabhängigen Personen. Probleme gab es nicht, weil alle Mitwirkenden das verstanden und sich an die Regeln hielten. Wegen Julius sah der Drehplan etwa zehn Tage mehr vor als mit einem erwachsenen Hauptdarsteller – 45 statt 35 Drehtage. Das Team berücksichtigt die Situation auch in dem Sinne, dass vorrangig alle Einstellungen gedreht werden, in denen Julius zu sehen ist. Nachmittags folgen dann die Gegenschuss-Aufnahmen, in denen er nicht erscheint oder in denen man mit einem Double arbeiten kann. Hermann Florin und ich bringen bei der Planung solcher Arbeitsprozesse die Erfahrung aus vier ‚Hanni & Nanni‘-Filmen mit.“ Florin ergänzt: „Letztendlich haben wir in den Anschluss-Einstellungen immer einen von zwei Doubles eingesetzt, wenn die erwachsenen Schau- spieler auf den kleinen Hape reagieren sollten, sodass Julius selbst durch- aus nicht bei jeder Einstellung am Set anwesend sein musste. Logistisch ist die Abstimmung eines solchen Drehplans natürlich eine echte Heraus- forderung. Dass es sehr gut gelang, verdanken wir unserer hervorragenden Produktionsleitung. Wir halten uns also an die Regeln, und innerhalb die- ses Rahmens ist alles umsetzbar, was wir uns vorgenommen haben und was der Film erfordert.“ Über die besonderen Umstände bei der Arbeit an „Der Junge muss an die FAMILIENBANDE: frische Luft“ sagt Regisseurin Caroline Link: „Die erwachsenen Schauspie- DIE ERWACHSENEN- ler haben alle auf eine Weise kooperiert, für die ich ihnen wirklich sehr DARSTELLER dankbar bin. Es war bei diesem Film elementar, dass alle Darsteller verste- hen, dass sie Julius eine Plattform bieten müssen, auf der er brillieren kann. Da war kein Raum für Eitelkeit oder Egomanie. Jeder Drehtag wurde nach Julius’ Bedürfnissen und Drehvorgaben geplant. Alle anderen spielten quasi die zweite Geige – und sind doch so unendlich wichtig für unsere Geschichte. Und es gab tatsächlich niemanden, der das nicht verstanden hat und der Sache nicht gedient hätte. Ich habe mich tatsächlich getragen und unterstützt gefühlt von meinem Ensemble. Da sind so wunderbare Schauspieler dabei, von denen Julius unglaublich viel lernen konnte.“ Ursula Werner gibt das Kompliment gern zurück: „Ich muss sagen: Caroline hat eine hervorragende Truppe zusammengestellt. Es funktioniert wunder- bar. Und es ist schön, dass man sich eigentlich schnell zusammenfindet,
19 über die produktion | der junge muss ... denn wir müssen ja über eine gewisse Zeit wirklich auch eine Filmfamilie sein. Und wenn man sich dann einig ist, dass man für diesen Stoff auch brennt, dass man das sehr gern tut, dann nimmt man natürlich auch Wid- rigkeiten in Kauf, sodass man sagt: Das macht Freude!“ Das sprachliche Ambiente des Films definiert Hermann Florin so: „Die Geschichte wird geprägt vom Ruhrgebiet-Lokalkolorit. Ich stamme selbst aus der Region und bin mit der Sprachfärbung vertraut. Zunächst überleg- ten wir also: Wie intensiv soll die Sprache auch im Film eine Rolle spielen? Wählen wir die Schauspieler auch nach ihren Idiomkenntnissen aus oder ausschließlich nach ihrem darstellerischen Können? Wir beschlossen dann, eine gewisse Sprachfärbung in den Film aufzunehmen, uns aber nicht darauf festnageln zu lassen. Wir haben also auch Schauspieler aus anderen Regionen besetzt, denn es geht ja nicht darum, eine Doku über das Ruhrgebiet zu drehen.“ Luise Heyer ist als Hape Kerkelings Mutter Margret zu sehen. Über sie sagt Florin: „Luise ist eine wunderbare Schauspielerin. Was uns am meisten fasziniert hat: ihre Mischung aus Kraft und Verzweiflung. Einerseits wirkt sie jugendlich unbekümmert und frech, andererseits gelingt es ihr wie
... an die frische luft | über die produktion 20 keiner anderen, Margret Kerkelings Geschichte zu erzählen – inklusive des Weltkriegstraumas, ihrer Angst und Verlassenheit. Dadurch entsteht eine tiefgründige, dreidimensionale Figur – so wie Hape Kerkelings Buch vor allem auch eine einzige Ode auf die Frauen der Nachkriegszeit ist. Zwar haben auch Hapes Vater und Großväter zugepackt, aber das war dennoch die Generation der schweigenden Männer, während die Frauen, vor allem die Großmütter, alles im Griff behielten. Hapes Verbeugung vor diesen Frauen setzt Luise in ihrer Rolle hervorragend um.“ Luise Heyer bedankt sich vor allem für die Unterstützung durch Caroline Link: „Als Schauspieler braucht man den Regisseur als Spiegel seiner selbst. Das ist Carolines großes Plus, eine besondere Gabe: Sie kann unglaublich gut beobachten.“ Hapes Vater wird von Sönke Möhring dargestellt. Wie hat Produzent Hermann Florin ihn am Set erlebt? „Sönke wirkt sehr authentisch, und er ist in Wanne-Eickel aufgewachsen. So findet er den richtigen Ton, ohne zu dick aufzutragen. Er verleiht dem oft abwesenden Vater eine große Würde und Ehrlichkeit. Zumal es in dieser Geschichte schwierig ist, dem Vater gerecht zu werden, weil der eigentlich nie zu Hause ist. Ganz abgesehen von Sönkes schauspielerischen Fähigkeiten vertritt er schon als eigene Per- sönlichkeit die Auffassung, dass er das Gute will, dass er sich für seine Familie einsetzt, dass er aber nicht anders kann, als fern von der Familie zu arbeiten. Dieses Dilemma verkörpert Sönke sehr überzeugend.“ Möhring sagt dazu: „Für mich war fast jeder Drehtag ein Geschenk. Solche Familienfeiern, diese großen Events, wo die ganze Sippe sich zusammen- rottet, habe ich in meiner Arbeit selten erlebt. Die Szenen sind sicher sehr lustig und amüsant zu sehen, aber dafür sind lange Drehtage nötig, wenn da zwölf, 13, 14 Schauspieler im Bild auftauchen und ihre eigenen Ideen einbringen wollen. Aber das waren besonders schöne Szenen, weil sie tat- sächlich so organisch abliefen, wie ich mir das gewünscht hatte. Das Beson- dere an Caroline ist, dass sie auch nach 35 Drehtagen in ihrer Energie überhaupt nicht nachlässt. Sie versteht die Menschenführung, ist sehr genau im Inszenieren, hat ein sehr konkretes Bild vom Film in sich, was von ihr auch argumentativ immer gut begründet wird. So waren wir sozu- sagen immer auf einer Wellenlänge. Alle Achtung! Das muss man erst mal schaffen!“ Margret Kerkelings Mutter Änne wird von Hedi Kriegeskotte verkörpert. Sebastian Werninger erinnert sich: „Hedi fanden wir, weil Caroline Link möglichst authentisch besetzen und nicht nur auf die bekanntesten Namen
21 über die produktion | der junge muss ... setzen wollte. So haben wir Hedi kennengelernt, die uns mit ihrer Leistung verblüffte. Sie ist eben auch eine gestandene, sehr erfahrene Theaterschau- spielerin, und dadurch zählen in unserem Film Ännes Sterben und Hedis Zusammenspiel mit Luise Heyer zu den intensivsten Szenen.“ Hedi Kriegeskotte ist dankbar für die gute Zusammenarbeit mit der Regis- seurin: „Wir erzählen die Geschichte ja aus der Sicht des kleinen Hans- Peter, und darauf müssen wir uns alle einstellen. Caroline Link hat den Blick dafür, und sie hat das gut eingefangen. Ich vertraue ihr voll und ganz.“ Auch Produzent Florin zeigt sich beeindruckt von der versierten Darstel- lerin: „Durch meinen Theaterhintergrund war mir Hedi von der Bühne her ein Begriff, und ich wusste, dass sie in ihren Rollen großen Eindruck macht. Das bewies sie wieder einmal mit ihrer Darstellung der Oma Änne: Sie beherrscht praktisch den gesamten ersten Teil unseres Films. Diese Tatsache wird dem Zuschauer erst so richtig bewusst, als Änne stirbt, denn dadurch verliert die Familie eine entscheidende Stütze, und alles gerät ins Trudeln. Filmisch ist Hedi für uns eine große Entdeckung.“ Ähnlich begeistert beschreibt Florin die Arbeit mit der renommierten Ursula Werner als Bertha: „Neben Oma Änne brauchten wir für die andere Großmutter, Bertha, einen ganz gegensätzlichen Typ, um die Bandbreite der beiden Pole deutlich zu machen: Die beiden Frauen sind quasi Yin und Yang. Änne verkleidet sich als Piratin, kauft kurzerhand ein paar Pferde, macht den dicken Max. Ursula Werner als Bertha ist dagegen viel verhal- tener und ruhiger – wir glauben ihr die liebevolle, behütende Oma sofort, von der Körpersprache bis hin zu ihrer Tonalität. Ursula ist ja in den letzten Jahren vor allem durch ihre Auftritte in Andreas Dresens Filmen sehr bekannt geworden und hat in ‚Wolke Neun‘ eine rückhaltlose Bravourleis- tung gezeigt. Und auch in den Szenen zu unserem Film merkten wir sofort, wie ungekünstelt und beeindruckend sie wirkt. Hedi spielt die Oma Änne eher dynamisch, extrovertiert und leicht theatralisch, während Ursula auch von der Ausbildung her völlig anders geprägt ist – sie ‚dreht‘ sich quasi in diese Figur hinein. Es ist faszinierend, das mitzuerleben. Ich selbst stamme aus Recklinghausen, und ich sehe meine eigene Oma vor mir, wenn ich Ursula beobachte. Sie ist wirklich eine archetypische Großmutter!“ Über Joachim Król als Großvater Willi sagt Produzent Florin: „Joachim ist im Ruhrgebiet aufgewachsen und ein überragender Schauspieler. Er passt wie die Faust aufs Auge. Als Opa Willi steht er ein wenig im Schatten seiner starken Frau. Alle Männer in diesem Film sind insofern kompliziert, weil sie nicht so oft ins Bild kommen, aber Joachim überzeugt in zwei ganz mit- reißenden Szenen: einmal, als er seine Verzweiflung über das Sterben seiner Frau zum Ausdruck bringt – und zwar mit intensivem Understatement; und
... an die frische luft | über die produktion 22 später, wenn er seinem Enkel Hans-Peter auf der Urlaubsreise Selbstver- trauen einflößt.“ Joachim Król verrät: „Ich stamme aus Herne, das ist zehn, 15 Autominuten vom Kerkeling-Wohnort Scherlebeck entfernt. Deshalb war ich so begeis- tert, als Caroline mich auf den Film ansprach, und bei der Lektüre des Drehbuchs wurden die Erinnerungen wieder wach.“ Auch Rudolf Kowalski – er spielt den Großvater Hermann Kerkeling – stammt aus dem Ruhrgebiet und wohnt heute in der Nähe von Bonn. Dazu Produzent Florin: „Ich finde, Rudolf hätte mehr Prominenz verdient. Er ist ganz bei sich und überzeugt mit seinem trockenen Humor, wirkt sehr bescheiden – ich schätze ihn sehr in seinem ausgesprochen menschlichen Auftreten. Für beide Großväter konnten wir uns kaum andere Schauspieler vorstellen. Häufig wird der Fehler gemacht, in Ruhrgebiet-Filmen Typen zu besetzen, die schnoddrig ‚Pott‘ sprechen – dadurch wird ihnen aber eine gewisse Tiefe verwehrt. Joachim Król und Rudolf Kowalski verfügen dage- gen über die ganze Bandbreite der Ausdrucksmöglichkeiten.“ Produzent Werninger bestätigt: „Ja, ein Casting erübrigte sich bei den bei- den. Wobei Joachim als Darsteller sehr gefragt ist und wir erhebliche Ter- minprobleme bekamen, aber schließlich haben wir es doch hinbekommen, um seinen Auftritt möglich zu machen. Aus Mangel an ernsthaften Alter- nativen musste das irgendwie funktionieren!“ Und Florin ergänzt: „In diesem Zusammenhang müssen wir erwähnen, wie sehr eine so renommierte Regisseurin wie Caroline Link in solchen Fällen Einfluss nehmen kann: Man muss keinen Schauspieler dazu über- reden, mit Caroline einen Film zu drehen – vielmehr stehen sie Schlange. Bei der Arbeit mit Caroline erlebten wir aber auch den Casting-Prozess ganz neu. Denn sie erwartete durchaus keine Anregungen, sondern machte ihre Hausaufgaben, hatte exakte Ideen für die Besetzung und war umfas- send vorbereitet, als wir an die Arbeit gingen. Von ihr kamen Vorschläge, die uns aufgrund ihrer Erklärungen sofort einleuchteten. Alles war von ihr auf ein einheitliches Ensemble hin konzipiert. Und wenn wir zwischen- durch vielleicht manchmal überlegten, ob wir nicht noch ein paar andere Schauspieler testen sollten, dann stellten wir anhand der gedrehten Szenen eindeutig fest: Nein, die Entscheidungen waren von vornherein alle richtig.“ „Erstmals arbeitet Caroline Link mit Kamerafrau Judith Kaufmann zusam- RUHRPOTT GERÜHRT, men“, sagt Hermann Florin. „Judith trägt zu meiner persönlichen Ein- NICHT GESCHÜTTELT: schätzung dieses ‚Traumteams‘ ebenso bei wie Caroline und Ruth Toma. KAMERA, AUSSTATTUNG, Judith ist eine hervorragende Künstlerin und versteht sich bestens mit SCHAUPLÄTZE Caroline – ohne viele Worte.“
23 über die produktion | der junge muss ... Dazu die Regisseurin: „Judith ist einfach eine sehr kluge Frau. Für sie zählt nicht allein das schöne Bild, sondern sie denkt sehr stark inhaltlich mit. Bei dieser Geschichte war das besonders wichtig, weil der ganze Film einen sehr unaufgeregten und im besten Sinne des Wortes ‚einfachen‘ Look haben sollte. Wir wollten nicht zu dick auftragen, keinesfalls dekorativ sein oder Ruhrpott-Klischees erzählen. Hapes Welt sollte sich authentisch und liebenswert anfühlen. Judith hat sofort verstanden, was ich meinte. Sie hat mir geholfen, die richtige Sprache für diese Geschichte zu finden. Dafür bin ich ihr sehr dankbar!“ Der Film führt uns 50 Jahre in die Vergangenheit – was vor allem für die Ausstattungsabteilung eine besondere Herausforderung bedeutet. Her- mann Florin weiß: „Eine Geschichte, die nicht in der Gegenwart spielt, macht den Film automatisch teurer – das reicht von den Bohnengläsern im Ladenregal der Großmutter bis zu den Autos und zur Musik. Der Auf- wand ist deutlich größer. Szenenbildnerin Susann Bielings Ausstatterteam hat die 1960er- und 1970er-Jahre wunderbar nachempfunden, andererseits aber auch interpretiert. Es geht also nicht um naturalistische Nachahmung; es gibt durchaus auch einen modernen Touch, aber dennoch erscheint das Ambiente genau so, wie es sich damals angefühlt hat. Künstlerisch-inhalt- lich ist das eine Aufgabe, der man sich gern stellt.“ Dazu Produzent Sebastian Werninger: „Der Mehrwert des Films entsteht vor allem dadurch, dass sich viele Zuschauer an die Handlungszeit und an ihre eigene Jugend erinnern. Genau dazu haben alle Beteiligten von dem Kamerateam über die Ausstatter bis zu den Kostümbildnern auf hervor ragende Weise beigetragen – die Szenen wirken so authentisch, dass die Zuschauer wirklich in jene Zeit zurückversetzt werden. Zwar ist der Auf- wand beträchtlich, aber das Filmerlebnis wird dadurch auch erheblich auf- gewertet.“ Regisseurin Caroline Link berichtet: „Ich bin extrem detailverliebt – genau wie meine Szenenbildnerin Susann Bieling und meine Kostümbildnerin auch – da bleibt nichts dem Zufall überlassen. Wenn wir uns überlegen, wie zum Beispiel so ein Mohnfeld aussieht und es gibt zu wenig Mohn, dann scheut Susann keine Mühe, 12 000 Mohnblüten auf 3000 Drähte zu spießen und in das Feld zu stecken, bis das alles so ist, wie es wirklich aus- sehen soll. Das Gleiche gilt für die Kostümabteilung und die Requisiten- abteilung. Den Laden auszustatten war ein unglaublicher Aufwand: Alle Dosen und alle Flaschen und Etiketten sind der damaligen Zeit sehr authentisch nachempfunden. Es war uns allen gemeinsam sehr wichtig, diese Zeit, diese Welt und dieses Leben mit allen Details zu erzählen.“
... an die frische luft | über die produktion 24 Szenenbildnerin Susann Bieling ergänzt: „An dieser Stelle sei gesagt: Ich habe ein unglaublich gutes Team. Den Laden haben wir für nur zweiein- halb Drehtage eingerichtet, ein ziemlicher Kraftakt. Jemand hat den echten Laden gefunden, der aber geschlossen war. Niemand wusste, wie er drin- nen aussah. Ich habe dann nachgehakt – das war gar nicht so einfach. Und dann stellte sich heraus: Es war ein vollkommen originaler Laden, der aber total zugemüllt war. Wir mussten den gesamten Laden entmüllen, um erst einmal an die Basis zu kommen. Und dann haben wir die Basis eingerich- tet. Natürlich müssen die Produkte in den Regalen stimmen. Und das war wirklich eine große Anstrengung. Wir hatten zwar ausreichend Zeit, aber trotzdem war die Menge der zu erledigenden Tätigkeiten einfach immens. Am Ende sah das Ergebnis hervorragend aus – darauf bin ich wirklich stolz. Geklappt hat das nur, weil ich mich auf mein wirklich großartiges Team verlassen konnte.“ Gleichzeitig ging es darum, die Drehorte logistisch aufeinander abzustim- men. Die Dreharbeiten fanden vom 11. Juli bis Mitte September 2017 statt. Sebastian Werninger sagt: „Finanzierungstechnisch verteilten wir die Dreh arbeiten auf Nordrhein-Westfalen, Berlin und Bayern. In Berlin entstanden viele Innenszenen, die wir zuerst gedreht haben. Das erwies sich als Glück, weil das Wetter in dieser Phase kalt und schlecht war – uns aber nicht
25 über die produktion | der junge muss ... kümmerte. Dann wechselten wir nach NRW und bekamen für die Außen- aufnahmen genau das Wetter, das wir brauchten. Was dem Film sehr gut bekommt, denn es gibt ja durchaus traurige Szenen in diesem Film, die durch das herrliche Sommerwetter in diesen Szenen ein gewisses Gegen- gewicht bekommen. Da diese Sequenzen im Ruhrgebiet entstanden, wir- ken sie sehr authentisch und sommerlich warm – das ist regelrecht befrei- end.“ Über den Risikofaktor Wetter sagt Hermann Florin: „Einmal landeten wir wirklich den Volltreffer, als wir eine wichtige Szene um zwei Tage verscho- ben haben, weil der Himmel grau war. Tatsächlich war es dann beim eigentlichen Dreh optimal – so ein Licht gibt es im Spätsommer nur selten. Wir hatten also richtig großes Glück!“ In München entstanden die Schulszenen – zum Glück wurden sie durch die damals herrschenden Wolkenbrüche draußen nicht beeinträchtigt. Es gelang den Ausstattern, eine Schule zu finden, die fast noch genauso aus- sieht wie in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren – bis hin zur Bestuh- lung und den Eiermann-Tischen.
... an die frische luft | über die produktion 26 Florin weiter: „Als wir dann in die Berge fuhren, um eine Stunde außerhalb von München Hapes und Willis Wanderszene zu drehen, war dies der einzige Tag in jener Woche, an dem die Sonne lachte. Also: Glück gehört dazu, aber ein gutes Team ist flexibel genug, um auf die Wettervorhersage zu reagieren und den Drehplan anzupassen.“ Die Interieurs in Berlin wurden nicht im Studio gebaut, sondern in realen Räumen für die Aufnahmen so eingerichtet und ausgestattet, dass quasi eine Studiosituation entstand. Recklinghausen sieht heute nicht mehr so aus wie zu der Zeit, als Hape Kerkling dort aufwuchs: In der Innenstadt sind die Resopal-Fassaden ver- schwunden, der Stadtkern erstrahlt wieder in seinem mittelalterlichen Glanz. Dagegen merkt man in der ländlichen Umgebung die umgekehrte Tendenz, die alten Fassaden modern zu verkleiden. Also suchte das Team Schauplätze, die der Situation der Buchvorlage entsprechen. Hermann Florin berichtet: „Es ging uns ja nicht darum, dokumentarisch die tatsäch- lichen Wohnungen der Kerkelings zu zeigen. Vielmehr suchten wir Häuser, die der damaligen Atmosphäre emotional gerecht werden. Solche Straßen fanden wir dann in Mülheim und Duisburg. Die Straße, in der die Kerkelings in der späteren Phase lebten, fanden wir in einem herunter gekommenen Viertel in Gelsenkirchen, das in unserem Film tatsächlich so wirkt wie Recklinghausen in den 1970er-Jahren. Auch den Friedhof und die für die 1960er-Jahre typische Aussegnungshalle fanden die Filmemacher ganz in der Nähe des Produktionshauptquartiers in Mülheim in einem ruhigen Park. Nicht weit von Recklinghausen ent- fernt, am nordwestlichen Rand des Ruhrgebiets, entdeckten sie im Münster- land, aber auch bei Mülheim jene ländlichen Panoramen, die inhaltlich zu den Szenen passen. Damit war gewährleistet, dass die dortigen Häuser baulich dem Filmmilieu entsprechen. „In Brandenburg hätte man diese Dorfszenen schlecht drehen können, weil die Architektur eine völlig andere ist“, weiß Hermann Florin. In den 1960er-Jahren wohnten die Kerkelings in der Siedlung Herten- Scherlebeck bei Recklinghausen, die sich inzwischen ebenfalls sehr verändert hat. Ein passendes Pendant fanden die Filmemacher in der Nähe von Mönchen gladbach. Der kleine Hape lernte reiten – also musste auch Julius Weckauf eine ent- sprechende Ausbildung machen. Dazu holte das Team einen Pferdetrainer an Bord, der häufig mit Filmkindern arbeitet. Immer musste auch auf die Sicherheit des kleinen Darstellers geachtet werden – nicht umsonst trägt er einen Helm.
27 über die produktion | der junge muss ... Ein typisches, beeindruckendes Bild ist der im Grünen gelegene Pferdehof, der im Hintergrund von einem imposanten Kraftwerk dominiert wird – alle 20 Minuten wird dort heißer Dampf abgelassen, was großen Eindruck macht. Dieses Nebeneinander von Industrie und Natur bringt sehr schön auf den Punkt, wie die Realität im Ruhrgebiet damals aussah. Das Team mietete vor diesem Motiv die Wiese eines Bauern, auf der für den Film eine Pferdekoppel eingerichtet wurde. Der Aufwand und die großen Mühen haben sich gelohnt. Denn Hermann Florin berichtet: „Die Zuschauer der Testvorführungen bestätigen uns immer wieder, dass man in die Geschichte geradezu hineingesogen wird durch die Bilder, die derart liebevoll mit den Menschen umgehen. Tatsäch- lich erlebte ich bei diesen Screenings immer wieder, wie die Zuschauer vorn übergebeugt dasaßen und auf die Leinwand starrten, als ob sie an ihr fest- kleben würden – das war für mich eine sehr beeindruckende Erfahrung.“ DU BIST NICHT ALLEIN: Zwei Elemente sind für die Filmmusik wichtig: Erstens tritt Hapes Tante DIE MUSIK Annemarie (Eva Verena Müller) regelmäßig auf den Familienfesten auf und interpretiert mit ihrer tiefen Stimme Zarah Leanders Lieder. „Verena hat sich auch als Jazzsängerin profiliert und wirkt absolut überzeugend“, sagt Florin. Der kleine Hape nimmt sich die Tante als Vorbild, imitiert sie und eifert ihr nach.
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